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Das Titelbild steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches.

eBook-Ausgabe 08/2015
© Carl Stephenson Verlag GmbH & Co. KG,
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eISBN 9783798605473

Inhalt

Prolog

Schlag um Schlag

Prolog

Wie schon bei meinem ersten Buch handelt es sich auch hier um Texte, die sadomasochistische Sexualität darstellen. Mein Anliegen ist es, das sexuelle Empfinden des Menschen als integralen Bestandteil seiner Psyche aufzuzeigen, welcher sich nicht losgelöst von seiner Gesamtpersönlichkeit und seinem soziokulturellen Hintergrund betrachten lässt. Aus diesem Grunde bin ich in meinen drei Bänden sehr intensiv auf den Lebenshintergrund und die Geschichte der jeweiligen Figuren eingegangen. Es kommen teilweise Szenen vor, welche in der Kindheit spielen, und ich bin mir absolut bewusst, wie heikel die Darstellung derartiger Inhalte ist; ich habe mich bemüht, alles zu vermeiden, was in irgendeiner Form auf einen Missbrauch hindeuten könnte. Aus zahlreichen Unterhaltungen mit älteren und teilweise auch gleichaltrigen Menschen habe ich erfahren, dass Dinge, wie sie an einigen Stellen hier beschrieben werden, sich, vor allem in der schon ferneren Vergangenheit, durchaus so zugetragen haben. Selbstverständlich sind meine Bücher kein Plädoyer für die Anwendung der Prügelstrafe, und ich habe mich bemüht das hinreichend zum Ausdruck zu bringen. Die entsprechenden Szenen sind um des angestrebten Gesamtbildes willen mit eingefügt, und sie sollen eine Vergangenheit wiedergeben, so wie sie war und wie sie in so manch einer Erinnerung noch immer gegenwärtig ist. In meinen Texten wird der Sadomasochismus und insbesondere der Flagellantismus als bereichernde Liebesform zwischen erwachsenen Menschen im gegenseitigen Einvernehmen dargestellt. Ich habe bewusst auf Skandale und Ausschreitungen, wie sie leider häufig in erotischer Literatur dargestellt werden, verzichtet, denn es ist mein Wunsch und Anliegen, neben der Unterhaltung und dem Lesevergnügen der Sexualität den Makel des Schmutzigen und Primitiven zu nehmen und den im allgemeinen Bewusstsein kaum verankerten Begriff der Paraphilie zu verdeutlichen; gleichzeitig jedoch habe ich Gefahren und Risiken, wie sie in SM-Beziehungen grundsätzlich stecken, in den Bänden mitbehandelt, um sie nicht unter den Teppich zu kehren und nicht zu verleugnen. Es ist leider so, dass in den Medien häufig verbrecherische, amoralische und ungezügelte Ausschreitungen und gepflegter, kultivierter S/M, welchen ich als eine Kunstform sehe, in einen Topf geworfen werden. Mein Anliegen ist es, zwischen diesen ganz und gar verschiedenen Paar Schuhen streng zu unterscheiden und das Verständnis beim Leser, möglichst bei der breiten Masse, zu wecken. Bewusst habe ich meine Charaktere als Menschen mit Bildung, Kultur und Format dargestellt, denn diese Dinge sind Voraussetzungen für das Gelingen komplexer, erfüllender und bereichernder Beziehungen, in denen die Betreffenden sich gegenseitig tolerieren und aneinander wachsen. Die Anspielungen auf Künstlerisches und die metaphorischen Bilder sollen die sexuellen Wünsche und Handlungen als primär seelische Anliegen erkennen lassen. Vor allem habe ich mich bemüht darzustellen, in welchem Maße unsere erotischen Empfindungen unterschwellig und oft auch unbewusst sind, an Situationen gebunden, die keinen offensichtlich sexuellen Charakter zu besitzen scheinen oder diesen verleugnen, wie es besonders häufig, aber nicht nur dort, bei inzestuösen Wünschen der Fall ist. Ich möchte damit auch verdeutlichen, wie vielseitig die menschliche Sexualität ist und wie erheblich die individuellen Unterschiede in der Empfindung und Wahrnehmung sind, wie schwierig es ist, Sexuelles als solches zu definieren, denn es geht weit, weit über den gewöhnlichen Koitus hinaus und ist eine Frage der individuellen Veranlagung und Neigung. Das Sexuelle geht nahtlos in alle anderen Aspekte des Lebens über und ist von diesen nicht zu trennen. Um das zu verdeutlichen, hat meine Trilogie den Anstrich einer Familiensaga, eines gewöhnlichen Romans. Sie soll neben einem erotischen Werk ein ganz normales Buch sein, in dem die diversen gewöhnlichen und ungewöhnlichen Ausdrucksformen der Liebe als beglückend und bereichernd auftreten, unbelastet von dem Makel des Perversen, Krankhaften, welcher ihnen leider unangemessenerweise oft anlastet.


