Cover

Christiane Spies

Mondherz

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Christiane Spies

Christiane Spies wurde 1981 geboren und lebt in Nürnberg, wo sie als Wissenschaftsjournalistin arbeitet. Nach langen Recherchen in historischen Stadtarchiven, Antiquariaten und Bibliotheken entstand ihr erster Roman »Mondherz«. Diese Werwolfs-Saga, die vor einer beeindruckenden historischen Kulisse spielt, wurde von einem halbjährigen Aufenthalt in Budapest inspiriert.

Über dieses Buch

1456: Seit Konstantinopel gefallen ist, dringt das osmanische Heer immer weiter nach Westen vor, und Belgrad wird von der erschreckenden Übermacht belagert. In der Stadt hält sich auch die junge Adlige Veronika auf. Doch ihr steht nicht nur wegen der gefährlichen Zustände im Land eine ungewisse Zukunft bevor, denn Veronika ist Teil einer verborgenen Welt, von der normale Menschen nicht einmal etwas ahnen: Es gibt einen Bund von Werwölfen, der den mächtigsten Männern Europas im Geheimen dient. Seit sie selbst zur Werwölfin wurde, bestimmt der Bund auch Veronikas Leben. Aber als er ihr vorschreiben will, wen sie lieben soll, beginnt sie, um ihre Freiheit – und ihre Liebe – zu kämpfen …

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2012 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: plainpicture/Arcangel/Mark Owen

ISBN 978-3-426-41428-6

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Für Klaus

Wenn der Werwolf, der aufwieglerische, mich ruft,

Wenn wandernde Hirten mich verhöhnen

Mir nachjagen und mir Fußtritte geben,

Ärgert mich das doch keinen Augenblick.

Ich suche weder Paläste noch Schlösser auf

Und keine Zuflucht, wenn der Winter kommt;

Ausgesetzt dem Wind und Frost bei Nacht,

Ist meine Seele aufgewühlt von Freude, denn:

Mich will meine Wölfin, die Göttliche;

Und mit Recht fordert sie das Ihre;

Denn, bei meiner Ehre, mein Leben gehört ihr,

Mehr als einem anderen, mehr als mir.

Pierre Vidal (1180–1205)

Prolog

Die Wälder der Südkarpaten, November 1444

Das Pferd zitterte vor Anstrengung nach dem raschen Ritt. Sein Atem stieg in Dampfwolken in die kalte Nachtluft auf. Gábor knotete die Zügel um den Ast einer Eiche, dann bahnte er sich einen Weg zwischen den Bäumen hindurch. Das Laub raschelte unter seinen Füßen und hinter ihm schnaubte die Stute, ansonsten war es still. Er wischte die Zweige beiseite, die sich in seinen Umhang krallten, und trat auf die Lichtung hinaus. Der Wald umringte die Hütte wie ein Heer schweigender Krieger. Für einen Herzschlag hielt Gábor inne. Der alte Mann war zu Hause, er konnte ihn spüren. Im Laufschritt überwand er den Abstand zur Tür.

»Komm herein, junger Ritter!« Viktors heisere Stimme drang durch die Holzbohlen zu ihm heraus, bevor er klopfen konnte. Gábor ließ die Hand sinken. Wieder einmal hatte er die feinen Sinne des Alten unterschätzt. Er stieß die Tür auf und trat in das Dunkel der Hütte.

Viktor saß auf seiner Bettstatt, die ausgemergelten Hände auf dem Schoß gefaltet. Schwärze gähnte in der Feuerstelle. Der Alte schien keine Kälte zu spüren, denn er trug nur eine dünne Kutte. Er musterte seinen jungen Besucher von oben bis unten. Sein eisblauer Blick schnitt schärfer durch die Nacht als die Augen einer Eule.

Das Stirnrunzeln des Alten bestätigte Gábor, welch unheilvolles Bild er bot, und er senkte den Blick vor seinem einstigen Lehrer. Schmutz haftete daumendick auf seinem Harnisch, und Blut und Schweiß hatten seine Kleidung dunkel verfärbt. Der Rabe auf seinem Mantel, das Wappen seines Dienstherrn, war zerrissen.

»Du bringst schlechte Nachricht«, folgerte Viktor mit starrer Miene.

Gábor nickte. Der Ernst der Lage wischte alle Gedanken an sein Aussehen hinweg. »Wir haben die Schlacht bei Warna verloren. Die Türken stehen kurz vor den Karpaten, und König Wladislaw ist tot.« Zorn und Furcht ließen seine Stimme abgehackt klingen.

Viktor verengte die Augen. »Das hätte niemals geschehen dürfen«, zischte er.

»Dracul hat uns verraten«, presste Gábor hervor, den Kopf auf die Brust gesenkt. »Er hat Johann Hunyadi gefangen genommen und will ihn an die Türken ausliefern.«

»Graf Hunyadi war unsere einzige Hoffnung.« Viktors Augen blitzten wie Eiskristalle. »Du hättest deine Brüder holen müssen, um ihn zu retten, anstatt zu mir zu kommen.«

»Ich musste zu Euch. Ihr müsst fliehen. Dracul weiß doch, wer Ihr seid und …«

»Ich soll fliehen wie ein feiger Hund, während die Christenheit vor dem Verderben steht?« fuhr Viktor auf. Dann wurde seine Stimme gefährlich leise. »Das musst du mir erklären!«

»Als die Schlacht begann, nutzten Draculs Männer den Tumult, um sich davonzustehlen. Sie überwältigten einen von uns – Peter, den Jüngsten aus Michaels Rudel.« Gábors Finger krampften sich um den Schwertgriff, als er an seinen Kameraden dachte. »Sie nahmen ihn mit nach Tergowisch. Dracul folterte und verhörte ihn.« Er mied Viktors Blick. »Wir konnten ihn nicht retten, die … die Türken kämpften wie Teufel.« Nie würde er vergessen, was er auf dem Schlachtfeld gesehen hatte. »So viele starben. Ein Janitschar verwundete den König tödlich, und Graf Hunyadi befahl den Rückzug. Doch hinter der walachischen Grenze lauerten Hunderte von Draculs Kriegsknechten auf uns. Sie setzten Hunyadi gefangen. Ich sah keine andere Möglichkeit, als zu fliehen. Doch aus einem Versteck hörte ich einen Söldner sagen, dass ein Trupp auf dem Weg zu Euch sei, um Dracul Euren Kopf zu bringen.«

Für einen Atemzug war es still, dann bewegte sich der Alte mit der lautlosen Schnelligkeit eines Schattens auf Gábor zu. Er packte ihn so hart am Arm, dass der junge Ritter zusammenfuhr. »Ich gehe. Doch nicht ohne die Schriften unseres Volkes. Komm mit.«

 

Sie stiegen mit raschen Schritten den Berg hinter der Einsiedelei hinauf. Je höher sie kamen, desto häufiger wurde der dichte Baumbestand von Felsen unterbrochen. Wie schweigende Riesen lugten ihre wuchtigen Steinkörper aus dem Dickicht hervor. Der Weg war steil, und die beiden Männer schwiegen, um ihren Atem zu schonen. Hinter ihnen stand der halbvolle Mond tief am Himmel.

