Ebook Edition

Zum Buch:

Zwei auf den ersten Blick banale Fragen: Das weltweit frei vagabundierende Spekulationskapital ist ein Krisenrisiko ersten Ranges – warum gelingt es noch nicht einmal, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen? Je schneller ein Auto fährt, desto mehr klimaschädliche Abgase emittiert es – warum gibt es kein Tempolimit? Klar: Lobbyismus. Es ist skandalös, wie es Lobbyverbänden gelingt, politische Entscheidungen zugunsten der eigenen Profite zu beeinflussen. Leidtragende sind in der Regel wir, die Bevölkerung. Die Autoren zeigen, in welchen Bereichen und welchem Umfang Lobbyisten tätig sind, und sie fordern: Mehr Transparenz bei den politischen Entscheidungsfindungen und Schluss mit den illegitimen Auswüchsen des Lobbyismus!

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Ines Pohl ist seit 2009 Chefredakteurin der taz.

Die studierte Germanistin arbeitete zuvor als freie Journalistin, Ressortleiterin Politik der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen und Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin.

Ines Pohl (Hg.)

Schluss mit
Lobbyismus!

50 einfache Fragen,
auf die es nur eine
Antwort gibt

Redaktion:
Mathias Bröckers und
Jürgen Gottschlich

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte

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und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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ISBN 978-3-86489-024-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012

Umschlaggestaltung: toepferschumann, Berlin

Autorenfoto: taz

Typografie: Stefanie Silber Gestalten, www.silbergestalten.de

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

Warum Lobbyismus kontrolliert werden muss

Lobbyorganisationen und LobbyistInnen

1   Lobby im Amt

2   Lobbyisten zeigen Gesicht

3   Waffen in die weite Welt

4   Bertelsmann: Lobbyismus als Steuersparmodell

5   Heavy Metal und soziale Marktwirtschaft

6   Die SPD als Lobby-Schlachtfeld

7   Lobbyisten als Parteispender

8   Die Lobby Gottes

9   Verleger gegen Google

10   Bilderberger – die Weltlobby

Banken und Finanzen

11   Ackermann und der Schuldenschnitt

12   Banken gegen Transaktionssteuer

13   Ratingagenturen – Lenker der Weltwirtschaft

14   Das Elend der Griechen

15   Wirtschaftslobby vs. Lafontaine

Auto und Verkehr

16   Warum wir weiter rasen

17   Die Geher-Lobby

18   Kranich fliegt steuerfrei

19   Brummis als Lagerhallen

20   Im Dienst nur Mercedes

21   Die Bahn: Privatisierung auf Kosten der Allgemeinheit

Agrar und Nahrung

22   Bauernverband: Lobby für die Turbo-Kuh

23   Agrarkonzerne als Subventionsgewinner

24   Legehennen: Skandal ohne Ende

25   Schlechtes Essen bleibt unerkannt

26   Warum wir immer weiter shoppen

27   Saatgut: Die Monopolisierung von Lebensgrundlagen

28   Lebensmittelindustrie schlägt Verbraucherschutz

29   Warum Gentechnik auf dem Acker bleibt

Ökologie und Energie

30   Kampf dem Müll

31   Friedensnobelpreis für die Atomlobby

32   Solarseilschaften im Ökobusiness

33   Energiewende hat Kohle

34   Das Ende der Glühbirne

Pharma und Drogen

35   Warum der Drogenkrieg nie endet

36   Psychopharmaka und Suizid

37   Pharmalobby verführt Kinderärzte

38   Spielsucht wie geschmiert: die Automatenlobby

Politik und Lobby

39   ACTA: Urheberrechtslobby vs. Internetcommunity

40   Das Sterben der Hallenbäder

41   Shoppingcenterlobby unterwandert Kommunen

42   Entwicklungshilfe für Geberländer

43   Minister ohne Fortüne

44   Einbürgerungen für Deutschlands Kinder

45   Türkei: Warten auf die EU

46   Niemand will Krieg. Niemand?

47   Gute Lobby/böse Lobby: Greenpeace

48   Europas letzter Diktator

49   Kein Strom im Erdölland

50   Männer leiden am Patriarchat

Die Autorinnen und Autoren

Vorwort

Von Ines Pohl

Interessenvertretung ist eine Grundlage der Demokratie. Wo alle Macht vom Volke ausgehen soll, muss das Volk mit seinen vielfältigen und unterschiedlichen Interessen auf Reformen, Gesetze, Verordnungen und die, die sie machen – Parlamente, Regierungen, Abgeordnete –, Einfluss nehmen. Diese Einflussnahme ist so alt wie die Demokratie selbst und eine unverzichtbare Lebensader der politischen Willensbildung. Die Forderung »Schluss mit Lobbyismus« meint deshalb nicht, diese Einflussnahme zu stoppen. Niemand kann wollen, dass Entscheidungen künftig nur noch im luftarmen Muff von Beamtenstuben und Kommissionen vorbereitet werden. Vertretungen von Interessen soll und muss es geben, wenn Demokratie lebendig bleiben soll. Dabei muss aber klar und transparent sein, wer welche Interessen warum vertritt. Wenn Gewerkschaften sich für Arbeitnehmerinteressen einsetzen, wenn Kirchen ihre religiösen Belange vorbringen oder Studierende bessere Bildungsangebote fordern, würde das niemand Lobbyismus nennen.

