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Impressum

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Juli 2015

ISBN 978-3-7392-9305-9

Covergestaltung:

Dr. Franz - Josef Kleschnitzki, Witten Photos:

Christel Schmitt, Witten

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

In diesem Buch sind die Andachten gesammelt, die ich in den Jahren 2006 bis 2012 gehalten habe, als ich zu regelmäßigen Kurpredigerdiensten in Oberstdorf/Allgäu eingeladen war. Von daher verstehen sich auch Titel, Untertitel und Bilder des Buches.

So wichtig es im Blick auf die wechselnde Hörerschaft war, dass jede Andacht in sich eine thematische Einheit bildete, so sehr war es darüber hinaus doch auch mein Anliegen, durch die Formulierung eines übergreifenden Leitthemas für jede Andachtsreihe biblisch-theologische und kirchenjahreszeitliche Zusammenhänge zu verdeutlichen.

Die Andachten sind von der theologischen Grundüberzeugung geleitet, dass die Heilige Schrift Quelle und Maßstab jeglicher Verkündigung zu sein hat; sie sind deshalb eine besondere Form der Schriftauslegung in den Lebensalltag der Hörer hinein. Die Andachtssituation mit persönlicher Anrede und dialogischer Struktur ist bewusst beibehalten.

Einige wenige Texte wurden in zwei verschiedenen Andachtsreihen verwendet, weil sie sich in das jeweilige Leitthema gut einfügten; sie erscheinen hier nur in einer Reihe, in der anderen wird auf sie kurz hingewiesen.

Der Titel des Buches stammt aus dem 36. Psalm. Das hier in v. 7a im hebräischen Urtext gebrauchte Wort zedaqa lässt sich freilich in seiner ursprünglichen Bedeutungsbreite nur sehr unzureichend mit der üblichen deutschen Übersetzung „Gerechtigkeit“ wiedergeben. Bezogen auf Gott bringt es dessen Beständigkeit, Verlässlichkeit und Wahrhaftigkeit im Sinn seiner Gemeinschafts- bzw. Bundestreue zum Ausdruck. Sie steht unerschütterlich fest wie die hohen Berge, auf sie ist unter allen Umständen Verlass.

Die im Buch aufgenommenen Bilder von der Oberstdorfer Bergwelt möchten auf das hinweisen, was Gottes Wort uns bietet: klare Luft, weiten Blick, eindrucksvolles Panorama.

Witten, im Mai 2015Rainer Schmitt

I

Biographie und Botschaft des Apostels Paulus

I. 1 Einführung

Hebräer 13, 7f.

„Biographie und Botschaft des Apostels Paulus“ – das soll der thematische rote Faden unserer Andachten sein. An Hand ausgewählter Texte wollen wir uns auf das besinnen, was unseren Glauben ausmacht und was er uns bedeutet. Dass wir uns dabei mit einem interessanten Stück Geschichte des Urchristentums und mit einem zentralen Entwurf urchristlicher Schriftauslegung und Theologie beschäftigen müssen, ist unumgänglich und hoch bedeutsam. Aber die entscheidende Frage ist: Wie werde ich als einzelner Christ, wie werden wir als christliche Gemeinde mit unseren Erfahrungen, Fragen, Wegen und Irrwegen, mit den Herausforderungen und Umbrüchen unserer Zeit von diesen Texten angesprochen? Was bedeutet mir in all diesen Erfahrungen mein Glaube, und was würde mir fehlen, wenn mir der Glaube in meinem Leben fehlte? Manche Antworten auf diese Fragen werden wir klar formulieren und thematisieren, manche werden sich aus dem Nachdenken über die ausgewählten Texte unausgesprochen ergeben, ohne dass wir sie weiter thematisieren.

Im Hebräerbrief lesen wir: „Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (13, 7f.).

„Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben“ – Wem verdanken Sie das Wort Gottes, das Zeugnis des Glaubens? Ihren Eltern, Lehrern, Pfarrern, Gemeindemitarbeitern, Professoren? Was verdanken wir als Kirche(n) in unserem persönlichen und gemeindlichen Leben den Lehrern der Christenheit: Evangelisten und Aposteln, den Reformatoren und Vätern des Pietismus und der Erweckungsbewegungen, Dichtern unseres geistlichen Liedguts, Märtyrern des Dritten Reichs…? Gedenkt ihrer und seid dankbar! Macht euch klar: Die wichtigen Dinge des Lebens sind Geschenke, wir verdanken sie nicht uns selbst, sondern anderen. Denken und danken gehören auch hier zusammen.

„Ihr Ende schaut an“ – Am Ende erst und an den Grenzen kommt oft heraus, wo eines Menschen Leben seine Mitte und seinen Halt hat(te). Das Ende, die Grenze als die eigentliche Bewährung des Glaubens… Darum schaut ihr Ende an!

„… und folgt ihrem Glauben nach“ – nicht in dem Sinn einer Imitation, auch nicht im Sinn der Heiligenverehrung. Sondern fragt: Wie haben diese Menschen in ihrer Zeit, unter den Umständen ihres Lebens Christus bezeugt, und welche Hilfe geben sie uns dafür, dass wir in unserer Zeit und unter den Umständen unseres Lebens den Glauben leben und bewähren und bezeugen können – auf alltägliche, aber vielleicht manchmal auch auf außerordentliche Weise.

Wir gedenken unserer Lehrer in rechter Weise und wir folgen ihrem Glauben nach, wenn wir uns immer wieder auf den besinnen, der damals wie heute Grund und Mitte des Glaubens ist: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“.

I. 2 Paulus – Apostel Jesu Christi

Römer 1, 1 – 6

„Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes… von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn…, in seinem Namen den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden, zu denen auch ihr gehört…“ – So steht es auf der Visitenkarte am Anfang des Römerbriefs, mit der sich Paulus vorstellt. Auf jedes Wort kommt es an, damit wir uns kein falsches Bild von ihm machen.