Gábor war seit Jahren, seit dem Ende seiner Ausbildung, nicht mehr hier gewesen. Und doch schien ihm das Hochland immer noch so vertraut, als hätte er es erst letzte Nacht verlassen. Hier hatte sich die Welt nicht weiterbewegt. Er sah zu Viktor, der dem steinigen Pfad leichtfüßig wie eine Katze folgte. Der Alte schien sich ebenfalls nicht verändert zu haben. Aber wer konnte schon sagen, was in ihm vorging? Seit Gábor ihn kannte, bewegte er sich außerhalb der Zeit und meist auch außerhalb der Gesellschaft von Menschen. Niemand war älter oder stärker als er. Gábor erschauerte. War das die Bestimmung ihres Volkes: entweder im Kampf zu sterben oder sich irgendwann in die Einsamkeit der Wälder zurückzuziehen? Er schob diesen Gedanken lieber beiseite und beschleunigte seinen Schritt.

Nach dem letzten steilen Anstieg erreichten sie ein kleines Plateau unterhalb des Gipfels. Schroffe, zerklüftete Felsen machten den weiteren Aufstieg fast unmöglich. Viktor ging ohne zu zögern auf eine Felsengruppe zu. Seine Hände fuhren über den Stein, seine Finger, knorrig wie alte Olivenzweige, krallten sich in einen Spalt. Knirschend bewegte sich der Stein. Viktor griff in die entstandene Öffnung und zog ein in Wachstuch eingeschlagenes Bündel heraus. Gábor hörte die Dokumente darin knistern. Der Alte verstaute das Bündel unter seiner Kutte, dann schob er den Stein wieder zurück. Die Öffnung verschwand, als hätte es nie ein Versteck gegeben.

Viktor verharrte einen Moment, dann drehte er sich um und trat an den Rand des Plateaus. Gábor stellte sich neben ihn. Unter ihnen stachen Baumwipfel schwarz in den Nachthimmel, und mehr als einen Tagesmarsch entfernt flackerten Lichter am Horizont. Aus der Ferne sahen sie trügerisch unschuldig aus.

»Die Türken brennen die Dörfer nieder.« Gábor ballte die Fäuste. Verzweiflung legte sich wie ein Ring aus Eisen um sein Herz. »Dracul, der Christenverräter, lässt ihnen freie Hand.«

Viktor schüttelte den Kopf und bedeutete ihm zu schweigen. Der Jüngere schloss widerstrebend den Mund. Die Stille, einzig unterbrochen vom Wind, der in den Bäumen unter ihnen rauschte, dröhnte in seinen Ohren. Warum waren sie noch hier? Sie hatten keine Zeit! Graf Hunyadi benötigte ihre Hilfe, und Draculs Söldner konnten jeden Augenblick eintreffen.

Nach einer Weile, die ihm ewig erschien, begann Viktor zu sprechen. »Seit vielen Hundert Jahren hat unsere Gemeinschaft die Aufgabe, das Abendland zu schützen.« Er starrte in die Dunkelheit hinaus. »Jetzt scheint es, dass wir versagt haben.«

Gábor zuckte zusammen. Noch nie hatte der Alte von Scheitern gesprochen.

Viktor wandte sich zu ihm um. In seinen Augen spiegelte sich der milchigweiße Mond. »Der Sultan herrscht inzwischen vom Schwarzen Meer bis nach Albanien«, sprach er weiter. »Der ungarische König ist tot, der bosnische König strauchelt, und nun ist durch Verrat auch noch die Walachei gefallen.«

Seine Worte gruben sich wie Klauen in Gábors Gedanken. Der Ritter presste die Lippen zusammen. Viktor war der Älteste, er durfte ihm nicht widersprechen. Doch er wollte nichts hören, was so klang, als sei ihre Niederlage endgültig.

»Vielleicht sind wir verloren, doch noch haben wir nicht alle Mittel eingesetzt«, fuhr Viktor fort. Seine Augen wurden dunkel, als er sie zu Schlitzen verengte. »Unser Volk hat noch eine Waffe. Sie könnte die Türken endlich den Geschmack der Verzweiflung lehren.«

»Welche Waffe?«, fragte Gábor atemlos.

Viktor bleckte die Zähne. »Die Prophezeiung der heiligen Agnes«, knurrte er. »Es ist kein Zufall, dass sie sich bald zum fünfhundertsten Mal jährt. Die Verdammnis der Welt hat sie vorhergesagt, und Gott ist mein Zeuge, dass ebenjene uns nun bevorsteht.«

Gábors Hoffnung verflog jäh. Bei allen Wölfen, das konnte der Alte nicht ernst meinen. Er kannte das brüchige Pergament natürlich, dessen Tinte bereits verblasst war. Viktor hatte es ihm im ersten Jahr seiner Ausbildung gezeigt. Eine junge Nonne hatte auf dem Totenbett die Verdammnis der Welt prophezeit. Nur eine Frau könne sie retten, war ihre Weissagung gewesen, eine Frau mit zweigestaltigem Blut. Und ausgerechnet Viktor, der Frauen mit der Abscheu eines Mönchs betrachtete, glaubte daran? Gábor schüttelte den Kopf. Eine solche Frau konnte es nicht geben. Und selbst wenn – mit ihr könnten sie ein paar abergläubische Bauern verscheuchen, nicht aber das türkische Heer.

Viktor schien seine Bedenken zu spüren. Seine Finger krallten sich in Gábors Arm. »Du weißt, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als du jemals begreifen kannst.« Er zwang Gábor mit einem Ruck, ihn anzublicken. »Du kennst die Magie der Zigeuner und hast die dunklen Talente der Assassinen erlebt. Und wie willst du die Existenz unseres Bundes erklären?« Er nickte, als er in Gábors Augen widerwillige Zustimmung las. »Die heilige Agnes wusste nichts von uns. Doch sie hat in der Gegenwart unserer Brüder von Dingen gesprochen, über die nur ein Eingeweihter Kenntnis haben konnte.«

Gábor mühte sich, Viktors Blick standzuhalten. »Selbst wenn die Prophezeiung wahr ist, hilft sie uns nicht in der Schlacht«, entgegnete er vorsichtig. Er klopfte auf seinen Schwertgriff. »Das ist unsere Stärke.«

»Nein.« Viktors Stimme wurde zu einem tiefen Grollen. »Unsere Kraft liegt allein in unserem Blut und unserem Glauben. Vergiss das nie.« Der Griff seiner Finger schmerzte. »Du wirst deine Brüder holen und Graf Hunyadi befreien, das ist deine Pflicht. Aber danach wirst du dich auf die Suche nach der Frau begeben, die Agnes’ Weissagung erfüllt.«

Gábor konnte nicht glauben, dass Viktor dies tatsächlich von ihm verlangte. Mit angehaltenem Atem schüttelte er den Kopf.

Das Gesicht seines Lehrers wurde im Mondlicht so fahl und hart wie Marmor. Gábor stöhnte auf, als sich die Finger noch fester in seinen Arm krallten. Viktors Augen begannen sich dunkel zu verfärben, seine Oberlippe hob sich und zeigte weiße Zähne. Das Knurren kam tief aus seiner Kehle. Er würde seinen Befehl nicht zurückziehen.

