Cover

Über dieses Buch:

Die Ruhe auf der kleinen spanischen Insel findet ein jähes Ende, als Max Baumann, Geschäftsmann und Schlitzohr, tot aufgefunden wird – und das ausgerechnet von Harry und Paco, die beide noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen gehabt hätten …

Doch das Leben auf der Insel geht weiter wie sonst. So scheint es jedenfalls zunächst: Die Touristen tun, was Touristen eben tun, die Ausländer, die aus unterschiedlichen Gründen hier ansässig geworden sind, tratschen und pflegen alte Feindschaften, die Einheimischen halten beide Gruppen für gelinde verrückt, und die Polizei wartet ab – von dieser Insel kann keiner entkommen. Auch kein Mörder.

Als erste deutsche Autorin von Kriminalromanen hat Irene Rodrian Krimigeschichte geschrieben. Bei dotbooks erscheinen ihre Klassiker nun exklusiv im eBook.

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, erhielt für ihren Roman Tod in St. Pauli 1967 den begehrten Edgar-Wallace-Preis. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von mehreren Millionen und als Drehbuchautorin (Tatort, Ein Fall für Zwei) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Bei dotbooks erschienen bereits Irene Rodrians Barcelona-Krimis über das Ermittlerinnen-Team Llimona 5 (Meines Bruders Mörderin, Im Bann des Tigers, Eisiges Schweigen und Ein letztes Lächeln) sowie Tod in St. Pauli, ein weiterer Roman in der Reihe Krimi-Klassiker. Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Autorin im Internet: www.irenerodrian.com und www.llimona5.com

***

Neuausgabe Oktober 2013

Copyright © der Originalausgabe 1971 by Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright © 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: © 1stGallery - Fotolia.com

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Finderlohn an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

www.gplus.to/dotbooks

Irene Rodrian

Finderlohn

Kriminalroman

dotbooks.

Die Hauptpersonen

RUTH OBERLÄNDER
mischt sich zuviel in anderer Leute Angelegenheiten.

HARRY VANDENBERGH
mischt sich zuwenig in anderer Leute Angelegenheiten.

MAX BAUMANN
wird zu anderer Leute Angelegenheit.

ERIKA BAUMANN
muß Trauerkleider anlegen.

WALTER MESCHKAT
legt sich mit jedem an.

TIM WESTON
hat verschiedenes abgelegt.

DAS BABY
liegt nicht mehr an seinem Platz.

JANE WESTON
liegt nicht viel an dem Baby.

BRITT HAMMER
läßt sich junge Männer angelegen sein.

ANGEL
hat Schwierigkeiten mit seiner Veranlagung.

PACO FAMERAL VILAS
legt sein Boot an einer sehr ungünstigen Stelle

Dieses Buch ist ein Roman.

Die Personen, die Handlung, die Insel – alles ist erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, tatsächlichen Ereignissen oder kartographisch erfaßbaren Inseln könnten nur auf einem Zufall beruhen.

iRo

1

Sonne.

Der Himmel natürlich blau. Wie sich das gehört am Mittelmeer. Spanien, Sommer und so. Und irgendwo hinter den Mauern selbstverständlich die See, violett bis türkis.

Es stank nach Urin.

Auch nach Erbrochenem, verfaultem Seetang, Dörrfisch, Knoblauch, Schweiß und Marihuana. Die feuchtheiße Luft bewegte sich nicht; die Sonne konnte die Wände nicht trocknen, an die sich die Männer stellten. Wenn sie sich überhaupt noch die Mühe machten.

Er selber stank, das widerte ihn am meisten an. Die Hosen, das nasse Hemd, das Haar, die Haut ... Eine Ameise krabbelte über seine Hand. Er zerquetschte sie. Seine Fingernägel waren schwarz. Er kratzte den Schorf von einem Moskitostich. Die Fliegen hoben sich kurz und kamen zurück.

Auf den glühenden Steinen vor seiner Zelle lag plattbäuchig eine Eidechse.

Die Guardias standen am anderen Ende des Hofes, redeten und rauchten. Er tastete nach dem Bröckchen Haschisch in seinem Schuh. Würde vielleicht noch für zwei Joints reichen. Er nahm die Weinflasche; sie war heiß. Der Wein schmeckte nach Schwefel. Er klemmte die Flasche wieder zwischen die Steine hinter der durchgefaulten Matratze.

Ohne die Wachen aus den Augen zu lassen, zog er den Brief aus der Hosentasche und rollte ihn in der Hand zusammen. Das silberne 25-Peseta-Stück hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger, das Papier war in der Höhlung der Hand kaum zu sehen. Die Frau, die das Essen verkaufte, war arm. Wenn sie eine Peseta für das Porto ausgab, blieben ihr noch 24. Das mußte reichen.

