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Martina Hoblitz

Reisefieber


Diesen Roman widme ich meiner lebenslustigen, humorvollen Freundin, die den Inhalt jedoch nicht falsch versteht. Die ganze Geschichte ist nämlich reine Fantasie.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

REISEFIEBER

 

 

von Martina Hoblitz

 

 

 

Kapitel 1



 

Im Radio sang Udo Jürgens: <Ich war noch niemals in New York ...>

 

Verblüfft hielt ich inne. Gerade bei meiner ungeliebten Hausarbeit, dem Staubputzen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Keulenschlag! Der liebe Udo sprach mir aus der Seele! Auch ich war noch nie aus unserem verschlafenen kleinen Städtchen heraus gekommen; geschweige denn über die Grenzen von Deutschland hinweg.

 

Nachdenklich stopfte ich das Staubtuch in die Schürzentasche und ließ mich in den nächstbesten Sessel plumpsen. Und mein bisheriges unbedarftes Dasein lief wie ein Film vor meinem inneren Auge ab.


Seit ungefähr einem Jahr arbeitete ich nun bei dem pensionierten Geschichtsprofessor Nöllinger als Haushälterin, und gelegentlich tippte ich sogar einige Sachen auf seiner altersschwachen Kofferschreibmaschine. Der alte Herr schrieb an einem Buch, eine geschichtliche Dokumentation über Ägypten. Was mich beim Abtippen seiner Berichte am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass er die geschichtlichen Hintergründe und die kulturelle Entwicklung des Landes so genau und detailliert schilderte, obwohl er noch nie selbst dort gewesen war.


Wieder betonte Schlager-Udo: <Ich war noch niemals auf Hawaii ...>

 

Ich seufzte sehnsüchtig. Warum eigentlich? Ich konnte mich doch über meinen bisherigen Lebensweg nicht beklagen. Zwar wuchs ich in einem kirchlichen Waisenhaus auf, denn meine Eltern waren bei einem Unfall umgekommen, als ich gerade 6 Jahre alt war, und irgendwelche Verwandte von mir konnten nicht ausfindig gemacht werden. Doch meine Kindheit im Waisenhaus verlief entgegen aller gängigen Vorurteile und Klischees recht glücklich. Vor allem eine Nonne mittleren Alters, Sr.Walburga, war für mich ein richtig vertrauenswürdiger Mutterersatz.

 

Ein helles Köpfchen in der Schule war ich allerdings nie. Meine Stärken lagen mehr im Praktischen. Ich musste sehr viel pauken und errang trotzdem nur einen mittelmäßigen Abschluss. Danach besuchte ich die Heim eigene Hauswirtschaftsschule, und erst hier zeigten sich meine verborgenen Talente. Ich war ein Ass im Kochen und Backen. Und theoretisch fiel es mir auch nicht schwer, einen mehrköpfigen Haushalt effektiv zu organisieren.

 

Vielleicht wäre es besser gewesen, mich in einer kinderreichen Familie unterzubringen? Aber gerade solche Leute konnten sich selten eine Haushälterin leisten. Da Sr.Walburga den Professor gut kannte, vermittelte sie mir schließlich diese Stelle, ungefähr ein ½ Jahr nach meiner Abschlussprüfung. Ich war nun diplomierte Hauswirtschaftsmeisterin!


Während ich immer noch ganz in Gedanken versunken im Sessel kauerte, betrat der Professor das Wohnzimmer auf der Suche nach mir. Er war ein imposanter Mann, groß, schlank, mit aufrechtem Gang. Seine mittelblonden Haare waren nur leicht ergraut, und man konnte ihn ohne weiteres auf Mitte 50 schätzen, dabei war er schon Ende 60! Er hatte ein markantes Gesicht, trug einen gepflegten Oberlippenbart und besaß gütige, rehbraune Augen.

 

Als er mich so nichts tuend im Sessel hocken sah, zog er die rechte seiner buschigen Augenbrauen hoch und erkundigte sich besorgt mit sonorer Bassstimme: „Amanda, was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?“ - „Doch, doch!“ versicherte ich schnell, sprang hastig auf und schaltete das Radio ab, wo Peter Alexander gerade die Gemütlichkeit der kleinen Kneipe lobte. Eifrig fragte ich meinen Arbeitgeber: „Kann ich was für Sie tun, Herr Professor? Soll ich wieder tippen?“

 

Doch der alte Herr schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, Amanda! Ich wollte Sie nur um einen Rat bitten.“ - „Sie mich?“ staunte ich und machte große Augen.

