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Erstausgabe April 2017

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© Erstausgabe 2017, booksnacks,

ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH

Made in Stuttgart with ♥

Alle Rechte vorbehalten

Ein Lollo Rosso für Sina


ISBN 978-3-96087-141-5

Titel- und Covergestaltung: Özer Grafik Design, Friederike Müller

Bildnachweis: Claudia Paulussen/fotolia.com

Korrektorat: Daniela Pusch

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Ein Lollo Rosso für Sina



Jennifer Wellen

Über die Kurzgeschichte

Das Pech klebt derzeit an Mariella wie ein alter Kaugummi. Ihr Mann ist vor Kurzem verstorben, sie weiß nicht, wie sie ihr Leben finanzieren soll und nun stirbt auch noch das Zwergkaninchen ihrer Tochter. Da sie der Kleinen aber nicht schon wieder einen Verlust zumuten möchte, erzählt sie ihr kurzerhand, der Osterhase hätte Widderdame Sina zum Helfen abkommandiert. Zudem erhält sie einen mysteriösen Brief, der das Abbild ihrer perfekten Ehe mit einem Schlag ins Wanken bringt. Deshalb begibt Mariella sich in der Zeit um Ostern nicht nur auf die Suche nach einer neuen Sina, sondern auch auf die Suche nach Antworten. Dabei muss sie allerdings erfahren, dass Tiere einzigartig und Lügen wie Ostereier sind. Je länger man nämlich daran festhält, desto schlechter werden sie …

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Vorsichtig ließ ich mich in das Badewasser gleiten. Der Tag war wie immer an Hektik nicht zu überbieten gewesen, weshalb ich mich schon seit Stunden nach ein wenig Ruhe im Vanille-Lavendel Schaumparadies sehnte. Genießerisch schloss ich die Augen und versuchte mich zu entspannen.

Allerdings fiel mir das wieder einmal sehr schwer. Als alleinerziehende Mutter hatte ich es nicht leicht und die Geldsorgen machten mich trotz geregelter Arbeit langsam fertig. Belastung fürs Haus, Strom, Gas, Schulgeld, Essensgeld, Lebensmittel, Telefon … Wie ich in Zukunft ohne Nils und sein Gehalt zurechtkommen sollte, wusste ich beim besten Willen nicht.

Schnell drängte ich die aufkommenden Tränen zurück.

Ich wollte nicht schon wieder heulen. Wollte nicht schon wieder in Selbstmitleid zerfließen, denn davon würde Nils auch nicht zurückkommen.

»Mama, weißt du vielleicht, was mit Sina los ist?«

Erschrocken riss ich die Augen auf und fuhr hoch, sodass Wasser aus der Wanne schwappte und laut hörbar auf den Boden platschte. Mitten im Raum stand Lena, mit verwuschelten Haaren und roten Schlafbäckchen.

Mein Herz raste. »Herrgott, hast du mich erschreckt.« Fassungslos schüttelte ich den Kopf. »Was machst du hier? Warum liegst du nicht im Bett und schläfst?«

Meine Tochter zog eine Schnute. »Na, weil Sina so laut ist.«

Ich runzelte die Stirn und setzte mich auf. »Was meinst du mit laut?«

Schlaftrunken rieb mein Töchterchen sich die Augen. »Sie macht so komische Geräusche.«

»Was denn für Geräusche?«

»Weiß nicht, hört sich an, als wenn sie mit dem Zähnen knirscht. Können wir Sina vielleicht ins Wohnzimmer stellen?«

Was Zähneknirschen bei Kaninchen bedeutete, wusste ich nicht. Aber bisher hatte ich das noch nie bei ihr gehört. Herrgott, das fehlte mir auch noch. Horrende Tierarztkosten konnte ich mir derzeit einfach nicht leisten. Immerhin war mein Konto für diesen Monat bereits bis zum Dispo ausgeschöpft. »Warte, ich komm mal gucken. Sicherlich hat sie nur irgendwas Hartes an dem sie herumknabbert. Hast du ihr vielleicht ein Leckerli gegeben?«

Doch Lena antwortete mir nicht mehr, sondern trottete bereits wortlos in Richtung Kinderzimmer.

Seufzend griff ich zu dem Handtuch am Haken neben der Badewanne und stand auf, um mich notdürftig abzutrocknen. Schließlich hüllte ich mich in Nils alten Bademantel. Er roch immer noch nach ihm, was mir einen weiteren Knoten im Herzen einbrachte. Aber ich war zu sentimental, um den Bademantel wegzuwerfen. Hastig lief ich dem Kind hinterher, während meine nassen Füße dabei schaumige Abdrücke auf dem Parkett hinterließen.