Die Bewegung begann zuerst in den Zellen auf der linken Seite und rollte in trägen Wellen weiter, bis sie die Wachen erreichte. Sie drehten sich um, hörten auf zu reden und schauten an der Mauer hoch. Zehn Meter. Gegen den blauen Himmel hob sich der Kopf der Frau schwarz und klein ab. Dann kam ihr schriller Signalschrei, und der Korb senkte sich langsam herunter. Die Guardias legten die Hände an die Pistolentaschen. Sie standen jetzt mit dem Rücken zur Mauer, mit dem Gesicht zu den Zellen, die wie hungrige Mäuler aus der Mauer herausgähnten.

»Harry!«

Er sah auf.

Miguel grinste aus der Nachbarzelle herüber. Seine Zähne blinkten. »Harry«, sagte er noch einmal, betonte den Namen auf der zweiten Silbe, rieb das r im Gaumen: »Kannst du mir zehn Pesetas leihen?«

»Lo siento mucho.« Harry versuchte zu lächeln: »Ich hab selber nichts mehr ... Mierda.«

Miguels Zähne waren so weiß wie die Steinquader in der Sonne.

Harry stand auf. Die Eidechse huschte weg. Er folgte Miguel und den anderen Gefangenen langsam zu dem Korb, der an der Mauer herunterkroch. Schweiß tropfte in seine Augen. Die Hand mit dem Geld und dem Brief zitterte.

Er wartete, bis er dran war. Dann hob er hastig die Hand über den Korb. Das Geldstück glitschte aus seinen Fingern, der Brief klebte fest. Und er sah aus wie ein Brief, nicht wie diese Zettel mit den Essenbestellungen. Die Wachen glotzten schläfrig. Harry schüttelte die Hand, der Brief fiel in den Korb. Harry sah den Korb nach oben klettern. Schneller, dachte er – mach schon!

Der Korb hatte fast die halbe Mauer geschafft, als einer der Guardias plötzlich munter wurde. Er pfiff. Der Korb stockte mitten in der Bewegung, dann kam er wieder zurück.

Der Guardia holte das Geld und den Brief aus dem Korb. Er sah Harry an. Das Koppelschloß und die Metallknöpfe an seiner Uniform funkelten.

Harry zuckte die Achseln. »Es ist mein Recht, einen Anwalt zu sprechen!« Sein Spanisch war holprig.

Der Guardia schüttelte den Kopf. »Keine Briefe. Verboten!«

»Verdammt, ihr könnt mich doch nicht hier im Knast verfaulen lassen!«

Sie sahen ihn unbewegt an. Harry drehte sich um und ging über den Hof zu seiner Zelle zurück. Scheißpack! Eidechsen liefen vor seinen Füßen davon. Aber die 25 Pesetas einstecken. Wenn ich wenigstens genug hätte, um die Kerle zu schmieren ... Und ab morgen wieder die staatliche Ration. Drei Duros oder was. Brot und Fisch. Nicht mal genug für Wein – Mahlzeit! Na ja, bis morgen ...

Harry hockte sich auf die äußerste Kante seiner Matratze und holte das Haschischbröckchen aus dem Schuh, in der Zigarettenpackung waren noch fünf Celtas. Er nahm eine und bröselte vorsichtig den Tabak in die Handfläche. Eigentlich noch zu früh. Wenn sie mich jetzt damit erwischen – Sense. Aus. Kein Nachschub. Drüben auf der Insel wäre es kein Problem; aber hier, im »richtigen« Gefängnis auf dem Festland, herrschten strengere Sitten ... Ach was; die sind jetzt beschäftigt ... Er lächelte. Schabte mit dem Fingernagel die Hälfte von dem graubraunen Brocken in den Tabak, setzte die leere Papierhülle an den Mund, zog die Krümel sanft hinein und drehte die Zigarette zwischen den Fingern.

Der Hof vor seiner Zelle war leer. Die ruhigste Zeit des Tages. Essen, dann Siesta. Die erste Hälfte der Wachposten war schon oben im Verwaltungstrakt verschwunden. Die anderen standen wieder in der Ecke und redeten. Einer erzählte einen Witz. Gelächter.

Harry drückte das Zigarettenpapier an beiden Enden leicht zusammen, schob den Joint zwischen die Lippen und nahm die Streichhölzer aus der Tasche. Die Mauer war feucht, und das Schwefelhölzchen rieb sich fast vollständig ab, bevor es endlich Feuer fing. Harry wartete, bis das Wachs brannte, und hielt es an die Zigarette. Der Rauch traf heiß auf seine Zunge, er sog ihn ein, füllte seine Lungen und schloß die Augen. Als er die Luft nicht länger anhalten konnte, atmete er mit einem leichten Seufzer aus. Der Rauch blieb hell und süß vor seinem Gesicht. Harry hielt die Augen halb geschlossen; durch den schmalen Spalt sah er die Glut der Zigarette. Das Rot wurde intensiver, strahlte auf die Wände über, sie färbten sich warm rosa, die Steine vor seiner Zelle goldgelb. Die Eidechsen glänzten grün. Smaragde. Harry lächelte. Die Haut auf seinen Armen spannte sich, wurde heiß. Er nahm noch einen Zug.

