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Originalausgabe
2. Auflage 2018
© 2014 by riva Verlag,
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Redaktion: Caroline Kazianka, Werner Behrens
Umschlaggestaltung: Maria Wittek
Umschlagabbildung: Getty Images/Ute Grabowsky/Kontributor
Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-86883-435-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-589-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-591-0
 
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»Ich war hundemüde. Wollte im Flieger ein bisschen dösen.

Als ich aufwachte, saßen meine Frau und der Paul an meinem Krankenbett. Ich wusste nicht, wo ich war, konnte mich an nichts erinnern.

Sie erzählten mir von dem Absturz.

Und sagten: ›Eigentlich hattest du keine Chance zu überleben.‹«

Uli Hoeneß, 1982

 

 

»Ich wälze mich und wälze mich. Und dann wälze ich mich noch mal.

Und denke nach, denke nach und verzweifle. Ich bin morgens auch manchmal schon eine Stunde nach dem Aufstehen völlig fertig. Da höre ich wieder, was irgendeiner über mich geschrieben und gesagt hat. Die hohen Einschaltquoten bei ›Günther Jauch‹, als sie über mich redeten. Es ist schon ein Wahnsinn, was da passiert.«

Uli Hoeneß, 2013

Stimmen zu Uli Hoeneß

»Wenn Uli jetzt aufhört, ist das die größte Zäsur in der Geschichte der Bundesliga. Kein Manager hat die Liga so bestimmt wie er – im Grunde war er die Bundesliga!«

Paul Breitner, Nationalspieler 1971–1982

 

»Der FC Bayern heute ist Ulis Werk, die Mannschaft, die Bauten an der Säbener Straße, die Allianz Arena – und das alles komplett schuldenfrei.«

Sepp Maier, Nationaltorhüter 1966–1979

 

»Ich schätze an ihm die Geradlinigkeit, die Berechenbarkeit, die Vertrauenswürdigkeit und die Absprachefähigkeit. Und die Art und Weise, wie er sich um diejenigen Spieler kümmert, die gerade nicht zur Nationalmannschaft berufen sind.«

Johannes B. Kerner, Fernsehmoderator und Sportkommentator

 

»Trotz der Daum-Affäre ist er ein echter Freund. Wenn ich ein Problem hätte und nachts anrufen würde, Uli Hoeneß stünde auf der Matte und würde mir wie auch immer sofort helfen.«

Reiner Calmund, Exmanager Bayer Leverkusen

 

»Uli ist der Querdenker, er denkt anders als alle. Er ist der Visionär. Er hat den Riecher, er holt das Geld rein.«

Ottmar Hitzfeld, 1998–2004 und 2007/08 Trainer des FC Bayern München

 

»Hoeneß hatte immer schon das große Ganze im Blick, war ein Seher, er hat vieles vorausgesehen, ob auf dem TV-Markt oder im Merchandising. Hoeneß war der Erste, der diesen Begriff überhaupt in den Mund genommen hat – da haben die Leute gesagt: Was?«

Oliver Kahn, Nationaltorhüter 1995–2006

 

»Faszinierend, wie in unserer rasenden Zeit ein Mensch über 30 Jahre in wechselnder Rolle, mal als Abteilung Attacke, mal als Mutter Teresa, das Bild des deutschen Fußballs und insbesondere des FC Bayern geprägt hat. Uli Hoeneß könnte dem Papst ein Doppelbett verkaufen.«

Waldemar Hartmann, Sportkommentator

 

»Mein Traumberuf war immer: Spielerfrau oder Hund bei Uli Hoeneß.«

Mehmet Scholl, Trainer, 15 Jahre beim FC Bayern München

 

»Auch wenn wir viele Kontroversen hatten: Bei Uli Hoeneß wusste man immer, woran man ist, er hat nie etwas hintenrum gemacht.«

Lothar Matthäus, Trainer, Weltmeister 1990

 

»Man kann mit ihm wunderbar Golf spielen und dabei entspannt plaudern – wenn er allerdings nicht die ganze Zeit telefoniert. Da hat er Handicap null.«

Andy Brehme, Weltmeister 1990

 

»Uli Hoeneß ist nicht kopierbar. Das sollte man auch nicht versuchen, sonst macht man sich lächerlich.«

Christian Nerlinger, Uli Hoeneß’ Nachfolger als Manager des FC Bayern München

 

»Auch wenn er aufhört, wird er als Manager unverändert präsent sein. Seine Kommentare und seine Meinung sind weiterhin gefragt.«

Klaus Allofs, Manager Werder Bremen

 

»Uli Hoeneß ist ein überaus warmherziger Mann, der im Spieler auch immer den Menschen gesehen hat.«

Fritz von Thurn und Taxis, Sportkommentator

 

»Uli Hoeneß war und ist der FC Bayern! Das ist nur scheinbar ein Widerspruch zu der korrekten These, dass nie ein Einzelner, Spieler oder ­Offizieller, größer sein darf als der Club. Hoeneß hat sich nie größer gemacht. Er hat ausgeteilt – das habe ich mehrfach zu spüren bekommen – und er hat Prügel bezogen – zu Recht oder nicht, ist unerheblich, denn es ging ihm stets um die Sache: seinen FCB. Oft genug wirkte das überzogen, manchmal wirklichkeitsfremd – aber es musste sein: Die ›Glucke‹ musste ihr Nest, musste ihre Jungen schützen.«

Marcel Reif, Sportkommentator

 

»Irgendwann in den 70ern fusionierten Herz und Ellbogen – und der Manager Hoeneß ward geboren.«

Django Asül, Kabarettist

 

»Der Uli ist einer, der zu dem steht, was er sagt. Und wenn er einen Rat für die Spieler hat, dann ist dieser nicht immer butterweich – aber so ist das Leben. Uli lässt keinen fallen, ist stets aufrichtig, solide und sauber.«

Alfons Schuhbeck, Starkoch

 

»Viele Menschen sind jetzt von Uli Hoeneß enttäuscht. Die Kanzlerin zählt auch zu diesen Menschen.«

Steffen Seibert, Sprecher der deutschen Bundesregierung

 

»Hoeneß’ Verhalten ist die schlimmste Form asozialen Verhaltens.«

Florian Pronold, Vorsitzender der SPD in Bayern

 

»Vielleicht hat er so ein bisschen die Mentalität: ›Das Gesetz bin ich. Ich tu’ ja so viel Gutes, und das Geld ist ja schon versteuert, aber jetzt noch mal Abschlagssteuer zahlen – nein, das mach’ ich nicht.‹ Das kann ich mir schon vorstellen bei ihm.«

