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Ebook Edition

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© Anja Weber

Konny Gellenbeck ist seit 1996 für die taz Genossenschaft und ihre über 11000 Mitglieder zuständig. 2008 kam die gemeinnützige taz Panter Stiftung dazu, deren Aufbau sie maßgeblich gestaltete.

Konny Gellenbeck (Hg.)

GEWINN FÜR ALLE

Genossenschaften als Wirtschaftsmodell
der Zukunft

Mit Beiträgen von Mathias Bröckers,
Imma Luise Harms, Silke Helfrich, Helmut Höge,
Aline Lüllmann, Arndt Neumann, Jacques Paysan,
Michael Sontheimer, Andreas Wieg

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN 978-3-86489-011-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Umschlagabbildung: picture-alliance/Klaus Nowottnick
Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany

Inhalt

Einleitung: Gewinn für alle

Genossenschaften heute

Regional, bodenständig, selbstgemacht

Gemeinsam geht’s besser

»Milch ist Milch, aber der Genossenschaftsbauer lebt besser!«

Aus der Geschichte der solidarischen Ökonomie

Einer für alle, alle für einen: Visionäre, Vordenker, Gründer

»Der Atem allgemeiner Liebe«: Robert Owen

»Kollektive wie im Sozialismus – aber diesmal bestimmen wir selbst«

Wir leben anders!

Das taz-Wunder: Wie eine Genossenschaft die Unabhängigkeit einer Zeitung garantiert

Die Wiederkehr der Commons

Ein Weg jenseits von Ideologien, Markt und Staat:

Elinor Ostrom und die Commons

Open Source, Social Web, Crowd Funding: Die alten Genossenschaftsprinzipien und ihre Renaissance im Netz

Der Schwarm sind wir

Zum guten Schluss: Zeitlos glücklich

Anmerkungen und Literatur

Adressen und Links

Die Autorinnen und Autoren

Einleitung: Gewinn für alle

Konny Gellenbeck

Die derzeitigen Finanz- und Währungskrisen, auch wenn sie weniger von der Realwirtschaft verursacht werden als von einer um ein Vielfaches der globalen Wirtschaftsleistung aufgeblasenen Spekulationsblase, haben allenthalben die Augen für die großen Gefahren geöffnet, die ein unreguliertes Wirtschafts- und Finanzsystem für die Welt bedeutet. Die mit der Ära Reagan/Thatcher Anfang der 1980er Jahre einsetzende neoliberale Wirtschaftspolitik der Privatisierung von staatlicher und kommunaler Infrastruktur sowie der Deregulierung der Finanzmärkte hat zu untragbaren Verhältnissen geführt, in denen das Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften von ein paar Hedge-Fonds-Managern abhängig geworden ist – und Investitionen nicht mehr in die Entwicklung nützlicher Produkte und Leistungen fließen, sondern in die vielfach profitableren Finanzwetten. Die Tatsache, dass beim Platzen solcher hochriskanten Wetten dann die Allgemeinheit zur Kasse gebeten wird und die Vabanquespieler in der Wall Street, der City of London oder in Frankfurt mit Steuergeldern retten muss, hat nicht nur zu Massenprostesten wie der Occupy-Bewegung geführt, sondern auch zu einer grundsätzlichen Infragestellung unseres Wirtschafts- und Finanzsystems.

Das neoliberale Modell des freien, unregulierten Spiels der Marktkräfte und des Kapitals musste spätestens dann als gescheitert gelten, als ausgerechnet seine lautstärksten Verfechter – die Bank- und Finanzkonzerne – nur noch durch staatliche Eingriffe vor dem Konkurs bewahrt werden konnten. Damit scheint zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme auch deren Antagonistin, die privatkapitalistische Marktwirtschaft, an ihre Grenzen gekommen zu sein.

Es hat sich historisch als falsch erwiesen, eine Wirtschaft ohne Markt und Konkurrenz zu denken und aufzubauen, und ebenso erweist sich jetzt auch die Vorstellung als falsch, dass die unsichtbare Hand des Markts schon alles richten werde, wenn man Kapital und Akteure nur möglichst frei walten lässt. Diese Miseren der »Planwirtschaft« ebenso wie des »Kasinokapitalismus« stehen uns heute deutlich vor Augen, doch absehbar und als potentielle Gefahren benannt wurden sie schon vor 150 Jahren – von den Pionieren des Genossenschaftswesens. Sie planten und gründeten ihre ersten Assoziationen und Kooperativen als Ausweg aus dem Dilemma, in das die ersten Auswüchse der Industrialisierung und des Kapitalismus große Teile der Bevölkerung geführt hatten.

Robert Owen ging damals gegen das Problem der Kinderarbeit in Manchester vor, Friedrich Wilhelm Raiffeisen wollte die verarmte Landbevölkerung des Westerwalds aus der Schuldenklaue von »Wucherern« befreien, und Hermann Schulze-Delitzschs Ziel war es, Handwerker und Kleinproduzenten gegen die Großindustrie zu wappnen. Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung waren ihre Antworten auf das offensichtliche Versagen sowohl des Staats als auch des Markts – und ihre Ideen trugen weltweit Früchte. Die Genossenschaftsprinzipien haben den Crash sowohl der von oben kollektivierten als auch der von oben privatisierten Wirtschaftssysteme nicht nur schadlos überlebt. Sie stellen auch ein bewährtes und nachhaltiges Zukunftsmodell für eine an Werten und Gemeinwohl orientierte Marktwirtschaft dar – jenseits von nationalen und weltanschaulichen Grenzen und über die Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen hinaus.