Die Eidechsen beobachteten ihn neugierig. Huschten plötzlich weg.

Harry hörte nichts. Als ein Schatten den Eingang seiner Zelle verdunkelte, schreckte er schwerfällig auf. Der Guardia hatte einen Schnurrbart. In den schwarzdrahtigen Haaren hingen Tabakkrümel. Er streckte die Hand nach der Zigarette aus.

2

Scheißstraße, dachte sie. Die Steine schlugen hart durch die Reifen, das Fahrrad sprang unter ihr. Dann dachte Ruth wieder an Harry.

Am Anfang der weißen Mauer stieg sie ab und lehnte das Rad gegen die Steine. Sie sah an sich herunter. Das gelbe Kleid betonte, wie braun sie war. Spießig sieht das aus, dachte sie; ich hätte die Jeans anziehen sollen ... Diese alte Drecksau! Sie nahm einen Kamm und einen Taschenspiegel aus ihrem Korb und kämmte sich sorgfältig. Auf ihrer Stirn glänzten Schweißperlen. Sie setzte sich auf einen Stein neben der Mauer in den Schatten einer Krüppelpinie und wartete, bis sie sich etwas abgekühlt hatte. Ihre Knie zitterten. Vom Radfahren, redete sie sich ein; von dieser blöden Straße ... Bloß nicht nervös werden. Sie zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch ein. Viel half es nicht. Vor ihr flimmerte die Luft über der ausgedörrten Erde. Die Blätter der Olivenbäume waren silbern, die der Feigenbäume fast braun. Auf dem steinigen Feld standen Schafe, bewegungslos, wie aus Holz, dicht neben der niedrigen Mauer aus Natursteinen, in einem engen Kreis, jedes den Kopf tief unter den Bauch des nächsten gesenkt, um etwas Schatten zu haben. Schwarze Ziegen, die kurze Grashalme zwischen den Steinen hervorzupften. Ein unverputztes Bauernhaus, ein paar Ställe, die weißen Hauswürfel der Ausländer, und dahinter das Meer. Knallblau wie üblich.

Ihr fiel plötzlich auf, daß es sehr still war. Irgendwo brummte ein Motorrad; ein paar von diesen komischen Zikaden sirrten in den Bäumen wie Elektrorasierer, eine Ziege meckerte. Aber hinter der weißen Mauer war es still. Die Hunde hatten noch nicht angeschlagen. Ruth dachte an die Hunde und an Baumann und hatte Angst.

Sie stand langsam auf, trat die Zigarette aus und ging zum Tor. Es war aus massivem Pinienholz mit schmiedeeisernen Verzierungen und einem Keramikschild: CASA MAX. Ruth verzog den Mund und klopfte mit der Faust gegen das Holz.

»Hallo! Ist jemand da?«

Die Hunde schlugen immer noch nicht an. Es war zu ruhig. Vielleicht sind alle weg, dachte Ruth mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Aber die Hunde? Sie klopfte noch einmal und öffnete den Mund, um zu rufen, als sie die Schritte hörte, leichte, müde Schritte. Das Schloß knirschte, das Tor öffnete sich einen Spalt.

»Ja?« Erikas dünne Stimme. Ihr Haar war grau und strähnig und machte das glatte, rosige Gesicht viel älter, als es war. »Ach, Ruthchen!« Es klang herzlich, aber die Tür öffnete sich nicht weiter.

»Ist Max da?« Ruth war froh, daß Erika zu Hause war, wenn auch von ihr keine Hilfe zu erwarten war.

»Ja. Aber ...« Erika zögerte.

Ruth drückte die Tür auf, Erika drückte automatisch dagegen. Sie war erstaunlich stark. Ruth lehnte sich gegen die Tür, Erika gab plötzlich nach, Ruth stolperte hinein, lächelte.

»Es ist wichtig, Erika. Ich muß ihn sprechen. Dauert nicht lang.«

»Schon gut; komm rein!« Erika machte resigniert einen Schritt zur Seite; zwischen dem massiven Tor und der hohen Mauer sah sie klein und dünn und zerbrechlich aus. In ferner glorreicher Vergangenheit Gaumeisterin im Turmspringen oder so ähnlich ... Sieht man ihr auch nicht mehr an, dachte Ruth.

Sie ging an Erika vorbei. Als sie das erste Mal hier gewesen war, hatte sie der lächerliche Aufwand des Hauses noch beeindruckt, jetzt bedrückte er sie. Vier für Inselverhältnisse riesige Gebäudeklötze umschlossen wie ineinandergeschachtelte Schuhkartons einen mit Natursteinen gepflasterten Innenhof. Tiefviolette Bougainvillea, blauer Wein, rosa Geranien, Kakteen mit gelben und rot-grünen Stachelfrüchten. Dekoration Saint-Tropez, zweiter Akt, dritter Auftritt. Der gräfliche Playboy im blütenweißen Tennisdreß überwindet alle Standesunterschiede und küßt hinter dem Busch das Küchenmädchen, das in Wirklichkeit eine deutsche Au-pair-Studentin mit reichem Fabrikantenpapi ist ... Erika schloß das Tor hinter Ruth wieder ab und holte sie ein, bevor sie die Terrasse erreichte.