Valerie Morel

Schlag um Schlag

Es tat immer wieder gut, nach Hause zu kommen. Die altvertraute Straße zog sich lang hin, die Laternen spiegelten sich orangefarben auf der feuchten Fahrbahn, ich gab ein wenig Gas, nicht zu viel. Hörbar zischten die Reifen über den Asphalt, während draußen am nebligen Horizont die Lichter unserer Stadt sichtbar wurden. Nur wenige Minuten trennten mich von meiner Familie, und diese Gewissheit erfüllte mich mit freudiger Erwartung. Die Jahre waren rasch ins Land gegangen, nachdem Franziska und ich geheiratet hatten. Karoline, unsere Älteste, die im ersten Jahr unserer Ehe geboren wurde, war vor kurzem fünfzehn Jahre alt geworden. Sie hatte so viel von mir, unter anderem die Hände, die mir bei mir selber stets zu schmal erschienen waren, jedoch bei einem Mädchen wunderbar wirkten, und die braunen Augen, die von meiner Mutter kamen und sich bevorzugt durchzusetzen pflegten in unserer Familie. Insgeheim dachte ich, dass Karoline mit ihrer zierlichen Figur und ihrem vollen, dunkelblonden, lockigen Haar das hübscheste Mädchen weit und breit war. Ich sprach es nie aus. Ich weiß nicht, warum. Es kam mir einfach unangemessen vor. Konrad, unser Sohn, war zwei Jahre jünger und kam äußerlich ganz nach der Mutter. Er hatte nicht die berühmten Peters-Augen, als einziges unserer Kinder nicht, sondern die tiefblauen von seiner Mutter. Er war ein unkomplizierter, fröhlicher Junge, er schaffte es, mich stundenweise all die Verantwortung vergessen zu lassen, die auf meinen Schultern lastete. Kornelia, unsere Jüngste, war ein blasses, stilles Kind, eines von der Sorte, welche man leicht übersah. Gerade einmal eingeschult, war sie schon eine Leseratte, in der Welt der Fiktionen versunken und nur schwer zu erreichen. Franziska war im Grunde dieselbe geblieben, fröhlich, unkompliziert, sie war genauso schön wie damals in jenem heißen Sommer vor sechzehn Jahren, als ich sie zur Frau nahm. Die Geburten hatten an ihrer Figur kaum Spuren hinterlassen, ihr Busen war vielleicht ein wenig voller geworden, insgesamt wirkte sie fraulicher, sehr abgerundet in ihrem Wesen. Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben, gefolgt von unseren Kindern, und nach wie vor die attraktivste und begehrenswerteste Frau für mich. Es gab vieles, was mir wichtig war. Viele Dinge und viele Menschen. Franziska wusste von allem. Ich hielt niemals etwas vor ihr geheim, und die Tatsache, dass sie nicht eifersüchtig reagierte, ließ sie mich dafür noch umso inniger lieben. Im Grunde waren wir eine ganz normale Familie. Ich hatte ein bisschen mehr von gewissen Dingen als der Durchschnittsbürger, aber es waren Dinge, die mich mittrugen im Existenzkampf, der natürlich auch oft anstrengend und aufreibend war. Seit ich einst im Alter von siebenundzwanzig Jahren die Leitung des väterlichen Unternehmens übernommen hatte, lernte ich meines Vaters Lebenswerk von Jahr zu Jahr mehr zu schätzen und war zu einer untrennbaren Einheit mit ihm verwachsen. Es gab so viele Traditionen in unserer Familie, offene und versteckte, die nur die Eingeweihten angingen …

Katzen hatten neun Leben. Ich hatte drei: meinen Beruf, meine Familie und die Welt der Schattenspiele, die mein Dasein von der Alltäglichkeit abhob und ihm eine gewisse Würze verlieh. Nicht nur das. Mehr als das. Ich fuhr die Auffahrt hinauf, der Kies knirschte, als ich den Wagen zum Stillstand brachte. Die Haustür war beleuchtet, die Mücken tanzten um die gusseisernen Laternen im stark gestreuten Licht des dunstigen Abends. Der charakteristische Duft meines Zuhauses begrüßte mich. Jedes Haus hatte seinen eigenen, einzigartigen Geruch. Immer wieder anders, man nahm ihn nur kurz wahr, wenn man kam, und dann gewöhnte man sich sehr schnell daran. Man brauchte Abstand zu den Dingen, die man liebte, um sie auf Dauer genießen zu können. Das Leben war ein aufregendes Wechselspiel von Distanz und Nähe, wenn ich von einer meiner Welten in die andere reiste. Franziska stand am Herd, die weißen, zur Schleife gebundenen Bänder ihrer Schürze baumelten einladend über den schwarz bekleideten, wunderbaren Rundungen ihres Weiberpos. Ich stellte mir vor, wie ich an diesen Bändern zog, ihre Kleidung sich löste und zu Boden fiel, während sie sich langsam zu mir umdrehte …