»Simon Petrus«, so schrieb Papst Benedikt XVI. 2007 über seinen allerersten Vorgänger, »war offenbar der Vorsitzende einer Fischereikooperative.« Dass der Gründer der christlichen Kirche ein Genossenschaftler war, verdient festgehalten zu werden, selbst wenn die Kirche in den 2000 Jahren ihrer Geschichte viele der egalitären Prinzipien einer Genossenschaft über Bord geworfen hat. Festgehalten werden sollten auch die Mahnungen der Pioniere des Genossenschaftswesens, die nicht von ungefähr immer wieder die Prinzipen der Selbsthilfe und Selbstverwaltung sowie der Freiheit und Gleichheit der Mitglieder betonten. Nicht aus ideologischen, sondern aus praktischen Gründen, denn nur in der freien Assoziation von Gleichen stellt sich der »Genossenschaftsgeist«, der Teamgeist, und damit das entscheidende Plus solcher Kooperationen her. Und lässt sich nur erhalten, wenn das Individualinteresse, der Egoismus, die Gier des einzelnen zugunsten des Gemeinschaftsinteresses begrenzt und eingehegt werden.

Dass solche Regulierungen die wirtschaftliche Dynamik bremsen und nur dazu führen, dass Müßiggänger sich gratis von den Tüchtigen nähren – dieser alte Vorwurf gegen Genossenschaften wurde mit dem Scheitern der sozialistischen Zwangskollektive nicht erneut bewiesen, sondern widerlegt. Denn die von oben oktroyierten und kontrollierten Kollektive waren gar keine Genossenschaften, die diesen Namen wirklich verdienten, hier war der Staat beziehungsweise die Partei, die immer recht hat, stets der oberste Genosse.

Das heißt nicht, dass eine von unten, von selbstbestimmten Akteuren gegründete freie Genossenschaft der Garant für Erfolg ist, klar ist nur, dass es ohne diese Grundbedingung nicht geht. Und klar ist auch, dass allein der rechtliche Rahmen einer Genossenschaft ebenfalls nicht reicht – er muss mit Werten, mit Inhalten, mit Zielen gefüllt werden. Wie diese aussehen und wie sich die Genossenschaft selbst versteht, diese Bestimmung muss allein ihren Mitgliedern obliegen – der Staat hat nur die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen solche Kooperationen gedeihen können.

Dass heute mehr als 800 Millionen Menschen in mehr als hundert Ländern der Welt Mitglieder in Genossenschaften sind, dass in vielen Ländern ein Großteil der Nahrungsmittelproduktion in den Händen von Genossenschaften liegt, dass Schulen, Krankenhäuser und kommunale Betriebe häufig genossenschaftlich organisiert sind und Genossenschaften so weltweit wesentlich dazu beitragen, soziale und ökonomische Herausforderungen zu meistern – diese Fakten ändern nichts daran, dass das Modell Genossenschaft ein noch immer nahezu unbekannter Riese ist. Wer bei REWE (Abkürzung von Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften) einkauft, bei DENIC (Deutsches Network Information Center) eine Webadresse beantragt oder via DATEV seine Steuererklärungen erledigt, weiß oft gar nicht, dass er es dabei mit Genossenschaften zu tun hat. In Deutschland sind etwa zwanzig Millionen Menschen Mitglieder einer Genossenschaft – die meisten (circa zwölf Millionen) bei den Volks- und Raiffeisenbanken – und nur 4,3 Millionen sind Aktionäre. Vor der Tagesschau wird indessen stets ausführlich über den Börsenzirkus berichtet, Genossenschaften spielen hier wie in der gesamten Medienberichterstattung kaum keine Rolle. Das hat nicht nur mit den Werbemillionen zu tun, mit denen Finanzkonzerne diese Berichterstattung finanzieren, sondern auch mit dem eher miefigen Image, das Genossenschaften fälschlicherweise immer noch angeheftet wird.

Doch ein Blick in die Geschichte und auf die vielen funktionierenden Genossenschaften von heute lehrt das Gegenteil – wie etwa die Genossenschaft der taz, die seit nunmehr zwanzig Jahren die Unabhängigkeit einer Zeitung sichert. Auch die neueren Erkenntnisse der Wissenschaft belegen das Erfolgsmodell Genossenschaft, denn von der Spieltheorie bis zur Mikrobiologie sind die Daten ganz eindeutig: nicht maximaler Eigennutz, sondern gegenseitige Hilfe und Fähigkeit zur Kooperation führen zum Erfolg. Das gilt nicht nur im Reich der Bakterien und der natürlichen Evolution, sondern auch für die nachhaltige Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Systeme. Die Prinzipien der Genossenschaft bieten dafür den idealen Rahmen. Es wird Zeit, den unbekannten Riesen populär zu machen.

Noch in den 1980er Jahren galten Genossenschaften in Deutschland als verstaubtes Relikt vergangener Zeiten und ihre Prinzipien allenfalls als Gegenstand historischer Seminare zum Thema frühsozialistische Utopien. Im Westen standen sie im Zuge des Kalten Kriegs zudem tendenziell unter dem ideologischen Verdacht kommunistischer Misswirtschaft, so dass in der Bundesrepublik – außer einigen Wohnungsbaugenossenschaften in den 1950er Jahren – kaum noch neue Genossenschaften gegründet wurden. Dies hat sich jedoch in jüngerer Zeit drastisch geändert: »Das Modell Genossenschaft ist erfolgreicher denn je und erobert immer neue Bereiche« beschrieb die Financial Times Deutschland im Oktober 2011 den neuen Boom an Genossenschaften, deren Neueintragungen sich in Deutschland von elf im Jahr 2005 auf 253 im Jahr 2011 nahezu verzwanzigfacht haben. Die Gründe dafür liegen neben praktischen Erwägungen über die Vorteile einer kooperativen Unternehmensform vor allem auch darin, dass die von Privatisierung, Neoliberalismus und deregulierten Finanzmärkten heraufbeschworenen Krisen zu einer Renaissance von Werten wie gesellschaftlicher Verantwortung, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl geführt haben. Und zu einer Wiederentdeckung jener klassischen Form der Gemeinschaftsunternehmung, der Genossenschaft, die beides unter einen Hut bringt: Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung.