Paulus zieht Bilanz: Bilanz seiner Lebenserfahrungen und seines theologischen Denkens an einem Punkt, an dem er innehält und ausschaut nach neuen Ufern. Sein Wirken in Kleinasien und Griechenland ist abgeschlossen, von Rom aus will er sich nun Spanien zuwenden. Der Gemeinde in Rom stellt er sich deshalb vor in seinem Brief, persönlich und mit seiner Botschaft.

Apostel ist er, nicht selbst ernannt und von eigenen Gnaden, nicht durch den Entschluss oder die Autorität eines Menschen dazu gemacht, sondern erwählt, ausgesondert, berufen durch Gottes Wohlgefallen. Gott hat seine Hand im Spiel gehabt, lange bevor Menschen denken und handeln konnten: „… von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen“ (Galater 1, 15), wie Paulus in Anknüpfung an alte Prophetentradition (Jeremia 1, 5) schreibt. Niemand anders als Gott ist es, der hier beruft, beauftragt, Vollmacht verleiht. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (1. Korinther 15, 10).

Und deshalb steht Paulus in keines andern Dienst als im Dienst Jesu Christi: sein Knecht, ihm verpflichtet und gehorsam. Er definiert sich also nicht aus sich selbst, sondern aus der Beziehung heraus, in die er durch Gott gestellt ist. Selbst wenn er wollte, käme er aus diesem Dienst nicht frei. An anderer Stelle nennt er es einen Zwang, das Evangelium predigen zu müssen (1. Korinther 9, 16), wiederum alte Prophetentradition (Jeremia 20, 9) aufnehmend.

Sein Auftrag lautet: Predige das Evangelium von Jesus Christus, Gottes Sohn, unserem Herrn! Nichts anderes! Zu anderem bist du nicht berufen und legitimiert! „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen“ (2. Korinther 4, 5).

Was bedeuten diese Einträge auf der Visitenkarte des Paulus für uns? Wo wir Paulus, dem Boten des Evangeliums, begegnen, da begegnen wir dem Wort und Wirken Gottes. Durch seinen Boten kommt und spricht Gott zu uns, sind wir in Gottes Wirken hineingenommen, nimmt das Evangelium seinen Lauf zu uns. Denn Adressaten des Evangeliums sind alle Menschen der Völkerwelt, „zu denen auch ihr gehört“ (Römer 1, 6). Gottes Geschichte ist eine inklusive Geschichte, die vor niemandem Halt macht. Und sie ist eine Geschichte, deren Horizont weiter ist als mein kleines Ich, so wahr ich persönlich und unverwechselbar von ihr angesprochen bin. Es ist eine Geschichte und eine Botschaft, die die Welt umspannt und allen Menschen gilt.

Auf der Visitenkarte am Anfang des Römerbriefs wird deutlich, wie sich bei Paulus Biographisches und Theologisches untrennbar miteinander verbinden, und darum werden wir beides immer im Auge behalten müssen: den Menschen Paulus und den Boten des Evangeliums. Man kann die Wege und das Wirken des Apostels nicht verstehen, wenn man seine Theologie nicht versteht; und seine Theologie wird erst verständlich, wenn man seine besonderen Lebenserfahrungen einbezieht.

I. 3 Die Reisen des Paulus

Apostelgeschichte 11, 19 – 26

Antiochia steht am Anfang, nicht nur historisch, sondern auch theologisch. Hier in der damals größten und bedeutendsten Stadt des Vorderen Orients, an der Stelle des heutigen Antakya in der Südostecke der Türkei, laufen die Fäden zusammen, aus denen sich die sogenannten Missionsreisen des Paulus entspinnen.

Leute aus dem Stephanuskreis, die infolge der Steinigung des Stephanus in Jerusalem verfolgt und zerstreut wurden (Apostelgeschichte 7, 54-8, 3): Leute aus Phönizien, Zypern, Kyrene, sie kommen nach Antiochia. Auch ein Mann namens Josef, genannt Barnabas, ein Levit aus Zypern (Apostelgeschichte 4, 36), ein in der Jerusalemer Urgemeinde angesehener Mann „voll heiligen Geistes und Glaubens“, kommt nach Antiochia. Er bringt Saulus von Tarsus, Schüler des berühmten Toralehrers Gamaliel II., vom Christenhasser und –verfolger zum Christusboten bekehrt, nach Antiochia. So wächst hier eine starke christliche Gemeinde heran, deren Mitglieder zum ersten Mal „Christen“ genannt werden.

Dieses Antiochia steht am Anfang, wird Ausgangspunkt der drei Missionsreisen des Paulus und für die beiden ersten auch der Endpunkt. „Bote des Evangeliums von Jesus Christus für die Menschen der Völkerwelt“ (Römer 1, 1-6) -, das war der Auftrag des Paulus, und die Apostelgeschichte zeichnet die Wege nach, die er gegangen ist, gut zehn Jahre seines Lebens (von ca. 45 bis 56 n. Chr.): zuerst über Zypern in die südlichen Provinzen Kleinasiens (Pamphylien, Pi-sidien, Lykaonien), dann nördlich davon durch Kilikien und das galatische Land, Phrygien bis an die Nordküste der Ägäis, von wo er den Schritt nach Europa (Griechenland) tut; zuletzt noch einmal eine ähnliche Route mit einem zweiten Aufenthalt in Griechenland.

Die hervorragende Verkehrsinfrastruktur des römischen Reichs hat er sich zunutze gemacht: die gut ausgebauten und bewachten Straßen mit ihren Unterkünften, die Häfen und Schifffahrtslinien. Die Wege, die Truppen-, Handels- und Kulturbewegungen dienten, nutzte er zur Verbreitung des Evangeliums; die gute Erschließung des Landes diente ihm zur Vernetzung der von ihm gegründeten Gemeinden. In den großen Städten hat er, unter Nutzung der Kommunikations- und Versorgungsmöglichkeiten und auch der jüdischen Gemeindestrukturen, mit seiner Arbeit angesetzt: in Salamis und Paphos, Perge, Antiochia in Pisidien, Ikonium, Ephesos, Philippi, Thessaloniki, Athen und Korinth. Vielerorts sind Gemeinden entstanden, die wir vor allem aus seinen Briefen genauer kennen und die als Ausgangspunkte für die weitere Ausbreitung des christlichen Glaubens dienten.

