Cover

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Giorgio Bouchard
Was Barack Obama glaubt
Sein spiritueller Weg –
Seine Visionen
mit einem Geleitwort von Bartolo Gariglio
aus dem Italienischen übersetzt
von Agrippina Bellardita
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Für Piera,
die mich während der Arbeit an diesem Buch
mit liebevoller Ironie ertragen hat.

Inhalt

Geleitwort von Bartolo Gariglio

Barack Obamas Kindheit und Jugend

Barack Obamas Herkunft

Eine unabhängige junge Frau

Ein multireligiöses Umfeld

Das Bücherregal

Der Kulturschock

New York, New York!

Die Berufung

Die Trinity United Church of Christ und der Einfluss Reinhold Niebuhrs

Eine kleine, aber feine Kirche

Von den Marines zur Kanzel

Die USA – das neue Römische Reich?

Am Fuße des Kreuzes

Wenn Theologie Geschichte schreibt

Predigen in Detroit

Augustinus, Luther und Calvin

Christlicher Realismus

„Die Ironie der amerikanischen Geschichte“

Barack Obamas Weg in die Politik bis zur Wahl zum Präsidenten

Havard

Michelle

Auf den Spuren von Abraham Lincoln

Ein zynischer und dummer Krieg

Senator

Eine große Chance

„Faith“

Die Bibel, das lebendige Wort Gottes

Fundamentalismus und Befreiung

Amerikas Erbsünde

Der ideale Stammbaum

Ein moderner Christ

Glaube und Säkularismus in der Öffentlichkeit

Religion und Demokratie

Der erste Verfassungszusatz

Civil Religion

Die Blitzlichter des Wahlsieg und die Stille des Gebets

Anhang

Grundsatzrede auf dem Parteitag der Demokraten, Boston, 27. Juli 2004

Rede vor der Generalsynode der United Church of Christ, Hartford (Connecticut), 23. Juni 2007

Barack Obamas Antrittsrede, Washington D. C., 20. Januar 2009

Geleitwort
von Bartolo Gariglio

Bereits in den 1830er Jahren hat Alexis De Tocqueville in seinem berühmten Werk De la démocratie en Amérique das spontane Bündnis zwischen Religion und Demokratie in Amerika hervorgehoben. Die Beziehung zwischen Religion und Staat, so Tocqueville, hatte einen Vermittler: die Ethik.

Das religiöse Leben in seinen verschiedenen Formen war die Grundlage für das moralische Verhalten der Bewohner des Landes und machte es lebendig. Dies wiederum spiegelte sich, fast selbstverständlich, auch in der politischen Dialektik wider. Es gab zwar eine Beziehung zwischen Religion und Staat, aber keine unmittelbare. Die ethischen Erfah­rungen der Menschen und des Volkes als Ganzes agierten als vermittelndes Element. Der Staat war strikt konfessionslos, doch Religion als eine nicht durch Konfessionen definierte Größe wurde unter anderem als Ursprung des demokratischen Lebens anerkannt. Diese Tatsache trifft immer noch zu, auch wenn sie – wie wir später feststellen werden – jüngst von bestimmten religiösen Strömungen in den USA bestritten wird. Sie ist ein wichtiges Element, das zum besseren Verständnis dieses schönen Werks, das Bouchard Barack Oba­ma gewidmet hat, beiträgt.

In Amerika waren die Legitimation der Staatsgewalt durch die Religion und priesterliche Tendenzen, wie sie vor allem in katholischen Ländern vorzufinden sind, nicht weit verbreitet. Anders als in Europa gab es in Amerika weder Staatskirchen noch die Nostalgie nach einem christlichen Staat und es waren unter anderem diese Elemente, die – fast als eine Art Reaktion – eine schrittweise Verbreitung stark säkularisierender Tendenzen auf unserem Kontinent begünstigt haben.

Daher scheint Europa nun „die Ausnahme“ zu sein, die daran gehindert ist, den Aufschwung des Heiligen in vollem Umfang mitzuerleben, der für andere Kontinente hingegen kennzeichnend ist, Nordamerika inbegriffen.

Auf der anderen Seite darf diese „Revanche der Religionen“ nicht zu übermäßiger Begeisterung verführen, da sie auch sehr gegensätzliche Phänomene hervorgebracht hat: Universalistische Tendenzen (die Anschauung, dass die Menschheit ein gemeinsames Schicksal teilt, das Engagement für den Umweltschutz usw.) treffen hier auf stark identitätsbezogene Tendenzen, welche zur Verbreitung verschiedener Formen von Fundamentalismus führen, die anderen Religionen oder religiösen Gruppierungen gegenüber intolerant sind. Und so haben in den letzten Jahren ethnisch-religiöse Konflikte auf der ganzen Welt (im ehemaligen Jugoslawien, in Indien, Afrika, im Nahen Osten, in vielen islamischen Ländern, Indonesien und der Russischen Föderation) unsere Erde erneut mit Blut getränkt. Die Verbreitung dieser Konflikte lässt sich nur sehr schwer eindämmen und stellt somit eine ernsthafte Gefahr für den Frieden in der Welt und sogar für die gesamte Menschheit dar.