Genossenschaften haben ihren schlechten Ruf in Sachen Ökonomie abgeschüttelt, der ihnen vor allem aus der Unwirtschaftlichkeit der staatlichen Zwangskollektivierungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern zugewachsen war. Diese Zwangsgenossenschaften konnten nur in einem System überleben, das sie vor der Konkurrenz mit effizienteren Wettbewerbern schützte – die heutigen Genossenschaften indessen werden gegründet, weil sie im marktwirtschaftlichen Wettbewerb eine bessere, nachhaltigere Position eröffnen. Denn Genossenschaftsmitglieder behalten einerseits ihre Selbständigkeit und Handlungsfreiheit, gewinnen aber andererseits Vorteile hinzu durch die Förderung des Verbunds und die auf viele Schultern verteilten Lasten. Dass viele schaffen können, was der einzelne nie erreichen kann – dieses uralte Prinzip hat schon in der Antike zu Kooperativen und Gemeinschaftsbildungen geführt, später zu den Zünften und Gilden des Mittelalters und heute zu einem Boom von neuen Genossenschaften in einem hochindustrialisierten und auf den Weltmärkten konkurrierenden Land wie Deutschland.

Warum das so ist, was Genossenschaften auszeichnet, wie sie funktionieren und warum diese alte Idee das Zukunftsmodell einer sozialen, werteorientierten Marktwirtschaft darstellt – diesen Fragen werden wir in diesem Buch nachgehen.

Dass die Vereinten Nationen 2012 zum UN-Jahr der Genossenschaften ausgerufen haben und in Deutschland und der Europäischen Union (EU) Rahmenbedingungen geschaffen wurden, die ihre Gründung erleichtern, geschah schon vor der großen Finanzkrise, die spätestens seit 2008 die Welt erschüttert und zu einer grundsätzlichen Hinterfragung des Wirtschafts- und Finanzsystems geführt hat. Umso vorausschauender war diese Förderung des Genossenschaftsgedankens und damit einer Unternehmensform, in der nicht der »Shareholder-Value«, der Vermögenszuwachs des Aktieneigners, das Unternehmensziel ist, sondern der »Member Value«, der Nutzen, den die Mitglieder aus der Leistung der Genossenschaft beziehen. Die egalitäre Förderung sämtlicher Mitglieder, von denen jedes unabhängig von seinem Kapitalanteil nur eine Stimme hat, ist der entscheidende Unterschied zwischen einer Genossenschaft und einer Aktiengesellschaft. Das macht Genossenschaften zwar nicht unabhängig von Kapital, schützt sie aber vor »kapitalistischer« Einflussnahme durch einen oder wenige Kapitaleigner und vor genossenschaftsfremden Aufkäufern. Nicht zuletzt diese Konstruktion der Interessenwahrung und gleichberechtigten Mitbestimmung der Mitglieder hat dafür gesorgt, dass die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken von der Bankenkrise der letzten Jahre deutlich weniger betroffen sind. Weil anders als bei den Privatbanken nicht maximale Profitraten im Mittelpunkt des Geschäftsinteresses stehen, haben Genossenschaftsbanken sich an den hochriskanten Wetten in den Börsenkasinos kaum beteiligt – zum Wohle ihrer Mitglieder und des »Member Value«.

Dass sich die genossenschaftlichen Prinzipien gerade in einer für das Wirtschaftsleben zentralen Branche wie dem Geld- und Kreditwesen als krisensichere und marktkonforme Organisationsform erweisen, macht sie nicht nur zu einem Vorbild für die anstehende Neuregulierung des Finanz- und Währungssystems, sie weist auch zurück auf die ureigene Tradition des Genossenschaftswesens und einen ihrer herausragenden Gründerväter: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Dass aus dem Anhausener Darlehnskassenverein, den er 1862 gründete, um die Not der verelendeten Landgemeinde im Westerwald zu beenden, der Prototyp eines weltweit erfolgreichen Bankmodells werden sollte, war kein Wunder. Denn diese genossenschaftlich organisierten Kreditvereine konnten einen Informationsvorteil gegenüber den Banken in der Stadt und gegenüber den fahrenden Landhändlern und Kreditverleihern (»Wucherern«) ausspielen: Man kannte einander, man vertraute sich und konnte so auch die Bonität der Kreditnehmer sehr genau einschätzen, was unmittelbar zu weniger Ausfällen und besseren Konditionen für alle führte.

Deshalb lohnt sich ein Rückblick auf die Geschichte der solidarischen Ökonomie und des Genossenschaftswesens (Seite 85) ebenso wie ein ausführlicher Überblick über erfolgreiche Neugründungen von Genossenschaften, die beispielhaft zeigen, wie sich die »alte« Genossenschaftsökonomie aktuell in den verschiedensten Wirtschafts- und Lebensbereichen bewährt (Seite 19) –, sowie ein Ausblick auf ihre Renaissance in den ganz neuen Wirtschafts- und Organisationsbereichen der digitalen Welt, wie Open-Source-Software, Crowd Funding und Social Media (siehe Seite 171). Alle diese Beispiele zeigen: Gewinn für alle ist möglich, wenn das WIR in WIRtschaft wieder großgeschrieben wird.

Dazu brauchte es für die Alternativbewegung in den 1970er Jahren nicht einmal unbedingt den formalen Rahmen einer Genossenschaft, wie viele kollektive Selbsthilfeprojekte der Jahre zeigten, die allerdings entweder scheiterten oder auf krummen Wegen in der neoliberalen New Economy landeten. Oder sich wie das 1978 initiierte »Projekt tageszeitung« (taz) nach über zehn Jahren kollektivistischem Prekariat gerade dadurch rettete, dass es sich in eine Genossenschaft verwandelte (Seite 154).

Das Problem indessen, wie sich eine Gemeinschaft oder Community, ein Kollektiv oder eine Genossenschaft intern am besten organisiert und wie die Prinzipien der Gleichberechtigung und Freiheit am besten umgesetzt werden, ist jenseits aller juristischen Rahmenbedingungen eine offene Frage. Wie das Scheitern kollektiv und genossenschaftlich organisierter Alternativprojekte verhindert werden kann, die nicht nur vor den Erfordernissen des Markts kapitulieren mussten, sondern auch vor dem internen Spaltpilz, der sich in Form des Zugriffs auf Privateigentum breitmachte – dazu werfen wir einen Blick in die Naturwissenschaft, genauer auf die seit einiger Zeit entdeckte Schwarmintelligenz. Diese Forschung könnte nicht nur für das Verständnis von Vogelschwärmen und Bakterienkolonien nützlich sein, sondern auch für kooperative, egalitäre Verhaltens- und Lebensweisen von Menschengruppen.

