Dr. Heinz Wagner
CHINA
DAS ALTE UND DAS NEUE
REICH DER MITTE
© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH
2008, München/Grünwald
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Ca. 2000 v. Chr.: | Beginn der Geschichtsschreibung in China |
Ca. 2000 – 1570 v. Chr. | Xia-Dynastie |
1570 - 1066 v. Chr.: | Shang-Dynastie |
Funde von Schriftzeichen, Münzen, Bronzeverarbeitung | |
551 – 479 v. Chr.: | Kong Qiu (Konfuzius) |
400 v. Chr.: | Erfindung der Eisengießerei |
1045 – 221 v. Chr.: | Zhou-Dynastie |
247 - 210 v. Chr.: | Kaiser Qin Shihuangdi |
221 – 207 v. Chr.: | Qin-Dynastie |
207 v. Chr.-220 n. Chr.: | Han-Dynastie |
202 v. Chr.: | Kaiser Li Bang |
200. v. Chr.: | Beginn des Baus der |
„Großen Mauer“ | |
141 - 87 v. Chr.: | Kaiser Wudi |
136 v. Chr.: | Konfuzius’ Schriften werden Teil der Beamtenausbildung |
220 - 280 n. Chr.: | Zeit der Drei Reiche |
265 -420: | Jin-Dynastie |
420 - 581: | Teilung in Südliche und |
Nördliche Dynastien | |
Völkerwanderungen | |
581 - 618: | Sui-Dynastie |
618 - 907: | Tang-Dynastie |
684 - 706: | Kaiserin Zetian |
710 - 754: | Kaiser Xuanzong |
960 - 1279: | Song-Dynastie – |
„Goldenes Zeitalter“Chinas | |
953: | Druckausgabe der Werke Konfuzius’ |
1276: | Überfall der Mongolen |
Eroberung Chinas durch Dschingis | |
Khan und Khubilai Khan | |
1279 - 1368: | Yuan-Dynastie |
1368 - 1644: | Ming-Dynastie |
1435: | Ende der Hochseeschifffahrt |
1477: | Verbot der Hochseeschifffahrt |
1644: | Eroberung Chinas durch die Mandschu |
1644 - 1911: | Qing-Dynastie |
1683: | Eroberung Taiwans |
1753: | Eroberung Tibets |
8. September 1783: | Lord Macartney besucht |
chinesischen Kaiser | |
Versuch eines Handelsabkommen scheitert | |
1796: | Landesweite Aufstände in China |
1838 - 1842: | Erster Opiumskrieg |
1842: | Vertrag von Nanjing |
1849 -1864: | Taiping-Rebellion |
1860: | Zweiter Opiumkrieg |
Vertrag von Peking | |
1884: | Verlust von Vietnam |
1985: | Verlust von Korea |
1900: | Boxeraufstand |
1905: | Gründung der „Liga der |
Verbündeten“ durch Dr. Sun Yatsen | |
1906 - 1911: | Aufstände der Liga |
1. Januar 1912: | Ausrufung der Republik China durch |
Dr. Sun Yatsen | |
1920 - 1949: | Kampf um die Macht in China: |
Guomindang gegen Kommunisten | |
12. März 1925: | Tod von Dr. Sun Yat-sen |
12. April 1927.: | Coup von Chiang Kaishek |
Kommunisten gegen in den Untergrund | |
1930: | Gründung der Roten Armee |
15 Oktober 1934: | Start des „Langen Marsches“ |
Dezember 1936: | Gründung der Einheitsfront |
gegen Japan | |
7. Juli 1937: | Angriff Japans auf China |
7. Dezember 1941: | Angriff Japans auf die USA (Pearl Harbour) |
14. August 1945: | Kapitulation Japans |
Ende des 2. Weltkriegs | |
1946 - 1949: | Bürgerkrieg in China |
1. Oktober 1949: | Mao Zedong ruft die Volksrepublik |
China aus | |
1950 - 1953: | Korea-Krieg |
1950: | Landreform in China |
1951/52: | Kampagnen gegen den Westen |
1953: | Übernahme der sowjetischen |
Planwirtschaft, Kollektivierung der Landwirtschaft | |
1956/57: | Kampagnen u.a. gegen Intellektuelle |
1957/58: | Der „Große Sprung“ |
1960: | Hungersnöte, Bruch mit der Sowjetunion |
1964: | China zündet erste Atombombe 1967: |
1967: | China zündete erste Wasserstoffbombe |
1966 - 1976: | Kulturrevolution |
1968/69: | Auflösung der Roten Garden |
1971: | Ende der Isolation |
Besuch von US-Präsident Nixon, Mitglied in der UN und im Sicherheitsrat | |
13. September 1971: | Tod von Lin Biao |
1975: | Deng Xiaoping wird Vize-Premier |
Dezember 1978: | Deng Xiaoping wird Parteivorsitzender |
