Emily Hunter
Öko-Krieger
Eine neue Generation kämpft für unseren Planeten
Aus dem Englischen von Birgit Brandau
Fischer e-books
Emily Hunter ist Journalistin, Öko-Aktivstin, MTV News- Korrespondentin und Chefredakteurin des Öko-Bloggs THIS Magazin. Sie setzte sich u.a. für die Artenvielfalt auf den Galapagos-Inseln und den Schutz der Wale ein und machte durch zahlreiche, spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Covergestaltung: bürosüd°, München
Die Originalausgabe »The Next Eco Warriors« erschien 2011 im Verlag Conari Press, San Fransisco
© 2011 Emily Hunter
Für die deutsche Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400797-7
Für alle Öko-Krieger – von gestern, von heute und von morgen: Ihr seid meine Hoffnung.
Im Grunde wollte diese Bewegung dem Bewusstsein, das älter als der Buddhismus, gleichzeitig aber so neu wie die Wissenschaft von der interdisziplinären Ökologie ist, eine politische Form verleihen. Sie erwuchs aus einem vagen Bewusstsein, dass all unsere Beziehungen politisch sind und die entscheidenden politischen Beziehungen, mit denen wir uns heute beschäftigen müssen, nahezu nichts mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun haben, sondern mit dem Verhältnis des Menschen zur Erde selbst. Unsere Beziehung zur Umwelt unseres Planeten ist die wichtigste Angelegenheit überhaupt. Alle menschlichen Strukturen basieren unweigerlich darauf.
Es ist an der Zeit, zu prüfen, was unseren Beziehungen zu dem gesamten Leben um uns herum tatsächlich zugrunde liegt … Tun wir das nicht, werden wir noch zu unseren Lebzeiten die Geschichte der Genesis erleiden: unsere Vertreibung aus dem Paradies und den Untergang der Natur selbst.
Robert Hunter, Warriors of the Rainbow (1979)
Farley Mowat
Derzeit erleben wir den bedeutsamsten Konflikt, dem die Menschheit je ausgesetzt war. Es ist der Konflikt zwischen jenen, die die Mittel und die Entschlossenheit besitzen, die lebendige Natur bis zur Zerstörung auszubeuten, und denen, die sich in einem letzten, verzweifelten Versuch zusammenschließen, den neuen Moloch daran zu hindern, unseren kleinen Planeten ausbluten zu lassen.
Wenn die richtige Seite gewinnt, wird dieser Kampf von künftigen Generationen vielleicht als der Kreuzzug gewürdigt, der die Erde rettete. Wenn die falsche Seite gewinnt, wird es keine künftigen Generationen von Menschen oder zahllosen anderen Tieren geben.
Der Kampf ist ungleichgewichtig. Die großen Bataillone werden von einigen der mächtigsten Individuen und Verschwörungstheorien gelenkt. Ihr Schlachtruf lautet »Fortschritt!«, und ihre Arsenale werden von Wirtschaft und Industrie, die die wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften zu ihrem Zwecke missbrauchen, gefüllt. Die Politik ist ihr Handlanger.
Sie sind derzeit de facto die Herren unseres Schicksals. Sie glauben, sie können und sollen die Herrscher des Planeten, wenn nicht gar des Universums, werden. Aufgrund ihrer übermächtigen Präsenz ist uns diese Herrscherklasse nur zu gut bekannt. Doch wir wissen allzu wenig über die Kräfte, die sich gegen sie wenden. Diese sind so neu, so unterschiedlich in Art und Zusammensetzung und repräsentieren solch ein unübersichtliches Kaleidoskop von Bildern, dass wir sie verwirrt unter »Umweltbewegung« verbuchen.
Diese Gegenkräfte sind die Führer und die Mannschaften einer Armee von Öko-Kriegern, die es auf sich nehmen, unsere Welt gegen Ausplünderung, Zerstörung und Vernichtung zu verteidigen. Unglücklicherweise bleiben sie für den Großteil der Menschheit nahezu unsichtbar, denn die machthabenden Wirtschafts- und Finanzgrößen zerstören nicht nur unsere Lebenswelt, sondern sie beherrschen auch unsere Kommunikation.
Daher ist es überlebensnotwendig, dass wir die Ökoaktivisten des 21. Jahrhunderts kennenlernen, die sich dem siegreichen Ausgang dieses Kampfes verschrieben haben. Wir müssen ihre Loblieder singen, ihren Mut und ihre Hingabe feiern, sie zu Ikonen unserer Zeit machen – sie unterstützen und ihnen nacheifern.
Dieses Buch stellt einige dieser neuen Kreuzzügler vor, junge Frauen und Männer, die für Robben, Wale, für Sie, ja selbst noch für unsichtbare Partikel in der Atmosphäre alles riskieren. Sie überschreiten die Grenzen einer Welt, die nur als ausbeutbare Lieferantin von Ressourcen verstanden wird, hin zu einer Welt, die voller Leben, aber auch verwundbar ist. Sie kämpfen für nichtmenschliche Tiere und Elemente, als würde das Leben davon abhängen – und das tut es in der Tat. In einer Zeit, in der Verzweiflung und Apathie dominieren, erschüttern sie den Boden, auf dem die herrschende Klasse steht, und zeigen den Massen den Hoffnungsschimmer, dass eine andere Welt möglich ist.
Doch damit wir uns nicht falsch verstehen: Diese Lebenswelt, wie wir sie kennen, stirbt noch zu unserer Zeit, und zwar schnell. In der Nähe meines Hauses in Nova Scotia treffen Land und Meer zusammen, und ich kann sehen, wie der Nordatlantik gegen die Ostküste des Kontinents brandet. Ich male mir vor meinem geistigen Auge aus, wie es hier war, ehe die westliche Menschheit ankam.
Schule um Schule blasender Wale, die großen Arten zusammen mit den kleineren, tauchen aus einem Wasser auf, das von wogenden Fischschwärmen gekräuselt wird. Zahllose Tölpel und Dreizehenmöwen verdunkeln wirbelnd den Himmel. Auf der Felsklippe am Ende des langen Sandstrandes ruhen dicht an dicht Robben. Am Strand selbst flattern unablässig dichte Bänder von Strandläufern, und in der Bucht, deren Boden von Millionen Muscheln und Hummern bewohnt wird, erhebt sich zwischen den schwimmenden Inseln, die die Eiderenten bilden, ein Pulk kräftiger Köpfe. Die Stoßzähne der Walrosse glänzen wie züngelnde Flammen …
Und dann verschwindet die Vision, und ich erblicke die Welt, wie sie heute ist. In der ungeheuren Weite von Meer, Himmel und angrenzendem Land segelt eine Möwe einsam dahin – ein einzelnes, treibendes Körnchen Leben auf einer riesigen leeren Bühne.
