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Alfred Bekker, Thomas West

Graingers Weg

Cassiopeiapress Western





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Graingers Weg

von Alfred Bekker & Thomas West

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 114 Taschenbuchseiten.

 

Eine Horde Banditen überzieht die Gegend nördlich des Cimmaron mit Überfällen. Sie tauchen im Morgengrauen auf, greifen ein Ranch oder eine Farm an, fallen über ein Bergwerk oder eine Bank oder ein Kutsche her, und ziehen sich danach blitzschnell wieder in das Oklahoma-Territory zurück. Weder Strafexpeditionen der US-Army noch die Marshalls und Town Marshals von Liberal, Dodge-City und den Gemeinden im Grenzgebiet werden mit der Landplage fertig. Deshalb wird der U.S. Government Squad gerufen – Grainger nimmt sich der Banditen an.

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© 2006 by Alfred Bekker & Thomas Ziebula; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de



1

Am Morgen bedeckte er die kalte Asche seiner Feuerstelle mit Sand und Steinen und verwischte die Spuren seiner Stiefel am Ufer. Den Rest würde der Regen erledigen, der in einer schwarzen Wolkenfront von Westen heranzog. Maxwell schnürte seinen Proviant und seine Decke zu einem Bündel. Danach stieg er in den Sattel und ritt der aufgehenden Sonne entgegen.

Gegen Mittag bog der Lauf des Cimarron nach Südwesten ab. Timothy Maxwell folgte ihm und wusste, dass er Kansas nun endgültig verlassen und gesetzloses Gebiet betreten hatte: das Oklahoma Territorium. Hier hin reichte der Arm Washingtons noch nicht.

Zwei Stunden später bog ein Herbststurm das Gras auf den Boden und fegte das gelbe Laub aus den Kronen der Eichen. Es fing an zu regnen. Maxwell lenkte seinen Wallach in den Fluss, um in den Felswänden am Waldhang des anderen Ufers Schutz zu suchen. Von unten umspülten die anschwellenden Fluten des Cimarron seine Stiefel, von oben schlugen Sturzbäche auf Maxwell und seinen Gaul ein. Und von den Felshängen heulte ihnen eine Gewehrkugel entgegen.

Maxwell bückte sich tief in den Sattel. „Vorwärts!“ Er brüllte. „Ho! Ho!“ Wieder pfiff eine Kugel, und wieder daneben. Wie von selbst glitt das Spencer Gewehr aus dem Sattelholster und in seine Hand. Der Wallach gab sein Bestes, kletterte die steile Uferböschung hinauf, preschte durchs hohe Gras einem Hain alter Eichen entgegen.

Drei, vier Schüsse peitschten aus dem Wald. Scharfer, heißer Schmerz riss über Maxwells linken Oberschenkel. Er ließ sich aus dem Sattel fallen, rollte sich zwischen Farn und Eichengestrüpp ab und ging hinter einem knorrigen Stamm in Deckung. Der Wallach preschte ins Unterholz.

Eine Kugel schlug über Maxwell im Stamm ein, Rindensplitter spritzten ihm ins Gesicht. Er selbst schoss ungezielt und nach Gehör zurück. Der Regen lag wie ein milchiger Schleier über dem Hang. Die Wunde am Oberschenkel brannte wie Feuer.

Wieder ein Schuss, gleich noch einer, und jetzt sah er Mündungsfeuer und die Umrisse eines Hutes. Maxwell feuerte. Der Hut flog hoch, eine Windböe trug ihn davon.

Dann eine Salve von sieben, acht Schüssen kurz hintereinander. Hinter ihm pflügten Kugeln den Waldboden auf. Fast zu spät merkte Maxwell, dass er jetzt auch vom Fluss aus beschossen wurde. Die verdammten Mistkerle nahmen ihn in die Zange.

Er warf sich bäuchlings ins Unterholz. Gewehrkugeln heulten von links und rechts heran, kerbten den Eichenstamm, pflügten das Moos. Er rollte sich ins Gestrüpp, robbte durch Dornenhecken, Pfützen und Schlamm. Irgendwie gelang ihm ein Pfiff, und sein Wallach tauchte aus Regenschleiern und Gebüsch vor ihm auf.

Timmy Maxwell hängte sich in Zügel und Steigbügel auf der linken Pferdeflanke, so dass der Körper des Wallachs ihn wenigstens gegen die Schüsse vom Fluss her schützte. Er steckte das Gewehr ins Sattelholster, riss seinen langläufigen Navy Colt aus dem Hüftholster und feuerte aufs Geradewohl in den Waldhang hinein.