Baumann saß in einem Korbstuhl an dem runden steinernen Terrassentisch und schrieb. Stöße von Notizzetteln um ihn herum; ein grünes Glas, eine Flasche mit spanischem Bier. Er sah nicht auf. Wirkte beschäftigt. Sein weißes Haar war ein äußerst malerischer Kontrast zu dem braunen Gesicht. Der Bart war noch blond. Schnauzbärtchen. Markig. Weißes Hemd und weiße Hose ... Wie im Drehbuch.

»Ruth«, sagte Erika im Tonfall eines Zeremonienmeisters.

Baumann sah irritiert auf. Ruth war Schauspieler und Zuschauer zugleich. Wartete auf ihr Stichwort.

»Ruthchen!« Baumann stand auf. Zeigte Lachzähne, kam auf sie zu, groß und männlich. Streckte ihr beide Hände entgegen, nahm ihre Hände. Noch mehr Zähne. »Ruthchen, was für eine nette Überraschung! Man sieht dich ja überhaupt nicht mehr in der letzten Zeit. Komm, setz dich. Siehst zauberhaft aus. Was, Erika? Hahaha.«

Ruth wurde in einen Liegestuhl gedrückt und fühlte sich dort hilflos wie in einem Zahnarztsessel. Erika stand wartend an der Terrassentür. Ruth klopfte sich eine Zigarette aus der Packung; Baumann schoß mit seinem Feuerzeug auf sie zu: Klick und Zisch.

»Was willst du trinken, Ruthchen?«

Wenn er mich doch gottverdammtnochmal nicht immer Ruthchen nennen würde! »Nichts, danke. Nein, gar nichts.«

»Doch, doch – irgend etwas zum Abkühlen ... Gin-Tonic? Cuba Libre? Wir haben sogar Eis hier; der Kasten funktioniert ausnahmsweise mal.«

»Nein ... Nein, danke ...« Idiotisches Gestotter. »Ein Tonic vielleicht, oder nur eine Cola ...«

»Mit Rum drin, klar! Komm, du siehst aus, als könntest du's brauchen. Mach uns drei, ja?« Ohne Erika dabei anzusehen.

Erika verschwand im Haus. Baumann setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Ruth lag tiefer als er, versucht sich wieder aufzusetzen; der weiche Stuhl machte es unmöglich. Baumann schaute auf sie herunter.

»Max, hör zu, ich bin ...«

»Zauberhaft!« Er beugte sich vor, berührte mit einer Hand ihr Knie. Wirkte rein zufällig. Strich ein bißchen am Bein hoch. »Ganz zauberhaft.« Die Terrassentür schwang auf, Eiswürfel klirrten. Baumanns Hand glitt wieder zum Knie zurück und war auf dem Tisch, bevor Erika das Tablett mit den Gläsern abstellte.

»Max, hör zu – du mußt ...« Ruth kam nicht weiter.

Erika drückte ihr ein Glas in die Hand. Mit Zitrone und Eis und allem Drum und Dran. Ruth trank, und es schmeckte auch noch.«

»... ihn rausholen!« beendete sie den Satz aggressiv.

»Salud!« Baumann hob sein Glas und lächelte ihr zu.

Erika ahmte seine Bewegung nach, Ruth konnte nicht sehen, ob in Erikas Glas überhaupt Rum war oder nur Cola. »Salud«, sagte Erika. Baumann trank. Sein Adamsapfel tanzte unter den Halssehnen.

»Schließlich ist das Ganze nur deine Schuld!« Ruth stellte das Glas neben ihren Stuhl auf den Boden und zündete sich eine neue Zigarette an der alten an.

Baumann schien ganz auf sein Glas konzentriert; er studierte die Maserung der Eiswürfel. Die Papiere auf dem Tisch flatterten unter einem leichten Windstoß, Baumann legte zwei Steine drauf. Sah hoch. »Du rauchst zuviel, Kindchen.«

»Deine Schuld, hab ich gesagt!« Ruth schluckte. »Es war doch dein albernes Motorrad, oder? Damit hat alles angefangen! Du mußt jetzt einfach ... Fünfzigtausend Pesetas wollen die als Kaution! Fünfzigtausend!«

»Kindchen« Lächeln, dann noch mal: »Kindchen, was bezeichnest du denn als mein Motorrad?« Baumann zog die Augenbrauen hoch. Sehr freundliches Lächeln.