Als unsere Vorfahren mit der Ausbeutung dieses Kontinents begannen, glaubten sie, die tierischen Ressourcen seien unendlich und unerschöpflich. Die Verletzlichkeit des lebenden Gewebes, das die Welt einhüllt – die Vielschichtigkeit und Fragilität seiner viel zu begrenzten Teile –, lag jenseits ihres Begriffsvermögens. Somit kann wenigstens zu ihrer Verteidigung gesagt werden, dass sie nahezu ahnungslos waren und nicht wussten, welche unabdingbaren Ergebnisse ihre schrecklichen Beutezüge mit sich bringen würden.
Doch in unserer Zeit können wir solche Rechtfertigungen für unsere mörderischen Aktionen und ihre fatalen Folgen nicht mehr in Anspruch nehmen. Die heutige Menschheit hat alle Möglichkeit, die Komplexität und Verwobenheit der lebenden Welt zu erkennen. Wenn Unwissenheit als Entschuldigung dienen soll, kann das nur eine willentliche, tödliche Ignoranz sein.
Die grauenhaften Auswirkungen von fünf todbringenden Jahrhunderten auf diese Welt können nicht bestritten werden. Doch wenigstens gibt es einige Anzeichen, dass wir endlich den Willen – und das Bewusstsein – entwickeln, über den Tellerrand unserer unmittelbaren Wünsche und Befriedigungen zu blicken. Sehr spät versucht ein gewisser Teil der Menschheit, wieder in die Gemeinschaft jener Lebewesen zurückzukehren, von denen wir uns so lange entfremdet haben – und für die wir so lange der Todfeind waren.
Beweise für diese Abkehr vom Wahnsinn sollte man aber nicht bei den Haltungen und Handlungen der Ausbeuter suchen, die in der menschlichen Welt dominieren. Die Anzeichen von Vernunft lassen sich eher bei jenen Individuen finden, die, angewidert von dem schrecklichen Ausmaß, in dem wir die belebte Schöpfung unterworfen haben, immer mehr das mörderische Untier ablehnen, zu dem die Menschheit geworden ist.
Sie schließen sich mit ständig wachsendem Einfluss zusammen und stellen die selbsterteilte Lizenz der Wirtschafts- und Finanzgrößen in Frage, weiterhin die lebende Natur aus politischen Gründen, um des Profits willen und aus purer Lust auszubeuten und zu verwüsten. Auch wenn sie von der alten Ordnung heftigst bekämpft werden, könnten sie langsam an Boden gewinnen.
Meine eigenen Hoffnungen auf eine Wiederbelebung und Fortdauer des Lebens auf der Erde richten sich nun auf diese neuentdeckte Entschiedenheit, unserer Untrennbarkeit mit dem Leben wieder Gültigkeit zu verschaffen, die Verpflichtungen anzuerkennen, die uns als der mächtigsten und todbringendsten Spezies, die je existierte, obliegen, und die Verheerungen, die wir angerichtet haben, zu korrigieren. Wenn wir diesen neuen Weg nicht verlassen, gelingt es uns vielleicht, die Menschen humaner zu machen … endlich.
Es ist so, als würden wir in einem Auto sitzen, das mit Höchstgeschwindigkeit vorwärtsrast. Der Tempomat sorgt dafür, dass das auch so bleibt, wenn wir andere Straßen passieren. Wir müssen unbedingt abbiegen. Aber statt langsamer zu fahren oder das Steuer herumzureißen, geht es weiter mit Vollgas voraus. Die Insassen sind sehr unterschiedliche und kenntnisreiche Individuen, doch alles, was wir tun, ist reden, argumentieren, untereinander zu streiten – niemand dreht das Lenkrad herum. Wir brettern weiter, und vor uns liegt der Abgrund.
Diejenigen von uns, die nicht am Lenkrad sitzen, tragen die größte Verantwortung, denn wir sind die letzten Generationen, die noch genügend Macht haben, die Richtung zu bestimmen, in die es gehen soll. Dieses Wissen ist für viele von uns lähmend. In einem Moment, wo uns der Zustand unserer Welt bewusst wird, rast diese Welt blindwütig in einen Tod, den wir selbst verschuldet haben. Wir sind nicht apathisch, auch wenn wir immer wieder so bezeichnet werden. Es ist eher so, dass wir einfach nicht wissen, was wir tun sollen.
Vor Jahrzehnten versuchten unsere Eltern, die Menschheit vom Abgrund weg zu steuern, aber nun sind wir dichter dran als je zuvor. Das liegt gewiss nicht daran, dass sie sich nicht genug eingesetzt haben. Sie haben schließlich im 20. Jahrhundert eine Umweltrevolution mit jeder Menge zivilem Ungehorsam und einen Bewusstseinswandel zuwege gebracht, der das Verhältnis der westlichen Zivilisation zu unserem Planeten verändert hat.
Aber ihre Bewegung verebbte und wurde alt mit ihnen. Ihre Taktiken funktionieren kaum noch, ihre Gesichter und Stimmen verbinden sich kaum mit unseren. Und ihre Geschichten sind, auch wenn sie uns inspirieren, nicht die unsrigen.
Wir brauchen dringender als je zuvor Revolutionäre. Angesichts der Kippe, auf der das Klima und einige weitere globale Angelegenheiten stehen, bedarf die Welt dringend der neuen Öko-Krieger.
Viele glauben, dass sie bislang nicht existieren. Al Gore erklärte der New York Times 2007: »Ich verstehe nicht, wieso nicht Trauben von jungen Menschen die Bulldozer umzingeln und daran hindern, noch irgendein kohlebetriebenes Kraftwerk zu bauen.«
Das ist eine enttäuschende Wahrnehmung, die viele teilen. Doch sie ist auch der Anlass für dieses Buch, denn ich weiß, dass die Zweifler unrecht haben. Denn zur selben Zeit, als Gore dieses Urteil fällte, hatte eine Gruppe junger Leute längst begonnen, Bulldozer zu blockieren, und viele weitere sollten folgen. Hier sind die neuen Öko-Krieger – und sie sind höchst lebendig.
Allerdings wird wenig über sie gesprochen, und deshalb überrascht auch nicht, dass anscheinend nur wenige von ihrer Existenz wissen. Das muss sich ändern. Insgesamt repräsentieren sie eine neue Bewegung im 21. Jahrhundert. Das ist eine globale Bewegung, nicht bloß eine grüne Bewegung westlicher Länder. Es ist eine Bewegung, die hinter Fahnen erstarkt, die für ein farbenprächtiges Mosaik der Veränderung stehen. Und es handelt sich um eine Bewegung, die den Begriff Aktivismus neu definiert.
