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Impressum

www.vahlen.de

ISBN 978-3-8006-5399-7

© 2017 Verlag Franz Vahlen GmbH
Wilhelmstraße 9, 80801 München

Satz: Fotosatz Buck
Zweikirchener Straße 7, 84036 Kumhausen
Umschlaggestaltung: Ralph Zimmermann – Bureau Parapluie
Digital Design Library/dpunkt (modifiziert)
eBook‐Produktion:
Datagroup int. SRL, www.datagroup.ro

Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.

7 Inhaltsverzeichnis

9 Vorwort: Mehr Mut!

Der perfekte Sturm

Brücken zwischen digitalen Inseln bauen

„Hen die denn koi Schnur?“

Vernetzung als Unternehmensprinzip

Digitale Transformation ist Chefsache

Kapitel 1: Neue Chefs braucht das Land!

Geschäftsmodelle gehören auf den Prüfstand!

Warten auf den Mittelstand

Schöpferische Zerstörung und disruptiver Wandel

Die neue Welt der Arbeit

Das Unternehmen als Netzwerk

Das Büro von morgen ist kein Büro!

Digitaler Beduine sucht digitale Oase

Der Arbeitgeber als Marke

Talente – verzweifelt gesucht

Das Unternehmen erfindet sich neu

eEnabling: Fit für die digitale Zukunft

Service als Geschäftsmodell

Keiner bleibt ungeschoren

Kapitel 2: Der digitale Durchblick

Big Data ist kein Selbstzweck

Ein Computer, der wie ein Mensch denkt

Management durch Vertrauen

Vernetzung als Unternehmensprinzip

Digitale Transformation ist Chefsache – aber nicht nur!

10 Kapitel 3: Verkaufen war gestern

Eine kurze Geschichte des E-Commerce

Die neue Macht des Kunden

Fragen kostet (fast) nichts

Der neue Weg zur Ware

Verkaufen auf allen Kanälen

Social Selling: Der Kunde als Freund

Handel im Wandel

Auch Firmenkunden sind Menschen

Kundenbindung 2.0: Der Kunde bindet sich selbst

Kapitel 4: Hoflieferant von König Kunde

Was Online-Marketing mit Fußball zu tun hat

Beziehungspflege per Internet

Momente, die man nie vergisst

Big Data – Little Brother

Kunde, verzweifelt gesucht

Ist der Ruf erst ruiniert

Kapitel 5: Der neue Weg zum Kunden

Verkaufen auf allen Kanälen

Retouren als Chance

Fliegende Kisten und Brummis ohne Steuermann

Der Kunde als Paketbote

Global oder regional? Egal!

Nachhaltigkeit ist Trumpf

Kapitel 6: Machen Sie’s den Kunden nach!

Einmaleins und ABC

11 Die Maus, die brüllte

Einkauf verkehrt: Das „Kunden-Universum“

Einkauf treibt Industrie 4.0

Smarter einkaufen

Kapitel 7: Smarte Produkte brauchen smarte Hersteller

Smart Factory sucht smarte Mitarbeiter

Roboter sind die besseren Chefs

Das Ende der Massenfertigung

Demokratisierung der Fertigung

Der Ruf nach „sozialen Maschinen“

Roboter haften nicht

Ingenieure verzweifelt gesucht

Fünf Faktoren für die Fabrik der Zukunft

Kapitel 8: Der neue Mitarbeiter

Die neue Macht der Bewerber

Der Arbeitgeber als Marke

Die neue Welt der Arbeit

Arbeitsplatz ohne Grenzen

Der Preis der Flexibilität

Personaler werden digitaler

Entlassung per Mausklick ist schlechter Stil

Aufwerten statt anheuern

Kapitel 9: Die Herren der Daten

Reporting – Unternehmensführung im Rückspiegel

Computer können besser Erbsen zählen

Daten sind nicht immer gleich Daten

12 Controlling und Business Analytics – zwei Welten begegnen sich

Die Königsdisziplin: Automatische Entscheidungen

Ein Computer, der wie ein Mensch denkt

Nachwort: Quo vadis digitales Deutschland?

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Dieses Buch ist meinem langjährigen Freund
und Lehrer Ossi Urchs gewidmet,
der wie kein anderer verstand, dass digitale Vernetzung
alles verändert – nicht zuletzt uns selbst.

13Vorwort:
Mehr Mut!

15Alle reden darüber. Viele sehen in ihr die Lösung für alle Zukunftsprobleme. Manche haben Angst vor ihr. Die Rede ist von der Digitalen Transformation, der massiven Veränderung von Geschäftsmodellen, Betriebsabläufen und Märkten durch die Digitalisierung.

Selten hat ein Begriff aus dem Computerkauderwelsch so schnell Eingang in die Alltagssprache gefunden. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) wählte den Begriff „Digitale Transformation“ 2016 sogar zu seinem Jahresmotto. „Die CeBIT ist der Startpunkt für die digitale Transformation“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Messerundgang im selben Frühjahr. Kein Zweifel: Die Botschaft ist angekommen. Aber ist sie auch verstanden worden?