Ruth hätte ihm gern ihren Cuba Libre ins Gesicht geklatscht. Statt dessen sagte sie, genauso freundlich: »Falls dein Gedächtnis wirklich so schlecht ist – soll ja im reiferen Alter vorkommen –, will ich dir gern weiterhelfen.« Sie merkte, daß die Anspielung auf sein Alter saß, und fuhr ruhiger fort: »Du warst doch ganz verrückt nach Harrys Motorrad. Du hast ihn unentwegt gelöchert, weil du's haben wolltest. Und als er endlich blank war, hast du's ihm abgekauft. Für ganze läppische ...«

»Irrtum!« Leichtes Grinsen. »Irrtum, mein Schatz. Ich habe es nicht gekauft. Nur geliehen.«

»Das war doch nur die Formulierung wegen dem Zoll. Du wolltest es bezahlen.«

»Monatlich, ja. Und das habe ich auch getan.«

»Aber du hast den Zoll nicht bezahlt.«

»Ich?« Ganz großes Erstaunen. »Wieso sollte ich denn den Zoll zahlen? Es ist nach wie vor Harrys Motorrad. Und er muß dafür sorgen, daß alles in Ordnung geht. Kann ich etwas dafür, wenn ...«

»Es war ausgemacht, daß du den Zoll zahlst. Wir haben uns drauf verlassen.«

»Sooo?« Hochgezogene Augenbrauen.

»Hör auf, verdammt noch mal! Du weißt ganz genau, wie es war: Wir konnten den Zoll nicht zahlen, und nur deshalb haben wir dir das Ding so billig gegeben. Das mit dem Mieten war doch nur wegen dem Papierkrieg. Und für dich war's ein gutes Geschäft. Das war doch der einzige Grund, daß du ... Wenn wir gewußt hätten, wie du dich da rauswindest ... Dann hätte Harry doch nicht so mit den Leuten von der Zollfahndung geredet, und ...« Ruth sah hilfesuchend zu Erika hinüber. »Erika, du weißt doch, was ausgemacht war!«

Erika sah sie an. Sah Baumann an. Hob die Schultern: »Ich kann mich wirklich nicht erinn... Ich weiß gar nicht mehr, wie ...«

Baumann fuhr zu ihr herum. »Du weißt ganz genau, was wir vereinbart haben: Keine Rede von Zoll. Ich müßte ja verrückt sein! Die mit ihren Zollvorschriften – das ist doch ein Faß ohne Boden. Das wäre schön teuer für das Ding ... Nein, nein, Kindchen; das bildest du dir ein.«

»Du ... Du hast das alles nur eingefädelt, weil du Harry nicht ausstehen kannst. Weil du ihn ... Was hast du mir für humane Vorträge gehalten, als ich zum erstenmal herkam: Wir sind alle voneinander abhängig hier auf der Insel; wir gehören zusammen – auch, wenn wir uns vielleicht manchmal nicht mögen ... Ach Gott! Große Familie und lauter so 'n Scheiß! Schon diese alberne Duzerei – als ob wir alle miteinander geschlafen hätten! Und wie sieht das dann in Wirklichkeit aus? Wer hat eigentlich den Leuten vom Zoll den Tip gegeben, hm? Du bist doch ein ganz mieser kleiner ... Ach was: ein Arschloch bist du!« Ruth fühlte sich wohler, als sie sah, wie Baumann und Erika zusammenzuckten. Aber gleichzeitig war ihr klar, daß sie Harry so nicht helfen konnte.

»Warum denn gleich so vulgär!« Baumann grinste schon wieder. »Steht dir nicht sonderlich. Und wieso gehst du nicht zur Polizei? Wenn du schon so sicher bist?«

»Ach ...« Ruth nahm ihr Glas, trank es aus und starrte an Baumann vorbei auf die hellroten Geranien an der Außenmauer. Ihre Wut war verpufft. »Spanische Polizei ... Erstens überhaupt; zweitens kümmern die sich doch um nichts; drittens sind wir nicht verheiratet und Ausländer und noch dazu welche ohne Geld ...« Sie sah Baumann an. Aus und vorbei. Von dem war keine Peseta zu erwarten. Wenigstens konnte sie das höfliche Getue abschalten. »Gegen dich mit deinen schönen Verbindungen und deinem feinen Schmiergeld ... Ist ein angenehmes Land für Leute wie dich, oder? In Deutschland wär's was anderes.«

»Ach wo. Heute auch nicht mehr ...« Baumann stand auf. »Tut mir leid, Kind, ich würde dir ja gern helfen, aber ...« Nichts als Bedauern in den schönen blauen Augen.

Ruth stand auch auf. Sie war fast genauso groß wie Baumann. Starrte ihn an: Ja, das möchtest du wohl, du geiler Bock. Kann ich mir vorstellen! Aber soweit sind wir noch nicht. Noch lange nicht. »Dann behalt dein Geld nur«, sagte sie lässig und nahm ihren Korb.

Baumann lächelte.