Über den formalen Rahmen reiner Genossenschaften hinaus bewegen sich auch die Forschungen von US-Amerikanerin Elinor Ostrom, die 2009 als erste Frau überhaupt den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt – für ihren Nachweis, wie Gemeinschaftsgüter kollektiv nachhaltiger und ökonomisch effizienter funktionieren können als in öffentlicher oder privater Hand. Wie gemeinsam genutzte Güter am besten verwendet werden, dafür gibt es – auch das ist ein Ergebnis der Forschungen Elinor Ostroms – »kein Patentrezept«. Doch sind ihre Untersuchungen und Vorschläge zur Strukturierung und Organsiation von commons für Genossenschaften sehr interessant, weil es hier wie da um die Schaffung und den Erhalt nicht nur eines konkreten Nutzens, sondern auch eines immateriellen Gemeinschaftsguts geht.

Denn das ist das Besondere, das Surplus, das die Genossenschaft gegenüber anderen Kooperations- und Unternehmensformen auszeichnet und das sie gerade heute wieder so attraktiv macht für den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Es ist das, was die Gründerväter »Genossenschaftsgeist« nannten und was man heute vielleicht Teamgeist oder Gemeinschaftsgeist nennen könnte – jene immaterielle und nicht genau fassbare Energie, die aus der Assoziation individueller Einzelner erwächst, wenn diese nicht nur für sich, sondern für ein größeres Ganzes arbeiten. Aus dem Fußball und anderen Sportarten wissen wir, dass Geld allein nicht ausreicht, um eine gute Mannschaft zusammenzustellen, selbst die elf größten Einzelkönner ergeben nicht automatisch das beste Team – und ein auf allen Positionen individuell schwächeres Team kann mit dem entsprechenden Mannschaftsgeist im Wettbewerb durchaus bestehen. Dass die von den Pionieren Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch ins Leben gerufenen genossenschaftlichen Unternehmen und Banken im kapitalistischen Wettbewerb aufblühen konnten, hatte mit diesem Teamgeist zu tun, der aus dem Entschluss einzelner zur Selbsthilfe und ihrem Zusammenschluss mit Gleichgesinnten erwuchs. Dass ein solcher Geist am leichtesten aus einer freien Assoziation von Gleichen entsteht, diese basisdemokratischen Prinzipien schlagen sich bis heute in den Grundsätzen nieder, wie sie die internationale Genossenschaftsvereinigung ICA (International Co-operative Alliance) 2009 formuliert hat.

Grundsätze der ICA für Genossenschaften

Freiwillige und offene Mitgliedschaft

Demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder
Wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder

Autonomie und Unabhängigkeit

Ausbildung, Fortbildung und Information

Kooperation mit anderen Genossenschaften

Vorsorge für die Gemeinschaft der Genossenschaften

So unterschiedlich die Prägungen und Voraussetzungen auch waren, mit denen der kirchenfromme, konservative Dorfbürgermeister Raiffeisen und der liberale Jurist und Politiker Schulze-Delitzsch vor 150 Jahren unabhängig voneinander ihre Projekte konzipierten und aufbauten – der eine dem Gebot der christlichen Nächstenliebe und der praktischen Umsetzung der Bergpredigt folgend, der andere mit dem volkswirtschaftlichen Blick auf ein soziales Marktwirtschaftsystem – die Genossenschaftsmodelle, die beide schufen, hatten weltweit große Ausstrahlung. Dass sich die Pioniere zu Lebzeiten niemals persönlich trafen und ihre – aus heutiger Sicht eher unerheblichen – ordnungspolitischen und ideologischen Differenzen beilegten, ist erstaunlich. Aber es änderte nichts daran, dass beide Modelle erfolgreich wurden und die von ihnen unterschiedlich betonten genossenschaftlichen Werte alle in die Grundsätze des internationalen Genossenschaftswesens eingegangen sind: Raiffeisens Appell an soziale Verantwortung und Sorge für andere ebenso wie Schulze-Delitzschs strikte Betonung der Selbsthilfe und Ablehnung staatlicher und institutioneller Subventionen.

Der »Bail Out« privater Bankschulden, wie ihn die Steuerzahler derzeit in Milliardenhöhe leisten, hätte fraglos beide Pioniere in den schieren Wahnsinn getrieben – und treibt den in den USA und Kanada nach dem Raiffeisen-Modell aufgebauten »Credit Unions« aktuell Scharen neuer Kunden zu. Nachdem die »Occupy Wall Street«-Bewegung Anfang Oktober 2011 zu einem Bank Transfer Day aufgerufen hatte, verzeichnete die Credit Union National Association in den USA innerhalb eines Monats 650 000 neue Kontoeröffnungen mit Einlagen von insgesamt 4,5 Milliarden Dollar.1 Die nach genossenschaftlichen Prinzipien arbeitende GLS-Bank in Deutschland kann sich vor Kundenanfragen ebenfalls kaum retten.

Einmal mehr – und nunmehr auch im Mutterland des modernen Finanzkapitalismus – scheint das kooperative und kommunitäre Genossenschaftsprinzip seine Überlegenheit zu erweisen, auch wenn dieser neue Trend angesichts der Billionen der Spekulationsblase erst einen Tropfen auf den heißen Stein darstellt. Ebenso wie die internationalen Bürgerproteste im Rahmen der Occupy-Bewegung. Doch was sich in nuce bei diesen Entwicklungen andeutet, ist nichts anderes als eine Wiederentdeckung und Wiederbelebung der Genossenschaftsidee im Geiste ihrer Pioniere und Gründer.

