Über das Buch:
Die bewegende Geschichte von Palko, dem Findelkind. Auf seiner Suche nach dem „Sonnenland“ findet er zur Bibel und durch sie zur Erfüllung seines Lebenswunsches.

Über die Autorin:
Kristina Roy wurde 1860 in Stará Turá (Slowakei) geboren, wo sie 1937 auch starb. Sie blieb unverheiratet und hat sich zeitleben in der Blaukreuzarbeit und im Aufbau lebendiger Bekenntnisgemeinden engagiert. Durch ihre heimatverbundenen Bücher, die eine klare christliche Botschaft auszeichnet, ist sie eine beliebte Volksschriftstellerin geworden.

Lesinas kleiner Begleiter

Am nächsten Vormittag verließ Lesina in Palkos Begleitung unweit des Dorfes K. die Berge. Lesina trug seine ziemlich schwere Last auf der Schulter. Palko trug ihm seine Kleidungsstücke in einem Bündel.

„Onkel, kommt Ihr bald wieder?“, fragte der Knabe freundlich.

„Ich weiß es nicht, Palko.“ Der Mann riss sich von seinen düsteren Gedanken los. „Ich möchte dir etwas mitbringen, wenn ich wiederkomme. Was hättest du denn gern?“

„Ach, Onkel, wenn es Euch nicht gar zu viel kostet, dann bringt mir doch, bitte, einen Bleistift und so ein kleines Büchlein, in das ich etwas schreiben könnte.“

„Nun, das kann ich dir bringen, denn du hast mich gar eifrig bedient. Der Großvater hat mir dein Geld mitgegeben, damit ich dir einen Anzug kaufe; du sollst auch einen Hut von mir bekommen. Neue Stiefel hast du schon bestellt; dann kannst du im Winter zur Schule gehen und lernen, was du noch nicht weißt.“

„Einen Hut wollt Ihr mir kaufen? Da bin ich froh, denn diesen habe ich schon so lange, dass er ganz löcherig ist. Ach, ich koste Großvater ohnehin schon genug. Wenn ich es ihm nur besser vergelten könnte!“

„Nun, wenn du größer wirst, kannst du ihm eine gute Stütze sein. Auch jetzt hilfst du ja schon allerlei. Er sagte mir, seine Söhne seien in Amerika und auch seine Töchter weit weg verheiratet. Wo sind denn deine Eltern? Bist du das Kind eines Sohnes oder einer Tochter des alten Juriga?“

„Ach woher, Onkel! Großvater hat mich ja nur für einen Gotteslohn angenommen, weil ich keinen Menschen hatte. Mein Großvater hieß Razga; er starb vor zwei Jahren. Wir waren in die Berge gekommen, aber da wurde er krank, und so blieb ich bei Großvater Juriga.“

„So bist du also eine Waise? Ah, da könntest du mit mir gehen, ich habe auch niemanden!“ Der Mann streckte dem Knaben die Hände entgegen.

„Habt Ihr denn keine Kinder daheim?“

„Nein. Schade, dass ich Großvater nicht vorher davon etwas sagen konnte! Aber dort kommt Onkel Lischka, der könnte wohl dem Großvater berichten, dass du mit mir gegangen bist.“

Einen Augenblick schien dem Knaben das Anerbieten verlockend. Zum erstenmal im Leben sollte er eine fremde Gegend, ein weiteres Stückchen Welt sehen! Aber plötzlich schüttelte er den Kopf:

„Was würde der Herr Jesus dazu sagen, wenn ich dem Großvater einfach davonliefe? Wer würde ihm Wasser holen und ihm die Suppe kochen? Nein, Onkel, Gott befohlen! Kommt bald wieder: Ihr werdet uns fehlen!“

„Und wie wird mir wohl zumute sein!“, dachte der Mann. Aber er überredete Palko nicht weiter. Der Knabe hatte recht; er durfte Juriga nicht im Stich lassen.

„Nun gehe heim“, sagte er nach einer Weile, „sonst überrascht dich die Nacht; ich kann das Bündel ganz gut allein tragen.“ Aber Palko wollte davon nichts wissen.

