Laszlo Trankovits

+++ Die Nachrichtenprofis +++

Warum Qualitätsjournalismus für unsere Demokratie unverzichtbar ist (dpa)

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Laszlo Trankovits

+++ Die Nachrichtenprofis +++

Warum Qualitätsjournalismus für unsere

Demokratie unverzichtbar ist (dpa)

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71  81

60327 Frankfurt am Main

Geschäftsführung: Oliver Rohloff

1. Auflage

Frankfurt am Main 2015

ISBN 978-3-95601-187-0

Copyright

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71–81

60327 Frankfurt am Main

Umschlag

Daniela Seidel, FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH – Der F.A.Z.-Fachverlag, 60327 Frankfurt am Main

Satz

Jan Walter Hofmann, Frankfurt am Main

Grafiken:

dpa-infografik

Titelbild

© Michael Kappeler/​dpa/​picture alliance

E-Book-Herstellung

Zeilenwert GmbH 2016

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Für Clemens, Benedikt, Johanna und Marie

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

I Revolution der Nachrichtenwelt?

1 Nachrichtenprofis hinken hinterher

2 Verdrängte Wirklichkeit: Medien dominieren den Alltag

3 Medienkrise: falsche Prognosen, neue Chancen

4 Roboter drängen ins Nachrichtengeschäft

5 „Demokratisierung“ des Journalismus?

6 Digitale Medienrealitäten: Web-Giganten und Blogs

II Die Besonderheiten der Ware Nachricht

1 Wie Nachrichten entstehen

2 Standards und Praxis der Nachrichtenprofis

3 Die unbekannte Dominanz der Nachrichtenagenturen

III Wie kann sich professioneller Journalismus finanzieren?

1 Herausforderung im Web: Urheberrecht und geistiges Eigentum

2 Lässt sich mit Nachrichten Geld verdienen?

3 Die „Frenemies“: Facebook, Google und Twitter

4 Journalismus ohne Markt: Subventionen, Stiftungen, Crowdfunding

5 Finanzierung von Nachrichtenagenturen: ständiger Balanceakt

IV Newskrieg in Deutschland

1 Fast eine Kriegserklärung gegen dpa

2 Seilschaften, Verschwörungstheorien und juristische Scharmützel

3 dpa-Konzepte erregen Aufsehen

4 Strategen siegen gegen Hasardeure

V Der erbitterte Kampf um Aufmerksamkeit und Wahrheit

1 Die Wahrnehmung der Wirklichkeit

2 Antworten auf Komplexität: Emotionalisierung und Skandalisierung

3 Ausgedünnte Auslandsnetze: Wenige Reporter für Kriege und Krisen

4 Mainstream und Political Correctness

5 Die Wut auf Medien und alles andere: Trolle und Shitstorms

6 Die „gute Nachricht“

7 Wie Politik und Wirtschaft auf Nachrichten Einfluss nehmen

VI Die Zukunft der Nachrichtenagenturen

Nachwort

Danksagung

Anmerkungen

Der Autor

Vorwort

Wie glaubwürdig kann ein Buch über Medienwandel, die Bedeutung der Nachricht, der Nachrichtenagenturen und insbesondere die Deutsche Presse-Agentur (dpa) sein, wenn der Autor seit 38 Jahren für die dpa arbeitet? Ginge es nur oder vor allem um diese Nachrichtenagentur hätte diese Frage eine gewisse Berechtigung. Aber dieses Buch ist weder eine Enthüllungsgeschichte über den Mikrokosmos oder die Skandale der dpa noch eine lobhudelnde Festschrift auf die größte deutsche Nachrichtenagentur.

Es geht in diesem Buch vor allem um das Geschäft mit der kostbaren Ware Nachricht, die scheinbar immer billiger zu haben ist. Nachrichten aber sind die Grundlage aller Formen von hochwertigem, professionellem Journalismus. Hier soll die Frage beantwortet werden, ob und, wenn ja, wie Qualitätsjournalismus in der digitalen Revolution überleben kann. Denn zur Disposition stehen heute auch die über Jahrhunderte etablierten journalistischen Standards.

Dieses Buch versucht die These zu belegen, dass trotz des fundamentalen Wandels der Medienwelt sowie der Kommunikations- und Informationsstrukturen der professionelle Journalismus seine überragende Bedeutung behalten wird. Im Zentrum stehen dabei verlässliche Nachrichten, für deren Produktion es kaum ein geeigneteres Medium als unabhängige Nachrichtenagenturen geben kann.

Das Ringen der dpa um die Zukunft spiegelt exemplarisch die Problematik der digitalen Revolution für Medien, Gesellschaft und Politik wider. Denn um den Preis ihrer wirtschaftlichen Existenz muss eine Nachrichtenagentur wie dpa fast schon seismografisch auf den Medienwandel und die neuen digitalen Optionen reagieren.

Es geht für die Nachrichtenagenturen nicht allein um die großen strukturellen Änderungen, die Anpassung an die neuen und sich weiter verändernden Wünsche von Konsumenten und Medienmachern. Jeden Tag aufs Neue muss in den Agentur-Redaktionen die Frage nach den wirklich relevanten Nachrichten beantwortet werden. Dies wird immer schwieriger. Denn unsere multipolare, politisch zunehmend fragile Welt scheint immer noch komplexer und chaotischer zu werden. Auch ist der dramatische Strukturwandel der globalisierten Wirtschaft noch lange nicht beendet. Schließlich besteht das Publikum aus einer destabilisierten, fragmentierten Gesellschaft.

Fast jeder ist oft genug überfordert, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten sind da keineswegs ausgenommen. Die zunehmend säkularisierte, „entzauberte“ und von Informationen überflutete Welt hat die wachsende Verunsicherung und Orientierungslosigkeit des Einzelnen zur Folge. Schließlich zwingen der Abschied und die „Freiheit“ von traditionellen Autoritäten, wie Kirche, Partei, Ideologie oder Familie, den modernen Menschen ohnehin schon dazu, fast alles, zumindest scheinbar, „autonom“ zu bewerten und einzuordnen. Dabei nimmt nicht nur die Komplexität zu, es wachsen weiter – auch von Medien geschürt – das Misstrauen und die Skepsis gegenüber allen Institutionen, Strukturen und Hierarchien, gegenüber allen, die Macht haben. Dazu zählen schon längst auch die Medien selbst, die heute genauso schnell am Pranger stehen wie Unternehmer, Politiker, Lobbyisten oder Funktionäre.

