Abbildungen

Fender: Rev. Christian Dabeler

Leuchtturm: Almut Klotz

Aarons Army: Petra Kowalenko

Flyer Manuel Zorn: Rev. Christian Dabeler

Flyer Almut, Fehmi, Jim: Eigene Veranstaltung

Volksbühnenplakat: Rev. Christian Dabeler

Promofoto Staatsakt: Robin Hinsch

Bahnschienen: Nelja Stump

Die Texte zu den Bildern stammen von Rev. Christian Dabeler.

Almut Klotz

FOTZEN­FENDER­SCHWEINE

Herausgegeben von
Reverend Dabeler und Aaron Klotz

Mit einem Nachwort
von Jörg Sundermeier

Über Almut Klotz

Die Musikerin und Autorin Almut Klotz beschreibt in diesem Buch ihre Liebesgeschichte mit dem Musiker und Autor Rev. Christian Dabeler – den sie im Mai 2013 heiratete. Zugleich aber ist »Fotzenfenderschweine« eine Abrechnung mit der Indie-Pop-Szene und den alten und neuen Frauenrollen darin. Almut Klotz schreibt leidenschaftlich und mitreißend, offen und ohne Denkverbote.

Almut Klotz hat mit ihrem Text eine genaue Beschreibung eines Künstlerlebens gegeben und eine wunderschöne Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen erzählt.

Bis zu ihrem Tod hat sie an »Fotzen­fender­schweine« gearbeitet, der Text erscheint nun erstmals und ungekürzt aus ihrem Nachlass.

Almut Klotz-Dabeler, 1962 in Pforzheim geboren, kam 1985 nach Berlin. Mit Funny van Dannen und Christiane Rösinger gründete sie die Band Lassie Singers, die sich 1998 nach zehn Jahren auflöste. Mit Rösinger betrieb sie auch das Label Flittchen Records und die Flittchenbar. Den Popchor Berlin gründete sie 2001, der Chor nahm Coverversionen bekannter Popsongs auf. Mit Rev. Christian Dabeler bildete sie ein Duo, die Platte »Klotz + Dabeler« erschien 2007.

Klotz arbeitete auch als freie Autorin, von 2001 an erschienen zehn Jahre lang ihre Kolumnen in der Berliner Zeitung. 2005 veröffentlichten Klotz und Dabeler den gemeinsam verfassten Roman »Aus dem Leben des Manuel Zorn«, der Erzählungsband »Tamara und Konsorten« erschien 2008.

Almut Klotz starb im August 2013. Das Album »Lass die Lady rein«, das sie gemeinsam mit Dabeler aufgenommen hatte, erschien eine Woche nach ihrem Tod.

Ich hab einen neuen Mann getroffen.

Dies nicht zum ersten Mal, ich meine:

Er ist nicht der erste, den ich getroffen,

Doch der erste, bei dem ich verstanden habe,

Zwei und zwei ist nicht immer vier,

Sondern eher eine Empfindungsfrage.

Dabei sagt er selbst oft, man müsse nur

Zwei und zwei zusammenzählen.

Doch raus kommt bei ihm, zum Beispiel, dann,

Dass, wenn man die Welt auch nur im Ansatz begreift,

man das Alphatier Goethe nicht lieben kann.

Dieses intrigante, von Feigheit durchsetzte,

Dieses nur im Diebstahl talentierte,

Als Schriftstellerikone einer in Wahrheit

Durch und durch bürgerlichen Kulturlosigkeit

Gehandelte Schwein, dem man posthum

Für seine perfiden Machenschaften

In seine widerwärtige Fresse hätte dreschen sollen – 

Den könne man nicht lieben,

Er hielt an, ach so, wir waren im Auto.

Ich bin geblieben.

Mir gefielen seine Hasstiraden,

Auch wenn er den krudesten Theorien

mit donnernder Stimme und zornigem Blicke

Ein »Da gibt’s ja wohl keine zwei Meinungen«

Hinterherschickte.

Seine, ich sag mal: saftige Sprache

Hat mich anfangs doch sehr irritiert.

»Die haben mich gefickt«, war der Kommentar,

wenn das Mischpult, das er ersteigert hatte,

Am Montag noch nicht gekommen war.

Beim Gespräch über Film und Schauspielerei,

Was natürlich eine verfickte Sache sei,

Wurde aus Klaus Maria Brandauer

Klaus Maria Fotze Brandauer –

Ohne große Herumeierei.

