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Jaz Feehily

Vom Leben und anderen
Überraschungen

 

 

 

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Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,

Himmelstürmer is part of Production House GmbH

www.himmelstuermer.de

E-mail: info@himmelstuermer.de

Originalausgabe, März 2015

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden 24.Auflage

 

Coverfoto: fotolia.com

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg.

www.olafwelling.de

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

 

ISBN print 978-3-86361-440-9

ISBN epub 978-3-86361-441-6

ISBN pdf: 978-3-86361-442-3

 

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

Für Nick

Ein neuer Freund für Thomas

Sonne! Wo er hinsah war Sonne! Es war unglaublich heiß draußen. Das Thermometer zeigte 35°C im Schatten an. Der Juni zeigte sich von seiner schönsten Seite. Es war der 2. Juni, um genauer zu sein. Matthias sah von seinem Fenster aus hinunter auf die Straße! Er hatte die Neuen, die in das schöne neue große Haus, drei Hausnummern weiter, eingezogen waren, schon bemerkt. Das Haus von ihnen war der Wahnsinn. Es war riesig mit sechs Säulen am Eingang und einem wunderschönen Vorgarten. Wochenlang hatten Gärtner dafür gesorgt, dass es jetzt so aussah. Jeden Tag war er dort vorbei gegangen und hatte es sich angesehen. Es hatte laut den Handwerkern wohl acht Zimmer. Also schon ziemlich riesig.

In zwölf Tagen würde er endlich achtzehn werden. Darauf freute sich Matthias schon sein halbes Leben. Er könnte dann endlich einmal tun und lassen, was ihm gefiel. Bislang entschieden das nämlich seine Eltern. Tanya, eine verwöhnte hochnäsige Bankiersfrau, und sein Vater Steven. Seine Eltern hatten ihn weder geschlagen, noch hätten sie ihm je das Taschengeld gekürzt, aber sie waren halt selten zu Hause. Außer der Haushälterin, die jeden Tag dafür sorgte, das etwas zu essen auf den Tisch kam und das Haus sauber war. Freunde hatte er, jedoch wohnten die meisten nicht hier im Dorf sondern in Hamburg. Außer beim Sport, sah er sie selten. Er spielte Handball, aber auch da hatte er erst nach langem hin und her mit seinem Vater hingedurft. Der war der Meinung, das sei kein Sport für seinen Sohn. Seine Mutter meinte mal, Matthias hätte ein gutes Model abgegeben. Und das stimmte sogar. Mit seinen schwarzen Haaren und blauen Augen war er schon ein Traum. Dazu der trainierte Körper. Er wusste, dass ihm viele Frauen und sogar einige Männer auf der Straße nach sahen.

Doch Matthias hatte die Diskussion um Handball gewonnen, zahlte die Gebühren jedoch von seinem Taschengeld, oder besser gesagt von dem, was er von seiner Oma immer geschickt bekam. Die Mutter seiner Mutter war die allerbeste, wie er fand. Wie seine eigene Mutter so geworden war, konnte er sich nur schwer erklären. Sie hatte einst studiert, jedoch nie auch nur einen Tag gearbeitet, obwohl seine Großeltern Zeit ihres Lebens immer hatten arbeiten müssen. Er konnte sich nicht erklären, was seine Mutter zu dieser Einstellung bewogen hatte.

Er sah, wie die neuen Nachbarn den LKW ausluden und beschloss, ihnen zu helfen. Er schlüpfte rasch in seine Schuhe, pfiff nach seinem Hund Q-Tipp, steckte seinen Schlüssel ein und machte sich auf den Weg. Q-Tipp hob gleich am ersten Baum sein Bein.

„Wow Schatz, das Haus ist der Wahnsinn“, anscheinend war der Herr des Hauses sehr begeistert von seiner neuen Bleibe. Matthias schmunzelte, als er näher kam.

„Freut mich, wenn es dir gefällt, Nicky!“

„Mama, weißt du, wo meine Sporttasche hingekommen ist?“, hörte Matthias eine Jungenstimme und sah zur Haustür.