Das Wort Aktivist ist nicht mehr darauf beschränkt, den Protestler oder den Ökoterroristen zu bezeichnen (auch wenn diese Formen des Aktivismus nach wie vor ihren Platz haben). Stattdessen bedienen sich die neuen Öko-Krieger eines bunten Reigens an Strategien und Taktiken. Sie bringen eine Vielzahl an eigenen Talenten, Kenntnissen und Fähigkeiten (manchmal auch in Form bezahlter Arbeit) ein, um den Motor des gesellschaftlichen Wandels anzuwerfen.
Statt die einschränkende Haltung einzunehmen, dass nur jene an der Spitze der Machtpyramide – Führer wie Präsident Obama oder Al Gore – die Welt verändern können, macht uns diese neue Bewegung klar, dass die Weltrevolution allen und jedem offensteht, der einen substantiellen Wandel will. Letztlich sind es immer die Leute an der Basis, die die größten Veränderungen bewirken.
Es ist zugleich eine Bewegung, die ebenso verschiedenartig wie die Natur selbst ist. Es sind Menschen aus allen Teilen der Welt, die Denkweisen und Politik verändern und die alten Achsen der Tyrannei brechen. Und diese Bewegung gehört nicht mehr allein der Nordhälfte, sondern sie verschiebt die Grenzen und wird zur Bewegung von uns allen. Einer Bewegung, die von einer Vielzahl an Kulturen und Menschen aus den entferntesten Winkeln der Erde organisiert wird.
Zu den Gesichtern dieser Bewegung gehören Menschen wie Enei Begaye, eine Diné, die für ihre Navajo-Gemeinschaft in Arizona so viele Arbeitsplätze wie möglich weg vom Kohlesektor und in den Bereich grüne Jobs verlagern will. Oder der chinesische Student Wen Bo, der es wagte, kurz nach dem Tiananmen-Massaker zum Ökoaktivisten zu werden. Oder die Amerikanerin Elizabeth Redmond, die erneuerbare Technologie neu erfunden hat, indem sie unsere Füße zur Stromerzeugung einsetzt. Oder der junge Kenianer Kevin Ochieng, der unterprivilegierte Jugendliche aus ganz Afrika für eine Bewegung gegen den Klimawandel gewonnen hat. Oder auch die gebürtige New Yorkerin Tanya Fields, die der Trostlosigkeit mit Guerilla-Gärten die Stirn bietet.
Zusammen kämpfen sie einen Öko-Krieg. Da muss man nicht herumreden – es handelt sich um einen Krieg.
Es ist ein Krieg um den letzten Regenwald am Amazonas. Es ist ein Krieg, der verhindern soll, dass wir durch die Förderung von Kohle und Erdöl weiter unser eigenes Grab schaufeln. Es ist ein Krieg, der Menschen, die im Sperrfeuer der Industrie zerrieben werden, schützen soll. Es ist ein Krieg, der das Recht der Tiere auf Leben verteidigt. Und es ist ein Krieg für die Schaffung einer Neuen Welt, für einen Planeten mit erneuerbaren Energien und nachhaltiger Wirtschaft.
Der Krieg wird gegen die Fehlinformanten, Negierer und Vertreter der alten Garde geführt, die für fossile Brennstoffe eintreten und nur ihren Profit im Auge haben, auch wenn sie damit die Zeit der Menschheit auf der Erde verkürzen. Mit einem Satz: Es ist ein Krieg ums Überleben.
Ich finde es angemessen, von Krieg zu sprechen. Schon der Klimawandel ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, der sich die Menschen je gegenübersahen. Und sie ist so groß, weil die Schlacht nicht gegen externe Feinde, sondern gegen uns selbst geführt werden muss. Das ist ein Krieg, um uns selbst rechtzeitig zum Einhalt zu bringen, damit wir überleben können, ein Krieg, bei dem die Erde, wie wir sie kennen, auf dem Spiel steht.
Unsere Waffen in dieser Schlacht sind weder Dolche noch Gewehre oder Atombomben, sondern Werkzeuge, die sozialen Wandel ermöglichen, etwa »Geistesbomben«, die Bewusstsein schaffen, alternative Energien, Kreativität, die neue Lösungen ausheckt, und unser engagierter Sinn für Gerechtigkeit, der der Menschheit neue Horizonte eröffnet. Und die Krieger in diesem Krieg sind keine Zwangsrekrutierten, sondern Freiwillige, die eine bessere Welt schaffen wollen und dafür große persönliche Opfer, Risiken und manchmal auch körperliche Schäden in Kauf nehmen.
Dieser Öko-Krieg, von dem ich spreche, mag Ihnen wie eine Legende erscheinen, aber die nackte Wirklichkeit ist, dass wir uns im Krieg befinden – einem Krieg für den Planeten und für uns selbst. Ich denke, die meisten kennen die hässliche Realität in der einen oder anderen Form: Wir spüren unter unseren Füßen, wie der Rand des Abgrunds wegbricht. Wir spüren dies nahezu täglich bei Meldungen über Wetter-»Kapriolen« wie die Überschwemmungen in Pakistan, Flächenbrände in Russland, das schmelzende Eis an den Polen. Da kann man das Gefühl bekommen, der Vorhang sei schon gefallen (für manche von uns, ehe die Vorstellung überhaupt begonnen hat).
Aber das muss nicht so sein. Wir können uns noch von dem Abgrund wegbewegen. Es ist noch Zeit – allerdings ist sie entsetzlich knapp und wird mit jedem Tag weniger. Manche machen sich auf diesen Weg, indem sie sich dieser neuen Generation von Öko-Kriegern verschreiben und für eine bessere Welt kämpfen.
Deshalb stelle ich Ihnen in diesem Buch die Geschichten von Frauen und Männern vor, die diesen Kampf aufgenommen haben. Dies ist in keiner Weise eine Gebrauchsanleitung zur Rettung der Erde: Soziale Veränderungen wurden nie durch Handbücher oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen erreicht. Aktivismus ist ein zutiefst persönlicher Prozess und kann nicht zu einem simplen Rezept eingedampft werden. Stattdessen haben viele vor mir und werden nach mir erkennen, dass das Geheimnis des sozialen Wandels im Geschichtenerzählen liegt. Es waren Geschichten, die unsere Welt geformt haben und weiterhin formen, sei es in Büchern, in Filmen oder in mündlicher Überlieferung. Dieses Buch sieht sich in der Reihe dieser Tradition des Geschichtenerzählens. Mit Geschichten von den neuen Öko-Kriegern möchte es Hoffnung in eine Welt bringen, die so wenig davon hat.
Hier sind die Geschichten der neuen Öko-Krieger: Lest sie, um zu erfahren, dass es auch eure Revolution ist!
Emily Hunter
Emily Hunter
Medien-Vorkämpferin, Kanada, 26
Glauben Sie nicht, ein paar besorgte Menschen allein könnten die Welt nicht verändern. Denn in Wirklichkeit waren es nie mehr.
