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Frauen vor Flußlandschaft

Roman in Dialogen und Selbstgesprächen

(1985)

 

 

 

 

Wanderers Gemütsruhe

 

Übers Niederträchtige

Niemand sich beklage;

Denn es ist das Mächtige,

Was man dir auch sage.

In dem Schlechten waltet es

Sich zu Hochgewinne,

Und mit Rechtem schaltet es

Ganz nach seinem Sinne.

 

Goethe, West-östlicher Divan

 

 

 

 

Den Meinen an allen Orten,

wo immer sie sein mögen

 

 

 

 

Da alles in diesem Roman fiktiv ist, nur nicht der Ort, an den die Fiktion gestellt ist, bedarf es keiner der üblichen Schutzformeln. Der Ort ist unschuldig, kann sich nicht betroffen fühlen.

H. B.

Vorbemerkung

Die innere Beschaffenheit der auftretenden Personen, ihre Gedanken, Lebensläufe, Aktionen ergeben sich aus den Gesprächen und Selbstgesprächen, die sie führen. Über ihre äußere Beschaffenheit könnten irrige Vorstellungen entstehen; es erscheint notwendig, einige Details darüber vorweg mitzuteilen. Die beiden in ihrer inneren Beschaffenheit so verschiedenen Personen wie Paul Chundt und der Graf Heinrich von Kreyl sind gleichaltrig, beide 70, sind auch gleich groß, etwa 1,73-1,74 m. Beide sind weißhaarig ohne auch nur den Ansatz einer Glatze; beide sind exklusiv herrenausgestattet, mit Weste etc.; beide sind das, was man "gepflegte Erscheinungen" nennt. Sähe man sie beide zusammen, von weitem oder gar von hinten, wären sie zum Verwechseln ähnlich, fast austauschbar. Wenn man dagegen beide näher betrachtet, wäre man erstaunt, wie wenig sie sich gleichen: Kreyl ist hager, leidend, aber nicht krank nach irgendwelchen medizinischen Kategorien, auch nicht nach psychiatrischen. Chundt dagegen hat ein volles Gesicht, ein Typ, den man gewöhnlich "vital" nennt; er strotzt sozusagen von Gesundheit, und doch entdeckt man bei ihm bei näherem Zusehen eine überraschende Sensibilität.

Eine Erscheinung wie der "Schwamm", der nur einmal kurz in Erscheinung tritt, im übrigen im Hintergrund wirkt, hat seinen Spitznamen nicht etwa, weil er schwammig wäre. Er ist groß, etwas über 1,80 m, ausgestattet wie Chundt und Kreyl, nicht einmal "korpulent", trotz seines Alters (68) fast noch sportlich. Seine Herkunft ist unklar; noch nie hat irgend jemand so etwas wie seine "Papiere" gesehen. Er kann Schweizer, Deutscher, Österreicher oder ein deutschsprachiger Ungar oder Böhme sein. Den Namen "Schwamm" verdankt er der Tatsache, daß er Geld auf- und ansaugt. Beharrlich streut er das Gerücht aus, er sei von hohem Adel. Das Alter des Ehepaars Wubler ergibt sich aus ihrem Lebenslauf. Die um sie und Chundt gruppierten Männer: Halberkamm, Blaukrämer, Bingerle, sind zwischen 54 und 59 Jahre alt. Der Literaturwissenschaftler Tucheler, der nur indirekt auftritt, ist 57. Gekleidet sind sie alle ordentlich, mit Weste, Krawatte etc., doch nicht ganz so herrenmäßig wie Chundt, Kreyl und der Schwamm. Gewisse Ansätze von "Unkorrektheiten" - Sitz der Krawatte, Schuhe usw. - zeigen sich bei Wubler und Bingerle. Auf eine gänzlich unauffällige Weise elegant ist der 66jährige Bankier Krengel, seine Eleganz ist selbstverständlicher als die von Chundt, dem Schwamm und sogar Kreyl, deren Ausstattung eine Spur zu demonstrativ ist. Bei Krengel wirkt alles wie "angegossen", noch besser wäre zu sagen: wie angeboren. Er ist der einzige, der wie ein "Adeliger" wirkt, obwohl er keiner ist. Zwischen dieser Altersgruppe der Mittfünfziger bis Siebziger steht Ernst Grobsch, er ist 44, trägt Konfektion mittlerer Qualität, ist nicht gerade ungepflegt, aber man sieht, daß Kleidung ihm gleichgültig ist. Karl Kreyl ist 38, von ganz anderer Art als Grobsch. Die sechs Jahre Altersunterschied zwischen den beiden wirken fast wie ein Generationsunterschied. Auch für Karl v. Kreyl ist Kleidung sekundär, aber auf eine saloppere, souveränere Weise. Auf Partys, wenn er nicht mit Pullover und Cordhose auftritt, ist er lässig-konventionell angezogen, wirkt irgendwie "verkleidet". Der jüngste der Herren, der Animateur Eberhard Kolde, ist 30; er versucht, sich einen ärztlichen Habitus zu geben, was ihm nicht gelingt. Er ist ein hübscher, sympathischer Kerl, der vergebens versucht, seriös zu wirken.

Über die Kleidung der Damen Wubler und Kreyl-Plint wird im Text ausreichend informiert. Erika Wubler ist 62, Eva Kreyl-Plint 36, Elisabeth Blaukrämer ("Blaukrämers erste" genannt) ist 55; sie ist ziemlich groß, blond, wirkt nicht ungepflegt, aber irgendwie nicht "ganz angezogen", mehr als nur lässig, sie vergißt immer, den einen oder anderen Knopf zuzuknöpfen oder den einen oder anderen Reißverschluß ganz zuzuziehen. Sie ist korpulenter als ihr Auftritt vermuten läßt, es kann vorkommen, daß sie verschiedene Schuhe anzieht, den linken von dem einen, den rechten von dem anderen Paar. Die Ärztin Dr. Dumpler ist Ende 30, eine unauffällige Erscheinung. Adelheid Kapspeter, so alt wie Eva Kreyl-Plint, ist betont bieder gekleidet. Katharina Richter ist 30, arbeitet im Haushalt ohne Schürze, hat einen undefinierbaren Schick, der ihr Ähnlichkeit mit Eva Kreyl-Plint verleiht. Beide könnten Fernsehansagerinnen sein. Trude, "Blaukrämers zweite", gehört zu den Frauen, die sich über ihre Jugendlichkeit täuschen (oder von ihren Beratern täuschen lassen): Sie ist 42, kleidet sich aber wie eine Frau von knapp 30, die jedem, aber auch jedem Trend erliegt, und wirkt so auf eine unechte Weise vulgär. Sie hat den Unterschied zwischen Dekolleté und "oben ohne" nicht begriffen, und so tritt sie, vollbusig, wie sie ist, auf eine Weise auf, die mit deplaziert richtig bezeichnet ist. Die jüngste der Damen, Lore Schmitz, ist 20, keineswegs punkisch, sondern adrett-modisch, auch in ihrer Haartracht. Sie könnte eine Studentin, eine Bankangestellte, eine Verkäuferin sein. In keiner gesellschaftlichen oder beruflichen Umgebung würde sie deplaziert wirken, nicht einmal bei Empfängen kirchlicher Würdenträger.