 

Der Professor bat mich wieder im Sessel Platz zu nehmen und ließ sich mir gegenüber auf dem Sofa nieder. Umständlich stopfte er seine Pfeife und entzündete sie, wobei ich ihm abwartend zuschaute. Er machte es wirklich spannend!

 

Nach dem ersten genussvollen Zug begann er schließlich etwas unsicher: „In der heutigen Post war ein Brief von meinem jüngsten Sohn. Er lädt mich zu seiner Hochzeit ein.“

 

Dazu machte der gute Mann ein so betrübtes Gesicht, als würde es sich um eine Beerdigung handeln. Nun, ich kannte seine Söhne noch nicht persönlich. Es waren 3. Und sie lebten überall in der Welt verstreut. Sein Ältester arbeitete als Ingenieur in Saudi-Arabien. Der Mittlere war leitender Techniker in einer Ölraffinerie in Texas. Und der Jüngste, um den es hier ging, bekleidete den Posten eines Staatssekretärs in der Deutschen Botschaft in Paris. Dieser junge Mann hatte also die Absicht zu heiraten, wovon sein Vater gar nicht begeistert schien.

 

Der Professor blickte mich an und wartete geduldig auf meine Entgegnung. Mir fiel eigentlich nur eine Frage ein, die ich ihm auch prompt stellte: „Kennen Sie denn die Braut?“

 

Traurig verneinte er und bemerkte achselzuckend: „Nur aus seinen Briefen. Und von einem ziemlich unscharfen Foto. Lukas hat es noch nicht für nötig gehalten, sie mir persönlich vorzustellen.“

 

Lukas, der jüngste Sohn hatte übrigens noch den harmlosesten Namen der 3 Brüder. Die vor einigen Jahren verstorbene Mutter war eine tief religiöse bibelfeste Frau gewesen. Darum hießen ihre Söhne auch Matthäus, Zacharias und Lukas. Sie selber hatte Magdalena geheißen. Und der Vorname des Professors, er hieß schlichtweg Karl-Heinz, passte überhaupt nicht in diese Riege heiliger Namen. Doch das nur am Rande.

 

„Werden Sie denn zur Hochzeit nach Paris fahren?“ erkundigte ich mich gespannt.

 

Da seufzte der alte Herr und meinte: „Eben, das weiß ich nicht. Was raten Sie mir, Amanda?“ - „Was soll ich Ihnen raten?“ fragte ich unschlüssig. „Möchten Sie denn nicht an der Hochzeit Ihres Sohnes teilnehmen?“ - „Ungern!“ gab der Professor zu und zog nervös an seiner Pfeife. „Eigentlich würde es sich doch gehören, dem Vater die Braut erstmal vorzustellen.“ - „Wenn Sie auf diese Konvention beharren, teilen Sie das Ihrem Sohn mit!“ schlug ich einfach vor. „Er ahnt vielleicht nicht, wie wichtig Ihnen das ist?“ - „Es ist mir nicht direkt wichtig, aber es gehört sich doch wohl so!“ erklärte er und erhob sich. „Ich glaub, Sie haben Recht, Amanda. Ich werde Lukas anrufen und ihn bitten, mir zunächst mal seine Braut vorzustellen, ehe ich die Einladung zur Hochzeit annehme.“


 

Das Telefongespräch, das der Professor von seinem Arbeitszimmer aus tätigte, während ich meine Staubwischerei im Wohnzimmer ohne Radiobegleitung beendete, schien nicht sehr positiv verlaufen zu sein. Denn als ich mich danach in die Küche begab, tauchte er mit hängenden Schultern bei mir auf, setzte sich auf die Eckbank und kramte nach seiner Pfeife, um sie erneut zu stopfen. Liebevoll schimpfte ich, indem ich ihm sein Rauchutensil weg nahm: „In der Küche wird doch nicht geraucht!“

 

Da flog ein zaghaftes Lächeln über sein vorher so betrübtes Gesicht. Ich servierte frisch gebackenen Marmorkuchen und Kaffee, setzte mich ungeniert zu ihm und erkundigte mich neugierig: „Haben Sie Ihren Sohn erreicht?“

 

Sofort schauten seine Augen wieder traurig, aber er nickte. „Nach mehrmaligem hin und her verbinden hatte ich Lukas endlich an der Strippe.“ erklärte er ausführlich. „Aber kaum hab ich meinen Wunsch geäußert, er möge mich doch mit seiner Zukünftigen am kommenden Wochenende besuchen, damit ich die junge Dame mal kennen lerne, da lachte er mich aus und schimpfte mich altmodisch. Schließlich meinte er, ER wolle ja mit ihr leben und nicht ich. Und es wär völlig egal, ob ich sie mag oder nicht. Und es ist auch früh genug, wenn ich sie auf der Hochzeit kennen lerne. Darauf bin ich wütend geworden und hab ihm erklärt, dass ich unter diesen Umständen nicht komme. Da hat er ebenso wütend aufgelegt.“ - „Ach, wie schade!“ bedauerte ich den Streit mit seinem Sohn, obwohl mich die Sache eigentlich nichts anging.