Groß, sportlich, schlank, mit braunen Haaren, steckte der Sohn des Hauses in einem roten T-Shirt und einer weißen Shorts, die ihm bis zu den Knien reichte. Matthias bemerkte, dass er seine Uhr am rechten Handgelenk trug, schloss daher, dass er Linkshänder war. An seinen Ohren entdeckte er Ohrringe, und das nicht nur bei ihm. Sein Vater hatte auch welche.

„Ach Thomas, ich weiß doch nicht, wo du deine Sachen hin gepackt hast“, rief ihm seine Mutter zu.

„Ich schon“, vernahm Matthias jetzt eine weitere Stimme. Eine rothaarige, zierliche Frau kam aus dem Haus. „Guck mal im Kofferraum, Bruderherz!“

„Danke, Stevie!“ Thomas rannte zum Auto und riss mit viel Schwung die vordere Tür auf, um den Knopf für die Heckklappe zu drücken. Als er die Tasche schließlich in den Händen hielt, schwenkte er sie wie einen Pokal über seinem Kopf.

„Bist du sicher, dass die zwei zu uns gehören, Scarlett?“, wollte jetzt Nicky von seiner Frau wissen.

„Mhh, keine Ahnung! Die Ähnlichkeit kann man nicht abstreiten, aber ansonsten!“ Sie mussten beide lachen. Q-Tipp war aus seinem Halsband geschlüpft. Das bemerkte Matthias erst, als er plötzlich einen Schrei vernahm.

„Aah! Oh Gott!“ Er vernahm Thomas’ Stimme. „Wer bist du denn?“ Q-Tipp saß Schwanz wedelnd vor Thomas und sah ihn treuherzig an.

„Entschuldige bitte. Das ist Q-Tipp!“, erklärte Matthias, der jetzt herankam. Das Kennenlernen hatte sein Hund ja schon für ihn übernommen. „Q-Tipp, entschuldige dich bitte!“, befahl er seinem Hund. Ganz brav hob dieser eine Pfote. Thomas grinste und nahm sie.

„Freut mich, Q-Tipp. Ich bin Thomas! Verrätst du mir auch, wie dein Herrchen heißt?“

„Matthias. Ich wohne drei Häuser weiter. Ich hab die letzten zwei Wochen schon gerätselt, wer hier wohl einziehen wird.“

Er reichte Thomas eine Hand und bemerkte dabei die grünen Augen von seinem Gegenüber. In Kombination mit den braunen Haaren sah das echt super aus, wie Matthias fand. Schnell riss er sich zusammen.

„Nur wir“, vernahm er Nickys angenehme Stimme. Sie klang sanft und tief. „Endlich mal etwas Ruhe von dem ganzen Stress der letzten Zeit.“

„Ja, und neue Aufträge“, sagte seine Frau und reichte Matthias die Hand. „Ich bin Scarlett. Das ist mein Mann Nicky und unsere Tochter Stevie.“

„Freut mich! Soll ich Ihnen was helfen?“

„Ja, hilf mir. Meine Kartons sind die schwersten“, hörte er Thomas klagen.

„Ach, du armes Kind. Aber du bist selber schuld“, fand seine Mutter. „Immerhin hast du die Kartons selber gepackt und so voll gestopft.“

„Aber doch nur, damit ich nichts vergesse“, rechtfertigte sich Thomas bei ihr.

„Na, dann lass uns mal anfangen, dann kannst du heute Abend in einem fertig eingerichteten Zimmer schlafen“, sagte Matthias und ließ sich von Scarlett eine Kiste geben.

Thomas fasste mit an.

Q-Tipp wurde von Stevie mit in den Garten genommen, dort konnte er spielen und vor allem nicht weglaufen, denn der Zaun war eingegraben im Boden, unmöglich für den kleinen Hund so tief zu buddeln.

Oben in Thomas’ Zimmer stand bereits sein Bett, fertig aufgebaut und bezogen, eine kleine Kommode und ein Schreibtisch. An der Wand neben der Tür ein Regal, in das Thomas die Bücher stellte. ‚Harry Potter’, ‚Eragon’ und ‚Der Herr der Ringe’. Aber auch die ‚Säulen der Erde’, ‚Die Tore der Welt’, ‚Die Nadel’ und ‚Sturz der Titanen’ standen hier im Regal. Die Wand hinter dem Bett war in einem schönen Rot gestrichen worden, der Rest der Wände war weiß geblieben. An das Zimmer grenzte ein Badezimmer mit einer großen Dusche und Badewanne, in der man zu zweit bequem sitzen konnte. Matthias war begeistert. Er reichte Thomas seine Düfte, Deo und die Handtücher, die dieser sofort wegräumte.