„Ihr tragt ohnehin schwer genug, Onkel“, meinte er. „Auf dem Rückweg kann ich dann um so besser laufen.“

„Aber du könntest im Dunkel den Weg verfehlen. Der Mond scheint heute nicht.“

„Oh, ich verirre mich nicht, ich bin doch schon so oft hier gegangen! Großvater Razga pflegte zu sagen, dass solche Kinder, die einst in den Bergen gefunden wurden, sich nie mehr in den Bergen verirren können.“

„So habe ich euch doch noch eingeholt“, ertönte in diesem Augenblick Lischkas Stimme. „Junge, gib mir das Bündel und lauf, was du kannst, damit dich die Nacht nicht unterwegs überrascht.“

„Also, geht mit Gott, Onkel Lesina, und Ihr auch, Onkel Lischka!“ Der Knabe drückte den Männern die Hand und eilte davon.

„Grüße den Großvater!“ riefen sie ihm nach. Und dann verschwand er in den Bergen wie ein kleiner Sonnenstrahl.

Im Forsthaus

„Hört einmal, Onkel, dieser Lesina war den ganzen Weg so wunderlich“, erzählte Lischka am nächsten Tag seinem alten Freund. „Er sprach die ganze Zeit kaum ein Wort. Ob ihn wohl etwas bedrückt?“

„Der Arme!“, dachte Juriga. „Er hat freilich schwer genug an dem zu tragen, was ihn bedrückt.“ Lischka sagte er nur, dass Lesina daheim eine kranke Frau habe, die ihm viel Sorge mache.

„Nun, Gott mache sie ihm bald wieder gesund, damit er bald wieder zu uns kommt!“

Die beiden Männer hatten sich nicht getäuscht. Sie fühlten sich wirklich recht einsam ohne Lesina, um so mehr, als sie auch Palko nicht daheim hatten. Der Förster hatte nach ihm geschickt, er sollte den Herrn Pfarrer bedienen und ihn in den Bergen umherführen; denn das Kind war in den Bergen zu Hause wie kein anderes.

„Lasst ihn ziehen“, sagte der Waldhüter, der den Auftrag des Försters überbrachte. „Der geistliche Herr wird es nicht umsonst von Euch verlangen. Er ist ein großer Kinderfreund, und Palko wird es sehr gut bei ihm haben.“

Juriga war begierig, was Palko dazu sagen würde, und er wunderte sich über den Jubel des Knaben. Der sprang vor Freude, als er diese Nachricht vernahm.

„Das ist ein gar guter Herr“, erzählte er dem Großvater, „und ich habe ihn sehr gern.“

Nun begann ein Leben für Palko, wie er es sich nie hätte träumen lassen. Im Forsthaus schlief er auf dem Sofa in derselben Stube wie Pfarrer Malina.

Und wie schön war es da! Des Morgens tranken sie Milch nach Herzenslust, dann steckte ihnen die Frau Försterin einen Imbiss in die Tasche, und dann ging es fort. Gar oft führte Palko den Herrn Pfarrer an grausigen Schluchten entlang, dann wieder galt es, Bächlein zu überspringen und an Felsen emporzusteigen, aber der Herr Pfarrer folgte ihm willig überall hin. Er trug auch eine Tasche, in die er Pflanzen, Blumen und Moose sammelte, und er war seinem kleinen Führer dankbar, weil dieser ihm die schönsten Plätzchen zu zeigen wusste.

Nachdem sie tüchtig gelaufen waren, legte er sich auf eine Reisedecke, die ihm der Knabe trug. Und dann lehrte er ihn die Namen der Pflanzen kennen sowie manche andere nützliche Dinge.

Als er sah, dass Palko schon gut lesen konnte, fing er an, ihn schreiben und rechnen zu lehren. Hier fiel es dem Knaben nicht so schwer wie in der Schule.

Manchmal schlief der Herr Pfarrer ein, denn er war ein wenig schwach; unterdessen suchte Palko Pilze, um der Frau Försterin nicht die leere Tasche heimzubringen.

Der Onkel war sehr froh darüber, dass Dunaj nicht mit Onkel Lesina fortgegangen war.