Ruth wurde unsicher. Sie sah hastig zu Erika hinüber. »Danke, ich komm schon allein raus.«

3

Sie sahen ihr nach. Das Licht blendete. Baumann kniff die Augen zusammen. Erikas Augen waren hell und weit offen. Helles Blau. Eiswasser, aber resistent gegen Sonne ... Erika stand so dicht bei ihm, als wollte sie sich gegen ihn lehnen. Baumann trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Ruth hatte das Tor fast erreicht. Sie schlenkerte ihren Korb beim Gehen und sah von hinten ziemlich selbstsicher aus. Überhaupt ... Baumann zog seinen Schnurrbart zwischen die Zähne, spürte die Haarspitzen auf der Zunge. Biest. Ein richtiges Biest ... Na warte, das schaffen wir schon noch. Etwas mehr Druck – ein ganz kleines bißchen ... Halbweich ist die ja längst. Verdammt, diese Beine. Und der Arsch ... Ohne Erika anzusehen, nachdenklich: »Sieht eigentlich gar nicht so aus. Ich meine, man sieht's ihr nicht so an.«

»Findest du? Na, ich weiß nicht ...«

»Doch, doch, glaub mir; ich kenn mich aus. Dieser Gang und alles.«

»Aber die Haare, die Nase ...«

»Könnte genausogut arisch sein. Gott, reizt die mich. Verdammt noch mal.

»Aber du kennst doch diese Fotos aus Dings, aus Israel. Da sind auch immer solche Typen drauf. Sogar blond. Die wollen eben den Eindruck erwecken, daß sie nicht alle ...« Erika sprach leise, wie unbeteiligt.

Baumann beobachtete, wie Ruth das schwere Tor aufklinkte und hinausging. Das Tor fiel hinter ihr zu. Hat sich nicht mal umgeschaut. Miststück. Damals, 39, diese ganzen ... Vor allem die ganz jungen ... Und dann ...

Ihm fiel plötzlich auf, daß Erika mitten im Satz abgebrochen hatte. Sie schaute gar nicht in den Garten. Sie beobachtete ihn. Er wußte, daß sie seine Gedanken erraten hatte. Genau. Er wartete darauf, daß sie den Blick senkte, sich abwandte ... Nichts. Ihre Augen waren weit und sanft und glatt. Werden Augen auch grau, nur weil das Haar nicht mehr blond ist? Grau – alles an ihr ist grau. So verdammt grau ... Lacht sie etwa? Das kann ja wohl nicht sein. Verhärmtes Gesicht. Diese Platte also. Märtyrermiene. Ohne mich!

»Was starrst du mich so an?« Na also, ihre Augen blinzelten, sie wandte sich ab. »Gibt's heute kein Essen, oder was ist los?«

»Gleich, Max!« Sie bewegte sich, sah von ihm weg, wollte ins Haus gehen.

Baumann hielt sie plötzlich fest, als sie an ihm vorbeikam. Seine Finger preßten sich in ihren Arm. »Sag mal, was ist hier eigentlich los?«

Erika versuchte nicht, ihren Arm zu befreien. »Nichts ist los. Ich mach ja schon ...«

»Wieso ist es so still?« Baumann schaute über Erikas Kopf hinweg in den Garten. Unsicher. »Wo sind die Hunde?« Er ließ Erika los, pfiff. Rief: »Odin! Freya!«

Es blieb still.

»Wo sind sie, verflucht noch mal?« In seiner Stimme war etwas wie Angst. »Hast du wieder mal das Tor offengelassen?«

»Nein, Max.« Erika lächelte beruhigend. »Sie werden schon dasein. Vielleicht in den Klippen.«

»Hoffentlich sind sie nicht hinter den Hühnern her. Diese Bauern können ja nie aufpassen.« Baumann ging um die Terrasse herum in den hinteren Teil des Gartens. Die Feigenkakteen standen dicht. Er bückte sich unter den fleischigen Blättern hindurch. Rief. Schnalzte mit der Zunge. Ging schneller. Stolperte, wo der Weg aufhörte und in die Felsen überging, die steil zum Strand hin abfielen.

Odin fand er zuerst.

Sogar jetzt sah der riesige Hundekörper noch furchterregend aus. Trotz der gebrochenen Augen. Freya lag fünf Meter weiter unter einem Kaktus. Sie hatte Schaum vor dem Maul und war genauso tot wie Odin.

Baumann ging langsam zum Haus zurück. Sein Gesicht sah alt und verfallen aus. Harry, dachte er. Aber der sitzt doch drüben im Gefängnis ...

Er begann zu schwitzen.

4

Die größte war gut zwei Meter hoch. Ockergelb, mit grün phosphoreszierenden Augen und einer hellen, dreieckigen Nase. Die anderen waren zwar alle kleiner, aber nicht weniger eindrucksvoll. Braun, schwarz, gefleckt oder getigert oder reinweiß; zum Sprung geduckt, schlafend oder hoch aufgerichtet, mit glitzernden Kristallaugen lauernd. Zwischen den Hinterpfoten die Signatur: W.M. Walter Meschkat. Das Genie.