Nach einer Stunde des Schleppens, räumten sie zusammen die Kommode ein, seinen Kleiderschrank würde sich Thomas erst nächste Woche kaufen, wie er selber sagte. Matthias reichte ihm die Sachen und Thomas räumte sie ordentlich gefaltet in die Schubladen. Auf die Kommode stellte er Fotos von sich, seinen Eltern und Stevie. Eine ganze Weile bestaunte Matthias solche Bilder. Von ihnen wurde nur einmal im Jahr ein Familienfoto gemacht, für die Verwandten und zum Aufhängen in der Galerie. Ansonsten wurden bei ihm nur die wichtigen Dinge festgehalten. Einschulungen, sportliche Erfolge oder Matthias’ erster Debütantinnenball, von dem sich seine Eltern versprochen hatte, er möge da die Frau seines Lebens finden. Was natürlich nicht passiert war. Er konnte seitdem zwar ausgezeichnet tanzen, aber damit hatte es sich auch schon. Auf sechs Veranstaltungen dieser Art hatten ihn seine Eltern schon geschleift. Dazu kamen noch unzählige Partys bei Freunden seiner Mutter. Wie er so was gehasst hatte. Immer schick und im Anzug da stehen zu müssen, sich mit unwichtigen Leuten unterhalten. Es war ihm so eintönig vorgekommen. Immer dieselben Gespräche, wer mit wem verlobt war, welche Frau sich neue Klunker gekauft und wer sich ein neues Auto gekauft hatte. Die Mädchen hatten diskutiert, welchen Mann sie toll fanden oder was sie schon alle im Haushalt konnten, um eine perfekte Ehefrau zu werden. Matthias hatte nicht gewusst, dass es solche Ehevorbereitungskurse für Frauen noch gab, wo sie kochen, nähen und die richtigen Umgangsformen lernten.

„Hey, wo bist du mit deinen Gedanken?“, riss ihn Thomas’ Stimme aus seinen Träumen.

„Bei meiner total versauten Jugend“, kam es leise von Matthias, der noch immer die Bilder betrachtete. „Solche normalen Fotos gibt es bei mir nicht. Nur die offiziellen Familienfotos und die von gesellschaftlichen Ereignissen.“ Er schüttelte sich ausgiebig bei dem bloßen Gedanken.

Es klopfte und Nicky steckte seinen Kopf durch die Tür, er hielt eine Laptoptasche in der Hand.

„Den hast du vergessen. Ich dachte, du brauchst ihn vielleicht“, lachte er und reichte die Tasche seinem Sohn.

„Danke, Papa. Wann gibt es Essen?“

„In einer Stunde! Es gibt Lasagne! Du bist natürlich auch herzlich eingeladen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er wieder hinaus und schloss die Tür hinter sich.

„Dein Vater kocht?“, fragte Matthias völlig entgeistert.

„Ja natürlich! Deiner nicht?“

„Nein! Der würde sich nicht mal in die Küche stellen, wenn er kurz vor dem Verhungern wäre. Erstens ist das für ihn Frauenarbeit und zweitens unter seiner Würde. Aber meine Mutter kocht auch nicht. Ich darf es nicht. Unsere Haushälterin macht das Essen. Aber ich kann kochen. Nur verrate es bitte nicht.“

„Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher!“, Thomas zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Hast du eine Mail Adresse? Dann könnte ich dir heute Abend noch schreiben?“

„Natürlich“, sagte Matthias sofort. „Hast du einen Zettel und einen Stift für mich?“

Thomas kramte in seinen Schreibtischschubladen und gleich darauf hielt er beides in den Händen. Sie tauschten die Mailadressen und Telefonnummern aus und steckten sie gut ein.