Als die erste Auflage dieses Buches im Herbst 2015 auf der Frankfurter Buchmesse erschien, war das Echo groß. Es sei eine „Anregung für jeden, den Gang in die digitale Welt mutig und optimistisch zu gehen“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine“. Und genau darum ging es mir: Deutsche Manager müssen mehr Mut zeigen! Sie dürfen sich nicht auf den durchaus verdienten Lorbeeren Erfolgen als „Export-Weltmeister“ ausruhen (China hat ihnen diesen Titel ohnehin schon spätestens 2010 abgenommen). Sie müssen unterscheiden lernen zwischen erhaltungswürdigem Traditionsbewusstsein und einem Festklammern an liebgewordenen, aber längst überholten Abläufen und Gewohnheiten. Sie müssen das Neue annehmen und in ihre Unternehmen integrieren, und sie müssen sich vor allem beeilen! Denn im Digitalzeitalter ticken die Uhren im Takt von „Moore’s Law“, der Erkenntnis des einstigen Intel-Gründers Gordon Moore, wonach sich die Leistungsfähigkeit digitaler Systeme ungefähr alle 18 Monate verdoppelt. Das tun sie schon seit über 30 Jahren, und ständige Verdopplung führt zu dem, was wir als „Exponentialwachstum“ bezeichnen, also diesen Kurven, die ganz langsam anfangen und irgendwann plötzlich durch die Decke stoßen.

Leider tickt der Mensch noch im analogen Takt, und es gibt viele, denen es deshalb alles viel zu schnell geht. „Mein Kopf 16kommt nicht mehr mit“, klagte der leider viel zu früh verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in seinem Buch „Payback“, das er als vergeblichen Versuch geschrieben hat, die Uhren zurückzudrehen.

Das würden viele deutsche Manager auch gerne tun.

Geht nur leider nicht. So banal es klingen mag: Das Neue lässt sich nicht aufhalten. Es lässt sich aber hinauszögern. Doch wer heute auf die Bremse tritt, tut sich, seinem Unternehmen und dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen Bärendienst. Dieses Land befindet sich in einem Wettrennen gegen den Rest der Welt, und nur die Schnellsten werden weiterkommen. Es gibt Länder auf der Welt, auf die wir hier in Deutschland gewohnt sind, eher etwas verächtlich hinab zu blicken, weil sie „Entwicklungsländer“ sind. Südkorea, zum Beispiel, das aber heute das bestvernetzte Land der Erde ist und das über Hochschulen verfügt wie die Seoul National University, die es im internationalen Vergleich durchaus mit den besten Unis in Deutschland aufnehmen können1. Dort studieren talentierte und gut gebildete junge Menschen, die nur ein einziges Ziel haben: Uns die Butter vom Brot zu nehmen! Und ihre Chancen stehen gut, jedenfalls so lange die deutsche Wirtschaft nicht Vollgas gibt!

Der perfekte Sturm

Was das Ganze so schwer verständlich macht ist, dass die Digitale Transformation keineswegs ein einzelnes, alleinstehendes Phänomen ist, sondern vielmehr das Zusammenwirken von mindestens drei Entwicklungen, die jede für sich das Zeugs zum weltverändernden Megatrend hat: Digitalisierung, Vernetzung 17und Mobilität. Kommen sie, wie es jetzt geschieht, zusammen, dann sind die Folgen atemberaubend. Es entsteht sozusagen der perfekte Sturm, der alles hinwegfegt!

Digitalisierung mag zwar heute in aller Munde sein, ist aber in Wirklichkeit ein alter Hut. Mit der Digitalisierung kamen die Menschen massenweise Mitte der 1980er-Jahre in Berührung, als Philips und Sony gemeinsam die Audio-CD auf den Markt brachten. Was Akio Morita und Jan van Tilburg damals am Rande der Salzburger Osterfestspiele 1981 der Weltpresse vorführten, war in Wirklichkeit ein Zwischending zwischen Schallplatte und Digitaltonträger. Die digitale Information war in vielen Millionen Vertiefungen auf der Oberfläche einer Kunststoffscheibe gebrannt, die von einem Laser abgetastet und in (analoge) elektromagnetische Signale umgewandelt wurden. Das Ergebnis war vor allem eine störungsfreie Wiedergabe der Musik ohne die lästigen Kratzer, die oft beim Abspielen einer Vinylschallplatte entstanden. Ansonsten änderte sich aber nicht sehr viel. Der Preis einer Compact Disc entsprach ungefähr dem einer herkömmlichen Langspielplatte. Und es gab sogar Hifi-Puristen, die behaupteten, die Vinylplatte klinge irgendwie „wärmer“ und deshalb angenehmer als die „kalten“ Digitaltöne der CD. Das ist zwar technischer Blödsinn, hält sich aber bis heute hartnäckig in gewissen Kreisen, denen alles Digitale ohnehin eher Teufelszeug ist.

In den vergangenen 30 Jahren hat die Digitalisierung einen beispielslosen Siegeszug gehalten, vor allem in der Informationstechnik. Und die Wahrheit ist: Wir haben schon so gut wie alles digitalisiert, was sich digitalisieren lässt! Es gibt in unseren Unternehmen (fast) keine Informationen mehr, die nicht in irgendeinem Digitalformat abgespeichert sind. Das Problem ist nur: Nicht alles, was digital ist, lässt sich in einer Datenbank aufbewahren, wo wir sie durch die einfache Eingabe eines Suchbegriffs sofort wiederfinden können. Die breite Masse der digitalen Informationen sind sogenannte „nichtkodierte“ Daten: Word- oder Excel-Dateien, Bilder, Tonaufnahmen und sogar Faxnachrichten (Faxgeräte arbeiten heute fast alle digital). Auf diese Daten können wir nur zurückgreifen, wenn sie zuvor 18aufwändig verschlagwortet worden sind, was in der Regel manuell und nur selten ganz oder halbautomatisch geschieht. Das Ergebnis ist das, was Feri Clayton von IBM einmal als „digitale Müllhalden“ bezeichnet hat: digitale Informationen, die wir nicht oder nur mühselig wiederfinden können und die folglich niemandem wirklich etwas nutzen.