Und darum geht es auch nicht, wenn heute neben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung und den Medien als vierter Gewalt von der »fünften Gewalt« des Lobbyismus gesprochen wird. Bei dieser Neuentwicklung handelt es sich genau betrachtet vielmehr um einen Rückschritt in autokratische Systeme, wo einst privilegierte »Hofschranzen« in den Vorzimmern der Macht »antichambrierten«, um ihre Partikularinteressen durchzudrücken. Wenn heute aber Vertreter bestimmter Industrieverbände direkt in Ministerien angestellt sind oder Minister sich Gesetzesvorlagen von externen Industrieberatern schreiben lassen oder Politiker nach Ablauf der Amtszeit nahtlos in Großkonzerne wechseln und durch die Drehtür wieder zurück in ein Amt – dann sind wir von solchen vordemokratischen Hofschranzensystemen tatsächlich nicht mehr weit entfernt.

Solche Auswüchse zu stoppen und zu verhindern, dass sich Partikularinteressen zuungunsten des Gemeinwohls durchsetzen, liegt im ureigenen Interesse jedes demokratischen Systems. Weil wir zeigen wollen, wie Lobbyismus wirksam kontrolliert werden kann, haben wir diesem Buch ein Gespräch mit Timo Lange, dem Sprecher von LobbyControl, vorangestellt – der Nichtregierungsorganisation, die sich seit 2005 in Deutschland in Sachen Lobbyismus engagiert. Und wie notwendig ein solches Engagement ist, zeigen die fünfzig Beispiele, die Autorinnen und Autoren der taz für diesen Band ausgewählt haben. Auch wenn die Fragen auf den ersten Blick banal erscheinen mögen, werden Sie erschüttert sein, welche Verwebungen es zwischen Politik und Privatinteressen gibt: Wir wissen, dass das weltweit frei vagabundierende Spekulationskapital ein Krisenrisiko ersten Ranges ist – warum gelingt es noch nicht einmal, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen? Je schneller ein Auto fährt, desto mehr klimaschädliche Abgase emittiert es – warum gibt es kein Tempolimit? Warum verschwinden selbstverständliche Dinge wie Hallenbäder oder Glühbirnen, warum werden ungesunde Lebensmittel nicht deutlich gekennzeichnet, warum wird der aussichtslose »Krieg gegen Drogen« immer weiter geführt, warum verpesten Flugzeuge steuerfrei die Luft, warum werden immer mehr Kinder mit Psychopharmaka gedopt? Jedes Mal und immer wieder stecken Lobbyisten und ihre Profitinteressen dahinter. Und die Leidtragenden sind in der Regel wir, die Bevölkerung. Die Beiträge zeigen, in welchen Bereichen und welchem Umfang Lobbyisten tätig sind, und sie fordern: Mehr Transparenz bei den politischen Entscheidungsfindungen und Schluss mit den illegitimen Auswüchsen des Lobbyismus.

Ich verspreche Ihnen eine erhellende Lektüre, die Sie durchaus aufregen soll!

Warum Lobbyismus kontrolliert werden muss

Ein Gespräch mit Timo Lange von LobbyControl

LobbyControl wurde 2005 gegründet. In diesem Jahr wurden die Nebenjobs von Politikern – Friedrich Merz hatte ganze achtzehn – zum Medienthema. 2006 sorgte der Wechsel des Ex-Kanzlers Schröder zu Gazprom für Aufsehen, dann der Übertritt von Wolfgang Clement zu RWE … Doch bevor wir zu solchen konkreten Fällen kommen: Wie definiert LobbyControl das Phänomen Lobbyismus überhaupt?

Lobbyismus ist zunächst einmal die gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Das sind in der Regel Gesetze, Verordnungen, das können auch Vergabeverfahren sein. Diese Einflussnahme kann direkt erfolgen, indem professionelle Interessenvertreter sich mit politischen Entscheidungsträgern in Kontakt setzen, sich mit ihnen treffen, Argumente vortragen und versuchen, ihre Positionen möglichst gut in die Politik zu bringen.

Zu Lobbyismus gehört aus unserer Sicht aber auch der erweiterte, eher indirekte Bereich, den man auch mit dem Begriff Public Affairs bezeichnet, sowie die Arbeit von Denkfabriken, die langfristig den politischen Diskurs verändern. Hier sollen politische Entscheidungen über die Öffentlichkeit indirekt beeinflusst werden. Es ist also ein Bündel aus verschiedenen Strategien und Maßnahmen, die man in den Blick nehmen muss, wenn man Lobbyismus analysieren will.

Handelt es bei solchen Versuchen der Einflussnahme nicht um die selbstverständliche Vertretung von Interessen in einem demokratischen System? Wo liegt das Problem?

Wir haben in Deutschland und in Europa derzeit ein großes Problem mit Lobbyismus, was vor allem daran liegt, dass er weitgehend unreguliert ist. Lobbyismus ist aktuell sehr intransparent und es mangelt an Regeln, die mehr Transparenz herstellen würden. Wenn die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen kann, wer eigentlich mit welchen Mitteln in wessen Auftrag auf welche politischen Entscheidungen einwirkt, ist das ein Problem für die Demokratie. Das Problem wird noch verstärkt durch ein großes Ungleichgewicht der Kräfteverhältnisse. Nicht jedes Interesse hat eine organisierte, finanzstarke und professionalisierte Lobby, nicht jedes Interesse hat eine Organisation hinter sich stehen, die hier in Berlin ein Lobbybüro unterhält. Und durch dieses große Ungleichgewicht drohen schwächere Interessen unter die Räder zu kommen. Dieses Kräfteungleichgewicht – kombiniert mit der Intransparenz – stellt im Grunde das demokratische Prinzip in Frage, nach dem jede und jeder eine Stimme und die prinzipiell gleichen Möglichkeiten haben sollte, ihre/seine eigenen Interessen, Vorstellungen, Überzeugungen in die Politik einzubringen.