Der Wallach galoppierte entlang der Felsböschung, wagte nicht den Sprung zurück in die Fluten. Regen klatschte auf den Gaul und seinen angeschossenen Reiter, Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren. Brennend heiß schlug es Maxwell in den Nacken, er schrie auf vor Schmerz, ließ sich aus Zügel und Steigbügel fallen, und stürzte über die Böschung zwei Pferdehöhen tief in den Cimarron hinab.

Der war flacher als befürchtet an dieser Stelle, aber von derart starker Strömung, dass Maxwell wie Treibholz flussabwärts gerissen wurde. Irgendwie gelang es ihm, den Colt über Wasser zu halten, wenigstens eine Zeit lang.

Hinter den Regenschleiern sah er zwei oder drei Reiter am Ufer entlang preschen. Sie verfolgten ihn. Timmy Maxwell konnte nur hoffen, dass er kein allzu deutliches Ziel bot zwischen Schaumkronen und Felsblöcken.

Er klammerte sich an einem großen Stein in der Flussmitte fest um zielen zu können, denn die Reiter waren schon fast auf seiner Höhe. Zwei, drei Schüsse explodierten am Ufer, Kugeln heulten übers Wasser und sprengten Gesteinssplitter aus seiner felsigen Deckung. Maxwell erwiderte das Feuer. Schmerz, Wut und Verzweiflung rasten in seinem Körper, er schoss die Trommel leer. Mindestens zwei der Scheißkerle erwischte er.

Kraftlos rutschte ihm dann die Hand vom nassen Stein. Er steckte den Revolver in den Hosenbund und ließ sich unter Wasser sinken. Die Strömung trieb ihn davon.

Über einen kleinen Wasserfall warf sie seinen wunden Körper in ein tiefes Felsbecken. Ein paar Minuten lang spielten die Naturgewalten Pingpong mit ihm. Er tauchte auf, er tauchte unter, er schluckte Wasser, er tauchte auf, er tauchte unter. Schließlich prallte er zwischen zwei vom Wasser glatt gescheuerte Steinblöcke und blieb in der engen Lücke dazwischen hängen.

Die Nacht kam, Timmy Maxwell hielt sich fest. Gegen Morgen hörte es auf zu regnen, Timmy Maxwell schwamm aus der Schlucht, und schaffte es ans Ufer. Niemand verfolgte ihn, vermutlich glaubten sie ihn abgesoffen. Die Strömung schaukelte gelbes und rotes Laub an ihm vorbei.

Die zweite Kugel hatte ihm den Haaransatz im Nacken aufgerissen, die erste den Oberschenkel durchschlagen. Der Knochen schien jedoch heil geblieben zu sein. Verdammter Mist, aber er lebte noch.

Der Regen hörte auf, es wurde Mittag. Timmy kroch die Böschung hinauf und schleppte sich durchs Unterholz. Der Himmel riss auf, die Herbstsonne schickte ein paar Strahlen durch die bunten Kronen. Seine Wunden klopften, er hatte Durst. Gegen Abend gelangte er auf einen Wildpfad. Er blieb liegen. Als es dunkel wurde, schlief er ein.

Am Morgen weckten ihn Stimmen. Er schlug die Augen auf und sah Mokassins, drei oder vier Paar, wahrscheinlich ein Fiebertraum. Timmy hob den Kopf. Sein Blick wanderte an Hosenbeinen hinauf, grob gewebter, brauner Stoff. Er sah Fransen, er sah einen bunt bestickter Gürtel, er starrte den mit Schnitzereien verzierten Griff eines Tomahawks an. Und auf ihn blickte ein braun gebranntes Gesicht herunter.

Indianer. Kiowa.

Sie packten ihn und rissen ihn hoch. Der Schmerz löschte sein Bewusstsein aus...



2

Der Schnee war getaut und hatte die Main Street in eine Schlammtrasse verwandelt. Es nieselte. Das Wasser gurgelte unter seinen Stiefeln, als er aus dem Sattel gestiegen war und sein Pferd zum Bürgersteig führte. Die Fenster zum Saloon waren geschlossen, trotzdem hörte er Stimmengewirr und Gelächter.

Er band den Schimmel fest und zog das Telegramm aus der Innentasche seines Hirschledermantels. Aufmerksam las er noch einmal den letzten Abschnitt: ...Bruckner ist Rechtsanwalt und erst seit etwa zwei Jahren unser Kontaktmann in Dodge City. Er wird Sie erkennen und Sie ansprechen. Bieten Sie ihm etwas zu rauchen an. Wenn er mit Hinweis auf sein Asthma ablehnt, haben Sie es ganz sicher mit Henry Bruckner zu tun...

