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Vorwort des Herausgebers

Hätte Hildegard von Bingen (1098 bis ca. 1180) einige Jahrhunderte später, zur Hochzeit der Inquisition, gelebt – die Wahrscheinlichkeit wäre nicht gering gewesen, dass man sie als Hexe auf einem Scheiterhaufen verbrannt hätte. Doch sie lebte im 12. Jahrhundert, zur Zeit des Hochmittelalters, als die Kirche noch nicht in einen intoleranten Alleinvertretungsanspruch für alle Menschen verfallen war, als Mystik, Magie und Naturreligion noch Gewicht und Ansehen genossen.

Und als Mystikerin und Visionärin kann man Hildegard betrachten. Schon als kleines Mädchen sah und erahnte sie Dinge, die anderen verborgen blieben. Es scheint, als hätte sie die Gabe, gelegentlich einen Blick in die Zukunft zu werfen. Erst als 15-Jährige wurde ihr klar, dass nicht alle Menschen so veranlagt waren – sie also irgendwie »anders« sein müsse.

Ihre Eltern, der Edelfreie Hildebert von Bermersheim und seine Frau Mechthild, gaben sie, das zehnte von zehn Kindern, im Alter von acht Jahren in das in der Nähe von Bingen gelegene Kloster Disibodenberg. Dort hatte Jutta von Sponheim, die Tochter eines befreundeten Adelsgeschlechts, soeben ein Frauenseminar zur christlichen Unterrichtung junger Mädchen eingerichtet. Hier sollte sich das Mädchen entfalten und zu sich finden.

Hildegard, obwohl zart und nicht von besonders robuster Natur, leistete Enormes: Nach dem Tod der Lehrmeisterin übernahm sie die Leitung der Schule, sie gründete – 1150 und 1165 – zwei weitere Klöster, schrieb fünf Bücher und unzählige Anleitungen und Handreichungen. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Ausserdem hatte sie ein unglaublich feines Gehör für Musik. Sie komponierte im Lauf ihres Lebens rund 80 geistliche Gesänge und schrieb ein liturgisches Mysterienspiel.

Vor allem aber wurde Hildegard durch ihre Studien und ihr natürliches mystisches Wissen im Laufe der Jahre zu – man würde heute sagen – einer Expertin für ganzheitliche Medizin. Wie niemand zuvor stellte sie Zusammenhänge zwischen körperlicher Befindlichkeit und dem psychischen (und geistlichen) In-Sich-Ruhen her. Jede Krankheit konnte sie erklären, für jede hatte sie ein (Kräuter-)Heilmittel bereit.

Dabei war sie nicht – wie damals üblich – von Aberglauben geleitet, sondern schöpfte aus ihrer reichen Erfahrung. Wiederkehrende Erfolge (oder Misserfolge) analysierte sie und zog ihre Schlüsse daraus. Ihre Lehre gründete auf Empirie, eingebettet in ihren christlichen Glauben. In einer Zeit, als es keine öffentliche Krankenversorgung, kein Medizinstudium, keine Krankenhäuser für alle und kaum gesichertes Wissen über Krankheiten gab, war Hildegard – so schätzen es heute viele ein – die erste deutsche Ärztin.

In vielerlei Hinsicht hatte sie sehr moderne Ansichten. Es war für Hildegard zum Beispiel selbstverständlich, dass Mann und Frau vollkommen gleichberechtigt seien. Jeder habe seine eigenen Vorzüge und Schwächen, aber kein Geschlecht sei dem anderen überlegen. Die größere physische Kraft des Mannes, der etwa dafür zuständig sei, dass der Acker gepflügt werde, werde ausgeglichen durch die größere Leidensfähigkeit der Frau, die für die Geburt der Nachkommen sorgt. Nach ihrer Sicht wurden Mann und Frau geschaffen, um sich gegenseitig zu ergänzen, und sie schrieb: »Ohne die Frau könnte der Mann nicht Mann genannt werden, wie ohne den Mann die Frau nicht Frau.«

Viele der Lehren Hildegard von Bingens blieben rund 800 Jahre lang im Verborgenen. Erst um das Jahr 1900 entdeckte man in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen ein handschriftliches Exemplar ihres Lehrbuchs Causae et Curae – wobei die Zuordnung zu Hildegard unter Wissenschaftern bis heute umstritten ist. Zusammen mit den weiteren Werken Physica und Scivias wurde das Lehrbuch schließlich zur Grundlage einer neuen ganzheitlichen Heilkunde, die der österreichische Arzt Gottfried Hertzka (1913–1997) um das Jahr 1970 unter dem Namen Hildegard-Medizin begründete.

Über dieses eBook: Dieses Buch gibt – mit wesentlichen Auszügen aus Causae et Curae – einen Einblick und Querschnitt in Hildegard von Bingens Lehren aus medizinischer Sicht. Hildegard betrachtet physiologische Störungen, ebenso wie sie psychische in den Blick nimmt. Oft gelingt ihr auf faszinierend einfache Weise dann eine ganzheitliche Betrachtung der Dinge, in die sie Körper und Psyche (Seele) einbezieht. Ihre Kräuterheilkunde ist schließlich oft der entscheidende Weg, um dem Leiden abzuhelfen. Aber oft richtet sie auch den Blick auf eine simple Verhaltensänderung, die bereits Abhilfe schaffen kann, und die der Patient – auf sich allein gestellt – nicht in den Blick genommen hätte.

Dieses eBook ist, das sei betont, ausdrücklich kein vollständiges Kompendium von Hildegards Kräuterheilunde und Ernährungslehre – dazu sei auf andere Werke verwiesen.

Redaktion ModerneZeiten

 

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Wichtiger Hinweis: Dieses Buch dient der Information über traditionelles medizinisches Wissen. Wer Methoden dieses Buches anwendet, tut dies in eigener Verantwortung.

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