Gábor war es, der den stummen Zweikampf abbrach. Er beugte den Kopf, so dass ihm die dunklen Locken in die Stirn fielen. Er konnte gegen den Willen des Ältesten nicht bestehen, denn der Gehorsam war seit dem Wolfsbiss ein Teil seines Wesens. Doch nicht nur seine Natur ließ Gábor nachgeben. Viktor hatte ihn aus der Hölle gerettet und zu dem gemacht, was er heute war. Er schuldete ihm Dank und Respekt, selbst wenn sich alles in ihm gegen den Befehl sträubte.

»Hunyadi braucht mich an seiner Seite.« Er merkte selbst, dass sein letzter Einwand wie eine Ausrede klang.

»Ich weiß.« Viktors Augen glommen wieder in ungetrübtem Blau. »Bleib bei ihm und weihe ihn ein, er wird es verstehen. Seine Feldzüge werden dir die Möglichkeit geben, Ausschau nach der Frau zu halten. Und wenn du sie gefunden hast, wirst du alles daransetzen, dass sich die Prophezeiung erfüllt.«

Die Überzeugung in Viktors Worten beeindruckte Gábor wider Willen. Sein Lehrer musste sich der Prophezeiung sehr sicher sein, wenn er sogar einen Menschen als Mitwisser riskierte.

Er nickte stumm. Er wusste, was Viktor nun von ihm erwartete. Er zog sein Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel und gab es Viktor. Mit gebeugtem Kopf kniete er sich vor ihn hin, eine Hand auf dem Herzen, die andere ausgestreckt. Ehrfürchtig sprach er die Worte. »Beim zweigestaltigen Blut des Bundes verpflichte ich mich, diesen Dienst zu erbringen und nicht eher abzulassen, bis er erfüllt oder mein Leben beendet ist.«

»So sei es.«

Viktor hob das Schwert mit ernster Miene. Rasch zog er die Klinge über Gábors Hand. Gábor regte sich nicht, obwohl der Schmerz bis zu seinem Ellbogen hinauffuhr. Blut tropfte auf den kahlen Erdboden. Viktor befahl ihm aufzustehen und gab ihm die Waffe zurück.

Gábor schwindelte es, als er das Schwert in die Scheide an seiner Hüfte zurücksteckte. Die Wunde an seiner Hand würde schnell heilen, doch die Anstrengungen der letzten Tage forderten ihren Tribut. Er schüttelte müde den Kopf, als er die nächste Frage stellte. »Wie soll ich erkennen, ob eine Frau die Richtige ist?«

»Vertrau deinem Instinkt und den Hinweisen, die Agnes uns gegeben hat.« Mit dunkler Stimme zitierte Viktor einen Teil der Prophezeiung: »›Die Jungfrau wird von hoher Geburt sein. Am roten Mal werdet Ihr sie erkennen.‹« Sein Blick schweifte in die Ferne. Er betrachtete den Morgenstern, der über dem Horizont im Osten begann, seine Bahn zu ziehen.

Gábor spürte, dass er die Aufmerksamkeit des Alten verlor. Er setzte zu einer weiteren Frage an, doch Viktor hob die Hand.

»Du wirst sie finden.« Der Alte sprach, ohne ihn anzusehen. »Und aus den Fehlschlägen wirst du lernen.«

Ein Frösteln durchfuhr Gábors Glieder, so eisig wie ein Winterwind. Und aus den Fehlschlägen wirst du lernen, wiederholte er still. Er senkte den Kopf. Seine Hand verkrampfte sich um den Schwertknauf. Ihm schien, als hätte er sich auf ein Bündnis mit dem Teufel eingelassen.

Denn jeder Fehlschlag würde eine Frau töten …

1. Kapitel

Buda, Juni 1455

Veronika strich sich über die feuchte Stirn. In der Kapelle war es kühler als draußen, doch immer noch heiß wie in einem Ofen. Fliegengesumm mischte sich unter das lateinische Gemurmel des Priesters, und in der Luft lag der durchdringende Geruch von Schweiß.

Sie ließ ihren Blick über die erhitzten Gesichter der Menschen schweifen, die sich dicht an dicht hinter dem Brautpaar drängten. Allesamt trugen sie kostbare Stoffe, Goldbrokat und Samt in farbenfroher Vielfalt, und während sich die Herren und Ritter mit reich verzierten Gürteln und Wämsern schmückten, trugen die Damen seidene Haarnetze und Schleppen, die in der Menge leicht zu Stolperfallen gerieten. Unter den edlen Gewändern staute sich unerträglich die Sommerwärme, und leise verwünschte Veronika den schweren, aufwendig gefältelten Stoff, der in diesem Sommer Mode war. Sie holte tief Luft, vergebens hoffend, dadurch Kühlung zu erhalten.

Vorne am schmalen Seitenflügel standen ihre Gastgeber, die Grafenfamilie Hunyadi. Sie sahen zwar nicht so barbarisch aus wie in den Erzählungen, die über sie kursierten, aber sonderlich freundliche Menschen schienen sie auch nicht zu sein. Graf Johann Hunyadi war klein und besaß kantige Gesichtszüge, mit finsteren Augen und einem scharf geschnittenen Falkenschnabel als Nase. Sein älterer Sohn Laszlo sah ihm auffällig ähnlich. Missmutig schlug er nach einer Fliege, die sich auf seiner Schulter niederlassen wollte. Seine Mutter ignorierte sein Gezappel. Sie stand so steif da wie eine Lanze und hatte strenge Falten in den Mundwinkeln. Vom jüngeren Sohn Mathias sah Veronika nur den schmalen Rücken. Auf der Rückseite seines Mantels war ein Rabe eingestickt, das Wappen seiner Familie. Gebückt kauerte der blonde Knabe neben Elisabeth Cilli.

Veronika seufzte. Sie hätte ihrer Cousine wahrlich eine schönere Hochzeit gewünscht. Nun kniete Elisabeth vor Pater Anton, dem langweiligen Beichtvater der Cillis, in einem ebenso langweiligen Kleid, das ihre Tugendhaftigkeit betonen sollte, neben einem Jungen, der gerade erst dreizehn Jahre zählte. Auf ihrer anderen Seite standen ihre Mutter und ihr Vater, Graf Ulrich Cilli. Er gab mit der Heirat sein einziges Kind in die Hände der Hunyadis, seiner erbittertsten Widersacher im Königreich Ungarn. Im Gegenzug erhielt er die Aufsicht über Elisabeths jungen Ehemann. Er würde ihn mit an den Hof des Königs nehmen, wo er die meiste Zeit verbrachte. Ulrich Cilli war der Regent des ungarischen Königs und damit einer der wichtigsten Männer im Land.