Hinzu kommt, dass Religion in zahlreichen Ländern zunehmend als politisches Mittel missbraucht wird, und zwar von Parteien, denen jeder Bezug zur Religion fehlt.

Dennoch haben sie in der Verteidigung von Religion und deren Werten die einmalige Chance erkannt, die Gunst der Wähler in einer Zeit zu gewinnen, die von kulturellen und ethischen Spaltungen sowie Identitätsproblemen geprägt ist.

Enzo Bianchi, Prior der ökumenischen Gemeinschaft des Klosters Bose, hat in seinem kürzlich erschienenen Buch Per un´etica condivisa (Für eine gemeinsame Ethik) folgenden Gedanken zum Ausdruck gebracht: „Für diejenigen, die sich für den Dialog zwischen Christen und Andersgläubigen, zwischen Katholiken und ,Laien’ einsetzen“, für jene, „die an eine Form des Dialogs glauben, die sich darum bemüht, den anderen nicht zu verachten, sondern ihm in Demut zu begegnen, sind dies – um es mit den Worten der Bibel auszudrücken – ,böse Tage’“.1 Und er fügt hinzu: „Wir ernten gerade das, was wir in den Jahren gegenseitigen Nichtzuhörens und der Verteufelung des Gegenübers, der Streitigkeiten und Missverständnisse, der ,Abdrift ins Sektiererische’ gesät haben.“2

Giorgio Bouchard zeigt in seinem Buch auf sehr überzeugende Weise, dass die Politik des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika sehr stark mit seinen reli­giösen Überzeugungen verwoben ist, ja sogar von ihnen abhängt. Dies wurde von gewissen Experten in Italien und Europa, deren Meinung zu stark von säkularisierenden Tendenzen beeinflusst ist, übersehen, wenn nicht sogar abgestritten.

Barack Obama ist sich der Widersprüche, die die religiösen Welten unserer Zeit kennzeichnen, bewusst und ist ihnen zum einen auf einer biografischen und existentiellen Ebene und zum anderen auf der Ebene der religiösen und ­politischen Überlegungen begegnet.

Er wuchs als Sohn einer nichtgläubigen Mutter auf, die „jedoch allen Werten des amerikanischen Mittleren Westens treu geblieben war: Integrität, Verantwortungsbewusstsein, Strenge, aber auch Toleranz. Werte, die sie auch ihrem Sohn vermittelt hat“.3 In seiner Kindheit besuchte Barack mit seinem muslimischen Stiefvater regelmäßig die Moschee, wurde jedoch von der Mutter, die eine übermäßig islamische Beeinflussung ihres Sohnes befürchtete, zwei Jahre lang auf eine katholische Schule geschickt. Seine Mutter brachte ihn dazu, die heiligen Schriften der großen Religionen zu lesen – die Bibel, den Koran, die Bhagavad Gita, die langen Lehrreden des Buddha –, denn als Anthropologin war sie der Meinung, dass diese große kulturelle Bedeutung besitzen. Obama ist also bereits während seiner Kindheit und Jugend mit verschiedenen religiösen Richtungen in Berührung gekommen, ohne dass dies in ihm oder in den Menschen, die ihm nahe standen, einen Konflikt ausgelöst hätte.

Es folgten die Jahre des sozialen Engagements und ein langsamer, aber tief greifender Prozess der Annäherung an den Glauben, dem Obama 1985 im Alter von 24 Jahren durch seine Taufe und den Eintritt in die Trinity United Church of Christ eine entscheidende Richtung gab.

Um die religiöse Identität, die in Barack Obama heranreifte, nachvollziehen zu können, ist es erforderlich, einen Blick auf die verschiedenen Richtungen des amerikanischen Protestantismus zu werfen. Giorgio Bouchard ist Experte auf diesem Gebiet und beschäftigt sich in seinem Buch eingehend mit dieser Thematik, jedoch bleiben seine Ausführungen auch für den nicht fachkundigen Leser stets leicht verständlich.4

