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Wir widmen dieses Buch allen, die sich für eine bessere Gestaltung der Globalisierung einsetzen.

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Bericht an die Global Marshall Plan Initiative

Franz Josef Radermacher & Bert Beyers

Welt mit Zukunft

Die ökosoziale Perspektive

Mit einem Vorwort von HRH Prinz el Hassan bin Talal, Jordanien

und einem Vorwort zur zweiten Auflage von Vizekanzler a.D. Josef Riegler, Österreich

Inhalt

Vorwort zur ersten Auflage von HRH Prinz El Hassan bin Talal

Vorwort zur überarbeiteten Auflage von Josef Riegler

Summary – Der Kern des Ökosozialen

Einleitung

1. Superorganismus Menschheit

2. Nahrung und Energie

3. Klima und neue Wälder

4. Der Mythos vom freien Markt

5. Die drohende Insolvenz der Staaten

6. Aufklärung in Zeiten der Globalisierung

7. Drei Zukünfte

8. Globale Ökosoziale Marktwirtschaft

9. Gleichheit, Ungleichheit und die Rolle des Einzelnen

10. Der Global Marshall Plan

Epilog: Ultimative Ressource Zeit

Anmerkungen

Was jeder Einzelne tun kann

Equity-Situation 2009

Webadressen

Literatur

Danksagung

Die Autoren

Impressum

Vorwort zur ersten Auflage
von HRH Prinz El Hassan bin Talal, Jordanien,
Präsident des Club of Rome

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet sich die Welt in einer extrem schwierigen Situation: ökologische Probleme, Kampf um Ressourcen, eine drohende Klimakatastrophe, eine Verschärfung der Arm-Reich-Problematik, Konflikte und Unverständnis zwischen Kulturen, eine unkontrollierte Ausweitung der Geldmenge mit völlig asymmetrischem Zugriff darauf und so weiter.

Aus der Sicht des Club of Rome ist das nicht überraschend. Wir haben schon 1972 mit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums die Risiken aufgezeigt, die mit der dominierenden Wirtschaftsweise und Governance-Struktur in dieser Welt verbunden sind. Dies gilt vor allem für eine Forcierung von »freien« Märkten ohne adäquate Rahmenbedingungen, also ohne ausreichende Berücksichtigung sozialer, kultureller und ökologischer Anliegen, die Voraussetzung sind für eine lebenswerte, friedliche und mit einer nachhaltigen Entwicklung kompatiblen Welt.

Eine Reihe von Club of Rome-Mitgliedern hat sich in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit den angesprochenen Fragen beschäftigt. So zum Beispiel Wouter van Dieren[1] in seinen Untersuchungen über eine bessere Methodik zur Messung von Wirtschaftsleistung und Wachstum, Ernst Ulrich von Weizsäcker mit Partnern in seinen Arbeiten zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität[2] (Faktor 4) und zu den Grenzen von Privatisierungen[3] und Orio Giarini und Patrick M. Liedtke[4] in ihrem Bericht zu der sehr grundsätzlichen Frage nach der Zukunft der Arbeit. Die Studien zur Zukunft der Arbeit erfolgen vor dem Hintergrund des Übergangs in eine Wissensgesellschaft mit hohem Serviceanteil, immer weiter gehender Automatisierung und weltweiter Konkurrenz bei extrem unterschiedlichen Entlohnungsniveaus.

Alle genannten Untersuchungen reflektieren Chancen und Risiken aktueller Entwicklungen und offensichtliche Fehlsteuerungen in den weltweiten Prozessen. Das gilt auch für zwei weitere wichtige Publikationen aus dem Umfeld des Club of Rome, nämlich das 2004 erschienene 30-Jahre-Update[5] von Grenzen des Wachstums, an dem erneut Dennis Meadows als Hauptautor beteiligt war, sowie das Buch[6] des Club-of-Rome-Mitglieds Sergej P. Kapitza zur Weltbevölkerungsproblematik.

Alle genannten Berichte, die sämtlich unterstreichen, wie groß die Herausforderungen sind, liefern wichtige Bezugspunkte für den vorliegenden Text von Franz Josef Radermacher und Bert Beyers. In der Zusammenschau wird deutlich: Wir haben die Jahre seit 1972 nicht gut genutzt. Viel Zeit wurde und wird noch vertan in einem Globalisierungshype, der nur die Gewinner, nicht aber die Verlierer der weltökonomischen Prozesse im Blick hat.

Das vorliegende Buch fragt vor diesem Hintergrund nach der Zukunft der Menschheit. Hierzu hat Franz Josef Radermacher, ebenfalls ein aktives Club-of-Rome-Mitglied, in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit wesentliche Überlegungen angestellt. In wichtigen Themenbereichen geschah dies in enger Zusammenarbeit mit dem leider viel zu früh verstorbenen Robert Pestel von der deutschen Sektion des Club of Rome, Sohn von Eduard Pestel, eines der Gründungsmitglieder des Clubs. Die so entstandenen Arbeiten[7], an denen auch Mike Mesarovic[8], eines unserer Mitglieder der ersten Stunde, beteiligt war, zeichnen im Wesentlichen folgendes Bild: Der Welt droht ein ökologischer Kollaps, wenn sie die sozialen Fragen zulasten der Umwelt zu lösen versucht. Und ihr droht eine Brasilianisierung, das heißt eine unakzeptable Wohlstandsverschiebung von der Mehrheit der Menschen zu profitierenden Eliten inklusive der Auflösung der Demokratie, falls sie die ökologischen Probleme zulasten der sozialen Probleme zu lösen versucht.

Mit Nachhaltigkeit kompatibel ist nur eine balancierte Zukunft, ein weltweites ökosoziales Marktmodell, in dem die reiche Welt in Form einer doppelten Zurückhaltung, mittels Kofinanzierung und geeignet austarierten Marktöffnungen der ärmeren Welt ein Aufholen im Sinne einer akzeptablen Ausgleichsstruktur ermöglicht, wobei Reich und Arm bei abgestimmter Zurückhaltung gemeinsam der Umwelt und der Ressourcenbasis den Raum geben, der naturgesetzlich erforderlich ist, um einen ökologischen Kollaps zu verhindern.

Sehr überzeugend ist, wie diese Position auch aus weltethischer Sicht motiviert wird, die mit allen großen Religionen, aber auch mit der Perspektive eines interkulturellen Humanismus vereinbar ist. Das Weltethos wird in Deutschland insbesondere durch Hans Küng vertreten, mit dem ich selber, der ich aus dem islamischen Teil der Welt komme, eng zusammenarbeite. Wir verfolgen das Thema unter anderem beim Parliament of Cultures in Ankara, in dem auch Franz Josef Radermacher mitwirkt. In all diesen Kontexten geht es um ökologische Anliegen (den Globus intakt zu halten) und sozial-kulturelle Anliegen (die Würde aller Menschen zu achten), inspiriert von geeigneten Ausformulierungen der sogenannten goldenen Regel: »Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.« Auf diesen Fundamenten steht das vorliegende Buch.

