Abkürzungsverzeichnis

Abb.

AG

BAFF

DFB

DFL

DSB

etc.

FA

FSA

NKSS

KOS

SC

u.a.

UEFA

SV

VfB

VIP

www.

WSC

ZIS

z.n.

Abbildung

Aktiengesellschaft

Bündnis Aktiver Fußballfans

Deutscher Fußball Bund

Deutsche Fußball Liga

Deutscher Sport Bund

et cetera

Football Association

Football Supporters Association

Nationales Konzept Sport und Sicherheit

Koordinationsstelle Fanprojekte

Sport-Club

unter anderem

Union Européennes de Football Association

Sportverein

Verein für Ballspiele

Very Important Person

World Wide Web

When Saturday Comes

Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze

zitiert nach

1. Einleitung

1.1 Gegenstandsbeschreibung

Für viele Menschen in Deutschland ist Fußball ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Insbesondere die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat für einen neuen ,Boom’ gesorgt. Millionen Zuschauer verfolgen jedes Wochenende die Spiele der Bundesliga vor dem Fernseher oder im Stadion. Einen wichtigen Beitrag zur Faszination des Fußballs leisten die Fans.

Grundlegend versteht man unter Fans „begeisterte Anhänger oder begeisterte Liebhaber von Film, Musik, Sport“ (Wahrig 1999, 221). Fußballfans lassen sich, in Abgrenzung von den anderen Zuschauern, durch räumliche, visuelle sowie fanspezifische Charakteristika beschreiben (Balke 2007, 3). Räumlich, da Fans grundsätzlich in den Fankurven stehen. Visuell über das Tragen von äußeren Zeichen der Vereinszugehörigkeit (Schals, Mützen, Fahnen etc.) und durch ihr fanspezifisches Verhalten, welches sich durch eine Artikulation von Schlachtrufen und Gesängen, das Erzeugen eines Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühls und eine prinzipielle Vereinstreue auszeichnet. Im Kollektiv werden die Fans eines Vereins als Fanszene bezeichnet. Aus historischer Perspektive lässt sich von einer Fanszene sprechen, nachdem die Fans in den umgebauten Stadien nach der Weltmeisterschaft 1974 auf den günstigsten Plätzen der Stadien, den Stehrängen, ihren Platz in den Kurven fanden (vgl. Dembowski 2004a, 15f.).

Allgemein versteht man unter einer Szene:

„Thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln“ (Hitzler et al. 2001, 20).

Szenen als „labile Gebilde“ (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2001, 23), zerfallen in diverse Fraktionen. ,Fanforscher’ haben deshalb Kategorien aufgestellt, nach denen Fußballfans klassifiziert werden können. Die gängigste Kategorisierung ist die von Heitmeyer (1992, 32) beschriebene Einteilung in konsumorientierte, fußballzentrierte und erlebnisorientierte Fans, welche auch heute noch Gültigkeit besitzt (vgl. Pilz 2005a, 50). Neben dieser Kategorisierung lassen sich Fans durch ihre „Fanausrichtung“ (Balke 2007, 5) unterscheiden. Pilz (2005a) nennt folgende Gruppierungen: „Kuttenfans“, „Hooligans“, „Ultras“, „Hooltras“ und „Supporter“. Ergänzen lässt sich noch die Gruppe der „kritischen Fans“.