„Guten Abend.“ Die Haut ihrer Wangen war sanft und duftig, vertraut wie eh und je, ihr warmer Atem streifte meine Halsmulde, feucht und erregend, wie er es stets getan hatte in all den Jahren unseres gemeinsamen Lebens. Die zwei Großen hingen vor dem Fernseher, dessen leises Geplätscher durch die angelehnten Türen zu mir drang. „Hinauf mit euch!“, befahl ich nach einer kurzen Begrüßung, meine Worte klangen kameradschaftlich und entschieden zugleich, die beiden verkrümelten sich nach oben in ihre Zimmer. Ich war kein Patriarch in dem Sinne, wie mein eigener Vater es gewesen war, und dennoch war ich alles andere als antiautoritär. Jede Gemeinschaft brauchte Regeln, und wenn es sein musste, setzte ich sie durch in meiner Familie, und nicht nur dort. „Hubert hat angerufen“, verkündete Franziska, als ich mich ihr gegenüber zu Tische setzte. Hubert Hoffmann war einer unserer langjährigen besonderen Freunde. Er und seine Frau Elisabeth waren einige Jahre älter als wir, die beiden hatten einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen, mich zu dem zu machen, was ich heute war. Ich lächelte. Ich zeigte gerne, dass ich in mancher Beziehung ein wenig mehr besaß als die überwältigende Mehrheit meiner Zeitgenossen, doch die Tatsache, dass ich erheblich mehr mein Eigen nannte, behielt ich wohlweislich für mich, teilte sie lediglich mit meinen engsten Freunden, den Eingeweihten jenes exklusiven Zirkels, dessen Mitgliedschaft der auf den ersten Blick unauffällige Siegelring an meiner linken Hand bezeugte. „Fahren wir auf einen Sprung hinüber“, schlug ich vor, Franziska hatte nichts dagegen einzuwenden. Ich ging noch nach den Kindern sehen, bevor wir aufbrachen. Die Jüngste schlief, ihr mittelblondes Haar verdeckte ihr kleines Gesicht wie ein Vorhang. In ihrer bunten Kinderwelt herrschte eine beinahe unnatürliche Aufgeräumtheit, die mich immer an meine Mutter denken ließ, die schon lange nicht mehr unter uns weilte. Es war, als ob ein Stück von ihr hier weiterlebte. Vorsichtig strich ich das dichte, volle Haar zurück und hörte das beinahe lautlose Atmen des Kindes in der gedämpften Stille des fortgeschrittenen Abends. Leise schloss ich die Tür hinter mir. Karoline kicherte am Telefon, Konrad schaute gebannt auf den Bildschirm seines Computers. „Ihr beiden geht nicht mehr aus. Punkt 22 Uhr: Zapfenstreich!“ „Jawohl, Papa.“ Meine Kinder hörten auf mich, weil sie mich respektierten, nicht weil sie mich fürchteten. Überall respektierte man einander in unserem Umfeld, auch da, wo es dem naiven, außenstehenden Beobachter auf den ersten Blick vielleicht ganz anders vorkommen mochte. Ich umarmte die beiden zum Abschied, ganz kurz nur, wie eine Andeutung eher. Ich erlebte so wenig von ihnen, jede Minute war kostbar, jeder Augenblick. Was blieb, war das Gefühl von Karolines Lippen, die meine Wange streiften, für einen winzigen Moment, wie beiläufig fast. Ich kostete es aus. Dann ging ich hinunter. Franziska hatte sich in den Minuten, die verstrichen waren, metamorphoseartig verändert. Gezielte, gekonnte Pinselstriche hatten ihr Gesicht verwandelt, ließen sie beinahe wie ein Vamp wirken, obwohl sie andererseits dieselbe geblieben war, die Frau, die ich liebte, zeitlos schön. Die tief ausgeschnittene, violette Seidenbluse, die sie anhatte, hatte ihren Glanz bewahrt, und ich erinnerte mich, wie sie sie trug damals vor über sechzehn Jahren bei unseren ersten Treffen, lange bevor wir verheiratet waren. Netzstrümpfe, die eigentlich gewagt waren, ließen sie unendlich aufreizend erscheinen. Das Blut pulsierte durch meinen Körper, das kalte, künstliche Licht der Badezimmerlampe erwachte zum Leben. Das Zischen des gläsernen Parfüm-Flakons durchschnitt die Stille, der süßliche Blütenduft, von dem ich wusste, dass er verfliegen würde wie alles Prätentiöse, zog mir in die Nase. „Ich bin so weit.