Manni Breuckmann, Ex-Radio-Sportreporter

Inhalt

Titel
Impressum
Zitate
Stimmen zu Uli Hoeneß
Inhalt
Vorwort

1. Nicht angeschnallt – und gerettet
2. Weltmeister und Depp der Nation
3. Die Ehe mit Paul Breitner
4. Gutes Fleisch
5. Learning by doing
6. Die gute Fee
7. Elf Feinde müsst ihr sein
8. Der Bauchmensch
9. Von Rotterdam bis Mailand
10. Error! Systemfehler Klinsmann
11. Das Dreigestirn Ulikallefranz
12. Der lange Weg ins Triple-Glück
13. Der Fall Hoeneß

Nachwort
Verzeichnis der verwendeten Literatur
Die Autoren

Vorwort

Mit einem Bein in der Unterhose, noch gar nicht richtig abgetrocknet. Ich stolpere aus meinem Bad ins Wohnzimmer. Schon unter der Dusche habe ich das Telefon klingeln gehört. Na klar! Genau jetzt! Sonst ruft doch immer nur einer an, wenn ich mir gerade die Zähne putze. Ich bin spät dran. Es läutet wieder. Mann, was ist denn? Ich hab doch frei. Ach, das wird mein Kumpel sein, wir sind verabredet. Er meinte, dass er anrufen würde, wenn er losfährt. Ich muss hin, muss ihm sagen, dass er sich Zeit lassen kann. Nicht, dass er sauer ist. Halb nass, halb angezogen, hechte ich zum Telefon. Ich nehme ab.

 

»Ja, ich bin doch schon da!«

»Hallo, Herr Strasser«, singt eine weibliche Stimme ins Telefon.

»Schön, dass ich Sie doch erreichen kann.«

 

Zwischen die freundlichen Worte passt keine Antwort. Ich erkenne die Stimme, erkenne die Dame aber nicht.

»Potthoff. Einen Moment bitte, ich stelle durch. Auf Wiederhören!« Karin Potthoff. Seine Sekretärin. Das Vorzimmer Hoeneß. Na, wunderbar. Was hab ich bloß gestern für die heutige Ausgabe geschrieben? Wo ist die Ausgabe? Tausend wirre Gedanken und einmal säuseln:

»Danke, Frau Potthoff!«

»Ja?! Strasser.«

»Hier ist Hoeneß!«

 

»Ah«, ich versuche, überrascht zu tun: »Guten Tag!«

»Herr Strasser, ich rufe bei Ihnen an, um mich zu beschweren.« (Angenehmer Tonfall)

»So? Um was geht’s denn?« Wenn er wüsste, dass ich im Grunde fast nackt bin.

»Das, was Sie da geschrieben haben, ist nicht in Ordnung.« (Ruhig)

»Was meinen Sie denn konkret?« Zeit gewinnen. Gedanken ordnen. Nebenbei abtrocknen.

»Das wissen Sie ganz genau! Das ist eine Sauerei!« (Unangenehmer Tonfall, laut)

 

So oder so ähnlich begannen einige Beschwerdetelefonate in den letzten Jahren, seit ich von 1998 an für die »Abendzeitung« über den FC Bayern berichte. Was Uli Hoeneß dabei jeweils in Rage gebracht hat, ist beliebig austauschbar – meist meldete sich der ehemalige Stürmer als Verteidiger seines Heiligtums, seiner Spieler.

 

Uli Hoeneß ist ein Mann der direkten Konfrontation. Da braucht er zunächst keine Anwaltskanzlei, die ein Fax zur Unterlassung aufsetzt und in die Redaktion schickt. Wenn Hoeneß etwas nicht passt, was er in den Zeitungen oder Magazinen liest, lässt er sich durchstellen – ins Büro oder aufs Handy. Welche Nummer Frau Potthoff eben gerade parat hat.

Das Gespräch verläuft wie ein Unwetter. Es zieht langsam auf, wird stärker und stärker. Dann kracht’s, die Luft hinterher ist allerdings rein und klar.

 

»Hier ist Hoeneß!« – so meldete sich der Manager, so meldet sich der Präsident des FC Bayern, wenn er jemanden anruft. Nach 30 Jahren als Manager ist Hoeneß seit November 2009 Präsident des Vereins und seit März 2010 auch Aufsichtsratsvorsitzender der AG. Damit macht er seinen Job nun seit fast 35 Jahren, seit dem 1. Mai 1979. Man kann durchaus sagen: Uli Hoeneß ist der FC Bayern. Aber der Wechsel in das Präsidentenamt brachte auch eine für viele ganz überraschende Änderung: Uli Hoeneß sitzt seitdem nicht mehr bei den Spielern auf der Trainerbank. Nach dreißig Jahren, in denen er nur bei fünf Spielen gefehlt hatte, zog er als Präsident von der Rasenkante auf die Tribüne um, was sich viele gar nicht vorstellen konnten. Der Manager war wie mitten im Spielgeschehen und schien das zu brauchen, der Präsident sieht sich das Spiel im Kreise anderer VIPs von oben an.

Die Fotografen und Kameraleute wissen allerdings: Es lohnt sich weiterhin, das Teleobjektiv auf Hoeneß zu richten. Denn Fan ist er geblieben; einer, für den ein wichtiges Tor, ein schönes Spiel größer ist als jede Sponsorenmillion. Vor jedem Anpfiff putzt er noch rasch die Brille. Bei fast jedem Wetter hat er seine rote Stadionjacke und einen Schal dabei, den ihm ein Fanclub überreicht hat und der nun Glücksbringer sein muss. Wenn es schlecht läuft für die Roten, nähert sich seine Gesichtsfarbe der des Anoraks an. Seine Mimik, seine Körpersprache sind die menschliche Anzeigetafel: Seht her, so steht’s!

45 Jahre beim FC Bayern, knapp zehn auf dem Platz, rund 30 auf der Bank, die Fortsetzung auf der Tribüne. Die Leidenschaft wohnt weiter in ihm, dieses Fulltime-Herzblut, rot-weißes Adrenalin all inclusive. Er ist der erste Fan und der oberste Anwalt seines Lebenswerks.

 

Als Spieler stand er eher für die leisen Töne, seine Stimme war ruhig und sanft. Kein Vergleich zum O-Ton des Managers – zu den Momenten, in denen er sich nach Spielen gegenüber den Reportern leicht reizbar in Rage redet. Meist verschränkt er die Arme hinter dem Rücken, stellt sich auf die Zehenspitzen und wippt mit dem Oberkörper in Richtung des Angeklagten. Er spricht dann so schnell, dass die Worte seine Gedanken rechts überholen.