Als ich das Zimmer betrat, saß Lena bereits vor dem Käfig. Beim Näherkommen bemerkte ich, dass das Tier regungslos auf der Seite lag. Ich öffnete schnell den Käfig und stupste die dunkelgraue Zwergwidderdame an. »Sina?«

Aber das Tier bewegte sich nicht, oder besser gesagt, nicht mehr. Außerdem stand der Brustkorb des Tieres still und die Augen hatten einen glasigen Ausdruck angenommen.

Der Hase war tot – definitiv.

»Mami, was ist mit Sina?«

»Äh …«

Was ich meiner Tochter nun sagen sollte, wusste ich beim besten Willen nicht. Auf jeden Fall nicht die Wahrheit. Sie hatte den Hasen erst vor einem halben Jahr geschenkt bekommen, kurz nachdem Nils gestorben war. Das Kaninchen hatte Lena wieder ein wenig von der Freude zurückgebracht, die in der Trauer um ihren toten Vater verschwunden war. Wie bitte sollte ich nun der Fünfjährigen erklären, dass auch ihr Hase gerade das Zeitliche gesegnet hatte und Gott anscheinend ein mieser Verräter war?

»Also … äh … du weißt ja, dass bald Ostern ist«, stotterte ich los. »Und … äh … also zu Ostern, da werden vom Osterhasen alle Kaninchen zum Ostereierverstecken rekrutiert.« Räuspernd schloss ich die Tür des Käfigs.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie kam ich da bloß wieder raus?

Ungläubig zog Lena die Augenbrauen hoch. »Maja hat aber gesagt, den Osterhasen gibt es nicht und die Eltern würden immer die Ostereier verstecken.«

Ich tat völlig entrüstet. »Natürlich gibt es den Osterhasen mein Schatz, genauso wie das Christkind, den Nikolaus und die Zahnfee. Die hat dir doch erst letztens zwei Euro gebracht, als du dir den Wackelzahn gezogen hast. Erinnerst du dich?«

»Die Maja sagt aber …«

Jeglicher Versuch, die Authentizität sämtlicher Fabelwesen infrage zu stellen, musste gleich im Keim erstickt werden.

»Die Maja hat aber keine Ahnung.«

Lena blickte mich verdattert an. »Und warum ist die Sina dann jetzt nicht beim Osterhasen?«

Liebevoll nahm ich meine Tochter in den Arm. »Na, weil noch kein Ostern ist, Schatzi. Ostern ist doch erst in ein paar Tagen. Guck mal auf deinen Kalender.«

Lena sah über die Schulter auf den Übersichtskalender an der Wand über ihrem Bett. »Okay. Aber warum hat sie dann diese komischen Geräusche gemacht?«

Erleichtert atmete ich auf. Erste Hürde erfolgreich genommen. »Weil sie sich so darauf freut, denn Osterhasen wiederzusehen. Immerhin haben die sich ein Jahr lang nicht gesehen.«

Die gekräuselten Lippen signalisierten mir, dass Lena noch nicht ganz überzeugt schien. »Und warum liegt sie jetzt auf der Seite?«

Während ich aufstand und das Handtuch über den Käfig mit dem Leichnam drapierte, dachte ich angestrengt nach.

Mist, wie sollte ich das nun erklären?

»Weil sie schläft«, platzte es aus mir heraus.

Ja das war gut. Schlafen ist immer gut. Obwohl man das den Kindern eigentlich ja nicht sagen soll.

»Und warum?«

Aber auch dafür fiel mir prompt eine neue Lüge ein. »Sina muss doch in den nächsten Tagen viel schlafen, um Kraft zu tanken, weil sie die Kraft braucht, um dem Osterhasen an Ostern helfen zu können.« Herrje, also kreativ war ich in meinen Lügen ja, das musste man mir lassen.

Daraufhin schien Lena endlich zufrieden zu sein. Sie gähnte herzhaft und hüpfte ins Bett. »Dann schlaf ich jetzt auch.«

Ich griff zu Bettdecke am Fußende, um Lena zu zudecken. Dabei strich ich ihr über den Kopf.

Wieder einmal konnte ich nicht umhin zu bemerken, wie sehr Lena ihrem Vater glich. Das dunkelbraune Haar mit den helleren Strähnen, die braunen Augen und die zwei Grübchen rechts und links waren genau wie bei Nils. Ich dagegen war mehr straßenköterblond, während meine Augenfarbe dem blau einer alten, verwaschenen Bluejeans glich.

