Cover

Über dieses Buch:

Für Nina droht das Weihnachtsfest dieses Jahr zur Katastrophe zu werden: Ihr Freund verlässt sie wegen einer schlankeren Frau – und gibt dieser auch noch Ninas Job! Verzweifelt sucht sie Zuflucht bei ihrer Tante Elvira, die schon völlig im Weihnachtsjubel und -trubel steckt. Wie jedes Jahr dreht sich bei Elvira alles um die Frage: Wird sie zum legendären Mistelzweigtanz eingeladen – und von wem? Nina hat für diese Tradition ja so gar nichts übrig. Mit dem gut aussehenden Bildhauer Henning allerdings würde sie ein Tänzchen wagen …

Über die Autorin:

Katharina E. Volk, geboren in Witten an der Ruhr, wurde als Autorin von Bilder- und Kinderbüchern bekannt. Mittlerweile schreibt sie außerdem erfolgreich Romane für Erwachsene und gibt ihre Erfahrungen in Schreibworkshops weiter.

***

Originalausgabe November 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Regine Schmitt

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Iveta Angelova

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-424-5

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Mistelzweigtanz an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

http://instagram.com/dotbooks

http://blog.dotbooks.de/

Katharina E. Volk

Mistelzweigtanz

Roman

dotbooks.

Nina war soeben im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen gelassen worden. Der Taxifahrer hatte zuerst das Geld für die Fahrt von Frankfurt bis ins hessische Oberlauken kassiert, sich dann aber nicht weiter bequemt, aus dem Fahrzeug zu steigen. Nur die Klappe des Kofferraums hatte er per Knopfdruck geöffnet, und Nina hatte ihre beiden bis zum Platzen gefüllten Koffer im strömenden Regen eigenhändig ausladen müssen. War das die Retourkutsche für ihre Einsilbigkeit, mit der sie alle Gesprächsversuche des Fahrers abgewürgt hatte? Doch nach heiterem Smalltalk stand ihr im Moment wirklich nicht der Sinn. Ihre Augen füllten sich einmal mehr mit Tränen der Wut und der bitteren Enttäuschung. Sie war durchgefroren, und das lag nicht nur an den winterlichen Temperaturen. Seit gestern fühlte Nina sich zerschlagen und zutiefst deprimiert. Sie hatte ihren Eltern gar nicht erst angekündigt, dass sie heute wieder in ihr altes Kinderzimmer ziehen würde. Am Telefon hatte sie nur von einem Besuch gesprochen und vorerst auf weitere Einzelheiten verzichtet.

Nina legte den Finger auf die Klingel und wartete, bis hinter der teilverglasten Haustür das Flurlicht eingeschaltet wurde. Frau Honstedt öffnete, und Nina registrierte im Bruchteil einer Sekunde, dass ihre Mutter auch um diese abendliche Zeit wieder einmal perfekt frisiert und geschminkt war. Sie trug ein eng anliegendes graues Baumwollkleid, und nur die Birkenstocksandalen deuteten darauf hin, dass auch für Frau Honstedt der Feierabend begonnen hatte und sie nicht etwa auf dem Weg zum Check-in des Frankfurter Flughafens war, wo sie an vier Tagen in der Woche arbeitete. Mit hochgezogenen Augenbrauen ließ sie den Blick über ihre Tochter und deren umfangreiches Gepäck wandern.

»Kind, deine Nase läuft, hast du denn kein Taschentuch?«, sagte sie zur Begrüßung.

»Kann ich vielleicht erst mal reinkommen?«, gab Nina unwirsch zurück. Es war so typisch für ihre Mutter, sich mit einem unwichtigen Detail zu befassen, das nicht ihren Vorstellungen von Perfektion entsprach, und dabei den Blick für das Wesentliche zu verlieren.

Frau Honstedt trat einen Schritt zur Seite, und Nina quetschte sich an ihr vorbei. Mit einem Seufzer stellte sie ihre beiden Koffer neben der Spiegelgarderobe ab, nahm den Rucksack von den verspannten Schultern und ließ ihn fallen.