“ Franziska verschloss mit einem dezenten Geräusch ihren Lippenstift, und bevor sie sich vom Anblick ihres Spiegelbildes löste, ergriff ich sie bei den Schultern und drehte sie zu mir herum. Die hohen Absätze, die sie trug, brachten sie beinahe auf meine Höhe. Beinahe. Nicht ganz. Noch immer schaute sie zu mir auf, und das war gut so. Gebannt sah ich dem Wechselspiel ihrer Pupillen zu, deren Durchmesser sich beständig veränderte. Ich war stolz auf die Trophäe, die ich mein Eigen nannte, obwohl ich sie natürlich nicht in dem Sinne besaß wie die materiellen Güter. Es war einfach ein Gedankenspiel, welches mir Spaß machte, uns beiden Spaß machte. Ihr Körper lag nahtlos an meinem. Vorsichtig strichen meine Lippen über die liebliche Landschaft ihres Gesichts, meine Hände krallten sich fest, sehr fest in ihre hinteren Hügel. Ich wusste, dass ich ihr wehtat, ich wusste, dass sie mich gewähren ließ, weil sie es genoss. Ich ließ sie los, sie sog hörbar den Atem ein. Sie hielt die Augen geschlossen, als ich sie auf die Nasenspitze küsste. „Später“, sagte sie dann, und: „Wir müssen aufbrechen.“ Ich freute mich auf später … und ich freute mich auf gleich. Geräuscharm und sanft glitt der Wagen durch die abendlichen Straßen, als in der Ferne die Villa unserer Freunde sichtbar wurde. Wir waren nicht weniger vermögend als die Hoffmanns, doch war es in meiner Familie Tradition, materiellen Reichtum nicht offen zur Schau zu stellen. Ich war aufgewachsen wie andere Kinder meines Jahrgangs, hatte nicht mehr und nicht weniger; dass mein Vater ein vermögender Großunternehmer war, begriff ich mit allen Konsequenzen erst so richtig im Erwachsenenalter, als ich mein Erbe antrat. Es mag seltsam klingen, doch bin ich ihm dankbar für die strenge, spartanische Erziehung, die er mir angedeihen ließ, die mir half, ein bodenständiger Mensch zu bleiben, in der Normalität verhaftet, und trotzdem etwas Besonderes zu sein. Ich lächelte in mich hinein, während ich so in meinen Erinnerungen schwelgte. Wenngleich meine Eltern lange fort waren, lebte ihr Geist weiter in mir, und ich war stolz darauf. Die Auffahrt zum Anwesen war nur für jene Leute auszumachen, die mit den Lageverhältnissen sehr vertraut waren: die engsten Freunde. Ich kurbelte das Seitenfenster herunter, schob die Chipkarte in den im Dunkeln nur schwer auszumachenden Mauerschlitz und das schwere Tor gewährte uns Einlass und schloss sich automatisch hinter uns. Noch immer lag ein serpentinenartiger Auffahrtsweg vor uns, der Minuten währte. Im nebligen Scheinwerferlicht betrachtet, wirkte die parkartige Landschaft gespenstisch. Schlagartig tauchten die marmornen Statuen auf, ihr wächsernes Weiß durchschnitt den Abend, um sodann, gleichermaßen urplötzlich, im Nichts zu verschwinden, wie Halluzinationen, Spukerscheinungen, die keine waren. Bei Tageslicht betrachtet sah das Ganze einfach nur idyllisch aus, nobel, erhaben, hochherrschaftlich. Wir, die wir so manches Mal des Abends auf einen Sprung vorbeikamen, wussten, dass dieses Haus ein Geheimnis barg. Wir wussten es alle, und wir alle genossen dieses Wissen. Die großen, erleuchteten Fenster des Anwesens spiegelten sich im kleinen See, über den tagsüber elegant die Schwäne glitten. Nachts tanzten die Spiegelbilder, führten ihr Eigenleben, wenn der Wind das Wasser kräuselte. In der unmittelbaren Umgebung des Hauses sprangen die Laternen von alleine an, sobald wir uns näherten, waren wie eine Lichterkette, die uns begrüßte. Ich kannte das Haus mit dem vielen hellen Marmor, den goldenen Akzenten an den genau richtigen Stellen, den weinroten Teppichen und Samtvorhängen, den schweren Kronleuchtern und Kerzenständern, nur zu gut. So manche bittersüße Stunde hatte ich als junger Mann hier verbracht, die mir den letzten Schliff gab, das ultimative Stück Erziehung, welches in der Form kein Elternhaus leisten konnte oder gar durfte. Es blieb die Süße, die siegte, weiterlebte als Erinnerung, wie so vieles …

