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Rudolf Welter

LITERARISCHE KOPFGEBURTEN

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Inhalt

Tiere sind auch nur Menschen

Geschichten aus der Ferne

Geschichten wider die Natur

Freud, Leid und Lust im Alltag

Wörter beim Wort nehmen

Erzähl doch keine Märchen!

Nachwort

Quellen

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Tiere sind auch nur Menschen

Tiere eifern uns Menschen nach, gehen große Risiken ein, um etwas zu gewinnen, um besser oder schneller zu sein als andere, lassen sich auch leichtfertig täuschen von Blendwerk oder Erscheinungen, beginnen große Karrieren und reüssieren oder scheitern, treten miteinander in Konkurrenz.

Tiere erleben auch Überraschendes, Befremdendes oder Verblüffendes, und sie erleben auch Trauriges, Erschreckendes, Tragisches und Beängstigendes.

Tiere hassen Käfighaltungen, sie lieben Hexen, die Käfige entzaubern und ihnen damit helfen, auszubrechen.

Einer Spinne der Gattung Tegenaria domestica (Hauswinkelspinne) waren ihre Beinchen nicht lang genug. Sie wollte sich höher über der Erde und schneller vorwärtsbewegen können. Statt sich Sieben-Meilen-Stiefel überzustülpen, besorgte sie sich Stelzen und befestigte diese an ihren acht Beinchen. Sie kam nun zwar schneller voran, etwa sieben Meilen die Stunde, mit der Zeit ermüdete sie aber wegen des größeren Gewichtes der Beine. Zudem verhakten sich diese immer wieder und der Aufschlag der acht hölzernen Stelzenfüße machte zu viel Lärm für die lärmempfindliche Spinne, der deswegen auch das Anpirschen an mögliche Beute erschwert wurde. Mit diesen Nachteilen hatte sie nicht gerechnet, wurde die Stelzen los und bewegte sich wieder flach über dem Boden auf ihren samtweichen Pfötchen.

Ein Kater Namens Blacky wohnte in einem alten Bauernhaus. Vor den Fenstern dieses Hauses waren noch hölzerne Läden mit verstellbaren Lamellen angebracht. Wenn die Läden geschlossen waren, konnte man die Lamellen mehr oder weniger weit öffnen oder schließen. Eines Morgens lief Blacky durch eines der Zimmer des Hauses. Die Sonne schien flach durch die halb geöffneten Lamellen und warf eine Schattenleiter auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand. Unverzüglich begann Blacky, die Schattenleiter hochzusteigen. Als er aber auf halber Höhe war, schob sich eine Wolke vor die Sonne, die Leiter war weg, und Blacky fiel etwas erschrocken zu Boden. Weil Katzen aber immer, auch aus großen Höhen, auf alle vier Pfoten fallen, ist ihm beim Sturz von der Leiter nichts passiert. Nur, er ärgerte sich, dass er auf diese optische Täuschung hereingefallen war.

Ein kecker Junglaubfrosch setzte sich in den Kopf, Wetterfrosch zu werden. Andere Laubfrösche konnten dieses Ansinnen nicht verstehen, da doch ein Wetterfrosch auf den Schutz des Laubes verzichten, den Ansprüchen eines Klimaverständigen genügen müsste und Risiken ausgesetzt sein würde, falsche Wetterprognosen in die Welt zu setzen, mit all den damit verbundenen bösen Reaktionen von Wetterabhängigen, die auf eine richtige Prognose angewiesen wären.

Trotz solcher Einwände ging er in die Lehre zu einem Profiwetterfrosch. Als erstes musste das Auf- und Absteigen einer Leiter im engen Glas geübt werden, eine völlig neue Erfahrung für den Laubfrosch. Und das Sich-ruhig-Verhalten auf dem Glasboden bei einer stabilen Wetterlage musste der noch junge, aufgeweckte Frosch geduldig ertragen können.

Dann galt es, sich mit den vielfältigen Wetterbedingungen vertraut zu machen, deren Wissen Grundlage für das Stellen von Prognosen ist: vom Sonnenschein mit heißer Luft, zu Gewittern mit Blitz und Donner, von Regen- und Schneefällen bis zu Stürmen und Nebelbänken.

Am schwierigsten bei der Ausübung des Berufes eines Wetterfrosches ist es, zu spüren, wann Änderungen in Wetterlagen in der Luft liegen, um damit Prognosen zu stellen und diese Menschen mittels des Auf- oder Absteigens auf der Leiter mitzuteilen.

Nach Abschluss der Ausbildung erlebte der Frosch schwierige Situationen, zum Beispiel dann, wenn sich das Wetter so schnell änderte, dass der Frosch das Auf- und Absteigen auf der Leiter nicht schnell genug schaffte. Es kam auch vor, dass er während lang andauernder stabiler Wetterlagen einnickte und später eintretende Veränderungen verpasste. Und die gegenwärtig zu beobachtende Klimaerwärmung setzte dem Frosch gesundheitlich recht zu, er war vermehrt auf ein größeres Quantum Wasser angewiesen, das ihm ins Glas gestellt wurde.