In einer Studie des Otto-Brenner-Instituts wurden unlängst Lobbyisten aus der Industrie zitiert, die meinten, dass sie eigentlich der David seien und NGOs wie Greenpeace der Goliath. Industrielobbyisten sehen es also genau spiegelverkehrt, indem sie sagen, sie seien nicht angemessen repräsentiert in den Medien. Da sind wir bei dem Punkt »guter Lobbyismus/schlechter Lobbyismus«. Interessenvertretung ist in jeder Demokratie nicht nur legitim, sondern sogar erwünscht und notwendig.

Ja, Interessenvertretung ist etwas Legitimes und notwendig für eine lebendige Demokratie. Dass NGOs in Wahrheit die mächtigeren Akteure sind, ist jedoch Unsinn. Sicherlich gibt es inzwischen viele NGOs, die ebenfalls erfolgreich Lobby- und Kampagnenarbeit betreiben. Dennoch gibt es durch die eingesetzten Budgets und die Schaffung und Nutzung von privilegierten Zugängen zur Politik ein starkes Ungleichgewicht bei den Möglichkeiten der Einflussnahme – und das nicht zugunsten der NGOs. Bei der Frage nach gutem und schlechtem Lobbyismus muss man zwischen der inhaltlichen und der methodischen Ebene unterscheiden. »Schlecht« ist Lobbyarbeit dann, wenn unlautere Methoden und Mittel eingesetzt werden, wenn verdeckt gearbeitet wird und zum Beispiel nicht erkennbar ist, wer hinter einer bestimmten Kampagne steht, wer der Auftraggeber eines Lobbyisten ist. Das ist unabhängig davon, ob das eine NGO oder ein Wirtschaftsverband macht. Auch deswegen muss Lobbyismus transparenter und stärker reguliert werden, um solchen Methoden vorzubeugen. Über die inhaltliche Ebene kann man »guten Lobbyismus« nicht definieren.

Die Atomlobby findet wahrscheinlich, dass ihre Arbeit in Ordnung ist, weil sie überzeugt ist, wir brauchen Atomstrom.

Es geht nicht darum zu sagen, die Atomlobby vertritt Interessen, die ich nicht gut finde, und deshalb sollten die ihre Lobbyarbeit einstellen. Unsere Kritik setzt nicht daran an, dass wir sagen, bestimmte Lobbys vertreten ein schlechtes Interesse, sondern daran, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme unausgewogen sind. Neben der reinen Lobbyarbeit gibt es ein ganzes Feld von engen Verknüpfungen und Verzahnungen zwischen der Welt der Wirtschaft und der Politik – zum Beispiel der Wechsel von Spitzenpolitikern aus dem Amt in Lobbyjobs. Das ist das sogenannte Drehtürphänomen, das ebenfalls dringend einer Regulierung – durch eine Karenzzeit – bedarf. Spitzenpolitiker wechseln meist zu großen Unternehmen oder gründen eine eigene Lobbyagentur. Das verstärkt das Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Interessengruppen. Auch insofern teile ich die Einschätzung nicht, dass die NGOs die Goliaths sind, die die Politik vor sich hertreiben. NGOs und Bürgerinitiativen haben die Möglichkeit, über die Mobilisierung von vielen Menschen Druck aufzubauen. NGOs können über die Medien bestimmte Themen platzieren und Debatten anstoßen. Das ändert aber nichts an den grundsätzlichen strukturellen Verhältnissen. Schauen wir uns doch nur die Lobbybudgets an und fragen: Wer hat wie viel Geld, um Kampagnen zu machen, um Agenturen zu beauftragen, um hochprofessionelle eigene Lobbyisten zu beschäftigen, um Denkfabriken zu beauftragen oder eben um Personal aus der Politik abzuwerben? Dann sehen wir die Vorteile ganz klar nicht auf Seiten der NGOs.

Und trotzdem haben wir den Atomausstieg. Was nützt also all das Geld, wenn doch offensichtlich die Lobby der anderen Seite, sprich der Atomausstiegsbefürworter, sich am Ende als stärker herausstellt?

Richtig, der Ausstieg aus dem Wiedereinstieg wurde beschlossen. Aber zuvor wurde in sehr intransparenten Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den vier großen Energiekonzernen zunächst der Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Dort wurde die Problematik des privilegierten Zugangs zu Entscheidungsträgern sehr deutlich. Der Zugang war hier nochmal besonders, weil sich Schwarz-Gelb im Wahlkampf 2009 der Unterstützung der Atomlobby sicher sein konnte. Mit der Laufzeitverlängerung 2010 haben sich Atomlobby und die Regierung Merkel weit aus dem Fenster gelehnt und gegen breite gesellschaftliche Vorbehalte agiert. Sie waren also besonders verletzlich, als dann die Katastrophe von Fukushima eintrat. Die Kombination aus Umweltkatastrophe, voriger Lobbypolitik und der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg hat dann das Verhältnis zugunsten der Atomkraftkritiker gekippt.