 

»Sie sollten lieber über Fallrückzieher schreiben als über so einen Mist!«

 

»Sie brauchen dringend eine Nachhilfestunde! Am besten wäre es, wir machen mal ein Taktikseminar miteinander.«

 

»Sie sind das Chamäleon des Münchner Sportjournalismus!«

 

Ich hatte schon viele Beinamen. Am heftigsten war ein Vorwurf aus der Saison 2008/09 nach einigen kritischen Artikeln: »Ich lasse mir das Projekt Jürgen Klinsmann von Ihnen nicht kaputt machen.« Hatte ich nie beabsichtigt. Ein Journalist ist immer neutral. Der Projektleiter, auch Trainer genannt, bewies früh genug, dass er etwas Selbstzerstörerisches in sich trug.

 

Aber ein Kind, ein Jugendlicher ist nicht neutral. 1983 war ich mit acht Jahren das erste Mal im Olympiastadion, danach viele Jahre in der Südkurve. Als Münchner habe ich den FC Bayern intensiv verfolgt. Und ist es nicht so, dass man etwas, für das man Sympathien hat, besonders kritisch betrachtet?

 

Die Anrufe von Hoeneß zeigen zwei Dinge relativ verlässlich. Erstens beträgt der Wahrheitsgehalt der Story nahezu 100 Prozent, da man einen wunden Punkt getroffen hat, wenn er sich beschwert. Und zweitens mündet die zornige Anklage meist in ein freundliches Gespräch. Hoeneß kann verzeihen.

 

Im November 2001 wurde er gefragt, wann er seinen Managerposten aufgeben werde. »Spätestens in fünf Jahren ist Schluss, denn das ist die letzte Grenze, die mir meine Frau gesetzt hat«, antwortete Hoeneß damals. 2004 hörte sich das dann so an: »Eigentlich habe ich alles erreicht, was ich wollte. Aber der Franz hat mich mal zur Seite genommen und geraten: ›Du musst das machen, bis du nicht mehr atmen kannst.‹ Meine Frau sagt mir immer was anderes. Zwischen diesen beiden Polen lebe ich.«

 

Susi Hoeneß setzte sich gegen Franz Beckenbauer durch. Dass das Leben von Uli Hoeneß ruhiger werden würde, war jedoch ein Trugschluss. Es wurde ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sich seine sportlichen Sehnsüchte erfüllten, für ihn persönlich dramatisch.

 

Patrick Strasser

1.

Nicht angeschnallt – 
und gerettet

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Uli Hoeneß hat geschlafen, einmal so richtig gepennt. Er hat seinen eigenen Flugzeugabsturz verpennt. Das hat ihm das Leben gerettet.

 

Donnerstag, der 18. Februar 1982. Die »Süddeutsche Zeitung« bringt auf Seite 34, links unten, eine Meldung der Nachrichtenagentur »dpa«:

 

»Hannover – Beim Absturz einer zweimotorigen Propellermaschine ist am Mittwochabend Uli Hoeneß (30) schwer verletzt worden. Der ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler und heutige Manager des FC Bayern München war mit einem Geschäftspartner auf dem Weg zum Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und Portugal. Die drei anderen Insassen des Flugzeuges konnten nach Angaben der Polizei nur noch tot geborgen werden. Das von Pilot Junginger gesteuerte Flugzeug war um 18.19 Uhr in München gestartet.«

 

Sie wollten den Paul sehen, ihm beim Spiel zuschauen und danach noch etwas zusammensitzen, essen und plaudern. Sie, das waren Uli Hoeneß und sein enger Freund Helmut Simmler (35), der Direktor des Münchner Copress-Verlages. Geflogen wurden die beiden von Pilot Wolfgang Junginger (30), einem ehemaligen Star der deutschen Ski- Nationalmannschaft, und seinem Kopiloten Thomas Kupfer, einem 25-jährigen Studenten aus München. Zwei Plätze in der sechssitzigen Piper-Seneca waren also noch frei. Einer davon war für Willi O. Hoffmann, den damaligen Präsidenten des FC Bayern, vorgesehen. Er wurde in der »Abendzeitung« vom 19. Februar 1982 so zitiert: »Eigentlich wollte ich auch mitfliegen. Aber als ich hörte, dass es eine Propellermaschine ist, habe ich abgesagt. Auch Uli war sich nicht sicher, ob er mitfliegen würde. Er führte am Nachmittag noch Vertragsverhandlungen mit einigen Spielern, wollte sich erst am Abend entscheiden.«

Womöglich gerade weil Hoeneß so viel gearbeitet hatte an jenem Mittwoch, setzte er sich im Gegensatz zu Simmler ganz nach hinten in die Maschine. Das rettete ihm das Leben.

 

Es ist 19.45 Uhr an jenem 17. Februar 1982, als Wolfgang Junginger dem Tower des avisierten Flughafens in Hannover-Langenhagen erstmals Schwierigkeiten meldet. Das kann doch nicht wahr sein, schon wieder – schießt es ihm durch den Kopf. Im März 1979 erst hatte Junginger wegen eines Triebwerkausfalls mit einer Cessna 414 im Ebersberger Forst notlanden müssen. Mehrere Passagiere waren dabei schwer verletzt worden. Einige Tage später stellte sich dann heraus, dass Junginger die Maschine zu knapp betankt hatte. Es kam zu einem Prozess, und das Ebersberger Amtsgericht sprach den Exskistar, der bei der Weltmeisterschaft 1974 in St. Moritz eine Bronzemedaille gewonnen hatte, erst Mitte Januar des Jahres 1982 frei. Junginger, der ein Jahr zuvor in waghalsigen Skiszenen James Bond gedoubelt hatte, musste sich aufwendigen medizinisch-psychologischen Tests unterziehen. Junginger und Hoeneß kannten sich gut, waren befreundet, sie spielten regelmäßig gemeinsam Tennis. Daher hatte sich der Bayern-Manager dem Piloten, der seit einem halben Jahr verheiratet war, schon oft anvertraut.

 

An jenem Abend nun zittern die Hände Jungingers, er hat die Maschine nicht mehr im Griff, verliert rasch an Höhe. Die Sicht ist schlecht in der kalten Februarnacht über Osterwald, einem Stadtteil der Stadt Garbsen, es ist unangenehm diesig. Der Flughafenlotse reagiert schnell und rät dem Piloten, trotz des begonnenen Landeanfluges wieder an Höhe zu gewinnen, dann Richtung Norden abzudrehen und kontinuierlich zu steigen. Danach reißt der Kontakt ab. Hektisch setzt Junginger Notrufe ab, zu spät – er hat die Maschine rund 15 Kilometer von der Landepiste entfernt nicht mehr unter Kontrolle. Die Piper-Seneca schlägt im Sturzflug die Wipfel einiger Eichen ab, kracht auf eine Wiese, rutscht 100 Meter weit und bleibt erst an einem Weidezaun hängen. Vorfreude auf den gemeinsamen Abend hatte wenig zuvor noch das kleine Flugzeug erfüllt, nun war da nichts als ein kaltes, lebloses Wrack.