 

Der Professor seufzte nur und zerkrümelte sein Stück Kuchen, ohne einen Bissen davon zu essen. Dann trank er so hastig vom heißen Kaffee, dass er sich die Zunge verbrannte und mich um einen Schluck kaltes Wasser bat. Man merkte ihm an, dass ihm die Unstimmigkeit zwischen ihm und seinem Sohn ziemlich zu schaffen machte. Ich überlegte, was ich ihm Beschwichtigendes sagen könnte, aber mir fiel einfach nichts ein. So trank ich nur schweigend meinen Kaffee und musterte den Professor aus den Augenwinkeln.


Ich erinnerte mich, dass der alte Herr nie ein besonders gutes Verhältnis zu seinen Söhnen hatte. Ihr Fixpunkt war immer die Mutter gewesen. Seit sie gestorben war, zog es die Söhne deshalb nicht mehr nach Hause. Ich wusste ja nicht, ob der Professor ein sehr strenges Familienregiment geführt hatte, aber ihn jetzt so allein in dem großen Haus zu sehen, erweckte mein Mitleid.


Plötzlich kam mir eine Idee! „Herr Professor, wie wär’s, wenn Sie eine Woche vor der Hochzeit nach Paris reisen? Als so eine Art Urlaubstrip. Auf diese Weise können Sie Ihre Schwiegertochter ganz ungezwungen schon vor dem Fest kennen lernen. Und ich werde Sie begleiten.“

 

Ich war selbst erstaunt über meinen Mut, ihm diesem Vorschlag zu machen. Gespannt beobachtete ich sein Minenspiel und bemerkte auf einmal ein spitzbübisches Grinsen in seinen Augen, das so gar nicht zu seinem sonst so konservativen Auftreten passen wollte. Er schien ebenfalls auf eine Idee gekommen zu sein, aber noch nicht zu wissen, wie er sie mir beibringen sollte.

 

Er war aufgestanden und lief in der Küche auf und ab wie ein Tiger im Käfig, was mich ganz nervös machte. Dann blieb er neben meinem Stuhl stehen, legte in einer väterlichen Geste seine Hand auf meine Schulter und fragte etwas zögernd: „Amanda, wären Sie bereit mir zu helfen, meinem Sohn einen Streich zu spielen?“ - „Kommt drauf an.“ erwiderte ich unsicher und blickte zu ihm auf.

 

Mit seinem schelmischen Glitzern in den Augen wirkte er fast wie ein großer Lausbube. Schwungvoll und mit Elan ging er in die Hocke, sodass er Augenhöhe mit mir hatte, und schlug fröhlich vor: „Amanda, ich bitte Sie, Lukas gegenüber meine Braut zu spielen!“

 

Es war unmöglich die Gedanken zu beschreiben, die in diesem Augenblick durch meinen Kopf schossen! War der alte Herr jetzt völlig senil geworden? Alzheimer? Arterienverkalkung?

 

Mir blieb regelrecht die Spucke weg, und ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Was sollte ich bloß darauf erwidern?

 

Der Professor, dem seine hockende Lage wohl zu unbequem wurde, richtete sich wieder auf und versicherte schnell: „Überlegen Sie es sich in Ruhe! – Aber das wär doch eine fabelhafte Retourkutsche auf Lukas’ beleidigende Äußerung, ich sei altmodisch.“

 

Er meinte es wirklich ernst! Ich konnte es nicht fassen! „Aber Herr Professor!“ brachte ich mühsam hervor und stand auf.

 

„Sag jetzt nix, Amanda!“ winkte er ab, unverhofft zum Du übergehend. „Überschlaf die Sache und teil mir morgen deine Entscheidung mit!“ - „Dann darf ich jetzt gehen?“ fragte ich kleinlaut mit piepsiger Stimme.

 

Der Professor wandte mir den Rücken zu und nickte nur. Hastig warf ich mir im Flur meinen Mantel über, griff meine Handtasche und verließ eilig und ganz aufgewühlt das Haus.


Zum Glück wohnte ich nicht dort, obwohl mir der Professor bei meiner Einstellung Kost und Logis angeboten hatte. Nun freute ich mich, dass ich in meiner eigenen kleinen 1 ½-Zimmer-Wohnung in Ruhe über sein ungeheuerliches Anliegen nachdenken konnte.