Pilz (2005a, 50) konstatiert, dass die Fußballfanszene ein sich ständig weiterentwickelndes Phänomen mit einer zunehmenden Heterogenität ist. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Veränderungen der Fanszene. Dazu gehören Einflüsse durch Disziplinierungs- und Kontrollinstanzen und die Kommerzialisierung des Fußballs (vgl. Heitmeyer 1992, 35). Der Einfluss der Disziplinierungs- und Kontrollinstanzen umfasst ordnungspolitische Interventionen, die Gewalt zwischen Fußballfans verhindern sollen (vgl. ebd., 41). Die Kommerzialisierung des Fußballs bezeichnet Entwicklungen innerhalb des Fußballumfeldes und der Vereine, die eine Orientierung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, eine zunehmende Medialisierung des Fußballs und eine Professionalisierung der Strukturen nach sich ziehen (vgl. ebd., 36). Eine dritte Säule des Einflusses stellen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen abseits des Fußballs dar, die in dieser Arbeit aber nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Aufgrund der Reaktion der Fanszene auf die genannten Einflüsse hat Heitmeyer (1992, 34) einen „Auflösungsprozess des subkulturellen Fan-Seins“ diagnostiziert. Heute zeigt der Blick auf die deutsche Fanszene jedoch ein anderes Bild, sie zeigt sich lebendig, facettenreich und so groß wie nie zuvor. Es lässt sich also keinesfalls vom Ende der Fankultur sprechen, vielmehr hat ein Wandel innerhalb der Fanszene stattgefunden: „Deutschlands Fußballfanszene hat sich in den letzten Jahren nachhaltig verändert“ (Pilz & Wölki 2006, 9). In dieser Arbeit soll dieser Wandel mit seinen Ursachen und Auswirkungen untersucht werden. Gerade der Wandel der verschiedenen Fangruppierungen steht dabei für den Wandel der Fanszene insgesamt. Alle genannten Gruppierungen werden deshalb im Hinblick auf ihren Wandel untersucht. Einhergehend wird der Wandel der Fankultur analysiert. Dabei werden in dieser Arbeit unter dem Begriff der Fankultur u.a. die Sitten, Bräuche, Werte und Verhaltensweisen der Fans verstanden.

Ein Schwerpunkt liegt auf den Gruppierungen der Ultras und der kritischen Fans. Zum einen sind für den Wandel der Fankultur in Deutschland „sicherlich zunächst die Gruppierungen von kritischen Fußballfans [kennzeichnend]“ (Schwier 2005, 22), zum anderen spielen seit Mitte bis Ende der 1990er Jahre die „Ultras in Deutschland stetig wachsend die akustisch und optisch auffälligste Rolle im Stadion“ (Pilz & Wölki 2006, 11) und haben für einen „gewaltigen Modernisierungsschub“ der Fanszene gesorgt (ebd., 9). Ultras werden von Pilz und Wölki (ebd., 12) wie folgt definiert:

„Mit dem Begriff der Ultras werden demnach besonders leidenschaftliche, emotionale und engagierte Fans bezeichnet, die von der südländischen Kultur des Anfeuerns fasziniert sind, und es sich zur Aufgabe gemacht haben, in deutschen Stadien organisiert wieder für bessere Stimmung zu sorgen“.

Neben den Ultras stellen die kritischen Fußballfans eine neue Form des Fantums dar (vgl. Schwier 2004, 35). Dabei handelt es sich nicht um eine durch bestimmte äußere Merkmale erkennbare Fangruppe, sondern um die Haltung und Einstellung dieser Fans gegenüber ihrer Sportart. Ihre Kritik richtet sich gegen die Kommerzialisierung des Fußballs sowie gegen ordnungspolitische Maßnahmen gegenüber Fußballfans und manifestiert sich in der Gründung eigenständiger Organisationen zur Durchsetzung ihrer Ziele, den Faninitiativen, und der Produktion von Fanzeitschriften, den „Fanzines“ (vgl. Schwier 2004, 36).

Relevante Fanszenen gibt es in Deutschland vor allem von der Bundesliga bis zu den Regionalligen sowie vereinzelt in den Oberligen. Der Geltungsbereich dieser Arbeit umfasst den professionellen deutschen Ligafußball der ersten und zweiten Bundesliga, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass die Gesamtthematik durchaus auch in unteren Ligen relevant ist. Der deutsche Ligafußball wird heute in seiner organisierten Form in gemeinnützigen Vereinen und gewinnorientierten Kapitalgesellschaften als Amateur oder Profisport betrieben. Das zentrale Organisations- und Kontrollorgan ist der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dem fünf Regionalverbände, 21 Landesverbände sowie die Vereine der Regional- und Amateurligen unterstellt sind (vgl. Flory 1997, 16f). Anzumerken ist, dass der DFB seit einer Strukturreform im Jahre 2001 die Durchführung des professionellen Spielbetriebes auf den deutschen Ligaverband übertragen hat (vgl. Bentem 2004, 23).

Einen Verein mit einer großen Anhängerschaft innerhalb des Ligafußballs stellt Eintracht Frankfurt dar. Eintracht Frankfurt e.V. wurde 1899 gegründet. Die Frankfurter Fanszene gilt als besonders „kreativ“ (Matheja 2006, 269), „stilbildend“ (Blaschke 2007, 85) und verfügt über eine der größten Ultraszenen in Deutschland (vgl. ebd). Mit seiner Fußballabteilung ist Eintracht Frankfurt einer der großen Traditionsvereine im deutschen Fußball (vgl. Eintracht Frankfurt 2008).