Verlässliche Nachrichten sind in dieser verwirrenden Welt wichtiger denn je. Nur sie bieten im Chaos der Stimmen Orientierung und Halt. Professioneller Journalismus mit hoher Kompetenz und strengen Standards spielt dabei eine zentrale Rolle. Kaum ein Medium muss sich diesem Anspruch im Alltag so kontrolliert und transparent stellen wie Nachrichtenagenturen.

Unabhängig von der eigenen parteipolitischen Orientierung betrachten viele die dpa dank deren politischer Unabhängigkeit und der erwiesenen Qualitäten als einen Glücksfall für die Medienentwicklung des demokratischen Deutschland. Das Schicksal der dpa wird sich an der Frage entscheiden, ob sie ihren Platz in der neuen, digitalisierten Medienwelt wird behaupten können. Gleichgültig wie das Ergebnis sein wird: Es könnte enorme Folgen für die politische Kultur in Deutschland haben. Denn eine unabhängige Nachrichtenagentur wie die dpa zählt zu den wichtigsten Säulen der „vierten Gewalt“.

Die denkbaren Alternativen für eine Gesellschaft ohne funktionierende „vierte Gewalt“ wären für die Zukunft von Freiheit und Menschenrechten ziemlich verheerend: Ein Blick auf die Geschichte der Schreckensregime des 20. Jahrhunderts, eine Betrachtung der Diktaturen und autoritären Systeme heute belegen die direkte Abhängigkeit zwischen der Stärke freier Medien und der demokratischen Qualität eines politischen Systems.

Ohne die Versorgung der Gesellschaft mit relevanten Nachrichten wird sie geradezu blind, orientierungslos und besonders leicht manipulierbar. Denkbar wäre natürlich auch eine andere erschreckende Variante für die Zukunft. Der Zugang zu relevanten Nachrichten existiert weiterhin – aber nur noch eine Informationselite nutzt sie. Selbstgewählte Ignoranz großer Teile der Gesellschaft gegenüber den wichtigen Ereignissen und Entwicklungen könnte für die demokratische Kultur ebenso gravierende Auswirkungen haben wie staatliche Zensur und Willkür oder die übermächtige Dominanz sozialer Netzwerke. Im schlechtesten Fall wird die Verweigerung, sich ausreichend zu informieren, als Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung verbrämt.

Die überall zu beobachtende Weigerung von immer mehr Bürgern in westlichen Demokratien, ihr Wahlrecht auszuüben, ist eng verwandt mit der wachsenden Unlust auf seriöse Medien und komplexe Informationen. Politikverdrossenheit und Medienüberdruss gehen Hand in Hand. Sie können die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie ernsthaft bedrohen.

Für den Autor gibt es keinen Zweifel, dass in unserer Demokratie die „vierte Gewalt“ der Medien von keiner „fünften Gewalt“ jemals gleichwertig ersetzt werden könnte. Die einen bezeichnen die PR-Maschinerie von Politik und Wirtschaft als „fünfte Gewalt“, andere hoffen auf die „Netz-Community“ als „fünfte Gewalt“. Beide Definitionen sind im Grunde gar nicht so weit auseinander – berücksichtigt man die wirklichen Machtverhältnisse im World Wide Web. Nicht nur, dass dort Google und Facebook, Konzerne und Interessengruppen einen oft überragenden Einfluss ausüben. Auch politische Machtverhältnisse werden durchaus erfolgreich ins Netz übertragen – was schon längst, beispielsweise in Russland und China geschieht.

Journalisten haben in den vergangenen drei Jahrzehnten hautnah spüren können, welche dramatischen Veränderungen die digitale Revolution mit sich bringt. Digitalisierung, Vernetzung und Beschleunigung haben kaum einen Bereich mehr erschüttert als die Welt der Medien. Sie haben zwar heute mehr als je zuvor in der Geschichte einen zentralen Platz im Alltag der Menschen erobert. Dennoch haben traditionelle Medien an Macht eingebüßt. Digitalisierung bedeutet insofern durchaus auch ein Stück Demokratisierung.

So wie die katholische Kirche aufgrund der neuen Druckmedien nach Gutenberg das Privileg für den Zugang zur Heiligen Schrift verlor – sowohl wegen der Bibelübersetzung durch Martin Luther als auch der vielen gedruckten, kostengünstigeren Bibelausgaben –, so ähnlich verlieren Journalisten und Medien weitgehend das Privileg der umfassenden Verbreitung von Nachrichten und Berichten im öffentlichen Interesse. Aber genauso wenig wie ab dem 15. Jahrhundert die Kirche obsolet wurde, werden es die Medien und Journalisten nach der digitalen Revolution künftig sein. Professioneller Journalismus muss sich aber ebenso neu definieren wie die Medien insgesamt.

Ein Grund ist zudem der spürbare Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Skepsis und Misstrauen gegenüber den Medien bis hin zum demagogischen Vorwurf an eine angebliche „Lügenpresse“ sind Symptome für die Glaubwürdigkeitskrise, in der sich die traditionellen Medien und der professionelle Journalismus befinden.

Meinen Kindern würde ich nur noch empfehlen, Journalist zu werden, wenn sie sich wirklich darüber klar wären, dass die wahrlich goldenen Zeiten des professionellen Journalismus vorbei sind. Was nicht heißt, dass die Arbeit des Journalisten nicht noch immer faszinierend und erfüllend, vor allem aber sehr wichtig ist. Allerdings ändert sich das Berufsbild drastisch.

Gute Jobs und große Karrieren wird es in alten und neuen Medien weiter geben. Sicher auch seriöse Blogger, die als erfolgreiche Einzelkämpfer wie Journalisten arbeiten und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie in vielen anderen Branchen auch dürfen aber nur noch Stars und Führungskräfte mit hohen Einkommen rechnen. Der Wertverfall journalistischer Leistungen kratzt heftig am Glanz der einst generell privilegierten, vergleichsweise gut bezahlten Medienarbeitsplätze.