Margaret Mead
Die Uhr hatte gerade Mitternacht geschlagen. Ich stand in einer leeren Lagerhalle. Die Lichter flackerten und teilten mir mit, dass ich gehen sollte. Um mich herum begann ein Reinigungsteam aufzuräumen, sammelte den Müll der Tausenden von Menschen ein, die hier zuvor gewesen waren. Tische und Stühle wurden gestapelt. Ein Schwall Winterluft drang herein und kühlte meine Haut aus.
Es war vorbei.
Ich konnte es kaum glauben. Ich wollte das Aus nicht akzeptieren. Mein Körper begann zu zittern, und mein Herz schmerzte. Ein Freund versuchte, mich zur Ausgangstür zu bringen, aber ich wollte nicht gehen. Ich konnte all das nicht fassen. Ich starrte weiterhin auf einen Bildschirm, der einen leeren Raum zeigte. Dort hatten die Verhandlungen stattgefunden. Ich hoffte, jemand würde auf das Podium steigen und mir vom glücklichen Ausgang der Sache erzählen.
Aber das Happy End kam nicht.
Es war eine kalte Winternacht 2009, am letzten Tag des Klimagipfels in Kopenhagen, der als unsere »beste und letzte Chance« im Kampf gegen den Klimawandel galt. Fast zweihundert Staatschefs hatten sich versammelt, um die drohende Klimakatastrophe endlich anzugehen. An ihrer Spitze standen die Vereinigten Staaten.
Rund 46 000 Delegierte aus aller Welt nahmen an dem Gipfel teil, um den Beschluss der Staatschefs zu beeinflussen, und viele Tausende mehr standen auf den Straßen bereit, um zu protestieren, wenn sie die falsche Entscheidung treffen würden. Und – vielleicht noch wichtiger – die ganze Welt sah zu. Alle Augen waren auf Kopenhagen und seine Rolle für die künftige Entwicklung unseres Klimas gerichtet. Das war unsere Chance … und wir hatten verloren.
Ich klammerte mich an die Hoffnung, während ich in dieser letzten Stunde dort in dem Gebäude stand, wo sich Aktivisten getroffen hatten. Die Hoffnung, dass die Geheimverhandlungen einiger weniger Individuen zum Schicksal unseres Planeten etwas mehr als ein reines Scheitern bewirken könnten. Doch die Stille im Raum lehrte mich allmählich etwas anderes. Die Hoffnung war nur noch ein ferner Traum.
Ich dachte an meinen Vater und hatte das Gefühl, ihn am allermeisten enttäuscht zu haben. Fünf Jahre zuvor befand ich mich in einem Krankenhaus und sah dem Tod ins Antlitz – im Gesicht meines Vaters. Er schwitzte heftig. Dabei lag er einfach da und bewegte sich keinen Zentimeter in seinem Krankenhausbett. Ich konnte das Tuch einfach nicht schnell genug anfeuchten, um seine Stirn abzuwischen. Das waren die letzten Minuten, die ich mit ihm verbrachte. Er starb an einem unheilbaren Krebs.
Es gab noch so viel, das ich ihn fragen wollte, bevor er uns verließ. Ich wollte seinen Öko-Feldzug in die nächste Generation weitertragen, aber ich musste wissen, wie. Doch er konnte kein einziges Wort zu mir sagen. Er war bewusstlos und konnte jede Sekunde wegdämmern. Pausenlos fragte ich mich: Warum er? Warum jetzt?
Sein Name lautete Robert Hunter, und er war nichts weniger als ein Visionär und Anführer. Er war ein unbesungener Held, Mitbegründer und erster Präsident von Greenpeace, gehörte zu einer Gruppe von Individuen, die in den 1970er Jahren die moderne Umweltbewegung initiiert hatten.
Doch für mich war er Dad. Ich pflegte die Schule zu schwänzen, um in der Hütte in seiner Nähe zu sein, wenn er drauflostippte, um seine Bücher und Artikel an der frischen Luft zu verfassen. Wir lagen auf dem Rücken im Gras, plauderten und sahen mit großen Augen in den Himmel, dachten nach über den Kosmos, den Sinn des Lebens und das ungeheure Glück, auf diesem wunderschönen blauen Planeten sein zu dürfen. Er war mein Lehrer, mein Guru, mein bester Freund. Und nun musste er in dem Moment gehen, wo ihn die Erde am meisten brauchte … in dem ich ihn am meisten brauchte.
Und dann kam sein letzter Atemzug. Ein letztes Ausatmen, und alles war vorbei. Es war sein Ende, das Ende unserer Beziehung, das Ende einer Ära.
Ungefähr zu der Zeit, als er krank wurde, schickte mich mein Vater auf meine erste Umwelt-Kampagne. Ich war auf eigene Faust um die Welt gereist, und mich ekelte an, was ich gesehen hatte. Überall erlebte ich dieselbe Geschichte: eine rasche Erschließung, um auf eine ökonomische Dampflok zu springen, die als einziges Ziel ein mysteriöses Fortschrittsland kannte – und das immer auf Kosten der Umwelt und von Menschenleben.
Ich hatte gesehen, wie im chinesischen Guangzhou ein Radfahrer von einem zu schnell fahrenden Lastwagen überrollt wurde, weil er buchstäblich nicht mit dem Entwicklungstempo mithalten konnte. Ich hatte einen der schönsten Plätze auf dieser Welt gesehen: ein Paradies mit Wasserfällen, kristallklarem Wasser und üppigem Leben in allen möglichen Formen auf der thailändischen Insel Phi Phi – und den gleichzeitigen Raubbau durch den Massentourismus. Ich hatte einen permanenten Sonnenuntergang gesehen – am Himmel über dem russischen Irkutsk, verursacht durch den undurchdringlichen Smog. Und ich hatte genug gesehen; ich wollte nicht mehr einfach nur zuschauen.
Da er wusste, dass ich darauf brannte, zu kämpfen, kaufte mir mein Vater eine Karte für die einfache Fahrt an die kanadische Westküste, damit ich an Bord des Schiffes seines alten Kumpels Paul Watson gehen konnte. Pauls Schiff war die MV Farley Mowat. Von diesem schlichten Boot aus führte er seine Organisation Sea Shepherd. Die Farley, wie ich sie alsbald nannte, sah aus, als würde sie jeden Moment auseinanderbrechen, doch just dieses Schiff hatte zum Ruf der Organisation als Piraten der Meere beigetragen. Die Sea-Shepherd-Mitglieder, die berüchtigt dafür waren, andere Schiffe zu rammen, und auch schon als Geiseln genommen worden waren, hatten zahllose Leben im Meer, von Walen und Delphinen bis hin zu Thunfischen, gerettet. Allerdings hatte es in den letzten Jahren kaum Sea-Shepherd-»Aktivitäten« gegeben, so dass ich nicht viel erwartete. Ganz sicher versprach ich mir nicht viel als Crew-Mitglied.