»Schuhe ausziehen«, mahnte Frau Honstedt. Nina zog wortlos ihren Winterparka aus und streifte die Fellstiefel ab. Einige Gästepantoffeln aus Filz lagen wie immer neben der Garderobe bereit. Das passt irgendwie, dachte Nina. Eigentlich fühlte sie sich hier mehr wie ein Gast und weniger als Familienmitglied. Und sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ein wirklich willkommener Gast war. Ninas Vater schlurfte in seinen grauen Pantoffeln um die Ecke. »Nina! Du hast ja so viel Gepäck dabei!«

Nina drückte ihrem Vater ein Begrüßungsküsschen auf die Wange. »Da scheint mir etwas gründlich schiefgelaufen zu sein«, bemerkte Frau Honstedt jetzt. »Weiß Niko, dass du hier bist?«

»Kann ich vielleicht zuerst einen heißen Tee bekommen?«, fragte Nina. Was sie über Niko zu berichten hatte, war so unangenehm, dass sie es lieber noch einen Moment hinauszögerte.

»Ich kann gerne einen Tee zubereiten, aber dann komm bitte mit in die Küche und erzähl, was los ist. Du weißt, ich mag es gar nicht, wenn jemand um den heißen Brei herumredet.«

»Ich bringe zuerst die Koffer nach oben«, erwiderte Nina.

»Heißt das, du willst länger blieben?«, rief Frau Honstedt.

»Würde dich das stören?«, fragte Nina zurück. Doch sie wartete die Antwort ihrer Mutter gar nicht erst ab, sondern schleppte ihr Gepäck in den ersten Stock. Die Schleiflackkommode im Flur, der beigefarbene Teppich und die gerahmten Fotos der Großeltern an den cremefarbenen Wänden gaben ein altvertrautes Bild ab. Ninas ehemaliges Kinderzimmer hatte allerdings eher den Charakter eines Gästezimmers angenommen, nachdem Frau Honstedt hier Hand angelegt hatte.

Tatsächlich nutzte sie es gelegentlich als Gästezimmer für Freunde und Verwandte, und mit achtundzwanzig Jahren war Nina schließlich alt genug, um sich nicht mehr sentimental an Kindheitserinnerungen zu klammern. Ihre Puppen und Plüschtiere waren auf den Speicher verbannt worden, die Kinderbücher und Spielzeuge waren an die jüngeren Cousinen verschenkt. Das Birkenholzregal war weitgehend freigeräumt und diente als Ablage für Gästehandtücher. Nur der Schreibtisch, an dem Nina immer ihre Hausaufgaben erledigt hatte, stand noch an Ort und Stelle.

Sie schob ihre Koffer erst einmal unter den Tisch und zog dann gedankenverloren die rechte Schublade auf. Hier lag das rote Leinenfotoalbum, in dem sich Bilder aus ihren ersten Lebensjahren befanden. Sie setzte sich auf das frisch bezogene Bett und blätterte ein wenig in ihrem Album.

Auf den Seiten der frühen neunziger Jahre klebte ein herbstliches Blatt, das Nina im Oktober 1992 gepresst und dann stolz überall herumgezeigt hatte. Einige Seiten später war sie strahlend und mit schokoladenverschmiertem Mund an Heiligabend zu sehen. Ein Wunder, dass Mama mich so überhaupt hat fotografieren lassen, dachte Nina. Wie schön Weihnachten damals noch gewesen war. Nina hatte fest ans Christkind geglaubt, und sie hatte diese freundliche, helle, wundertätige Figur geliebt, die einfach nur existierte, um Kinder an Weihnachten glücklich zu machen, sie zu beschenken, die wichtigsten Wünsche zu erfüllen und einen Zauber über den Dezember zu legen, der spätestens mit dem ersten geöffneten Türchen des Adventskalenders begann und seinen strahlenden Höhepunkt erreichte, wenn die Kerzen am geschmückten Weihnachtsbaum entzündet wurden. Wäre es nach Frau Honstedt gegangen, hätten sie nur elektrische Kerzen gehabt. Doch wenigstens in diesem Punkt hatte Ninas Vater sich bis jetzt immer durchsetzen können, wenn er auch in den meisten anderen Punkten seiner Frau Annika gutmütig nachgab. An Weihnachten musste der Baum mit echten Kerzen bestückt sein, und der Feuerlöscher wurde trotzdem in den Flur verbannt, denn im weihnachtlichen Wohnzimmer hatte er in den Augen von Helmut Honstedt nichts verloren.