All dies führt uns vor Augen, wie das Evangelium seinen Weg durch die Gegebenheiten des weltlichen Alltags nimmt und diese nutzt. Diese äußeren Rahmenbedingungen müssen nicht erst geschaffen werden, sie sind da. Paulus ist mit dem Evangelium unterwegs auf den Marktplätzen und Landstraßen der Welt. Das Evangelium kommt nicht in ein Niemandsland, sondern in eine durch Zivilisation und Kultur geprägte und strukturierte Welt.

Mit alledem ist Wichtiges gesagt, aber noch nicht das Entscheidende. Zwei kleine Bemerkungen weisen uns auf dieses Entscheidende hin: „Der Heilige Geist sprach: Sondert mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe“ (Apostelgeschichte 13, 2). Und: „Als sie bis nach Mysien gekommen waren, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen; doch der Geist Jesu ließ es ihnen nicht zu“ (16, 7). In, mit und unter allen äußeren weltlichen Gegebenheiten, Strukturen und Abläufen lenkt Gottes Geist den Weg des Evangeliums. Er ist die innere Triebfeder, die Kraft und der Wegweiser der Mission, der Ausbreitung des Glaubens, der Gründung und des Wachstums der Gemeinden. Die Wege des Apostels sind die Wege, die Gottes Geist seinen Boten führt. So wie Gott bereits bei der Berufung des Paulus seine Hand im Spiel hatte, so lenkt er den Lauf des Evangeliums.

I. 4 Paulus und seine Mitarbeiter

1. Korinther 3, 5 – 11

„Paulus, berufen zur Verkündigung des Evangeliums für die Menschen der Völkerwelt“ -: So steht es auf seiner Visitenkarte. Aber das heißt nicht, Verkündigung, Mission, Gemeindeaufbau sind eine Ein-Mann-Show! Die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe zeigen: Da gibt es noch andere neben ihm! Die Gefährten auf seinen Reisen wie Barnabas, Johannes Markus, Timotheus, Titus, Silvanus oder auch hervorragende Persönlichkeiten in den von ihm gegründeten Gemeinden wie jener redegewandte, schriftgelehrte und überzeugungsstarke Apollos aus Alexandria, dem wir in Ephesos und Korinth begegnen. Aus dem 1. Korintherbrief erfahren wir, dass dort viele Leute auf diesen Apollos schworen, ihn vielleicht sogar als Konkurrenten des Paulus ansahen und gegen ihn ausspielten, so dass es nicht nur Gerangel und Streitigkeiten, sondern sogar die Gefahr von Spaltungen in der Gemeinde gab.

Wer ist Apollos? Wer ist Paulus? Wer sind die anderen, die bei euch eine Rolle spielen? So fragt Paulus die Gemeinde. Und seine Antwort, die ihn selbst einschließt, lautet: Diener sind wir alle, Mitarbeiter Gottes. Das lässt allen ihren Raum. Das gibt jedem seine Würde. Das verbindet sie alle. Die gemeinsame Aufgabe, das Evangelium zu verkündigen, ist so groß, dass sie nicht von einem Einzelnen bewältigt werden kann. Alle sind in diese Aufgabe einbezogen. Keiner hat für alles Zeit und Kraft. Jeder hat seine besonderen Begabungen und Fähigkeiten, seinen Wirkungsraum und seine Möglichkeiten. Alle sind aufeinander angewiesen. Und jeder hat seine Aufgabe: Der eine pflanzt, der andere gießt, ein dritter pflügt und streut den Samen aus. Aber das Gedeihen gibt Gott!

Das relativiert und begrenzt den Dienst jedes Einzelnen. Unser Part als Mitarbeiter in Verkündigung, Mission, Gemeindeaufbau ist das Ackern und Säen, das Pflanzen und Gießen, und das ist allen Einsatz und Fleiß wert! Aber wir müssen uns nicht übernehmen: „Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand“, wie wir in einem Erntedanklied (EG 508) singen. Dafür müssen wir weder die Verantwortung noch die Garantie übernehmen!

Auf diesem Hintergrund wird noch einmal der besondere Klang deutlich, den die Bezeichnungen „Diener“ oder „Mitarbeiter Gottes“ für Paulus haben. Es reicht nicht aus zu sagen, und es trifft nicht den Grundton dieser Bezeichnungen, wenn wir sagen, dass Paulus einen brüderlichen Lebens- und Arbeitsstil hatte; dass er so großzügig war, dass er auch andere neben sich gelten lassen konnte; dass er zu groß dachte, als dass er sich an Konkurrenz und Rivalität hätte stören können… Entscheidend ist, dass wir beim Bau der Gemeinde, beim Bau des Reiches Gottes alle einander brauchen, dass wir einander helfen und nicht im Wege stehen und vor allem nicht aus dem Blick verlieren sollen, worauf wir in allem Dienst und aller Mitarbeit angewiesen sind und vertrauen dürfen: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der (von Gott) gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1. Korinther 3, 11).

I. 5 Der Inhalt des Evangeliums

1. Korinther 15, 3 – 5

Paulus, der Bote des Evangeliums, der Guten Nachricht. Wovon handelt sie? Was ist ihr Inhalt, der sie zu einer guten Nachricht macht? Paulus fängt mit dem Überlegen und Formulieren nicht neu an. Er knüpft an, er gibt weiter, was er selbst schon empfangen hat. Er erinnert seine Leser und Hörer in Korinth an eine Tradition, die vor ihm und ohne ihn besteht und die auf den Ursprung aller Verkündigung, allen Glaubens und allen Gemeindeseins zurückgeht: „Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was auch ich empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift und dass er begraben worden ist und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen“.