1.2 Forschungsstand des Themas

Untersuchungen zu Fußballfans sind vor allem in den 1980er Jahren sprunghaft angestiegen. Dabei richtete sich der Fokus der meisten Untersuchungen auf das Phänomen der gewalttätigen Fußballfans. Seit dem Aufkommen der kritischen Fußballfans und der Ultras hat sich das Spektrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fußballfans deutlich erweitert.

Eine Grundlagenarbeit zu Fußballfans hat Heitmeyer (1992) veröffentlicht. Seine Studie beinhaltet eine sozialisationstheoretische Analyse zu sozialen Veränderungen von Fußballfans sowie zu Einflüssen des kommerzialisierten Profifußball und der ordnungspolitischen Disziplinierungen, die er als die Ursachen eines „Auflösungsprozesses des subkulturellen Fan-Seins“ (ebd., 35) diagnostiziert. Auf Heitmeyer (1992, 32) geht zudem die Kategorisierung von Fußballfans in konsumorientierte, fußballzentrierte und erlebnisorientierte Anhänger zurück.

Eine wissenschaftliche Veröffentlichung unter dem Titel „Wandel der Fanszene“ existiert im deutschsprachigen Raum nicht. Die umfassendsten Hinweise liefern die Beiträge von Pilz (2005a; 2005b; 2006), die Analysen des Wandels verschiedener Fangruppierungen enthalten.

Auffällig ist, dass es eine große Anzahl an Untersuchungen zu den einzelnen Fangruppierungen, jedoch nicht zu der gesamten Fanszene gibt. In diesem Zusammenhang ist durchaus von einem Forschungsdefizit zu sprechen. Dennoch sind es die Untersuchungen der einzelnen Gruppierungen, die wichtige Hinweise zum Wandel der Fanszene liefern. Zur Gruppe der kritischen Fans ist zunächst die Untersuchung von Aschenbeck (1998) anzuführen. Er schätzt die kritischen Fans als eine neue Fanbewegung ein und nimmt eine wissenschaftliche Untersuchung der von ihnen herausgegebenen Fanzines vor. Schwier (2003, 2004) vertieft den Blick auf die kritischen Fans und führt darüber hinaus eine Einordnung ausgewählter Online-Inszenierungen von Fanitiativen und Fanzines durch, die er als die konstitutiven Elemente der kritischen Fanszene ansieht. König (2002) gelingt eine Einordnung der kritischen Fans in das Kategorisierungsmodell von Heitmeyer. Die Arbeiten von Schulze-Marmeling (1995; 2000) und Gerd Dembowski (2004a) ergänzen diese Ausführungen um die Entstehung der kritischen Fußballfans im Kontext der sozialhistorischen Entwicklung des Fußballspiels.

In Bezug auf die Ultraszene ist die Untersuchung von Schwier (2005) anzuführen, der die Ultras als eine neue Generation von Fußballfans auffasst und ihnen die Rolle des Mediums und Motors bei der Wandlung der Fankultur zuschreibt (vgl. ebd, 21). Besonders wichtig ist die erste umfassende Untersuchung der deutschen Ultraszene von Pilz und Wölki (2006), die u.a. die Kultur, das Selbstverständnis, die Feindbilder und Problemfelder der Ultras analysiert.

Ausländische Untersuchungen, hier insbesondere die renommierten Arbeiten der britischen Soziologen Armstrong und Giulianotti sowie die soziologischen Arbeiten an der Universität Leicester, werden in dieser Arbeit nur am Rande berücksichtigt, da der Wandel der deutschen Fanszene sich sehr von der Entwicklung der britischen Fanszene, auf der der Fokus dieser Arbeiten liegt, unterscheidet.

1.3 Zentrales Interesse

In dieser Arbeit soll der Wandel der Fußballfanszene untersucht werden. Eine große Bedeutung kommt dabei dem Wandel der Fangruppierungen und insbesondere den neuen Gruppierungen der Ultras und der kritischen Fußballfans sowie dem Wandel der Fankultur zu.