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Brücken zwischen digitalen Inseln bauen

Erst wenn zur Digitalisierung das Prinzip der Vernetzung hinzutritt, beginnt die Musik im Unternehmen wirklich zu spielen: Erst wenn sich Systeme miteinander unterhalten, Informationen austauschen und weiterleiten können, entsteht daraus im Unternehmen tatsächlicher Nutzwert. „Die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, so lautete bis vor wenigen Jahren der Slogan von IBM – ein großes Versprechen.

Leider bleibt es bis heute in den meisten Unternehmen weitgehend unerfüllt. Statt durchgängige Systeme haben wir im Laufe der Zeit ein ganzes Archipel von digitalen Inseln in unseren 19Betrieben geschaffen: Systeme, die jedes für sich gut funktionieren, die aber nicht miteinander verbunden sind.

Nehmen wir zum Beispiel CRM: „Customer Relationship Management“. Auch hier reichen die Wurzeln bis in die 1980er-Jahre zurück. „Act!“ war eine Art digitaler Rolodex: Es konnte Kundenadressen speichern und auf Tastendruck sichtbar machen. Die Adressen konnten in Serienbriefe oder Werbeaussendungen übernommen werden, was die Arbeit des Marketing erheblich erleichterte. Moderne CRM-Systeme sind in der Lage, riesige Mengen von Kundeninformationen zu speichern und zu verarbeiten. Kein größeres und kaum ein kleines Unternehmen kommt heute aus ohne CRM-Software von Herstellern wie Oracle oder Sage, Microsoft Dynamics oder SAP. Es gibt Dutzende von CRM-Lösungen, die als sogenannte „Software as a Service“ (SaaS) feilgeboten werden, beispielsweise von Salesforce.com oder Hubspot.

Das Problem ist: Niemand hat damals zur IT gesagt: „Sorge bitte dafür, dass die Informationen in diesem System überall im Unternehmen verfügbar sind. Das Ergebnis sind meisten riesige Datengräber: Silos, in denen mühsam gesammeltes Kundenwissen vor sich hin verstaubt, weil niemand außer den Kollegen in der Marketingabteilung darauf zurückgreifen kann. Aber was ist mit dem Vertrieb, der Produktentwicklung, dem Beschwerdemanagement? Überall im Unternehmen sitzen Mitarbeiter, die eigentlich dringend auf solche Informationen warten – leider meistens vergeblich.

Solche digitalen Inseln gibt es heute zahllos in jedem Unternehmen: eProcurement-Systeme, die von der Beschaffungsabteilung in Auftrag gegeben wurden und die nur vom Einkauf genutzt werden können, obwohl darin wichtige Informationen schlummern, die für die strategische Unternehmensplanung von großer Bedeutung wären, wenn man sie dort nur hätte! In jedem besseren Call Center werden die Anrufe von Kunden aufgezeichnet und digital gespeichert – nur wer hat Zugriff darauf? Im Webshop fallen täglich Unmengen von Transaktionsdaten 20an, aber wenn die Warenwirtschaft nichts davon erfährt, bleiben sie weitgehend ungenutzt.

Viel zu oft geschieht es heute, dass Informationen, die bereits digital gespeichert worden sind, erst ausgedruckt und in einem anderen System mühselig wieder eingetippt werden müssen, wobei natürlich Fehler gemacht werden, denn es sind schließlich Menschen am Werk. Außerdem kostet das einen Haufen Geld, der woanders sicher sinnvoller investiert werden könnte.

Die große Herausforderung an Management und Mitarbeiter jedes modernen Unternehmens in den nächsten 10 bis 20 Jahren wird darin bestehen, diese digitalen Inseln miteinander zu verbinden. Das ist einfacher, als man denkt. Nur müssen zuerst die Stellen identifiziert werden, wo bereits vorhandene digitale Systeme an ihre Grenzen kommen und wo es nicht mehr weitergeht. Das ist klassische Prozessoptimierung, aber leider wird sie viel zu oft vernachlässigt. Was wollt Ihr denn – es funktioniert doch! Wie lautet doch der uralte Slogan: „Never change a running system!“

„Hen die denn koi Schnur?“

Der dritte Megatrend, nämlich die Mobilität, verleiht digital vernetzten Systemen sozusagen Flügel. Jeder im Geschäftsleben hat heute ein Mobilgerät, mit dem er oder sie im Internet surfen, E-Mails ziehen oder oft sehr komplizierte und anspruchsvolle Softwaresysteme, wie SAP oder Salesforce, unterwegs nutzen können. Die „mobile Revolution“ hat längst stattgefunden: Gerade junge Menschen haben ein geradezu symbiotisches Verhältnis zu ihren Smartphones. 89 Prozent aller Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren benützen laut einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom überhaupt nur noch das Smartphone; Laptop oder gar stationäre PCs sind für sie total „out“.

