Details

Verschollen im Pazifik


Verschollen im Pazifik

74 Tage im treibenden Boot
1. Auflage

von: Bernt-Olov terFehn

1,99 €

Verlag: Betts & Atterberry
Format: PDF
Veröffentl.: 14.09.2020
ISBN/EAN: 9783961272136
Sprache: deutsch

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Eine Barkasse kreuzt zwischen den Inseln des Seychellen Archipels. Bei der Fahrt durch die die schmale Passage im Korallenriff vor dem Hafen der Hauptstadt Mahe kollidiert sie mit einem dicht unter der Wasseroberfläche treibenden Wrack und wird manövrierunfähig. Wind und Strömung treiben das kleine Schiff in die Weiten des Pazifischen Ozeans. Die drei Besatzungsmitglieder und zwei Passagier müssen ums Überleben kämpfen und die beiden Jungen Antoine und Franky reifen in wenigen Tagen zu Männern.
Ein spannender All Age Roman nach einer wahren Begebenheit.
Bernt Olov terFehn ist das Pseudonym eines norddeutschen Schriftstellers, der selbst viele Jahre als Steuermann, Erster Offizier und Kapitän zur See gefahren ist.
Charles Limon peilte über den Vorsteven der Motorbarkasse auf die See, orientierte sich kurz nach der Felsenpitze des Trois Fre res und drehte sich um.
„Komm her, Antoine!“ rief er seinem Sohn zu. Der kniete mit seinem Freund, dem Mechaniker Franky Ronsart, auf der achteren Ducht und beobachtete gespannt eine auslaufende Angelschnur.
Widerwillig drehte sich der junge Seychellaner um und sah seinen Vater fragend an.
„Komm her!“ wiederholte Charles Limon. Über das windgegerbte Gesicht huschte ein ungeduldiges Zucken.
Antoine schwang sich von der Bank und durchquerte mit drei kurzen Schritten das Cockpit der Motorbarkasse Port Victoria III. Er liebte es gar nicht, beim Fischen gestört zu werden; aber er wusste genau, dass dieser Befehlston seines Vaters jeden Widerspruch ausschloss.
Was konnte der nur von ihm wollen, so kurz vor der Einfahrt nach Port Victoria, dem Hafen der Insel Mahe? „Nimm das Ruder, Antoine!“ befahl Charles Limon. Er versuchte vergeblich seine finstere Miene zu bewahren. Der Schalk spielte in den vielen kleinen Falten um seine schwarzen Augen und strafte seinen strengen Ton Lügen. Antoines Enttäuschung über die Unterbrechung des Fischfangs war verschwunden. Zwar schaute er noch etwas ungläubig zu seinem Vater auf, aber er konnte seine Freude nicht mehr verbergen.
„Wirklich, das ist ja ...“ Ein freundschaftlicher Rippenstoß des Bootseigentümers unterbrach ihn.
„Übernehmen sollst du! Kurs liegt an. Die Einfahrt durch das Korallenriff musst du selbst finden.“ Charles Limon trat zurück und gab seinem Sohn die Speichen des Steuerrades in die Hand.
Antoine schluckte und spürte, wie die Innenseiten seiner Hände feucht wurden. Eine Weile kam er sich ganz verlassen vor, nachdem sein Vater nachlässig nach achtern geschlendert war und betont umständlich seine Pfeife in Brand steckte. Dann hatte er nur noch Augen für die Bugspitze der Port Victoria III, die durch die Übergabe des Ruders erheblich von der Landmarke abgewichen war. Eine schnelle Drehung des Rades brachte die Barkasse wieder auf den richtigen Kurs. Doch der kurze Augenblick der Unsicherheit hatte genügt, die bisher schnurgerade Linie des Kielwassers, das sich wie ein silberner Streifen achteraus zog, in eine Schlangenlinie zu verwandeln.
„He, Seemann, du fährst ja Karussell!“ grölte der englische Kapitän John Seymore, einer der beiden Passagiere, die Vater Limon von der Insel Praslin nach Mähe zurückbrachte. „Hättest mal zu meiner Zeit Schiffsjunge sein sollen auf der alten ,Astarte‘. Da könntest du jetzt nicht mehr aus den Klüsen gucken, so hätte dich der Bootsmann kielholen lassen! — Und überhaupt“, wandte er sich finster an den Bootsbesitzer Limon, „es ist reichlich leichtsinnig, ausgerechnet hier vor der schwierigsten Einfahrt im ganzen Seychellenarchipel Ihrem Sprössling das Ruder anzuvertrauen.“
Charles Limon nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte über Bord und drehte sich dann zu dem Engländer um.
„Ihre Besorgnisse sind unbegründet, Kapitän. In der Familie Limon hat noch keiner ein Schiff auf Grund gejagt, noch nicht einmal eine Barkasse.“ Achselzuckend ließ er den Kapitän sitzen, ging zum Ruder und legte Antoine beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Verdammter Lausebengel, was gibt’s hier zu grinsen!“ Wie eine Bulldogge stürzte sich Seymore auf Franky.