Es stellt sich die Frage, wo die Ursachen des Wandels liegen, welche Veränderungen der Fanszene und der Fankultur dieser Wandel mit sich gebracht hat und wie sich die Fanszene heute darstellt. Dabei spielen fantypische Verhaltensweisen, die Problemfelder, aber auch die Selbstwahrnehmung, die Organisationsformen und die Mediennutzung der Fans eine wichtige Rolle.

Zur Verdeutlichung des Sachverhalts soll die Untersuchung des Wandels einer spezifischen Fanszene dienen. Das Untersuchungsobjekt ist das Fanumfeld von Eintracht Frankfurt. Es wird der Versuch unternommen, mit Hilfe leitfadengestützter Interviews ein Bild des Wandels der Fanszene von Eintracht Frankfurt zu zeichnen.

1.4 Datenbasis

Zur Erhebung des aktuellen Forschungsstandes dient die gegenwärtige sportwissenschaftliche Literatur. Zum allgemeinen Themenbereich der Fußballfans ist in der Fachliteratur hinreichend viel publiziert worden.

In Bezug auf die sozialhistorische Entwicklung des Zuschauerphänomens bis hin zum Fußballfan im Kontext der Entwicklung des Fußballspiels werden Lindner (1983), Bausenwein (1995), Eisenberg (1997; 1999), Brändle und Koller (2002) und Bremer (2003) herangezogen. Dort finden sich auch Hinweise auf die Ursachen des Wandels der Fankultur im historischen Rückblick, die bei Dembowski (2004a) und Schulze-Marmeling (1995; 2000) um die Entstehung der kritischen Fans ergänzt werden.

Weitere relevante Beiträge zu den Ursachen des Wandels finden sich in Bezug auf die Kommerzialisierung des Fußballs in den Sammelbänden von Mittag und Nieland (2007) sowie Herzog (2002). Auf Einflüsse durch ordnungspolitische Maßnahmen weisen Beiträge aus den Sammelbänden des „Bündnis aktiver Fußballfans“ (BAFF 2004a; 2004b) und der Zeitschriftenreihe Bürgerrechte & Polizei/Cilip (1/2006) hin.

Für den Wandel der Fangruppierungen und der Fankultur geben die Beiträge von Pilz (2005a; 2006) einen Überblick. Aschenbeck (1998) und König (2002) konzentrieren sich auf die kritischen Fußballfans, während Scheidle (2002), Gabriel (2004a), Schwier (2005; 2007), Pilz und Wölki (2006) sowie Blaschke (2007) wichtige Aspekte der deutschen Ultraszene darstellen. Roversi (1999), Foot (2006) und Green (2006) ergänzen diesen Überblick um die italienischen Ultras.

Für Informationen zu aktuellen Entwicklungen werden zudem in Anlehnung an Pilz und Wölki (2006, 64) Fan-(Ultra)-Zeitschriften wie Stadionwelt, 11 Freunde oder Erlebnis Fußball sowie das Internet herangezogen.

Die Daten zum Wandel der Fanszene von Eintracht Frankfurt werden über Experteninterviews erhoben und um Informationen aus den diversen Internetseiten und Printmedien der Fanszene ergänzt.

1.5 Struktureller Aufbau der Arbeit

Im ersten Abschnitt der Arbeit (Kapitel 2) werden die zentralen Begriffichkeiten der Thematik erläutert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Eingrenzung und Definition des Fanbegriffs und der Fanszene. Ergänzt wird diese Einordnung um soziologische und historische Gesichtspunkte.

Daraufhin erfolgt die Analyse der Ursachen des Wandels der Fanszene (Kapitel 3) im Zusammenhang mit den Einflüssen durch die Kommerzialisierung des Fußballs und der Ordnungsmaßnahmen. Im Hauptteil (Kapitel 4) wird der Wandel der Fanszene anhand einer Untersuchung des Wandels der Fangruppierungen und ihrer Fankultur dargestellt.

Nach dem Zwischenfazit (Kapitel 5) erfolgt im empirischen Teil (Kapitel 6) mit Hilfe leitfadengestützter Experteninterviews die Untersuchung des Wandels der Fanszene von Eintracht Frankfurt. Dafür werden zum einen interne Experten, die den diversen Gruppierungen und Medien der Fanszene angehören sowie externe Experten des Fanprojekts und der Fanbetreuung befragt. Abschließend erfolgt die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 7) sowie die Schlussbetrachtung (Kapitel 8).