»Gewinn für alle!« ist insofern keine fromme Forderung weltfremder »Gutmenschen«, sondern, wo das Prinzip Shareholder-Value das Finanzsystem in die Katastrophe geführt hat, das ökonomische Gebot der Stunde. Selbsthilfe und Selbstverwaltung sind nicht mehr Parolen alternativer Aussteiger, sondern angesichts überschuldeter Volkswirtschaften und dramatisch auseinanderklaffender Wohlstandsgefälle eine selbstverständliche Notwendigkeit – ebenso wie der Raiffeisensche Fürsorgegedanke und Schulze-Delitzschs libertäre Staatsferne. Genossenschaften »von oben«, wie sie Marx und Ferdinand Lassalle adaptierten – und dabei den Kerngedanken der Selbstverwaltung und individuellen Autonomie außer acht ließen – , können hingegen nach dem Scheitern der staatssozialistischen Experimente kein wirkliches Vorbild für die Zukunft mehr sein. Der Staat ist nur noch insoweit gefordert, dass er die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen für genossenschaftliche Selbsthilfe schafft. Und damit nicht nur für eine Gleichstellung mit anderen Unternehmensformen sorgt, sondern auch dafür, dass Genossenschaften nicht durch die Aufweichung der genossenschaftlichen »Grundsätze« den Einfluss einzelner Kapitalbesitzer stärken – zuungunsten des kollektiven Gewinns für alle – und dadurch von Aktiengesellschaften ununterscheidbar werden.

Die Regel »one (wo)man, one vote« ist viel älter als die Genossenschaftsidee, und dass sie zu den Grundpfeilern der ersten Genossenschaften wurde, geschah nicht von ungefähr, sondern aus der Einsicht, dass es einer Einhegung des individuellen Machtstrebens bedarf, wenn eine Anballung von Macht und Einfluss nicht zu wachsender Unfreiheit für die Mehrheit der Mitglieder und zu einem Absterben des Gemeinschaftsgeists führen soll. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben mögen, seit Pioniere vor über 150 Jahren die ersten Genossenschaften gründeten – das Verhalten von Menschen und Menschengruppen hat sich wenig geändert, weshalb auch die Grundprinzipien der Gründerväter nach wie vor Geltung haben müssen, wenn Genossenschaften erfolgreich werden sollen.

Dass die in jüngster Zeit erlebten »Revolutionen« in den arabischen Ländern und die BürgerInnenproteste in der westlichen Welt sich als freie Assoziation von Gleichen formierten, die in Selbsthilfe gegen die Unerträglichkeit des Bestehenden vorgehen; dass die Protestierenden auf dem Tahrir-Platz in Kairo ebenso wie die Aktivisten der Occupy-Bewegung sich bewusst als Kollektive autonomer Individuen verstehen und nicht als Wahlvolk eines Führers, dass die Piraten-Partei in Deutschland mit der Software »Liquid Democracy« auf digitalem Weg echte Basisdemokratie zu schaffen versucht, in der alle Mitglieder über jeden Antrag abstimmen können, und dass mit der nahezu globalen Verfügbarkeit des Internets in den letzten Jahren Plattformen der Kommunikation und Kooperation entstanden sind, die ganz neue Zusammenschlüsse von Individuen ermöglichen – all dies deutet darauf hin, dass der Genossenschaftsgedanke heute aktueller denn je ist. In so vielfältigen Bereichen, Formen und Farben wie sie das Signet der internationalen Genossenschaftsbewegung zeigt, das einst mit der Aufschrift Pace von italienischen Genossinnen und Genossen erfunden wurde: die Regenbogenfahne.

So vielfältig die Gruppen, Gemeinden und Zusammenschlüsse sind, die sich dieses Genossenschaftsmodells schon lange erfolgreich bedienen, so wichtig scheint es als künftiges Wirtschaftsmodell, das den Horror des unregulierten Raubtierkapitalismus ebenso vermeidet wie die Lähmungen kollektivistischer Zwangswirtschaft. Es ist ein nachhaltiges Modell für die Zivilgesellschaft der Zukunft.

Genossenschaften heute

Regional, bodenständig, selbstgemacht

Ob dörfliche Versorgung, kommunale Energie oder städtische Musikwirtschaft, ob Konfliktberatung, Kreativdienstleistung oder Landschaftsgärtnerei – als Unternehmensmodell sind Genossenschaften längst über ihre »klassischen« Bereiche wie Landwirtschaft, Wohnungsbau oder Kreditwirtschaft hinausgewachsen.

Andreas Wieg

Die Genossenschaft ist ein Zukunftsmodell mit langer Tradition. Bereits vor über 150 Jahren haben die beiden deutschen Genossenschaftsgründer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch gezeigt, dass Landwirte und Handwerker beim Einkauf, bei der Kreditbeschaffung und auch beim Absatz von Waren gemeinsam mehr erreichen können. Bis heute verbessern Unternehmen und Privatpersonen in genossenschaftlicher Selbsthilfe ihre Möglichkeiten, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Ziele zu erreichen. In Deutschland gibt es derzeit etwa 7 600 Genossenschaften. Diese Zahl umfasst die Volksbanken und Raiffeisenbanken, landwirtschaftliche Genossenschaften, gewerbliche Genossenschaften sowie Konsum- und Wohnungsgenossenschaften.

Gerade in Zeiten, in denen andere Unternehmen staatliche Garantien oder eine staatliche Beteiligung in Anspruch nehmen müssen, zeigt sich der zukunftsweisende Charakter von Genossenschaften. Sie orientieren sich an der Leistungserstellung für ihre Mitglieder und nicht an der Zahlung einer möglichst hohen Dividende. Vor allem in wirtschaftlich schwierigen Situationen zahlt sich diese bodenständige Wirtschaftsweise aus. Die Mitgliederorientierung führt zu seriösen und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Insoweit ist die Genossenschaft ein Gegenentwurf zu Unternehmen, die auf bestimmte Marktentwicklungen spekulieren.