Es gibt also Möglichkeiten, auch gegen starke Lobbys politisch zu handeln und Widerstand zu leisten. Trotzdem ist aber grundsätzlich eine Machtasymmetrie vorhanden – und da setzt sich dann zum Beispiel die Industrie mal wieder weitgehend durch. Dabei geht es oft nicht darum, etwas Eigenes auf die Agenda zu bringen, sondern einen Regulierungsvorschlag zu verhindern, zu blockieren, zu verzögern, zu verwässern, abzuschwächen. Und das ist etwas, wo Wirtschaftslobbyisten sehr aktiv werden. Wenn zum Beispiel ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, Lebensmittel mit einer übersichtlichen Ampel für die Verbraucher zu kennzeichnen, dann wird richtig viel Geld mobilisiert, um dieses Ampelsystem zu verhindern, weil man als Lebensmittelindustrie fürchtet, dass das zu Umsatzeinbußen führt.

In der FAZ erschien kürzlich ein lamentierender Artikel im Wirtschaftsteil, weil ein Ausschuss des EU-Parlaments ACTA, das internationale Urheber- und Patentabkommen, abgelehnt hatte. Die Autorin beklagt sich darin über »Governance by Shitstorm« und wo wir denn hinkämen, wenn sich die Politik von ein paar Bloggern und Twitterern treiben ließe. Tatsächlich waren im Fall von ACTA hunderttausend Menschen ganz leibhaftig auf der Straße – und erst dann war das für die Regierung und für die Medien ein Thema. Die Mobilisierung für diese großen Demos fand aber in der Tat weitgehend über das Internet statt, das insofern auch eine aktive Macht geworden ist.

Bei ACTA muss man dazu sagen, dass es in diesem Fall das erste Mal war, dass das Europäische Parlament bei so einem Abkommen ein Wörtchen mitzureden hatte. Bisher konnten EU-Kommission und Rat über solche Abkommen allein entscheiden, jetzt konnte die einzige direkt gewählte Europäische Institution mitentscheiden. Das Parlament ist in seiner Arbeitsweise wesentlich transparenter als die Kommission, und die Abgeordneten sind ihren Wählerinnen und Wählern gegenüber verantwortlich. Das hat Auswirkungen darauf, wie auf Proteste reagiert wird. Im Vorlauf zu ACTA haben wir dagegen gesehen, wie in kleinen Gruppen mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Die Proteste gegen ACTA sind auch eine Reaktion auf solche fragwürdigen Entscheidungsprozesse und ein wichtiges demokratisches Korrektiv. Der Protest war wichtig, um das Thema auch im Parlament zu politisieren und eine öffentliche Debatte über ACTA anzustoßen. Es ist eigentlich eine Frechheit, politische Proteste als »Shitstorm« abzutun. Durch das veränderte institutionelle Gefüge der europäischen Institutionen nach dem Lissabon-Vertrag hat das Parlament an Macht dazugewonnen. Das war ein wichtiger Schritt, auch um zu gewissen einseitigen Lobbyeinflüssen auf die Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten, also den Rat, ein Gegengewicht zu ermöglichen.

Dass sich der Widerstand zuerst im Netz gerührt hat und dann in die reale Welt überschwappt, scheint ja durchaus auch eine Chance zu sein, wie zivilgesellschaftliche Interessen, wie Druck von Bürgerinnen und Bürgern an Einfluss gewinnen.

Das Thema Partizipation ist etwas, was viele Menschen seit einigen Jahren nicht nur vor dem Hintergrund von Infrastruktur-Großprojekten stark bewegt. Durch das Internet und die neuen technischen Möglichkeiten haben sich Partizipationsmöglichkeiten und Mobilisierungsstrategien verändert. Das bewegt inzwischen auch die etablierte Politik, wirbelt die Parteienlandschaft durcheinander und betrifft natürlich auch die Lobby- und Unternehmensseite stark. Dort wird sich inzwischen intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man auf die veränderten Bedingungen reagieren soll. Eine Strategie ist es, Partizipationsinstrumente einzusetzen, um letztlich Akzeptanz zu schaffen. Dabei geht es aber nicht darum, tatsächlich Mitbestimmung zu ermöglichen. Vielmehr schaut man, wie eine Partizipationsveranstaltung zu konstruieren ist, damit das Gefühl vermittelt wird, hier wurde mitgesprochen. Das heißt also: Akzeptanz schaffen, ohne eine den eigenen Interessen zuwiderlaufende Entscheidung zu riskieren. Mehr Partizipation und mehr direkte Demokratie sind sicher auch ein Einfallstor für Lobbyeinflüsse, indem Geld in die Hand genommen wird, um Kampagnen zu finanzieren oder Bürgerinitiativen für die eigene Sache zu gewinnen. Das ist das sogenannte Astroturfing-Phänomen: Man tut so, als sei man eine Bewegung oder Initiative von unten, während sie tatsächlich von oben gesteuert oder finanziert wird. Das kann auch so laufen, dass eine bestehende Gruppe oder Initiative mit zusätzlichen Ressourcen, politischen Kontakten oder einer professionellen PR-Strategie unterstützt wird.

Wie zum Beispiel die sogenannten Klimaskeptiker, die von den Ölmagnaten wie den Koch-Brüdern gepusht werden. Auf der anderen Seite – Beispiel Stuttgart 21 – sah es so aus, als sei eine breite Mehrheit gegen den tiefergelegten Bahnhof, und wenn die Volksabstimmung stattfindet, ist eine Mehrheit dafür. War das möglicherweise auch ein Beispiel von Astroturfing, waren die Proteste möglicherweise gar nicht echt?