Auch wenn man nur ins Café mit ihm geht,

Wird aus der hübschen Bedienung,

Die freundlich nach den Wünschen fragt,

»Eine »hinterfotzige Kuh, schau sie doch an«,

Die dich »im Zweifel vor die Hunde jagt.«

Ich muss gestehen, ich hatte manchmal

Ein einsames Gefühl, vielleicht wie die

Angehörigen von

Tourette-Syndrom-Befallenen,

Nein, vergessen Sie’s, ich nehm’s zurück,

Das hatten wir ja schon.

Alles nicht so schlimm, man lernt mit der Zeit

Zu differenzieren.

»Verfluchte Schweinescheiße« beispielsweise,

Ist als harmlos, fast liebevoll,

Zu interpretieren.

Der Mann hat auch andere Seiten,

Man muss mit ihm nur ans Wasser gehn.

Dort wird er ganz weich und vergisst

»Das beschissene Leben, das nur daraus besteht,

Dass der eine den anderen bepisst.«

Vor uns der Fluss, die Auen, der Wind,

Eine Entenfamilie zieht vorbei,

Wir schauen ihr beide nach.

Die Entenmutter schnäbelt herum

Er drückt meine Hand: »Ach.«

Eine Trauerweide bauscht sich kokett,

Ein Zweig bricht ab und wird von dem

Großen Strom mitgerissen

Er sagt mit nassen Augen: »Hier hat der

liebe Gott hingeschissen.«

1.

Eigentlich hätten wir uns Anfang der 80er über den Weg laufen müssen, als ich nach Hamburg gezogen bin und als Showgirl in einer Peepshow auf der Reeperbahn gearbeitet habe, fast zwei Jahre lang. Rev trieb sich zur selben Zeit auch viel auf dem Kiez herum, im Chikago, im Top Ten, kannte Nutten und Zuhälter, mit denen er saufen war. Der Hamburger Kiez war ihm schon als Kind nicht fremd, schließlich wohnte die Oma in der Hein-Hoyer-Straße, seine Mutter wäre beinahe »Schönheitstänzerin« im Regina geworden, hätte sie nicht gerade noch rechtzeitig geheiratet, während sein Vater immer wieder sagte: »Wenn ich deine Mutter nicht geheiratet hätte, ich wäre Zuhälter oder Schieber geworden, ganz normal.«

Gut, wir sind uns also nicht über den Weg gelaufen, 1983, 1984, oder jedenfalls nicht bewusst. Ich bin allerdings auch meistens nach der Peepshow nach Hause gegangen, oder ins Mikie’s Pan, ins frank und frei – also ganz andere Baustelle.

Dass wir uns dann in der frühen Pudel- und Prä-Hamburger-Schule-Zeit auch nicht kennengelernt haben, grenzt schon an ein Wunder. Schließlich spielte Rev Orgel bei Rocko Schamoni, mit dem wir Lassie Singers wiederum viel zu tun hatten. Rocko lud uns ein, im Pudel zu spielen, im alten Pudel in der Kampstraße, und seitdem hatte man auch privat miteinander zu tun, hing nächtelang im Sorgenbrecher, im Caspar’s Ballroom, im Tempelhof herum oder besuchte sich gegenseitig im Studio.

Rev behauptet immer wieder gerne, dass er mich mal auf Rockos Bett gesehen habe, als er bei ihm was abholte, und dass es ihm einen Stich versetzt hätte und er noch lange schlechte Laune hatte.

Das höre ich zwar gerne, aber ob es wahr ist, kann ich nicht sagen. Da haben immer wieder irgendwelche Typen geklingelt und was abgeholt bei Rocko. Andererseits habe ich nicht allzu oft alleine bei Rocko auf dem Bett herumgefläzt.

Nächste Szene: Berlin, Friseur, ca. 1993. Ich bin mit ich weiß nicht mehr wem da, und wir beobachten eine Gruppe sehr lauter und arroganter, aber auch gut aussehender Typen, die Tequilas auf ex trinken und die Gläser danach hinter sich werfen. Sie sind schon völlig besoffen, und ich bin halb angeekelt, halb fasziniert von ihnen. Dass es Hamburger sind, sieht man sofort an den schicken Klamotten. Sie sind total mit sich selbst beschäftigt und vom restlichen Geschehen abgeschottet, dies aber, da bin ich mir sicher, ganz bewusst, eitel wie sie sind.