 

Im Kontrollzentrum des Flughafens von Hannover setzten die Notfallmechanismen ein. Weil die Maschine vom Radar verschwunden war, wurde sofort Großalarm ausgerufen bei Polizei, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk. Die endgültige Absturzursache konnte später nie ermittelt werden, da die Piper-Seneca keinen Flugschreiber besaß. Technische Mängel, zu wenig Benzin im Tank oder gar ein Fehler des Piloten – diese Fragen konnten nie beantwortet werden.

Am selben Abend freute sich auch Karl-Heinz Deppe auf Paul Breitner. Die »Tagesschau« lief noch. Der 42-Jährige wollte danach von seiner Wohnzimmercouch aus sehen, wie sich Breitner, Rummenigge und die anderen im Länderspiel gegen die Portugiesen in Hannovers Niedersachsen-Stadion schlagen würden. Klaus Fischer traf nach 24 Minuten zum 1:0, drei Minuten später unterlief Humberto ein Eigentor – 2:0. Die Partie, ohnehin nur freundschaftlicher Natur und ein Vorbereitungsspiel auf die WM 1982 in Spanien, war früh entschieden und versprach daher weiterhin wenig Spannung. »Ich habe wie jeden Abend vor dem Fernseher gesessen und mich berieseln lassen«, erinnert sich Deppe, »nichts Besonderes.«

 

Daher fällt es Deppe, von Beruf Jäger, auch nicht sonderlich schwer, sich zu einer abendlichen Kontrollfahrt mit seinem Jeep aufzumachen, reine Routine. Also steigt er in seinen Wagen und fährt durch das Heitlinger Moor. Eine Viertelstunde vergeht, nichts Besonderes. Wie das Länderspiel scheint auch die Kontrollfahrt keine Überraschungen bereitzuhalten. Doch plötzlich sieht er im Kegel der Scheinwerfer etwas durch das Unterholz kriechen, ein Wildschwein, glaubt er, oder vielleicht ein tollwütiger Fuchs. Dann werden die Konturen klarer: Es ist ein Mensch. Deppe steigt aus und erkennt, dass es wohl ein Mann sein muss. »Er kam mir auf Händen und Knien entgegen.« Die Kleider sind zerfetzt, der Mann ist blutüberströmt und steht unter Schock. »Er hatte überall Blut. Ein furchtbares Bild. Er redete völlig unzusammenhängende Worte, ich konnte nur verstehen, wie er stöhnte: ›Ich friere‹. Und dann habe ich ihn erkannt.« Uli Hoeneß liegt vor ihm, halb tot. Wenige Meter weiter sieht Deppe nun einen abgerissenen und komplett verbogenen Propeller im Matsch liegen. Auf die Frage, ob noch jemand im Flugzeug stecke, sagt Hoeneß Nein. Deppe muss nun schnell handeln, nicht lange überlegen. Mein Gott, der Hoeneß hier – mit ihm. Er zerrt Hoeneß in seinen Jeep, um ihn schnellstens ins Krankenhaus zu bringen. Rasch wischt er sich Blut und Schlamm von den Händen, startet den Motor, drückt Kupplung und Gas – Motor, Wagen und Deppe heulen auf: Die Räder drehen durch, er kommt nicht aus dem Morast, ist stecken geblieben. Er muss Hoeneß allein lassen und rennt ins nächste Dorf, um von einer Telefonzelle aus die 110 anzurufen. Danach wartet er auf den Rettungswagen, der den Schwerverletzten ins Krankenhaus bringt. Hoeneß wird künstlich beatmet und bei der Ankunft im Krankenhaus sofort auf die Intensivstation gebracht.

 

Erst um 21.57 Uhr haben Polizei und Rettungsdienst die verschwundene Piper-Seneca geortet. In einem Umkreis von über 100 Metern lagen die Trümmer verteilt, das Cockpit hatte sich beinahe zur Hälfte in den Boden gebohrt. In den Sitzen klemmten drei Leichen, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Hoeneß war weit hinausgeschleudert worden, das war sein Glück. Später wird ihm gesagt werden, dass es nur einen Platz in der Maschine gegeben habe, auf dem man diesen Absturz hatte überleben können. Seinen Platz. Ganz hinten rechts, nicht angeschnallt.

Als Hoeneß am nächsten Morgen aufwachte, blickten ihn zwei Augenpaare an. Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge saßen an seinem Krankenbett. Hoeneß fragte als Erstes: »Na, wie ist das Länderspiel denn ausgegangen?« 3:1 für Deutschland. Nach dem Anschlusstreffer des Portugiesen de Matos hatte Fischer für den Endstand gesorgt.

 

Spielstände, Tore, Resultate – solche Dinge hatten für Breitner am Abend zuvor irgendwann keinerlei Bedeutung mehr. »Es sind etwa 60 Minuten gespielt, da registriere ich plötzlich, wie jemand an der Außenlinie herumrennt, hektisch winkt und schreit. Ich denke mir, wer führt sich denn da so auf? Von Weitem sehe ich, dass der Kerl keinen Trainingsanzug trägt, eher einen Trenchcoat. Ich laufe zur Außenlinie, auf einmal erkenne ich ihn. Ja, spinn ich, das ist doch der Bernd, der da an der Aschenbahn entlangturnt, direkt neben dem Linienrichter«, erinnert sich Breitner. Dieser Bernd, das ist Bernd Schröder, ein Unternehmer und gemeinsamer Freund von Hoeneß und Breitner aus München. Schröder brüllt zu Breitner herüber: »Der Uli ist abgestürzt mit seiner Propellermaschine, wahrscheinlich sind alle Insassen tot.« Das Spiel läuft weiter, Breitner muss seine Position halten, informiert jedoch Rummenigge. »Ich bin danach nur noch schwindlig und in Gedanken versunken auf dem Platz umhergeirrt, eigentlich hab ich gar nicht mehr mitgespielt«, erzählt Breitner. Zehn Minuten später die nächste Info von der Aschenbahn: »Drei Tote! Einer soll überlebt haben – mehr wissen wir noch nicht.« Eine Auskunft, die Hoffnung beinhaltet, aber im Grunde noch schlimmer ist. Was, wenn ...? Was, wenn ausgerechnet der Freund ...? Was, wenn der eine der vier ...? Abgehakte Gedanken schwirren durch Breitners Kopf, lähmen ihn, aber seine Beine laufen profigemäß einfach weiter. »Als ich einen klaren Gedanken fassen kann, renne ich zu Bernd und sage: ›Kümmer dich um einen Polizeiwagen, damit wir gleich nach dem Schlusspfiff los können.‹ Die letzten Minuten habe ich nur noch auf die Stadionuhr geschaut.« An das geplante und für die Nationalspieler eigentlich obligatorische Festbankett im Hannoveraner Ratskeller verschwenden Breitner und Rummenigge in dieser Nacht keinen Gedanken mehr.