Das goldene Löwengesicht zierte noch immer die dunkle, gusseiserne Haustür. Es hatte nichts von seinem Glanz verloren, ich denke, es wurde genauso sorgsam gepflegt wie so manches andere hier. Es war die Hausherrin persönlich, die uns Einlass gewährte, ohne dass wir Türklopfer oder Klingel hätten betätigen müssen. In den ersten Jahren der Beziehung hatte sich stets Hausmädchen Theresa um meinen Empfang gekümmert, welches heute längst eigener Wege gegangen und aus unserem Leben verschwunden war. Inzwischen war ich aufgestiegen in der Hierarchie unserer Gemeinschaft. Aufgestiegen und doch derselbe geblieben. Die altvertraute Dielenflucht lag in gedämpftem Licht vor uns. Wenn Elisabeth lachte, bildeten sich ein paar kleine Fältchen um ihre Augen herum, stumme Zeugen der Jahre, die vergangen waren. Wenn sie ernst war und man genau hinschaute, vermochte man sie auch zu erkennen, doch musste man schon ganz genau hinsehen. An ihrer Figur hatte sich nichts geändert, eng umfasst von smaragdgrüner Seide stöckelte sie daher, stolz, selbstbewusst und doch nie anmaßend, und ich wusste, dass sie sich selber noch strenger disziplinierte als die, die ihr anvertraut waren beziehungsweise sich ihr anvertrauten. Für einen Moment dachte ich an das Lyzeum, dem sie vorstand, an dem auch meine Schwester Emma unterrichtete und welches unsere Tochter Karoline besuchte. Auch die „Verborgene“ führte dort ihr ganz normales Alltagsleben, sich durch nichts von den anderen unterscheidend, war sie vielleicht lediglich ein wenig verschlossener als ihre Zeitgenossen. Wie stets begrüßte Elisabeth zuerst Franziska. Ich stand in einiger Entfernung daneben und schaute den beiden Frauen zu, die einander um die Wangen griffen, in die Augen sahen, deren Lippen sich berührten, im Kusse vereinigend, bevor sie sich langsam voneinander lösten und Franziska sich uns voran ins Wohnzimmer begab, aus dem leise, vertraute Stimmen zu mir vordrangen, deren Wortlaut ich nicht auszumachen vermochte. Elisabeth wandte sich mir zu. Automatisch senkte ich den Blick vor der Frau, die lange meine Herrin gewesen war und mir, wenn nötig, auch heute noch dann und wann Nachhilfe in gewissen Dingen erteilte. „Mein kleiner Kriecher“, nannte sie mich zärtlich beim Kosenamen vergangener Tage, der alle Intimität und Nähe zwischen uns symbolisierte. In ihren Armen fühlte ich mich wunderbar klein, und diesmal war sie es, die mir schmerzhaft in meine schmalen Hinterbacken kniff. Durch den hauchfeinen Stoff ihrer Bluse konnte ich ein wenig von ihrer Wirbelsäule und ihren Rippen ertasten. Erregung breitete sich in mir aus, ich atmete schwer. Sie schob mich von sich fort, sanft, aber entschieden. „Ungezügelt?“, fragte sie mit leicht geneigtem Kopf und erhob die Hand zum Schlag, den sie nicht ausführte. Noch immer respektierte ich sie uneingeschränkt, und das war es, was sie hatte testen wollen. Lächelnd machte sie auf dem Absatz kehrt, ich folgte ihr in einigem Abstand ins Wohnzimmer. Die Stimmen nahmen Gestalt an. Der große Raum war auffallend aufgeheizt, ich ahnte, dass das gute Gründe hatte. Am großen, schwarzen Konzertflügel, der das Herzstück des Wohnzimmers darstellte, saß meine Schwester Emma und spielte versonnen eine kleine Melodie vor sich hin. Sie war so alt wie Elisabeth, im selben Jahr geboren und ihr und unserer Gemeinschaft eine enge Freundin geworden. Mutter hatte bis zu ihrem Tod bedauert, dass ihre älteste Tochter ledig geblieben war. Wie ich Emma so anschaute, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie unglücklich war. Ihr Gesicht zeigte einen verträumten Ausdruck, ich hatte keinen Zweifel, dass ihr Leben tiefgründig und reichhaltig war wie das meine. Auf dem Sofa lümmelte sich gelassen mein alter Freund Johann. Die Phantasiespiele der Kindheit, die wir einst miteinander ersonnen hatten, waren im Laufe der Jahre zu realen Spielen geworden, irgendwie hatten wir es geschafft, sie in die Wirklichkeit zu holen, ihnen Leben einzuhauchen. Sein kariertes Holzfällerhemd war nicht ganz geschlossen, mehrere Knöpfe standen offen, sein dichtes, gelocktes Brusthaar war zu sehen. Wie zufällig berührten sich unsere Siegelringe beim Gruß, das leise Geräusch durchdrang die Stille, die dem Verklingen von Emmas Klavierspiel gefolgt war. Neben dem Flügel stand ein kleiner, dunkelhaariger Mann, den ich flüchtig kannte. Es war Jürgen Steinert, der ein Schneideratelier leitete, welches hauptsächlich, aber nicht ausschließlich von Mitgliedern des Geheimbundes frequentiert wurde. Ich hatte vor meinem Beitritt in die Gemeinschaft seinem Initiationsritus zugesehen, dem wenig später mein eigener gefolgt war. Alle vier im Raum befindlichen Männer trugen den Siegelring. Eine der anwesenden Frauen trug ein Halsoval …