2. Einordnung der Fanszene

2.1 Der Sportzuschauer

Der Sportzuschauer1 ist kein modernes Phänomen. Schon im antiken griechischen Wettkampfwesen gab es bemerkenswert hohe Zuschauerzahlen bei Sportveranstaltungen. So lässt sich nach seiner Ausgrabung für das im vierten Jahrhundert in Olympia errichtete Stadion ein Fassungsvermögen von 50.000 Zuschauern vermuten (vgl. Lämmer 1986, 76 f.).

Obwohl der Begriff der Sportzuschauer als Unterkategorie der Zuschauer eine Verallgemeinerung darstellt und eine homogene Gruppe von Zuschauern impliziert, ist das Gegenteil der Fall. Sportzuschauer betreiben einen unterschiedlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand, um einer Sportveranstaltung beizuwohnen. Sie nehmen unterschiedliche charakteristische Orte des Zuschauens während der Sportveranstaltung ein, sie verfolgen unterschiedliche Arten von Sportereignissen, die eine unterschiedliche Bedeutung besitzen. Weitere Unterscheidungsmerkmale von Sportzuschauern betreffen persönliche Merkmale wie Alter, Geschlecht, soziale Schicht, ihren Bezug zur Sportart und die Motive der betreffenden Person (vgl. Gabler 1998, 113-127).

Anhand der unterschiedlichen Motive lässt sich exemplarisch die Heterogenität der Gruppe Sportzuschauer verdeutlichen:

•   Die Ergebnisorientierung
Der Zuschauer unterstützt den favorisierten Sportler/Verein. Sieg oder Niederlage werden als Macht oder Ohnmacht empfunden.

•   Die soziale Orientierung
Sportveranstaltungen werden zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen besucht.

•   Die Sachorientierung
Nicht Sieg oder Niederlage oder der Wunsch nach sozialen Kontakten, sondern die Erwartung einer der Sportart entsprechenden perfekten Ausführung stehen hier im Vordergrund.

•   Die Erlebnisorientierung
Neben dem Erleben von sensationellen Rekorden, unglaublichen Ergebnissen, einer Atmosphäre voller Spannung, Stimmung und Begeisterung steht auch das Genießen, die Abwechslung und die Entspannung im Vordergrund (Messing & Lames 1996, 17).

2.1.1 Das Fußballpublikum

Sportzuschauer als ein Massenphänomen begleiten heute weltweit zahlreiche Sportarten. Jedoch ist es primär das Fußballpublikum, dem auch in Deutschland die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sportzuschauerphänomen gebührt. Ein Grund ist sicherlich der hohe gesellschaftliche Stellenwert des Fußballs und die konstant hohen Zuschauerzahlen dieser Sportart. Insbesondere der Bundesliga-Fußball in Deutschland besitzt heute eine große Anziehungskraft für Zuschauer. So zeigen sich gemäß den Ergebnissen einer Untersuchung des Sportrechtevermarkters Sportfive (vgl. 2004, 7) 77% der Bundesbürger an den Spielen der Profimannschaften interessiert und 39% geben sogar an, dass „Fußball aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken ist“. Das große Interesse spiegelt sich in den hohen Zuschauerzahlen der Bundesliga wieder. So verzeichnete die Bundesliga-Saison 2006/07 einen Zuschauerschnitt von 37.644 Zuschauern pro Spiel, was einen Gesamtbesuch von 11.518.923 Zuschauern in dieser Spielzeit bedeutete (vgl. DFL 2008, 39).

Weisen die verschiedenen Motivorientierungen nach Messing und Lames2 bereits darauf hin, dass es sich beim Sportpublikum nicht um eine homogene Zusammensetzung von Zuschauern handelt, so gilt dies auch für das Fußballpublikum. In der wissenschaftlichen Betrachtung wird die Vergleichbarkeit von Motivationsstrukturen, Einstellungen, Verhaltensmustern und Erfahrungshorizonten der Zuschauer genutzt, um aus der großen Gruppe Fußballpublikum kleinere Gruppierungen zu selektieren und ähnliche Zuschauertypen zusammenzufassen. Dem zufolge unterteilen Pilz und Silberstein (vgl. 1990, 27) das Stadionpublikum in Zuschauer, Anhänger und Fans. Die Fußballfans lassen sich also zunächst als eine Teilgruppierung des Stadionpublikums charakterisieren.