„Ich will ihn dir dalassen; du würdest ihn vermissen“, hatte der Onkel gesagt.

Dunaj begleitete sie. Jeden Morgen kam er ins Forsthaus. Aber er übernachtete nicht dort, weil er sich mit den anderen Hunden nicht vertragen konnte. Der Herr Pfarrer pflegte zu sagen, dass sie es ebenso machten wie manche Menschen. Er selbst hatte Dunaj gern und lachte herzlich, wenn er am Morgen oft ganz schmutzig dahergesprungen kam. Der Hund wusste genau, zu welcher Stunde er kommen musste.

Aber für Palko waren es die schönsten Augenblicke, wenn der Herr Pfarrer das Neue Testament hervorzog. Er trug es immer bei sich und las darin. Es gab allerdings auch sehr viele Dinge darin, von denen Palko nichts verstand. Die Geschichte von den Aposteln hörte sich zwar noch sehr gut an. Gewiss, wenn nicht der Heilige Geist auf Erden gewesen wäre, dann hätten jene Leute auch nicht solche Wunder tun können. Dann aber kam ein Brief, der die Aufschrift trug: „An die Römer.“ Davon verstand Palko beinahe gar nichts. Der Herr Pfarrer dagegen konnte ihn nicht oft genug durchlesen. Immer wieder las er ihn, und dann war er stets tief in Gedanken versunken, besonders wenn er in dem Brief die Worte las:

„Nun aber preiset Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“

„Ach, bitte, Herr Pfarrer“, hielt Palko an, „das möchte ich gerne verstehen, denn das ist etwas sehr Gutes!“

„Da hast du recht, mein Kind. Das ist das Beste, was es überhaupt geben kann: Christus starb für uns!“

„Für uns?“, rief Palko verwundert aus. „Ich habe gedacht, er sei gestorben, weil ihn die bösen Juden gekreuzigt hatten. Wieso ist er denn für uns gestorben – und warum?“ Da öffnete der Pfarrer aufs Neue das Evangelium Johannes und las ihm von Mose und von der ehernen Schlange vor, und dann erzählte er Palko, wie es den Juden erging, als sie aus Ägypten zogen. Als sie unterwegs sehr böse waren, da stachen sie die Schlangen, und sie starben, dass es ganz schrecklich war. Aber als dann die Gebissenen im Glauben an Gott zu der ehernen Schlange aufsahen, wurden sie dadurch geheilt.

„Die feurigen Schlangen“, erklärte der Pfarrer, „das sind unsere Sünden. So wie jene Schlange dort in der Wüste auf einer Säule hing, so musste der Sohn Gottes für unsere Sünden am Kreuz hängen.“

Aber da Palko das nicht gut verstehen konnte, erzählte er ihm, wie die Kinder Israel einst in Ägypten waren. Da schickte Gott den Mose, der sie herausführen sollte. Aber der böse Pharao wollte sie durchaus nicht ziehen lassen. Da wurde Gott sehr erzürnt und befahl seinem Engel, alle erstgeborenen Söhne der Ägypter zu töten, vom erstgeborenen Sohn Pharaos an bis zum Erstgeborenen des letzten Bettlers. Er hätte eigentlich auch jeden Erstgeborenen unter den Kindern Israels töten müssen, aber der Herr hatte befohlen, in jedem israelitischen Hause ein reines Lamm zu schlachten und die Türschwelle mit dem Blut des Lammes zu bestreichen. Denn dort, wo der Würgengel das Blut sehen würde, sollte er schonend vorübergehen.

„Siehst du, Palko, so hätten auch wir um unserer Sünde willen sterben müssen, und der höllische Pharao wollte uns nicht losgeben. Aber da erzeigte Gott eben seine Liebe gegen uns; denn da wir Sünder waren, ist Christus für uns gestorben. Er erlitt den Tod an unserer Statt; darum ist er das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt.“

Plötzlich bedeckte Palko sein Gesicht mit beiden Händen.