Ich bin umgeben von älteren Hippies aufgewachsen, Freunden meiner Eltern, die von den »glorreichen Zeiten« der Umweltbewegung in den siebziger Jahren schwärmten, als wären das vergangene, grandiose Ereignisse, die nie wiederkommen würden. Ich erwartete, dass es sich bei den Sea-Shepherd-Aktivisten um ähnliche Althippies handeln würde. Doch das Gegenteil war der Fall, wie ich verblüfft feststellen musste: junge, mutige, temperamentvolle, risikobereite Menschen, die so viel Leidenschaft und innere Überzeugung besaßen, dass sie Gandhi zu Tränen gerührt hätten.
Einer der Ersten, der mir an Bord begegnete, war Peter Hammarstedt, ein Schwede, der mich wahrscheinlich am meisten inspiriert hat. Er war jünger als ich (und ich war damals 19!) und hatte bereits in vorderster Front für den Schutz wilder Büffel gekämpft. Im Lauf der Zeit sollte er (zahllose Male) verhaftet werden, wegen seines Kampfes für die Robben schlussendlich aus Kanada ausgewiesen werden und sich im Rahmen der Kampagnen zur Rettung der Wale zum jüngsten Ersten Offizier von Sea Shepherd hocharbeiten. Trotz seines Auftretens als harter Kerl und seines militanten Veganismus, die manch einen verschrecken konnten, war er humaner als jeder andere meiner Generation, den ich kenne. Er war ein Krieger, aber er hatte einen weichen Kern und ein wunderbares Herz. Er zeigte mir das Potential, das unserer Generation wirklich innewohnt.
Im Rahmen dieser Kampagne fuhren wir von Kanada zu den Galápagos-Inseln. Die majestätischen Galápagos-Inseln gehören zu den letzten Orten auf der Erde, die noch weitgehend intakt sind, und es gibt hier an Land wie im Meer Arten, die nirgendwo sonst zu finden sind. Kapitän Watson wollte sie vor dem zerstörerischen Zugriff der Menschen schützen.
Ich erinnere mich, wie ich die Vulkaninseln zum ersten Mal erblickte, ihre üppige grüne Vegetation, das Gewimmel des Lebens in ihren Gewässern. Und da stand ich, unsicher über mich selbst und darüber, was ich hier tat. Ich brannte darauf, etwas zu tun, wusste aber weder, was das hier auf den Galápagos-Inseln sein noch was ich auf der Sea Shepherd tun könnte, denn ich hatte keine seemännischen Fähigkeiten. Doch ich sollte schon bald Arbeit zugeteilt bekommen.
Wir hatten kostbare Fracht zum Kastrieren und Sterilisieren für die Tierärzte der Inseln an Bord, da fremde Arten wie z.B. Hunde die einheimischen auszulöschen drohten. Anschließend patrouillierten wir wochenlang zwischen den Inseln und sorgten für das Aufbringen dreier illegaler Fischerboote, deren Koordinaten wir der Marine meldeten. Und just als sich die Kampagne dem Ende zuzuneigen schien, kam plötzlich die heiße Phase.
Zwischen den Fischern und den Naturschützern hatten auf den Inseln immer Spannungen bestanden, aber die neuen Forderungen der Fischer waren geradezu obszön. Auf Galápagos herrschte ein »Goldrausch« nach Seegurken, weil auf den asiatischen Märkten für jedes Exemplar ein schönes Sümmchen gezahlt wurde. Zuvor waren vom Galápagos National Park Fangquoten ausgegeben worden, die die Zahl limitierten, doch jetzt wollten die Fischer eine Freigabe der Seegurken. Und wer weiß, was als Nächstes drangekommen wäre. Da sich nur wenige dagegen zu wehren schienen, beschlossen wir zu intervenieren.
Ich sprang mit fünf männlichen Crewmitgliedern in ein Zodiac, einen schnellen Schlauchboottyp, den Aktivisten häufig benutzen, und wir fuhren zur Forschungsstation, wo die Fischer ihren Protest abhielten. Sie hatten rundum Stacheldraht angebracht und alle Anlegestellen blockiert – bis auf die eine, die wir benutzten. Wir sprangen aus dem Boot und kamen mitten in eine Schlacht, auf der einen Seite die mit Gewehren bewaffnete Marine, auf der anderen die Fischer mit Molotowcocktails und Eisenstangen. Bislang waren die Waffen nicht eingesetzt worden, doch die Spannung stieg, und wir sorgten nicht gerade für Beruhigung.
Wir bezogen sofort Stellung, hinter uns die Marine, vor uns die Forschungsstation, wo sich die Wissenschaftler und die Park-Ranger befanden. Ich war die einzige Frau unter den Beteiligten, das war belebend, aber auch ein wenig beängstigend. Die Männer kamen zentimeterdicht an mich heran, machten anzügliche Gesten und hielten ihre Waffen vor mein Gesicht. Alex Cornelissen, der Leiter unserer Gruppe, sagte mir, ich sollte still sein und einfach meine Stellung halten. Auch wenn ich ihnen gern meine Meinung kundgetan hätte, dachte ich an meinen Vater, der zu sagen pflegte: »Nie die Contenance verlieren!«
In diesem Augenblick erwachte viel von dem, was mir mein Vater im Lauf der Jahre gesagt hatte, zum Leben. Doch was meinen Herzschlag erhöhte, meinen Puls beschleunigte und meinen Kopf zum Schwitzen brachte, war nicht bloß das Adrenalin der Aktion, sondern auch die Erkenntnis, dass es sich hier nicht mehr bloß um die alten Geschichten handelte. Dies war eine neue Geschichte, die wir schrieben – die Geschichte meiner Generation. Es war der Zündfunke einer neuen Bewegung. Allein die Vorstellung ließ mich beinahe in Freudengeschrei ausbrechen. Aber ich wusste, dass ich den Mund und meine Stellung halten und grimmig aussehen musste. Nicht zu lächeln fiel mir in diesem Moment am schwersten.
Genau dann befahl mir Alex, in die Forschungsstation zu laufen. Ich dachte, wir würden uns neu formieren, aber nun erfuhr ich, dass die Marine uns nicht an der Front sehen wollte, denn sie waren der Meinung, wir würden die Fischer provozieren. Wir, die wir keine Waffen hatten und friedlich dort standen, sollten provozieren? Ha! Warum werden Aktivisten immer wie Kriminelle behandelt, während die wahren Verbrecher wie VIPS hofiert werden? Natürlich hielt ich die Fischer selbst nicht für kriminell – das waren die internationalen Konzerne, für die sie arbeiteten –, aber sie waren Agenten in diesem Krieg und hatten schließlich Partei ergriffen. Eine Partei, gegen die ich kämpfen wollte, egal, was passierte.