Es ist die gute Nachricht von Jesus, der nicht für sich lebte, nicht das Seine suchte, nicht sich selbst der Nächste war, nicht auf Kosten anderer lebte. Er lebte für andere und für Gott. In Gottes Vollmacht vergibt er Menschen ihre Schuld, macht er sie gesund, sucht Gemeinschaft mit ihnen und ruft sie in seine Nachfolge. Wer so lebt, läuft Gefahr, verkannt, angefeindet, abgelehnt und beseitigt zu werden. Das Ende ist bekannt. Dass er bis zuletzt für die Wahrheit und Liebe Gottes einsteht, kostet ihm das Leben. Darauf läuft alles hinaus. Am Ende steht das Kreuz, das Kreuz als die Abbreviatur der Geschichte Jesu, als die Quintessenz und die Quittung dieses Lebens für andere. Im Kreuz ist alles zusammengefasst.

„…gestorben für unsere Sünden nach der Schrift und begraben“ - : Das ist der nackte, historisch unbestreitbare Tatbestand und zugleich die von der Geschichte Jesu her einzig legitime Deutung: kein Unfall, keine Panne, als ob Gott die Kontrolle verloren hätte, sondern eine heilsgeschichtliche Notwendigkeit, die dem Willen Gottes entspricht, „… gemäß der heiligen Schrift“!

An dieser harten, anstößigen Wirklichkeit sind die Jünger zerbrochen – verständlicherweise. Verwirrt, verängstigt, am Ende. Was sie wahrnehmen, ist nichts als Zusammenbruch, Scheitern. Alles stand auf dem Spiel, alles ist verloren. Vor ihren Augen, in ihren Köpfen und Herzen das Aus, keine Zukunft. Was war, ist Episode. Die Sache Jesu – vorbei! Hätte jetzt noch einer gesagt: Es gibt noch Hoffnung, die Sache wird irgendwie weitergehen, man hätte ihn ausgelacht. Ein Träumer, ein weltfremder Spinner, ein Schwärmer, der den Boden der Tatsachen unter den Füßen verloren hat!

Es kam anders – wider Erwarten und alle Erfahrungen! Von den Jüngern heißt es: Er ist ihnen erschienen, er, Jesus, der Gekreuzigte und ins Grab Gelegte! Er ist ihnen begegnet, sie können es glaubwürdig bezeugen, in großer Zahl. Und sie verkündigen – wider alle Erwartungen und Erfahrungen: Er lebt! Er ist auferweckt von den Toten!

Eine neue Welt bricht an. Grenzen sind überschritten, die un-überschreitbar erschienen: die Grenze des Todes, die Grenze der Sünde, deren Sold der Tod ist. Die Grenze, an der die Jünger ihren Herrn scheitern sahen, ist nicht mehr end-gültig, wie sie zuvor zu sein schien. Er lebt und begegnet seinen Jüngern. Und wiederum: Er bleibt nicht für sich. Er durchschreitet die Grenzen für uns. Wo er Menschen begegnet, ändert sich ihr Leben: Verzweifelte werden getröstet, Traurige werden froh, Schuldbeladene werden frei, Versager werden aufs Neue in seinen Dienst gestellt. So damals bei den ersten Jüngern, so ist es geblieben bis heute. „… auferstanden am dritten Tage und gesehen worden“, und auch das gemäß der heiligen Schrift, die Gottes Weisheit und Ratschluss offenbart.

Das ist das Evangelium, das Paulus in allen seinen Briefen entfaltet, als dessen Bote er von Gott berufen ist. Dieses Evangelium sollen alle Menschen hören. Sie sollen es annehmen, sich zu Herzen nehmen, mit in ihren Alltag nehmen als befreiende, tröstende und gestaltende Kraft. Aber dieses Evangelium weckt allen erdenklichen Widerspruch, auf allen Seiten, schon damals. Wie ist das bei uns? Oder sollte es für uns so selbstverständlich sein, dass es keinen Widerspruch mehr weckt?

I. 6 Das Evangelium im Widerspruch

1. Korinther 1, 18 – 25

Jesus, der Gekreuzigte, lebt. Gott hat ihn auferweckt von den Toten. Er hat teil an Gottes ewigem Leben. Das ist der Inhalt des Evangeliums, das Paulus allen Menschen zu verkündigen hat.

Unmöglich! So haben schon damals in Korinth viele, vor allem fromme Juden, auf das Wort vom Kreuz reagiert. Ein gekreuzigter Erlöser? Ein Messias, der leidet und stirbt? Ein schwacher Gott? Das Schandmal des Kreuzes Zeichen des Sieges? Eine Eselei, eine Torheit! Das passt nicht ins Bild. Und in Athen haben die Philosophen Paulus verspottet, als er von der Auferstehung sprach. Wie viele haben seither den angeblich gesunden Menschenverstand oder die Wissenschaften bemüht, um zu sagen: Unmöglich!

Man kann sich die Sache doch auch ganz anders vorstellen, sie ganz natürlich erklären, zum Beispiel so: Die äußerste Ratlosigkeit der Jünger ist, psychologisch gut verständlich, in neue Hoffnung umgeschlagen… Oder auch so: Nach langem Kampf haben sich die Jünger zu der Überzeugung durchgerungen, dass die Verkündigung und Lebenspraxis Jesu auch durch seinen Tod nicht überholt seien… Oder auch so: Jesu Tod hat in seinen Jüngern eine Trotzreaktion ausgelöst: Kopf hoch, wir machen weiter! Und auch die Erklärung mit dem Scheintod oder dem Leichenraub hat man sich einfallen lassen. So wird doch die Sache ganz vernünftig, ohne weiteres denkbar, auch für Gebildete und Aufgeklärte zumutbar…

Paulus hat erfahren, dass er mit dem Evangelium bei seinen Hörern nicht ohne weiteres ankommt, nicht das trifft, was sie sich unter Gott immer schon vorgestellt haben, was ihnen vertraut ist. Das Evangelium ist für sie vielmehr eine Überraschung, eine Zumutung, ein Ärgernis. Gott ist anders als die Gottesbilder, die wir immer schon mitbringen, anders als der Gott der Philosophen, der Zeitgeistkinder, auch der Theologen! Paulus sagt das auch selbstkritisch: Er ist ja Theologe, Schriftgelehrter, hat bei einer der großen Autoritäten in Jerusalem, Rabbi Gamaliel II., studiert. Er ging mit der Bibel um und hatte sie im Kopf. Aber all seine mitgebrachte Gelehrsamkeit half ihm nicht, den Gott zu begreifen, den das Evangelium bezeugt.