Ein Dinosaurier der Gattung Edmontosaurus war im Begriff schlafzuwandeln. Er bewegte sich geradezu auf ein Meer zu. Als Nichtschwimmer wäre er bestimmt ertrunken, hätte ihn nicht ein Schutzengel im letzten Moment gerettet, indem er ihn sachte aufweckte und auf die Gefahr aufmerksam machte. So machte er sich auf den Weg zurück zu seiner Familie, wo er nur mit den Worten empfangen wurde: »Du schon wieder.«

Eine Weinbergschnecke schlich auf ihrem selbst gemachten Schleimteppich durch einen Weinberg, eine feine Spur hinterlassend. Mit ihrer Raspelzunge, auf der sich rund 40.000 Zähnchen befinden, fraß sie welke Pflanzenteile und Algenbewüchse. Gelegentlich wurde die zarte Kalkschale ihres mobilen Hauses von unvorsichtigen Winzern leicht ramponiert. Sie reparierte dann die verletzten Stellen von innen heraus mit Kalk, den Drüsenzellen abscheiden. Nachdem der Herbst und die Weinlese vorbei waren, kam ein harter Winter über das Land. Die Schnecke duckte sich unter Blätter, und dann begann für sie die Winterstarre. Vorher verschloss sie noch die Schneckenhausöffnung mit einem dicken Deckel aus Kalk, eine winzige Atemöffnung war darin noch vorhanden, damit sie nicht erstickte. Im Frühjahr war die Schnecke tot, sie erfror und trocknete aus, weil die Öffnung zum Atmen zu groß war. So wurde ihr Haus zum Sarg. Im Sommer hatten Winde die leichte Schale dann in der Gegend herumgewirbelt, bis Kinder, auf der Suche nach eben solchen Schalen, sie nach Hause nahmen.

Ein vierbeiniges Steckenpferd mit einem Engel im Sattel ritt auf einer Windhose durch eine Geisterstadt, galoppierte dann auf der Milchstraße durch eine Schallmauer, wurde von einem Hexenschuss niedergestreckt, derweil sich der Engel im Schleudersitz zurück in den Himmel katapultieren ließ.

Der Fisch spürt das Wasser nicht mehr, weil er sich dauernd darin aufhält (Chinesisches Sprichwort).

Die Taxidermistin F. braucht für das Ausstopfen von Glühwürmchen ein Stereomikroskop, vor allem, um beim Ausstopfen das Geschlecht der Glühwürmchen unterscheiden zu können. Wobei es zu bedenken gilt, dass das Vorkommen von männlichen Würmchen bei etlichen Gattungen dieser Wurmart viel geringer ist als das der weiblichen, weil diese nach dem Geschlechtsakt ihre Partner verspeisen.

Und glühen tun die Würmchen auch nicht, die Taxidermistin könnte sich ja beim Ausstopfen ihre Finger verbrennen. Nein, die Würmchen erzeugen nämlich ein so genanntes »Kaltes Licht« – entsprechend demselben Prinzip, das die Menschen erst seit fünfzehn Jahren bei den so genannten LEDs nutzen –, und das bei einer Lichtausbeute von 95 Prozent! Und es gilt: Je schöner man strahlt, desto größer ist der Erfolg beim anderen Geschlecht. Doch der schöne Schein bringt männlichen Leucht-Insekten eben nicht nur Sex, sondern oft den Tod.

Erstmal klingt der Vorschlag, geliebte Haustiere nach ihren Ableben ausstopfen zu lassen, grausam und vielleicht sogar ekelerregend. Doch viele Menschen hängen sehr an ihrem Tier. Gerade Hunde und Katzen haben oft die Stellung von echten Familienmitgliedern oder sind eine Art Kinderersatz. Da ist der Wunsch, den Liebling standesgemäß zu beerdigen, sich die Urne ins Regal zu stellen oder ihn eben durch Ausstopfen »am Leben zu erhalten«, gar nicht so verwunderlich.

Dies gilt auch für »Besitzer« von Glühwürmchen, welche in Sommernächten Gärten durch ihr – wenn auch kaltes – Licht bestrahlen. Nur, für die Taxidermistin ist es ein Ding der Unmöglichkeit, das Glühen der Würmchen beim Ausstopfen zu retten. Und den ausgestopften Körpern künstliche MikroLED-Lämpchen einzubauen wäre doch etwas übertrieben, meinte die Taxidermistin auf Anfrage.

Jedes Jahr präsentiert sie Tierpräparationen von Glühwürmchen auf der Messe »Jagd, Hund und Kleinsttiere« in Dortmund, der größten ihrer Art in Europa. Dort kann ihre perfekte Handwerkskunst bewundert werden, man kann ihr live beim Präparieren von Glühwürmchen zuschauen, übertragen auf eine Großleinwand, damit alle Zuschauer ihr kleines Arbeitsfeld sehen können.

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Geschichten aus der Ferne

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