„Oh, Herr Jesus“, rief er weinend, „mein lieber, guter Herr Jesus, nun weiß ich, warum dein himmlischer Vater dich nicht erhörte, als du ihn batest, warum er dich nicht befreite, denn du musstest ja für meine Sünden sterben, so wie dort das Lamm für die Juden! Darum hast du nun die Macht, den Menschen die Sünden zu vergeben; denn wir sind ja die Ursache dafür, dass du sterben musstest!“

Der Knabe schwieg. Er hatte sich ins Gras geworfen; er wusste nicht, was sein liebevoller Freund inzwischen tat. Als er sich nach einer Weile aufrichtete, war er allein. Das Büchlein fand er aufgeschlagen an seinem Platz, und es lagen Tautropfen auf dem Blatt.

Von jenem Tag an war der Pfarrer noch ernster als zuvor, er betete viel. Palko hatte es gern, wenn er betete, sei es in den Bergen oder daheim. Nachts, wenn Palko erwachte, sah er ihn oft vor einem kleinen hölzernen Kreuz knien.

Gewöhnlich redete Palko dann auch mit seinem Heiland, und dabei wurde es ihm so wohl zumute.

Eines Samstags, als schon die zweite Woche zu Ende ging, hörte Palko die Frau Försterin zu ihrem Mann sagen:

„Anstatt sich zu erholen, sieht der Herr Pfarrer mit jedem Tag schlechter und bleicher aus. Es scheint, dass ihn eine Sorge drückt. Und morgen möchte er daheim predigen. Das sollte er aber doch nicht tun.“

„Weißt du, Frau, er kann eben ohne seine Predigt nicht sein, gerade so wie ich nicht ohne meine Flinte oder du ohne deinen Kochlöffel. Wenn er wäre wie die anderen, dann würde er sich vielleicht nicht viel daraus machen; aber er ist ein guter, gewissenhafter Mensch.“

Als Palko mit dem Herrn Pfarrer durch den Wald schritt, fragte er plötzlich:

„Ist das wahr, Herr Pfarrer, dass Sie so große Sorgen haben?“

„Wer hat dir denn das gesagt, mein Kind?“

„Im Forsthaus sprachen sie davon. Die Frau Försterin ist bekümmert, weil Sie so blass sind; sie denkt wohl, Sie seien krank.“

„Sie irrt sich nicht, mein Kind; ich bin todkrank. Aber für diese Krankheit gibt es kein Heilmittel auf Erden.“

„Auch beim Herrn Jesus nicht?“ fragte erschrocken der Knabe. Er nahm die weiße Hand des Pfarrers zwischen seine kleinen, braunen Hände.

„Auch beim Herrn Jesus nicht!“ wiederholte der Pfarrer und blickte in die Augen des Kindes, die voll Teilnahme und Sorge auf ihm ruhten. „Er hat Hilfe, Palko, aber ...“

„Oh, so bitten Sie ihn doch! Sie wissen ja, wie er jeden gesund machte, auch den Gichtbrüchigen, obwohl er ihn nicht selbst bat. Wie wäre es, wenn wir ihn sogleich bitten würden?“ – „Möchtest du mir bitten helfen?“

„Ach ja, so wie die Boten des Hauptmanns von Kapernaum, als sie sagten: ‚Er ist es wert, dass du es ihm erzeigest‘!“

„So sollst du nicht bitten, Palko, denn ich bin seiner Gnade nicht wert.“

„Ach, wie könnte ich Ihnen nur helfen?“ grübelte der Knabe. „Wie wäre es, wenn Sie ihn bitten würden wie jener Mann, der dort im Tempel bei der Türe stehen blieb – wissen Sie noch –, und über den sich dann jener stolze Pharisäer so sehr rühmte?“

„Du hast recht, mein Kind; das ist das einzige Gebet für mich.“

Der Herr Pfarrer sprach nicht weiter, und sie kehrten an diesem Vormittag ziemlich bald ins Forsthaus zurück.

Am Nachmittag sollte Palko seinen Herrn heimbegleiten und im Pfarrhaus übernachten, und am nächsten Morgen sollte er zu seinem Großvater gehen, um den Sonntag mit ihm zu verbringen.