Er faltete das Papier zusammen, steckte es zurück in die Manteltasche, und schnallte seine Mochila los. Den Sattelkarabiner klemmte er sich unter den Arm, die schwarzen Satteltaschen warf er sich über die Schulter.

Die Holzbohlen knarrten, als er den Bürgersteig betrat. Mit dem nassen Hut klopfte er das Wasser von seinem Mantel. Er stieß die Schwungtür zum Saloon auf und trat ein.

Rauchschwaden hingen wie Dunstfetzen unter den Lampen. An den Tischen und um die Theke drängten sich Cowboys, Geschäftsleute, Eisenbahner, Kartenhaie und erfreulich viele Frauen. Mit einem Blick erfasste er jeden einzelnen Gast. Der stämmige Graubart am Kartentisch fiel ihm auf sofort auf. Der könnte es sein, dachte er. Der Mann trug einen braunen Frack und einen schwarzen Zylinder. Sein wacher Blick taxierte den Neuankömmling für einen Augenblick.

Der knöpfte seinen dunkelbraunen Hirschledermantel auf und ging zur Theke. „N’Abend!“, rief der Wirt ihm entgegen, ein dürrer Bursche mit roten Locken. Einige Männer am Tresen drehten sich um und machten neugierige Mienen. Er kannte keinen von ihnen.

Seinen Hut legte er auf einen freien Barhocker, seinen .44er Winchester Sattelkarabiner lehnte er dagegen. „N'Abend. Einen Kaffee und ein paar gebratene Eier, bitte.“ Der Wirt nickte und verschwand in der Küche.

„Fürchterliches Wetter, was?“ Ein Mann mit schwarzem Zylinder und in braunem Frack drängte sich zwischen ihn und einem nach Schweiß stinkenden Cowboy. Er hatte einen grauen Bart und war nicht eben groß. „Sie sehen aus, als wären sie den ganzen Tag durch den Regen geritten.“

„In Wichita hat’s noch geschneit.“ Er fingerte ein Päckchen Zigarillos aus seinem Hirschledermantel. „Habe ich das letzte Mal vor zehn Jahren erlebt.“

Der Graubart machte große Augen. „Sie wollen mir nicht erzählen, dass Sie in einem Tag von Wichita bis nach Dodge City geritten sind!“

„Hab die Nachtkutsche genommen.“ Er steckte sich einen Zigarillo an und hielt dem anderen das Päckchen hin. „Bin schon ein paar Stunden in der Stadt, hab ein Pferd gekauft.“

„Nett gemeint, Mister, danke.“ Der Graubart hob abwehrend die Rechte. „Ich rauche nicht.“ Er klopfte sich auf die Brust. „Mein Asthma hat’s mir verboten.“

Der Wirt kam aus der Küche und stellte Kaffee und Eier auf den Tresen. Der Graubart roch den Kaffee und rümpfte die Nase. „Sie sehen aus, als könnten Sie einen vernünftigen Drink vertragen.“

„Schon möglich.“ Der Mann im Hirschledermantel zündete sich seinen Zigarillo an.

„Kommen Sie, ich lad’ Sie ein.“ Der Graubart lüftete den Zylinder und streckte die Rechte aus. „Gestatten? Bruckner. Henry Bruckner.“ Und dann an die Adresse des Wirts: „Zwei doppelte Whisky an meinen Tisch, Kevin!“

„Selbstverständlich, Mr. Bruckner.“ Der Rotschopf deutete sogar eine Verneigung an.

Der andere erfasste die ausgestreckte Hand des Anwalts und drückte sie. „Grainger, danke.“ Er nahm Gewehr, Mochila und Hut an sich und folgte Bruckner zu einem kleinen Tisch im hintersten Winkel des Saloons. Teller, Besteck und Kaffeebecher trug ihm der Graubart voran.

„So, hier können wir in Ruhe reden.“ Bruckner stellte die Eier und den Kaffee ab, setzte sich und wartete, bis Grainger sich aus seinem nassen Mantel geschält und ebenfalls Platz genommen hatte. Während er sich über seine gebratenen Eier beugte, fing der Anwalt an zu reden.

