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Vorwort des Herausgebers

Gilgamesch ist der älteste antike Held, dessen Existenz sich tatsächlich zurückverfolgen lässt. Gleichzeitig ist das auf Keilschrift-Tafeln festgehaltene Gilgamesch-Epos eines der ältesten bekannten schriftlichen Dokumente der Menschheit.

Laut überlieferter sumerischer Königslisten war Gilgamesch einer der ersten Könige (der fünfte König der ersten Dynastie) in der Stadt Uruk in Mesopotamien, auf dem Gebiet des heutigen Irak – etwa 200 Kilometer südöstlich von Babylon.

Gilgamesch herrschte hier von ungefähr 2652 bis 2602 v. Chr. – also rund 1500 Jahre vor dem Trojanischen Krieg und den griechischen Helden Achilles und Odysseus. Man schreibt ihm eine harte Regentschaft zu, andererseits soll er auch viel für sein Reich getan haben. Er vervollständigte die Unabhängigkeit Uruks, eröffnete neue Handelswege und ließ die Stadt mit einer 11,3 Kilometer langen, etwa 9 Meter hohen und ebenso tiefen Stadtmauer umgeben. Zu dieser Zeit war Uruk vielleicht die kulturell am höchsten entwickelte Stadt der ganzen Welt, mit Arbeitsteilung, Kunst, einem Priesterwesen und Bürokratie – und nicht zuletzt der ersten bekannten Schrift, der Keilschrift, die sich in dieser Region entwickelte.

Von den nachfolgenden Generationen wurde Gilgamesch schon bald als gottähnlich verehrt. Man sah ihn als Sohn der Göttin Ninsun und des vergöttlichten Königs Lugalbanda an. Die Götter hatten entschieden, dass Gilgamesch zu seiner menschlichen Natur zwei göttliche Attribute erhalten sollte: Die Manneskraft von Šamaš (Sonnengott) und den Heldensinn von Adad. Damit war Gilgamesch zu »zwei Drittel göttlich und einem Drittel menschlich« – somit auch sterblich.

In den 1000 Jahren nach Gilgameschs Regentschaft entstanden zahlreiche Sagen, die um den gottähnlichen Helden kreisten und in verschiedenen Sprachen (Akkadisch, Hurritisch und Hethitisch) verfasst wurden. Die Erzählungen verbreiteten sich im gesamten Nahen Osten. Textfragmente in Keilschrift fand man zum Beispiel in der alten Hauptstadt Assyriens, Assur am Tigris, und auf dem Hügel Sutantepe (oder Chusirina) nahe Harran in Nordmesopotamien.

Im zwölften Jahrhundert vor Christus machte sich der Schreiber und Orakelpriester Sin-leqe-unnini daran, die Erzählungen um Gilgamesch neu zu sichten und zu einem einheitlichen Werk zusammenzufassen. Er verwendete dazu einen Teil – jedoch nicht alle – der bis dahin bekannten Gilgamesch-Sagen. Das Ergebnis, das Zwölftafel-Epos, ist das heute allgemein Gilgamesch-Epos genannte Werk. Die Endversion des Epos mit etwa 3.600 Verszeilen wurde vermutlich in Uruk auf elf Keilschrifttafeln niedergeschrieben. Den größten Teil des noch erhaltenen Textes fand man – um eine zwölfte Tafel ergänzt in der sagenhaften, großen Tontafelbibliothek des Assyrerkönigs Aschurbanapli (biblisch: Assurbanipal) (669–627 v. Chr.) in dessen Hauptstadt Ninive.

Der Inhalt des Zwölftafel-Epos

Gilgamesch, zu Beginn ein übermütiger und stolzer König, verlangt seinen Untertanen viel ab – zu viel. Immer wieder zieht er sie zu Bauprojekten seiner Paläste heran, lässt sie schuften, regiert despotisch und zeigt keine Dankbarkeit. Die Frauen von Uruk beschweren sich bei der Göttin Ištar, die Gilgamesch in seine Schranken weisen soll. So erschafft die Muttergöttin Aruru gemäß der Anordnung des Himmelsgottes Anu, Vater der Ištar, aus Lehm den Enkidu, der – mehr wildes Tier als Mensch –, ungeheuer stark und wild, in der Steppe nahe Uruk lebt, und der Gilgamesch besiegen soll. Doch noch ist Enkidu nicht reif, den Kampf mit dem König aufzunehmen. Erst muss er durch den siebentägigen Umgang und Beischlaf mit einer Tempeldienerin, die aus Uruk zu ihm entsandt wird, zivilisiert werden.