„Aber wie kann ich denn in so schmutzigen Kleidern mit ihm gehen?“, dachte Palko besorgt. „Hätte ich doch schon den neuen Anzug und den neuen Hut!“

Er klagte der Frau Försterin seine Sorgen, als er ihr wie gewöhnlich nach dem Mittagbrot in der Küche das Essgeschirr reinigte.

„Sei unbesorgt, Palko; ich habe auch schon daran gedacht und dir ein paar Kleidungsstücke von meinem Knaben zurechtgelegt, weil du den Herrn Pfarrer so gut bedient und auch mir immer so nett geholfen hast.“

Palko bekam ein hübsches, schneeweißes Hemd und blaue Beinkleider; auch eine Jacke hatte sie heimlich gewaschen. Sie war ein wenig eingegangen; er hing sie nur über die Schulter.

Als Palko sich im Bach besah, hätte er sich selbst kaum wieder erkannt. Seine Schuhe hatte er sich selbst geflickt und blank geputzt, als er des Herrn Pfarrers Schuhe putzte, auch neue Bänder hatte er hineinbekommen. Es war kein Wunder, dass er mit dem Gepäck überglücklich an der Seite seines Herrn einherschritt. Und dieser freute sich mit ihm.

„Behüte Euch Gott, und vielen Dank!“, rief Palko noch von weitem der Förstersfrau zu, die ihnen nachblickte.

„Palko, führe mich den kürzesten Weg, den du mit Dunaj zu gehen pflegst“, sagte der Herr Pfarrer nach einer Weile.

„Dann werden wir früher im Dorf sein, trotzdem Sie nicht so gut laufen können wie ich!“, rief der Knabe erfreut. „Und fürchten Sie sich nicht, es ist ein guter Weg. Sonst würde ich Sie nicht dort durchführen, denn der Herr Förster hat mir eingeschärft, dass ich Sie nicht etwa über Stock und Stein führe.“ Der Herr Pfarrer musste lachen.

„Oh, Palko, wenn er wüsste, wohin ich dir überall nachklettern musste! Aber fürchte dich nicht, ich verrate es ihm nicht. Die schönsten Blumen wachsen gerade an den gefährlichsten Stellen. Ehe wir jedoch unten angelangt sind, könntest du mir wieder etwas erzählen, so wie damals, als wir in deinem ‚Sonnenland’ zusammentrafen. Erzähle mir etwas von deiner Familie!“

Palko freute sich, dass der Herr Pfarrer nicht mehr so traurig war, und er erzählte bereitwillig, wie er vor zwei Jahren mit Großvater Razga in diese Berge gekommen war, wie dann der Großvater erkrankte und nach Hause fuhr, um zu sterben, und wie er ihn dem Großvater Juriga „für einen Gotteslohn“ übergeben hatte.

Der Herr Pfarrer wunderte sich, dass Palkos Eltern das erlaubt hatten.

Hierauf erzählte ihm der Knabe, wie Mutter Anna ihn in den Bergen gefunden und, da sich niemand meldete, behalten hatte.

Der Herr Pfarrer hörte ihm mit viel Interesse zu.

„Palko, und wenn nun Großvater Juriga sterben würde, was würdest du tun? Wohin würdest du gehen?“

Der Knabe blieb stehen. Halb überrascht, halb erschrocken blickten die blauen Augen umher.

„Ich denke, der Herr Jesus würde mir wohl weiter helfen. Denn er hat doch damals die Mutter geschickt, als ich verirrt war. Und als sie starb, hat er mich Großvater Razga, und als dieser starb, Großvater Juriga übergeben. Die Hütte in den Bergen gehört uns nur, solange mein Großvater lebt, und das Häuschen – wenn wir ins Dorf kommen, zeige ich es Ihnen – gehört wohl Großvaters Kindern. Da könnte ich nicht bleiben. Aber ich bin ja schon ziemlich groß, es würde mich wohl jemand in den Dienst nehmen. Wenn Sie, Herr Pfarrer, einen Hirtenjungen brauchen könnten, dann würde ich am liebsten zu Ihnen kommen.“

„Zu mir?“, rief der Pfarrer. „Das ist ein guter Gedanke. Wenn ich noch am Leben bin und dein Großvater sollte sterben, dann gehe nirgends anders hin als zu mir. Gib mir die Hand darauf, dass du nirgends anderswo hingehst.“

O wie gern legte Palko seine kleinen Finger in die feine Hand des Herrn Pfarrers!