Sie, die es trug, ahnte nichts von dem geselligen Treiben um sie herum. Ich dachte an das, was hinter dem Vorhang war …

Hubert Hoffmann, der Hausherr, begann zu applaudieren und wir alle fielen mit ein. Emma, die ganz hübsch gespielt hatte, reagierte eher verlegen. „Danke“, sagte sie, den Blick nicht von den Tasten erhebend. Ihre Wangen waren gerötet, als sie hinzusetzte: „Ich bin weiß Gott nicht die beste Pianistin, die wir hier haben.“ Es war keine falsche Bescheidenheit. Es stimmte, was sie sagte. „Bald sind Schulferien“, sprach Elisabeth, die mit einem Tablett voller Appetithappen eingetreten war, „wir sollten das Schätzchen der Nacht noch einmal genießen.“ In den Ferien kam Elisabeths und Huberts Sohn Peter aus dem Internat nach Hause, und man brachte die Unterworfene derweil in der Alten Ruine unter. Ich schaute auf den schweren, lichtundurchlässigen, weinroten Vorhang, der in der dunkelsten und hintersten Nische des geräumigen Wohnzimmers in großen Wellen beinahe bis zum Boden fiel. Ich wusste genau, wie es dahinter „aussah“: stockdunkel und totenstill, abgeschieden von allen weltlichen Dingen bis auf eine solide Belüftungsanlage, die ein leises, monotones Rauschen abgab, welches man nach einer Weile nicht mehr wahrnahm. „Das Kabinett“, wie man die Vorrichtung nannte, wurde seriell in jenem Erziehungsausstatter-Unternehmen gefertigt, welches ich von meinem Vater geerbt hatte, neben anderen, bedeutenden Vermögenswerten. Elisabeth stellte das Tablett geräuschlos auf ein Seitentischchen. Bunte, kleine Plastikpfeile fixierten Oliven und Käsewürfel auf runden Schwarzbrotscheiben. Es war Jürgen, der zuerst zugriff. Als er kaute, schloss er genüsslich die Augen, bevor er das Wort ergriff: „Ich kenne alle unsere Frauen – ihre Körper, ihre Seelen, ihre Eigenarten. Mein Atelier ist ein Vorführstall des Besonderen. Ich verinnerliche das gewisse Etwas der zugerittenen Pferdchen wie andere Leute Geschichtszahlen oder Stadtpläne.“ Er sah uns an, legte den abgeleckten Picker beiseite und setzte hinzu: „Es sind die eher extrem Veranlagten, die es mir angetan haben. Wohl dem, der so ein Mäuschen aufreißt.“ Die Stille, die seinen Worten folgte, hielt uns gefangen wie ein Netz aus Lust, welches von einem unerwarteten, verhaltenen Knall zerrissen wurde. Der Hausherr hatte eine Champagnerflasche geöffnet, aus der eine Spur kostbares Nass als so eben sichtbarer Dunst emporstieg. „Auf das allzu Menschliche, welches hinter den Konventionen des Alltags auf seine Entfesselung lauert.“ Seine Worte waren spontan und gewählt zugleich, bezeichnend für seinen Charakter. Wir stießen an. Es waren nur zwei, drei Schlucke für den Einzelnen, eine Flasche, geteilt durch sieben. Franziska brachte die leeren Gläser in die Küche. Elisabeth machte sich am Eichenschrank zu schaffen, dessen Seitentür sie umständlich aufschloss. Ich sah das Innere, das teilweise mit Samt ausgelegt und teilweise verspiegelt war und automatisch erleuchtet wurde. Sie griff nach einem kleinen Gegenstand und schloss die Tür, bevor sie sich ihren Gästen zuwandte. Am schmalen Zeigefinger ihrer rechten Hand baumelte jener verheißungsvolle silbrige Schlüssel zum ultimativen Hoffmannschen Familiengeheimnis. Wir Gäste standen im Halbkreis um die schöne Gastgeberin herum, und das Ganze ließ mich an eine Sportmannschaft unmittelbar vor Spielbeginn denken. Ihre Blicke streiften uns. Ich merkte, dass sie sich einen aussuchte. Sie wählte immer jemanden aus. Wann immer ihre dunklen Augen mich ansahen, preschte mein Blutdruck spürbar in die Höhe. Sie pflegte das schwere Metall mit ziemlicher Wucht zu werfen, es tat dem Auserwählten jedes Mal weh, mehr oder weniger, ganz schmerzlos gab es das Vergnügen nicht. Es war Johann, der es auffing, mit der linken Hand, blitzschnell reagierend. Er hatte von jeher über ausgezeichnete Instinkte und Reflexe verfügt. Zunächst hatte es ausgesehen, als hätte ein Schuss ihn getroffen, jetzt stand er kerzengerade, sein Gesicht zeigte jene frivole Mischung aus Lächeln und Grinsen, die ich von Kindesbeinen an an ihm kannte. Wir traten ein paar Schritte zurück. Heute war wieder so eine Gelegenheit, wo wir wie ein einziger Organismus agierten. Elisabeth legte den Finger auf die Lippen. Ich wusste um die Bedeutung der Geste: Wir Gäste hatten während der Vorführung zu schweigen. Die Frau, die mit bürgerlichem Namen Helene Schneider hieß, sollte unsere Identitäten nicht an unseren Stimmen erkennen. Sie kannte uns großenteils. Gut sogar. Es ging sie nichts an, wer sich hier mit ihr des Lebens erfreute. Die speziellen Augenbinden, die das Erziehungsausstatter-Unternehmen in beachtlicher Stückzahl anfertigte, sahen aus wie schwarze Skibrillen, zu einhundert Prozent lichtundurchlässig. Sie waren perfekt. Ich wusste es aus eigener Erfahrung. Johann warf mir den Blick der Vertrauten zu, der Bruchteile von Sekunden währte. Dann drehte er sich um und begab sich energischen Schrittes in Richtung des Vorhangs, der die ewige Stille vom Leben abschirmte – noch. Wann immer das Kabinett des Abends geöffnet wurde, kam mir eine morbide Assoziation, die ich niemals aussprach, im Grunde nicht einmal gedanklich in Worte zu kleiden wagte. Ich schämte mich ihrer, doch sie blieb, ließ sich nicht zurückdrängen ins Dunkel des Unbewussten, in welches mit den Jahren mehr und mehr Licht gefallen war. Wenn Helene Schneider aus ihrem bizarren Gefängnis geholt wurde, dachte ich an eine Tote, die, aus ihrem Grab geraubt, von neuem zum Leben erwachte. Sie wirkte auch so, auf den ersten Blick, die Frau der Gegensätze. Tiefschwarz kontrastierten die dicken Lederfesseln, die ihre Hände aneinanderhielten, mit der sehr hellen, wächsernen Haut ihres Körpers. Ich sah, dass sie einen guten Zentimeter Spielraum boten, ohne dass die zarten Hände hindurchgleiten konnten. In ihrer Mitte baumelte eine Kette aus schweren Eisengliedern. Johann, der Bauernsohn, der von Kind an körperliche Schwerstarbeit geleistet hatte, verfügte über beachtliche Muskelkräfte. Er wickelte die grobgliedrige Kette um seine Hand und zog den schlanken Frauenkörper empor, als wiege dieser nicht mehr als ein Beutelchen Daunenfedern. Das dünne Nachthemd der jungen Unterworfenen blieb auf dem Bett zurück wie die abgelegte Haut einer Schlange. Es war ein besonderes Kleidungsstück: Man konnte es trotz der Fesseln problemlos an- und ausziehen. Ihr Zopf hatte sich aufgelöst, das dunkle Haar rann in dichten, vollen Wellen ihren Rücken hinab. Hoch oben in der Zimmerecke befand sich der solide Haken, an dem gewöhnlich die prachtvolle Zimmerpflanze baumelte, die dann und wann, wie heute, einen Ortswechsel brauchte. Johann befestigte die Kette dort, auf dass die Sklavin gerade eben stehen konnte, uns den Rücken zuwendend. Seine schweren Hände strichen das Haar zusammen, um es mit einer gefühlvollen Geste nach vorne über ihre linke Schulter zu streifen. Ich war wieder einmal beeindruckt von der Einfühlsamkeit und Zärtlichkeit meines nach außen hin so derb wirkenden Freundes. Ich kannte ihn: Er liebte die Frauen und das Leben – genau wie ich. Als er zurücktrat, fielen die sieben Blicke auf den Körper, der für die Zimmerecke wie geschaffen zu sein schien. Sie wanderten zeitgleich von oben nach unten oder umgekehrt, trafen sich an jener Stelle, auf die es ankam …