Einführung von Wirtschaftsreformen | |
9. September 1979: | Tod von Mao Zedong |
1979/1984: | Öffnung nach außen, Errichtung von Sonderwirtschaftszonen |
1983: | Ende der kollektiven Landwirtschaft |
1984: | Erlaubnis zur Gründung von Privatunternehmen |
18. April 1989: | Erste Studentenproteste in Peking |
3./4. Juni 1989: | Massaker am Tiananmen |
Oktober 1992: | Gründung einer sozialistischen |
Marktwirtschaft | |
19. Februar 1997: | Tod von Deng Xiaoping |
1. Juli 1997: | Hongkong wird chinesische |
Sonderverwaltungszone | |
8. - 24. August 2008: | Olympische Sommerspiele in Peking |
Auf dem Höhepunkt der Macht
Das große Überlegenheitsgefühl
Schrift und Sprache
Das vorkaiserliche Reich
Das Kaiserreich
Die Han-Dynastie
Das Erbe des Konfuzius
Der China-Boom der Aufklärung
Yin und Yang
Die Zwischenzeit
Die Tang-Dynastie
Die Kaiserin von China
Die Song-Dynastie
Die großen Erfinder
Konfuzianismus als Bremser
Der Überfall der Mongolen
Die Ming-Dynastie
Herrscher der Meere
Die Qing-Dynastie
Chinesische Isolation
Der Niedergang des Kaiserreichs
Der erste Opiumkrieg
Imperialistische Kanonenboot-Politik
Die Entmachtung Chinas
Der Boxeraufstand
Die Republik des Dr. Sun Yat-sen
Die erste Einheitsfront
Der Lange Marsch
Einheitsfront gegen Japan
Der Bürgerkrieg
Mao Zedongs China
Die grausame Seite der Revolution
Kampagnen gegen den Westen
Die Kollektivierung der Landwirtschaft
Der „Große Sprung“
Die Rote Bibel
Die Kulturrevolution
Die Idee des Maoismus
Der neue Feind Sowjetunion
Deng übernimmt die Macht
Die Stunde der Unternehmer
Öffnung zum Ausland
Boomtown Shanghai
Die Geißel der Korruption
Breite Bürgerproteste
Das Massaker am Tiananmen
Schleichende Demokratisierung
Das China der Zukunft
Am 8. September 1793 bot sich in Jehol, der kaiserlichen Sommerresidenz in der Nähe von Peking, ein prächtiges Schauspiel. Der Sonder-Botschafter seiner Majestät des Königs Georg III. von Großbritannien, Lord George Macartney, kam mit einem Gefolge von 100 Gesandtschaftsmitgliedern und 600 großen Kisten voller Geschenke. Er sollte dem Kaiser des großen chinesischen Reiches der Mitte die Glückwünsche seines Königs zum 80. Geburtstag überbringen. Kaiser Qianlong fühlte sich geschmeichelt. In bester konfuzianischer Tradition verstand er die britische Gesandtschaft als Tributmission. Warum sonst sollten Barbaren aus dem fernen Westen an seinen Hof kommen?
Doch Macartney hatte einen ganz anderen Auftrag. Er sollte – neben den Glückwünschen – einen Handelsvertrag abschließen und die gegenseitige Errichtung von Gesandtschaften in Peking und London vereinbaren. England war zu der Zeit der weitaus wichtigste europäische Handelspartner Chinas. Es nahm ein Siebtel des Tees ab, der in China auf den Markt kam und importierte Seide, Porzellan, Lackwaren und anderes mehr. Die Chinesen zeigten umgekehrt allerdings nur wenig Interesse an dem, was England anzubieten hatte. So musste Großbritannien Jahr für Jahr ein großes Handelsdefizit mit Silber begleichen.
Die Geschenke der englischen Gesandtschaft waren auch gar nicht nach dem Geschmack der Chinesen. Es waren moderne Produkte, die die englische Kompetenz in Wissenschaft und Technologie zeigen sollten. Dazu gehörten ein Planetarium, das die Bewegungen des Sonnensystems nachbildete, ein Fernrohr, eine Luftpumpe und andere britische Manufakturprodukte. Die Chinesen wiederum schenkten Jadeskulpturen, perlenbestickte Seidenbörsen und andere Luxusgüter. Was die diplomatischenAnliegen der Briten betraf, waren die Chinesen nicht einmal dazu bereit, in Gespräche darüber einzutreten.