Wieder stieg dieses Gefühl der Traurigkeit in mir auf, das ich sofort verdrängte. Heulen vor dem Kind war keine Option.

Lena drehte sich auf die Seite und seufzte leise. »Nacht Mami. Nacht Sina.«

»Nacht Lenaschatz«, erwiderte ich und sah besorgt auf den toten Hasen.

Wie lange könnte ich ihn darin lassen, ohne dass er zu müffeln anfing? Vielleicht achtundvierzig Stunden? Vermutlich eher weniger. Dann müsste ich den Hasen rausnehmen. Und wie lange könnte ich überhaupt die Lüge aufrecht halten? Wenn er nicht mehr da wäre, würde ich einfach behaupten Sina sei beim Osterhasen. Doch, was wäre nach Ostern? Da müsste ich ihr reinen Wein einschenken, es sein denn …

***

Angespannt stand ich vor dem Schaufenster des Zooladens und versuchte mich zu sammeln. Eigentlich hatte ich diesen Laden nie wieder betreten wollen, aber die Wahrscheinlichkeit ein Zwergwidderkaninchen zu finden, das Sina so ähnlich sah, dass Lena den Unterschied nicht bemerken würde, war hier vermutlich am größten. Jan, der Besitzer, arbeitete immer mit den gleichen Händlern zusammen und hier hatte ich auch Sina gekauft.

Durch das Glas hindurch beobachtete ich ihn eine Weile. Er stand hinter der Kasse und sprach mit einem Jungen, der einen wassergefüllten Beutel mit Fischen in der Hand hielt.

Der Anblick des attraktiven Kerls verursachte dieses Kribbeln in meinem Bauch, wie damals, als ich mich kurzzeitig mit ihm getröstet hatte. Doch als ich bemerkte, dass ich dabei war, mich in den dunkelhaarigen Schlacks zu verlieben, und das so kurz nach dem Tod meines Mannes, blieb mir keine andere Wahl. Ich hatte die Affäre genauso überstürzt beendet, wie sie begonnen hatte.

Ich straffte die Schultern und betrat selbstbewusst den Laden. Das Glöckchen über der Tür, das die Ankunft eines Kunden begrüßen sollte, bimmelte leise und Jans Kopf ruckte herum. In dem Moment, wo er mich erblickte, erstarb das freundliche Lächeln in seinem Gesicht. Dennoch trat ich langsam näher, während er mich nur schweigend musterte.

Irgendwann schaffte er es sogar, das Wort an mich zu richten.

»Hast du dich in der Tür geirrt?« Seine Stimme klang hart und unnachgiebig.

Der Junge mit den Fischen murmelte etwas Unverständliches und drängte sich hastig an mir vorbei. Das Glöckchen bimmelte erneut.

Plötzlich waren wir allein Laden. »Ich brauche deine Hilfe.«

Jan hob skeptisch eine Augenbraue. »Und wie kommst du darauf, dass ich dir helfen würde?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Weil du eben ein netter Kerl bist.«

»Nett, ja? Achso, alles klar … Ist nett nicht die kleine Schwester von Scheiße?«

Die schmale Linie, die seine zusammengepressten Lippen daraufhin bildeten, zeigten mir nur allzu deutlich, dass er immer noch sauer auf mich war. Verständlich, immerhin hatte ich ihm in einem Brief erklärt, wie sehr ich mich schämte, direkt nach Nils Tod mit ihm in die Kiste gesprungen zu sein. Vermutlich hatte ich damit an seiner männlichen Ehre gekratzt. »Bitte Jan.«

Er seufzte kaum hörbar auf. »Was kann ich für dich tun?«

Hastig legte ich ihm den in Zeitungspapier eingewickelten Hasen auf die Theke und packte das Tier aus. »Lenas Hase ist gestorben.«

Er lachte trocken auf. »Und was soll ich da jetzt machen? Ihn wiederbeleben? Da muss ich dich leider enttäuschen. Mensch-zu-toter-Hase-Belebung habe ich leider nicht in meiner Ausbildung zum Tierpfleger gelernt.«

Schnell zog ich eine angewiderte Grimasse. Allein die Vorstellung den Mund auf eine Karnikelschnauze zu drücken fand ich widerlich. »Quatsch. Ich brauche natürlich einen neuen Hasen.«

Der Blick, mit dem er mich nun maß, war abschätzend. »Das ist ja schon mal gut, dass du nur einen neuen Hasen brauchst und nicht womöglich einen neuen Mann.«