Ich gehe irgendwann nach Hause, und auf der Straße krakeelt mir jemand nach: »Heeey.« Ich schaue mich nicht um.

Ob man das schon als Begegnung bezeichnen kann? Eher nicht.

Ganz bestimmt habe ich Rev im Sommer 2001 getroffen. Ich saß im Berlin-Hamburg-Bus, den ich »Zauberbus« nannte, weil er bei jeder Wetter- und Verkehrslage immer genau drei Stunden und zehn Minuten brauchte. Im Bus traf ich Chris, einen alten Kreuzberger Bekannten. Ich erzählte ihm, dass ich am nächsten Tag eine Lesung hätte, wo hinterher Jim Avignon spielen würde, und er erzählte, dass er mit seiner Band Universal González im Studio wäre.

»Kenn ich nicht.«

Nee, wäre ja auch ihre erste Platte, der Reverend mache auch mit.

»Kenn ich nicht.«

Was, ich kenne Reverend nicht, das könne doch gar nicht sein, Rev, Reverend Ch. D., der beste Organist Hamburgs, der Reverend eben?

»Nee. Kenn ich nicht.«

Ich war also 1982 vom Schwarzwald nach Hamburg gezogen. Nicht dass es dafür einen Grund gegeben hätte, einen Studienplatz oder so was in der Art. Es war einfach so, dass alle nach dem Abi irgendwohin zogen, um irgendeine Ausbildung zu beginnen. Von mir aus hätte das Leben der Boheme einfach so weitergehen können, ich hatte nicht das Gefühl, an der Piefigkeit der Provinz zu ersticken. Aber die Boheme verstreute sich in alle Winde. Als ich dann im November 1982 eine Reisetasche packte, hieß mein Ziel nur deshalb Hamburg, weil ich nicht wie alle nach Berlin gehen wollte. Was für ein absurdes Bild: mit einer Reisetasche vor dem Elternhaus zu stehen und den Daumen rauszuhalten – und das sollte der Augenblick der endgültigen Abnabelung sein?

In Hamburg bekam ich gleich mal eine bittere Lektion erteilt: Da war ich gar niemand. Die WGs, bei denen ich mich vorstellte, wollten mich alle nicht. Mein erstes Zimmer war in einer Straße mit dem lustigen Namen Durchschnitt. Der Rest der Wohnung wurde vom Vermieter als Teppichlager benutzt. Immer mal wieder, auch nachts, kamen Männer und schleppten Teppiche rein oder raus. Ich dachte mir nichts dabei. Dafür war die Miete schön billig.

Nach einer Weile bekam ich doch noch ein Zimmer in einer WG, diesmal hörte die Straße auf den lustigen Namen Kleiner Schäferkamp. Außer mir wohnten noch drei Chilenen in der Wohnung, von denen einer abends immer drei rohe Eier aß für die Potenz und morgens in meinem Bett sein Glück versuchte. Tausend Mark für eine Heirat wurden mir auch schnell geboten, wegen der Aufenthaltsgenehmigung. Mir war klar, dass meine neuen Mitbewohner auf der sozialen Leiter Hamburgs noch weiter unten standen als ich, und das schweißte uns zusammen. Es war nämlich so, dass ich meines badischen Dialektes wegen überall nur belächelt wurde; in der Metzgerei in Sülldorf, wo ich inzwischen als Verkäuferin arbeitete, ebenso wie bei der Kassiererin im Supermarkt – ich wurde nicht ernst genommen. Damals war Hamburg noch Einzugsgebiet für Norddeutsche, da kam niemand aus Bayern oder Schwaben zum Studieren her.

Zur Peepshow kam ich eigentlich über meinen Vater. Der sagte eines Tages aus Spaß am Telefon: »Ich hab’ im Spiegel einen Artikel über die Reeperbahn gelesen. Da könntest du doch arbeiten.«

Und ich antwortete ebenso scherzhaft: »Klar. Mach ich.«

Dass ich mich überhaupt in so einen Schuppen reintraute, um mich zu bewerben, war eine echte Mutprobe. Womöglich musste ich mich vor dem Personalchef ausziehen und ihm was vorstrippen? Von wegen. Die nahmen eigentlich jede, sozusagen ungesehen. Fettleibigkeit, Hasenscharte, blühende Narben, alles kein Problem. »Wann kannst du anfangen?«

An meinem ersten Arbeitstag schossen sie ein Foto von mir, das im Schaukasten hing, wenn ich Schicht hatte. Sie überlegten, welchen Namen sie unter das Bild schreiben sollten. »Ach, du hast doch dunkle Haare. Wir nennen dich einfach Ilona, Ilona aus Verona, das klingt doch gut, oder?«

Die nächsten beiden Jahre wurden mir vonseiten meiner Familie keine lästigen Fragen mehr über meine Berufspläne gestellt. Das trauten sie sich bei Ilona aus Verona nicht.