Am 3. Oktober wurde Macartney zu einem Treffen mit dem Chefminister gerufen. Nachdem er die üblichen drei Stunden gewartet hatte, spielte sich eine erstaunliche Zeremonie ab. In der Mitte der Halle war einArmstuhl aufgestellt. Er diente als Thron für den Brief des Kaisers. Die Chinesen vollführten den Kotau, die vorgeschriebene Niederwerfung, vor der kaiserlichen Papierrolle. Macartney und die Seinen beugten nur das Knie, was bei den Gastgebern stillschweigende Missbilligung hervorrief. Am Nachmittag wurde der Brief in einer weiteren Zeremonie übergeben.
Das Schriftstück stellte sich als kaiserliches Edikt an die britische Krone heraus, mit dem Qianlong huldvoll dem englischen König anbot, in ein Vasallenverhältnis einzutreten und somit an der chinesischen Zivilisation teilnehmen zu dürfen. „Wir, Kaiser durch die Gnade des Himmels, instruieren den König von England, unsere Anweisung zur Kenntnis zu nehmen“. Weiter hieß es, der Gesandtenaustausch sei unnötig. Kein Interesse habe man auch an der Einfuhr an britischen Waren. „Wir haben niemals technische Spielereien geschätzt und haben nicht den geringsten Bedarf an den Manufakturwaren Deines Landes. (…) Du, König, solltest einfach in Übereinstimmung mit unseren Wünschen handeln, Deine Loyalität stärken und ewigen Gehorsam schwören, um so sicher zu stellen, dass Dein Land an den Segnungen des Friedens teilhat. “
König Georg III. und selbst Macartney bekamen den Inhalt des Briefes in dieser brüsken Form nie zu Gesicht. Schon der Gesandtschaftsübersetzer, der den Brief ins Lateinische übersetzte und auch Macartney selbst, entfernten oder milderten, was den britischen Stolz verletzen konnte. Für die Briten endete die aufwändige und teure Gesandtschaft so mit einem Fehlschlag. Die Berichte, die die Reiseteilnehmer zu Hause veröffentlichten, fanden in Europa weite Verbreitung und trugen wesentlich dazu bei, dass die bis dahin vorherrschende Bewunderung für China in kopfschüttelndes Unverständnis, ja gar in Verachtung umschlug.
Zu diesem Zeitpunkt stand China in Asien auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Weiten der Mongolei, Ostturkestans und Tibets waren dem Reich als Militärprotektorate eingegliedert, und wurden von einheimischen Herrschern nur verwaltet. China war mit 12,5 Millionen Quadratkilometern größer als jedes chinesische Reich zuvor, doppelt so groß wie das Ming-Reich und weit größer als das Territorium der heutigen Volksrepublik.
2.000 Jahre lang hatten Reiterhorden aus dem Norden das riesige Agrarland bedroht. Immer wieder hatten Nomadenstämme Teile des Reichs oder sogar China komplett unterworfen. Nun war die Gefahr aus dem Norden endgültig gebannt: Das Ziel und die Bestimmung des Universal-Kaisertums, China und Innerasien zu einem Großreich zu vereinen, waren erfüllt. Von tiefer Symbolik für die jetzt gefestigte Zusammengehörigkeit Innerasiens und Chinas war, dass das neue Großreich vom Nomadenstamm der Mandschus geschaffen worden war. Dieser hatte die chinesische Kultur übernommen und stellte drei der konfuzianischen Modellkaiser.
Die Macht des neuen Großreichs strahlte auf die umliegenden asiatischen Länder aus: auf Korea, ganz Indochina, Bhutan, Nepal, Afghanistan, die zentralasiatischen Khanate Kokand und Buchara oder die Kasachen. Sie alle schickten Tributgesandtschaften nach Peking. Das Reich und seine Einflussgebiete erstreckten sich von der äußeren Mongolei im Norden bis zur malaiischen Halbinsel im Süden, von Korea im Osten bis weit nach Zentralasien im Westen. China zählte damals schon 330 Millionen Einwohner. Eine Bevölkerung, zweieinhalb Mal so zahlreich wie in allen europäischen Staaten der damaligen Zeit zusammen genommen.