Vieles ist in der Medienwelt gleichzeitig leichter und schwerer geworden, es existiert wie in vielen Bereichen der Gesellschaft die verwirrende Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Entwicklungen. Nie zuvor konnten sich die Menschen so umfassend und intensiv über die Welt informieren wie heute – Studien deuten indes daraufhin, dass der Kirchturm-Blick allerorten zunimmt, dass sich die Interessen vor allem junger Menschen nur auf wenige Felder konzentrieren. Medien dominieren den Alltag der Menschen mehr denn je – aber zahlreiche Medien bangen um ihre Zukunftschancen.

Die allgemeine Verunsicherung über die mediale Zukunft und die einschüchternde Unübersichtlichkeit der digitalen Revolution legen es nahe, mit Prognosen und Visionen besonders vorsichtig zu sein. Wir haben im besten Fall Ahnungen, wie die Medienwelt, wie die Kommunikation zwischen den Menschen in einigen Jahrzehnten aussehen wird. Technologie wird den Wandel weiter vorantreiben. Die Weichen stellen allerdings Politik und Gesellschaft.

Sicher ist, dass demokratische Gesellschaften als Fundamente ebenso ein hochwertiges Bildungssystem wie eine ausreichende Versorgung mit relevanten Informationen brauchen. Das ist ohne professionellen Journalismus unmöglich. Aber auch wenn es ein breites Angebot an hochwertigen Informationen gibt, muss die demokratische Idee scheitern, wenn die Bürger sich nicht für die wichtigen Vorgänge in der Welt interessieren. Kaum ein Unternehmen spürt den revolutionären Wandel stärker als die dpa, ein Dienstleister aller Medien und damit direkt von deren Wohl und Wehe abhängig.

I Revolution der Nachrichtenwelt?

„Zur Hölle mit den Massenmedien“

Journalistik-Professor Jeff Jarvis1

Medien und Journalisten braucht es nicht mehr. Das zumindest propagieren die Apologeten eines neuen Informationszeitalters. Sie schwärmen von der Vision direkter, weltumspannender Kommunikation, einer digital vernetzten Welt, die zum vielzitierten globalen Dorf wird. In der Tat können wir heute auch ohne die Massenmedien von Ereignissen und Entwicklungen, sei es in der eigenen Region, sei es auf fernen Kontinenten, erfahren. Der Jahrhunderte alte Zusammenhang zwischen Nachrichten und Medien ist zerrissen. Mit Digitalisierung, Internet und Vernetzung ist für Nachrichten eine neue Ära angebrochen.

Diese historische Zäsur ist erst zwei Jahrzehnte alt. Seit Mitte der 90er Jahre eröffnet eine rasant wachsende Zahl von Blogs, Webseiten und neuen Internet-Medien sowie sozialen Plattformen und Netzwerken einen völlig neuen Zugang zum Weltgeschehen. Dank wachsender Vernetzung und rascher Verbreitung von Handys, Smartphones, Notebooks und Apple-Uhren senden nun Hunderte von Millionen Menschen ständig von allem und jedem Informationen und Bilder, Songs und Videos. Journalist ist heute potenziell jeder. Die Ressourcen, Öffentlichkeit herzustellen, liegen für alle nutzbar im Netz.

Eine unsichtbare Mauer ist zusammengebrochen. Sie trennte seit jeher die Bevölkerung von den Vorgängen in der Welt. Ohne die Arbeit der Torwächter und Schleusenwärter dieser Mauer – der Journalisten und Medien – blieben für die überwältigende Mehrheit der Menschen die Handlungen der Regierungen und Politiker, der Reichen und Mächtigen, der Stars und der Verbrecher in dunkler Ferne. Das hat sich radikal geändert. Wer möchte, hat nun einen fast uneingeschränkten Blick auf das Weltchaos, auf eine irrsinnig große Zahl von Bildern, Themen, Ereignissen, Dokumenten und Menschen, eine überwältigende Vielfalt von Informationen.

In diesen gigantischen Mitteilungsfluten befinden sich auch nachrichtenrelevante Informationen über bedeutsame, zuweilen spektakuläre Ereignisse. Manche verwechseln das mit wirklichen Nachrichten, glauben, dass der ständig aktuell genährte Informationsreichtum der digitalen Welt die traditionellen Nachrichtensysteme alter und neuer Medien weitgehend überflüssig machen werde. Dieser revolutionäre Wandel münde schließlich in der völligen Entbehrlichkeit des professionellen Journalismus. Doch gerade wenn aber unsere Welt wirklich zum globalen, digitalisierten und interaktiven Dorf werden sollte, werden deren Bewohner mehr denn je Orientierung brauchen.

Wir befinden uns mitten im Wandel

Selbst die prominentesten Protagonisten der neuen digitalen Zukunftskommunikation wissen, dass wir uns noch inmitten gravierender Strukturveränderungen befinden. Noch sei es gar nicht möglich, eine realistische Prognose zu stellen, glaubt Professor Jeff Jarvis, eine der wichtigsten Stimmen, wenn es um die Zukunft der Medien und der Kommunikation geht. „Wir wissen nicht, was das verpisste Internet überhaupt ist“, meinte der amerikanische Wissenschaftler im April 2015 bei einem Medienkongress in Perugia.2 Schließlich habe es nach der Erfindung des Buchdrucks auch 50 Jahre gedauert, bis die geniale Idee begann die Welt zu verändern, bis Bücher massenhaft gedruckt wurden. Und erst 150 Jahre später sei die erste Zeitung gegründet worden.

Auch dem von vielen verehrten Guru des neuen Medienzeitalters aus New York muss allerdings klar sein, dass im Gegensatz zu früheren Epochen technische Innovationen heute meist in sehr schnellem, zuweilen in schwindelerregendem Tempo umgesetzt werden. In der Tat lässt sich, obwohl wir uns noch inmitten des historischen Umbruchs befinden, schon heute in Umrissen erkennen, welche Folgen die digitale Ära für Kommunikation, Information und Nachrichten mit sich bringt.