„Komm, ich zeig dir noch den Rest des Hauses“, schlug Thomas vor. Neugierig folgte Matthias ihm. Das Arbeitszimmer von Scarlett und Nicky war eine gelungene Mischung aus Moderne und Barock. Ein paar alte Stühle und Sessel standen hier, zwei bequeme Bürostühle, aber alte Schreibtische, neue Regale an den Wänden und ein paar alte Gemälde.

„Gefällt mir“, sagte Matthias leise und betrat den Raum. An der Wand hing die Urkunde, mit der Nicky damals zum Doktor wurde. Er war Anwalt.

Auf Scarletts Seite hingen viele Fotos an der Wand und es standen bunte Ordner in den Regalen. Thomas erklärte Matthias die Bedeutungen. Scarlett schien hier das meiste Geld zu verdienen. Er sah einen riesigen Berg Aufträge in ihrer Ablage liegen.

Sie gingen weiter, klopften bei Stevie an. Der Raum war weiß gestrichen, doch Stevie hatte Wandtattoos darauf geklebt. Sie war zwar erst dreiundzwanzig, doch sie hatte schon ihr Floristenmeister Diplom in der Tasche. Thomas war stolz auf seine große Schwester.

Unten im Wohnzimmer befanden sich ein riesiges Entertainmentcenter mit riesigem Fernseher, Wii-Konsole, DVD-Player und Surroundanlage. Ein großes Sofa mit einem Glastisch rundete das Ganze harmonisch ab. Der Kamin gab dem Raum eine besondere Note. So etwas hatte Matthias sich schon als kleines Kind gewünscht. Nicky werkelte immer noch in der Küche. Thomas und Matthias gingen zu ihm.

„Willst du auch was trinken?“, fragte Thomas ihn.

„Ja bitte! Wenn ich euch schon alle bekochen muss“, grinste sein Vater ihn an. Thomas holte eine Flasche Wasser heraus und drei Gläser aus dem Schrank und schenkte ihnen etwas ein.

„Sind deine Eltern arbeiten, Matthias?“

„Mein Vater ja. Wo meine Mutter ist, keine Ahnung. Aber sie wird schon wieder auftauchen! Vermutlich ist sie mit Freunden unterwegs, einkaufen, oder zur Maniküre oder so was.“

„Hast du denn Geschwister?“, fragte Nicky weiter.

„Nein, leider Einzelkind. Meine Eltern waren immer der Auffassung, dass ein Kind reicht, um die Blutlinie fortzusetzen.“

„Gott, das klingt ja so, als wollten dich deine Eltern möglichst schnell verheiraten!“, sagte Thomas und sah ihn ganz erschrocken an.

„Eine Zeit lang war das auch so. Was glaubst du, auf wie vielen Debütantinnenbällen ich war in meinem Leben? Meine Eltern dachten ja immer, ich würde die richtige noch finden. Leider Fehlanzeige. Oder besser gesagt zum Glück!“

„Thomas, holst du mal deine Mutter und Stevie, es gibt gleich Essen. Hilfst du mir beim Tischdecken, Matthias?“

„Natürlich. Sagen Sie mir nur, wo sie essen wollen, drinnen oder draußen.“

„Draußen und bitte sag Du zu mir. Ich werde schon genug gesietzt.“ Er gab Teller und Besteck an Matthias weiter und dieser deckte auf der Terrasse den Tisch. Er bemerkte erst jetzt, dass es hier sogar einen Pool gab. Bei ihnen gab es so etwas auch, aber alleine schwimmen machte ihm nur selten Spaß. Meistens schwamm er morgens ein paar Runden bei gutem Wetter. Aber so richtig im Wasser getobt wie als kleines Kind, hatte er schon lange nicht mehr. Q-Tipp kam angelaufen, für ihn holte Matthias schnell eine Schüssel mit Wasser und stellte sie ihm hin. Etwas zu fressen hatte der Hund erst vorhin gehabt.

Zehn Minuten später saß die ganze Familie mit Matthias zusammen am Tisch und ließen sich Nickys Lasagne schmecken. Sie fragten Matthias aus und dieser beantwortete alle Fragen bereitwillig. Dabei stellte sich heraus, dass er auf die gleiche Schule ging wie Thomas nach den Ferien.