Er hatte neu gelernt – und musste immer wieder neu damit anfangen! -, Gott zu begreifen auf der Spur Jesu, sich frei zu machen von seinen Gottes- und Menschenbildern, Gott vielmehr wahrzunehmen als den befremdlichen und doch so nahen Gott, der uns in Jesus Christus begegnet. Hier hat er sich auf uns eingelassen, hier ist er für uns da, hier begegnen wir ihm so, wie er in Wahrheit ist.

Eigentlich, so ist Paulus überzeugt, sollten wir Gott aus der Schöpfung erkennen, die uns umgibt. In ihr spiegelt sich ja Gottes Weisheit und Macht wider. Aber der Mensch bleibt in seiner Weisheit, seinen Gottes- und Menschenbildern befangen und geht so an Gott vorbei, verfehlt Gott, ersetzt Gott durch seine selbstgemachten und -ernannten Götzen, versagt Gott die Anerkennung, die ihm allein gebührt. Deshalb hat sich Gott entschlossen, in Jesus Christus einen Weg zu gehen, den die Menschen für töricht und ärgerlich halten, weil er im Widerspruch zu dem steht, was sie sich von Gott vorstellen und für angemessen halten.

Dietrich Bonhoeffer hat diese Gedankengänge des Paulus so wiederzugeben versucht: Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt, aber gerade so und nur so ist er bei uns und hilft uns. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen (ergänze: und zu allen Philosophien und unseren gängigen Gottesvorstellungen): Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt… Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und an das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen. Dass die Schuld nicht bleibt und der Tod nicht siegt, das wird uns nur im Evangelium des gekreuzigten und auferweckten Christus zugesagt.

I. 7 Die „missionarische Regel“ des Paulus

1. Korinther 9, 19 – 23

Paulus, Diener Jesu Christi, berufen, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen. Dieser Auftrag schließt eine unbedingte Verbindlichkeit, aber auch eine große Freiheit ein: Verbindlichkeit, was den Inhalt der Botschaft angeht; Freiheit, was die Formen und Gestaltung des Dienstes angeht.

Paulus erfährt in seinem Dienst: Die Menschen, die ich mit dem Evangelium erreichen will, sind nicht alle gleich. Jeder hat seine bestimmte Vorgeschichte, seine Art zu denken, zu sprechen, zu leben, zu handeln. Jeder ist unverwechselbar geprägt und lebt diese Individualität in dem Zeit-Raum aus, der ihm zum Leben gegeben ist.

Das gilt auch für seine Frömmigkeit. Paulus hat die beiden Gestalten im Blick, die für ihn die Menschheit repräsentieren: die Gestalt des Juden, dessen Leben und Glauben geprägt ist von der Tora, dem Gesetz des Mose; und die Gestalt des Nicht-Juden, des Menschen der Völkerwelt, für den dieses Gesetz keine tragende Rolle spielt. Beiden Gestalten begegnet Paulus auf seinen Missionsreisen. Beiden soll und will er das Evangelium nahebringen. Das Evangelium, in dem sich Gott allen Menschen zuwendet, in dem Gott jeden Menschen sucht und anspricht und mit sich konfrontiert. In diesem Evangelium bekundet Gott, dass er allen Menschen (zum Leben) helfen will dadurch, dass sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2, 4).

Um dieses Evangeliums willen begibt sich Paulus in die größtmögliche Nähe zum Hörer, wendet sich ihm zu, teilt seine Welt: seine Sprache, sein Denken, seine religiöse Prägung, seine Vorstellungen und Erfahrungen in der ganzen Vielfalt menschlicher Individualität. Er vollzieht in seinem Dienst gleichsam die Zuwendung Gottes zum Menschen nach:

„Obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben“.

Das könnte freilich missverstanden werden und zu falschen Schlüssen führen, auch in unserer heutigen volkskirchlichen Situation mit allem Bemühen, Menschen zu erreichen, sie abzuholen und zurückzuholen und festzuhalten durch allerlei moderne Methoden -, stille und schrille wie Meditationskurse oder Technogottesdienste, mit gruppenspezifischen Angeboten für Kinder, Frauen, Patienten, Künstler, Manager, Sportler, Motorradfahrer und viele andere mehr. Kaum mehr überschaubar ist die Vielfalt werbewirksamer Selbstdarstellungen auf Kirchen- und Gemeindetagen…

Aller um des Evangeliums willen notwendigen Offenheit und Flexibilität zieht Paulus freilich – vom Evangelium her! – eine deutliche Grenze. Er weiß und sagt und hält daran fest, dass es im Evangelium um Gottes Wort geht, das für uns immer ein fremdes Wort, eine Herausforderung, eine Zumutung ist. Niemandem darf die Begegnung mit diesem Wort erspart bleiben. Wir mögen es als Unsinn oder als Ärgernis empfinden. Es geht bei diesem Wort immer um unser Leben.