Wird diese friedliche, nachhaltige Zukunft erreicht werden? Franz Josef Radermacher hält den vielversprechenden Weg einer weltweiten ökosozialen Logik nicht für einen Selbstläufer. Starke Kräfte wirken in eine ganz andere Richtung – nichts ist entschieden. Schwierige Zeiten! Dass es gehen kann, beweist die Europäische Union in ihren Erweiterungsprozessen. Aber sind die reichen Länder – insbesondere die USA – gegenüber dem Rest der Welt zu einer ähnlichen Politik der »Kofinanzierung gegen Standards« bereit, wie sie innerhalb der EU selbstverständlich ist? Oder werden mächtige Kräfte weiter versuchen, über Brainwash-Konstrukte, quasi zum Naturgesetz erhobene Begriffsbildungen[9] wie »freie Märkte«, den Globus zu plündern, und damit Kollaps und Terror beziehungsweise Bürgerkrieg heraufbeschwören?

Dieses Buch bleibt nicht bei der Analyse stehen. Mit dem Global Marshall Plan werden eine Initiative und ein Konzept beschrieben, um vielleicht noch rechtzeitig die Weichen in eine andere Richtung zu lenken. Der Club of Rome und ich persönlich wie auch mein Vorgänger im Amt des Club-of-Rome-Präsidenten, Ricardo Diez-Hochleitner, unterstützen die Global Marshall Plan Initiative seit ihren Anfängen im Jahr 2003. Der Plan ist eine unserer wenigen Hoffnung gebenden Optionen in schwierigen Zeiten.

Ich hoffe, dass das vorliegende Buch dazu beitragen wird, dass Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Nichtregierungsorganisationen und Weltzivilgesellschaft die Chance begreifen, die in dem Konzept einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft und eines Global Marshall Plan, basierend auf einem Weltethos, liegt. Immer mehr Akteure scheinen das zu verstehen. Hoffentlich rechtzeitig.

Vorwort
zur überarbeiteten Auflage

Das Buch Welt mit Zukunft von Franz Josef Radermacher und Bert Beyers wurde aus gutem Grund in seiner Kategorie zu einem Bestseller. In Zeiten spürbarer Fehlentwicklungen, vielfältiger weltweiter Bedrohungen und dem für jedermann spürbaren Scheitern eines ausschließlich profitgetriebenen Marktfundamentalismus sind neue, in sich schlüssige Ideen und Konzepte für eine gedeihliche, zukunftsfähige menschliche Entwicklung so etwas wie warmer Regen nach einem langen Winter.

Welt mit Zukunft schöpft aus dem Erfahrungsschatz einer der erfolgreichsten Perioden europäischer Geschichte: erstens den Grundprinzipien des europäischen Einigungsprozesses – Freiheit, Demokratie, Solidarität, Respektierung unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Religionen sowie dem Prinzip der Freiwilligkeit; zweitens dem Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft als Synthese von Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft zur Überwindung des unseligen Klassenkampfes zwischen Arbeit und Kapital.

In meiner Funktion als Vizekanzler der Republik Österreich habe ich vor gut 20 Jahren gemeinsam mit einigen weit vorausdenkenden Menschen das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft entwickelt. Ihr Ziel ist die stets neu zu schaffende Balance zwischen einer leistungsfähigen Wirtschaft, sozialer Solidarität und Ökologie im Sinne nachhaltigen Umweltschutzes. Eine leistungsfähige Wirtschaft braucht ein Höchstmaß an Bildung, Forschung und Innovation sowie die dynamische Kraft eines freien Unternehmertums.

Soziale Solidarität bedarf sowohl der gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Schwächeren wie auch leistungsfähiger Sozial- und Gesundheitssysteme – aber auch der Stärkung von Familien und privaten Initiativen für gelebte Mitmenschlichkeit.

Ökologie erfordert einen fairen Ordnungsrahmen auf nationalstaatlicher, europäischer und globaler Ebene, damit sich nachhaltiger Umweltschutz für Unternehmen, Verkehrsteilnehmer und Konsumenten auch wirtschaftlich rechnet. Dazu gehören eine konsequente ökologische Kostenwahrheit, die Anwendung eines strikten Verursacherprinzips, aber auch die Weiterentwicklung von Gesetzen, Steuer- und Förderungssystemen zugunsten nachhaltigen Handelns.

Durch die vor 20 Jahren einsetzende Globalisierungsdynamik als Folge politischer und technologischer Revolutionen entwickelte sich eine immer dramatischer werdende Kluft zwischen den global agierenden Teilen der Ökonomie und einer Politik, die nach wie vor nach den Spielregeln von Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts funktioniert. Das musste zu problematischen Verwerfungen führen. Verschärft wurde diese Fehlentwicklung durch die weltweite Dominanz der einseitigen und unduldsamen Ideologie eines profitgetriebenen Marktfundamentalismus. Seit Semptember 2008 sind viele Menschen, Unternehmen, Gesellschaften und Staaten mit den verheerenden Folgen eines von blanker Gier gesteuerten Kapitalismus konfrontiert.

Im Jahr 1999 hatte ich das Glück, Franz Josef Radermacher zu begegnen. Seine messerscharfe Analyse der globalen Entwicklungen und sein systemischer Lösungsansatz haben mich von Beginn an begeistert. So entstand rasch eine innige Verbindung zwischen seinen Aktivitäten und der Arbeit des Ökosozialen Forums Europa. Die im Mai 2003 gestartete Initiative »Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft« wurde zur gemeinsamen Basis für eine praktikable Global Governance im Sinne einer weltweiten »Win-win-Strategie« für Nord und Süd.

Die enge Verknüpfung von fairen Entwicklungschancen für den ärmeren, benachteiligten Teil der Menschheit mit weltweit geltenden Wirtschafts-, Sozial- und Umweltstandards zur Durchsetzung eines weltweiten fairen Wettbewerbes ist die Königsidee für die Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben.

Die ökosoziale Idee der Balance zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie bei Respektierung unterschiedlicher Kulturen, beruhend auf den Prinzipien Solidarität, Gerechtigkeit, Humanismus, Menschenwürde und Toleranz, könnte die Basis für eine weltweite friedliche Entwicklung sein.

Das ist die »ökosoziale Perspektive«, als Kernbotschaft des neuen Buches Welt mit Zukunft. Sie erweitert den Rahmen des Ausgangstextes aus 2007 um tragende Bausteine und reflektiert zugleich die großen Veränderungen im weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Umfeld der letzten Jahre. Diese waren im Ausgangstext bereits erwartet worden; insofern ist die jetzige Fortsetzung ein natürlicher Schritt.