1 Nachrichtenprofis hinken hinterher

„Qualitätsmedien zeichnen sich manchmal dadurch aus, was sie nicht berichten. … Der Wert der Zurückhaltung lässt sich schlecht beziffern. Man bekommt nicht mehr Traffic, wenn man nicht berichtet. Aber man weiß, dass die Menschen sich daran erinnern, wer es falsch, nicht aber, wer es richtig hatte oder sich zurückhielt.“3

Es sind nicht mehr die Korrespondenten, die uns als erste über weltbewegende Ereignisse informieren. Ob ein Tsunami in Japan, neue Unruhen in Istanbul, ein Anschlag in Boston oder ein Häuserbrand in Tröglitz: Bevor professionelle Journalisten und Medien die „breaking news“ verkünden, die erste Eil-Meldung verschicken, haben Augenzeugen, Rettungskräfte oder Behörden, zuweilen auch Opfer oder Täter, längst über Twitter oder Instagram die ersten Informationen und Bilder geschickt.

Dank der Video-Stream-App „Persicope“ besteht seit Anfang 2015 zunehmend die Möglichkeit, am Smartphone Augenzeuge von Ereignissen zu sein, die auch Tausende von Kilometern entfernt sein können. „Periscope wird die Art und Weise verändern, wie wir die Welt sehen”, meint der TV-Moderator und Blogger Richard Gutjahr.4 Den Schaden werde das Fernsehen haben, vermutet der renommierte Medienexperte.

In dieser neuen Welt hinken Medien und Journalisten in der Regel in ihrer Berichterstattung über wichtige Vorfälle oder Entwicklungen hinterher. Der neue Maßstab heißt vor allem Twitter. Aber niemand sollte die Ambition haben, den Kurznachrichtendienst mit seinen Millionen Quellen bei der Geschwindigkeit zu schlagen. Die Langsamkeit der Medien wird vermutlich sogar noch vielfach zunehmen – denn die Zahl von Informationen und Berichten, hinter denen Propaganda, Desinformation oder Sensationsheischerei steht, droht weiter zuzunehmen. Das Beharren auf verlässliche Quellen jedoch erzwingt zuweilen aufwändige Recherchen.

Seine Existenzberechtigung schöpft der professionelle Journalismus genau aus seiner Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit, seiner Fähigkeit zu gewichten, zu sortieren, einzuordnen und zu erklären. Für Nachrichtenprofis sind in dieser Hinsicht die neuen digitalen Realitäten oft auch schmerzlich. Schließlich kontrollieren Nachrichtenagenturen traditionell bis hin zu den Minuten-, zuweilen sogar Sekundenabständen, welches Medium, vor allem aber welche Nachrichtenagentur mit einer wichtigen Eil-Meldung zuerst auf dem Markt war. Das ist heute zwar noch wichtig, aber dennoch ganz anders als früher.

Als Reich-Ranicki starb

Wegen der geradezu pedantischen Prinzipientreue müssen die dpa-Macher in der Berliner Redaktion nicht selten sogar den Spott der Kunden ertragen. Als am Nachmittag des 18. Septembers 2013 der damalige Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), Frank Schirrmacher, mit einem Tweet den Tod des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki verkündete, suchte dpa vergeblich nach einer raschen Bestätigung. Deshalb wurde nur folgender Hinweis gesendet:

(Achtung – unbestätigte Information über Todesfall – Diese Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt)

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist laut einem Twitter-Eintrag von „F.A.Z.“-Herausgeber Frank Schirrmacher gestorben. dpa bemüht sich um eine Bestätigung.

Darüber mokierte sich dezent mit ein paar Anführungszeichen auf Twitter der ZDF-Redakteur Nick Leifert:

dpa „bemüht“ sich um eine Bestätigung. RT „@fr_schirrmacher: Marcel Reich-Ranicki ist im Alter von 93 Jahren gestorben.“

dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger reagierte mit einem Tweet:

Bei Todesmeldungen sichern wir uns immer zusätzlich ab. Das unterscheidet Agenturmeldungen von Retweets.

Hintergrund für diese Vorsicht: „Auch verifizierte Twitter-Accounts können von Profis gehackt werden – vielleicht sogar ganz gezielt, um zu demonstrieren, wie einfach und blitzschnell sich Falschmeldungen weltweit verbreiten lassen“, betont Homburger. Auf solche Fakes hereinzufallen, sei für seriöse Medien schon bei weniger dramatischen Ereignissen schlimm genug, „bei einer Meldung über den Tod eines Prominenten ist es für alle Beteiligten verheerend.“ Solch schmerzlichen Erfahrungen mussten am 3. Juni 2015 zahlreiche Medien in aller Welt – beispielsweise Bild.de und NBC.com – machen, als sie einem unbeabsichtigt gesendeten Tweet einer BBC-Journalistin aufsaßen, die den angeblichen Tod von Königin Elizabeth meldete.

Bekenntnis zur Langsamkeit

Die dpa-Macher nehmen in Kauf, dass Konkurrenten oft sehr viel schneller berichten, auch bei besonders spektakulären Ereignissen. Am Abend des grauenvollen Mordens in Oslo und auf der Insel Utøya (22. Juli 2011), als es nach den ersten Informationen noch ein sehr unklares Bild gab, wie viele Menschen der rechtsradikale Täter Anders Breivik insgesamt getötet hatte, berichtete dpa über Stunden hinweg nur von zehn Toten auf der Insel. Mehr hatten die Behörden nicht bestätigt.

Lediglich der norwegische Sender NRK meldete, dass dort mehr als 20 Menschen erschossen worden waren. Mehr Informationen gab es für viele Stunden nicht. Also sendete dpa diesen Hinweis an die Redaktionen

(Eil – Achtung)

Bei der Schießerei auf der norwegischen Insel sind laut einem Bericht des norwegischen Senders NRK möglicherweise mehr als 20 Menschen getötet worden. NRK beruft sich allerdings lediglich auf einen Zeugen und betont selbst, dass diese Zahlen nicht bestätigt sind. dpa bemüht sich um eine Bestätigung.

Bis zum frühen Morgen des folgenden Tages blieb dpa in den Meldungen und Zusammenfassungen bei der Zahl von zehn Opfern. Auffallend war, dass viele Medien höhere Zahlen nannten, ohne auf die unsichere Quellenlage zu verweisen. Erst um kurz nach vier Uhr morgens, nachdem die Polizei es bestätigt hatte, sendete dpa dann mit „Eil“: Mindestens 80 Tote.