Das zu hören und zu beherzigen verpflichtet Paulus auch uns heute in einer Zeit und Gesellschaft, die so sehr geprägt ist vom Materialismus, vom Machbarkeitswahn, von einem überbordenden Individualismus und Egoismus, von einem ungezügelten Streben nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Paulus passt den Inhalt des Evangeliums nicht den Wünschen, Erwartungen und Maßstäben seiner Hörer an, er ist – bei aller Nähe zu ihnen - weit entfernt von jeglicher Anbiederung, die nur Verrat am Evangelium sein und zur Verleugnung des Ziels führen würde, auf das all sein Dienst ausgerichtet ist: „… um (möglichst viele oder doch wenigstens einige) Menschen zu gewinnen“, wie Paulus viermal in dem kurzen Abschnitt sagt. Dass Menschen durch das Evangelium zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und den Weg zum Leben finden, dazu ist Paulus „allen alles geworden“. Darum geht es, wo immer und solange das Evangelium in der Welt gepredigt wird.

I. 8 Der Glaube als Antwort

Römer 10, 13 – 17

Die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus wird allen Menschen gepredigt. Dafür beruft und beauftragt Gott seine Leute, zum Beispiel Paulus und seine Mitarbeiter auf den Reisen und in den Gemeinden. Dafür wissen sich Menschen auch heute berufen, dafür werden sie ausgebildet. Dafür legen sie ihr Ordinations-gelübde und ihren Doktoreid ab. Wozu der ganze Aufwand, den Gott da treibt und den wir in der Kirche treiben? Welchen Zweck, welches Ziel verfolgt die Verkündigung des Evangeliums, auf welche Wirkung ist sie aus?

„… den Gehorsam des Glaubens aufzurichten“ – so steht es auf der Visitenkarte des Apostels Paulus (Römer 1, 5): verbindlichen, lebensbestimmenden Glauben zu wecken. Von diesem Glauben als dem Ziel und der Frucht der Verkündigung des Evangeliums spricht Paulus an zentralen Stellen seiner Briefe, besonders des Galater-und Römerbriefs. Auf diesen Glauben kommt es im Leben eines Menschen entscheidend an. Aber was ist und wie entsteht dieser Glaube?

Sagen wir es zunächst negativ, um Irrtümer und Irrwege auszuschließen: Glaube ist keine in uns angelegte Möglichkeit, keine natürliche Veranlagung oder Ausstattung, keine mitgebrachte oder zu erlernende Haltung. Glaube ist auch kein unmittelbarer, freier Entschluss, auch kein Wagnis, womöglich das kühnste, zu dem sich ein Mensch bewegen (lassen) kann. Nichts von alledem!

Positiv entfaltet Paulus in Römer 10, 13-17, was Glaube ist – schrittweise, in einem Kettenschluss: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden. Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt sind?... So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes“.

Paulus legt hier die Voraussetzungen des Glaubens offen, die kein Mensch schaffen, zu denen kein Mensch etwas beitragen kann. Die Voraussetzungen, die hier genannt werden, schafft allein Gott, sie sind sein Werk für uns. Es wird (mir) gepredigt, damit ich Christi Wort hören und dadurch glauben kann. Und wo gepredigt wird, da muss einer gesandt und beauftragt sein, Christi Wort zu predigen. Meinem Hören und Glauben geht also Entscheidendes voraus, was nicht in meiner Macht steht. Ich kann mich ja nicht selbst beauftragen und senden, mir nicht selber predigen.

Gott ergreift hier die Initiative und setzt alles in Bewegung. Mein Glaube verdankt sich dem zuvorkommenden Wirken Gottes. Damit, dass Gott mich das Evangelium hören lässt, schafft er die Möglichkeit zu glauben. Er tut alles, was bei mir zur Voraussetzung des Glaubens gehört. „Der Glaube kommt aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi“.

Was geschieht in der Predigt, in der ich das Wort Christi höre? Es kommt zur Begegnung mit Gott, in der er mir den Glauben anbietet, ihn gleichsam als Möglichkeit mitbringt. Von daher ist nicht der Glaube das große Rätsel, sondern der Unglaube, die „unmögliche Möglichkeit“. So wahr dieser Glaube immer auch menschliches Tun ist – „ich glaube“, nicht: „es glaubt in mir“ -, so ist es doch ein Tun, das von Gottes vorauslaufendem Tun abhängt und aus Gottes Tun für mich lebt. Er nimmt Gottes Tun auf und spiegelt es wider und kehrt zurück zu der so lange versäumten Antwort des Lobens und Dankens, in der der Mensch seinen Schöpfer wiederfindet.

Der Glaube nimmt also das ihm in der Predigt begegnende Wort Gottes wahr und ernst. Er ist Antwort auf Gottes Wort. Und da dieses Wort mir stets in einer Doppelgestalt begegnet: als Verheißung und Gebot, als befreiende Gabe und verpflichtende Aufgabe, hat der aus diesem Wort lebende Glaube immer zugleich die Gestalt des Vertrauens und des Gehorsams.

I. 9 Zu Jesus Christus gehören

Römer 6, 3f.

Das Evangelium zu predigen, das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Christus: Das ist der Auftrag des Paulus und jeder christlichen Verkündigung bis heute. Diese Verkündigung zielt ab auf den Glauben des Hörers: Der Glaube kommt aus der Predigt. Aber was bedeutet und bewirkt dieser Glaube?

Paulus beantwortet diese Fragen unter anderem damit, dass er von der Taufe spricht. Er versteht die Taufe als eine Konsequenz des Evangeliums, als den persönlichen Vollzug und als Bekenntnis dessen, was im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi geschehen ist. Was diese in Christus, also außerhalb meiner Existenz, ohne mein Zutun und lange vor meinem Dasein (extra me) geschehene Geschichte für mich (pro me) bedeutet, wie ich als Glaubender in meiner Existenz von dieser Geschichte betroffen bin und in sie hineingehöre, das exemplifiziert Paulus am Thema der Taufe. Es geht also in der Taufe um meine Zugehörigkeit zu, meine Verbundenheit mit und mein Bezogensein auf Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Somit ist die Taufe kein isoliertes Einzelthema, sondern Darstellungsmittel, Veranschaulichung und Konkretion meines Seins in Christus.