Über Helenes Po liefen fünf rötliche Striemen, weitgehend parallel, aber nicht ganz ohne Überschneidungen. Elisabeth legte den Finger an die Lippen, uns erinnernd, dass wir nicht antworten durften, wenn sie das Wort ergriff. „Helene Schneider“, sagte sie laut mit ruhiger, betonter Stimme, „ist von ihren Eltern ohne Prügelstrafe erzogen worden. Wir hatten einiges nachzuholen bei ihr …“ Ich Kenner der Materie wusste das leichte Zittern der Eckensteherin zu deuten, welches mich selber befiel. Elisabeth sandte ein stummes Signal aus. Ich weiß nicht, wie es funktionierte, es funktionierte einfach, es war, als ob wir als Gruppe eins seien zu jenen besonderen Stunden der Nähe. Ich war der Erste, der vortrat. Ich stand unmittelbar hinter ihr, die in ihren schwarzen Fesseln hing, völlig reglos, wie eine Porzellanpuppe. Ich spürte das kleine bisschen Wärme, welches ihr Körper abgab. Sie hatte einen kühlen Körper, und sie war sehr passiv veranlagt. Insgeheim nannte ich sie die „Königin der Lust“. Passiv. Devot. Beneidenswert ergeben jenen Leuten, die es verdienten. Helene Schneider war einer der wenigen Menschen, die noch mehr aus ihrer Sexualität herausgeholt hatten als ich. Doch mein Neid war frei von Missgunst. Langsam fuhr ich mit der Spitze meines rechten Zeigefingers halsabwärts ihre Wirbelsäule hinunter, Reaktionen durch ihren Körper sendend, die ich mit allen Sinnen wahrnahm. Ich zögerte nur kurz am letzten Wirbel, fuhr weiter in jenen Bereich, auf den wir mehr Rechte hatten als sie und der entsprechend feucht war. Ihre Lust glänzte an meinen Fingern. Ich trat zurück. Ich hatte keinen Zweifel, dass sie mich erkannte. Helene Schneider hatte ein feines Gespür. Sie hatte gelernt keine Miene zu verziehen, war perfekt erzogen worden unter Mathildes Herrschaft in der Alten Ruine. Sechs Jahre lang. Sechs harte, entbehrungsreiche Jahre voller Strenge, in denen ich ihr Pate sein durfte. „Spiel Klavier für uns, meine Kleine“, sprach Elisabeth, nachdem Johann die Eisenkette vom Haken genommen hatte, die nun schwer, sehr schwer an den ausgestreckten Armen der Unterworfenen bis fast zum Boden baumelte, unwillkürlich in langsamen Wellenbewegungen kreisend. Die schwarze Augenbinde ließ die reglose, nackte junge Frau wie ein surrealistisches Kunstwerk wirken. Es war ein Geschöpf, das, bis auf das silbrig-goldene Halsoval, nur aus Schwarz und Weiß bestand, aus Lust und Leid, aus Nähe und Einsamkeit, Genuss und Entsagung, ständig und unvorhersehbar von einem ins andere fallend. Ihre Arme zitterten unter der Last der Kette, als Elisabeth mit einer routinierten Bewegung die Schnallen der Handgelenksfesseln löste. Scheppernd sank das Metall zu Boden, mich an ein erlegtes Tier erinnernd, wie es so dalag im tiefen roten Flausch des Teppichs, reglos in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit.Der Hausherr löste sich aus der Runde, ging auf Helene zu, die die Arme noch immer ausgestreckt hielt, und führte sie zum Klavierhocker, an dem sie wie selbstverständlich Platz nahm, graziös und geschickt, ohne irgendwo anzustoßen. Wir alle wussten: Sie war blinde Vorführungen gewohnt, sie gehörten zu ihren glanzvollsten Dressurnummern. Ihr heller, gestriemter Po sank in das schwarze Leder des Schemels, mich an ein umgekehrtes, seltsames, von Qualen gezeichnetes Herz denken lassend. Elisabeth löschte das Wohnzimmerlicht und entzündete eine dicke, von herabgetropftem Wachs übersäte Kerze. Und dann spielte Helene. Ich habe nie viel von Musik verstanden, immer nur eine begrenzte Beziehung zu ihr gehabt, doch das, was ich hier vernahm, war einfach ein Traum, man brauchte weiß Gott keine Fachkenntnisse um die Exzellenz der Darbietung zu erkennen. Als es verstummte, konnte ich nicht anders als Applaus einzuleiten, in den die anderen Gäste einfielen. Ich sah zu den Herrschaften hinüber: Sie schienen nichts dagegen zu haben. Die Frau am Flügel senkte den blinden Blick. Sie sah glücklich aus, ich konnte den Ausdruck ihres großenteils verdeckten Gesichts im matten Kerzenschein deutlich erkennen. Es war ein stilles, einsames, sonderbares Glück, welches sich auf mich übertrug als eine Mischung aus Schaudern und Wollust. Elisabeth dimmte die Stehlampe herauf, und die Konturen des Raumes nahmen Gestalt an. Der Hausherr ging auf Helene zu, packte sie energisch an den Armen und zog sie vom Hocker. Eine nasse Spur schimmerte auf dem schwarzen Leder der Sitzfläche. Elisabeth fuhr mit einem Tuch darüber. „Unsere Kleine spielt nicht nur ausgezeichnet Klavier“, erklärte Hubert, „sie geht auch perfekt bei Fuß.“ Emma, die sich in den gegebenen Räumlichkeiten gut auskannte, begab sich zum Kabinett. Ihr Körper verschwand bis auf ihre weiß bestrumpften Beine im Dunkeln, bevor sie die lederne Leine mit dem großzügig bemessenen Halsring herbeibrachte. Es war ein metallisches Gebilde zum Aufklappen, welches ohne Probleme über das Oval passte, und ich wusste, dass es schwer wog. Ich kannte das disziplinarische Instrument von der Alten Ruine her, wo es regulär zum Einsatz kam. In dem mittelalterlich wirkenden Gebäude erschien das Relikt vergangener Tage passend und angemessen, hier jedoch, in der behaglichen privaten Umgebung, schockierte es in seiner Andersartigkeit, das Ding, das aus dem Dunkel des Kabinetts kam. „Mach Männchen“, sprach Elisabeth und Helene gehorchte. Ich kannte die Bewegungen in allen Einzelheiten, sie gehörten zum Erziehungsprogramm des Geheimbundes, dessen Dressurstunden ich so manches Mal als anonymer Zuschauer hatte beiwohnen dürfen. Ich dachte an den rauen Stoff der Kutten, die uns Männer zu jenen besonderen Stunden verbargen, uns Anonymität gewährend und völlige Freiheit, denn wir trugen nichts weiter darunter. Die Hände meiner Schwester Emma, die das Eisen um den Hals der Ergebenen legten, waren mir unendlich vertraut. Süße und weniger süße Erfahrungen hatte ich mit ihnen gemacht, doch war ich nur ihr kleiner Bruder gewesen …