Ein Vorteil der Genossenschaft ist die Nähe zu den Kunden und Mitgliedern. Genossenschaften kennen ihren Markt und können ihr regionales Wissen bei Produkten und Dienstleistungen nutzbringend einsetzen. Der Wissensvorteil und die regionale Verbundenheit können sich je nach Genossenschaft sehr unterschiedlich auswirken. Eine Volksbank oder Raiffeisenbank kann oft auf Grund der jahrzehntelangen Erfahrung in der Region heimische mittelständische Unternehmen bei einer Kreditanfrage gut einschätzen. Energiegenossenschaften sind so erfolgreich, weil sie als regionale Unternehmen Bürger, Landwirte, Unternehmen und kommunale Einrichtungen einbinden und damit die Akzeptanz vor Ort für erneuerbare Energien steigern. Und noch ein Beispiel: Kaum ein Lebensmittelkonzern würde heute auf die Idee kommen, eine Biersparte zu eröffnen. Eine neue genossenschaftliche Brauerei mit einer lokalen Bierproduktion hat hingegen gute Chancen, sich im heimischen Biermarkt zu etablieren.

Ein weiterer Vorteil der Genossenschaft ist ihre Unabhängigkeit. Die Genossenschaft ist eine ausgesprochen demokratische Rechtsform: Bei Abstimmungen hat jedes Genossenschaftsmitglied unabhängig von der Kapitalbeteiligung nur eine Stimme. Deshalb kann sie bei wichtigen Entscheidungen nicht von Einzelinteressen dominiert oder von externen Investoren aufgekauft werden. Eine feindliche Übernahme ist bei Genossenschaften ausgeschlossen. Auch die demokratische Grundstruktur trägt zur Sicherheit von Genossenschaften bei.

In den vergangenen drei Jahren sind etwa 700 Genossenschaften gegründet worden. Das ist eine erhebliche Steigerung, insbesondere wenn man im Vergleich die Zahlen von vor zehn Jahren betrachtet. Damals wurden jährlich etwa dreißig Gründungen gezählt. Die meisten Genossenschaftsgründungen gibt es im Bereich der erneuerbaren Energien. Und das nicht erst seit der Tragödie in Fukushima. Privatpersonen und Unternehmen betreiben gemeinsam Solar- oder Windenergieanlagen und errichten Nahwärmenetze. Investitionsrisiko und Betreiber-Know-how werden über die Genossenschaft gebündelt. In genossenschaftlich organisierten Bioenergiedörfern wird der Wärme- und Strombedarf einer Kommune vollständig durch nachwachsende Rohstoffe gedeckt.

Auch immer mehr Freiberufler und Selbständige wie IT-Dienstleister, Ingenieure oder Kreative aus der Werbebranche entdecken die Genossenschaft. Sie versuchen, gemeinsam am Markt erfolgreich zu sein, gleichzeitig aber auch ihre Selbständigkeit zu bewahren. Die Motive zur Kooperation sind dabei sehr unterschiedlich wie zum Beispiel günstige Einkaufskonditionen, die Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen, eine Qualitätsmarke oder eine gemeinsame Vermarktungsplattform. Im Gesundheitswesen werden Genossenschaften von Medizinern, Apothekern oder Krankenhäusern gegründet, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Industrie und Großhandel zu erreichen. Zudem kooperieren Ärzte, um gemeinsam neue Vertragsformen beispielsweise im Rahmen der Integrierten Versorgung zu nutzen. Sie bieten Gesundheitsleistungen gemeinsam mit Berufskollegen aus verschiedenen Fachrichtungen an.

Für Städte und Gemeinden, die oftmals mit einer angespannten Haushaltslage zu kämpfen haben, bieten Genossenschaften ebenfalls viele Möglichkeiten. So können Versorgungsunternehmen, aber auch kulturelle und soziale Einrichtungen wie zum Beispiel ein Schwimmbad durch ein breites Bündnis von Bürgern, Wirtschaft und Kommune erhalten werden. In vielen ländlichen Regionen werden genossenschaftliche Dorfläden gegründet, um eine wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs zu erreichen.

Nachfolgend werden einige dieser neuen Genossenschaften näher vorgestellt. Mit dem Beispiel einer jungen Energiegenossenschaft wird gezeigt, wie sich die Bürger in einer Region für die Verbreitung erneuerbarer Energien einsetzen. In den anschließenden Beiträgen werden Freiberufler und Unternehmer vorgestellt, die gemeinsam in Genossenschaften ihre wirtschaftliche Situation verbessern. Abschließend wird mit zwei neuen Genossenschaften gezeigt, wie man gemeinsam die regionale Entwicklung voranbringen kann.

Saubere Zinsen – Wie mit Genossenschaften erneuerbare Energien dezentral und bürgernah verbreitet werden

»Was dem einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.« Dieser genossenschaftliche Leitsatz aus dem neunzehnten Jahrhundert ist für die Verantwortlichen der Friedrich Wilhelm Raiffeisen Energie eG1 (FWR) Programm. Wie kann man dem Klimawandel begegnen? Was kann man in der Region tun, um den eigenen Energiebedarf zukünftig selbständig zu decken? Und wie können umweltfreundliche und nachhaltige Lösungen zur regionalen Entwicklung beitragen?

»Das sind Aufgaben, die man vor Ort nur gemeinsam angehen kann«, dachten sich Michael Diestel, Geschäftsführer beim Bayerischen Bauernverband im Kreisverband Rhön-Grabfeld, und Kreisobmann Matthias Klöffel. »Und zwar am besten mit einer Genossenschaft.« Ihre Devise: Nicht nur über den Klimawandel debattieren, sondern praktisch handeln. Die Genossenschaftsgründer haben sich dabei ganz bewusst am Selbsthilfeansatz des Genossenschaftspioniers Raiffeisen orientiert.

Im Juni 2008 wurde die Genossenschaft in Bad Neustadt an der Saale gegründet. Hier, im fränkischen Teil der Rhön, schieben Bürger gemeinsam getragene Anlagen zur Produktion regenerativer Energien an. Privatpersonen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen und ihre Nutzung mit überschaubaren finanziellen Beiträgen unterstützen möchten, kommen über die Genossenschaft mit Gleichgesinnten zusammen. Dadurch lassen sich nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch rechtliches und wirtschaftliches Know-how bündeln. Nicht alle können schließlich die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen mitbringen, die für die Errichtung und den Betrieb solcher Anlagen erforderlich sind.