Wie schwierig akkurate Berichterstattung bei dramatischen Vorgängen ist, zeigt die Tatsache, dass sich später die Polizei korrigieren musste. Insgesamt waren 77 Menschen, also nicht „mehr als 80“, umgebracht worden.

Gösmann: Wir konkurrieren nicht mit Twitter

„Wir konkurrieren nicht mit Twitter und Facebook, wir wollen die Ersten sein, die korrekt und gesichert berichtet“, betont dpa-Chefredakteur Sven Gösmann das Prinzip aller seriösen Nachrichtenagenturen. „Professionelle Journalisten bleiben wichtig, aber einige müssen ihre Rollen neu definieren, sie sind nicht mehr Verfasser von ‚breaking news‘, sondern verantwortlich für Kontext, Analyse und Hintergrund“, sagt auch der Ex-Reuters-Chef Tom Glocer.5

Die Notwendigkeit, zwischen Gerüchten, Lügen und Wahrheiten, zwischen akkuraten Informationen und dreisten Fälschungen, zwischen authentischen Zitaten und wilden Phantasiegespinsten zu unterscheiden, gewinnt mit der weiter wachsenden Unübersichtlichkeit der Informationsfluten noch an Gewicht. Selbst O-Töne, Fotos und Videos bergen eine Unzahl von Möglichkeiten der Manipulation und Verfälschung. Dabei gelingt es nur in Ausnahmen, Agenturen zu überlisten.

2008 gelang dies den iranischen Militärs mit der französischen Nachrichtenagentur AFP. AFP verbreitete Anfang Juli 2008 offizielle Fotos aus Teheran über einen angeblich erfolgreichen Raketentest. Um die Fehlzündung der Rakete zu kaschieren, hatten die Iraner allerdings ein Geschoss mitsamt Schweif über den Blindgänger kopiert. Die plumpe Bildfälschung gelangte sogar auf die Titelseite der Chicago Tribune und die Website der New York Times (NYT).6

dpa verbreitet manipulierte Fotos von Google

Auch bei dpa sind zwei Mal in den vergangenen Jahren unzulässig bearbeitete Bilder in den Dienst gelangt. Als im Mai 2014 der Europäische Gerichtshof Google verpflichtete, bestimmte Artikel über einen spanischen Kläger nicht mehr zu verlinken, fanden die Redakteure von Online-Portalen vieler Zeitungen wie der Süddeutschen (SZ), der Frankfurter Rundschau (FR) oder der Welt in der dpa-Bilddatenbank ein Foto, das von Google stammte. Man sah eine Google-Angestellte, die einsam zwischen riesigen Serverschränken am Laptop sitzt und Wartungsarbeiten vornimmt.

Der Mediendienst bildblog.de machte auf die – bereits früher aufgefallene – Fälschung aufmerksam bei der die Google-Fotografin „aus ästhetischen Gründen Korrekturen“ vorgenommen hatte.7 Allerdings wurden nicht nur Kontraste und störende Lichtflecke bearbeitet, sondern die ganze Aussage des Bildes digital verändert. Der breite Gang neben der Google-Mitarbeiterin wurde in der Nachbearbeitung mit einem Serverschrank überdeckt, so dass die Frau komplett von Computern eingeschlossen scheint.

Im Februar 2015 musste ein Foto mit dem Extremsportler Martin Szwed zurückgezogen werden, das er dpa gegeben hatte. dpa musste sich schließlich mit folgender Notiz an die Kunden wenden:

!! Achtung!!! – – – – – – – Sperrung – – – – – – – –!!! Achtung!!!

Die Deutsche Presse-Agentur hat in Text und Bild über den Extremsportler Martin Szwed und ein Verfahren des Umweltbundesamtes gegen ihn berichtet. Nachdem Zweifel an einem angeblichen Südpol-Rekord Szweds aufkamen, hat der Sportler jetzt eingeräumt, ein Foto, das ihn am Pol zeigen soll, manipuliert zu haben. Die dpa zieht das manipulierte Foto und weitere Bilder Szweds zurück. Bitte verwenden Sie deshalb und wegen der ungeklärten Sachlage auch die früheren Berichte zu dem Fall nicht mehr.

Ob Informationen millionenfach verbreitet werden, ob Berichte von Betroffenen oder Augenzeugen stammen, ob Darstellungen von Institutionen oder anderen Autoritäten kommen – über die Seriosität von Quellen, den Wahrheitsgehalt und die Qualität der Inhalte, oft auch über die wahre Identität des Absenders, lässt sich beim ersten Blick auf TweedDecks oder den Facebook-Feed oft nur schwer urteilen.

Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut

Die Verlässlichkeit einer Information liegt in der Glaubwürdigkeit des Absenders begründet. Nur wer mit dem Instrumentarium und den Standards des seriösen Journalismus vorgeht, kann die Qualität von Informationen einschätzen, ist in der Lage, sie zu gewichten, einzuordnen, zu erklären und mit Hilfe von Hintergründen und Recherchen aus der Momentaufnahme ein verständliches Abbild der Ereignisse zu geben. Als Prinzip der täglichen Arbeit eines Profis gilt das ständige Bemühen um Sachlichkeit und Distanz, die Prüfung und Nennung von Quellen, in vielen Fällen, wie bei politischen Themen, die Verweise auf unterschiedliche Sichtweisen.

In der Regel beherrschen das nur professionelle, gründlich ausgebildete Journalisten. Zwar finden sich auch auf Blogs, Webseiten und sozialen Plattformen immer wieder Beiträge von Amateuren, die sichtlich das journalistische Handwerk beherrschen. Für den Leser und User ist das allerdings nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wer mit seinen Geschichten und Meldungen in der Öffentlichkeit ernst genommen werden möchte, sei es der einsame Blogger oder das einflussreiche, neue Internet-Medium, unterwirft sich für eine seriöse Berichterstattung rasch den traditionellen journalistischen Prinzipien. Die nämlich sind unverzichtbar und stehen trotz digitaler Revolution nicht zur Disposition.