„Dann hab ich ja morgens jemanden zum quatschten im Bus, das ist klasse“, freute sich Matthias. Er war ganz aufgeregt. „Unsere Klasse ist ganz super. Naja, das heißt Hannah und die Jungs, sind super. Den Rest der Mädchen kannst du echt vergessen. Geschminkt mit rosa Lipgloss und toupierten Haaren.“ Thomas schüttelte sich schon bei dem bloßen Gedanken daran. „Aber Hannah und Leo wirst du mögen. Das sind unsere Klassensprecher. Sehr entspannt, die zwei!“

„Ach, das passt schon. Neue Schule, neues Glück!“, sagte Thomas.

„Machst du Sport?“, fragte Stevie ihn jetzt und nahm ihr Glas wieder zur Hand. Ihr Teller war bereits leer.

„Ja, ich spiele Handball. Auch wenn das echt ein Kampf war. Meine Eltern wollten, dass ich reiten lerne. Das hat mir viel Spaß gemacht und wenn ich bei meinen Großeltern bin, dann reite ich immer mal wieder. “

„Thomas spielt auch Handball“, erklärte Scarlett jetzt. „Vorzugsweise als Rechtsaußen, weil er Linkshänder ist.“

„Ich spiele gerne Kreis. Ich bin beim HSV untergekommen, vor zwei Jahren. Ich kann dich ja mal mitnehmen wenn du möchtest, dann kannst du dir das anschauen? Wir trainieren immer Dienstags und Freitags. Zwischen achtzehn und zwanzig Uhr. Unsere Spiele sind meistens am Sonntag!“

„Ich komme gerne mit. Immerhin haben wir noch sechs Wochen Ferien!“

„Ich zeige dir gerne mal Hamburg. Bis in die Stadt ist es nur eine halbe Stunde mit der Bahn. Dann kann ich dir auch schon mal den Weg zu unserer Schule zeigen, wenn du möchtest.“

Nach dem Essen halfen sie beim Abräumen, dann machten es sich Thomas und Matthias auf zwei Liegen am Pool bequem. Das hatten sie sich verdient, fanden sie. Der Hund lag jetzt unter einem Baum und schlief eine Weile. Thomas erzählte etwas von München, wo sie bisher gewohnt hatten und dass es sein großer Traum war, nach der Schule Tischler zu werden.

„Das ist doch ein schöner Beruf!“, fand Matthias. „Ich kann mir das gut vorstellen bei dir.“

„Ich hab auch schon ein paar Sachen selber gemacht. Der kleine Schrank, der bei Stevie im Zimmer steht, ist von mir. Den hab ich zu ihrem achtzehnten Geburtstag gemacht.“

„Der ist total schön.“

„Wann hast du denn Geburtstag?“

„Am dreizehnten Juni!“

„Das ist ja schon bald!“

„Ja!“

„Und was wünscht du dir?“

„Keine Ahnung. Von meinen Eltern kriege ich immer nur Geld und einen Kuchen. Aber keine Geschenke mehr. Sie sagen, aus dem Alter sei ich raus.“

„Wie doof ist das denn bitte!“, entrüstete sich Thomas. „Gibt es gar nichts, was du dir wünschst?“

„Doch einen neuen Handball brauche ich. Und einen neuen Duft von Lacoste Challenge wünsche ich mir auch. Vielleicht auch mal wieder Kinogutscheine.“

„Ich finde schon was für dich. Mach dir mal keine Sorgen. Was hältst du davon, wenn wir morgen gleich in die Stadt gehen?“

„Warum nicht. Brauchst du auch noch was?“

„Ja, einen neuen Rucksack für die Schule und ein paar neue Schreibsachen und Bücher.“

„Kein Problem. Wir haben ja den ganzen Tag Zeit. Soll ich dich um neun abholen morgen früh?“

„Gerne. Meine Mutter braucht bestimmt auch noch was! Gibt es da ein Reformhaus?“

„Ja, gibt es. Auch einen guten Coffeeshop.“

Sie alberten noch eine ganze Weile herum. Doch gegen sechs musste Matthias zum Essen nach Hause. Er verabschiedete sich von Thomas, versprach aber noch zu schreiben.

Das Essen bei Matthias und seinen Eltern verlief schweigend. Man hatte sich selten etwas zu sagen. Als er fertig war, legte er ordentlich sein Besteck auf den Teller und wünschte eine gute Nacht.