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Wir sind dabei, die Schnüre abzuschneiden und in eine Welt einzutreten, in der jeder, wo er geht und steht, Zugang zu digitalen Inhalten hat. Der Begriff „Handy“ verdankt seine Entstehung, einem Insider-Witz zufolge den Schwaben: Jemand hat einem Schwaben ein solches Gerät gezeigt, der daraufhin erstaunt fragte: „Ja, hen die denn koi Schnur?“

Das hat Folgen, die weit über den Geschäftsalltag hinausreichen. Die Unabhängigkeit des Nutzers von Zeit und Raum macht ihn immer mehr zu einer Art digitalem Beduinen: Jemand, der wie ein richtiger Beduine nichts dabei haben muss, wenn er sich durch die Wüste oder durch die Großstadt bewegt, außer höchstens ab und zu eine digitalen Oase, nämlich einem Hotspot oder einer WLAN-Verbindung, wo er das bekommt, was er zum Überleben braucht – Anschluss ans Internet!

In einer solchen Welt ist es zunehmend egal, wo ich bin, wenn ich arbeiten will: daheim im „Homeoffice“, unterwegs im Starbucks, im Flughafen oder Bahnhof oder vielleicht sogar im Stadtpark. Digitale Beduinen können sich Zeitpunkt und Ort aussuchen, um produktiv zu sein. Das heißt: Sie könnten es, wenn ihr Arbeitgeber sie nur ließe. Leider verlangen, wie der Bitkom festgestellt hat, immer noch 75 Prozent aller Chefs von ihren (Büro-)Mitarbeitern physikalische Präsenz. Die neue Freiheit, seine Arbeitsumgebung autonom gestalten zu können, scheitert also am Misstrauen der überwiegenden Mehrheit der 22Vorgesetzten in Deutschland, die einfach nicht glauben können, dass der Kerl etwas arbeitet, wenn ich ihn nicht ständig im Auge behalten kann.

Wir lernen: Es braucht noch Zeit, bis der notwendige Kulturwandel an der Unternehmensspitze stattgefunden hat. Das ist kein technisches Problem, es ist ein Führungsproblem!

Vernetzung als Unternehmensprinzip

Die Digitale Transformation erfasst alle Unternehmensbereiche und stellt dort oft die Dinge völlig auf den Kopf. Ein aufmerksamer Chef wird sich beim Rundgang durch die unterschiedlichen Bereiche seines Unternehmens heute schon klar darüber sein, dass vieles nicht mehr so funktioniert wie früher. Dabei steht die Digitale Transformation noch ganz am Anfang eines langen Weges. Die zunehmende Vernetzung endet ja bekanntlich nicht an der Pförtnerloge, sondern erstreckt sich hinaus und erfasst Partner, Zulieferer, Berater und vor allem die eigenen Kunden, die allesamt als Teil des eigenen Unternehmens funktionieren. In diesem Buch werden wir Schritt für Schritt und Bereich für Bereich die Auswirkungen der Digitalen Transformation in den wichtigsten Abteilungen eines typischen Unternehmens erkunden und Lösungsansätze diskutieren. Aber es lohnt sich an dieser Stelle, schon einmal die Helikopterperspektive einzunehmen und einige der wirkungsvollsten Trends in den wichtigsten Kernabteilungen anzuschauen.

Vertrieb: Verkaufen war früher eine Kunst; heute ist es eine Wissenschaft. Kaufentscheidungen fallen immer häufiger schon lange, bevor ein Kunde in den Laden kommt oder auf der Website eines Unternehmens landet. Im „Vertrieb 2.0“ spricht man von der „Customer Journey“, der Reise des Kunden zum Produkt, die in aller Regel ohne Einfluss des Anbieters beispielsweise im Social Web beginnt, wo Kunden sich mit 23anderen Kunden über ihre Erfahrungen und Vorlieben austauschen und sich so einer Kaufentscheidung langsam nähern.

Wie ein immer enger werdender Trichter führt die Reise oft über mehrere Plattformen, wie Facebook, Twitter oder YouTube, zunächst auf die Seiten einflussreicher Blogger, die es geschafft haben, sich einen Ruf als ebenso sachkundige wie neutrale Berater aufzubauen. Erst dann führt der Weg des Kunden zu einem Webshop oder der Homepage der Firma. Und da ist die Entscheidung in aller Regel schon längst gefallen.

Die Funktion der Website ändert sich also: Sie ist nicht mehr das Schaufenster der Firma im Cyberspace, vor dem Kunden auf und ab flanieren und sich interessiert die Auslagen anschauen. Sie wird zunehmend zum Abwicklungs- bzw. Transaktionsportal, wo der Kunde mit möglichst wenigen Mausklicks seine Bestellung aufgeben möchte. Generationen von Web-Designern haben ihr Kreativpotenzial ausgelebt (und gut dafür kassiert), um möglichst attraktive, werbewirksame Online-Auftritte für Firmen zu schaffen. Heute hat der Kunde keine Zeit mehr für blinkende Banner oder aufwändige Bilder und Grafiken, die auch im Zeitalter von Highspeed-Internetanschlüsse immer noch Ladezeit absorbieren: Der Kunde will es aber JETZT! Firmen müssen also umdenken: Geschwindigkeit und Bedienkomfort sind heute wichtiger als bunte Bildchen.