Ihr Gespräch wurde durch einige Frauen unterbrochen, die sie zum Pfarrhaus begleiteten.

Dort bekam Palko ein gutes Abendessen, und über Nacht nahm ihn der Herr Pfarrer wieder in seine Stube.

Aber zuerst nahm jeder ein Bad, was sie nach dem weiten Weg sehr erquickte.

Der Knabe konnte kaum beten, so schläfrig war er. Er fühlte nur noch, dass ihn der Herr Pfarrer zudeckte, seine Stirne streichelte und küsste – und dann war er fest eingeschlafen.

Bei Sonnenaufgang erwachte Palko wie gewöhnlich und richtete sich auf seinem Lager auf. Er blickte in dem fremden Raum umher. Sein Blick traf das Fenster, und schon wollte er leise aufstehen, um sich anzukleiden. Aber da – was war denn das? Am Fenster saß, vollständig angekleidet, das heilige Buch auf den Knien, der Pfarrer. Aber er las nicht. Er hatte die Augen wie zum Schlaf geschlossen und lächelte selig, wie in einem schönen Traum.

Die Morgenröte stand am Himmel; ein rosiger Schimmer verklärte das sonst so bleiche Antlitz.

Der Knabe schlich auf den Fußspitzen hinaus; er wusch sich am Brunnen, trocknete sich ab und kämmte sein Haar; dann kehrte er leise wieder zurück.

Der Herr Pfarrer saß noch immer an seinem Plätzchen beim Fenster, aber er hatte die Augen geöffnet und betrachtete die aufgehende Sonne.

Der Knabe stahl sich zu ihm und kniete – er wusste selbst nicht, warum – neben dem Priester hin.

„Palko, bist du schon auf?“ Die Hand des Mannes ruhte auf seinem Kopf.

„Es ist ja Morgen.“

„Jawohl, ein so schöner Sonntagmorgen, so schön wie damals, als Maria den Auferstandenen fand.“

„Gelt, Herr Pfarrer, heute sind Sie aber nicht traurig?“

„Heute? O nein, mein Kind, heute bin ich sehr, sehr glücklich! Dir kann ich es sagen, denn du wirst mich verstehen und dich mit mir freuen. Auch ich habe heute nacht den Weg ins wahre Sonnenland gefunden! Endlich kann ich dir und mir die Frage beantworten: Ich habe den Geist Christi! Ich habe den Heiland so aufgenommen wie damals Martha, so wie das Tautröpfchen die Sonne. Danke mit mir dem Heiland, dass er mir vergeben und mich angenommen hat! – Hernach möchte ich mich ein wenig hinlegen, denn ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Aber das tut nichts, es war die herrlichste Nacht meines Lebens!“

Sie beteten zusammen. Dann legte sich der Herr Pfarrer angekleidet auf das Sofa. Palko brachte ihm ein Kissen aus dem Bett.

„Ruhen Sie sich gut aus“, sagte er besorgt, „denn wie werden Sie sonst predigen können?“

Der Pfarrer drückte das Kind ans Herz: „Wie ich heute predigen werde? So wie noch nie in meinem Leben. Darf ich doch heute zum erstenmal ein Zeuge Jesu sein.“

Palko wartete, bis sein Herr eingeschlafen war, und schlich sodann leise zur Stube hinaus. Er wollte ohne Frühstück davoneilen; aber die alte Magd bemerkte ihn. Sie gab ihm ein Stück Brot und ein wenig Milch, dann ließ sie ihn ziehen.

Palko sehnte sich schon nach seinem Großvater. Er hatte ihn in diesen beiden Wochen nur zweimal gesehen, einmal in der Hütte, zum zweitenmal im Wald.

„Es ist mir ordentlich langweilig ohne dich“, hatte Großvater Juriga gesagt, „aber diene nur den Leuten: wer weiß, wozu es im Leben nützen kann!“