Er lächelte und lehnte das Gewehr vorsichtig gegen die Mauer, um seine Brille zu putzen. Lady Mary strich um sein nacktes Bein und schnupperte dann an dem sonnenwarmen Kolben der Waffe. Jacqueline, Sissy und Cleopatra lagen schläfrig in der Sonne, während Nanou und Miss Jennifer wie immer versuchten, Jonas zu vergewaltigen, der völlig ausgepumpt im Schatten der Mauer lag.

Meschkat nahm Lady Mary hoch, kraulte sie am Bauch und küßte sie zärtlich ins Ohr. Lady Mary fauchte, kratzte, sprang mit einem Satz von Meschkats Arm und verzog sich mit hochgerecktem Schwanz, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Meschkat sah nachsichtig seufzend hinter ihr her. Sein Blick fiel auf die Mauer, und er bemerkte, daß an einer Stelle die Farbe abgeplatzt war. Er rückte die Brille zurecht und sah sich die Mauer genauer an. Schlechte Farben. Ganz miserable spanische Eintagsfarben ... War ja auch nur ein Versuch gewesen. Er legte den Kopf zurück und ließ den Gesamteindruck seines Werkes auf sich wirken. Die Mauer in ihrer ganzen Höhe und Breite war fertig. Vollendet. Die Arbeit von drei Jahren. Die Katzen waren im Gegensatz zu den Plastiken leicht stilisiert – der Einfluß einer Mexikoreise –, etwas erhaben, im ganzen flach und wuchtig, lebendig im Lichtschatten, ineinander verschlungen, sich bekämpfend, sich liebend, sich fortpflanzend ... Das Leben. Der Kosmos. Die Mauer. Meschkat atmete tief ein. Nur die beiden dunklen Katzen störten ihn. Ganz abgesehen von der abblätternden Farbe. Zu künstlich, zu gewollt. Das ganze Monument mußte eine Einheit bilden. Ockerfarben. Wie die Sonne. Wie die Erde. Meschkat ging ganz nah an die Mauer heran. Die Katze vor ihm schien zu schreien. Oder zu gähnen. Ihr weit offenes Maul war ein Loch in der Mauer.

Meschkat beugte sich zurück, hob das Gewehr mit dem Zielfernrohr hoch und schob es vorsichtig in die sich nach außen verjüngende Öffnung.

Tim Westons Haus war ganz nah. Das eingesunkene Dach, das winzige Fenster, der Feigengarten, eine Tonkruke, eine Schüssel mit Wäsche. Der blaugesprenkelte Schatten des halbverdorrten Feigenbaumes. Ein Tisch und Hocker aus übereinandergeschichteten Steinen. Die Tür. Die Tür war offen. Meschkat konnte in der schwarzen Öffnung eine Bewegung sehen. Seine Hand begann zu zittern.

Tim kam heraus. Lang, dürr, fast nackt. Tim sagte etwas zur Tür hin, er schien zu lachen. Jane kam dazu. Sie küßten sich. Meschkats Hand zitterte so stark, daß er kaum etwas erkennen konnte. Tims Hand auf Janes Brust. Sie schob sich ihm entgegen. Widerlich. Meschkats Atem ging heftiger, er mußte sich zwingen, die Hand ruhig zu halten. Tim und Jane dicht beieinander. Wie ein einziger Körper. Nah bei der Tür, dann im Haus. Vorbei. Aus. Die Tür war schwarz und leer. Ekelhaft. Die Tür könnten sie wenigstens zumachen.

Der Lauf mit dem Fernrohr bewegte sich etwas; Meschkat stutzte, schob ihn so weit nach rechts, wie es ging. War das nicht . Ruth. Tatsächlich: Ruth ... Und es sah ganz so aus, als würde sie grade von Baumann, diesem Schwein, kommen. Hatte er es also doch geschafft ... Hure! Meschkat schwenkte das Gewehr zurück. Die Tür von Tims Haus. Eine Bewegung. Klein, rosig, nackt. Meschkat atmete plötzlich flach und ruhig. Das Gewehr zitterte nicht mehr. Tims Baby. Tims Sohn. Nackt und widerlich wie sein Vater. Das Baby krabbelte bis zur Stufe, schaute ins Haus zurück, drehte sich halb um, schob seinen Hintern zur Stufe vor, tastete mit einem Bein über die Kante, versuchte, den Boden zu erreichen. Das Baby sah klein aus. Zwergenbaby. Plötzlich war das Gewicht seines Körpers über dem Stufenrand; es purzelte in den Sand, rollte herum, zögerte eine Sekunde lang verdutzt, lachte dann und strampelte.

Meschkat fühlte das warme Metall neben seinem Gesicht, den Abzugshahn in der Krümmung seines Zeigefingers.

Klopfen.

Meschkat schüttelte sich. Aber das Klopfen am Tor war laut und störte ihn. Er schaute noch einmal auf den runden kahlen Babykopf und zog dann das Gewehr zurück. Er stellte es hinter die Zweimeterkatze in den Schatten und ging zum Tor. Seine Beine waren steif, als hätte er sehr lang im Schnee gestanden.