 

Mittlerweile hatte auch Bundestrainer Jupp Derwall mitbekommen, dass etwas nicht stimmte. Er erkundigte sich und wollte Breitner auswechseln – immerhin lief ja vor Millionen von Zuschauern noch ein Länderspiel. Aber Breitner lehnte ab. »Ich war paralysiert, das war mir auch schon egal. Die letzten Minuten habe ich mich nur an der Linie aufgehalten, von der aus ich möglichst schnell zu den Kabinen laufen konnte.« Eine letzte Anweisung noch an Rummenigge: Er sollte Interviews geben, nichts sagen, eine Routinenummer abziehen. Breitner wollte einen Reporterauflauf im Krankenhaus Hannover-Nordstadt vermeiden. Dann endlich der Schlusspfiff. »Ich bin gerannt wie ein Wahnsinniger«, erinnert sich Breitner, »habe mich auf der Treppe zu den Kabinen im Laufen beinahe komplett ausgezogen.« Drei Minuten später saß er verschwitzt im Auto, neben ihm Bernd Schröder. Der Polizist startete den Wagen – ab ins zehn Kilometer entfernte Krankenhaus. Auf der Fahrt bekamen sie die nächste Info: Der Name des Überlebenden war Uli Hoeneß. 20 Minuten später erreichten sie das Hospital, es war jetzt 22.50 Uhr. Just in dem Moment, als sie eintrafen, trugen Sanitäter den Schwerverletzten auf einer Trage Richtung Eingang der Intensivstation. Hoeneß hatte die Augen geöffnet, da stürzte Breitner auf ihn zu, berührte ganz vorsichtig sein blutverschmiertes Gesicht und schrie ihn an: »Uli, Uli, hörst du mich?« Hoeneß bewegte nur lautlos die Lippen.

 

Wenig später erreichte Karl-Heinz Rummenigge im Trainingsanzug das Krankenhaus Nordstadt. Er traf dort auf Paul Breitner, der auf einem Stuhl im Gang der chirurgischen Ambulanz saß und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Sie durften in das Zimmer von Chefarzt Dr. Otmar Trentz, bekamen Kaffee angeboten. Obwohl Rummenigge nicht so eng mit Hoeneß befreundet war wie Breitner, übermannten ihn die Gefühle. Er weinte. Erst aus Verzweiflung, dann aus Erleichterung, weil Chefarzt Trentz nach Mitternacht aus der Intensivstation kam und verkündete, dass Hoeneß auf jeden Fall durchkommen werde. Die Diagnose lautete: Querfortsatzbrüche an der Lendenwirbelsäule, eine Gehirnerschütterung sowie eine linksseitige Lungenquetschung, Frakturen am Oberarm und Knöchel, zudem ist Blut in die Lunge geraten. Aber eine weitere Operation war nicht notwendig. Trentz: »Herr Hoeneß kann sich an den Hergang des Absturzes überhaupt nicht mehr erinnern.«

Nun war es an der Zeit, Hoeneß’ Ehefrau Susi per Telefon zu informieren. Breitners Frau Hildegard war zur Familie Hoeneß nach Hause geeilt, um sie zu trösten. Da es zu spät war, um noch nach Hannover zu fliegen, musste Frau Hoeneß auf die erste Frühmaschine am nächsten Tag warten.

Gegen drei Uhr fuhr Rummenigge dann zurück ins Mannschaftshotel, Breitner blieb im Krankenhaus. Die ganze Nacht, in der Hoeneß künstlich beatmet wurde, wachte er am Krankenbett seines Freundes. Ulis Bruder Dieter kümmerte sich unterdessen um ihre Eltern. Zum Glück hatten sie, die gerade Urlaub im österreichischen Seefeld machten, nicht aus der Zeitung oder dem Radio vom Flugzeugabsturz erfahren. Dieter Hoeneß: »Ich habe sie Donnerstagmorgen angerufen und es ihnen schonend beigebracht. Die Mutter war dennoch völlig fertig mit den Nerven.«

 

Am Donnerstag kam auch Susi Hoeneß im Krankenhaus an. Rein äußerlich sah ihr Mann eher aus, als hätte er eine Kneipenschlägerei hinter sich und keinen Flugzeugabsturz. Das linke Auge war wie für einen Faschingsball geschminkt, er hatte ein dickes Veilchen. Doch Hoeneß hatte auch Schmerzen, Stiche in der linken Lungenhälfte. Viel schlimmer war für ihn aber der Verlust eines Freundes, wie er Susi und seinen Freunden gestand: »Eigentlich fühle ich im Moment nur einen unwahrscheinlichen Schmerz wegen des Todes von Helmut Simmler, der ein echter Freund war.«

 

Paul Breitner kümmerte sich unterdessen um alles Wichtige, er wollte die rasche Verlegung von Hoeneß ins Klinikum Großhadern in München zu Professor Heberer für Freitagvormittag veranlassen. Doch da gab es ein Problem. Wie sollte Hoeneß nach München gebracht werden? Im Auto? Mit den Verletzungen und den Schmerzen? Im Flugzeug? Nur eineinhalb Tage nach dem Absturz – unmöglich. Aber Breitner hatte einen Plan. »Ich organisierte eine Cessna 441, sagte aber Uli nichts davon. Wir fuhren dann zum Flughafen, seine Frau Susi war auch dabei, und sind zusammen aufs Rollfeld raus. Ich musste Uli ein wenig stützen, er konnte nicht schmerzfrei gehen, war etwas wacklig.«

Sie näherten sich zwei Maschinen, einem kleinen Düsenjet und einer Propellermaschine ähnlichen Typs wie die Piper-Seneca. Nun kam der Moment, in dem sich die gesamte weitere Managerkarriere von Hoeneß entscheiden sollte. Wie würde er seinen Job weiter ausüben können, wenn er wegen des Absturzes nicht mehr in der Lage wäre, jemals wieder ein Flugzeug zu besteigen? Ein Scheideweg tat sich auf, mitten auf dem Rollfeld. Eine entscheidende Kreuzung im Leben. Ein Moment, in dem man einen echten Freund an seiner Seite braucht.