Eine Energiegenossenschaft bündelt nicht nur Bürgerinteressen, sondern motiviert zum Beispiel die Eigentümer von geeigneten Dachflächen, hier eine Photovoltaikanlage installieren zu lassen. So mancher Landwirt liebäugelt zwar mit einer solchen Anlage auf dem eigenen Scheunendach. Aufwand und Risiko sind für ihn allein jedoch oft zu groß, wenn er dafür zusätzlich zu seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit erhebliche Investitionen aufbringen muss. Das würde nicht nur den finanziellen Spielraum für sein Kerngeschäft erheblich reduzieren. Auch die Nebenkosten für Verwaltung und Versicherung sowie die mit dem Investitionsprojekt verbundenen Risiken sollte man nicht unterschätzen. In einer genossenschaftlichen Kooperation lassen sich diese Aufgaben einfacher und besser lösen.

Energiegenossenschaften haben einen großen Vorteil: Sie können neue Standorte erschließen, an die einzelne allein nicht herankommen würden. »Es gibt in den ländlichen Regionen jede Menge ungenutzte Dächer. Viele Kirchen, Supermärkte, landwirtschaftliche oder kommunale Gebäude könnten mit Solaranlagen ausgestattet werden«, skizziert Diestel das enorme Potential geeigneter Standorte. Die Dachbesitzer können diese Flächen zur Verfügung stellen oder an die FWR vermieten, auch wenn sie selbst sich nicht finanziell beteiligen möchten.

Die erste Photovoltaikanlage der FWR wurde im November 2008 auf den Dächern des Stadtbauhofs von Bad Neustadt installiert. Sie hat eine Leistung von 270 Kilowatt-Peak2 und wird voraussichtlich jährlich 235000 Kilowattstunden Strom erzeugen. Eine Anlage dieser Größenordnung deckt damit etwa den durchschnittlichen jährlichen Strombedarf von sechzig Privathaushalten. Bei einer Laufzeit von zwanzig Jahren werden etwa 4 150 Tonnen Kohlendioxid (CO2) eingespart. Wer sich mit 4 000 Euro an der Anlage beteiligt, trägt selbst zur Produktion von Ökostrom bei, der in etwa dem jährlichen Strombedarf des eigenen Haushalts entspricht. Das Investitionsvolumen beträgt insgesamt knapp 1,1 Millionen Euro. Es wird zu zwei Dritteln über Fremdkapital und zu einem Drittel über Eigenkapital finanziert. Mit mindestens einem Anteil in Höhe von 2 000 Euro kann sich jeder Bürger von Bad Neustadt am Energieprojekt beteiligen. Pro Anteil gehen hundert Euro als Geschäftsanteil in die Genossenschaft, die restlichen 1 900 Euro werden als Nachrangdarlehen mit einer Laufzeit von zwanzig Jahren in die Projektfinanzierung gesteckt.

Bei dem vorsichtig kalkulierten Stromertrag beträgt die Effektivverzinsung der Beteiligung 5,5 Prozent pro Jahr. Wird diese Kalkulation in sonnenreichen Jahren übertroffen, erhält jedes Mitglied einen Bonus von bis zu vier Prozent. Jeder der 38 Teilhaber an der Bad Neustädter Solaranlage besitzt ein Energiesparbuch, das einem herkömmlichen Sparbuch nachempfunden ist. Die Mitglieder erhalten jährlich einen Kontoauszug, den sie in das Energiesparbuch einkleben können. Darauf werden für jedes Jahr Zinsen und CO2-Einsparung festgehalten sowie Plan- und Ist-Größen gegenübergestellt. Eine pfiffige Idee, die zugleich die Geldanlage und den eigenen Beitrag zum Umweltschutz sichtbar macht.

Die Produktion erneuerbarer Energien soll zugleich die Region unterstützen. »Unser Credo lautet: Ressourcen vor Ort nutzen und den Gewinn daraus wieder den Bürgern und Kommunen vor Ort zugute kommen lassen«, erklärt Diestel. »Damit folgen wir dem alten Leitspruch der Darlehenskassenvereine: ›Das Geld des Dorfes dem Dorfe‹.« Dementsprechend werden die technischen Anlagen von Handwerksunternehmen aus der Region montiert und gewartet. Die Finanzierung erfolgt über ein regionales Bankinstitut. Auch die finanzielle Beteiligung an der Solaranlage wurde zuerst den Bad Neustädtern, dann erst den Bewohnern des Landkreises und schließlich auswärtigen Interessenten angeboten. »Zwiebelschalenprinzip« nennen dies die Initiatoren. Dabei wird stets darauf geachtet, so viele Menschen wie möglich und zugleich so wenige wie nötig zu beteiligen. Die Gemeinde profitiert ebenfalls: von zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen.

Ein großer Vorteil des genossenschaftlichen Modells ist die begrenzte Haftung auf die Höhe der Beteiligung. »Es schläft sich einfach ruhiger, wenn bei solchen kapitalintensiven Projekten regelmäßig ein Sachverständiger über die Bücher schaut«, weiß Diestel. Der Sachverständige ist in diesem Fall der regionale Genossenschaftsverband, der die kaufmännischen Belange aller Mitglieder im Blick behält. »Die Prüfung durch den Genossenschaftsverband ist für uns ein wichtiges Werbeinstrument. Wir verbinden damit ein Qualitätsversprechen, das besonders wichtig für das Vertrauen der Bürger ist«, so Diestel.

Um die Förderung der Region geht es auch bei einem anderen Projekt: Das dringend erforderliche Stadiondach des TSV Großbardorf wird über eine Photovoltaikanlage finanziert. Das Tribünendach gehört zu den Auflagen, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Vereinen in höheren Fußballligen erteilt. Das Dach wird gebaut, von der Genossenschaft angemietet und als Kraftwerksstandort genutzt. Der Mietpreis verringert zwar die Rendite für den einzelnen, dafür kann der TSV Großbardorf jedoch wieder im heimischen Stadion spielen. Jeder, der mitmacht, erhält zudem eine Dauerkarte für alle Heimspiele. So profitieren alle: der Fußballfan, der Verein und die Umwelt.