Binnen Minuten wurde aus dem Rückzug in das Gebäude eine Geiselnahme. Trotz der Anwesenheit der Marine umzingelten die Fischer das Gebäude, und niemand konnte heraus: kein Wissenschaftler, kein Park-Ranger, keiner von uns. Ich saß dort auf dem Boden, starrte die unglücklichen Leute um mich herum an und wusste, dass kein Mensch erfahren würde, was in diesem Winkel der Welt passierte. Doch ich war überzeugt, dass ein Baum, der gefällt wird, ohne dass es jemand hört, nicht wirklich gefällt worden ist. Und da uns, ähnlich wie im Gefängnis, nur ein Anruf erlaubt war, tätigte ich genau den Anruf, der die Geschichte in die Nachrichten bringen würde: Ich rief meinen Vater an. Er war nach seiner Greenpeace-Zeit zum führenden Umweltjournalisten in Kanada geworden – und an diesem Abend stand seine einstündige Talkshow auf dem Programm. Ich wusste, dass er die Geschichte lieben würde. Also rief ich ihn an.
»Hallo Dad … ich bin eine Geisel«, fiel ich mit der Tür ins Haus.
»Was? Was zum Teufel ist da los?«, erwiderte er.
Ich erklärte, in welchem Schlamassel wir uns befanden. Als Journalist und Kenner der Öko-Medienszene riss ihn die Meldung vom Stuhl, doch als Vater fürchtete er um sein »kleines Mädchen«.
»Jetzt mal im Ernst. Bist du okay?«, fragte er mit leichter Panik in der Stimme.
Ich erklärte ihm, dass alles in Ordnung sei, trotz der Molotowcocktails da draußen. Aber ich wüsste nicht weiter. Wir machten das Interview zwanzig Minuten später live in seiner Show. Ich brachte Paul, Alex und mich selbst in die Sendung. Die Neuigkeit verbreitete sich, und nach dem Interview telefonierten wir erneut. Er sei stolzgeschwellt, erklärte er mir, aber der Vater in ihm wollte, dass ich absolut kein Risiko einging.
»Deine Mutter wird stinksauer auf mich sein«, beendete er das Gespräch.
Zwei Stunden später waren wir alle frei und unversehrt.
Ich erinnere mich, dass ich am nächsten Morgen in den Spiegel schaute und mein Gesicht lange und genau studierte. Es sah ein wenig anders aus. Nachdem ich 19 Jahre lang nicht gewusst hatte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, hatte es plötzlich einen Sinn, und den konnte ich in meinen Augen sehen. Ich wollte bis zum Ende meines Lebens eine Öko-Scheiß-Aufrührerin sein. Wir mögen die Schlacht um die Seegurken nicht gewonnen haben – im Öko-Krieg sind Siege eben selten –, aber der Anfang einer neuen Bewegung war gemacht. Sie begann genau hier mit der jungen Mannschaft von Sea-Shepherd-Aktivisten.
Jahre danach konnte ich das Anwachsen der Bewegung beobachten und auch mein Wachsen als Aktivistin. Ich ging mit Sea Shepherd in die Antarktis, um Wale zu retten. Mehrere Jahre lang war ich zusammen mit vielen jungen Leuten aus der ganzen Welt Teil einer Mission, bei der über 1000 Wale gerettet wurden. Später kämpfte ich gegen die Teersandausbeutung in Kanada, ein mit hohen CO2-Emissionen behaftetes Ölgewinnungsprojekt, das die Narbe ist, die Kanada der Erde beigebracht hat. Ich traf viele neue Aktivistengruppierungen, darunter Gemeinschaften der amerikanischen Ureinwohner, deren Projekte bereits auf dem Weg waren und die dabei waren, persönlich gegen den langsamen industriellen Genozid, dem ihre Heimat ausgesetzt ist, anzukämpfen. Und während meiner Reisen, bei denen ich die neue Generation der Bewegung kennenlernte, bekam auch mein persönlicher Aktivismus eine neue Form, der einer Art Öko-Medienkriegerin.
Wo immer ich hinkam, arbeitete ich mit den Mainstream-Medien, hielt jedwede Umweltgeschichte fest, deren ich habhaft werden konnte, und zeigte den Massen den Kampf der Bewegung. Die Kamera hat revolutionäres Potential. Das begann ich auf den Galápagos-Inseln zu begreifen, und es verfestigte sich im Lauf der Jahre. Ich war davon überzeugt, dass Umwelt-Nachrichten mitten aus dem Kampfgeschehen den Menschen eine Welt offenlegen würde, von deren Existenz viele gar nichts wussten. Für mich war das einfach guter Journalismus und effektiver Aktivismus. Daher war ich nach Kopenhagen gekommen, um die größte Geschichte von allen zu schreiben, denn hier handelte es sich zweifellos um die größte Schlacht dieser Generation bislang. Aber würde sie genügen?
Als ich in Dänemark aus dem Flugzeug hüpfte, strahlte ich. Auf den Fluren des Flughafens hingen dicht an dicht Plakate von Greenpeace, WWF und ähnlichen Organisationen, die uns daran erinnerten, was auf dem Spiel stand. Eine bunte Mischung von Individuen bevölkerten die U-Bahnen, von Nonnen im Habit bis zu peruanischen Ureinwohnern in traditioneller Tracht, von Cowboys bis Hippies, von Unternehmensabwicklern bis zu Spitzen-Unterhändlern. Im Stadtzentrum war ein grüner Globus mit einem Durchmesser von fast 20 Metern aufgestellt, der kilometerweit zu sehen war und auf den Fotos der Erde projiziert wurden. Unter dem Titel »Kopenhagen Live« fand ein Konzert statt, bei dem Unternehmen wie Coca-Cola »Hoffnung« in Flaschen verkauften und bei dem die ignorante Masse tanzte. Es war ein Klima-Zirkus, und das Gefühl, schrecklich allein zu sein, machte sich erstmals in mir breit.
Jeder hier hatte ein Ziel, eine Mission, eine Gruppe von Leuten, mit der er hier war. Entweder gehörte man zu einer gemeinnützigen Organisation, einem Wissenschaftlergremium oder einer Art von Regierungsgruppe – oder man war im Weg. Jedenfalls fühlte es sich so an. Obwohl ich wenige Tage vor meinem Flug mein Engagement und meinen Partner bei den Medien verloren hatte, hatte ich beschlossen, trotzdem nach Kopenhagen zu kommen, um bei diesem entscheidenden Moment in der Saga über die Rettung des Planeten anwesend zu sein. Und noch entschlossener war ich, hier einen Auftrag wahrzunehmen, auch wenn das bedeutete, dass ich ganz allein auf mich gestellt war.