Die Kirche, der sich Obama anschließt, weist deutlich fortschrittliche Tendenzen auf und folgt einer klar definierten theologischen Linie, die in hohem Maße von Reinhold Niebuhr (1892-1971) beeinflusst wurde, ein public intellectual, aber auch ein international renommierter Theologe. Niebuhr, der von 1928-1960 eine Professur für Ethik und Religionsphilosophie am Union Theological Seminary in New York innehatte, beschäftigte sich in seinen Forschungen hauptsächlich mit Luther und den großen Reformatoren, vertiefte jedoch darüber hinaus auch die Gedanken des heiligen Augustinus und „knüpft damit an die puritanische Tradition des 17. Jahrhunderts an“. Das Verständnis von Sünde (und Erbsünde), das er von Augustinus und den Reformatoren übernimmt, verleitet ihn jedoch nicht „zu jenem ernüchterten Pessimismus, der unter den Intellektuellen so weit verbreitet war und immer noch ist“, merkt Bouchard an. Ganz im Gegenteil! Von ihm geht ein Impuls zum Handeln aus: „Die Fähigkeit des Menschen zur Gerechtigkeit“, so schreibt der amerikanische Theologe, „macht die Demokratie möglich, seine natürliche Neigung zur Ungerechtigkeit macht sie hingegen notwendig.“5

Die Politik Obamas ist von Niebuhrs „christlichem Realismus“ geprägt, dem zufolge „den Tragödien der Geschichte nicht mit dem Aufstellen von Prinzipien begegnet werden kann. Auch können sie dadurch nicht überwunden werden, sondern einzig und allein durch Handeln“. Dies ist also, im wahrsten Sinne, eine Form des Pragmatismus, der Werte zugrunde liegen und die die Fähigkeit zur konzep-
t­uellen Einheit besitzt.

Inmitten des Kalten Krieges verfasste Niebuhr The Irony of American History, in der er mit augustinischem Nachdruck, fast wie in einer neuen Civitas Dei, die Missstände und die Widersprüche des „amerikanischen Reichs“ anprangert. Der Massenmord an den Indianern, die Versklavung der Schwarzen, die Atombombe auf Hiroshima und sogar die Unterstützung der diktatorischen Regime, sofern sie antikommunistisch waren, wurden nicht als „Fehler“ dargestellt, die in der amerikanischen Geschichte begangen wurden, sondern als „Sünden“, die es zu bereuen galt, bevor man wieder auf den richtigen Weg gelangen konnte.

Pastor Jeremiah Wright, der entscheidend zu Obamas Bekehrung beigetragen hat, konnte ihm neben seiner Begeisterung für Niebuhr auch sein Interesse für die „Autoren der Black Theology vermitteln, vor allem für James Cone, dessen Buch Black Theology and Black Power6 das Erbe von Malcom X, Martin Luther King und sogar Stokely Carmichael, dem ,Extremisten der schwarzen Revolution’, vereinte. Dieses Buch galt lange Zeit als die ,Magna Charta’ der Schwarzen Bewegung. Es handelte sich um eine wahre ,Theologie der Befreiung’, vergleichbar mit der, die zur gleichen Zeit in Lateinamerika entstand“.

Und so identifizierte sich Obama, der stolz darauf war, ein Schwarzer zu sein, immer mehr mit der Black Culture und fühlte sich in jeder Hinsicht als African American, eingebunden in die geistliche und materielle Geschichte der schwarzen Bevölkerung.

Doch Obama, „der schwarze Aktivist“, weiß sowohl mit Schwarzen als auch mit Weißen in den Dialog zu treten und zwar ohne Vorurteile, wie er bereits seit seiner Zeit als Chefredakteur der „Harvard Law Review“, einer der prestigeträchtigsten rechtswissenschaftlichen Zeitschriften Amerikas, beweist.

Auf der religiösen Ebene ist Obama sehr offen: Er ist Christ, aber er glaubt nicht, dass „das Christentum der einzige Weg zu Gott“ sei. Er liest regelmäßig in der Bibel und tut dies – so schreibt er – „in der Überzeugung, dass sie kein statischer Text, sondern das lebendige Wort Gottes ist“, in dem es auch Platz für „neue Offenbarungen“ gibt. Er ist für die rechtliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften, wie auch die Kirche, der er angehört.