In seinem Zimmer drückte den Knopf an seinem Computer und machte das Fenster auf. Davor war ein Mückennetz angebracht, denn er hasste es, im Sommer zerstochen zu werden.

Er loggte sich ein und fand recht schnell die Mail von Thomas. Anscheinend freute sich da jemand schon genauso sehr wie er auf den morgigen Tag. Er lächelte bei dem Gedanken an die grünen Augen und das umwerfende Lächeln des anderen. Thomas ließ außerdem fragen, ob sie morgen noch ins Kino wollten.

Eilig schrieb er ihm zurück, dass ihr Treffen wie vereinbart stattfinden würde und Kino kein Problem sei. Matthias sah auf die Uhr. Erst halb acht. Er nahm sich noch ein Buch aus dem Regal und las noch eine Runde ‚Die Päpstin’. Um zehn machte er sich schließlich fertig fürs Bett. Er kuschelte sich in seine Decke ein und glitt ins Land der Träume.

Einkaufsbummel in Hamburg!

Ein nervtötendes Piepen riss Thomas aus dem Schlaf.

„Blöder Wecker“, grummelte er und schlug das Teil mit Gewalt aus. Er sah auf die Uhr. Es war acht Uhr. Um neun war er mit Matthias verabredet. Also hatte er noch genügend Zeit. Er schlug die Decke zurück und erhob sich langsam. Mit müden Schritten tapste er ins Badezimmer und stellte sich unter eine lauwarme Dusche! Das tat gut! Nachdem das letzte bisschen Shampoo aus seinen Haaren gewaschen war, stellte er das Wasser ab und griff zum Handtuch.

Trocken und mit Sonnencreme versehen, betrat er wieder sein Zimmer und zog eine schwarze Boxershorts, rote Shorts drüber und ein weißes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck an.

Der Frühstückstisch war schon gedeckt und Stevie stand in der Küche. „Morgen, kleiner Bruder!“

„Morgen! Kaffee?“

„Steht in der Maschine, nimm dir welchen!“

Während ihr Bruder sich einen Kaffee machte, holte sie die Aufbackbrötchen aus dem Ofen und legte sie in einen Brotkorb.

Nicky und Scarlett kamen jetzt ebenfalls herein. Beide wirkten wie das blühende Leben.

„Morgen, ihr beiden“, begrüßte Nicky die Kinder und setzte sich.

„Morgen, Papa“, kam es leise von Thomas, welcher an seinem Kaffee nippte.

„Was habt ihr heute so vor?“, wollte Scarlett jetzt wissen.

„Ich gehe gleich eine Runde schwimmen und danach werde ich mir dieses Dorf ansehen“, erklärte Stevie und lächelte ihre Mutter an.

„Ich bin mit Matthias verabredet. Wir wollen einkaufen und ich will noch einen Geschenk für ihn zum Geburtstag kaufen.“

„Wann hat er denn?“, fragte Nicky.

„In elf Tagen schon! Und von seinen Eltern gibt es wohl immer nur Geld, aber keine Geschenke mehr. Die meinen, er sei dafür zu alt.“

„Wie kommen seine Eltern denn auf so einen Unfug?“, wollte Nicky wissen.

„Ich weiß es nicht“, sagte Thomas. „Aber er hat mir ein paar Wünsche genannt, davon besorge ich ihm was. Um ihm was selbst zu machen, reicht die Zeit nicht mehr so wirklich. Aber hey, kannst du sonst Morgen mal von uns ein paar Fotos machen, Stevie? Dann könnte ich ihm eines davon schenken.“

„Klar, kein Problem.“

„Dann kaufe ich nachher gleich noch einen schönen Bilderrahmen dazu.“

Das Frühstück war lustig wie immer. Die Atmosphäre war eine völlig andere als drei Häuser weiter. Matthias war alleine. Er ging mit seinem Hund raus und stellte ihm danach etwas zu fressen hin. Den Rest des Tages würde sich die Haushälterin darum kümmern. Diese stellte seine Cornflakes und sein Rührei vor ihm ab, schenkte ihm Kaffee ein und ließ ihn dann alleine. Matthias las nebenbei. Wenn seine Eltern da gewesen wären, hätte er das nicht gedurft, aber jetzt interessierte es keinen. Als er fertig war, erhob er sich. Um den Abwasch musste er sich nie kümmern.