Nach dem Liebesspiel vergisst Enkidu sein bäuerliches Dasein und seine Herde und zieht mit der neuen Gefährtin zurück nach Uruk. Unterwegs lernt er menschliche Nahrung und das Bier kennen und wird von einem Barbier vollends menschlich gemacht. In Uruk kommt es schließlich zum von den Göttern gewollten Kampf mit Gilgamesch. Doch dieser schlägt sich gegen den Wilden aus der Steppe besser als erwartet: Der Kampf endet unentschieden. Ermüdet sinken beide schließlich nieder und schließen Freundschaft.

Nun nehmen sie sich vor, gemeinsame Heldentaten zu vollbringen und ziehen los zum Zedernwald der Ištar, um dort Chumbaba, den Hüter des Waldes, zu töten und Zedern zu fällen. Doch Ištar, die Göttliche, hasst ihn nicht wegen dieses Frevels, sondern erst, als Gilgamesch ihre Liebesschwüre beleidigend zurückweist. Er wagt es sogar, zu ihr zu sagen: »An der Straße, da sei dein Sitz, ... dann wird dich nehmen, wer immer Lust hat.«

Zutiefst gekränkt fordert Ištar ihren Vater Anu auf, den Himmels-Stier auszusenden, der Gilgamesch und seine Anhänger töten soll. Doch Enkidu und Gilgamesch können das Ungeheuer besiegen. Die Götter schicken zur Strafe eine Krankheit, an der Enkidu stirbt.

Verzweifelt über den Tod seines Freundes, beginnt Gilgamesch eine Reise nach dem Sinn des Lebens und dem Geheimnis der Unsterblichkeit. Die Reise führt ihn durch viele Stationen des Jenseits, etwa den mit Edelsteinbäumen bewachsenen Garten, oder das »Wasser des Todes«, das er mit Hilfe des Fährmannes Urschanabi überquert. Am Ende kommt er zum Weisen Utnapischtim am Ende der Welt, von dem er das Geheimnis der Unsterblichkeit erfahren möchte.

Dieser erzählt Gilgamesch die Geschichte einer großen Flut (von der die Sintflut-Sage in der Bibel inspiriert ist); [diese Erzählung findet sich auf der elften und bekanntesten Keilschrift-Tafel aus Assurbanipals Bibliothek].

Später verrät Utnapischtim dem Gilgamesch, dass sich im Meer ein Gewächs befindet, »dem Stechdorn ähnlich«, das ewige Jugend verleihe. Gilgamesch taucht ins Meer und bringt das Gewächs ans Land. Doch auf dem Rückweg nach Uruk – während Gilgamesch sich an einem Brunnen wäscht, schnappt eine Schlange das Gewächs und vertilgt es. Enttäuscht, doch klüger, kehrt Gilgamesch nach Uruk zurück, bereichert um die Erkenntnis, dass er sich nur durch große Werke als guter König einen unsterblichen Namen machen kann. So beginnt er mit dem Bau der Stadtmauern von Uruk.

Zuletzt steigt Enkidus Geist aus seinem Grabe auf und beschwört den Freund, sich dem irdischen Los (der Sterblichkeit) zu unterwerfen.

Redaktion eClassica

 

Anmerkung zur Übersetzung:

Einige Keilschrifttafeln sind nur bruchstückhaft vorhanden, aus diesem Grund enthält der Text Auslassungen. In anderen Fällen ist die Übersetzung bestimmter Begriffe bis heute zweifelhaft. Unsicheres oder Ergänztes wurde im Lauftext des Epos kursiv gesetzt.