2.1.2 Die Fußballfans

Aus etymologischer Sicht geht der Fanbegriff auf das lateinische fanaticus zurück. Dieser Begriff stammt ursprünglich aus einem religiösen Kontext und bedeutet wörtlich übersetzt „begeistert, schwärmend oder auch besessen“ (vgl. Dost & Hartung 2007, 49).

Die etymologischen Wurzeln des Fanbegriffs liefern bereits erste Hinweise auf das Wesen der Fußballfans. Eine allgemeine Definition des Begriffs wird durch die Heterogenität dieser Gruppierung des Stadionpublikums erschwert (vgl. König 2002, 44). Eine Integration der verschiedenen Definitionsansätze und Merkmale von Fußballfans gelingt nach Aschenbeck (vgl. 1998, 90) Schulz und Weber (1982, 56):

„Fans zeichnen sich für den Beobachter zunächst u.a. dadurch aus, dass sie rückhaltlos hinter ihrer Mannschaft stehen, bestimmte Stehplatzkurven und Stadionblöcke als ihr Territorium betrachten und aufgrund ihrer gruppenspezifischen Normen und Verhaltensrituale die optisch und akustisch auffälligste Zuschauergruppe ausmachen“.

Unter Zuhilfenahme diverser Definitionsansätze stellen König (2002, 44) und Aschenbeck (1998, 93) folgende Erkennungsmerkmale von Fußballfans heraus:

•   Stehen in den Fankurven

•   Anfeuerungsrufe und Mitleiden bei Spielen der eigenen Mannschaft

•   Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl

•   Prinzipielle Vereinstreue

•   Äußere Zeichen der Zugehörigkeit, wie Schals, Mützen, Fahnen etc.

•   Männlichkeitsnormen

Das Stehen in den Fankurven ist eine wichtige Voraussetzung für fantypische Verhaltensweisen. Zum einen ist so eine Abgrenzung der Gruppe gegenüber den sitzenden Zuschauern im Stadion möglich, zum anderen erlaubt es den Fans durch die Enge des Zusammenstehens ein Kollektiverlebnis, das zu der Auffassung führt, ein aktiver Bestandteil des Geschehens zu sein (vgl. Balke 2007, 15). Neben dem Stehen in der Fankurve ist „das Erzeugen von Stimmung als zentrales Moment des Fan-Seins“ (ebd.) zu bewerten. Kollektive Gesänge und gemeinsames Anfeuern tragen zu einem Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl unter den Fans bei. Des Weiteren verfügen die Fans über ein Zeichenund Symbolrepertoire, was sich z.B. durch das Tragen von Schals oder Trikots in den Vereinsfarben widerspiegelt (vgl. ebd. 13ff.).

2.1.3 Die Fanszene

Die Fanszene als kollektiver Sammelbegriff der Fußballfans eines Vereins „ist keineswegs ein einheitliches kulturelles Gebilde, sondern gliedert sich in ein Spektrum unterschiedlicher Organisationsformen und Typen auf“ (Väth 1994, 174). Um den jeweiligen Forschungsbereich näher zu bestimmen und die Heterogenität der Fanszene aufzulösen, sind eine Vielzahl von Kategorisierungen oder Typologien von Fußballfans erstellt worden. Je nach Blickwinkel und Intention ergeben sich Unterschiede innerhalb der Einteilungen. So werden aus wirtschaftlicher Sicht vier Fan-Typen in Bezug auf die Absatzsteigerung durch Sponsoring unterschieden: der „euphorische“, der „durchschnittliche“, der „begeisterungsfähige“ und der „emotionslose“ Fußballfan (vgl. Sportfive 2004, 11 f.). Benke und Utz (vgl. 1997, 103) unterteilen für ihre „Analyse der spezifischen Eigenart der Fanwelt und ihres Funktionierens“ die deutsche Fankultur in „Novizen“, „Kutten“, „Hools“ und „Veteranen“ auf. Diese Einteilung kann als nicht mehr zeitgemäß für die heutige Fanszene angesehen werden, da sie neue Phänomene wie die Ultras nicht berücksichtigt. Der britische Soziologie Giulianotti (2002, 26) unterscheidet für die britische Fanszene zwischen „supporter“, „follower“, „fan“ und „flâneur“. Aufgrund der heutigen unterschiedlichen Fankulturen Deutschlands und Großbritanniens, lässt sich seine Einteilung nicht ohne weiteres auf die deutsche Fußballfanszene übertragen. Alle drei Ansätze sind mit ihren wirtschaftlichen, veralteten und auf die britischen Fans bezogenen Kategorisierungen ungeeignet für diese Arbeit.