Paulus schreibt dazu im Römerbrief (6, 3f.): „Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“.

Die Taufe – nicht jene weithin verflachte und sinnentleerte volkskirchliche Konvention, sondern die Taufe in ihrer ursprünglichen Bedeutung! – sagt an und sagt zu, was durch Tod und Auferstehung Christi für mich geschehen ist, wie Gott mich in diesem Geschehen mit gesehen und bedacht, wie er mich an- und aufgenommen hat. Die Taufe ist also wie das Abendmahl eine besondere Form der Evangeliumsverkündigung! Und zugleich ist die Taufe Bekenntnis des Glaubenden zu Christus: Seine Geschichte ist keine mir fremde und ferne, wie sonst historische Ereignisse mir immer ferner und fremder werden, je weiter sie in der Vergangenheit zurückliegen, sondern eine ganz nahe, gleichsam auf den Leib gerückte Geschichte, in der ich mich finden darf, in die ich vom Ursprung her hineingehöre.

Der Glaube, der aus der Verkündigung des Evangeliums kommt, bringt mich so gesehen in eine Schicksalsgemeinschaft mit Christus, gibt mir Anteil an seinem Geschick. Paulus drückt das sprachlich sehr einfach und umso eindringlicher und eindrucksvoller so aus, dass er vom Mit-Gekreuzigtsein, Mit-Gestorbensein, Mit-Begrabensein und (der Hoffnung auf das) Mit-Lebendigwerden spricht. Was Christus für mich getan hat, kommt mir in der Gemeinschaft mit ihm zugut: Vergebung der Sünden (als die Befreiung von den Mächten, die uns in unserer Gottvergessenheit und Gottesferne gefangen halten) und Verheißung des ewigen Lebens. Der Glaube, der aus der Predigt des Evangeliums kommt, hört und beherzigt diese Christusgeschichte und bekommt durch die Taufe an dieser Geschichte Anteil.

Er ist deshalb keine Idee, kein Gedankenkonstrukt, er ist auch mehr als eine Überzeugung. Er ist eine Kraft, die mein Verhalten und Tun beeinflusst und prägt, die mir Motivation und Orientierung zur Gestaltung meines Lebens gibt, die mir Gewissheit und Zuversicht schenkt auch auf den dunklen und schweren Strecken meines Lebens. Der Glaube ist eine solche Kraft, weil er aus dem Evangelium kommt, das Gottes Kraft ist (Römer 1, 16), durch die Gott in uns wirkt, durch die sein Geist unsere Gedanken und Herzen bewegt und uns wieder in das Lot bringt, das unser Leben heil macht: in die Beziehung zu Gott und zum Nächsten. Gott vertrauen und dem Nächsten dienen – das sind die Kennzeichen derer, die zu Christus gehören.

I. 10 Umkehr durch Gottes Güte

Römer 2, 1 - 11

Vor mir liegt eine 2-€-Münze, auf beiden Seiten geprägt. Sie ist echt. Nur auf einer Seite geprägt wäre sie Falschgeld. So ist es auch beim Wort Gottes. Eine Münze mit zwei Seiten: Liebe und Barmherzigkeit auf der einen, Zorn und Gericht auf der anderen Seite. Wer eine Seite weglässt, betreibt geistige Falschmünzerei.

Ich weiß, für viele passt das heute nicht in die geistige Landschaft, wenn vom Zorn und Gericht Gottes geredet wird. Diese Botschaft mag man nicht hören. „Viele Menschen glauben, es wäre besser, gar nicht mehr von Schuld (ergänze: und damit auch vom Zorn und Gericht Gottes) zu reden, dann könnten endlich die unnötigen Schuldgefühle überwunden werden, die so viele an ihrer sinnvollen Selbstentfaltung hindern“, so heißt es zum Beispiel im Ev. Erwachsenenkatechismus (1975, S. 254).

Aber darf man das Evangelium so zurechtbiegen, dass es den Moden unserer Zeit und dem Geschmack unserer Zeitgenossen passt? Wir würden damit unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen nicht gerecht; denn wir sollen nicht zeitgemäße Meinungen, sondern die Wahrheit verkündigen.

Der Abschnitt aus dem Römerbrief (2, 1-11) ist ein sehr evangelischer Text, der uns vor Abwegen und Täuschungen bewahren will. Er ist keine Fensterpredigt für die da draußen, die nichts vom Evangelium wissen wollen und deshalb dem gerechten Gericht entgegengehen; er lässt uns nicht auf der Zuschauerbank sitzen, während den anderen der Prozess gemacht wird. Nein, er macht deutlich: Hier wird auch mein Fall verhandelt. Auch mein Leben steht auf dem Prüfstand. Ich selbst komme auf die Anklagebank. Vor Gott gibt es kein Ansehen der Person!

Der Text führt mir vor Augen, dass ich mich getäuscht habe, als die dachte: So, wie ich bin, bin ich Gott schon recht. Habe ich nicht an den Zöllner im Tempel gedacht, der abseits steht und betet: „Gott, sei mir Sünder gnädig“ (Lukas 18, 13)? Habe ich mich nicht erinnert, dass Jesus nicht gesagt hat: „Im Himmel wird Freude sein über einen Sünder“, sondern: „ … über einen Sünder, der umkehrt zu Gott“ (Lukas 15, 7), der also nicht bleibt, wie er ist?

Gott ruft uns zu solcher Umkehr: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet“ (v. 4)? Er will, dass wir sein Wort beherzigen und in uns gehen – wie der verlorene Sohn, von dem es nicht heißt: Er schlug um sich, um andere zu treffen oder anderen zu imponieren, sondern: „Er ging in sich“ (Lukas 15, 17), weil ihm klar geworden war: Mensch, du kannst dich nicht entschuldigen vor Gott!