Die Begegnung mit Franz Josef Radermacher und die seither gemeinsam gestaltete Wegstrecke gehören zu den glücklichsten Fügungen in meinem Leben.

Im Interesse einer guten Zukunft der Menschheit wünsche ich dem neuen Buch größtmögliche Aufmerksamkeit und den Lesern großen Gewinn.

Für Franz Josef Radermacher, Bert Beyers als Mitautor, dem Team in Ulm und den vielen Menschen, die mit ihm auf dem Weg sind, viel Erfolg!

Josef Riegler
Vizekanzler a.D. der Republik Österreich

Summary – Der Kern des Ökosozialen

Nachhaltigkeit

Eine Gesellschaft und mit ihr die zugehörige Wirtschaftsordnung können als nachhaltig bezeichnet werden, wenn für alle Menschen ein erfülltes Leben frei von materieller Not in Frieden miteinander und mit der Natur erreicht und für nachfolgende Generationen eine Zukunft mit ähnlichen oder sogar besseren Perspektiven gesichert werden kann. Es ist offensichtlich, dass die heutige weltweite Ordnung und Ökonomie diesem Ziel nicht gerecht wird. Die Frage ist, ob dieses Ziel überhaupt in Verbindung mit Markt und Wohlstand für zehn Milliarden Menschen erreicht werden kann, die 2050 auf dieser Erde leben werden. Ist Nachhaltigkeit in der heutigen Welt überhaupt möglich?

Über die längsten Phasen ihrer Existenz hat die Menschheit nachhaltig gelebt: naturnah, einfach, wenige Menschen mit wenig Dynamik. Die Frage ist, ob auch moderne, reich entfaltete Wohlstandssysteme potenziell mit Nachhaltigkeit vereinbar sind. Ein Armutsregime kommunistisch-planwirtschaftlichen Typs, das die Umwelt schützt und alle Menschen dauerhaft auf einem etwa gleichen, niedrigen und auskömmlichen Lebensstand platziert, zum Beispiel mit Bezugsgutscheinen statt Geld, könnte wohl als nachhaltig bezeichnet werden. Aber ist das eine wünschenswerte Perspektive? Wohl kaum.

Markt und Nachhaltigkeit

Die Vertreter einer Ökosozialen Marktwirtschaft sind davon überzeugt, dass Markt und Nachhaltigkeit gleichzeitig möglich sind. Jede Marktwirtschaft, die diese Gleichzeitigkeit leistet, heißt ökosozial. Sie ist dann Teil eines globalen Ordnungsrahmens, einer Global Governance, die Markt und Nachhaltigkeit widerspruchsfrei miteinander kombiniert. Äquivalent ist die Forderung nach Wohlstand für alle und nach globaler Nachhaltigkeit, auch in Zukunft, in einer ausgewogenen Balance unter den Menschen und in Frieden mit der Umwelt. All das ist möglich, wurde aber bisher nicht realisiert – der praktische Beweis ist noch zu erbringen.

Markt + nachhaltige Entwicklung = Ökosoziale Marktwirtschaft

Gute Absichten sind nicht genug

Im Sinne der Ökosozialen Marktwirtschaft sollen Markt und Nachhaltigkeit zur Sicherung einer marktwirtschaftlichen Ordnung dauerhaft in weltweiter Perspektive für heutige und zukünftige Generationen realisiert werden, bevor die Not zu einem ökologischen Kollaps oder einer ökodiktatorischen Struktur führt. Nur die gute Absicht ist hierfür genauso wenig ausreichend wie eine im formalen Sinne gute Theorie. Entscheidend ist, wie die Realität letztlich aussieht: Markt, Wohlstand für alle und Frieden mit der Natur – genau das ist weltweit bisher nicht gelungen, im Gegenteil.

Strikter Umweltschutz

Soll eine globale Ökosoziale Marktwirtschaft realisiert werden, müssen Umwelt- und Ressourcenschutz weltweit durchgesetzt werden: für alle Wertschöpfungsprozesse, in den Bereichen Arbeit, Freizeit und Urlaub, für alle Weltgemeingüter, für die Meere ebenso wie für die Arktis und Antarktis, für die großen Flüsse und die Wasserreservoirs, für Energie, Klima, den Landwirtschaftssektor, den Umgang mit seltenen Metallen etc. Ein nachhaltiger Umgang mit knappen Ressourcen muss gelingen, und zwar verknüpft mit konsequentem Umweltschutz, weltweit. Die Erde ist zu hüten wie ein Schatz. Die Natur hat Eigenrechte über die Nutzenerwägungen des Menschen hinaus. Die Welt muss der jeweils nächsten Generation mindestens in dem Maße intakt übergeben werden, wie sie übernommen wurde.

Innovation als Schlüssel

Die Ökosoziale Marktwirtschaft setzt auf Innovation, ganz im Sinne von Joseph Schumpeter. Wir befinden uns als Menschheit nicht in einem Nullsummenspiel, in dem der Gewinn des einen automatisch dem Verlust eines anderen entspricht. Wir verändern die Welt durch Innovation, manchmal für mehr Nachhaltigkeit, manchmal leider auch mit gegenteiligem Resultat (Bumerangeffekt). Die Vertreter einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft setzen auf Innovationen technischer und politischer Art zur Verhinderung von Bumerangeffekten, zum Schutz der Umwelt, zur Erzeugung von mehr Wohlstand und für eine höhere soziale Balance, vor allem auch weltweit. Das Potenzial des Marktes, Innovationen hervorzubringen, ist eine der Hauptmotivationen für eine konsequente Marktorientierung. Wir setzen auf bessere technische Lösungen, aber nicht um jeden Preis und nicht zu unkalkulierbaren Risiken. Im Rahmen des »Vorsichtsprinzips« ist eine Politik mit Augenmaß zu praktizieren. Wir haben immer den Bumerangeffekt vor Augen, dass nämlich unter ungenügenden Regulierungsbedingungen der technische Fortschritt die Umwelt- und Ressourcensituation potenziell verschlechtert, statt sie zu verbessern: Ohne den gewaltigen technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte wären zum Beispiel Tiefseebohrungen nach Öl mit desaströsen Folgen wie im Golf von Mexiko gar nicht erst möglich gewesen.

Chancengleichheit ist ein wichtiges Prinzip, reicht aber nicht aus

Chancengleichheit ist als wichtiges gesellschaftliches Prinzip durchzusetzen. Dies allein wäre aber für das Erreichen einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft zu wenig. Die Ökosoziale Marktwirtschaft möchte bei gleichzeitigem hohem Umweltschutz lebenswerte Situationen für alle Menschen erreichen. Ziel ist eine balancierte Verteilung des Wohlstands in weltweiter Perspektive und damit auch die Überwindung der globalen Apartheid. Chancengleichheit ist ein wichtiges Instrument, um eine balancierte Verteilung der Einkommen zu erreichen, aber sie ist dafür längst nicht ausreichend. Sie muss mit anderen Mechanismen kombiniert werden, und im Ergebnis ist zu prüfen, ob Balance tatsächlich erreicht wurde. Chancengleichheit darf insbesondere nicht zu einem Instrument werden, mit dem gegen eine angemessene Verteilung des Wohlstands und der Einkommen argumentiert wird, zum Beispiel dadurch, dass man unbalancierte Verteilungssituationen mit vermeintlicher oder tatsächlicher Chancengleichheit rechtfertigt und den sogenannten Verlierern die alleinige Verantwortung für ihre Situation zuschreibt.