»Nina! Willst du jetzt deinen Tee oder nicht?«, rief Frau Honstedt von unten.

»Ich komm ja schon«, murmelte Nina und rappelte sich auf.

Als sie das Wohnzimmer betrat, saßen ihre Eltern erwartungsvoll auf dem Sofa. Auf dem Couchtisch stand ein Adventskranz, und als Nina sich setzte, zündete ihr Vater zwei der hellblauen Kerzen an, und ihre Mutter schenkte Tee ein.

»Hast du vielleicht auch ein belegtes Schnittchen?«, fragte Nina. Sie hatte heute zwar keinen rechten Appetit, doch ihr Magen knurrte, denn das Mittagessen war ausgefallen.

»Kind, du solltest nach achtzehn Uhr nichts mehr zu dir nehmen. Das ist der einzige Weg, um die schlanke Linie zu halten«, erklärte Frau Honstedt und fügte mit einem schnellen Blick auf Ninas Hüftspeck hinzu: »Oder sie wiederzuerlangen!«

»Danke für die Blumen. Niko wäre begeistert von deiner Einschätzung, dass ich zu fett bin«, schnaubte Nina.

»Niko findet dich zu fett? Hat er dir das etwa so gesagt?«, fragte Ninas Vater, und in seiner Stimme schwang Empörung mit.

»Er hat sich etwas anders ausgedrückt«, begann Nina. »Eigentlich nonverbal. Er hat mit einem der Models im Büro geknutscht, als ich reinkam, um eine Mappe zu kopieren. Die langbeinige, schlanke Sandy, die sicher niemals nach achtzehn Uhr Nahrung zu sich nimmt, stand nur noch in Röckchen und BH vorm Bürotisch.«

»Vielleicht hat sie sich ihm nur an den Hals geworfen, und er konnte nichts dafür?«, überlegte Frau Honstedt mit gerunzelter Stirn. »Also auf unserer letzten Weihnachtsfeier haben sich einige Stewardessen auch reichlich danebenbenommen …«

»Sicher nicht«, stellte Nina klar. Schließlich hatte Niko ihr nach einer Schrecksekunde wörtlich gesagt: »Oh, hallo Nina. Es ist … ja, es ist eigentlich genau so, wie es aussieht. Sandy und ich sind jetzt zusammen.«

»Wie … wieso …?«, hatte Nina völlig verwirrt gestammelt. »Ich wohne doch bei dir!« Sandy hatte aufgelacht und Niko meinte, dafür würden sie schnell eine andere Lösung finden. Nina hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war zur Damentoilette gegangen, wo sie sich geschockt für eine Viertelstunde eingeschlossen und wie in Trance auf die graue Kabinentür geglotzt hatte. Sie war zu überrumpelt gewesen, um einen klaren Gedanken oder gar einen Entschluss zu fassen.

Wie ferngesteuert war sie zunächst an ihren Schreibtisch zurückgekehrt und hatte die glatte Fläche mit einem Küchenrollentuch abgewischt, wie um die zuvor erlebte Szene einfach wegzuwischen. Doch als Niko am Nachmittag von ihr verlangt hatte, die Modeldatei alphabetisch zu sortieren, obwohl Nina das Monate zuvor selbstverständlich längst perfekt erledigt hatte, war ihr endgültig klar geworden, dass Niko sie in keinerlei Hinsicht länger schätzte, weder als private noch als berufliche Partnerin. Schnell hatte sie einige persönliche Gegenstände in einen Pappkarton geworfen, ihre Kündigung geschrieben und war gegangen.