Widerspruch gegen die Hochzeit war seiner Tochter nicht in den Sinn gekommen, auch wenn sie die Vermählung als Geisel in die Hände einer verfeindeten Familie führte. Wäre es Veronika ebenso ergangen, wenn ihre Eltern noch lebten? Sie trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Im Augenblick war sie froh darüber, nur Elisabeths Begleiterin zu sein und nicht selbst dort vorn zu knien. Seit zehn Jahren, seit ihre Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen waren, lebte sie bei ihren Verwandten, der Grafenfamilie Cilli.

Veronika hatte die letzten Tage vor allem damit verbracht, ihrer Cousine tröstend zur Seite zu stehen. Elisabeth war ja erst vierzehn Jahre alt und starr vor Angst, seit sie vor wenigen Wochen ihre Heimat in der Steiermark zum ersten Mal verlassen hatte. Sie glaubte fest an die Schauergeschichten, die am Hof der Cillis über die Hunyadis kursierten. Man erzählte sich, dass sie riesige Hunde hielten, die darauf abgerichtet waren, Türken zu zerfleischen. In ihrer Festung in Temeschburg sollten überdies die Verlorenen, die Johann Hunyadi auf seinen Feldzügen getötet hatte, als Geister spuken. Veronika lief ein Schauer über den Rücken. Bald schon würde sie selbst erleben, ob diese Geschichten wahr waren, denn sie sollte Elisabeth nach Temeschburg begleiten.

»Pater noster, qui es in caelis.« Der Pater begann mit dem Vaterunser. Die Anwesenden falteten die Hände und erhoben ihre Stimmen zum Gebet. Auch Veronika stimmte mit ein.

»Sanctificetur nomen tuum. Adveniat regnum tuum.«

Ein seltsames Kitzeln im Nacken brachte sie dazu, den Blick wieder zu heben und sich umzusehen. Jemand beobachtete sie, ein Mann aus Hunyadis Gefolge. Das Haar fiel ihm ins Gesicht, und die Augen, die darunter blitzten, waren so dunkel wie die Borken der Schwarzerlen in ihrer Heimat. Seine Gesichtszüge waren wohlgestaltet, obwohl die Sonne seine Haut dunkel gebrannt hatte. Die dichten geschwungenen Brauen verliehen ihm etwas Verwegenes, das kaum zu dem festlichen Anlass einer Hochzeit passte. Sie runzelte die Stirn. Auch wegen seines Hemds aus schlichtem Linnen wirkte der Mann unter den vielen geschmückten Gästen fehl am Platz.

Wer er wohl war? Die wenigen Menschen, die in der Hauskapelle der Hunyadis Platz fanden, waren sorgfältig ausgesucht. Er musste bedeutender sein, als sein Erscheinungsbild zeigte.

»Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra.«

Manieren kannte er jedenfalls keine. Sooft Veronika auch verstohlen zu ihm hinsah, nicht einmal hatte er die Augen von ihr abgewendet. Während sie zunehmend irritiert die Worte des Gebetes murmelte, traf sie das erste Mal direkt seinen Blick. Er mochte vielleicht fünfundzwanzig Lenze zählen, doch seine Augen schienen uralt zu sein. Unwillkürlich erschauerte sie. Ihr schien, als könne er in ihrer Seele lesen wie in einem Buch, dessen Sprache nur sie beide verstanden. Wer war er? Sie verkrampfte ihre gefalteten Hände, die begonnen hatten zu zittern. Ihre Lippen bewegten sich weiterhin zur lateinischen Litanei, während die Zeit stehenblieb.

»Et ne nos inducas in tentationem. Sed libera nos a malo. Amen.«

Erst als die Stimmen verklangen und der Pater über den gebeugten Köpfen das Kreuzzeichen schlug, wandte sich der Mann von ihr ab und sah wieder nach vorne.

Veronika biss sich auf die Lippen. Was hatte sein Verhalten zu bedeuten? Es kam manchmal vor, dass Männer ihren Blick suchten, doch nie verzichteten sie dabei auf ein anzügliches Lächeln oder mehrdeutige Gesten. Vor ihnen galt es sich zu hüten, denn meist waren es Lüstlinge, die jeden Rock hoben, den sie einfangen konnten. Ein paar von ihnen trieben sich immer in Ulrich Cillis Gefolge herum, der ebenfalls kein Sohn von Traurigkeit war.

Der Mann hatte sie jedoch angestarrt, ohne das geringste Gefühl zu zeigen. Als wäre sie eine Ware, die er abgeschätzt und schließlich für nicht würdig befunden hatte. Seltsamerweise war sie enttäuscht, obwohl sie ihn doch gar nicht kannte, und das ärgerte sie.

»Pah!«, entfuhr es ihr, was ihr ein paar verwunderte Blicke einbrachte. Sie schob ihr Kinn nach vorn und blickte stur geradeaus.

Als die Trauung vorüber war, schritt Elisabeth an der Hand ihres frisch Angetrauten durch die Kapelle. Die Menge hatte Mühe, weit genug zurückzuweichen, um dem Paar einen Weg frei zu machen. Veronika fand sich unfreiwillig an eine der französischen Rittergemahlinnen aus Gräfin Cillis Gefolge gepresst. Hastig entschuldigte sie sich bei der älteren Frau, die sich mit missmutiger Miene über ihr ärmelloses Surcot aus blauem Samt strich, als fürchtete sie, das Mädchen hätte ihr das Obergewand zerrissen. Veronika wandte sich ab und reckte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf Elisabeth zu erhaschen. Ihre Cousine hatte die Lippen angespannt aufeinandergepresst. Schweißtropfen glitzerten an ihren Schläfen. Mathias Hunyadi sah nicht viel glücklicher aus als sie. Vermutlich umklammerte Elisabeth seine Hand so fest wie eine Daumenschraube.

Schon öffnete sich die Tür, und grelles Licht fiel von draußen herein. Als das junge Paar in die Sonne trat, erschallten auf dem Hof laute Stimmen. Zuerst glaubte Veronika, dass es Hochrufe waren, doch dann schälten sich aus dem Stimmengewirr Worte heraus.

»Die Türken marschieren durch Serbien!«, hörte sie. »Sie haben bereits Novo Brdo eingenommen!«

Chaos brach in der Kapelle aus. Manche Ritter drängten nach vorne, und die meisten Anwesenden redeten mit fassungslosen Mienen durcheinander, einige gestikulierten wild. Veronika sah den dunklen Fremden, der sie beobachtet hatte, an Hunyadis Seite. Mit ernstem Gesichtsausdruck flüsterte er dem Grafen etwas ins Ohr. Der Feldherr sah blass vor Sorge aus.

Veronika wurde von den angsterfüllten Menschen hin- und hergeschoben. Auch in ihren Gedanken hallte ein einziger Satz. Die Türken kommen!

Plötzlich taumelte die Dame im blauen Samtsurcot neben ihr. »Mon Dieu, les Ottomans, ils viennent par ici!«, brachte sie keuchend hervor, dann fiel sie direkt in Veronikas Arme. Das Mädchen bewahrte gerade noch ihr Gleichgewicht, als sie die bewusstlose Französin mit beiden Armen umfing. Veronika schnappte nach Luft. Wie nah waren die Türken bereits? Am liebsten hätte sie die Frau fallen lassen und wäre hinausgerannt. Sie musste sich irgendwo verstecken!