Irreführende Klischees

In der aktuellen Mediendiskussion wird häufig der angebliche Gegensatz zwischen dem althergebrachten Journalismus und den neuen Formen der Information in der digitalen Welt betont. Als Klischee dient der sendungsbewusste, zuweilen arrogante Redakteur, der seinen Lesern oder Zuschauern vorschreibt, was sie für wichtig und interessant zu halten haben – linearer Journalismus eben, vom Kommunikator zum Rezipienten. Ganz anders dagegen orientierten sich der mutige Blogger, der kreative Bürgerjournalist oder die neuen Autoren auf sozialen Plattformen an ihren Kunden, hätten ihr Ohr am Puls der Menschen. Zudem werte schon allein die Interaktivität diesen angeblich neuartigen Journalismus massiv auf. Einer Überprüfung hält dieser Stereotyp kaum stand.

Unparteiisch und historisch betrachtet ist es nicht wirklich von Bedeutung, wer die Aufgabe wahrnimmt, die Gesellschaft adäquat zu informieren, wer mit welchen Medienformen damit Geschäfte macht. Selbst die Machtverhältnisse in den verschiedenen Mediensystemen, die Bedeutung einzelner Verleger, der Einfluss öffentlich-rechtlicher Einrichtungen, sind letztendlich von nachrangiger Bedeutung, solange bei der Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren strikt die journalistischen Standards gewahrt bleiben. Sie sind wahrscheinlich genauso universell – wenngleich natürlich nicht so bedeutsam –, wie es die Menschenrechte sind.

Wer die Menschen informiert und ob diese Aufgabe für Journalisten oder Medien allein existenzsichernd ist, welche Kanäle, Portale oder Formen der Kommunikation oder Arten von Medien genutzt werden, ist für die Bedeutung des Journalismus unerheblich. Er bleibt das wesentliche und nicht ersetzbare Instrument für Information und Kontrolle in der demokratischen Gesellschaft. Für die Journalisten und Medien heute geht es bei dem dramatischen Strukturprozess verständlicherweise um Arbeitsplätze und Geschäftsinteressen. Für die Gesellschaft muss es darum gehen, dass das Prinzip Journalismus überlebt und stark bleibt. Der Königsweg dazu ist sicher ein funktionierender Markt, auf dem sich Journalismus auch finanziell lohnt.

Es gibt keinen Ersatz für Journalismus

Die digitale Revolution berührt trotz der enormen Folgen für die gesamte Gesellschaft, für die Wirtschaft, Politik und Kultur, nicht die Kernaufgabe des seriösen Journalismus. Dessen Stellung in der Demokratie gleicht eher den hehren Aufgaben der unabhängigen Justiz. Die „Revolution“ in der Nachrichtenwelt ist vor allem technisch und strukturell. Substanz und Funktion werden kaum berührt. Qualitätsjournalismus dient in erster Linie der Information der Bürger und der Kontrolle der Regierenden und Mächtigen.

Die Definition des ersten dpa-Chefredakteurs Fritz Sänger aus dem Jahr 1978 mag zwar sprachlich veraltet klingen, im Kern ist sie nach wie vor gültig: „Die moralische Position der Presse in der Demokratie ist die eines Helfers für den Staatsbürger. Sie soll zu diesem Zweck Regierung, Parlament und das öffentliche Leben in allen Bereichen kontrollieren, Wissenswertes aus Heimat und Welt berichten und so dem Bürger die Kenntnis vermitteln, die er benötigt, um sich zu orientieren, selbst eine Meinung zu gewinnen und dann eine Entscheidung zu finden. So will es die Verfassung, die den Bürger als Quelle der Staatsgewalt bezeichnet.“8

Debatten über die Zukunft der Nachricht kranken oft an einem einseitigen Verständnis, was Nachrichten sind. Dabei dominiert eine übertriebene Fixierung auf Nachrichten über spektakuläre Ereignisse, Kriege und Katastrophen, Unruhen und Anschläge. Die Masse der Nachrichten in den Medien spiegelt aber die tägliche Entwicklung in Politik und Gesellschaft, Sport und Kultur wider. Wahlen, Bürgerproteste, Steuerreform, Flüchtlingsproblematik oder Autobahn-Maut – das sind Themen, die viele Menschen in Deutschland beschäftigen. Möchte sich jemand komprimiert, aber dennoch umfassend ein Bild machen, relativiert sich die Bedeutung von Bloggern und sozialer Plattformen schnell, gewinnt das Konzept der strukturierten, überschaubaren Medienberichterstattung enorm an Attraktivität.

Mut und Sturheit gefordert

Medien sind gut beraten, sich zur Langsamkeit zu bekennen. Auch wenn es dem Abschied von der alten Identität gleichkommt, der Aufgabe eines lang verfolgten Ideals: Nachrichtenagenturen ebenso wie elektronische Nachrichtenkanäle haben auch künftig noch den traditionellen Ehrgeiz, „als Erste zu berichten, aber als Erste richtig“ – allerdings wird es in der Realität wohl in den meisten Fällen um das „Richtige“ gehen, nicht darum, „Erster“ zu sein.

Dieses eherne Prinzip gehört schon immer zum Kern des Qualitätsjournalismus. Nur hat es heute angesichts der neuen Konkurrenz eine völlig andere Konnotation. Es braucht einen neuen Mut und altmodisch sture Pedanterie, nicht zu berichten, wenn scheinbar schon alle berichten. Im Extremfall bedeutet das: Niemand wird in der aktuellen Berichterstattung langsamer sein als die seriöse Nachrichtenagentur. Daran müssen alte Hasen des Journalismus erst mal kauen.

dpa-Blitzmeldungen

Meldungen und Berichte werden von Nachrichtenagenturen je nach Wichtigkeit mit verschiedenen Prioritäten gesendet. Die drei schnellsten Prioritäten sind „Blitz“, „Eil“ und „Vorrang“. „Blitz“ bedeutet bei dpa ein „völlig überraschendes, weltweit interessierendes Ereignis“.