Balance schafft die reichsten Gesellschaften

Entgegen der marktfundamentalen Überzeugung befördert Balance – empirisch und auch theoretisch evident – eine Entwicklung hin zu reichen Gesellschaften. Balance bedeutet soziale Differenzierung und Einkommensdifferenzierung mit Augenmaß. Die Differenzierung sollte also weder zu groß noch zu gering sein. Entsprechend empirischen wie auch theoretischen Einsichten sollten sich die kumulativen Einkommen der 20 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen (nach Steuern, Sozialtransfers und innerfamiliärem Lastenausgleich) zwischen 35 und 50 Prozent des Gesamteinkommens bewegen, die kumulierten Einkommen der übrigen 80 Prozent zwischen 50 und 65 Prozent. Die Vertreter einer Ökosozialen Marktwirtschaft fordern konsequenterweise einen balancierten Ausgleich als Staatsziel, und zwar als Ergänzung zum sogenannten »magischen Viereck der Volkswirtschaftslehre«, das im Stabilitätsgesetz von 1967 verankert ist.

Ordnungspolitik ist zentral

Eine Ökosoziale Marktwirtschaft zeichnet sich – im Gegensatz zum Marktfundamentalismus – durch eine bessere Ordnungspolitik in weltweiter Perspektive aus. Diese umfasst das Eigentumskonstrukt ebenso wie die Förderung des Mittelstandes, die Besteuerung genauso wie die Förderung der Wissenschaft. Ordnungspolitik ist ein zentrales Thema und muss weltweit gedacht und umgesetzt werden. Eine Weltinnenpolitik, die sich durch Elemente einer weltweiten Demokratie auszeichnet, ist das Ziel, wobei die politischen Aufgaben gemäß Subsidiaritätsprinzipien verschiedenen Ebenen (weltweit, kontinental, national, regional, kommunal) angemessen zuzuordnen sind. Eine bessere weltweite Ordnungspolitik zielt auf eine Integration der großen bestehenden Regime wie WTO und ILO, aber auch auf Klimaverträge, Finanzmarktregulierungen, UN-Abkommen sowie Elemente globaler Querfinanzierung.

Faire Besteuerung aller Wertschöpfungsprozesse

Alle Wertschöpfungsprozesse profitieren von gegebenen gesellschaftlichen Voraussetzungen, ohne die sie nicht umsetzbar wären. Sie müssen diese deshalb konsequenterweise finanzieren, was im Besonderen für die ökonomischen Akteure mit der höchsten Wertschöpfung gilt, gerade auch im Finanzsystem. Sie müssen in komplementärem Umfang Steuern zahlen. Eine angemessene Besteuerung weltweiter Wertschöpfungsprozesse, die sich bis heute der Besteuerung weitgehend entziehen, eröffnet auch in der aktuellen Verschuldungssituation der Staaten die beste Chance, die vor uns liegenden gravierenden Probleme zu überwinden. Aus diesen und aus ordnungspolitischen Gründen gehört zur Ökosozialen Marktwirtschaft die Besteuerung globaler Transaktionen und günstiger Kredite an Kreditnehmer mit bestem Rating (leverage money tax) genauso wie die konsequente Einhegung der Steuerparadiese. Privilegierte Kreditnehmer bekommen heutzutage Kredite fast beliebiger Größenordnung zu sehr niedrigen Zinssätzen und können damit im großen Stil »gehebelte« Geschäfte betreiben. Für diesen privilegierten Zugriff auf die Mechanismen der Kreditgewährung und Geldneuschöpfung sollen entsprechende Steuern gezahlt werden, auch zur Abdeckung der damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Risiken. Besteuerung darf in Zeiten der Globalisierung nicht länger primär ein Thema innerstaatlicher Wertschöpfungsprozesse sein und damit eine Belastung in erster Linie für den Mittelstand und die Arbeitnehmer darstellen.

Wachstum

Die Ökosoziale Marktwirtschaft zielt auf Wachstum, gerade auch mit Blick auf die große weltweite Armut und die Tatsache, dass die Weltbevölkerung bis 2050 noch einmal um drei Milliarden Menschen zunehmen wird. Aus Sicht einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft kann eine Ökonomie auch ohne Wachstum bestehen. Selbst Vollbeschäftigung ist ohne Wachstum möglich. Dennoch halten wir Wachstum im Moment für wichtig, vor allem mit Blick auf die rasch zunehmende Weltbevölkerung und die Not in vielen Ländern und bei vielen Menschen. Wachstum ja, allerdings kein Wachstum auf der Grundlage von »Plünderung«, sondern von mehr Intelligenz und Kooperation. Angestrebt wird ein doppelter Faktor 10, die Verzehnfachung der Weltwirtschaftsleistung über die nächsten 70 Jahre, jedoch nur insoweit, wie parallel dazu auch eine Verzehnfachung der Ökoeffizienz, sogenanntes Grünes Wachstum, gelingt. Mit demselben Naturverbrauch wie heute und bei konsequentem Schutz knapper Ressourcen soll der zehnfache Wohlstand erschlossen werden. Dieser zukünftige Wohlstand ist dann allerdings ein fundamental anderer als der heutige, auch die Lebensstile sind ganz anders – stärker suffizienzbestimmt – als heute: Konsequenter Umwelt- und Ressourcenschutz steht an erster Stelle zusammen mit sozialer Balance und kulturellem Miteinander, erst danach kommt das Wachstum.

Doppelstrategie

Unter ungenügenden Governance-Bedingungen gilt es, sich einzurichten auf das, was möglich ist. Manches von dem, was langfristig richtig und notwendig ist, lässt sich zumindest im Moment noch nicht umsetzen. Doch das, was entschieden und getan wird, ist immer auszurichten auf das Ziel, die Governance-Bedingungen im Zwischenschritt in Europa und später weltweit so zu verändern, dass eine bessere Welt möglich wird. Die Dynamik der Veränderung entfaltet sich dabei in der Wechselwirkung von Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft. Der sich in den letzten Jahren aufbauende Druck führt hoffentlich zu besserer Governance durch die Politik, zu Branchencodes der Wirtschaft, zu vermehrten Corporate Social Responsibility-Programmen von Unternehmen und zu einer zukunftsweisenden Orientierung der Einzelnen.