Marketing: Früher war es die Aufgabe der Unternehmenskommunikation, möglichst werbestarke Botschaften zu formulieren und diese breit gestreut nach außen zu tragen. Aber Märkte sind heute Unterhaltungen, und Marketingabteilungen müssen lernen zuzuhören. Das fällt ihnen oft schwer und vor allem rührt es an ihrem Selbstverständnis.

„Inbound Marketing“ moderner Prägung hat die Aufgabe, die Kunden im Internet aufzuspüren und sie dort ins Gespräch zu verwickeln. Das ist gar nicht so einfach, denn der Kunde hat die unangenehme Art, sich seine Gesprächspartner selbst aussuchen zu wollen. Wer plump hereinplatzt, hat meistens schon verloren. Stattdessen muss das Marketing Geduld aufbringen 24und vor allem lernen, dem Kunden zuzuhören. Es muss dann das Gehörte ins Unternehmen zurücktragen und an die zuständige Stelle weiterleiten. Das kann beispielsweise die Produktentwicklung sein, die wissen muss, was sich die Kunden wirklich wünschen. Es kann der Kundendienst sein, der auf diese Weise erfährt, dass Kunden aus einem bestimmten Grund mit dem Unternehmen unzufrieden sind, um dann Kontakt mit ihnen aufzunehmen und zu versuchen, verstimmte Kunden in zufriedene umzuwandeln – denn die sind, wie die jahrzehntelange Erfahrung im Beschwerdemanagement zeigt, später oft die treuesten.

Logistik: Auch im Zeitalter stetig wachsenden Online-Handels müssen die meisten (physikalischen) Güter auf den Weg zum Kunden gebracht werden – und häufig auch wieder zurück. In manchen Produktbereichen des Online-Handels, wie Damenmode oder Sportbekleidung, beträgt die Retourenquote häufig 40 Prozent und mehr. Dabei werden die Kunden immer anspruchsvoller. Ihnen genügt es nicht mehr, per Mail mitgeteilt zu bekommen, an welchem Tag die Ware angeliefert wird. Sie sollen vielmehr wissen, um welche Uhrzeit mit der Lieferung zu rechnen ist – und wehe, der Paketmann ist nicht zur vereinbarten Stunde da!

Gewiefte Anbieter gehen dazu über, ihren Kunden die Möglichkeit anzubieten, online Bestelltes selbst abzuholen, etwa im Supermarkt oder in einer Filiale des Unternehmens. Der nächste Schritt wird sein, ihm auch die Wahl zu lassen, wo er gegebenenfalls die Ware zurückbringen kann – ein logistischer Albtraum, der nur durch den Aufbau leistungsstarker vernetzter Warenströme zu bewältigen sein wird. Andere Unternehmen entdecken inzwischen das neue Geschäftsmodell des „Crowd Shipping“: Kunden, die gerade von A nach B reisen, nehmen Pakete für andere Kunden mit und liefern sie direkt aus. Uber, das Unternehmen, das dabei ist, den Taxifahrern dieser Erde das Leben schwer zu machen, experimentiert bereits in amerikanischen Großstädten mit solchen privaten Lieferdiensten – und macht sich damit nun auch Fahrradkuriere und Paketdienste zum Feind.

25Fertigung: Die Digitale Transformation wird die Welt der produzierenden Wirtschaft ebenso nachhaltig revolutionieren, wie sie es in den vergangenen 20 Jahren in der Wissensarbeit getan hat. Mit dem Aufbau von „smarten“ Fabriken hofft die Industrie, Kosten zu senken und Reibungsverluste zu eliminieren. 3D-Drucker werden heute schon dazu verwendet, komplizierte Bauteile „aus einem Guss“ herzustellen, die früher oft mühsam aus unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt werden mussten. Vernetzte Werkbänke können durch Einspielen einer neuen Software sekundenschnell umgerüstet werden. Bei der Bosch-Rexrodt AG in Lohr am Main werden viele verschiedene Hydraulikventile für Landmaschinen nebeneinander hergestellt, und es ist auch jederzeit möglich, neue Varianten sofort „einzuspielen“.

In der intelligenten Fabrik, Stichwort „Industrie 4.0“, verändert sich auch die Rolle des Fabrikarbeiters: Statt selbst Hand anzulegen, hat er oft nur noch eine Aufsichtsfunktion. Kollege Roboter verrichtet die schwere und unbequeme Arbeit besser und kostengünstiger. Dadurch wird aber auch die Konkurrenz von Mensch und Maschine angeheizt: Viele Jobs, die heute das Fingerspitzengefühl eines Fachmanns erfordern, werden künftig von Robotern und Fertigungsmaschinen erledigt. Ganze Berufszweige sind bedroht. Doch andererseits bietet die zunehmende Automatisierung möglicherweise einen Ausweg aus dem Engpass, der in den nächsten Jahren gerade in Deutschland aufgrund des demographischen Wandels entstehen wird. VW klagt heute schon darüber, nicht mehr ausreichenden Ersatz für ausscheidende Facharbeiter der „Babyboomer-Generation“ finden zu können. Freilaufende „Robbies“ sollen dem Fachkräftemangel abhelfen. Doch dazu müssen die Roboter erst einmal aus ihren Käfigen entlassen werden. Die nächsten Innovationsschritte in der Fertigungstechnik zeichnen sich damit schon klar ab.