Barack Obama stellt sich jedoch auch dem Dialog mit den religiösen Fundamentalisten in seinem Land. Bouchard ist die Darstellung dieser Thematik hervorragend gelungen. Zunächst erklärt er, was genau unter Fundamentalismus im amerikanischen Protestantismus zu verstehen ist, und grenzt ihn vom fanatischen Integralismus ab. Dieser entstand vor ungefähr einem Jahrhundert in Princeton als Reaktion auf jenen „liberalen Protestantismus“, der dazu tendierte, die großen christlichen Dogmen zu relativieren, und nur an einigen fundamentalen Aussagen festhielt, an denen es nichts zu relativieren gab: Gott ist der Schöpfer, der Mensch ist Sünder, die Propheten haben die Erlösung verkündet, Jesus Christus hat die Verheißung durch den Tod am Kreuz und die Auferstehung erfüllt und wird in Herrlichkeit wiederkommen, wenn Gott sein ewiges Reich vollenden wird. Dem fügten die Fundamentalisten noch die Überzeugung hinzu, die Bibel enthalte nicht bloß das Wort Gottes, sondern sie sei das Wort Gottes und nannten dies die „Unfehlbarkeit der Schrift“: „Diese letzte Aussage“, schreibt der Autor weiterhin, „hat oft zu einer übermäßigen Strenge und Unnachgiebigkeit geführt, jedoch niemals moralistische Programme hervorgebracht. Die unbestreitbare moralische Dekadenz in der amerikanischen Gesellschaft (und wahrhaftig nicht nur in der amerikanischen ...), gepaart mit dem massiven Relativismus der radical-chic Intellektuellen, hat evangelische Fundamentalisten oft dazu gebracht, die Republikaner zu wählen, die sich als Verteidiger der Familie und der old time religion (...), der Rechtschaffenheit, der ‚harten Arbeit‘ und der Loyalität gegenüber dem Vaterland darstellten.“

Im Gegensatz zur Mehrheit der Liberalen nimmt Obama – wie bereits erwähnt wurde – den Fundamentalisten gegenüber eine offene Haltung des Dialogs an, solange die Trennung von Kirche und Staat gewährleistet ist, was einige Fundamentalisten, sowohl evangelische als auch katholische, gerne ändern würden. Für Obama gehört die Verbreitung des christlichen Glaubens nicht zu den Aufgaben des Staates. Es geht zum einen um den ersten Verfassungszusatz, zum anderen aber auch um die Freiheit der Kirchen. Die Väter der Verfassung wussten dies nur allzu gut und sie hatten die Erfahrungen der europäischen Kirchen vor Augen, die die Pilgerväter lange Zeit vor ihnen hinter sich gelassen hatten. Jeder „christliche“ Staat, der der Kirche seine besondere Gunst erweist, verfolgt damit automatisch das Ziel, sie zu kontrollieren.

Die Öffentlichkeit, der so genannte public square, zeigt sich laut Obama den Stimmen der Gläubigen gegenüber nicht besonders offen. Zu viele Linksliberale behaupten hartnäckig (und nicht selten auch hochmütig), dass Religion nicht über das Privatleben der Menschen hinausgehen dürfe. Der amtierende Präsident hingegen ist der Meinung, dass Religion das Zusammenleben bereichert, solange sie von den einzelnen Mitgliedern und Gemeinden in die Gesellschaft hineingetragen wird und keinerlei Zwang seitens des Staates besteht, was sich schließlich durch die gesamte amerikanische Geschichte hindurch immer wieder bestätigt hat.

Wie bereits die großen politischen Denker des 18. und 19. Jahrhunderts ist auch Obama der Überzeugung, dass eine starke Demokratie einen „Überschuss“ an ethischem Verhalten braucht, um langfristig existieren zu können, und dass diese „Reserven“ an Ethik in seinem Land langsam aber sicher schwinden. Dementsprechend sind auch seine Ansichten zu Themen bezüglich öffentlicher und privater Moral besonders streng.

Durch diese Einstellung gewann er die Sympathie der Vertreter verschiedener Konfessionen, die – nach den enttäuschenden Erfahrungen mit Bush und den (Sex-) Skandalen, in die sogar herausragende Vertreter und glühende Anhänger des Fundamentalismus verwickelt waren – zu seinem Wahlsieg beigetragen haben.

Für Bouchard ist Obama kein postmoderner Christ, wie manch einer behauptet hat, sondern ein moderner. Sicherlich könnte seine Offenheit anderen Religionen gegenüber als postmodern bezeichnet werden, doch davon einmal abgesehen ist er als moderner Protestant zu betrachten. „Er verurteilt niemals die Aufklärer, sondern ehrt sie als Väter der Nation. Er behauptet sogar, dass der Unabhängigkeitserklärung (...) nur ein einziges historisches Dokument an Bedeutung gleichkomme, und zwar die 95 Thesen Luthers.“7

Es ist schwer abzusehen, welche Auswirkungen Obamas modernes und dem Dialog gegenüber offenes Christentum auf ein religiöses Universum haben wird, das sich auf internationaler Ebene, wie wir bereits erleben mussten, in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen scheint. Eines ist jedoch leicht vorauszusehen; und zwar, dass er sowohl in seiner Heimat als auch im Ausland auf heftigen Widerstand stoßen wird. Bleibt ihm nur zu wünschen, dass er seinen Jugendtraum verwirklichen kann: „Die Welt ein Stückchen besser zu verlassen, als er sie vorgefunden hat.“