Einleitung

Seit mehr als vier Millionen Jahren wächst die Anzahl der Menschen auf diesem Planeten, von ein paar tausend Hominiden in Afrika bis zu den heutigen rund sieben Milliarden Menschen. Obwohl die Erde, das Biotop, diesem Wachstum immer wieder Grenzen setzt, vor allem beim Nahrungsangebot oder bei der verfügbaren Energie, haben wir als Gattung diese Grenzen wiederholt gesprengt. Wird das auch in Zukunft so sein? Der Schlüssel zum Verständnis dieser Zusammenhänge liegt in einer systemischen Betrachtung der Menschheit und ihrer Geschichte.

Unser Körper besteht aus Milliarden Zellen, die kommen und gehen, solange wir leben. Die Menschheit als Ganzes zählt Milliarden Individuen, auch sie kommen und gehen. Vieles spricht dafür, nicht nur den einzelnen Menschen als Organismus aufzufassen, sondern ebenso komplexe Strukturen oberhalb dieser Ebene, zum Beispiel Unternehmen, Städte und Staaten. Sie sind Teilsysteme des Superorganismus Menschheit. Dieser transportiert Ideen und Innovationen, er ist ein Wissen generierendes, Wissen verbreitendes und Wissen tradierendes System. An erster Stelle stehen dabei Organisation, Technologie und Materialbeherrschung. Pfeil und Bogen sind Material gewordene Ideen, ebenso moderne Flugzeuge.

Die Fähigkeit, Feuer zu machen, hat der Menschheit einen vielfach größeren Umweltraum mit den entsprechenden Nahrungsquellen erschlossen. Jede technologische Neuerung hat direkt oder indirekt zur Folge, dass mehr Menschen länger leben, mehr miteinander kommunizieren und sich immer mehr ausdenken. Die Konsequenz ist der nächste Wachstumsschub hinsichtlich der Anzahl der Menschen und der Innovationen – ein ständiger Kreislauf. Mittlerweile katapultieren Informations- und Kommunikationstechniken in Verbindung mit immer leistungsfähigeren Transportsystemen die Geschichte nach vorne. Sie bringen den ultimativen Wachstums- und Beschleunigungsschub.

Alle zwei Jahre erleben wir eine Verdoppelung des Preis-Leistungs-Verhältnisses in der Rechnerleistung, alle 20 Jahre eine Vertausendfachung. In der Folge bilden wir heute auf einem Chip in der Größe eines Fingernagels die Komplexität einer Millionenstadt mit all ihren Telefonleitungen, den Wasser-, Abwasser- und Stromleitungen, den Straßen- und Zugverbindungen ab. Dieser Prozess der Miniaturisierung verändert alles. Vor allem ermöglicht er, unter Nutzung von Glasfaserverbindungen und Satellitentechnik, in Sekundenschnelle die weltweite Kommunikation. Der Superorganismus Menschheit schafft sich in diesem Prozess ein technisches Nervennetz und gewaltige Intelligenzverstärker. Milliarden von Menschen sind zugleich über wenige Stationen persönlicher Bekanntschaft eng miteinander verknüpft. Würde der Superorganismus in demselben Maße weiterwachsen wie bisher, würde er schon bald alle Grenzen sprengen – sowohl die des Biotops und seiner Ressourcen, zum Beispiel Wasser, Nahrungsmittel, Öl, als auch die der eigenen Kapazitäten. Hierzu zählen die menschliche Lern- und Anpassungsfähigkeit – und damit die Grenzen des Gehirns beziehungsweise unserer biologischen Nervennetze. Beides ist physikalisch wie biologisch unmöglich.

Wir stehen daher vor einem Phasenübergang in der Entwicklung des Superorganismus Menschheit, entfernt vergleichbar mit dem Phasenübergang von Eis zu Wasser in der Physik. Ein über vier Millionen Jahre erfolgreiches Wachstumsmuster geht in unseren Tagen zu Ende. Die Menschheit muss diese Botschaft zur Kenntnis nehmen. Der Superorganismus Menschheit mit ausreichender Intelligenz und Handlungsfähigkeit wird seine Größe auf einem geeigneten Niveau stabilisieren müssen, mit angepasster Technik, mit adäquaten Lebensstilen, mit allen Träumen, Wünschen und Ambitionen seiner Mitglieder, im Rahmen der Kapazität des Trägersystems Erde. Aus der aktuellen Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise heraus, und konfrontiert mit dem drohenden Klima- und Ressourcenkollaps, gilt es, eine lebenswerte Zukunft für zehn Milliarden Menschen zu schaffen. Dafür haben wir etwa 70 Jahre Zeit. Gelingt es, einen hohen weltweiten Wohlstand mit sozialem Ausgleich, auch zwischen den Staaten, zu schaffen, wird die Weltbevölkerung etwa ab der Mitte des Jahrhunderts rasch absinken. Wenn ein hoher allgemeiner Wohlstand für alle mit einem hohen sozialen Ausgleich in einer weltweiten Perspektive gekoppelt würde, nähme zwar die Geschwindigkeit der Innovationsprozesse wieder ab, aber die weitere Entwicklung verliefe in ruhigeren Bahnen.

Die heutige Lage ist eine völlig andere – sie gleicht dem Tanz auf dem Vulkan. Der Planet steht unter Stress, denn seine ökologischen Systeme sind bereits aus dem Gleichgewicht. Und immer mehr Menschen sind in ihrem Alltag überfordert. Die Dynamik, die gegenwärtig im Superorganismus Menschheit herrscht, ist schwer erträglich und nur noch begrenzt zu steuern. Es ist durchaus möglich, dass wir uns ins Aus manövrieren und es nicht verhindern können. Alle Probleme, die wir derzeit haben – mit einem weiteren absehbaren Bevölkerungswachstum von heute sieben Milliarden in Richtung zehn Milliarden Menschen, mit knappen Ressourcen, mit Technikfolgen, mit immer schneller auf den Markt drängenden Innovationen und dem damit verbundenen Stress –, sind nicht Folgen punktueller Fehler oder Fehlleistungen Einzelner. Die Ursache ist strukturell-systemischer Natur. Das wird in diesem Buch herausgearbeitet.

Das Werk liegt nun in einer vollständig überarbeiteten und erweiterten Fassung vor. Die Konzeption der globalen Ökosozialen Marktwirtschaft hat dabei eine Vertiefung und Fokussierung erfahren, wie im neuen Untertitel »Die ökosoziale Perspektive« deutlich wird. Diesem Thema sind zwei neue Kapitel gewidmet. Ebenfalls neu sind die Kapitel über »Nahrung und Energie«, »Klima und neue Wälder« sowie »Die drohende Insolvenz der Staaten«. Das zuletzt genannte Kapitel thematisiert die Ursachen der jüngsten Weltfinanzkrise und zeigt, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Das erste Kapitel erklärt den Begriff des Superorganismus Menschheit und beschreibt seine Geschichte, die durch Kommunikation und Interaktion immer wieder neu angetrieben wird. Technische Systeme – erst die der Antike, dann die des Mittelalters und später jene der industriellen Revolution – lösen einander ab. Wie entwickelt sich dabei die »Intelligenz« des Superorganismus?