»Er hatte nur eine Chance«, sagt Breitner später, »ich wollte, dass er das so schnell wie möglich verarbeitete. Er ging zur Düsenmaschine hinüber, aber ich schob ihn, ohne etwas zu sagen, zur Propellermaschine.«

Hoeneß blieb stehen, nur wenige, aber ewig anmutende Sekunden. Er musste fliegen. Konnte er sich überwinden? Er konnte. Gemeinsam mit seiner Frau stieg er ein und flog nach Hause, Breitner fuhr mit dem Auto zur Mannschaft nach Bremen und telefonierte dann Hoeneß hinterher. »Ich war erst beruhigt, als ich erfuhr, dass er gesund gelandet war. Also, ein Hund is’ er scho’, der Uli, wie man in Bayern sagt, ich würde mich nicht mehr in so eine Maschine setzen.«

 

»Ich wusste, dass er im umgekehrten Fall genauso gehandelt hätte, wir haben uns blind verstanden«, so Breitner im Rückblick. In München angekommen, wurde Hoeneß von Tochter Sabine (6) abgeholt, die mit Verwandten zum Flughafen gekommen war und dem Papa ein paar Bilder gemalt hatte. Sie überreichte ihm die Kinderkunstwerke und staunte über den Gehgips am rechten Fuß. Nach der Landung sagte Hoeneß zu Journalisten: »Der Schock kann noch kommen.« Es klang, als würde er darauf warten. An den Absturz selbst, die Rettung durch Jäger Deppe und seine erste Nacht im Krankenhaus hat er bis heute keinerlei Erinnerung, weil er ja tief geschlafen hatte während des Fluges. »Als ich aufgewacht bin, saßen meine Frau und der Paule an meinem Krankenbett. Es ist wohl besser so, dass ich mich nicht mehr erinnern kann. Sonst würden mich diese schlimmen Szenen nie mehr loslassen.«

 

Ganz verdrängen will er jene Nacht allerdings nicht. Deshalb liegen Fotos aus Zeitungen der Tage nach diesem 17. Februar 1982 in seinem Büro – nicht an der Säbener Straße, zu Hause an seinem Wohnsitz am Tegernsee. Ab und zu, gibt er zu, wirft er einen Blick darauf. Und dann wird ihm ganz anders. Er ist sich bewusst, dass er im Grunde keine Chance gehabt hatte zu überleben. Kaum zu glauben, dass überhaupt jemand aus dem Wrack lebend herausgekommen ist – und dass gerade er es war. Seitdem hat sich auch seine Einstellung verändert, wie er im Jahr 2003 einmal verriet: »Es war eben der Punkt in meinem Leben, an dem ich zu mir gesagt habe: Irgendwann zählt nicht mehr das Nehmen, sondern das Zurückgeben an die Gesellschaft.«

Unter den Bayern-Spielern herrschte in den Tagen nach dem Absturz »tiefe Betroffenheit«, wie es etwa Verteidiger Udo Horsmann ausdrückte, die Stimmung beim Training war komplett am Boden. Keine ideale Vorbereitung für das Prestigeduell im DFB-Pokal am Samstag darauf bei Werder Bremen. Und da gab es noch ein Problem: Kaum einer aus der Mannschaft und dem Betreuerstab wollte mehr in ein Privatflugzeug steigen. Also buchten die Bayern kurzfristig auf eine Linienmaschine nach Bremen um. Ab sofort wollte man sich wohl nur noch Berufspiloten anvertrauen – zumindest in den ersten Wochen und Monaten nach dem Absturz. In Bremen schien eine schlimme Niederlage vorprogrammiert. Vom Telefon am Krankenbett aus forderte Hoeneß: »Tut alles, damit ihr das Halbfinale um den DFB-Pokal erreicht.«

Vor dem Anpfiff sagte Breitner: »Es ist keine Partie wie jede andere. Wir alle spüren eine gewisse innere Verpflichtung.«

Die Mannschaft stand unter Schock – und siegte dennoch nach Verlängerung mit 2:1. Ausgerechnet Breitner schoss beide Tore. Heute noch spricht er davon, dass er damals eines seiner besten Spiele für den Verein gemacht habe, und dies aus gutem Grund: »Wir haben in erster Linie für ihn gekämpft und gesiegt. Meine beiden Treffer waren mein persönliches Geschenk und sicher die beste Medizin, um Ulis Genesung zu beschleunigen. Wäre ich Einzelsportler gewesen wie beispielsweise ein Tennisspieler – mir wäre an dem Samstag alles wurscht gewesen. Aber so war ich dem Verein und auch meinen Kollegen gegenüber verantwortlich.«

Die 5000 DM Siegprämie waren keine Genugtuung, Breitner hatte andere Sorgen: »Ich war nur noch eines: müde.« Denn Ulis bester Kumpel hatte kaum geschlafen seit Mittwochabend, seit Bernd Schröder während des Länderspiels gegen Portugal an die Seitenlinie gestürmt war.

 

Während seiner Abwesenheit übernahm Präsident Willi O. Hoffmann Hoeneß’ Aufgaben als Manager, er sollte die Geschicke des Clubs vorerst gemeinsam mit Geschäftsführer Walter Fembeck lenken. »Wir haben immer eng zusammengearbeitet, sodass ich in die laufenden Angelegenheiten eingeweiht war«, sagt Hoffmann später. Allerdings sei seine Sorge gewesen, dass doch ein »kleines Vakuum« hätte entstehen können hinsichtlich neuer Aktivitäten im Bereich Werbung. Aber Breitner beobachtete genau, was passierte. Weil Hoeneß’ Sekretärin gerade Urlaub auf Gran Canaria machte, wurde er persönlich zum Aufpasser, ungebetene Gäste durften nicht ins Büro an der Säbener Straße. Vor allem niemand, der womöglich das Manageramt übernehmen wollte. »Er hat sie alle weggebissen«, erinnert sich Hoeneß, »diese Erlebnisse haben uns zusammengeschweißt.«

Vier bis sechs Wochen sollte die Schreibtischsperre für Hoeneß andauern. Am 23. Februar lautete die Schlagzeile der »Abendzeitung« auf Seite 6: »Uli Hoeneß managt im Bett, Paul Breitner hilft im Büro«. Dem Reporter sagte Hoeneß: »Den 17. Februar feiere ich ab jetzt als zweiten Geburtstag.« Doch viel Zeit für Sentimentalitäten nahm er sich nicht, fügte fast im selben Atemzug hinzu: »Ich möchte so schnell wie möglich wieder arbeiten. Das Leben freut einen nun umso mehr. Außerdem habe ich bei allem Unglück die positive Erfahrung gemacht, dass ich doch eine Menge echter, guter Kumpel habe.«