Doch China damals ahnte nichts von der wissenschaftlichen Revolution, die in Europa im 17. Jahrhundert begann und auch nichts von dem heraufdämmernden industriellen Zeitalter des 18. und 19. Jahrhunderts. China war völlig mit sich selbst beschäftigt – und selbstzufrieden…
Kaiser Qianlong errang zwar die Kontrolle über die Seidenstraße. Die aber war für den Handel nunmehr kaum noch von Bedeutung. Großbritannien eroberte die Weltmeere. Offenkundig wurde die Machtverschiebung nur 57 Jahre später im ersten Waffengang zwischen dem englischen Empire und China, dem Opiumkrieg. Der Niedergang der letzten chinesischen Dynastie war unaufhaltsam. Es wurde ein Absturz, der das einst größte und fortgeschrittenste Reich der Erde innerhalb eines einzigen Jahrhunderts in ein armes Land verwandelte. Heute zählt es wieder zu den Weltmächten. Chinas langer Weg durch zweieinhalb Jahrtausende ist ein faszinierendes Kapitel der Menschheitsgeschichte.
Betrachtet man heute den geografischen Raum Chinas mit all seinen Völkerschaften, dann bilden die Han die bedeutendste Gruppe. Dabei wohnen diese chinesisch sprechenden Volksgruppen nicht nur im Staatsgebiet der Volksrepublik. Es existiert auch ein so genanntes „äußeres China“, das von chinesischen Bevölkerungsgruppen gebildet wird, die sich in den meisten südostasiatischen Ländern, etwa in Indonesien, auf den Philippinen, in Malaysia, Singapur, Thailand, Vietnam, Kambodscha, Taiwan und Laos, angesiedelt haben.
Über 1.500 Jahre vor Christus, von der Shang-Dynastie bis zum ersten Kaiser, bildete sich die chinesische Kultur im Kerngebiet des Mittel- und Unterlaufs des Gelben Flusses und weitete sich stetig aus. Die Chinesen prägte die Erfahrung, von Völkern niederer Kulturstufen umgeben zu sein. Von Nichtsesshaften, von Jägern und Sammlern in den Wäldern des Nordostens, den Steppennomaden des Nordens und Nordwestens und den Ureinwohnern des Südens. Die Erdwälle, die der erste Kaiser Qin Shihuangdi zum Bau der Großen Mauer zusammenfügen ließ, bildeten die Grenze zwischen bebautem Ackerland und den Steppen und Wüsten des Nordens. Über diese Grenze hinaus ließen sich damals Ackerbau und Zivilisation nicht ausweiten.
Diese Erfahrung vermittelte den Chinesen ein Bewusstsein der Überlegenheit über alle anderen Völker. Sie begriffen ihre Kultur als die Zivilisation schlechthin. Außerhalb ihres Reiches gab es nur den unbedeutenden Rest der Welt, dem alle anderen angehörten.
Es gibt auch keinen Landesnamen für China. Der Begriff wurde erst spät von den Europäern geprägt. Er leitet sich vom Qin-Reich des ersten Kaisers ab. Die Chinesen selbst sprechen von Zhongguo, dem „Reich der Mitte“ und nennen sich selbst, „wir Leute vom Reich der Mitte“. In dieser Vorstellung nimmt China die Mitte der Erdfläche ein, die im Osten an den Ozean stößt und an den anderen Seiten von den Gebieten der Barbaren umgeben ist. Die Zivilisation blüht in der Mitte, daher das Reich der Mitte. Ein chinesischer Name für das eigene Land lautete: „Kulturblüte der Mitte“.
Der Kaiser war nicht nur der Herrscher Chinas, sondern er herrschte über „Alles unter dem Himmel“. Seine Herrschaft war nicht als direkte politische Herrschaft gedacht, sondern als moralische Oberhoheit, als Ausstrahlung der überlegenen, chinesischen Zivilisation. Es war die Tugendkraft des Kaisers, die nach der konfuzianischen Lehre die Barbaren unwiderstehlich in die Knie zwang.
Während der Regierungszeit des großen Kaisers Wudi (141 – 87 v. Ch.) brachten Erkundungsexpeditionen in den fernen Westen die Nachricht, dass jenseits der Wüsten noch andere Hochkulturen wie Indien und das Reich der Parther existierten. Dies hätte für die Chinesen eigentlich ein Schock sein müssen, ebenso wie das Vordringen des Buddhismus als Erlösungsreligion. Doch das chinesische Überlegenheitsdenken war schon zu lange zu tief verwurzelt. Konsequenzen wurden deshalb aus diesen Erfahrungen nur von wenigen Außenseitern gezogen.