Die Lobbyisten waren natürlich auch bei der Volksabstimmung aktiv und haben massiv für Stuttgart 21 geworben. Es gibt eine interessante Auswertung der Volksabstimmung von »Mehr Demokratie«. Sie kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die Pro-Stuttgart-21-Seite mehr finanzielle Ressourcen hatte und dass die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart einseitig informiert haben. Auch das Engagement der IHK Stuttgart und Ulm wird kritisch bewertet. Es gibt tatsächlich Lobbyisten, die, wie gesagt, Bürgerbewegungen gerne unterwandern würden. Insofern ist es immer gut, genauer hinzugucken, ohne paranoid zu werden. Es braucht auch hier mehr Transparenz über die Finanzierung von NGOs und Initiativen. Ein Lobbyregister hilft dabei. Damit könnten wir schauen, welche Lobbyisten sind vor Ort, woran arbeiten sie und mit welchen Mitteln? Auch NGOs müssten sich dort eintragen und ihre Finanzquellen offenlegen. In dem Bereich von direkter Demokratie und Partizipation ist es natürlich ebenso wichtig genau hinzuschauen, wer welche Kampagnen finanziert oder Unterschriftensammlungen initiiert. Hier muss es Regeln geben, die dafür sorgen, dass Finanzquellen offengelegt werden. Darüber hinaus sollte es Ausgabenlimits für Kampagnen im Rahmen von Volksabstimmungen geben.

Aber was soll ein Lobbyistenregister bringen? Wissen wir in Wirklichkeit nicht schon immer, wer wohinter steckt? Ist es nicht anhand eines Gesetzes oder einer Verordnung, je nachdem, was zur Debatte steht, immer schon klar erkennbar, wem es nützt?

Nein, das ist eben nicht immer klar erkennbar. Nehmen wir den Bahnskandal: Da hat die Bahn verdeckt die Aktivitäten der vermeintlich unabhängigen Denkfabrik Berlinpolis finanziert. Sie wollte damit dem breiten Protest gegen die geplante Bahnprivatisierung entgegenwirken. Aufgeflogen ist das erst zwei Jahre später durch unsere Recherche. Ein Lobbyregister hilft dabei, solche verdeckten Strategien und Methoden zu verhindern. Es schafft mehr Überblick über die Lobbyszene und hilft Gegenstrategien zu entwickeln. Insofern trägt ein Lobbyregister dazu bei, ein mehr an Chancengleichheit für alle Akteure herzustellen.

Aber in den USA gibt es ein Lobbyistenregister, ganz Washington ist voller Lobbyisten, obwohl es ein Register gibt. Und sie sind bekanntermaßen sehr erfolgreich.

Richtig. In Amerika haben wir natürlich noch ganz andere Probleme, was das Thema Geld und Politik angeht, insbesondere im Bereich der Wahlkampffinanzierung. Das ist hier in Deutschland eine andere Problematik. In Amerika ist das Lobbyregister auch nicht perfekt, so wie es ausgestaltet ist. Es stellt trotzdem einen Grad an Transparenz her, den wir hier nicht haben. Ein Lobbyregister ist sicher keine Wunderwaffe. Aber zum Beispiel haben die Zahlen aus dem US-Lobbyregister die Recherchen angestoßen, die letztlich zur Aufdeckung des Skandals um den Superlobbyisten Jack Abramoff geführt haben.

Welchen krassen Fall von verdecktem Lobbyismus hätten wir in Deutschland in letzter Zeit verhindert, wenn wir hier ein ordentliches Register hätten?

Das ist natürlich schwierig zu sagen, weil wir immer nur die Spitze des Eisbergs kennen. Aber die verdeckte Pro-Privatisierungs-Kampagne der Bahn wäre früher aufgeflogen. Und es wäre sehr viel einfacher, solche Phänomene durch ein Lobbyregister zu erfassen, wenn Lobbyagenturen ihre Kunden dort offenlegen müssen. Das hat auch eine korruptionspräventive Wirkung, indem man genauer verfolgen kann: Wer steckt eigentlich wohinter? Wer arbeitet mit wem zusammen? Wo fließen welche Gelder? Das Register soll Lobbyarbeit nicht verhindern, sondern sichtbar machen, wo etwas passiert, und dann die Möglichkeit geben, genauer nachzuforschen.

Es geht auch nicht nur um die krassen Fälle. Wer macht heute eigentlich die Lobbyarbeit für den Panzerverkauf nach Saudi-Arabien? Wen hat Krauss-Maffei-Wegmann unter Vertrag und wie viel Geld fließt da? Oder wer hat Lobbyarbeit dafür gemacht, dass die staatlichen Einwohnermeldeämter unsere Daten an Adresshändler verkaufen dürfen, ohne die Bürgerinnen und Bürger um Zustimmung zu fragen? Solche Fragen sind spannend – ein Lobbyregister würde dazu Antworten geben.

Außerdem würde ein verpflichtendes Lobbyregister die Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Lobbygruppen sehr viel sichtbarer machen. Wir wüssten, wie viele Lobbyisten es gibt, für wen sie arbeiten und mit welchen Budgets. Das würde in der öffentlichen Debatte eine erhöhte Sensibilität für diese Faktoren ermöglichen.

Es müsste eigentlich auch das Interesse der Politik sein, das schlechte Image des Lobbyismus zu korrigieren. Das tut sie aber eher nicht, Forderungen nach einem Lobbyregister hat die Linkspartei schon mal vor fünf Jahren eingebracht, das wurde abgelehnt.