In meiner Verzweiflung klammerte ich mich an die Möglichkeit, als Volontär-Korrespondentin für die kanadischen MTV News zu agieren. Ich würde über den Kopenhagener Gipfel berichten, die Jugend zu Hause für eine der wichtigsten Angelegenheiten begeistern und vielleicht sogar andere animieren, sich zu engagieren. Diese Berichte wären ein Fenster zur Welt von ansonsten unerreichbaren jungen Menschen. Ein besseres Engagement hätte ich gar nicht bekommen können.
Der einzige Haken war, dass ich alles selbst machen musste. Ich war meine eigene Kamerafrau, Reporterin, Herausgeberin und Technikerin. Ich musste meine Beiträge durch den Cyberspace und zurück schicken, so dass sie rechtzeitig zu den 6-Uhr-Nachrichten desselben Tages in Toronto waren. Kurze Nächte und wenig Schlaf lagen vor mir, aber das kannte ich von früher und würde ich auch wieder aushalten. Worauf ich nicht vorbereitet war, war das, was im Zentrum des Gipfels ablaufen sollte.
Bereits während der ersten Gipfeltage drang ein internes Papier mit dem Titel »Danish Text« an die Öffentlichkeit, das die Ungleichheiten des Gipfels deutlich machte, bevor er noch richtig begonnen hatte. Es handelte sich um einen Entwurf der acht Industrieländer, die den Gipfel vom Hinterzimmer aus bestimmten und die multilaterale Veranstaltung der UN zur Farce machten. Im Wesentlichen war es ein Verhandlungsfahrplan, der die Rahmenbedingungen setzte, um die besonders verwundbaren Nationen – Inselstaaten und Entwicklungsländer – de facto auszuklammern. Jene, die am stärksten betroffen sein würden, am wenigsten verantwortlich waren und die ehrgeizigsten Ziele setzen wollten.
Als Reaktion auf den »Danish Text« verließ der Chefunterhändler der Gruppe der 77, Lumumba Stanislaus Di-Aping, in der ersten Woche unter Protest die Konferenz. Als Vertreter von mittlerweile über hundert Entwicklungsländern, die sich ausgebootet fühlten, brachte er die Verhandlungen zeitweilig zum Stillstand. Trotzdem setzte sich das Ausklammern in der zweiten Woche fort. Mit dem Eintreffen der Staatschefs stiegen die Sicherheitsvorkehrungen, so dass Tausende von Mitgliedern akkreditierter NGOS von den Verhandlungen ausgeschlossen wurden. Am Ende der Woche durften nur noch 300 der 24 000 anwesenden Zivilpersonen teilnehmen.
Ich stand ebenso vor verschlossenen Toren, und mir war klar, dass es sich nicht nur um eine Sicherheitsmaßnahme handelte, sondern um den Versuch, die Beteiligung der Öffentlichkeit abzuwürgen. Clive Tesar, einer meiner Freunde, der für den WWF arbeitete, formulierte es so: »Schließt man die Zivilgesellschaft aus, nimmt das dem Prozess vor allem die Leidenschaft und die Grundlage.«
Auch die Medien wurden immer mehr ausgeschlossen. Wie bei Orwell wurden »rote Zonen« eingerichtet, die festlegten, wann und wo welche Reporter was berichten durften. Somit bestand für den Gipfel im Wesentlichen Zensur, und das, wo es dringend nötig war, die Abmachungen zu hinterfragen. In den letzten Tagen drang ein UN-Papier an die Öffentlichkeit, das aufzeigte, dass der Klimavorschlag, der auf dem Tisch lag, einen Temperaturanstieg von 3 °C bedeutete, also weit entfernt von den 2 °C war, die Wissenschaftler für vertretbar hielten. Eine Abmachung, die buchstäblich garantierte, dass der Planet gekocht wurde.
Dann kam der letzte Tag, der Obama-Tag, der Tag, an dem die Vereinigten Staaten der Welt ihre Klimavorkehrungen verkünden wollten. Das war der Moment, der über Bestehen oder Untergehen entscheiden würde. Es schien, als würden alle den Atem anhalten. Dies hätte der Moment sein können, der den Verhandlungen eine neue Richtung gegeben hätte – wenn nicht einige wenige Senatoren die Politik in den USA eingefroren hätten. Stattdessen kam eine weitere inhaltslose, geschliffene Rede.
Manche sind der Meinung, dass Obama danach versuchte, die Scherben des gescheiterten Gipfels zu kitten, indem er sich hinter verschlossenen Türen mit China, Indien, Südafrika und Brasilien – der BASIC-Gruppe – traf, um ein Geheimabkommen mit einigen der größten Umweltverschmutzer zu erreichen. Anderen erscheint dies lediglich als die Umsetzung des »Danish Text«, eine gut organisierte Generalprobe, bei der die Hauptakteure auf der Bühne standen und die meisten Staatschefs und Völker der Welt nichts zu sagen hatten und die stattdessen den Hauptverursachern erlaubte, das Schicksal unseres Planeten ihren Eigeninteressen unterzuordnen. Für mich hätte es nur schlimmer kommen können, wenn sich ein Schwarzes Loch aufgetan und das Universum auf der Stelle verschlungen hätte.
Ich befand mich im Aktivisten-Zentrum, geschlagen, am ganzen Leib zitternd und bebend. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt, dass der Gipfel den Bach hinuntergegangen war, aber ich wollte das nicht laut sagen. Stattdessen waberten Selbstmordphantasien durch mein Hirn. Ich weiß, das klingt sehr dramatisch, aber für mich bestand kein Unterschied. Für niemanden von uns bestand einer. Trotz aller guten Absichten, trotz der ganzen Arbeit, trotz der Jahre, die wir für diesen Moment geopfert hatten – pfft – alles war weg. Aufgesogen von zwei Wörtern: Copenhagen Accord, die sogenannte Klima-Übereinkunft, die zum beschämenden Scheitern der Konferenz noch Unrecht hinzufügte.
Nach zwei Jahren intensiver Verhandlungen, um den Vertrag in Kraft zu setzen – manche reden sogar von zwölf Jahren Arbeit, weil sie das Kioto-Protokoll 1997 mit einrechnen –, endete das Ganze mit einem geheimen Treffen einiger weniger Staatschefs, die einen Alternativtext formulierten. Ein unverbindlicher Entwurf, der den multilateralen Prozess der UN umging und weit hinter die Forderungen der Wissenschaftler zurückfiel. Das »bindende, faire und ehrgeizige« Abkommen, das wir gefordert hatten, wurde in keinem Punkt erfüllt. Die Wünsche der Zivilgesellschaft waren so eindeutig, und doch bekamen wir keinen einzigen Wunsch erfüllt. Wenn überhaupt, ebnete der Copenhagen Accord der Klimadiktatur den Weg, wischte die Formulierung eines globalen Vertrags vom Tisch und lieferte die meisten Länder der Gnade der wenigen aus, die vor allem das Problem geschaffen hatten.