Doch der behände Mischling war mit einem Satz auf dem Vordeck der Barkasse, wohin ihm der dicke Kapitän nicht folgen konnte. Sein Grinsen war an Unverschämtheit wirklich durch nichts zu überbieten. Vor lauter Wonne verzog sich das dunkelbraune Gesicht des siebzehnjährigen Mechanikers, dessen Farbe das ganze bunte Völkergemisch der Seychellen wiedergab: Weiße, Bantus, Chinesen und Inder.
„Na, warte, sobald wir festgemacht haben, kriegst du dein Fett!“ fauchte der Engländer wie eine Pumakatze und beschwerte sich wieder bei Charles Limon.
Der Bootseigentümer wies seinen Mechaniker zurecht und gab ihm den Auftrag, die Luke zum Motor zu heben und den Gang der Maschine zu überprüfen. Dadurch verschwand Ronsarts Gesicht für die nächste Zeit aus dem Blickfeld des wütenden Engländers.
Dieser machte seiner Empörung über die Zustände an Bord der Port Victoria III jedoch weiter ausgiebig Luft. Da die beiden Limons vollständig in das Steuern des Bootes vertieft waren, wurde zwangsläufig der zweite Passagier, ein indischer Händler, sein Opfer.
„Unvorstellbar, was die heutige Jugend sich alles leistet. Zu meiner Zeit..."
Der Inder hörte nicht zu. Geistesabwesend blickte er über den wutschnaubenden Kapitän Seymore hinweg. Dabei strich er über sein weißes Oberkleid. Nur ab und zu wandte er sich auf der Bank und spuckte einen Strahl Betelblättersaft in die See. Der Händler war ein ebenso tüchtiger wie schweigsamer Mann. Alle kannten ihn auf sämtlichen Inseln der Gruppe. Für viele Bewohner der abgelegenen kleinen Eilande bedeutete sein Besuch eine Art Fest. Wie er eigentlich hieß, wusste keiner mehr. Man nannte ihn einfach Mister Pandit, weil er in seinem weißen Anzug mit der kleinen Mütze genauso aussah wie der frühere indische Premierminister Pandit Nehru.
Antoine Limon hatte jetzt das Boot wieder vollständig in der Gewalt. Ruhig und sicher schoss die Barkasse dahin. Ihr Rumpf hob und senkte sich rhythmisch mit den anlaufenden Wogen. Jetzt hatte der junge Steuermann Zeit, sich dem Hochgefühl ganz hinzugeben, das ihn ergriffen hatte, als sein Vater ihm das Ruder übergab. Zum ersten Mal durfte er die Port Victoria III vor der Einfahrt in den Hafen übernehmen und durch die schwierigen Gewässer steuern. Antoine war wie alle Bewohner des Seychellenarchipels von frühester Jugend auf wohl vertraut mit allem, was mit der See zusammenhing. Den größten Teil seiner sechzehn Lebensjahre hatte er auf dem Wasser verbracht. Aber dass ihn sein Vater, einer der besten Seeleute der Inseln, jetzt steuern ließ, kam einem Steuermannsexamen auf große Fahrt gleich.
Die Barkasse war eine von dreien, die Charles Limon gehörten. Er war der zuverlässigste und erfahrenste Bootssteuerer der Hauptinsel Mähe. Entsprechend ausgezeichnet ging sein Geschäft. Wer von den Einwohnern der Haupt- und Hafenstadt Port Victoria eine Fahrt nach einer der vielen hundert andern Inseln des Archipels zu machen hatte, nahm am liebsten eine Barkasse Limons.
Die Motorbarkasse Port Victoria III, mit der Antoine so stolz zum ersten Mal die Hafeneinfahrt ansteuerte, war kein gelecktes Vergnügungsfahrzeug. An vielen Stellen der Bordwand war die Farbe abgeplatzt. Sie hielt bestimmt keinen Vergleich mit den eleganten Verkehrsbooten oder Wassertaxis in den Häfen von Tokio, Plymouth oder New York aus. Obwohl ihre Abmessungen mit 11,5 m Länge und 2,6 m Breite wenig von der Norm dieser Fahrzeuge abwichen, sah man ihr den harten Dienst in den Gewässern dicht unter dem Äquator an.
Die Seychellen, einer der kleinsten Staaten der Erde und ehemalige Kronkolonie Ihrer Britischen Majestät, sind eine Sammlung von Vulkanen und Korallenriffen. Etwa tausend Kilometer nordöstlich vom letzten Zipfel Madagaskars und ungefähr doppelt soweit von der afrikanischen Küste liegt diese Inselgruppe im Indischen Ozean. Fünfundneunzigtausend Bewohner, davon noch keine zweitausend Weiße, werden von einem gewählten Präsidenten regiert. Die Inseln sind von einer einzigartigen Naturschönheit.
„Das ganze irdische Paradies“, wie Kapitän Seymore spottete, liegt zwischen vier und sechs Grad südlich des Äquators und siebenundfünfzig Grad östlicher Länge von Greenwich.