Ist das eine Drohung, die Angst macht und entmutigt? Ich frage zurück: Ist das eine Drohung, wenn ich einem, der am Abgrund steht, zurufe: Halt! Ist das eine Drohung, wenn der Arzt die Diagnose stellt – als ersten Schritt zur Heilung? Ist das eine Drohung, wenn ich einen Menschen vor Schaden an Leib und Seele bewahren will?

Es geschieht doch nur, was unausweichlich not-wendig ist – zur Rettung, zur Heilung, zum Leben. Nur so kann die Täuschung aufhören und die Wahrheit offenbar werden: Wir sind bedrohte und kranke Menschen, die der Rettung und Heilung durch Jesus Christus bedürfen. Er macht uns klar: Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie (besser: indem sie) zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2, 4).

Wer Gottes Wort hört, sich zur Umkehr bewegen lässt und im Glauben lebt, steht bei Gott in Gnaden. Und darum „gibt es keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“ (Römer 8, 1); sie sind Gott recht (gerecht vor ihm) und haben „Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Römer 5, 1). Die Verkündigung des Gerichts und der Ruf zum Umkehr haben nicht zum Ziel, dass wir Schaden nehmen und in Schrecken, Angst und Schuldgefühlen leben, sondern dass wir Gottes Güte erkennen und in der Hinwendung zu ihm froh und dankbar leben.

I. 11 Die Bedeutung der Auferstehung Jesu

1. Korinther 15, 12 - 20

Jeder von Ihnen weiß, warum wir Ostern feiern. Wenn Sie Ostern zum Gottesdienst gehen, erwarten Sie, von der Auferstehung Jesu zu hören. Aber schon damals in Korinth sah sich Paulus genötigt, deutlich zu machen, was diese Botschaft bedeutet, was von ihr abhängt. Und er macht das so, dass er die Gegenprobe anstellt: Was wäre, wenn Christus, der Gekreuzigte, nicht auferstanden wäre? Die Konsequenzen wären vielfältig und weitreichend:

1. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, gäbe es keine Hoffnung für die Verstorbenen. Sie wären in alle Ewigkeit verloren. Unsere Trauerfeiern wären nichts als Totengedenken – Blick zurück im Schmerz, nicht mehr. Der Weg ins Nichts, verschlungen von der Allmacht des Todes. „Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet“ – so die Botschaft am Eingang des Totenreiches in Dantes „Göttli-che(r) Komödie“. Keine Hoffnung für unsere Verstorbenen. Keine für uns.

2. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, wäre unsere Predigt leer, ihres grundlegenden Inhalts und ihrer Vollmacht beraubt. Was sollte an ihr „frohe Botschaft“ sein, wenn sie mit dem Tode Jesu enden müsste? Was sollte „frohe Botschaft“ an ihr sein angesichts einer Welt und unseres Lebens voller Schuld und Todesschatten? Die Botschaft von Jesus wäre dann im Grunde nichts anderes als die Botschaft von Plato oder Goethe oder Marx. Alles würde auf das heimliche oder offene Bekenntnis hinauslaufen: Unser Gott ist der Tod.

3. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, wäre auch unser Glaube leer – am Ende wie bei den Jüngern, die alle fliehen, als es mit ihrem Herrn und Meister ans Kreuz geht, deren Hoffnungen mit seinem Tod zerstört und mit seiner Grablegung begraben sind. Der Glaube wäre ein verzweifeltes und hoffnungsloses Geschäft, wenn er Glaube an einen Gestorbenen und im Tod Gebliebenen wäre. Was sollte auch der Glaube, der aus der Predigt erwächst (Römer 10, 17), anderes sein, wenn schon die Predigt leer ist?

4. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, würden wir als falsche Prediger dastehen. Was wir von Gott, seiner Liebe und Gerechtigkeit, seiner Macht und Treue sagen, auf die wir uns im Leben und im Tod verlassen können, wäre falsches Zeugnis, wenn mit Jesu Tod alles aus wäre. Das Amt der Verkündigung verlöre seinen Grund und seine Legitimation.

5. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, blieben wir in unserer Schuld gefangen. Leben und Sterben im Frieden mit Gott, in der Gewissheit, in aller Schwäche und allem Irrtum, in allem schuldhaften Versagen dennoch geliebt und geborgen, angenommen und versöhnt zu sein von Gott, hätten ohne die Auferstehung Jesu keinen Grund. Schuld wäre und bliebe das Letzte, was unser Leben bestimmt. Man könnte darüber verzweifeln oder die Schuld verdrängen oder bagatellisieren, aber die Schuld bliebe! Doch wie können wir ernsthaft leben ohne Vergebung?

6. Wenn Christus nicht auferstanden wäre, wären wir Christen – so fasst der Apostel seine Gegenprobe zusammen - bejammernswerter als alle anderen Menschen! Denn wenn unser Glaube, unsere Verkündigung, unsere Hoffnung keinen Grund haben, was bleibt? Wenn die Prediger fromme, aber leere Sprüche machen, worauf soll man sich am Ende verlassen? Wenn Christus nicht auferstanden ist, folglich auch die Toten nicht auferstehen, dann „lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot“ (Jesaja 22,13, zitiert von Paulus in 1. Korinther 15, 32!). Besinnungslos nehmen und genießen, was der Tag bietet: Das wäre die einzig sinnvolle Parole!

Was wäre also, wenn…? Aus der Gegenprobe des Apostels ergibt sich: Es wäre ohne die Auferstehung Jesu alles umsonst, Jesu Wirken und Leiden vergeblich, Verkündigung, Glaube und Hoffnung der Boden entzogen, das Christentum bankrott. Hier steht alles auf dem Spiel, weil eben alles in unserem Leben davon abhängt, ob Schuld und Tod das letzte Wort behalten. Ostern fallen die Entscheidungen. Da müssen sich die Geister scheiden. Wer die Auferstehung Jesu leugnet, weiß nicht, wer Gott ist. Und deshalb hat er für sein Leben die falsche Perspektive.