Manche sagen vielleicht, der einzige Weg, ein Klimaabkommen zu erreichen, sei, einzig mit den größten Verursachern zu verhandeln, weil die Welt zu dissonant sei, um sich auch nur in einer einzigen Angelegenheit einig zu sein. Da mag etwas Wahres dran sein, aber wenn ich eins weiß, dann ist es das: Wenn es je etwas gab, das uns vereinigt, dann ist es die grundlegende Notwendigkeit zu überleben. In den letzten paar Jahren haben Menschen Grenzen, Trennendes und Meere überwunden, um sich in dieser einen Angelegenheit zusammenzufinden. Das, was viele für unmöglich halten, mag für die Eliten und die Politiker unmöglich sein, doch für uns, die Massen, ist es sehr wohl möglich. Trotz all unserer Differenzen, Einzelinteressen und Kritik untereinander sind wir dabei, uns zu vereinen, uns angesichts des Klimawandels zusammenzufinden. Er ist die Kernfrage für unsere Generation.
Um das zu beweisen, haben sich 4000 Städte aus 128 Ländern mit fast einer Milliarde Einwohner – was beinahe einem Sechstel der Weltbevölkerung entspricht – an der Earth Hour 2010 beteiligt und ihre Lichter ausgeschaltet, um den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Bereits im ersten Jahr hat die 350.org-Bewegung mehr als 5200 Veranstaltungen in über 180 Ländern synchronisiert, um gleichzeitige Klima-Demonstrationen durchzuführen. CNN bezeichnete dies anschließend als »den umfassendsten politischen Aktionstag aller Zeiten«.
In meinem Heimatland Kanada, wo ich die Umweltbewegung für begraben hielt, kamen fast 5000 Menschen zum Power Shift 2009 in die Hauptstadt – eine von jungen Leuten getragene Forderung nach erneuerbaren Energien. In Wirklichkeit hatte sich die Bewegung in die Breite entwickelt und wuchs – wandte sich von Fragen der sozialen Gerechtigkeit und gerechterer Umweltpolitik hin zu den Gründen der Teilnahmslosigkeit. All das geschah, weil uns der Klimawandel in einer Form vereint hat, von der Leute wie mein Vater nur träumen konnten.
Zu sagen, die Welt könne sich nicht in einer Angelegenheit einig werden und die Eliten müssten daher für uns entscheiden, ist deshalb schlicht falsch. Die elitären Machtstrukturen haben das Problem in die Welt gebracht, nicht seine Lösung. Die einzige Frage ist, ob die Massen die Tyrannei der Eliten vor Ablaufen unserer hausgemachten Apokalypse vereiteln können. Ich denke, das wird nur die Zeit erweisen; nur die Ausbreitung/Verbreitung dieser Revolution – und ich meine hier Revolution wörtlich – kann uns retten.
Wenige Tage vor dem kläglichen Ende des Klimagipfels beschloss ich, etwas zu unternehmen. Statt selbstgefällig das langsame Sterben der Verhandlungen zu beobachten, wollte ich mich gegen die Tyrannen der Eliten erheben. Ich schnappte mir meine Kamera, um die Aktion zu dokumentieren, an der ich mich beteiligen wollte, und einen Schokoriegel, um meine gute Laune zu erhalten.
Es war einer der üblichen verregneten, eiskalten Morgen in Kopenhagen. Ich war auf Randale aus. In den frühen Morgenstunden hielt ich nach Treffpunkten in der Stadt Ausschau, wo viele Aktivisten und wenige Polizisten zu finden waren, weil mir bekannt war, dass Verhaftungen geplant waren. Ich traf mich mit Dave Vasey, einem kanadischen Anti-Teersand-Aktivisten, den ich in Kopenhagen kennengelernt hatte, und wir beschlossen, an diesem Tag beisammen zu bleiben, so dass zumindest eine Person Bescheid wusste, wenn einer von uns festgenommen und ins Gefängnis gebracht würde.
Während wir vor einer U-Bahn-Station auf das Erscheinen einer ausreichend großen Anzahl von Demonstranten warteten, bemerkten wir plötzlich, dass sich die Polizei zum Zuschlagen bereitmachte. Wir informierten andere Aktivisten, glitten an den Zuschauern vorbei und gelangten auf eine leere Schnellstraße. Der Verhaftung knapp entronnen, verliefen wir uns auf dem endlosen Betonstreifen. Wir wussten nicht, wohin wir gehen sollten. Dave startete einen Rundruf mit seinem Handy und erfuhr alsbald von einer Stelle, an der sich eine genügend große Menge Aktivisten den Weg zum Konferenzbereich bahnte. Wir kletterten über einen Zaun und rannten los.
Ehe ich mich versah, hatten Dave und ich uns bei völlig Fremden eingehakt, und wir bildeten einen Block von über 4000 Aktivisten. Die Polizei hatte schon die anderen drei Aktivisten-Blöcke gesprengt. Jetzt war es fast Mittag, und unser Block war bis dicht vor das Konferenzgelände gelangt. Wir mussten nur noch eine Polizeikette überwinden. Wir schafften es. Schiebend und drückend durchbrachen wir die Polizeibarrikade und drängten auf eine Brücke vor dem Konferenzzentrum. Nur wenige wurden verhaftet.
Wir waren genau dort, wo wir hin wollten, obwohl die meisten von uns nicht geglaubt hätten, dass wir das schaffen würden. Da standen wir also, direkt vor dem Konferenzzentrum. Um dort zu bleiben, durften wir nicht weichen. Wir alle wurden zu einer Mauer, die die Polizisten fernhielt, damit wir drinblieben. Dave und ich waren mittendrin. Zuerst war das belebend, als das Schieben jedoch zum Stoßen wurde, schoben wir zurück, schoben und schoben, um unsere Stellung zu halten. Allerdings wurde es zwischen den Aktivisten immer enger. Mein Körper, mein Brustkorb, meine Lungen wurden zusammengedrückt, sogar flachgepresst, bis ich kaum noch atmen und niemandem mehr oben auf den Kopf sehen konnte. Ich fühlte mich wie ein Teenager im Moshpit eines Rockkonzerts. Dave sah mich und zog mich weg.
Wir wichen aus und gerieten dabei bloß in die vorderste Reihe. Während ich dort stand, nach Luft schnappte und mich zu orientieren suchte, hakten mich sofort wieder Menschen aus aller Welt unter. Menschen, die für verschiedene Ziele kämpften, aber in diesem Moment vereint waren, Menschen, die das Gesicht einer neuen Bewegung waren, Menschen, neben denen ich gern und voller Stolz stand. Doch als ich da in vorderster Front stand, wieder den Mund und meine Stellung hielt und wieder versuchte, gegenüber den wütenden Männern vor mir, diesmal Polizisten, grimmig auszusehen, musste ich daran denken, dass in einem Krieg dies der Moment war, wo die Soldaten üblicherweise getötet wurden.