Diestel hat bereits weitere Pläne: »Mittelfristiges Ziel ist es, die Friedrich Wilhelm Raiffeisen Energie eG so weit auszubauen, dass die Bürger der Rhön ihren selbst produzierten Ökostrom nutzen. Dazu werden wir uns zukünftig nicht nur auf die Sonnenenergie beschränken.«

Einspruch stattgegeben: Genossenschaft von Mediatoren macht aus Einzelkämpfern ein starkes Team

Die Emotionen kochen hoch. Argumente zählen längst nicht mehr. Es geht nur noch um die Lautstärke. Höchste Zeit, dass ein Vermittler bestimmt wird. Wie Heiner Geißler bei Stuttgart 21.

Was hier im Großen passiert, betrifft tagtäglich viele Menschen: am Arbeitsplatz, zu Hause oder im Sportverein. Unterstützung bei solchen Konflikten erhält man von Mediatoren. In Karlsruhe haben sich die Konfliktlöser in einer Genossenschaft zusammengeschlossen, um ihre Dienstleistungen gemeinsam anzubieten.

»Nicht gelöste Konflikte kosten Zeit und Nerven. Sie sind unnötiger Ballast und sollten zügig von den Beteiligten gelöst werden«, sagt Marlene Ringwald, Mediatorin und Gründungsmitglied der Zentrum für Mediation und Beratung eG (ZMB) in Karlsruhe. Konflikte sind ganz natürlich. »Egal, ob Menschen zusammenarbeiten oder zusammenleben – es entstehen häufig Reibungspunkte, bei denen manchmal ein unparteiischer Mediator gebraucht wird«, so Ringwald.

In Unternehmen sind es beispielsweise Teamkonflikte, Auseinandersetzungen in der Geschäftsleitung oder ungeklärte Situationen mit Geschäftspartnern, die einen Ausgleich erfordern. Aber auch Streitigkeiten in der Familie oder mit den Nachbarn können zu verhärteten Fronten führen. Solche Konflikte sollten am besten eigenverantwortlich, mit gegenseitigem Respekt und externer Unterstützung thematisiert werden. »Das Ziel ist eine Win-win-Situation, in der ehrlich und offen die Standpunkte ausgetauscht werden. Faule Kompromisse bringen nichts«, sagt die Mediatorin.

Doch weshalb gründet man hierfür eine Genossenschaft? »Angefangen hat alles mit der Ausbildung zum Wirtschaftsmediator an der Steinbeis-Hochschule«, sagt die Bevollmächtigte der eG. Ringwald und drei weitere Unternehmensberater haben nicht nur gemeinsam die Schulbank gedrückt, sondern auch dieselbe Wellenlänge. Trotz unterschiedlichem beruflichen Hintergrund hatten sie das gleiche Ziel: Das erlernte Wissen sollte selbständig am Markt angeboten werden. Um schlagkräftig zu sein, benötigt man aber Mitstreiter.

Nach einem halben Jahr gab es deshalb nicht nur die Zertifizierung zum staatlich anerkannten Mediator, sondern auch den Plan, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen. »Die Gründungsmitglieder haben Erfahrung in der Unternehmensberatung, der Personalarbeit oder in der Praxisberatung von Ärzten und Zahnärzten. Wenn man diese Kompetenzen und Erfahrungen zusammenlegt, können umfangreiche Dienstleistungen angeboten werden«, erläutert Ringwald. Die ZMB wurde im Herbst 2009 ins Leben gerufen.

Die Genossenschaft bietet die ganze Palette der Mediationsberatung an: In der Wirtschaftsmediation werden kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Konzerne beraten, deren Manager in der heutigen Arbeitswelt immer öfter mit scheinbar unlösbaren Konfliktsituationen konfrontiert werden. Dabei ist ein Trend zu erkennen: Es wird weniger auf gerichtliche Auseinandersetzungen, sondern eher auf eine kostengünstige und zielführende Konfliktlösung gesetzt. Die ZMB vermittelt hier beispielsweise zwischen Entscheidungsträgern, Mitarbeitern oder der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat.

Auch Themen wie Fusionen oder Nachfolgeregelungen in Unternehmen werden begleitet. Letzteres ist auch ein gutes Beispiel für die sogenannte Präventivmediation. Es wird hierbei die Entscheidung begleitet, welcher Erbe die Firma weiterführen wird, damit es erst gar nicht zu Konflikten in der Familie kommt.

Die ZMB löst aber auch Streitigkeiten im privaten Bereich: in der Familie, Ehe oder Partnerschaft, begleitet Scheidungsverfahren oder berät in Mietangelegenheiten. Es muss allerdings nicht immer ein äußerer Konflikt sein. Auch die Einzelmediation zur individuellen Zielplanung oder Persönlichkeitsentwicklung wird unterstützt.

Die passende Rechtsform für das gemeinsame Unternehmen hatten die vier Freiberufler schnell gefunden. Da ein Gründungsmitglied als ehemaliger Vorstand einer Volksbank die Funktionsweise und vor allem die Vorteile der genossenschaftlichen Rechtsform kannte, musste wenig Aufklärungsund Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wichtig für die Mediatoren: Die Genossenschaft funktioniert wie ein Verein. »Man kann die Mitgliedschaft einfach erwerben, ohne immer mit einem Notar sprechen zu müssen«, so Ringwald. Die Genossenschaft ist zudem eine flexible Plattform, die eine unkomplizierte Zusammenarbeit ermöglicht. Jeder Partner bleibt weiterhin selbständiger Berater. Das ist allen Beteiligten sehr bedeutsam.

Dennoch wird über die Genossenschaft verbindlich kooperiert. »Wir können nach außen signalisieren, dass wir die Leistungen als ganzes Unternehmen anbieten und nicht nur auf ein persönliches Netzwerk zurückgreifen«, so Ringwald. Das überzeugt insbesondere größere Auftraggeber. »Es kommt bei vielen Kunden sehr gut an, dass wir nicht als Einzelkämpfer auftreten, sondern eine unternehmerische Gemeinschaft sind.« Wenn beispielsweise ein Berater krank wird, hilft ein Kollege mit gleicher Qualifikation aus.