»Vergebt mir, Euer Liebden, ich helfe Euch.« Ein älterer Mann legte ihr die Hand auf die Schulter, und im nächsten Augenblick hatte er ihr den schlaffen Körper der Französin abgenommen. Das eingestickte Wappen auf seinem seidenen Wams wies ihn als Hofbeamten des ungarischen Königs aus.

Veronika dankte ihm und bemühte sich, tief durchzuatmen. Nur allmählich klärten sich ihre Gedanken wieder, ebbte die Panik ab. Sie hatten die Nachricht einer verlorenen Schlacht in Serbien erhalten, nicht mehr und nicht weniger. Vom Strom der Menschen ließ sie sich aus der stickigen Kapelle schieben, hinaus in den sonnigen Hinterhof.

 

»Veronika, sieh nur, wie schön er ist«, rief Elisabeth wenige Stunden später aus. Sie hob den fein gearbeiteten Handspiegel hoch in die Luft, so dass ihre Cousine sich darin sehen konnte. Veronika blickte in ein Gesicht, das umrahmt war von zerzausten hellblonden Locken. Ihre taubengrauen Augen verengten sich, als sie die Sommersprossen auf ihren Wangen musterte. Die Sonne brannte hier in Ungarn stärker als über den steiermärkischen Alpen. Unter der frisch gewonnenen Bräune waren ihre Wangen allerdings blass.

»Ein edles Geschenk«, murmelte sie.

»Das stimmt!« Elisabeths Augen glänzten wieder, seit sie das Festmahl verlassen hatten. Die frischgebackene Ehefrau räkelte sich auf dem Bett in den großzügigen Gemächern, die ihr im Stadthaus der Hunyadis zugewiesen worden waren, und packte ihre Hochzeitsgeschenke aus. Im Stockwerk unter ihnen war das Fest noch im Gange, doch Elisabeth hatte bereits kurz nach dem Abendessen über Erschöpfung geklagt und die Erlaubnis erhalten, sich mit Veronika zurückzuziehen.

Veronika war erleichtert, dass sich Elisabeth so schnell von den Strapazen der Hochzeit erholt hatte. Nur zwei Jahre jünger war sie als Veronika, und doch erschien sie der Älteren manchmal wie ein Kind. Vielleicht, weil sich Elisabeth so schwer damit tat, mit der erwachsenen Welt zurechtzukommen. Noch nie war das Nachdenken ihre Stärke gewesen, und manchmal schien es so, als würde sie im Geiste immer ein kleines Mädchen bleiben. Es war ein Glück, dass die Ehe zwischen ihr und Mathias Hunyadi erst in einigen Jahren wirklich vollzogen werden sollte.

Auch der türkische Sieg über Novo Brdo schien Elisabeth nicht mehr allzu sehr zuzusetzen, seit sich die erste Panik der Hochzeitsgäste gelegt hatte. Einer der Ritter hatte den Mädchen erklärt, dass die Gefahr für Buda gering war, denn die serbische Handelsstadt lag viele Tagesritte von hier entfernt. Veronika hatte jedoch die Besorgnis in seinen Augen gesehen. Sie hatte während des Hochzeitmahls auch die ernsten Mienen der anderen Männer kaum aus den Augen lassen können. Ihr Onkel Cilli war noch am gelassensten gewesen, doch der Feldherr Hunyadi schien von der schlechten Nachricht betroffen zu sein. Veronika verstand nichts vom Kriegshandwerk der Männer und hatte sich bisher auch kaum dafür interessiert. Doch nun wünschte sie, sie wüsste mehr darüber. Serbien war weit weg, aber es grenzte an Ungarn. Wie lange mochte es dauern, bis das Heer des Sultans gegen Buda marschierte?

Unruhig lauschte sie den Geräuschen des Festes, die gedämpft zu ihnen heraufdrangen. Nach Feiern war ihr nicht zumute, doch sie hätte gern den Gesprächen der Ritter zugehört, die gewiss weiterhin über die Niederlage von Novo Brdo debattierten. Sie schüttelte den Kopf. Es war Zeit, ihre trübe Stimmung zu vertreiben.

»Ob deine Gemächer in Temeschburg auch so schön wie diese sein werden?« fragte sie Elisabeth. Die Jüngere reagierte jedoch nicht, zu vertieft kramte sie in einem Schmuckkästchen.

Veronika erhob sich und schritt durch den Raum, der von Öllampen in gelblichen Schein getaucht wurde. Die Zimmer waren geräumig und mit einem Kamin ausgestattet, die Wände mit edlen Tapisserien bedeckt. Rings an den Wänden und um den Ofen standen geschnitzte Bänke, auf denen sich seidene Kissen türmten. Auch silberner Zierat und das bleigefasste Butzenglas der Fenster zeugten vom Wohlstand der Hunyadis. Veronika hatte gehört, dass sie weit mehr Ländereien als die österreichischen Cillis besaßen. Graf Hunyadi als oberster Feldherr Ungarns verfügte sogar über ein eigenes Heer aus bezahlten Kriegsknechten, die ihn bestimmt ein Vermögen kosteten. Allerdings reichte sein Stammbaum nicht einmal drei Generationen zurück. Veronika verzog den Mund. Bauerntrampel, hatte ihn ihr Onkel einmal genannt. Die Cillis konnten auf eine Ahnengeschichte zurückblicken, die bis zum Geschlecht der Ottonen reichte, den ersten Königen des Heiligen Römischen Reiches.

Sie trat ans Fenster und blickte hinaus ins schwindende Licht der Dämmerung. Die Fenster waren noch offen, damit der kühle Abendwind die Sommerhitze aus dem Zimmer vertreiben konnte. Da das Haus der Hunyadis auf einem der höchsten Hügel der Königsstadt lag, konnte Veronika auf die Dächer hinabblicken, die sich wie ein breites Band aus Stein und Ziegel den Abhang hinunterzogen. Die heraufziehende Nacht hatte die Farben in ein fahles Grau verwandelt, nur unten in der Ebene glänzte silbern die Donau. Auf der anderen Seite des Flusses, wo sich das Dorf Pest befand, blinkten Lichter auf, wie Spiegelbilder der Sterne, die sich bereits vereinzelt am Himmel zeigten. Eine vage Sehnsucht schnürte Veronika den Hals zu. Wie gerne hätte sie sich einmal in der stolzen Stadt Buda umgesehen, von der sie schon so viel gehört hatte. Sie lehnte sich aus dem Fenster. Doch die stattlichen Mauern der Königsburg, die auf dem benachbarten Hügel thronte, konnte sie von hier aus trotzdem nicht sehen. Sie erspähte jedoch das wuchtige Schiff der Liebfrauenkirche, in der die ungarischen Könige gekrönt wurden. Und dort, der Schatten auf den glitzernden Wassern der Donau, war das nicht die Klosterinsel Margitsziget, benannt nach der heiligen Margareta? Elisabeths Mutter hatte ihnen auf der mehrwöchigen Reise nach Buda von der ungarischen Königstochter erzählt. Margareta hatte zurückgezogen auf der Insel im Orden der Dominikanerinnen gelebt und sich ganz der Pflege von Kranken gewidmet. Die Heilkunst der Nonnen dieses Klosters galt auch heute noch als vorbildlich. Veronika seufzte. Ihr eigenes Leben war weniger vorbildlich, doch wohl ebenfalls so eintönig wie das einer Nonne.

