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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich BIOLOGIE

Was ist Leben?
Bauplan und Evolution

Von Prof. Dr. Bertold Hock

Einleitung

Zu gerne würden viele von uns wissen, ob es Leben außerhalb der Erde gibt - irgendwo im Weltraum, auf einem fernen Planeten. Was die Außerirdischen betrifft, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Seltsame Kreaturen, Aliens genannt, geistern durch die Horrorfilme: weiße, grüne oder graue Männ-chen mit übergroßem Schädel, kleinem Kinn und mandelförmigen Augen; manchmal sind es auch Echsen- oder Insekten-ähnliche Gestalten. Solche Vorstellungen sollen in erster Linie gruselig wirken, tragen aber wenig zu der Frage bei, ob es Leben außerhalb der Erde gibt.

Sollten es intelligente Lebewesen sein, würden sie sich, so hofft man, durch Radiosignale, vielleicht auch durch Lasersignale zu erkennen geben. Dies wäre ein erster Schritt, außerirdisches Leben identifizieren. Die größten Radioteleskope der Welt sammeln hierzu Daten, die mithilfe von Supercomputern auf Spuren extraterrestrischer Intelligenz analysiert werden1. Bislang ist man jedoch nicht fündig geworden!

Wie schaut es jedoch aus, wenn es einfachere Lebensformen wären, die sich nicht durch intelligentes Verhalten, d.h. durch das Aussenden entschlüsselbarer Signale zu erkennen gäben? Dann müssten wir uns auf andere Weise behelfen. Wir wären auf Spuren aus dem Weltall angewiesen, z.B. auf Meteoritenmaterial oder noch besser auf Proben, die wir mithilfe von Sonden aus dem Weltall bekommen könnten.

Gehen wir einmal von dieser Möglichkeit aus. Dann wären wir in der Lage, das entsprechende Material auf Lebensspuren zu untersuchen. Aber wir müssten dennoch zuerst wissen, „Was ist Leben?“ Sonst hätten wir kein Kriterium, wonach wir überhaupt suchen müssen.

Was ist Leben?

Die Frage „Was ist Leben?“, ist eine der grundlegendsten Fragen überhaupt. Sie hat die Menschheit seit ihren Anfängen beschäftigt. Und sie zählt auch zu den schwierigsten - vor allem, wenn man an die ungeheure Vielfalt des Lebens denkt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage „Was ist Leben „ vieldeutig ist, denn sie richtet sich nicht nur an die Biologie, sondern ebenso an die Philosophie, die Theologie und die Sozialwissenschaften. Und so überrascht es nicht, dass nicht nur die herausragendsten Wissenschaftler, sondern auch die bedeutendsten Philosophen, Theologen und Schriftsteller dazu Stellung genommen haben. Thomas Mann wäre hier an erster Stelle zu nennen.

Wir wollen die Biologie, die Wissenschaft vom Leben, zu Rate ziehen. Um der Vieldeutigkeit zu entgehen, konzentrieren wir uns auf die Frage: Was sind Lebewesen? Worin unterscheidet sich die belebte von der unbelebten Materie?

Es gibt ein ebenso einfaches wie praktisches Merkmal, mit dem sich Lebewesen von allen anderen Erscheinungsformen unterscheiden lassen: es ist der zelluläre Aufbau. Alle Lebewesen sind aus Zellen aufgebaut, die Einzeller aus einer einzigen Zelle, die Vielzeller aus vielen Zellen. Erscheinungsformen, die nicht aus Zellen bestehen, sind keine Lebewesen. Dies gilt insbesondere für die Viren, die nicht zellulär, sondern viel einfacher gebaut sind, und denen wesentliche Eigenschaften der Lebewesen fehlen, z.B. ein eigenständiger Stoffwechsel und eine eigenständige Vermehrung.

So nützlich das Merkmal „zellulärer Aufbau“ auch ist, um Lebewesen zu identifizieren, so wenig erfahren wir daraus über die grundlegenden Eigenschaften lebendiger Systeme. Ohne dieses Wissen lässt sich die Frage „Wie unterscheidet sich belebte von unbelebter Materie?“ nicht befriedigend beantworten.

Wir alle sind zumindest mit einigen wesentlichen Eigenschaften aller lebendigen Systeme vertraut. Dazu zählen Wachstum, Entwicklung, Stoffwechsel, Fortpflanzung und einiges mehr. Ich möchte aus diesen Phänomenen einige besonders eindrucksvolle Beispiele herausgreifen, um daraus erste Besonderheiten der Biologie abzuleiten.

Die auffälligsten Wachstumsvorgänge finden wir im Pflanzenreich: Bambussprosse wachsen unter optimalen Bedingungen über 50 Zentimeter pro Tag. Blattscheiden der Banane bringen es sogar auf 160 Zentimeter pro Tag. Selbstverständlich gelten diese Werte nur für kurze Perioden zu Beginn des Wachstums, und sie sind auch nur möglich, weil hier alle Zellen dieser Organe bereits zu Beginn des Wachstums vorliegen und sich nur noch strecken müssen.

(Sequoia sempervirens)