Das zweite Kapitel analysiert das Verhältnis von Mensch und Natur. Die Themen Nahrung und Energie sind dabei eng miteinander verknüpft. Der Blick in die Geschichte schärft die Sicht auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. In Zukunft benötigt die Menschheit viel Energie, sauber und preiswert erzeugt. Technisch ist das durchaus möglich. Innovationen sind der Schlüssel für eine Welt mit Zukunft.

Aber Technik ist es nicht allein. Das zeigt das dritte Kapitel am Thema Klimawandel. Erst wenn Innovationen auf dem Gebiet der Governance hinzutreten, ist eine Lösung in Sicht. Die Klimakonferenz Ende 2009 in Kopenhagen endete für viele Teilnehmer und Beobachter mit erheblicher Frustration. Schaut man sich die Ergebnisse jedoch genauer an, ergibt sich ein anderes Bild. Das Entgegenkommen der Schwellenländer, namentlich von China und Indien, zu »relativen« Emissionsreduktionen eröffnet bei kluger Politik der Industrieländer eine große Chance. Das hat sich auf der Klimakonferenz Ende 2010 in Cancún bestätigt. Daraus ergibt sich ein Verhandlungsmodell mit niedriger Einstiegshürde, bei dem zu Beginn nicht alle Staaten mitmachen müssen, das im weiteren Verlauf aber eine große Wirkung entfalten kann. Bei diesem Vorgehen könnten WTO-konforme Grenzausgleichsabgaben genutzt werden. So wird Druck auf Trittbrettfahrer ausgeübt und eine Lösung für alle befördert.

Ein Baustein des Konzepts ist ein beschleunigtes Weltaufforstungsprogramm, das nicht nur ökologische, sondern zugleich wirtschaftliche und soziale Vorteile mit sich bringt, insgesamt ein gewaltiges globales Investitions- und Beschäftigungsprogramm, ganz im Sinne eines green new deal oder eines Global Marshall Plan.

Der Klimawandel trägt das Potenzial des ökologischen Kollapses in sich. Dabei sind die Dinge durchaus beherrschbar. Das betrifft Wissen, Können, finanzielle, humane und technische Ressourcen. Allerdings erfordert die aktuelle Situation die breite Kooperation der Staaten und mutige Schritte, politische, technologische und finanzielle, vor allem auch in der Finanzierung eines globalen Ausgleichs.

Im vierten Kapitel werden zentrale Begriffe der Systemtheorie, die in der vorliegenden Analyse verwendet werden, erläutert: Was ist ein Gefangenendilemma? Was steckt hinter dem Bumerangeffekt, und wie kann man ihn vermeiden? Was macht Gesellschaften reich? Hier geht es um eine Analyse unserer globalisierten Welt, verbunden mit einigen Hinweisen zu Lösungsmöglichkeiten.

Die Kritik am »Mythos vom freien Markt« wird im fünften Kapitel am Beispiel des Weltfinanzsystems vertieft. Fehlende internationale Regulierung hat sich in eine exorbitante Geldvermehrung, Vermeidung von Steuerzahlungen, Intransparenz und individuelle Bereicherungen zulasten des Gemeinwohls übersetzt. Droht im Klimabereich der ökologische Kollaps, so auf ökonomischem Gebiet der Zusammenbruch des Weltfinanzsystems. Die Weltfinanzmarktkrise führt die »Verlogenheit« des Regimes der freien Märkte für jeden erkennbar vor Augen. Als letzte Instanz haben die Staaten das Finanzsystem stabilisiert und sich dabei noch weiter verschulden müssen.

Die größte Gefahr geht derzeit von einer möglichen Insolvenz der Staaten aus. Glücklicherweise hat eine längst überfällige Diskussion nun begonnen. Marktwirtschaft ja, aber sozial und ökologisch adäquat reguliert. Zur Zukunftssicherung und nachhaltigen Entwicklung der Welt sind global funktionierende Regelwerke erforderlich.

Das sechste Kapitel behandelt die Kernaussagen des Buchs, verbunden mit einer Kritik an den gegebenen marktradikalen Verhältnissen, deren Folgen Tag für Tag offensichtlicher werden, ganz besonders auch in der aktuellen Weltfinanzmarktkrise. Weite Teile der Bevölkerung im Norden erleben eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, überall nimmt die soziale Spaltung zu, die ökologischen Systeme des Globus geraten immer mehr unter Stress, im schlimmsten Fall droht der Kollaps. Die erste und wichtigste These lautet: Ökosozial statt marktradikal. Die Welt braucht – ganz im Sinne der klassischen Nationalökonomie – leistungsfähige Rahmenbedingungen der Märkte. Das bedeutet angesichts der Globalisierung der Wirtschaft weltweit gültige und durchsetzbare Regelwerke und konsensfähige Vereinbarungen im Sinne einer auf das Wohl der Menschen ausgerichteten Global Governance.

Die zweite These: Eine bessere Globalisierung ist möglich; vor allem eine gerechtere. Das ist das Thema einer besseren Global Governance, wie sie insbesondere im Finanzsektor vonnöten ist. Die Folge wäre eine reichere Welt und eben kein Verzichtprogramm! Aber dem stehen gut organisierte Kräfte entgegen. Sie profitieren von einer falsch laufenden Globalisierung, verstecken sich hinter Begriffen wie dem »freien Markt« und nutzen ihre Macht im Rahmen globaler Prozesse bei der Festlegung von Spielregeln, um die Interessen der großen Mehrheit der Weltbevölkerung auszuhebeln.

Den ethischen Bezugspunkt der Kernaussagen bilden die Positionen des Weltethos. Die Entwicklung dieser globalen Werte-Plattform geht wesentlich auf die Weltethos-Initiative des Theologen Hans Küng zurück, eng verknüpft mit Initiativen von Altbundeskanzler Helmut Schmidt und dem Interaction Council ehemaliger Staats- und Regierungschefs. Zentral ist die goldene Regel »Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu«.