Als China dann unter den Tang-Herrschern im 7. bis 9. Jahrhundert nach Christus zur alles überragenden Zivilisation der Welt aufstieg und Korea, Vietnam und selbst Japan zu chinesischen Tochterkulturen wurden, die die chinesische Schrift und die konfuzianische, klassische Literatur übernahmen, sah sich die chinesische Herrschaftsschicht mehr als bestätigt.
Die verschiedenen Völker chinesischer Sprache und Kultur bilden dabei auch heute keineswegs ein einheitliches Ganzes. Sie unterscheiden sich durch ihre Traditionen, ihr Brauchtum, die ethnische Zusammensetzung und ihre Dialekte. Das Fehlen einer nationalen Klammer, mit deren Hilfe man in Europa so klar zwischen Franzosen, Spaniern, Italienern und Portugiesen unterscheiden kann, verschleiert in der chinesischen Welt eine Vielfalt, die sich in der Geschichte des Landes begründet. Der zentral gelenkte Schulunterricht und das landesweit einheitliche Fernsehen verwischen die sprachlichen Eigenheiten der einzelnen Regionen weiter.
Der Begriff Dialekt für diese sprachlichen Eigenheiten führt ein wenig in die Irre. Denn diese Dialekte werden in China jeweils von Millionen von Menschen gesprochen. Die nordchinesischen Dialekte bilden dabei eine ziemlich homogene Sprachfamilie, zu der mehrere Hundert Millionen Menschen gehören. Die relative Einheitlichkeit erklärt sich durch die stetige Vermischung der Völker, die sich im Lauf der Jahrhunderte in den Gebieten zwischen der Mongolei und dem Jangtse-Becken angesiedelt haben. Dagegen zeugt die sprachliche Verschiedenartigkeit der Dialekte im Süden und Südosten von der Stabilität der Bevölkerungsgruppen dieser Gebiete. Eine neuere Statistik weist eine Gesamtzahl von 528 Dialekten in China aus.
Die europäische Bezeichnung „Mandarin“ für die früheren chinesischen Staatsbeamten, eine Art politische und soziale Führungsschicht des traditionellen Chinas, steht heute nur noch für die weit verbreitete, standardisierte chinesische Verkehrssprache.
Die Einsilbigkeit der Grundwörter ist für das Chinesische charakteristisch. Es ist eine herbe und gleichzeitig sensible Sprache, deren Stärke im konkreten Ausdruck liegt. Es kommt dabei weniger auf die klare Formulierung von Gedanken an, sondern vor allem darauf, sein Begehren mitzuteilen.
Zwischen Schrift und Kultur bestehen enge Beziehungen. Ohne dieses Instrument der Aufzeichnung und Weitergabe hätten große Zivilisationen nicht entstehen können. Die chinesische Schriftart hat tief greifende Wirkungen. Sie ist das einzige Beispiel einer originellen, komplexen Schrift, die einem so bedeutenden Teil der Menschheit als Ausdrucksmittel gedient hat. Ihre Schwierigkeit brachte vor allem den höheren sozialen Klassen Vorteile, die sie perfekt beherrschten. Schrift und Bücherwissen hatten in China immer einen hohen Stellenwert. Obwohl das Erlernen des lateinischen Alphabets viel weniger Zeit beansprucht, scheint der Anteil der Gebildeten in der chinesischen Welt höher gewesen zu sein als im Westen.
Im Zentrum der chinesischen Kultur steht eindeutig die Schrift. Sie bildet das Rückgrat aller Verständigung – auch jenseits aller Dialekte. Sie lässt alle phonetische Veränderungen, die im Lauf der Zeit eingetreten sind, alle Varianten der Dialekte oder sogar den Wandel in der Struktur der Sprache selbst unberücksichtigt. Seit der Vereinheitlichung durch den Staat „Qin“, Ende des dritten Jahrhunderts vor Christus, ist die chinesische Schrift eines der wirksamsten Instrumente der politischen Einigung gewesen. Neben der sprachlichen Mannigfaltigkeit der Dialekte hat sich aus politischen und administrativen Gründen eine Schrift durchgesetzt, die der gesamten chinesischen Welt zugänglich ist.
Bis heute gibt es in China im Prinzip keine allgemein gültige Ausspracheregel. Ein und derselbe Text kann in den verschiedenen Dialekten verschieden ausgesprochen werden. Kann man sich mündlich nicht verständigen, nimmt man die Schrift zu Hilfe, die jederzeit eine Verständigung ermöglicht. Die Tatsache, dass phonetische Veränderungen in der Schrift nicht ausgedrückt werden, hat eine Kontinuität der Schrifttradition ermöglicht, wie sie in keiner anderen Kultur möglich war.