Dennoch ist eine Kategorisierung in dieser Arbeit unvermeidbar, gerade auch um das Forschungsobjekt einzugrenzen. In der Folge beziehe ich mich deshalb auf die Einteilung von Heitmeyer (1992, 32), die sich seit 1988 im Großteil der deutschsprachigen Arbeiten zu Fußballfans durchgesetzt hat. Demnach lassen sich Fußballfans in drei Kategorien einteilen:

1. Der konsumorientierte Fan
Das wesentliche Motiv für den Spielbesuch ist die Leistung der Mannschaft und der daraus resultierende Unterhaltungswert, von dem er weitere Besuche von Spielen abhängig macht. Er besitzt nur eine schwache Gefühlsbindung an den Verein. Fußball stellt nur eine Freizeitbeschäftigung neben anderen dar. Dieser Fantyp geht zumeist alleine oder in wechselnden Kleingruppen ins Stadion und ist in der Regel nicht in den Fankurven oder auf Stehplätzen, sondern zumeist im Sitzplatzbereich zu finden.

2. Der fußballzentrierte Fan
Auch für diesen Fantyp hat die Leistung der Mannschaft einen hohen Stellenwert. Allerdings bleibt er seiner Mannschaft auch bei schlechten Leistungen treu. Fußball ist für ihn nicht durch ein anderes Freizeitangebot zu ersetzen und besitzt eine hohe soziale Relevanz. Der fußballzentrierte Fan ist stark gruppenorientiert, was sich in der Mitgliedschaft in Fanklubs oder anderen Fangruppen äußert. Durch das Tragen von Fanartikeln demonstriert er seine Verbundenheit zum Verein. Im Stadion findet er seinen Platz im Fanblock. „Die fußballzentrierten Fans stellen den eigentlichen Kern der Fanszene dar“ (Aschenbeck 1998, 91).

3. Die erlebnisorientierten Fans
Für diesen jugendlichen Fantyp besitzt das Spiel eine ambivalente Bedeutung. Fußball wird als Spektakel gesehen, bei dem man andere Jugendliche trifft und spannende Situationen sucht, die gegebenenfalls selber erzeugt werden und sich in körperlichen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans äußern können. Der Fußball ist austauschbar und rückt in den Hintergrund. Das Stadion stellt nur noch den Ort für das gemeinsame Treffen dar (vgl. Heitmeyer 1992, 33).

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den fußballzentrierten und erlebnisorientierten Fans, die den Kern der aktiven Fanszene ausmachen. Obwohl sich Heitmeyers Kategorisierung allgemein durchgesetzt hat, darf nicht unerwähnt bleiben, dass sie hinsichtlich ihrer Gültigkeit für die aktuelle Fanszene kritisch hinterfragt werden muss. Dembowski (2004a, 22) kritisiert, dass die Kategorisierungen nur „schemenhaft […] die tatsächliche Bandbreite der Motivationen und unterschiedlichen Ausprägungen der Fanszenen“ erreichen, da sowohl Motivationen, als auch die Ausprägungen der Fanszene einem ständigen Wandel und Wechselwirkungen unterworfen sind. Heitmeyers Einteilung, die erstmals 1988 veröffentlicht wurde, wird den Veränderungen nicht vollständig gerecht. In dieser Arbeit wird versucht diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem die Kategorisierung um neue Gruppierungen, die sich im Umfeld der Fanszene gebildet haben, erweitert und modifiziert wird.