Das siebte Kapitel des Buches wagt einen Blick in die Zukunft. Die drei in diesem Kontext skizzierten Szenarien beschreiben die prinzipiellen Muster möglicher Entwicklung. Das heißt, in einer dieser Zukünfte werden wir schließlich landen. Das Szenario »Kollaps« führt in die ökologische Katastrophe. Das Szenario »Ökodiktatur/Brasilianisierung« verkörpert eine gefährliche Weltordnung, in der sich eine kleine Macht- und Finanzelite, gegebenenfalls unter Nutzung staatlicher oder suprastaatlicher Strukturen, mit Gewalt den Zugriff auf die entscheidenden natürlichen Ressourcen sichert. Sie hat ein extremes Auseinanderklaffen in Arm und Reich zur Folge, nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in der heute reichen Welt. Prozesse in Richtung einer solchen Entwicklung sind bereits heute zu erkennen. Eine unkontrollierte, nicht mehr beherrschbare Weltfinanzmarktkrise, die auf die physische Ökonomie übergreift, oder eine Verlagerung der Rückzahlpflichten der horrenden Staatsverschuldungen auf die Normalbevölkerung statt auf wohlhabende Eliten würde den Prozess stark beschleunigen. Ob dies friedlich ausgehen kann, ist mehr als fraglich.

Das Wunschszenario ist die »Globale Ökosoziale Marktwirtschaft«, eine mit Nachhaltigkeit und Frieden kompatible Langfristperspektive für die Menschheit. Das ist der Gegenstand des achten, des zentralen Kapitels dieses Buches. Im Kommunismus versucht die Politik, auch noch die Wirtschaft zu steuern. Im Marktfundamentalismus will die Wirtschaft die Politik dominieren. Beides funktioniert nicht. Die Alternative ist eine ordoliberale Position: Der Staat setzt – möglichst demokratisch – die Regeln, dabei orientiert er sich an ethischen und gesellschaftlichen Anliegen. Das Leitbild Ökosoziale Marktwirtschaft ist in der Diskussion längst angekommen. Die Formulierung, auch in Varianten, findet sich zum Beispiel bei dem Friedensforscher Johan Galtung, bei Heiner Geißler, bei Alois Glück, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, bei dem früheren Agrar-Kommissar der EU Franz Fischler, dem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, dem bereits erwähnten Hans Küng, dem Vizekanzler a.D. der Republik Österreich Josef Riegler und dem ehemaligen Chefredakteur der Zeit Roger de Weck. Die Grundfigur der Ökosozialen Marktwirtschaft bildet dabei das Dreieck der Nachhaltigkeit. Das Ziel ist eine Balance zwischen leistungsorientierter Wirtschaft, Solidarität und dem Schutz der Umwelt, und zwar auf staatlicher, europäischer und globaler Ebene.

So wichtig ökonomisches Wachstum dabei ist, es stellt, entgegen dem, was immer wieder suggeriert wird, keine Lösung für alles und jedes dar. Auf Dauer entfaltet Wachstum positive Wirkungen sowieso nur dann, wenn es innerhalb der ökologischen Kapazitäten des Biotops und zugleich unter Bedingungen sozialer und kultureller Balance erfolgt. Dazu braucht es zukünftig neue Technik und andere Lebensstile, vor allem aber die entsprechenden Rahmenbedingungen der Märkte und damit adäquate Preisgestaltung und regulative Vorgaben.

Im neunten Kapitel geht es um die Frage, warum die Einkommensspreizung balanciert sein sollte. Das richtige Maß zwischen einer zu großen gesellschaftlichen Gleichheit und zu viel Ungleichheit gehört zum »genetischen Code« der Konzeption einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Überlegungen zur Umsetzung münden in die konkrete Vision »Rio+20«.

Das letzte Kapitel behandelt die politischen Konsequenzen, die sich aus der Analyse ergeben und die für den vorliegenden Text ein Hauptanliegen darstellen. Dabei handelt es sich um eine substanzielle Erweiterung der anstehenden Maßnahmen im Klimabereich und hinsichtlich des Weltfinanzsystems sowie der Steuerparadiese im Sinne eines Global Marshall Plan. Der Text schlägt die Brücke zu einer breiten Initiative in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, die sich bereits seit einigen Jahren für einen solchen Plan engagiert. Ein Global Marshall Plan ist ein gut durchdachtes Paket von Regelungen, Finanzierungs- und Umsetzungsvereinbarungen, das unter den bestehenden Machtverhältnissen eine Umsetzungschance besitzt. Zu diesem Paket gehören das Generalziel einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft, internationale Vereinbarungen wie ein angestrebtes, gerechtes Weltklimaregime und die bis zum Jahr 2015 weisenden Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, Elemente supranationaler Besteuerung, Regelveränderungen bei großen internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation und innovative Entwicklungskonzepte wie zum Beispiel Kleinstkredite. Der Global Marshall Plan ist zugleich ein Investitionsprogramm für die Welt als Ganzes: Entwicklungsländer, Schwellenländer und industrialisierte Staaten. Wir brauchen einen vernünftigen Gesellschaftsvertrag für diesen Globus, einen Weltvertrag und damit die Basis für eine Weltinnenpolitik, aufbauend auf einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Ein Global Marshall Plan eröffnet in Zeiten extremer Bedrohung substanzielle neue Chancen.

1. Superorganismus Menschheit

Bevölkerungswachstum – ein Programm läuft aus

Auf einem See teilen sich Nacht für Nacht die Seerosen, sie verdoppeln jede Nacht ihre Zahl und bedecken zunehmend die Wasseroberfläche. Irgendwann wird der See voller Seerosen sein. Zehn Nächte vor diesem Zeitpunkt sind von ferne nur einige versprengte Blüten zu sehen, nur ein Tausendstel des Sees ist bedeckt. Fünf Nächte vorher sind es etwa 3 Prozent der Oberfläche, noch immer fallen sie kaum auf. Plötzlich wächst der See rasend schnell zu. Zwei Nächte vorher sind bereits 25 Prozent der Wasserfläche bedeckt. Ob es nun zehn Tage oder zehn Jahre dauert, bis die Oberfläche des Sees vollständig mit Seerosen gefüllt ist – wesentlich für das Phänomen des exponentiellen Wachstums ist die Tatsache, dass die zweite Hälfte des Sees erst in der letzten Nacht bedeckt wird. In exponentiellen Prozessen geschieht das Entscheidende zum Schluss.

Dieses Muster liegt auch unserer Bevölkerungsentwicklung zugrunde. Eine Million Jahre entsprechen etwa 50.000 Generationen. Seit Christi Geburt sind erst 100 bis 150 Generationen vergangen. Bei einem Zeitraum von vier Millionen Jahren reden wir vielleicht über 150.000 Generationen. Diese vier Millionen Jahre hat die Menschheit gebraucht, um die Schwelle zur ersten Bevölkerungsmilliarde zu durchbrechen, etwa zu dem Zeitpunkt[10], als Goethe starb, im Jahr 1832. Rund 130 Jahre später, 1965, waren wir schon drei Milliarden Menschen und nur 35 Jahre später, im Jahr 2000, bereits sechs Milliarden. Die Geschwindigkeit des Zuwachses nahm beständig zu, erst seit kurzem geht sie leicht zurück. Über Jahrhunderte und Jahrtausende war Bevölkerungswachstum immer die richtige Politik: mehr Menschen, mehr Leistung, mehr Konsum, mehr Lebenschancen. Wachstum bedeutet Macht, Entfaltung, Reichtum. In der Folge füllt die Menschheit aber auch zunehmend den Globus aus.