Auf dem Nachtkästchen an seinem Bett auf Station H21, Zimmer 112 des Klinikums Großhadern standen Blumen, Obst und ein paar aufmunternde Karten. Und natürlich ein Telefon. Zum Arbeiten. Nur etwa jeder zehnte Anruf war privat. Etwa der: »Ja, servus, Uli, der Sepp ist hier. Kann man dich besuchen?« – »Freilich, gerne, komm vorbei!« Torhüter Maier fuhr sofort hin. »Ich wollte unbedingt, hatte das Gefühl, das machen zu müssen.« Auch weil er sich daran erinnerte, wie sich Hoeneß nach Maiers Autounfall 1979 eine Woche lang um ihn gekümmert hatte. »Als ich dort war und ihn im Bett sitzen sah, war ich erleichtert. Der Uli hatte ein blaues Auge – sonst nichts. Und was machte er? Telefonieren! Da wusste ich: So schlimm kann’s also nicht sein.« Hoeneß zog sich an, und sie verließen gemeinsam das Klinikumgelände, weil sie Lust hatten auf Weißwürste gegenüber in einer kleinen Wirtschaft.

 

Hoeneß war zurück im Leben. Karl-Heinz Deppe, den Jäger, seinen Lebensretter, der noch heute in der Nähe von Osterwald wohnt, hat Hoeneß nie vergessen. »Ein Jahr später, im Februar 1983, hat mich Uli Hoeneß mit meiner Familie und dem gesamten Freundeskreis nach München eingeladen – das muss man sich mal vorstellen«, erzählt Deppe. »Wir waren 50, 60 Mann. Wir haben ein Spiel im Olympiastadion gesehen und dann im ›Sheraton‹-Hotel übernachtet. Unsere Party ging bis sechs Uhr früh, das war ganz toll.« Deppe bekam auch regelmäßig Post von Hoeneß zum Geburtstag. Und Anrufe von Journalisten, je nachdem, welcher Jahrestag anstand, wie viele Jahre sich die wundersame Rettung aus dem Wrack jährte.

 

»Ich wollte und will keine Geschäfte mit dieser Sache machen. Damals wollte ein People-Magazin mich kaufen, alle Erinnerungen, alles. Aber ich habe abgelehnt. Auch ein Reporter einer Boulevardzeitung war da. Einmal bin ich dann reingefallen. Sie haben mich gefragt, ob ich denn zum Geburtstag oder zu Weihnachten – ich weiß es nicht, egal – etwas von Uli Hoeneß bekommen habe. Ja, und tatsächlich, in diesem Jahr hatte ich nichts bekommen. Aber das war Zufall, er hat mir immer mal wieder was geschickt. Und was macht die Zeitung, sie schrieb: ›Hoeneß vergisst seinen Lebensretter!‹ Das war einfach lächerlich.« Seitdem ist Deppe skeptisch. Auch weil er völlig bescheiden geblieben ist. Er, der Menschenretter, der Karriereretter des Bayern-Managers. »Ich habe Hoeneß gerettet, ja. Aber ich finde, ich habe nur meine Pflicht getan.«

2.

Weltmeister und
Depp der Nation

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Denkt man an Uli Hoeneß und seine Zeit als Spieler zurück, hat man drei Bilder im Kopf. Gut, das ist wenig schmeichelhaft, weil zwei der Bilder negativ besetzt sind. Und der bei vielen in Erinnerung gebliebene Uli-Hoeneß-spielt-Fußball-Moment ist im Grunde der, als ein Ball weit über eine Querlatte hinwegsauste.

 

Belgrad 1976, der 20. Juni, das Stadion Roter Stern. Das Finale um die Europameisterschaft der deutschen Nationalmannschaft gegen die Tschechoslowakei ging mit unangemessenen Rahmenbedingungen über die Bühne. Ein schlecht ausgeleuchtetes Stadion und nur mäßig gefüllte Tribünen, da der Gastgeber Jugoslawien im Halbfinale gegen Deutschland ausgeschieden war. Die Tschechoslowaken führten bald 2:0, doch wie so oft glich die DFB-Elf noch aus, wie so oft erst kurz vor Schluss, Hölzenbein traf in der 90. Minute zum 2:2. Es gab Verlängerung, 30 Minuten ohne besondere Vorkommnisse, Ende. Normalerweise würde wie bis dahin üblich ein Wiederholungsspiel an selber Stelle zwei Tage danach ausgetragen werden. Doch von wegen. Der DFB hatte aus Fürsorgepflicht seinen Spielern gegenüber per Antrag durchgedrückt, dass es im Falle eines Unentschiedens erstmals bei einer EM oder WM ein Elfmeterschießen und kein kräftezehrendes Wiederholungsspiel geben sollte. Die Einigung war erst am Vorabend zustande gekommen. Die Spieler sollten nach einer langen Saison früher in den Urlaub gehen können.

 

Und so wurde Hoeneß wieder einmal zu einem Pionier. Er wollte ja immer schon in allen möglichen Dingen der Erste sein, und seit jener Juninacht 1976 war er der erste Depp der Nation, der erste Profispieler, der bei einem Elfmeterschießen eines großen Turniers versagte. Und das nicht irgendwie läppisch per Flachschuss in die Arme des Torhüters, nein, er ballerte die Kugel so richtig herzhaft über das Tor in den Nachthimmel von Belgrad. All die sieben Schützen vor ihm hatten souverän getroffen, nur Hoeneß nicht. »Das werde ich nie vergessen, diese Momente habe ich immer noch vor mir. Ich war körperlich völlig am Ende und dann nach dem Schuss völlig apathisch, alles um mich herum rückte in weite Ferne«, erinnert er sich später. Der Weg vom Elfmeterpunkt zurück zur Mittellinie wird zu einem Marathon der Selbstvorwürfe. Als er bei den Kollegen ankommt, tröstet ihn Franz Beckenbauer und streichelt ihm übers Haar. Gleichzeitig lupft der nächste Schütze, der Tschechoslowake Antonín Panenka, die Kugel ganz zart und zugleich rotzfrech am gefoppten Sepp Maier vorbei mitten ins Tor. So, als wolle er zeigen: Herr Hoeneß, es geht auch mit Gefühl. 7:5, Ende.