Transparenz löst nicht alle Probleme die wir mit Lobbyismus haben, das ist völlig klar. Es ist ein erster Schritt, um der Öffentlichkeit zu ihrem Recht zu verhelfen, die Umstände, unter denen politische Entscheidungen getroffen werden, zu kennen. Mit dem Volk als Souverän der Demokratie kann es nicht sein, dass bestimmte Gruppen verdeckt oder in einer nicht nachvollziehbaren Weise agieren und zugleich erheblichen Einfluss haben auf politische Entscheidungen. Daran muss einfach etwas geändert werden. Darüber hinaus muss es klare Schranken zur Begrenzung von privilegierten Zugängen und Verflechtungen zwischen Politik und Interessengruppen geben, zum Beispiel mit einer Karenzzeit und einer Begrenzung von Parteispenden. Mehr Transparenz ist auch in anderen Bereichen notwendig, etwa bei den Nebeneinkünften von Abgeordneten.

Aber ist die Jagd nach Intransparenz und daher unstatthafter Beeinflussung nicht wie der Versuch, ein glitschiges Stück Seife festzuhalten? Selbst wenn es ein Lobbyregister gäbe und dort alle Verbände und Lobbybüros aufgeführt wären, dann werden doch einfach nur andere Anwaltskanzleien mit unscheinbaren Namen bemüht, um bestimmte Dinge einzufädeln. Das heißt, die entscheidenden Gespräche werden immer nur ins nächste Hinterzimmer verlagert, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt gerichtet ist.

Ein Register würde dazu dienen, dass es diese Umwege, diese Ausweichmöglichkeiten in dem Sinne eben nicht gäbe. Man braucht eine klare Definition davon, wer Lobbyist ist und sich dementsprechend dort registrieren muss – samt der beauftragenden Organisation –, und dann würden natürlich auch Anwälte dazu zählen, wenn sie als Lobbyisten tätig sind.

Die aber niemand verdonnern kann, ihre Mandanten offenzulegen.

Aus unserer Sicht ist das durchaus möglich. Man braucht hier eine Differenzierung zwischen Anwälten, die originäre anwaltliche Tätigkeiten ausüben, die ihre Mandanten bei der Ausübung ihrer Grundrechte vertreten oder sie in Rechtsfragen beraten, und solchen Anwälten, die explizit den Auftrag haben, politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Wenn die Forderungen umgesetzt würden, hätten wir dann nicht so etwas wie einen unangenehmen Überwachungsstaat? Ist die Forderung von Transparenz von unten nicht eine, die wir als Forderung von oben nie dulden würden?

Es geht hier nicht um einfache Bürgerinnen und Bürger, die irgendwie überwacht werden sollen, sondern um eine ganz bestimmte und zwar auch relativ überschaubare Gruppe von Personen, die in Berlin professionelle Interessenvertretung gegen Geld betreiben. Sie haben einen wesentlichen Einfluss auf Politik, auf politische Entscheidungen. Die Bürgerin, die ihrem Abgeordneten einen Brief schreibt oder im Wahlkreis ihre Meinung sagt, wäre natürlich nicht von solch einem Register betroffen – ebenso wenig wie Teilnehmende einer Demo, die natürlich auch Politik beeinflussen wollen, aber eben nicht professionell und dauerhaft. Ein Lobbyregister hat nichts mit einem Überwachungsstaat zu tun. Ansonsten könnte man auch fordern: keine Transparenz bei der Parteienfinanzierung, sollen die ihr Geld doch herbekommen, wo sie wollen! Wir wollen diese Art der Überwachung nicht!

Weil die Transparenz eines Lobbyregisters nicht ausreicht, gibt es die Forderungen, den Drehtüreffekt durch eine Karenzzeit zu erschweren, damit ein Politiker nicht sofort in einen Wirtschaftsverband oder ein Unternehmen wechselt. Wenn ich im Gesundheitsministerium war, dürfte ich nicht sofort zu einem Pharmakonzern wechseln und ihn beraten, wie er am besten sein nächstes Gesetz durchbekommt.

Uns geht es vor allem darum zu sagen: Innerhalb der drei Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Amt sollten Lobbytätigkeiten nicht möglich sein. Und zwar nicht nur in dem Bereich, für den ich vorher politisch zuständig war, sondern allgemein. Denn hier wird dann ein unglaubliches Kontaktnetzwerk, ein in öffentlichem Auftrag erworbenes Insiderwissen und Know-how weitergetragen. Das verstärkt das Missverhältnis zwischen verschiedenen Interessengruppen, da es in der Regel so ist, dass die Top-Leute aus der Politik in die Top-Unternehmen wechseln und in der Regel nicht zu kleinen NGOs oder mittelständischen Unternehmen. Besonders brisant ist es selbstverständlich dann, wenn jemand in genau den Bereich wechselt, für den er oder sie vorher politisch zuständig war. Darüber hinaus besteht die Gefahr von Interessenkonflikten in dem Sinne, dass Entscheidungen noch während der Amtszeit an den Interessen eines möglichen zukünftigen Arbeitgebers ausgerichtet werden könnten.

Aber um jetzt mal mit Schröder zu sprechen: Was ist denn falsch daran, wenn der ehemalige Kanzler seine guten Kontakte zu Herrn Putin und ähnlichen Leuten nutzt, um uns den Zugang zu den großartigen Gasreserven Russlands zu bahnen?