„Wir haben ein Problem hier im Süden von Kansas, Mr. Grainger, ein Problem der ganz harten Sorte, möchte ich meinen. Seit dem letzten Frühjahr überzieht eine Horde Banditen die Gegend nördlich des Cimmaron mit Überfällen. Sie tauchen im Morgengrauen auf, greifen ein Ranch oder eine Farm an, fallen über ein Bergwerk oder eine Bank oder ein Kutsche her, und ziehen sich danach blitzschnell wieder in das Oklahoma-Territory zurück.“

„Wo unsere schönen Gesetze ein paar Pferdeäpfel wert sind.“ Grainger sprach, ohne von seinem Teller aufzusehen.

„Leider. Weder Strafexpeditionen der US-Army noch die Marshalls und Town Marshals von Liberal, Dodge-City und den Gemeinden im Grenzgebiet werden mit der Landplage fertig. Es ist zum Haare-Ausraufen! Im letzten Monat haben sie eine Ranch dreißig Meilen südlich von Dogde City überfallen und den Rancher und seine Familie getötet. Mit fast sechshundert Pferden ist die Bande anschließend wieder nach Süden galoppiert und hat sich in den Hügeln und Wäldern jenseits des Cimmaron verkrochen.“

Der Wirt kam und stellte zwei doppelte Whiskys auf den Tisch. „Zum Wohl, Gentlemen.“

Grainger wartete, bis der dürre Lockenkopf wieder seine Theke ansteuerte, dann sagte er: „Und jetzt hat man den Fall der U.S. Government Squad aufs Auge gedrückt, hab ich Recht?“ Er schob den leeren Teller von sich.

„So ist es, Mr. Grainger.“ Bruckner griff nach seinem Whiskyglas. „Und um es ganz präzise zu sagen: Die leitenden Offiziere der U.S. Government Squad wollen, dass Sie die Sache übernehmen.“

„Aha. Was weiß man über die Bande?“ Grainger fischte den erloschenen Zigarillo aus dem Aschenbecher und steckte ihn zwischen die Lippen. „Wie groß ist sie? Kennt man Namen?“ Unter der Tischplatte riss er ein Schwefelholz an.

„Wir wissen nicht viel. Es sind mindestens zwanzig Männer.“ Der Anwalt drehte sein Glas zwischen den Fingern und beobachtete das Spiel des Lampenlichts in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. „Ihr Anführer muss bei der Army gewesen sein.“

„Ach...!“ Grainger blies eine Rauchwolke gegen die Öllampe. „Und woher weiß man das?“

„Das schließen ihre Führungsoffiziere aus der Art, wie die Überfälle durchgeführt werden...“

„Gründlich vorbereitet, clevere Taktik, todsichere Strategie – so in der Art, Mr. Bruckner?“

„So in der Art, richtig.“ Der Anwalt reichte dem anderen sein Glas. Sie stießen an und tranken.

„Wie genau lautet mein Auftrag?“, wollte der Mann von der U.S. Government Squad wissen.

„Versuchen Sie den Unterschlupf der Bande zu finden, enttarnen Sie den Anführer, und...“ Bruckner stellte sein Glas ab, seine Miene verfinsterte sich.

„Und?“

„Da ist noch eine dritte Sache, die ich Ihnen sagen muss, Mr. Grainger. Sie sind nicht der erste Agent, der ins Krisengebiet geschickt wird. Ihr Vorgänger hieß Maxwell, er ist seit drei Monaten spurlos verschwunden...“

„Timothy Maxwell?“ Grainger zog erstaunt die Brauen hoch. „Der Major des siebten US-Kavallerie-Regiments?“

„Genau der, Mr. Grainger. Er wollte noch vor dem Winter zum Kiowa Creek reiten. Zuletzt hat man ihn in einem Saloon in Liberal mit einer Tänzerin gesehen. Sie hieß Francine. Mehr wissen wir nicht.“

Grainger griff nach seinem Kaffee und lehnte sich zurück. „Francine...“ Über den Rand des Bechers beobachtete er das Treiben im Saloon. „Eine Professionelle?“

„Gut möglich.“

„Wie hieß der Saloon?“

„Night-Corner, üble Spelunke.“ Bruckner schnitt eine angewiderte Miene. „Wir nehmen an, dass Maxwell dort die Fährte der Banditen aufgenommen hatte. Dass er zum Kiowa Creek wollte, hat er dem Marshall erzählt, bevor er los ritt.“

„Wenn ich Sie also richtig verstanden habe, wird mein dritter Job der sein, Timmy Maxwell finden.“ Am Tresen stand ein schwarzhaariges Mädchen. Ihre Haut war weiß wie Sahne.

„Oder wenigstens sein Schicksal aufklären.“

Das Mädchen lächelte und Grainger lächelte zurück. „Gut. Morgen reite ich los. Danke für den Whisky.“ Er stand auf und schlenderte zur Theke...