Als hätte der Teufel nur darauf gewartet, sie zu verführen, raunte eine Stimme neben ihrem Ohr: »Lust auf ein Abenteuer?«

Sie zuckte schuldbewusst zusammen. »Anka. Schleich dich nicht immer so an.«

Anka war nur wenige Jahre älter als sie und vor zwei Jahren aus Semendria zu ihnen gestoßen. Sie war eine entfernte Verwandte von Elisabeths Mutter Katarina, der Tochter des serbischen Fürsten Brankovic. Wie diese sprach Anka mit einem groben slawischen Akzent. Er gab ihrem Wesen etwas Hartes, obwohl sie viel und gerne lachte. Sie drängte sich neben Veronika ans Fenster. »Die Gräfin hat sich zurückgezogen. Da ich ihr bei der Garderobe helfen muss, ist die Feier für mich ebenfalls vorbei.« Sie zog einen Schmollmund, doch dann grinste sie wieder. »Mein Bruder ist ganz in der Nähe.«

Veronika nickte nur. Anka betete ihren Bruder an, der am Hof des ungarischen Königs Ladislaus hier in Buda diente.

»Ich werde mich nachher mit ihm treffen«, sagte Anka.

»Was?«, fuhr Veronika auf.

Anka legte einen Finger auf die Lippen. »Sei still, sonst verrätst du mich noch. Ich wollte dich fragen, ob du mitkommen möchtest.«

Wollte die wilde Anka, wie sie genannt wurde, sich wirklich heimlich aus dem Haus schleichen? Veronika traute ihr das zu, denn sie hatte die Serbin schon mehrmals bei Verstößen gegen die gräflichen Vorschriften ertappt. Auf der Burg der Cillis war es allerdings möglich, sich manches zu erlauben. Der Graf verweilte als Regent von Ungarn meist am Hof des jugendlichen Königs, seine Frau Katarina verließ dagegen ihren Burgflügel seit Jahren kaum mehr. Sie war eine fromme Anhängerin der griechischen Kirche und scheute die kritischen Blicke der steirischen Katholiken. Ihre Aufsicht über den Haushalt war so nachlässig, dass Veronika im Sommer zuweilen den Kirchgang versäumte, um sich in den Burggärten herumzutreiben. Gern stahl sie sich auch spätabends für einen Schwatz in die Küche und naschte von den kandierten Früchten. Dabei verhielt sie sich jedoch, wie sie meinte, wesentlich zurückhaltender als Anka, die sich lieber mit Männern herumtrieb als mit Küchenmägden. Sie zögerte, hin- und hergerissen zwischen Furcht und Neugier.

»Komm schon«, drängte Anka ungeduldig. »Uns wird niemand erwischen. Sie sind alle damit beschäftigt, über ferne Kriege zu palavern. Willst du wirklich in Buda gewesen sein, ohne ein einziges Mal durch die Straßen zu laufen?«

»Gut, ich komme mit.« Veronika war sich sicher, dass ihr Entschluss dumm war, doch sie konnte nicht anders. Wer wusste schon, wie lange die Stadt noch gegen die Feinde standhielt? Vielleicht war dies die letzte Gelegenheit, sie zu besichtigen.

Ankas Augen blitzten. »Das wird lustig, du wirst schon sehen.« Sie sah sich nach Elisabeth um, die immer noch mit ihren Geschenken beschäftigt war und versonnen gähnte. »Die Kleine wird bald schlafen wollen. Wenn die letzte Glocke zur Nacht schlägt, drehst du ein Stundenglas um. Schleich zur Stiege auf der Rückseite des Hauses, sobald der Sand verronnen ist. Ich warte dort auf dich. Mein Bruder wird die Wache an der Pforte bestechen, damit sie unseren Ausflug für sich behält.« Sie blinzelte Veronika verschwörerisch zu, dann schlüpfte sie zur Tür hinaus zu der Kammer, die sie sich mit einer weiteren Frau aus dem Gefolge der Cillis teilte.

Anka behielt recht, Elisabeth kündigte tatsächlich bald an, sich schlafen legen zu wollen. Selbst jetzt mochte sie sich jedoch nicht von ihren neuen Spielsachen trennen. Veronika half ihr, das Nachtgewand anzulegen und die Geschenke an ihrer Seite in einer Reihe aufzustellen. Dann löschte sie das Licht und legte sich neben sie, ihr Oberkleid und die Sanduhr griffbereit. Ihr Herz pochte so aufgeregt, dass sie fürchtete, Elisabeth könne es hören. Als ihr die Cousine nach einer Weile die Hand auf den Arm legte, keuchte sie vor Schreck.

»Entschuldigung«, murmelte das Mädchen verschlafen. Sie richtete sich ein Stück auf, ihre Augen zwei glitzernde Punkte in der Dunkelheit. »Veronika, wirst du immer bei mir bleiben?«

Veronika legte eine Hand auf die Brust, unter der ihr Herz immer noch ausschlug wie ein rebellisches Pferd. Zärtlich blickte sie zu Elisabeth hinüber. »So lange dein Vater es erlaubt, werde ich bei dir sein, ja«, erwiderte sie leise. Elisabeth seufzte, so dass sie sich beeilte hinzuzufügen: »Das wird bestimmt noch lange so sein.«

»Versprichst du mir das?«, fragte das Mädchen.

»Ich verspreche es dir.« Veronika fuhr ihr über das Haar und küsste sie auf die Stirn. Brennend durchfuhr sie das schlechte Gewissen, als sie daran dachte, dass sie ihre Cousine bereits in den nächsten Stunden hintergehen würde. »Schlaf jetzt.«

 

Als endlich das letzte Sandkorn durch den Glaskolben fiel, war der Lärm der Feiernden in den unteren Stockwerken längst verstummt. Veronika erhob sich mit klopfendem Herzen. Dass Elisabeth aufwachen und ihr Fehlen bemerken könnte, bereitete ihr keine Sorgen. Wenn ihre Cousine erst einmal schlief, dann gelang es nicht einmal Kanonendonner, sie vor dem Morgen wieder zu wecken.

Mit gerafftem Kleid huschte sie an den Kammern ihrer Tante Katarina und deren Gefolge vorbei, bis sie endlich die schmale Stiege fand, die auf der rückwärtigen Seite des Hauses entlangführte. Sie war für das Personal eingerichtet worden, und Veronika konnte nur hoffen, dass niemand um diese Zeit noch einen Bediensteten losschickte, um ein spätes Nachtmahl zu bringen. Anka war noch nicht da. Veronika ging ein paar Stufen hinab und ließ sich dann auf der hölzernen Treppe nieder, lehnte den Kopf gegen die Holzwand, die sie vom Hinterhof trennte. Über ihr wand sich die Treppe weiter nach oben, zu den Lagerräumen und einem Turmzimmer, das, wie ihnen die mürrische Gräfin Hunyadi erklärt hatte, der persönliche Rückzugsort ihres Gatten war. Veronika hatte vorher noch nie ein Stadthaus mit einem eigenen Turm auf dem Dach gesehen. Die Hunyadis waren wirklich seltsame Leute, dachte sie.