Es ist falsch, weil es die Demokratie untergräbt. Schröder handelt doch nicht im öffentlichen Auftrag, um den Zugang zu Gaslieferungen zu sichern. Vielmehr kaufte Gazprom Schröders Kontaktnetzwerk ein, um gegenüber der Politik besser aufgestellt zu sein. Das können sich nur finanzstarke Unternehmen und Lobbyorganisationen leisten. Wenn der Bundeskanzler in den letzten Monaten seiner Amtszeit noch so ein Projekt einfädelt und dann direkt zu der dafür verantwortlichen Firma wechselt und davon profitiert, führt das automatisch zu Verdächtigungen, dass die Entscheidung für Nord Stream nicht nur als Ergebnis einer Abwägung objektiver Argumente getroffen wurde.

Gibt es eklatantere Beispiele als Schröder und Gazprom aus der jüngsten Vergangenheit?

Ja. Zum Beispiel Gerald Hennenhöfer, der jetzige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium. Er war schon mal in der gleichen Position, bis 1998 unter Umweltministerin Merkel. Nach dem Regierungswechsel damals ist er aus dem Ministerium ausgeschieden und umgehend zu Viag – dem Unternehmen, das heute E.ON heißt – gewechselt. Dort wurde er Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik, das heißt, er war faktisch der Lobbyist, der unter anderem sein ehemaliges Ministerium lobbyiert hat. Er vertrat die Interessen eines Konzerns, den er vorher als Abteilungsleiter regulieren sollte – und verhandelte schließlich auf Seiten von E.ON den Atomausstieg mit der rot-grünen Bundesregierung. Er hat dann noch eine Zeit lang als Anwalt unter anderem für den damaligen Betreiber der Asse gearbeitet. Als dann Schwarz-Gelb 2009 wieder an der Regierung war, ist er wieder auf seinen alten Posten zurückgewechselt. Er ist also ein sogenannter 360-Grad-Seitenwechsler.

Ist es in solchen Fällen nicht schwer nachweisbar, dass es einen wirklichen Schaden gegeben hat? Das scheint doch ein grundsätzliches Problem der Lobbyismus- und Kontrolldebatte, dass wir einfach nicht sagen können, was denn gewesen wäre, wenn Schröder nicht zu Gazprom gegangen wäre. Wo ist denn unter den bisher aufgedeckten Fällen ein Schaden nachweisbar?

Die wirkliche Nachweisbarkeit ist schwierig. Das ist übrigens so ähnlich wie bei Korruptionsfällen, bei denen es einen Anfangsverdacht gibt, aber letztendlich selten exakt eine Unrechtsvereinbarung nachgewiesen werden kann, weil es keine schriftlichen Unterlagen gibt. Hier muss man sich dann mit Indizien behelfen. Wenn bei Seitenwechseln Interessen kollidieren, ist das noch schwieriger, weil man den Fall schließlich empirisch nicht zweimal durchspielen kann. Das ist nur einmal geschehen und außerdem spielen noch viele andere Faktoren bei politischen Entscheidungen eine Rolle. Wir haben natürlich Indizien und Hinweise, die dann darauf hindeuten, dass möglicherweise eine Beeinflussung vorlag, dass eben nicht nur im Sinne des öffentlichen Interesses entschieden wurde. Dass wir es nicht exakt beweisen können, ist für mich kein Argument dagegen, das Phänomen Drehtür unter Kontrolle zu bringen. Beim Drehtüreffekt haben wir die eine Seite, bei der es darum geht zu fragen: Welche Entscheidungen wurden getroffen, als der Betreffende noch in der politischen Verantwortung war? Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Was passiert, wenn der Seitenwechsler mit seinem dicken Adressbuch und seinem Insider-Know-how in einen Lobbyjob wechselt?

Was waren denn in den letzten Jahren die krassesten Fälle von immerhin gut unterstellbarem Schaden durch solche Seitenwechsel?

Den Schaden hat zunächst grundsätzlich die Allgemeinheit, wenn politische Entscheidungen an den Interessen eines möglichen zukünftigen Arbeitgebers ausgerichtet werden. Wie gesagt lässt sich der konkrete Schaden selten exakt belegen, aber es gibt durchaus Fälle, wo zumindest der Verdacht naheliegt, dass eine enge Beziehung zwischen Entscheidungsträger und einem zukünftigen Arbeitgeber eine Rolle gespielt hat. Hennenhöfer wurde zumindest aus der Anti-AKW-Bewegung für einige Entscheidungen stark kritisiert, zum Beispiel als er zugunsten von RWE und entgegen des Beschlusses der damaligen hessischen Regierung die Abschaltung des AKW Biblis per bundesaufsichtlicher Weisung verhinderte. Wolfgang Clement hat sich in seiner Zeit als Wirtschaftsminister stark für Kohlesubventionen eingesetzt und wechselte nur wenige Monate nach dem Ende seiner Amtszeit in den Aufsichtsrat von RWE. Und als Arbeitsminister peppelte er die Leiharbeitsbranche und wechselte kurze Zeit später zur Zeitarbeitsfirma DIS. Auf europäischer Ebene wechselte die Vorsitzende des Verwaltungsrats der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hin und her zwischen der EFSA und der Lobbyorganisation International Life Sciences Institute. Als Vorsitzende war sie für die Wahrung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der EFSA und die Auswahl der wissenschaftlichen Berater zuständig. Zugleich wurden in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Interessenkonflikten und engen Verbindungen zur Lebensmittelindustrie bei der EFSA bekannt. Das EU-Parlament segnete der EFSA daher kürzlich den Haushalt nicht ab und erwähnte die Vorsitzende Diana Banati namentlich in der Begründung. Erika Mann war als EU-Abgeordnete für ihre unternehmensfreundliche Haltung bekannt und hat an vielen Gesetzgebungsverfahren im IT-Sektor mitgewirkt. Seit letztem Jahr ist sie nun Cheflobbyistin von Facebook in Brüssel.