26Digitale Transformation ist Chefsache

Alle diese Entwicklungen erfordern ein Höchstmaß an Digitalisierung und Vernetzung. Darauf müssen sich Unternehmen heute konzentrieren, wenn sie die Digitale Transformation erfolgreich bewältigen wollen. Dass sich daraus neue Probleme, etwa im Bereich des Datenschutzes ergeben, ist klar: Wem gehören beispielsweise die Baupläne eines Ersatzteils, die ein Lieferant zum Kunden schickt, um sie auf seinem eigenen 3D-Drucker auszudrucken? Wie verhält es sich mit den Daten der Mitarbeiter, die als Berechtigungsnachweis beim Betrieb einer smarten Fabrik eingegeben werden müssen? Wer ist schuld, wenn ein sich selbst steuernder Roboter einen Mitarbeiter verletzt oder ein selbstfahrender Gabelstapler einen Unfall verursacht?

Die Fragen, die sich aus der Digitalen Transformation ergeben, tangieren also alle Bereiche eines Unternehmens, aber sie reichen auch weit darüber hinaus. Es sind gesellschaftliche Probleme zu lösen. Ängste, die bei Mitarbeitern und Kunden entstehen, müssen angesprochen werden, aber auch die Ängste der Manager und Unternehmer, die fürchten, eine falsche Entscheidung könnte die Existenz der Firma gefährden. Deutschland braucht vor allem eines: mehr Mut! Digitale Transformation ist ein ganzheitlicher Veränderungsprozess, und er erfordert ganzheitliches Denken und beherztes Handeln. Damit ist Digitale Transformation eindeutig in der Chefetage angesiedelt, denn niemand sonst verkörpert das ganze Unternehmen so sehr wie derjenige, der dafür die Verantwortung trägt.

Thomas Edison, der große Erfinder, hat einmal gesagt: „Genialität besteht zu zwei Prozent aus Inspiration und zu 98 Prozent aus harter Arbeit.“ Hinter der Digitalen Transformation stecken unzählige geniale Ideen. Sie umzusetzen wird die echte Kärrnerarbeit sein.

1 Best Global Universities 2017, US News & World Report (www.usnews.com/education).

27Kapitel 1: Neue Chefs braucht das Land!

28Die Digitale Transformation verlangt von Unternehmen und Managern, sich neu zu erfinden, liebgewordene Gewohnheiten und Denkweisen aufzugeben und sich dem Druck des Neuen anzupassen. Großkonzerne wie Mittelständler müssen sich öffnen, ihre Geschäftsprozesse und selbst ihr komplettes Geschäftsmodell unter die Lupe nehmen und herausfinden, wo durch die Digitale Transformation Veränderungsbedarf entsteht. Und sie müssen bereit sein, sich notfalls von Liebgewordenem zu trennen, und den Mut zu haben, auch mal ganz neue Wege zu gehen.

Eine der wichtigsten Aufgaben, die auf deutsche Manager wartet, ist die angefangene Vernetzung zu Ende zu führen. Viele Unternehmen haben in der Vergangenheit viel Geld in „Insellösungen“ gesteckt – Systeme, die zwar in sich funktionieren, die aber keinen Anschluss an den Rest des Unternehmens haben. So kommt es immer wieder zu Medienbrüchen, die Zeit, Geld und Ärger kosten. Es gilt, in den kommenden Jahren Brücken zwischen diesen digitalen Inseln zu bauen und so das alte Versprechen der Unternehmens-IT einzulösen: die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Mit der Digitalen Transformation einher geht ein massiver Umbruch in der Arbeitsorganisation, auf die deutsche Unternehmer denkbar schlecht vorbereitet sind. Homeoffice oder flexible Arbeitszeitmodelle sind nicht vorgesehen. Hier bahnt sich aber ein potenzieller Konflikt an mit den Mitgliedern der nachrückenden „Generation Y“, die gewohnt ist, ganz anders, nämlich autonom und selbstbestimmt zu arbeiten und zu kommunizieren. Unternehmen müssen sich für diese jungen Talente schmücken, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen, als künftige Arbeitgeber infrage zu kommen. Der demografische Wandel droht, in Deutschland eine Arbeitsmarktkatastrophe ungekannten Ausmaßes auszulösen, auf die Unternehmen mit Flexibilität und neuen, netzwerkartigen Strukturen reagieren müssen.

Digitale Transformation ist also ein ganzheitlicher Veränderungsprozess, und er erfordert ganzheitliches Denken. Damit ist sie eindeutig in der Chefetage einer Organisation angesiedelt.

29Warum tun sich manche Unternehmen so schwer, mit den Veränderungen des Digitalzeitalters zurechtzukommen, und warum sind andere erfolgreich? Warum ist Apple heute mehr wert als GE, Wal-Mart, GM und McDonald’s zusammen? Warum gibt es kein einziges deutsches Unternehmen, dass es mit den „Big 4“ – Apple, Google, Facebook und Amazon – aufnehmen kann? Schlafen sie in den deutschen Vorstandsetagen? Ist der deutsche Unternehmer besonders zukunftsresistent? Sind die Deutschen ein Volk von Technik-Muffeln, und was bedeutet das für die Zukunft des Standorts Deutschland und den Wohlstand in diesem Land?