Die aktuelle Fanszene stellt sich wie folgt dar:

Abbildung 1: Übersicht der Fangruppierungen (Pilz 2005b, 1)

Abbildung 1 setzt die verschiedenen Gruppierungen der Fanszene in Relation zu Heitmeyers (vgl. 1992, 32) Modell der konsumorientierten, fußballzentrierten und erlebnisorientierten Fans. Dem zufolge lassen sich die Gruppen der fußballzentrierten Kuttenfans, der teils fußballzentrierten und teils erlebnisorientierten Ultras und die erlebnisorientierten Hooligans unterscheiden. Als Schnittmenge zwischen den Kuttenfans und den Ultras lässt sich die neue Gruppierung der Supporter verorten, während nach Pilz (2005b, 1). eine weitere neuere Gruppierung aus einer Annäherung von Ultras und Hooligans besteht, den „Hooltras“. König (2002) und Aschenbeck (1998) fügen eine weitere Gruppierung hinzu, die kritischen Fußballfans. König (2002, 51) verordnet die kritischen Fans auf der Ebene der fußballzentrierten Fans und spricht in der Folge von einer gemeinsamen Überkategorie, den Kurvenfans3. Zusammenfassend lassen sich also Kuttenfans, Ultras, Hooligans, Hooltras, Supporter und kritische Fans in der Fanszene finden.

Abschließend muss noch auf eine weitere Kategorisierung hingewiesen werden. Die Ordnungsinstanzen folgen der polizeilichen Einteilung von Fußballfans in Zuschauer der Kategorie A, B und C, die seit 1991 Bestand hat. Diese Einteilung orientiert sich an Heitmeyers dreigeteiltem Modell, allerdings stehen hier sicherheitsspezifsche Aspekte im Vordergrund. Daraus folgt eine Unterscheidung anhand des Gewaltpotentials der Fans. Friedfertige werden der Kategorie A zugeordnet, gewaltbereite und gewaltgeneigte Fans gehören zur Kategorie B. Die Kategorie C besteht aus den gewaltsuchenden Fans (vgl. ZIS 2007, 6).

2.2 Historische Einordnung

Um das Phänomen der Fanszene in seinen Gesamtzusammenhang einzuordnen, ist zunächst ein historischer Rückblick nötig, der Aufschluss darüber gibt, wie Fußballfans und die Fanszene überhaupt entstehen konnten.

Weit davon entfernt waren die Frühformen des modernen Fußballs in England, die weder Fans noch Zuschauer kannten. Zur Zeit der frühen Spielformen des „Folk Football“ oder „Village Football“ gab es überhaupt keine Trennung zwischen Spielern und Zuschauern, denn alle Anwesenden nahmen am Spiel teil. Komplette Dörfer traten gegeneinander an, die Zahl der Spieler war unbegrenzt und es gab keine fest definierten Regeln und Spielfelder (vgl. Schulze-Marmeling, 1995, 11). Erst die Transformation des Fußballs zu einem modernen Sportspiel in den englischen Public Schools, die eine Verregelung des Spiels und eine Trennung der Spielvarianten in Soccer4 und Rugby mit sich brachte, ermöglichte die Trennung von Spielern und Zuschauern (vgl. Dembowski 2004a, 10). Von da an konnte sich der Fußball zu einem Zuschauersport entwickeln.

2.2.1 Die frühe Entwicklung des Zuschauersports Fußball in England

Die Entwicklung des Fußballs zum populären Zuschauersport fällt in die Phase zwischen 1850 und 1900, nachdem sich der Fußballsport auch außerhalb der Public Schools auszubreiten begann (vgl. Bremer 2003, 16). Mehrere parallel stattfindende Entwicklungen förderten das neue Phänomen des Fußballzuschauers. Dazu gehörten die Übernahme des Spiels durch die Unterschichten, eine durch die Industrialisierung entstandene klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit und die im ausgehenden 19. Jahrhundert gesunkenen Lebenshaltungskosten. Diese Faktoren ermöglichten den Arbeitern, ihre Freizeit zu gestalten. Dadurch vermehrte sich nicht nur die Anzahl der Spieler innerhalb der Arbeiterklasse, sondern gleichermaßen auch die Anzahl derer, die dem Spiel als Zuschauer beiwohnten (vgl. Dembowski 2004a, 11).

Begleitet wurde das wachsende Zuschauerinteresse von einer zunehmenden Fußballberichterstattung, einer Professionalisierung der Strukturen des Fußballs und dem Beginn der Kommerzialisierung des Fußballs. Diese vier Aspekte stehen seitdem in einer interdependenten Beziehung zueinander. Das Wechselspiel der Aspekte kann als ein wichtiger Einfluss auf die Entwicklung des Zuschauerphänomens bei Fußballspielen gesehen werden.