Die Zeit verstrich, ohne dass sich etwas regte. Hatte Anka ihre Verabredung vergessen? Dumpfes Gemurmel drang aus dem Stockwerk unter ihr, und unwillkürlich spitzte sie die Ohren. Dort musste das Nebenzimmer des Saales liegen, in dem sie gefeiert hatten, ein karger Raum mit einem Schreibpult und einfacher Bestuhlung. Jemand hatte während des Festmahls die Tür offen stehen lassen, und so hatte sie hineinschauen können. Wer führte um diese Uhrzeit dort wohl noch Gespräche?

Neugierig ging sie auf Zehenspitzen ein paar weitere Stufen hinunter. Das Holz unter ihren Füßen knarrte sachte. Sie beugte sich nach vorn und legte das Ohr an die Mauer. Jetzt konnte sie die Stimmen besser hören. In einem der Sprecher erkannte sie ihren Onkel Cilli, die anderen beiden waren vermutlich die Hunyadis, Johann und sein ältester Sohn Laszlo. Sie meinte den Namen der Stadt Novo Brdo aufzuschnappen. Die Männer sprachen allerdings ungarisch, eine Sprache, von der Veronika nur Bruchstücke verstand. Enttäuscht wollte sie sich bereits abwenden, als unter ihr eine Tür laut klappernd zugeschlagen wurde. Sie hielt die Luft an und drückte sich gegen die Wand. Hastige Schritte erklangen und eine weitere Tür wurde aufgestoßen.

»Euer Durchlaucht, ich muss Euch sprechen!« Es war die Stimme von Pater Anton. Der Mann klang schrill und außer Atem. Er sprach deutsch. Veronika horchte angestrengt.

»Was gibt es so Dringendes?« In Graf Cillis gedehntem Tonfall schwang Ärger über die Störung mit.

»Kann ich Euch unter vier Augen sprechen?«

Cilli schnaubte. »Ihr könnt vor meinen Gastgebern offen reden.«

»Also gut.« Der Pater zögerte hörbar. »Ein Mann aus dem Haus Hunyadi hat bei mir soeben die Beichte abgelegt.« Als er weitersprach, verlor er seine Zögerlichkeit. Seine Stimme vibrierte nun vor Empörung. »Was ich gehört habe, ist so schändlich, dass ich das Beichtgeheimnis dafür aufheben muss. Graf Hunyadi verstößt mit seinem Treiben gegen jedes Gebot Gottes. Ihr müsst den Bund mit dieser Familie sofort lösen.«

»Was habt Ihr erfahren?«

»Herr Hunyadi hat Teufelswesen in seinen Diensten. Grausame Tiere, die sich das Aussehen von Menschen geben können.«

Was meinte Pater Anton damit? Veronika bekreuzigte sich erschrocken und schmiegte sich enger an den kalten Stein, um kein Wort zu verpassen.

»Cilli, stopft Eurem Pfaffen das Maul!« Ein Stuhl wurde gerückt. Jemand war aufgesprungen. »Wie kann er es wagen, in meinem Haus solche Lügen über mich zu verbreiten?« Graf Hunyadi presste die Worte hervor, als wolle er sie mit den Zähnen zermahlen.

»Ihr habt recht, Johann«, pflichtete Cilli ihm bei. »Pater, seid Ihr von Sinnen, so eine Anschuldigung vorzubringen?«

»Ich weiß, was ich gehört habe«, erwiderte der Geistliche. »Der Mann, der die Beichte abgelegt hat, hat dieses Teufelswerk mit eigenen Augen beobachtet. Seitdem ist er wie von Sinnen vor Angst. Euer Durchlaucht, ich bitte Euch noch einmal, die Verbindung mit dieser Familie aufzulösen. Ich werde ihr gotteslästerliches Treiben der Inquisition vorbringen. Nach diesem Gespräch mache ich mich auf den Weg. Soll die Kirche Euch wirklich zu Graf Hunyadis Verwandtschaft zählen?«

Eine kurze Stille folgte, nur unterbrochen vom stoßweisen Atmen der Männer. Veronika konnte sich kaum vorstellen, wie sie reagieren mochten. Was geschah dort unten?

»Geht in die Kapelle und wartet dort«, sagte Cilli schließlich. »Ich werde mit Graf Hunyadi allein über diese schweren Anschuldigungen reden. Anschließend schicke ich Euch einen meiner Männer, der Euch auf Eurer Reise begleiten wird.«

»Gut«, meinte Anton. Seine Stimme zitterte. »Aber ich werde nicht lange warten.«

Die Tür klapperte und rasche Schritte entfernten sich. Veronika blieb regungslos stehen. Konnte die Geschichte des Paters wahr sein? Teufelswesen im Dienst der Hunyadis? Aufgewühlt lauschte sie in die Stille hinein. Sie war sich sicher, ihr Onkel würde die Hunyadis jetzt zur Rede stellen.

»Wie konnte einer Eurer Männer darüber mit meinem Priester reden?« Cillis Stimme war wutverzerrt. »Wenn Euer Geheimnis nicht einmal bei Euren eigenen Getreuen sicher ist, kann ich gleich selbst zum Inquisitor gehen und Euch anzeigen!«

Veronika fuhr so heftig zurück, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.

»Ihr seid furchtsam wie ein altes Weib«, erwiderte Hunyadi bissig. »Nur weil Ihr erst seit wenigen Wochen Bescheid wisst, glaubt Ihr wohl, so etwas wäre noch nie vorgekommen. Keiner wird etwas erfahren. Euch ist doch klar, was wir tun müssen?« Für zwei Atemzüge hing seine Frage in der Luft, lange genug, um Veronika vor Grauen erstarren zu lassen.

»Ja«, knurrte Cilli. »Schickt Eure Teufelsgesellen schon los, Hunyadi. Die Rechnung für diese unselige Beichte werdet Ihr von mir allerdings noch bekommen.«

»Darüber reden wir später. Laszlo, informiere Gábor und Miklos und schicke sie zur Kapelle.« Hunyadi sprach geschäftsmäßig wie ein Kaufmann. »Sie sollen den Pater am besten gleich dort beseitigen, bevor er sich auf den Weg machen kann. Aus meinem Haus dringt nichts nach draußen. Los, geh schon!«

Wieder klapperte die Tür. Veronika lehnte sich gegen die Wand und hielt sich die Hand vor den Mund, um jeden Schrei, jedes Wimmern, jedes Geräusch zu unterdrücken. Sie wollten Pater Anton ermorden lassen! Und ihr Onkel ließ es nicht nur zu, er war mit ihnen im Bunde.

In was war sie da hineingeraten? Mit aufgerissenen Augen starrte sie in die Dunkelheit. Am liebsten wäre sie zurück zu Elisabeth geschlichen, als ob nichts geschehen sei. Doch wenn sie das tat, wäre Pater Anton tot, bevor die Glocken das Öffnen der Stadttore verkündeten. Es war ihre Christenpflicht, ihn zu warnen.