Die Liste der 33 „Blitz“-Meldungen seit 1951 bis Sommer 2015

13. 03. 2013:

Argentinier Jorge Mario Bergoglio neuer Papst

11. 02. 2013:

Papst Benedikt XVI. gibt Pontifikat am 28. Februar auf

17. 02. 2012:

Bundespräsident Wulff tritt zurück

31. 05. 2010:

Köhler erklärt Rücktritt

09. 10. 2009:

Friedensnobelpreis 2009 geht an Barack Obama

19. 04. 2005:

Ratzinger zum Papst gewählt

02. 04. 2005:

Ansa: Der Papst ist tot

20. 03. 2003:

Weißes Haus: Die Entwaffnung des Iraks hat begonnen

04. 11. 1995:

Der israelische Ministerpräsident Izchak Rabin ist tot

07. 05. 1995:

TV-Hochrechnung: Chirac zum französischen Präsidenten gewählt

23. 05. 1994:

Herzog zum Bundespräsidenten gewählt

04. 10. 1993:

Die Aufständischen im Weißen Haus ergeben sich den Jelzin-treuen Truppen

04. 11. 1992:

Bill Clinton zum 42. Präsidenten der USA gewählt

21. 08. 1991:

Jelzin: Notstandskomitee fliegt aus Moskau ab

20. 06. 1991:

Der Bundestag hat sich für Berlin als Parlaments- und Regierungssitz ausgesprochen

24. 02. 1991:

US-Präsident Bush: Ich habe die Offensive in Kuwait angeordnet

15. 02. 1991:

Bagdad stimmt Rückzug aus Kuwait zu, meldet irakische Nachrichtenagentur INA

03. 10. 1990:

Die Deutschen sind nach 45 Jahren Trennung wieder in einem Staat vereint

18. 10. 1989:

ADN: Egon Krenz zum Generalsekretär des ZK der SED gewählt

18. 08. 1988:

Das Geiseldrama ist beendet, erklärt die Polizei

01. 10. 1982:

Helmut Kohl ist neuer Bundeskanzler. Helmut Schmidt über konstruktives Misstrauensvotum gestürzt

06. 10. 1981:

Ägyptischer Staatspräsident Sadat bei Attentat getötet

29. 09. 1978:

Papst Johannes Paul I. ist gestorben

19. 10. 1977:

Schleyer tot aufgefunden

18. 10. 1977:

GSG 9 befreite Geiseln

24. 04. 1975:

Botschaft (Stockholm) gesprengt

09. 08. 1974:

US-Präsident Richard Nixon erklärt Rücktritt

27. 04. 1972:

Amtlich: Brandt bleibt Kanzler – keine absolute Mehrheit für Barzel

20. 07. 1969:

Apollo 11 Fähre auf Mond gelandet

19. 04. 1967:

Adenauer gestorben

22. 11. 1963:

Kennedy tot

04. 07. 1954:

Deutschland Fußballweltmeister durch 3:2-Sieg über Ungarn

20. 08. 1952:

Kurt Schumacher gestorben

19. 10. 1951:

Truman unterzeichnet Entschließung zur Kriegsbeendigung mit Deutschland

2 Verdrängte Wirklichkeit: Medien dominieren den Alltag

„Information ist der Kitt der Gesellschaft.“

US-Mathematiker Norbert Wiener (1894 - 1964)

Früher lasen die Menschen in Wartezimmern, Bussen und Cafés Zeitungen, Zeitschriften oder manchmal ein Buch. Heute kann man kaum einen öffentlichen Raum betreten, in dem nicht, vor allem junge Menschen, auf die Displays ihrer Smartphones oder Tablets starren. Sie lesen, sie amüsieren sich, spielen oder kommunizieren. Umfragen belegen, dass für die Digital Natives kaum etwas schlimmer wäre, als ohne ihr Handy zu leben.

Für den britisch-schweizerischen Schriftsteller Alain de Botton haben „Nachrichten in der modernen Gesellschaft dieselbe Dominanz wie einst die Religion“.9 Das mag etwas übertrieben und verkürzt erscheinen. Aber in der Tat orientieren sich die Menschen in ihren Sichtweisen und Handlungen mehr denn je an der wahrgenommenen Wirklichkeit und dann daran, wie es die anderen machen, wie die anderen denken. Nicht Kirche oder Politik geben die Werte vor, sondern die „Realität“, sprich die von Medien vermittelte Wirklichkeit und die Reaktionen der Menschen. Deshalb haben Umfragen – egal, ob es um Sexualmoral, Sterbehilfe oder den Euro geht – so einen enorm hohen Stellenwert.

Zehn Stunden Medienkonsum

Für die Menschen heute stehen Medien im Zentrum des Alltags. Inzwischen sind es schon mehr als zehn Stunden, in denen der deutsche Durchschnittsbürger Smartphone und Fernsehen, Radio und Internet, Zeitungen und Zeitschriften nutzt.10 Der Medienkonsum hat sich in wenigen Jahrzehnten vervielfacht, in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt. Nachrichten über Politik und Gesellschaft spielen dabei, was die aufgewendete Zeit angeht, eine eher untergeordnete, inhaltlich aber eine wichtige Rolle.

Am rasantesten zugenommen hat die durchschnittliche tägliche Verweildauer im Internet. Von 17 Minuten zur Jahrtausendwende stieg sie kontinuierlich an bis auf 111 Minuten im Jahr 2014. Immer weniger Zeit wird der gedruckten Zeitung gewidmet, inzwischen sind es statistisch gesehen nur noch 23 Minuten – wobei ohnehin nur jeder Zweite über 14 Jahren überhaupt zur Zeitung greift. Lediglich sechs Minuten Aufmerksamkeit gilt der Zeitschrift.

Auffallend allerdings auch: 37 Prozent der Menschen in Deutschland nutzten demnach 2014 das Internet noch gar nicht. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass es durchaus viele Jahre braucht, bis sich technologischer Fortschritt wirklich voll umgesetzt wird.

In den USA dominieren die Medien den Alltag noch mehr: Statistisch beträgt der Medienkonsum täglich mehr als zwölf Stunden.11 Für Zeitungen und Zeitschriften bleiben hier nur jeweils 21 Minuten Aufmerksamkeit.