Bei all diesen Fällen kann man jedoch nicht sagen, es war ausschließlich der Seitenwechsel beziehungsweise die Aussicht auf einen lukrativen Industriejob, der hier einen Einfluss hatte. Clement hat sich schon lange zuvor für die Kohleindustrie eingesetzt. Industriefreundliche Politikerinnen und Politiker wechseln nun eben bevorzugt in die Industrie. Wir fordern, dass der Wechsel in explizite Lobbyjobs nicht möglich sein soll, da das zu einseitigen Vorteilen für eine Interessengruppe führen kann.

Gibt es auch einen Vorschlag, wie mit Nebentätigkeiten von Politikern umgegangen werden soll? Kann man so viele haben, wie man will, wenn man sie nur alle schön versteuert und öffentlich macht?

Wir fordern vor allem mehr Transparenz, weil die bestehende Regelung wirklich desaströs ist. Sie verschleiert mehr, als dass sie etwas offenlegt. Immerhin sehen wir inzwischen, welche Nebenarbeitgeber es gibt, aber die Kenntnis darüber, welche Summen fließen, ist sehr begrenzt. Momentan müssen Bundestagsabgeordnete ihre Nebeneinkünfte in drei Stufen offenlegen, wobei die dritte Stufe – ab 7 000 Euro – nach oben offen ist. Das macht es unmöglich zu erfahren, ob der Betreffende für eine Beratungstätigkeit 8 000 oder 80 000 Euro bekommen hat.

Wie könnte denn eine Welt aussehen, in der Interessenvertretung möglichst gerecht und fair abläuft?

Wichtig ist, dass wir nicht stehenbleiben bei unserem gegenwärtigen politischen System und sagen, das ist die Demokratie und die ist gut so, wie sie ist. Wir müssen an der Demokratie weiterarbeiten, sie weiterentwickeln, sie stärken. Dazu gehört, dass wir mehr partizipative, mehr direktdemokratische Elemente einführen. Dazu gehört, dass die Politik selbst, die Institutionen, in sich transparenter werden, dass sichtbarer wird, was passiert eigentlich wann. Konkret könnte das beispielsweise heißen, dass Ausschussdrucksachen öffentlich gemacht werden. Wir brauchen natürlich auch die Expertise und das Betroffenenwissen, das Verbände und Unternehmen haben, wenn es um gesetzliche Regelungen geht, die sie betreffen. Das muss in die Politik kommen, aber eben auf eine transparente Weise. Das kann man durch öffentliche Anhörungen machen oder indem man Stellungnahmen von Interessengruppen zu einem Gesetzentwurf frühzeitig öffentlich macht. Wir brauchen insgesamt einen Wandel der politischen Kultur und mehr Transparenz in allen Bereichen: Parteienfinanzierung, Nebentätigkeiten von Abgeordneten, Lobbyeinflüsse. Dazu die bereits angesprochenen Schranken bei der Drehtür.

Wir haben jetzt viel über den direkten Lobbyismus gesprochen, den Versuch, auf Politiker, Entscheidungsträger und Regierungsinstitutionen Einfluss zu nehmen. Aber ist diese Art von direktem Lobbyismus nicht sogar zu vernachlässigen im Vergleich zu der Lobbyarbeit, die indirekt über die Medien die Öffentlichkeit beeinflusst? Oder anders gesagt: Wenn ich drei Chefredakteure von Bild, FAZ und Spiegel an einem Tisch habe und denen sage, Leute, wir müssen da jetzt mal was machen. Und die drei sagen: Ja, stimmt. Ist das nicht eine letztlich viel mächtigere Kraft in diesem Spiel als der Lobbyist, der mit einem Abgeordneten frühstückt?

Ich würde das nicht so unabhängig voneinander sehen, sondern als etwas Komplementäres, das die direkte Lobbyarbeit vorbereitet und begleitet. Mir fällt es natürlich viel leichter, einen Abgeordneten auf meine Seite zu bringen, wenn es vorher schon eine große mediale Kampagne zu dem Thema gab und die Debatte in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Es ist ein ganz entscheidender Schritt, wenn ich es schaffe, über die Medien den Fokus etwa in der Debatte um ein Gesetz in eine bestimmte Richtung zu lenken. Nehmen wir die europäische Chemikalienverordnung REACH. Dort ging es zu Beginn der Debatte vor allem um Themen wie Umwelt- und Gesundheitsschutz. Hier wurde es von Seiten der Chemieindustrie erfolgreich geschafft, über geschickt zum richtigen Zeitpunkt platzierte Zeitungsartikel und bei Beratungsagenturen in Auftrag gegebene Studien den Rahmen der Debatte hin zu Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzverlust und Wohlstand zu verschieben. Wenn das so gelingt, ist das ein Riesenerfolg und für Lobbyisten eine viel bessere Ausgangsbasis für die direkte Lobbyarbeit bei Abgeordneten und Ministerien.