»Herr, steh mir bei«, flüsterte sie, während sie ihren Rock raffte und so leise wie möglich die Stufen hinuntereilte. Sie erreichte den Gang, der zum Saal und seinem Nebenzimmer führte, doch auf der anderen Seite führte eine Tür auf den gepflasterten Hinterhof. Aus der Richtung der Pferdeställe hörte sie die Knechte und Wachmänner grölen, die immer noch die Hochzeit feierten. Sie zögerte, doch dann wurde ihr klar, dass sie niemanden um Hilfe bitten konnte. Woher sollte sie wissen, wer ein Mitwisser der Hunyadis war oder gar zu den Teufelswesen selbst gehörte? Ihr war kalt vor Angst.

Sie schlich über den Hof, wobei sie sich so weit wie möglich von den Ställen entfernt hielt. Der Rest des Hauses lag in schweigendem Dunkel. Aus den Fensterluken des Küchengebäudes roch es nach der Kohle der Herdstellen, deren Glut nie ganz erlosch. Direkt daneben befand sich die Kapelle. Erst als Veronika nur noch wenige Schritte entfernt war, sah sie den schwachen Schein der Kerzen, der durch die Türritzen drang. Sie schob die schwere Holztür auf und trat hinein. Anton kniete vor dem Altar, das kahle Haupt bis zur Brust gesenkt.

»Pater Anton, Ihr müsst gehen, sofort«, rief Veronika. Ihre Sorge und Furcht machten sich in einem Schwall Worte Luft. »Mein Onkel und die Hunyadis wollen Euch umbringen lassen. Ich habe Euer Gespräch belauscht. Hunyadis Männer werden gleich hier sein!«

Mit einem Satz, den man ihm angesichts seiner Leibesfülle nicht zugetraut hätte, war Anton auf den Beinen. Sein Gesicht war so blass wie die Wand. Doch anstatt auf Veronikas Worte zu reagieren, starrte er sie nur an. Warum zögerte er? Sie hastete zu ihm und ergriff seinen Arm. Sonst hätte sie dies nie getan, doch nun war keine Zeit für höfischen Anstand. »Flieht, jetzt!«

»Ich … aber … woher soll denn …«, stammelte der Geistliche. Doch plötzlich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. »Frau Veronika, Ihr wisst gar nicht, in welch finstere Geschichte Ihr da geraten seid.«

Sie schüttelte den Kopf und wollte zu einer Antwort ansetzen, da hörte sie vom Hof draußen Schritte. Auch Anton hatte sie gehört. Seine Augen wurden groß vor Bestürzung.

»Es ist zu spät, versteckt Euch!«, flüsterte er. Er riss sich von ihr los und schubste sie nach vorne. »Der Altar«, formten seine Lippen lautlos. Veronika sprang mit der Kraft der Todesangst nach vorn und ließ sich hinter den Altarstein fallen. Gleich darauf hörte sie die schwere Holztür knarren.

»Pater Anton?«, fragte eine Männerstimme mit weichem Akzent.

»Ja.« Der Priester sagte dieses einfache Wort mit Grabesstimme. Veronika wagte nicht zu atmen.

»Ich sehe, Ihr wisst, warum wir hier sind.« Der Mann sprach ruhig und bestimmt.

»Ihr wollt mich töten, in einem gottgeweihten Haus?«

»Ein anderer Ort wäre mir lieber, Pater.« In der Stimme des Sprechers schien tatsächlich Bedauern mitzuschwingen. »Doch es geht nicht anders.«

»Ihr Bestien, ich weiß, was ihr seid«, schrie Anton auf. »Tiere des Teufels, direkt der Hölle entstiegen.«

»Halt dein Maul, Kuttenträger«, mischte sich nun eine andere Stimme ein, heller als die erste und sehr viel aufgebrachter. »Pfaffen wie du, ihr verbrennt Unschuldige zu Dutzenden.«

»Teufelsknecht, du beleidigst einen Mann Gottes!«

»Dafür hältst du dich vielleicht!« In der hellen Stimme schwang kalte Wut. »Aber ich weiß es besser. Du hast es nicht verdient, einen schnellen Tod zu sterben. Du solltest leiden, so wie du uns in den Händen der Inquisition leiden lassen wolltest!«

»Dann zeig mir doch deine wahre Natur, dämonische Kreatur«, rief Anton. »Ich habe keine Angst.« Doch seine Stimme zitterte.

»Miklos, halt dich zurück«, sagte der erste von Hunyadis Männern, der während des Wortgefechts still geblieben war. »Du hast keine persönliche Fehde mit ihm.«

Der Pater begann auf Lateinisch zu beten.

»Miklos, nicht!«, rief der Mann aus, und seine dunkle Stimme klang überrascht. »Nicht auf diese Weise!«

Jemand keuchte. Unter das angstvolle Gemurmel des Paters mischte sich ein anderes, tieferes Geräusch, ein Belfern und Knurren, das vielfach gebrochen von den Kapellenwänden zurückhallte.

Es klang fremder als alles, was Veronika jemals gehört hatte, und es war eindeutig nicht menschlich. Sie krümmte sich vor Entsetzen und konnte doch nicht anders, als gebannt zu lauschen. Stoff zerriss, ein Krachen ertönte, wie wenn ein schwerer Leib sich auf dem Stein hin- und herwarf. Antons Gebet wich einem Wimmern, das Veronika das Herz in der Brust erstarren ließ. Sie stopfte sich eine Faust in den Mund, um nicht zu schreien. Wenn sie nicht still hielt, würde das Ungeheuer auch sie finden.

Antons Wimmern entfernte sich vom Altar, verzweifelt hastige Schritte verrieten ihr, dass der Pater zu fliehen versuchte. Ein Klicken, wie von Krallen auf dem Steinboden, ein schriller Schrei, dann schlug ein Körper dumpf auf dem Boden auf. Ein Geräusch erklang, so bestialisch, wie es nur Luzifer selbst hervorbringen mochte, ein Reißen, als ob Zähne sich in Fleisch gruben. Der Pater röchelte, übertönt vom fauchenden Schnaufen des Ungeheuers. Veronika schloss die Augen und begann lautlos zu beten. Der metallische Geruch nach Kupfer erfüllte die Luft.

»Das reicht, Miklos, er ist tot«, sagte der Mann schließlich in scharfem Ton. »Lerne endlich, dich besser im Griff zu haben.«

Ein Tier jaulte auf. Veronika horchte angespannt. Würden die Männer und die Bestie nun gehen? Für einen Herzschlag verstummten alle Laute bis auf ein leises, unregelmäßiges Pfeifen.

»Was ist los, Miklos?«, ertönte wieder die Stimme des Mannes.

Voller Schreck erkannte Veronika das pfeifende Geräusch. Jemand schnüffelte. Schnüffelte so beharrlich, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Konnte die Kreatur sie etwa riechen? Plötzlich kratzten Krallen hektisch über den Steinboden, als etwas in Richtung Altar sprang.