Auf dem Flügel lag die Gerte, nach der Emma mit einer Beiläufigkeit griff, als handele es sich um Tafelkreide. Ich kannte das Ding, welches so gemein zog, wie es gleichermaßen erzog. Ich hatte selber meine Erfahrungen gemacht, hier in diesem Haus, unter Elisabeths Fuchtel, auf dem flauschigen Teppich, der heute platter und abgetretener war und doch genauso rot, genauso schön wie einst. Die Frau an der Leine begab sich auf alle viere. Leise klickte ihr Halsring gegen jene Bänder, die das Oval hielten und niemals gelöst wurden, untrennbar zu ihr gehörten, die ihr Leben der Entsagung geweiht hatte und darum in Lust gedieh. Ich sah auf, in die braunen Augen Elisabeths mit den hellen Fleckchen, in denen die unausgesprochene Botschaft für mich stand: „Auch dich kann es treffen, du wirst unserer Erziehung nicht entwachsen, nie.“ Als sie den Blick abwandte, lag ein Lächeln in ihren Zügen, dessen Geheimnis ich vor langen Jahren entschlüsselt hatte. Gebannt schaute ich auf das Schauspiel zu meinen Füßen: Weiße Hände im Gleichschritt neben schwarzen, glänzenden Lacklederpumps mit spitzen Absätzen, die Gerte, die symbolisch zuschlug, leicht nur und tatsächlich Anerkennung zum Ausdruck bringend. Von der Heizung zur Tür und zurück, dann übernahm der Nächste sie. Jürgen … Franziska … Johann … Alle kamen wir an die Reihe, immer abwechselnd, Mann, Frau, Mann, Frau … Die Runde applaudierte, als sie durch war. Es war ein Zirkus für Erwachsene. „Das Wesentliche in der Liebe ist Vertrauen, und das muss erarbeitet werden“, erklärte Hubert, und ich sah, dass Johann und Jürgen von irgendwoher das hölzerne Andreaskreuz hereintrugen, dessen Maserung mir vertraut war wie die Härchen auf meinem Handrücken. Ich sah zu Franziska hinüber. „Ich freue mich auf später“, lautete meine stumme Botschaft, und sie verstand. Emma entfernte den Halsring, der sich an den Schultern sichtbar in das helle Fleisch eingedrückt hatte. Sie strich über die geröteten Stellen und küsste sie. Ich hörte die beiden Frauen lauter atmen. Am liegenden Kreuz befanden sich lederne Handund Fußfesseln, die gefährliche Stolperfallen waren. Elisabeth schnippte mit den Fingern und zeigte auf mich. Ich stand stramm, wie ich es gelernt hatte. Sie winkte mich zu sich, mit einer winzigen Geste ihres Zeigefingers. Langsam näherte ich mich ihr, angstvoll erregt von ihrer altvertrauten Unberechenbarkeit. Alle Blicke bis auf einen ruhten auf mir. „Die Macht der Liebe überwindet Neid und Eifersucht“, sprach sie, wobei sie mich am Hemdkragen packte und zu sich heranzog. Ich wusste, dass Franziska hinter meinem Rücken lächelte. Ich spürte es als kitzelige Wärme durch mein Hemd und Unterhemd hindurch. Wir hatten die Lektion gemeinsam gelernt, meine Frau und ich in unserer Zweisamkeit sowie wir alle als große Gemeinschaft. Genüsslich knöpfte Elisabeth mein Hemd auf, von oben nach unten, zog es aus der Hose und streifte es von meinen Schultern. Ich wagte nicht mit der Wimper zu zucken, wie ich so dastand in meinem weißen Unterhemd, wusste ich doch, wie ihre Ohrfeigen auf den Wangen brennen konnten. Ich roch meinen Schweiß der Erregung, den kein Deodorant zu übertünchen vermochte. Laut schlug mein Herz. Es lag an ihr, ob ich den Rest des Abends als gestandener Mann oder als Kriecher verbringen würde. Ich wagte kaum zu atmen. Dann stand ich mit nacktem Oberkörper da. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich meine hellen Kleidungsstücke über der Sessellehne hängen, über der ich mich selber im Geiste schon unterwürfig hatte liegen sehen. Elisabeth drehte mich um und schob mich von sich. Mein Blick fiel auf Helene, die reglos dort stand wie aus Stein gemeißelt. Ihr Schamhaar war kunstvoll rasiert. Ich wusste, was meine Aufgabe sein würde. Die anderen sechs hatten sich um uns beide herum versammelt, ihre Blicke wurden fordernder, ihre Macht über mich war so groß wie die meine über die Ausgelieferte, auf die ich nun zuging. Es war eine Kaskade der Lust, aus dem stummen Willen der Gemeinschaft geboren. Ich legte meinen Arm um die schmalen Schultern, auf denen bis vor kurzem der eiserne Ring gelastet hatte. Ich berührte die Wange mit meinen Lippen und drückte sie fest an mich. Es war herrlich, es zugleich zu dürfen und zu müssen, ein aufwühlendes Gefühl von Dominanz und Devotion in der eigenen Person. Ich führte sie zum Kreuz, setzte sie auf die Stelle, an der die Balken einander überquerend eine Raute bildeten. Sie war unendlich leicht führbar, ein Meisterwerk vollkommener Abrichtung. Dann legte ich sie rücklings auf das harte Holz, von dem ich wusste, wie es gegen die Knochen drückte, wenn man nur wenig Fettgewebe sein Eigen nannte. Ich streifte die ledernen Fesseln über die Gelenke ihrer Hände und Füße, zog sie zu, nicht zu eng, nicht zu locker. Auch ich war durch eine harte Schule gegangen, und ich würde gleich einiges von dem unter Beweis stellen können, was ich gelernt hatte. Mich faszinierte es, wie die Brüste auf dem Rücken liegender Frauen auseinander fielen, bei jeder auf ihre eigene Art. Helene Schneider, die nie geboren und gestillt hatte, hatte einen kleinen, festen Busen wie ein junges Mädchen, ich dachte kurz an meine Tochter Karoline, die ich sicher daheim in ihrem Zimmer wusste. Helenes Muskeln waren entspannt, keine Spur von Abwehr. Insgeheim empfand ich tiefe Bewunderung für die Frau, die uns sieben auf Gedeih und Verderb blind ausgeliefert war und nichts Selbstverständlicheres zu kennen schien. Ich griff ihre Haut, mal hier, mal da, zog sie ein bisschen lang und ließ sie los, was zur merklichen Versteifung ihrer Nippel führte. Emma bückte sich mit einem Tablett zu uns. Ich nahm die darauf befindlichen Klemmen zur Hand und setzte sie an, sehr vorsichtig, außerhalb der blassrosa getönten Warzenhöfe. Zu gerne hätte ich der Unterworfenen in die Augen geschaut, von denen ich wusste, dass sie von einem tiefen, ungewöhnlichen Grün waren. Man sah nicht viel davon. Helene trug im Alltag eine starke Brille, die ihr wahres Wesen für die da draußen verschleierte. Erneut beugte sich Emma mit ihrem Tablett zu uns hinab, auf dem sich diesmal mehrere brennende Kerzen befanden. Es handelte sich um jene alltägliche Massenware aus Stearin, wie man sie überall erstehen konnte. Bienenwachs war uns zu heiß und zu gefährlich für erotische Spiele, jene Dinger brannten hier nur um des Brennens und des Duftens willen. Doch sie brannten. Ich roch sie und sah sie aus den Augenwinkeln heraus am äußersten Rande meines Gesichtsfeldes. Ich stellte mir die sensibilisierten Sinne der Blicklosen vor … Und dann goss ich, sehr vorsichtig. Das Muster, welches sich über ihre Brüste und ihren Bauch zog, erinnerte auf bizarre Art an das ihres Gesäßes: fünf rosarote Linien, nicht ganz parallel, ohne Überschneidungen. Es war mir nicht bewusst gewesen. Ich merkte es erst hinterher, nachdem ich wie gebannt minutenlang auf den wehrlosen Körper geschaut hatte.