Weltweit betrachtet sieht der Medienkonsum noch einmal etwas anders aus. Einer Umfrage des Weltverbands der Zeitungen und Nachrichtenmedien (WAN-IFRA) zufolge verbrachte der globale Medienkonsument 2014 statistisch betrachtet täglich „nur“ etwas mehr als sechs Stunden mit Medien. Dabei dominieren die mobilen Geräte wie Smartphone und Tablet, auf denen der Durchschnittsmensch 134 Minuten starrt. Danach folgten das Fernsehen mit 81 Minuten, der Desktop-Computer mit 70 Minuten, das Radio mit 44 Minuten und gedruckte Blätter mit 33 Minuten.12

Ein Medium ist oft nicht genug

Medienexperten verweisen auf die wachsende Rolle des Phänomens „second screen“ (zweiter Bildschirm), das heißt die gleichzeitige Nutzung zweier Medien. Das „Beratungs- und Marktforschungsinstitut Initiative“ kam sogar zu dem Ergebnis, dass inzwischen drei von vier Deutschen während des Fernsehens nebenbei auf ihr Smartphone, das Tablet oder Notebook schauen.13 Das gelte insbesondere für die 14 bis 29-Jährigen. Das Fernsehprogramm werde nur noch als Berieselung wahrgenommen, so die Studie.

Diese Angaben scheinen zwar etwas überzogen zu sein. Ein Hinweis darauf ist auch, dass die „Second-Screen“-Nutzer in erster Linie Informationen über das aktuelle TV-Programm suchen – also vermutlich nicht ununterbrochen während der Sendungen andauernd im Web surfen, spielen oder kommunizieren. Dennoch spricht vieles für den Trend, dass viele sich gleichzeitig mit zwei Medien (beispielsweise Radio und Zeitschrift oder Zeitung) beschäftigen.

Segen der digitalen Zeit

Der enorme Medienkonsum ist nur eine der vielen Folgen der digitalen Revolution. Sie erweist sich für die Menschheit vor allem als ein ungeheurer Segen. Wie schon bei der industriellen Revolution werden nun wieder viele Waren und Dienstleistungen billiger und vor allem für viele Menschen leichter zugänglich. Vor allem aber eröffnet sich der globale Zugang zu Wissen, Informationen und Kommunikation.

Oft werden vor allem die Schattenseiten des digitalen Wandels betont, wie der Niedergang mancher Branchen, der Verlust vieler Arbeitsplätze, die beunruhigende Veränderung unseres gesamten Alltags sowie die neuen Herausforderungen durch weiter wachsende Komplexität, die Gefahren von „Big Data“ in Händen mächtiger, neuer Konzerne. Dabei beschert uns die digitale Zeit natürlich auch grandiosen, wunderbaren Fortschritt und eröffnet faszinierende Perspektiven.

Wer weiß das besser als ein Reporter? Allein das Handy bedeutet einen Quantensprung für aktuelle Berichterstattung. Sie ist nun im Prinzip jederzeit von jedem Ort der Welt aus möglich.

Für mich unvergesslich, wie ich, im April 1992, damals als Auslandskorrespondent in Rom, das an einem Sonntag für mich entdeckte. ich war mit meinen kleinen Kindern im Zoo, als mich ein Alarmanruf aus der Zentrale ereilte; dank meines Handys konnte ich nach ein paar Anrufen auf einer Parkbank vor dem Affenkäfig sitzend Meldung und Zusammenfassung über den Skandal in der sozialistischen Regierungspartei nach Hamburg in die Zentrale durchgeben – und dann entspannt meinen Zoospaziergang fortsetzen. Goldene Zeiten für Reporter, jubelte ich – nicht ahnend, dass in jenen Jahren die Zeit anbrach, wo zumindest Auslandskorrespondenten rund um die Uhr ansprechbar und arbeitsbereit sein mussten.

Bereits das Handy – selbst noch ohne Internetanbindung – hat das Leben der Menschen weltweit tiefgehend verändert: Millionen Menschen müssen sich nun erheblich weniger Sorgen um abwesende Kinder oder kranke Verwandte machen, weil sie mit ihnen in Kontakt bleiben können. Noch nie gab es nach Unfällen, Katastrophen und Verbrechen ein Alarmsystem wie das Handy. Millionen Kleinbauern in Entwicklungsländern profitieren von den neuen Optionen beim örtlichen Handel, bei Kleinkrediten oder Geldtransfer. Schließlich nutzt auch der Widerstand in autoritär geführten Staaten die deutlich schwerer zu kontrollierende Kommunikation.

Aber die digitale Revolution konfrontiert die Menschen natürlich auch mit einer neuen, verunsichernden Unübersichtlichkeit und verwirrenden Komplexität. Laute Zeiten der Kakophonie sind angebrochen. Ein Klang- und Bilderteppich von zigtausenden Fernseh-, Radio- und Webprogrammen bedeckt die Kontinente. Der Globus dröhnt vor rasender Geschäftigkeit und permanenter Kommunikation. Milliarden Daten schwirren jede Minute über die Erde – im Unterschied zu früher bleiben Millionen Stimmen nicht mehr am Ort des Geschehens, sondern sind dank sozialer Plattformen für große bis gigantische Gruppen vernehmbar.

Medien verlieren Deutungshoheit

Traditionelle Medien drohen, zu den Verlieren der neuen Ära zu werden. Zum einen sind Internet-Medien mit neuen journalistischen Konzepten und Geschäftsmodellen überaus erfolgreich. Zudem verstehen sich immer mehr Politiker, Unternehmen, Verbände und Institutionen jeweils selbst als Medium und kommunizieren direkt mit ihren jeweiligen Zielgruppen. Hinzu kommt die anarchische Welt der Blogger und sozialen Plattformen. Sie alle fungieren als Medien und kämpfen um das begehrteste Gut in dieser Informations- und reizüberfluteten Welt: um Aufmerksamkeit.

Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften haben inzwischen massiv an Informations- und Deutungshoheit eingebüßt. Unabhängige Nachrichtenagenturen haben sich ungeachtet manch ökonomischer Turbulenzen bezüglich der Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft und in der Branche zwar außergewöhnlich gut behauptet. Aber auch eine Agentur wie dpa spürt die heftigen, neuen Winde einer Kultur, die von einer allgemeinen Verunsicherung, oft auch Wut und von grundsätzlicher Skepsis gegenüber allem und jedem gekennzeichnet ist.

3 Medienkrise: falsche Prognosen, neue Chancen

„Wir stehen am Anfang einer Epoche, vor der mir graut.“

Stanislaw Lem, 199614