Die Barkasse war auf lange Hochseefahrten zwischen den Inseln eingerichtet. Die Bulleyes der Kajüte unter dem kräftig verstärkten Ruderstand konnten mit verschraubbaren Blenden gesichert werden. Der Wellenbrecher über dem Steven war aus starkem Stahlblech. Dicht dahinter lag sogar ein kleiner, stämmiger Zweiflunkenanker vor einer Handwinsch mit beachtlicher Taulänge. Und neben dem Steuerrad stand, fest auf die Decksplanken verschraubt, der Sockel eines richtigen Kompasses. Die Port Victoria machte ihre acht Knoten bei mäßigem Seegang, und in ihrem breiten Cockpit konnte sie über zwei Tonnen Ladung schleppen.
Auf dieser Fahrt war ihre Tragfähigkeit bei weitem nicht ausgenutzt. Der Inder hatte nur einige Körbe und Säcke voller Warenmuster mit. Sonst bestand die Ladung nur aus den Koffern und Seesäcken des Engländers sowie einigen Rollen alter Stahltaue, die Vater Limon auf der Insel Praslin billig erstanden hatte. So war das kleine Maschinenschapp, unter dem mittschiffs der Motor tuckerte, für den Mechaniker leicht zugänglich. Antoine steckte die Zunge zwischen die Zähne. Er beschattete mit der Linken die Augen und starrte durch die trübe Scheibe voraus.
„Aha, dort schäumt’s“, murmelte er vor sich hin.
Die Port Victoria III hatte sich bis auf knapp zwei Seemeilen der gefährlichen Korallenriffbarriere genähert, die im Nordosten der Insel Mähe vorgelagert ist und durch die nur eine schmale Zufahrt nach Port Victoria führt.
Die weißen Segel einiger Fischerboote leuchteten noch heller als der schäumende Wogenstrich längs der Riffe. Doch alle Fahrzeuge lagen in dem ruhigen Wasser innerhalb der Barriere. Die Barkasse dagegen rollte jetzt stark. Die Grundseen machten sich bemerkbar.
„Verdammt!“ fluchte Kapitän Seymore wütend und rieb sich mit einem nicht ganz sauberen Taschentuch das Spritzwasser vom Gesicht.
Doch sogleich wischte wieder ein Brecher von Steuerbord an der Bordwand entlang und fuhr mit seinem langen Gischtfinger in das Cockpit hinein.
„Das ist die verfluchteste Überfahrt, die ich jemals zwischen diesen gottverlassenen Inseln mitgemacht habe!“ Schon wieder war das Gesicht des Kapitäns rot vor Zorn. „Strahlender Sonnenschein, ruhige See, keine Brise. Und doch bringen es diese Banausen von Seeleuten — Seeleute, haha! — fertig, Brecher überkommen zu lassen.“ Er spuckte eine Ladung Salzwasser, die ihm zwischen die Zähne geraten war, mit Walrosspusten von sich. Es kümmerte ihn nicht, dass diese wenig appetitliche Flüssigkeit in einem Korb voll Gemüse landete, das zur Handelsware des Inders gehörte. Der weißgekleidete Kaufmann sah auch jetzt nicht auf, sondern spuckte gleichgültig seinen Betelsaft ins Wasser.
Kapitän Seymore holte eine Flasche aus seinem Seesack und trank gurgelnd. Dann hielt er sie gegen die Sonne, die gerade die Berggipfel von Mähe berührte. Seinem unbefriedigten Knurren nach zu schließen, war er mit dem Flüssigkeitsstand nicht zufrieden. Er setzte noch einmal an und schluckte den Rest. Die leere Flasche warf er achselzuckend über Bord.
„Das war der letzte Schluck“, wandte er sich an Charles Limon, der neben ihm Platz genommen hatte und seinen Sohn am Ruder beobachtete.
„Nun, in einer Stunde machen wir fest, Kapitän, dann gibt es neuen!“ tröstete der Bootseigner.
Antoine drehte sich nach seinem Vater um. Eine Frage lag in seinen Augen, und er deutete auf die anrollenden Wogen.
„Nein, nein, schon gut, Antoine. Wir brauchen nicht mit der Fahrt herunterzugehen. Die paar Spritzer schaden keinem was, und wir wollen schnell einlaufen. Die Sonne geht schon unter.“
Der rote Ball war zu einem Drittel hinter den fast eintausend Meter hohen Monte Seychellois getaucht. Blutrot war das Gebirge übergossen. Für den Beschauer, der es von der Wasserfläche aus betrachtete, wie unsere Bootsinsassen, erschien es gigantisch und riesengroß. Aus den Tälern der Insel Mähe stieg der Dunst, der sich ebenfalls rötlich färbte. Nur die leichten Nebelschwaden, die mit der ablandigen Abendbrise wie die Finger einer Hand aus den Gebirgstälern auf die See hinaus tasteten, blieben bläulich. Die schäumenden weißen Wogenlinien an den Korallenriffen vervollständigten dieses bunte Bild, in dem keine Einzelheiten zu erkennen waren. Noch kreuzte die Port Victoria zu weit vom Land entfernt, um einzelne Bäume oder gar Häuser unterscheiden zu können.

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