Diese und andere Fragen müssen heute am Anfang eines Diskurses um die sogenannte „Digitale Transformation“ stehen. Sie verlangt von Unternehmen und Managern, sich neu zu erfinden und sich dem Druck des Neuen anzupassen. „Disruptive“ Mitbewerber drängen in den Markt und verdrängen etablierte Marktführer in atemberaubendem Tempo. Welcher Hahn kräht heute noch nach Nokia, dem einstigen Giganten des Mobiltelefons; vier Jahre brauchte Apple nach Einführung des iPhone im Jahr 2007, um Nokia als Spitzenreiter abzulösen. 2014 wurde die Handysparte von Nokia an Microsoft verscherbelt, die zwei Jahre später endgültig den Stecker zogen und den unrentablen Geschäftsbereich einstellten.

Geschäftsmodelle gehören auf den Prüfstand!

Langsam wird klar: Jedes Unternehmen muss sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen, seine Art, mit Kunden zu kommunizieren, sein Marktverständnis und seine Arbeitsabläufe. Das betrifft alle Bereiche des Unternehmens, vom Vertrieb bis zum Einkauf, vom Marketing bis zur Logistik, von der Fertigung bis zum Personalwesen. Aber sind deutsche 30Führungskräfte bereit dazu, sich und ihr Unternehmen notfalls neu zu erfinden?

Zweifel sind angebracht.

„Manche Hunde glauben, der Knochen komme zum Hund, und man muss sie zum Jagen tragen“, beschrieb der frühere Chief Technology Officer von IBM und heutige Erfolgsautor Gunther Dueck („Das Neue und seine Feinde“) die Situation in den deutschen Chefetagen in einem Kommentar zur ersten Auflage dieses Buchs. Nicht, dass sich große wie kleine Unternehmen in Deutschland nicht mit den Fragen der digitalen Zukunft beschäftigen würden. Nur: Es bleibt allzu oft beim Nachdenken und beim Diskutieren. 58 Prozent der Unternehmen in Deutschland hatten sich einer Studie der Crisp Research AG zufolge 2015 höchstens theoretisch mit der Digitalisierung ihres Geschäfts auseinandergesetzt.

Aber auch auf die Mitarbeiter kommen Herausforderungen zu, für die die meisten nur schlecht oder überhaupt nicht gerüstet sind. Der autonome Mitarbeiter von morgen wird ein qualifizierter Mitarbeiter sein müssen. Für Mittelmaß ist in der digitalen Wirtschaft kein Platz. Doch statt den Weg in die digitale Zukunft beherzt mitzugehen, bunkern sich Arbeitnehmervertreter ein. Gewerkschaften klammern sich an den Acht-Stunden-Tag und bekämpfen jeden Versuch, beispielsweise Wochenarbeitskonten einzuführen, wie es die fortschreitende Digitalisierung sowie neue Arbeitsmodelle zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eigentlich längst möglich und wünschenswert machen würden.

Das Ganze hat einen Grund: Was die Menschen im Zeitalter der Digitalen Transformation unmittelbar erleben und am eigenen Leib empfinden, ist die Beschleunigung und damit verbunden die Angst, nicht mehr mithalten zu können, vollkommen erschöpft und überfordert zu sein. Jeder Manager fühlt sich heutzutage überfordert. Strenggenommen haben sich Manager schon immer überfordert gefühlt, weil sie immer am Limit gearbeitet haben, jedenfalls wenn sie gut waren. Spitzenmanager, 31wie Steve Jobs oder Larry Ellison, dagegen fühlten sich vermutlich niemals überfordert, weil sie auf ihrem beruflichen Surfbrett stabil stehen und wissen, wie man auf der Welle reitet. Überfordert fühlt sich der ganze Rest, also in diesem Zusammenhang vor allem Angehörige des mittleren Managements, weil sie das umsetzen müssen, was als Ergebnis der digitalen Beschleunigung und Veränderung auf sie einprasselt.

Und die Zeit drängt: „Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hängt entscheidend davon ab, wie zügig und gut es gelingt, die klassische Produktion zu digitalisieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, sagte Bitkom-Vorstand Deutschlandchef des IT-Dienstleisters Atos Winfried Holz auf der Cebit 2015. Wer sich jetzt nicht mit dem Thema auseinandersetze, könne den Anschluss verpassen, warnte er.

Deutsche Manager reden zwar viel über Digitalisierung und Vernetzung, tun aber zu wenig. Das ist teils der typischen „deutschen Angst“ geschuldet: Angst vor dem Versagen, Angst vorm Scheitern. „Bevor ich etwas falsch mache, mache ich lieber gar nichts“, so das unausgesprochene Credo vieler Führungskräfte hierzulande. Doch leider bremst diese Haltung beim Übergang von einer analogen zu einer digitalen Welt, weil sie verhindert, dass die notwendigen Weichen gestellt werden. Andere Länder sind da mutiger – nicht nur die Amerikaner, sondern vor allem auch die Asiaten.

Es liegt aber auch daran, dass deutsche Unternehmer und Manager an ihren eingeführten und bewährten Prozessen hängen, was in gewissem Maße verständlich ist. Immerhin hat Deutschland in der Vergangenheit ja auch vieles richtig gemacht, sonst stünde die deutsche Wirtschaft nicht dort, wo sie heute ist. Aber das Ausruhen auf verwelkte Lorbeeren wird in Zukunft nicht mehr genügen, wenn wir vorne mitmischen wollen.