Das Charakteristikum exponentieller Wachstumsprozesse ist, dass sie Größenordnungen überwinden. Der Mensch beginnt als winzige befruchtete Eizelle, die nur unter dem Mikroskop zu sehen ist. Bis er geboren wird, aufwächst und voll entwickelt ist, müssen Größenordnungsunterschiede von bis zu zehn Milliarden (1010) überwunden werden. Nur explosive Wachstumsprozesse sind dazu in der Lage. Ein exponentielles Wachstum in endlichen Biotopen hat aber prinzipiell Grenzen; und Systeme, die weiterleben wollen, müssen diese Grenzen beachten. Permanentes exponentielles Wachstum ist für keine Art, egal ob Pflanzen, Tiere oder Menschen, auf der Erde möglich.

Heute sind die Vorzeichen des Neuen bereits unübersehbar. Innerhalb der menschlichen Bevölkerung zeichnet sich ab, dass sie nicht immer weiter wächst, sondern vielleicht sogar einmal zurückgehen wird. Diesen Prozess erleben wir heute schon in den industrialisierten Ländern, teils mit spürbarem und von vielen Beobachtern als zu schnell empfundenem Tempo. Die Gesamtzahl der Menschen auf diesem Planeten wächst unterdessen noch weiter, doch auch dies wird sich schon bald ändern.

Wir sind bereits mitten in einer historischen Entwicklung, in der die Menschheit einen Phasenübergang in ihrer Evolution erlebt, das Grundmuster des Bevölkerungswachstums sich ändert und, einer inneren Logik folgend, ändern muss. Damit fände eine Erfolgsgeschichte sondergleichen ihren Abschluss, und vieles würde anders werden. Wir haben das Privileg, Zeuge eines spannenden Übergangs zu sein, der nicht ohne Gefahren ist. Wie wir ihn bewältigen werden und was danach kommt – niemand weiß es.

Ein Leser, der im Jahr 1950 geboren wurde, war Zeuge einer gewaltigen Zunahme der Bevölkerung: von 2,5 Milliarden Menschen auf heute rund sieben Milliarden. Gleichzeitig hat er in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Steigerung der Weltwirtschaft um das Siebenfache[11] erlebt. Nach den beiden Weltkriegen folgten drei Jahrzehnte, die Historiker das Goldene Zeitalter nennen. In Europa, Nordamerika und in Japan erfuhren breite Bevölkerungsschichten einen Wohlstand, der zu Zeiten ihrer Großeltern nur Millionären vorbehalten war, mit Telefon, eigener Waschmaschine und Auto. Wer 1950 geboren wurde, hat eine Steigerung des globalen Wasserverbrauchs um das Dreifache, des Kohlendioxidausstoßes um das Vierfache und der Anlandung von Fisch um das Fünffache erlebt. Demgegenüber hat die ökologische Kapazität der Erde, also die Basis für die Erzeugung dieses Wohlstands, sogar etwas abgenommen. Und würden alle Menschen auf dem Konsumniveau eines Europäers oder Amerikaners leben, bräuchten wir mittlerweile drei oder sogar fünf Planeten.

Werden unsere Kinder, die im Jahr 2000 geboren wurden, bis 2050 ein ähnliches Wachstum erleben? Zunächst wird die Weltbevölkerung weiter auf neun bis zehn Milliarden Menschen zunehmen. Ungefähr in der Mitte des 21. Jahrhunderts dürfte ihre Größe hoffentlich den Höhepunkt erreichen. Allein in China und Indien werden jeweils etwa 1,5 Milliarden Menschen leben. Zusammengenommen entspricht das der Anzahl der Weltbevölkerung von 1965.

Wächst auch die Wirtschaft weiter? Selbstverständlich führt eine steigende Anzahl der Menschen fast automatisch zu einem absoluten Wachstum der Wirtschaftsleistung. Und dann hat die Aufholjagd bevölkerungsreicher Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien und damit das Wachstum der Wirtschaftsleistung pro Kopf in diesen Ländern erst richtig begonnen. Die Ressourcenknappheiten zeichnen sich parallel dazu allerdings schon heute deutlich ab. Die weltweiten Fischgründe sind am Limit. Die ertragreichen Böden werden weniger beziehungsweise verlieren an Qualität, und die Grundwasserspiegel fallen auf allen Kontinenten. Für Nahrungsmittel braucht man Wasser: die überraschend große Menge von 1000 Litern, um ein Kilogramm Brot zu erzeugen, 4000 Liter für ein Kilogramm Reis und 13.000 Liter für ein Kilogramm Rindfleisch. Wasser wird immer knapper und kostbarer.[12]

Der Förderhöhepunkt von konventionellem Öl ist nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris bereits erreicht[13], ob nichtkonventionelles Öl, zum Beispiel aus Ölsanden, die Lücke schließen kann, ist zweifelhaft. In absehbarer Zeit wird die Nachfrage das Angebot gewaltig übersteigen. Die Ära der billigen Energie auf Basis fossiler Rohstoffe geht unweigerlich zu Ende. Auch die Klimaveränderung schreitet zügig voran.[14] Nicht nur unsere Kinder werden die daraus sich ergebenden Folgen erleben, sondern wohl die allermeisten, die dieses Buch lesen. Gemeinsam werden wir damit fertig werden müssen.

Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist noch nicht erreicht, aber er ist in Sicht. Um das Jahr 2030 herum würden wir unter Beibehaltung der alten Wachstumsmuster alle Grenzen sprengen. Weil das nicht geht, ändern sich jetzt bereits die Entwicklungsmuster. Das ist naturgesetzlich unvermeidbar! Prozesse, die einmal Millionen Jahre gedauert haben, durchlaufen wir nun in ein oder zwei Generationen. Was wir gerade durchleben, geschieht in bisher unvorstellbar kurzen Zeiträumen. Die Eigenzeit des Systems Menschheit schrumpft zusammen, und die Dichte der Ereignisse steigt. Unterdessen nimmt die allgemeine Geschwindigkeit – der Entstehung neuer Ideen, der Verbreitung von Ideen, des Warenaustauschs, der Innovationen und unseres Alltags – weiter zu.

Der historische Übergang, den wir derzeit durchleben, und die aktuellen Schwierigkeiten, denen wir ausgesetzt sind, haben wesentlich etwas mit Grenzen zu tun. In der Sichtweise des Club of Rome sind es die durch die Ressourcenknappheit vorgegebenen Begrenzungen, die durch die Aufholprozesse von Schwellenländern im Rahmen der Globalisierung erheblich verschärft werden.[15]