1985 kapitulierte ich, kehrte dem hochnäsigen Hamburg den Rücken und zog nun doch nach Berlin. Bald landete ich im Fischbüro, einer Art Jugendzentrum für Nicht-erwachsen-werden-Wollende. Endlich fühlte ich mich wieder geborgen in einer Boheme. Und dann hatten sich auch schon die Lassie Singers gegründet, die einen zehn Jahre lang vor der Frage retteten: Womit soll ich eigentlich mein Geld verdienen?

Als ich Chris im Zauberbus traf, waren die Lassie Singers zwar schon aufgelöst, aber mit dem für die Best of und die Rest of extra gegründeten Label Flittchen Records, mit der mittwöchlichen Flittchenbar im Maria am Ostbahnhof, mit meiner neuen Band Maxi unter Menschen und ersten Lesungen war ich immer noch beschäftigt genug.

Chris kam dann tatsächlich zur Lesung, zusammen mit einem düsteren Mann, und der zusammen mit einem kleinen Hund. Der kleine Hund lief herum und lenkte die Zuschauer ziemlich ab, was mich nervte. Mit seinem gedrungenen Körper und den kurzen Beinen erinnerte er mich an ein Schwein, ich nannte ihn für mich »Schweinshund«. Irgendwann stand der Mann auf und ging mit seinem Hund nach draußen. Das war mir dann allerdings auch wieder nicht recht. Ich hoffte sehr, dass er nicht gegangen war. Tatsächlich kam er nach der Lesung wieder mit dem Schweinshund herein, der auf den Namen Lucie hörte, und Chris stellte mir »den Reverend« vor. Wir unterhielten uns ein bisschen, es war egal über was, ich war begeistert von dieser ruhigen tiefen Stimme und von dem ganzen Mann, der etwas sehr Trauriges und Unnahbares an sich hatte. Gleichzeitig war er wie ein Mann von Welt angezogen, wie man es aus Berlin gar nicht kannte. Schwarzer Mantel, Kaschmirschal, blank gewichste Schuhe und so. Während alle nach der Lesung draußen überdreht herumspackten, in kurzen Jacken und fleckigen Hosen, stand der geheimnisvolle Mann mit Chris etwas abseits und sah in seinem sehr langen Mantel mit xxx Kragen fast aus wie ein Pastor. Er bewegte sich kaum, nur seine Hände drehten eine Zigarette nach der anderen, und ein großer Rubin blitzte an seinem Finger auf.

Nach Jims Konzert ging es darum, wo geht man hin und wer kommt mit. Ich fragte Chris und seinen Freund, ob sie mit in den Pudel kämen, aber Reverend meinte, das wäre ihm dort zu wuselig, und Chris hatte auch wenig Lust. Ich wagte zu fragen, wo die beiden hingingen.

Reverend sagte: »In so eine Weinstube bei mir um die Ecke, in Altona.«

Weinstube hörte sich für mich nach gediegener Langeweile an. Außerdem war klar, dass ich Jim und die anderen da nicht hinbekommen würde. Also verabschiedeten wir uns, und Reverend gab mir noch seine Telefonnummer, weil ich am nächsten Tag mit Chris und einem Freund von ihm nach Berlin zurückfahren konnte. Ich war ein bisschen traurig, aber durch das ganze Zusammenpacken und die anderen Bekannten auch schnell abgelenkt. Außerdem hatte ich seine Telefonnummer.

Am nächsten Tag rief ich an, war ganz schön aufgeregt, aber nach ein paar Sätzen darüber, wie man den Abend noch verbracht hatte (»Im Pudel war auch nicht mehr viel los, wir sind dann bald gegangen«), sagte die schöne Stimme leider: »Aber du willst bestimmt mit Chris sprechen«, und gab mich weiter.

Das war’s dann für ein weiteres Jahr.