 

Die Deutschen konnten also ihren EM-Titel nicht verteidigen. Und das alles wegen zwei Tagen früher Urlaub. Hoeneß hatte etwas getan, das in Erinnerung bleiben sollte, und musste dafür in all den Jahren danach mit einer Menge Spott leben. »Ulis Ball suchen sie in Belgrad wohl heute noch«, ist einer von Beckenbauers Lieblingswitzen. In einem ehrlichen Moment aber gestand er Hoeneß gegenüber: »Ich bin ja sogar froh, dass du den Ball verschossen hast, weil ich nach dir drangekommen wäre.« Viele Jahre später konnte auch der Versager von 1976 über die Schmach lachen, er konterte bei einem UEFA-Cup-Spiel des FC Bayern vor Ort in Belgrad im Herbst 2007: »Den Ball hat man kürzlich bei den Aufräumarbeiten nach dem Balkankrieg wiedergefunden.«

 

1974 hatte Uli Hoeneß nicht für den Schlusspunkt, sondern auch für die unglückliche Ouvertüre eines bedeutenden Spiels gesorgt, indem er einen Elfmeter verursachte. »Die schrecklichste Nacht meines Lebens«, wie er sagt, musste er vor dem WM-Finale am 7. Juli 1974 im Münchner Olympiastadion gegen die Niederlande durchmachen. Ausgerechnet vor dem wohl größten Spiel seines Lebens litt er an einem fiebrigen Infekt – 39 Grad Fieber, Schüttelfrost und Schweißausbrüche. In seinem Hotelzimmer wechselte er mehrmals den Schlafanzug und wendete die Matratze. Trainer Helmut Schön sagte Hoeneß nichts, aus Angst, nicht dabei sein zu dürfen. Er schwindelte sich also ins Finale, und sein Plan ging auf. Hoeneß durfte spielen, die Ärzte merkten nichts. Das bisschen Fieber hätte ja auch Lampenfieber sein können.

 

Das Unglück kommt in Gestalt des niederländischen Kapitäns Johan Cruyff auf Uli Hoeneß zu, schon zwei Minuten nach dem Anpfiff. Unaufhaltsam führt der Oranje-Spielmacher den Ball von der Mittellinie wie einen Hund an der Leine bis in den Strafraum der Deutschen, er wird dabei von Berti Vogts verfolgt, als wäre er Cruyffs Leibwächter. Im Strafraum angekommen, übernimmt dann Hoeneß und foult den Eindringling – Elfmeter. Die Deutschen hatten den Ball noch nicht wirklich berührt und lagen schon 0:1 hinten, Schuld hatte Hoeneß. Doch sein Kumpel Breitner und später Gerd Müller schafften die Wende und erlösten ihn – 2:1. Der Weltmeistertitel 1974. Für Hoeneß der größte Erfolg seiner Karriere als Nationalspieler.

 

Wenige Wochen zuvor – und das ist der dritte, jedoch freudigste Moment in seiner Zeit als Spieler – hatte er den für ihn wichtigsten Titel als Bayern-Profi erreicht. Den wertvollsten jener drei Serientriumphe im Europapokal der Landesmeister ab 1974, weil es der erste war und weil Hoeneß den größten Beitrag geliefert hatte. Im Finale in Brüssel gegen Atlético Madrid zeigte er der Welt, was Schnelligkeit und Coolness bedeuten. Mit dieser Mischung erzielte er das 1:0. Einen Pass von Breitner aus der eigenen Hälfte nimmt Hoeneß auf, sprintet auf den Atlético-Torwart zu und schiebt dem Spanier den Ball elegant durch die Beine. Zwischendrin trifft – natürlich – Gerd Müller zweimal. Die Krönung ist jedoch das 4:0, wohl das schönste Tor in Hoeneß’ gesamter Karriere. Nach einem Fehler der Spanier erhält Hoeneß an der Mittellinie den Ball und startet ein Solo, begleitet von »ARD«-Kommentator Oskar Klose, der seine sonst stets vornehme Zurückhaltung in diesem Moment völlig vergisst: »Hoeneß – ein Mann noch, einer ist bei ihm. An dem muss er noch vorüber, der Zweite kommt. Jetzt legen sie ihn um. Nein, er macht sie alle fertig.« So war es.

Und das holt sich Hoeneß immer wieder in Erinnerung. Es ist das einzige Spiel, das er sich alle paar Jahre einmal auf Video anschaut und dabei »heute noch Gänsehaut bekommt«. Es ist der bedeutendste Moment während seiner Bayern-Zeit als Aktiver. »Als ich damals in der Kabine saß, habe ich mir gedacht: Wenn man das Leben anhalten könnte und Glück spüren – da hatte ich es.«

 

Das Glück von Brüssel im Mai 1974, das süß-saure Erlebnis WM-Finale im Juli desselben Jahres in München, zwei Jahre später der Moment der Wahrheit beim Elfmeterschießen in Belgrad. Es sind bis heute diese drei Momente, welche die aktive Fußballerkarriere von Uli Hoeneß nachhaltig geprägt haben.

 

Wegen jenes Treffers gegen Atlético Madrid und vieler anderer gleicher Bauart wurde Hoeneß in den 1970er-Jahren der Titel »Jungsiegfried« verliehen, die blonden, kaum zu bändigenden Locken und die hohe Stirn waren sein Markenzeichen. Sepp Maier freut sich heute noch über die Sorge, die ihn als Torwart damals umtrieb: »Wenn er da rechts außen mit seiner roten Birne über den Platz gehetzt ist, dachte ich oft: Jetzt platzt er gleich.« Zur WM 1974 widmete die Deutsche Post Uli Hoeneß eine Sonderbriefmarke aus der Serie »Fußballweltmeisterschaft« im Wert von 40 Pfennig, eine Ehre, die sonst nur bereits Verstorbenen zuteilwurde. Darauf zu sehen war Hoeneß im Duell mit zwei Gegenspielern, allerdings wie bei einem Cartoon leicht verfremdet.

 

Zu jener Zeit war er der schnellste Stürmer Europas. An guten Tagen konnte er die 100 Meter in elf Sekunden laufen, was theoretisch beinahe für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen gereicht hätte. Tatsächlich trat er sogar einmal bei Olympia an, 1972 in München, nicht als Profi, sondern als Amateurspieler. Das hatte er zwei Jahre zuvor bei Vertragsabschluss mit Bayerns damaligem Manager Robert Schwan so vereinbart. Mit Hoeneß in der deutschen Mannschaft war Ottmar Hitzfeld, den er 26 Jahre später als Trainer engagieren wird. Eine Medaille gab es allerdings nicht für Uli, den Olympioniken, trotz des Heimvorteils. Nach einem 2:3 gegen die DDR schied die vom späteren Bundestrainer Jupp Derwall betreute Elf in der Zwischenrunde aus.