32Warten auf den Mittelstand

Der Mittelstand ist bekanntlich das pochende Herz der deutschen Wirtschaft. Aber wie sieht es dort in punkto Digitalisierung aus? Das kommt natürlich ganz darauf an, wie man „Mittelstand“ definiert. Die Robert Bosch GmbH mit ihren fast 300.000 Beschäftigten bezeichnet sich selbst als das „größte Mittelstandsunternehmen der Welt“, und sie gehören tatsächlich zu den Vorreitern der Digitalen Transformation in diesem Land. Aber je kleiner der Betrieb, desto schwieriger wird es mit der Einführung digitaler Systeme und Prozesse.

Ja, es gibt kleine Handwerker, die die Zeichen der Zeit verstanden haben. Laut Hagebau-Report sind die sogenannten „mobilen Generalisten“ in den vergangenen zehn Jahren so stark gewachsen wie sonst keine andere Sparte. Es handelt sich dabei meistens um ausgebildete Handwerksmeister, die keine feste Werkstatt mehr haben, aber ein breites Spektrum an Dienstleistungen anbieten. Ihre Kunden suchen sie meist per Facebook. Es gibt angeblich schon mehr als 120.000 von ihnen. Viele bilden sogar aus.

Auch klein- und mittelständische Unternehmen müssen kurzbis mittelfristig mit massiver Veränderung rechnen. Vor allem wird sich das Verhältnis zwischen Kunde und Anbieter auf den Kopf stellen. Waren Unternehmen bisher gewohnt, die Botschaften zu formulieren, die nach draußen gingen, gibt heute der Kunde die Themen vor. Er diskutiert mit seinen Freunden auf Facebook oder per Twitter über das Unternehmen und seine Produkte. Er informiert sich bei Bloggern oder auf Empfehlungsportalen über die verschiedenen Angebote. Und bis er in dem Webshop oder in das stationäre Ladengeschäft des Anbieters kommt, hat er seine Kaufentscheidung längst getroffen.

Darauf müssen sich Anbieter, ob große oder kleine, erst einstellen. Der Kunde ist heute wirklich König, und zwar ein mächtiger Despot. Nur wer es schafft, sich zu seinem Hoflieferanten zu machen, wird künftig zum Zug kommen. Das setzt tiefes Wissen um jeden einzelnen Kunden voraus und die Fähigkeit, 33dieses Wissen schnell in maßgeschneiderte Produktangebote umzusetzen. Der beste Weg dazu ist es, den Kunden dort abzuholen, wo er sich ohnehin ständig aufhält und wo auch über Anbieter und Produkte geredet wird, nämlich im Social Web. Aber viel zu viele deutsche Mittelständler halten zum Beispiel Facebook immer noch für Zeitverschwendung. Sie verpassen damit eine Riesenchance, sozusagen Marktforschung zum Nulltarif zu bekommen.

Schöpferische Zerstörung und disruptiver Wandel

Niemand wird verschont bleiben. Jede Branche muss damit rechnen, Opfer sogenannter disruptiver Innovation zu werden. Das ist nicht wirklich neu. Anfang des letzten Jahrhunderts beschrieb der österreichische Ökonom Joseph A. Schumpeter die „schöpferische Zerstörung“, die im Kapitalismus inhärent sei: Kapitalistische Unternehmen zielten stets auf gegenseitige Zerstörung, die jedoch zu kreativer Erneuerung und deshalb langfristig zu Wachstum und Wohlstand führten.

Für die Betroffenen ist die Sache jedoch schmerzlich. Der Taxifahrer wird von Uber unter Druck gesetzt. Die Hoteliers müssen irgendwie mit Airbnb klarkommen. Unternehmer wären gut beraten, ständig in den Rückspiegel zu schauen, um zu erkennen, wer gerade rechts zum Überholen ansetzt. Amazon hat in den USA mit der Vermittlung von Handwerkern begonnen. Die Gefahr für das eigene Unternehmen lauert überall, und nur wer sie rechtzeitig erkennt und rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreift, hat eine Überlebenschance.

Der stationäre Handel ist dafür ein Paradebeispiel. Das Umsatzwachstum findet heute vor allem online statt. eCommerce wächst seit mehr als einem Jahrzehnt Jahr um Jahr, in der Regel sogar zweistellig. Der stationäre Handel dagegen wird immer 34wieder von Krisen gebeutelt, zuletzt 2008/2009, wo der Umsatz fast überall eingebrochen ist. Davon hat sich der Handel bis heute nicht wirklich erholt, und in den letzten Jahren zeigt die Umsatzkurve des stationären Handels in Deutschland sogar leicht nach unten. Die Botschaft ist klar: Wer wachsen will, muss sich auch dem Online-Handel gegenüber öffnen. Wer das verabsäumt, wie die alteingesessene fränkische Modekette Wöhrl, die jahrelang den Onlinehandel ignorierte und deshalb im September 2016 gegen die Pleite ankämpfen musste, kommt immer mehr unter Druck. Immer mehr kleinere Händler sind gezwungen, einen Zweitniederlassung im Internet zu eröffnen.