Ruth saß noch auf dem Fahrrad, ein Bein auf dem Boden. Der Rock war so weit hochgeschoben, daß er ...

Meschkat kniff die Augen zusammen. »Was wollen Sie?«

»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« Ruths Mund. Rot, die Lippen feucht und gierig. Meschkat bewegte sich nicht.

»Ich weiß, von wo Sie kommen! Von Ihrem Köterfreund. Erst er, dann ich, wie? Immer die Runde rum, ja? Solange Harry aus dem Weg ist ... Was ist denn Ihr Preis jetzt? Sommerrabatt, hä?«

Ruths Lächeln verschwand. Ihre Hände auf der Lenkstange. Die Fingerknöchel weiß. Die Stimme ganz ruhig, verdammt.

»Könnten Sie nicht wenigstens mal versuchen, normal zu sein? Nur weil einer von seinen Hunden einmal eine von Ihren blöden Katzen ...« Sie merkte, daß sie einen Fehler gemacht hatte.

»Das hätten Sie nicht sagen dürfen!« Meschkat starrte sie an. »Das nicht!« Er merkte, wie seine Brillengläser beschlugen; er machte das Tor halb zu.

Ruths Stimme kam hinter ihm her. »Warten Sie! Walter, warten Sie doch! Harry sitzt immer noch im Gefängnis ... Könnten Sie uns nicht eventuell etwas Geld ... Ich meine, nur leihweise ... Nur für ...«

Meschkat warf die Tür zu, sperrte die Stimme aus. »Hauen Sie ab!« Schrill: »Verschwinden Sie!« Er ging zur Mauer zurück und hob das Gewehr hoch. Seine Hände zitterten so stark, daß er Mühe hatte, den Lauf wieder in die Öffnung zu schieben.

5

Ruth hätte gern geheult. Oder geschrien. Sie drehte das Rad um und fuhr hinüber zu dem Haus von Tim und Jane. Unter dem Feigenbaum hockte Tim junior und stopfte sich Sand in den Mund. Als er Ruth entdeckte, krähte er begeistert.

»Hello«, sagte Ruth müde und lehnte ihr Rad gegen den Baum. Sie schaute auf die Tür. Von innen kamen leichte Geräusche.

»Ich bin's, Ruth!« rief sie laut und setzte sich auf einen der Steinhocker unter dem Baum. Sie hörte leises Lachen, dann Jane:

»Gleich!«

Ruth wartete.

Die Sonne stand ziemlich tief, der Sand färbte sich rötlich, die kleinen Mauern auf den Feldern tiefrot, und die Olivenbäume dunkelgrün. Der Himmel war klar und kobaltblau bis auf ein paar zerfetzte Wolkenstreifen im Westen: Flüssiges Kupfer ... Es würde Wind geben. Oder auch nicht. Eine Eidechse zog eine schmale Filigranspur hinter sich her. Das Baby krabbelte zu Ruth hin und bohrte den Zeigefinger in ihre offene Sandale.

Tim und Jane kamen heraus. Tim in den Resten einer Badehose, Jane in einem alten Militärunterhemd. Sie umarmten sich. Das Baby quietschte und warf sich Sand über den Kopf.

»Hello, Ruth!« Tim grinste, wurde halbwegs ernst. »Was Neues von Harry?«

Ruth redete. Tim und Jane konnten ihr nicht helfen; sie hatten kaum Geld für sich selber. Sie hörten auch nicht richtig zu; sie waren mehr mit sich selbst beschäftigt. Es spielte keine Rolle. Sie waren da, und Ruth konnte reden. Alles herausschreien. Aber sie schrie nicht. Sie steckte sich eine Zigarette an und reichte Tim die Packung.

»Ich hab wirklich alles versucht. Ich kann das Geld nicht auftreiben. Diese idiotische ...« Sie suchte einen Moment nach dem englischen Wort für Kaution.

Jane half ihr. »Bail?«

Ruth nickte. »Ich bin ziemlich sicher, daß Baumann, dieses Miststück, die ganze Sache eingefädelt hat, um Harry aus dem Weg zu räumen. Um sich ... Diese blöde Sau! Wahre Freundschaft und so ... hat der Zollfahndung noch den Tip gegeben, uns die Polizei auf den Hals gehetzt. Und jetzt klebt er auf seinem ganzen Geld, und keiner kann an ihn ran.«

Tim setzte sich auf den Steintisch, Jane neben ihn. Sie sah Ruth nachdenklich an. »Kann man wirklich nichts machen? Ich meine, daß so ein Scheißkerl einfach so wegkommt ... Geld – immer Geld! Die Spanier müßten doch ganz schön sauer auf ihn sein, weil er ihnen so viel Land abgeschwatzt und es dann zu irren Preisen weiterverscheuert hat ... Schriftsteller! Würde ich mich auch nennen. Was schreibt er denn? Wechsel?«

»Seine Memoiren.« Ruth trat wütend nach einer Eidechse.