Er zog sich Schuhe an, steckte Schlüssel, Handy und seine Brieftasche ein und machte sich auf den Weg.

Thomas hibbelte schon ungeduldig herum. Nicky drohte ihn irgendwann festzubinden, wenn er so weiter machen würde. Als es schließlich klingelte, riss Thomas schon fast mit Gewalt die Tür auf.

„Du bist da!“, freute er sich und sprang auf und ab.

„Ganz ruhig!“ Matthias hielt Thomas fest und zwang ihn stehenzubleiben. „Ich hab doch gesagt, ich hole dich um neun ab. Und, da bin ich.“

„Dann können wir ja los!“ Thomas griff sich seine Sachen, setzte sein Cappy auf.

„Ja, nimm ihn bloß mit, Matthias, bevor er noch den Teppich durchläuft“, hörten sie Nickys Stimme aus dem Wohnzimmer.

„Bis später!“

Sie verließen das Haus und machten sich auf den Weg.

Sie kamen an der Bushaltestelle an und setzten sich auf die Bank. „Hast du denn gut geschlafen?“, fragte Matthias.

„Ja, viel zu gut. Ich wollte gar nicht aufstehen heute früh. Der Wecker war so gemein und hat mich aus meinem Traum gerissen.“

„Ach je, du armer Kerl. Soll ich dich trösten?“

„Ja bitte!“ Thomas sah ihn mit einem gekonnten Welpenblick an. Mitfühlend strich Matthias ihm über den Kopf.

„Besser?“

„Viel besser. Musst du auch irgendwohin?“

„Nein, eigentlich nicht. Aber vielleicht finde ich ja noch ein paar kurze Hosen und eine neue Badeshorts brauche ich auch.“

„Das sollte zu finden sein in der Stadt“, war Thomas sich sicher. Der Bus kam und Thomas löste gleich eine Tageskarte.

In der Stadt war es noch verhältnismäßig ruhig, denn die meisten Kinder hatten noch ein paar Tage Schule, nur die Abgänger hatten schon frei. Zuerst statteten sie Thalia einen Besuch ab. Thomas kaufte sich das, was er brauchte: ein Wörterbuch Deutsch-Englisch, ein paar Bücher zum Lesen und einen Terminkalender. Schwer bepackt gingen sie schließlich weiter.

Im Levante Haus war Thomas ganz erstaunt über die Auswahl an Kaffee. Er kaufte fünf Sorten, jeweils zu 200 Gramm. Mit Karamelgeschmack, Vanille, Zimt und noch zwei andere, dessen Namen er jedoch nicht einmal aussprechen konnte. Aber es roch so gut, er musste erst einmal ausgiebig an den Tüten schnuppern, bevor sie weiter gehen konnten.

Der Legostore wurde unsicher gemacht. Matthias bekam große Augen und Thomas machte sich heimlich eine Notiz auf seinem Handy. Dann trennten sie sich.

Eine Stunde später trafen sie sich wieder.

„Hast du alles bekommen?“

„Ja, hab ich. Jetzt brauche ich nur noch einen Reformladen für meine Mutter und dann bin ich fertig.“ Sie gingen in das Gebäude und fanden den Laden recht schnell. Matthias hielt die Taschen fest, während Thomas mit geübtem Blick durch die Reihen ging und seinen Einkaufskorb füllte.

„Wer isst das bei euch?“, fragte Matthias neugierig.

„Meine Mutter. Sie hat Diabetes. Da braucht sie Süßigkeiten von hier und Marmelade.“ Thomas legte noch Kekse in den Korb und ging dann zur Kasse.

Schwer beladen ging es weiter. Sie holten sich noch einen Kaffee und einen Bagel mit Lachs.

„Erzähl mir noch etwas von dir?“, bat Matthias irgendwann.

„Was willst du denn wissen?“

„Alles! Was ist deine Lieblingsfarbe? Dein liebstes Hobby? Dein größter Traum? Alles halt!“

„Also meine Lieblingsfarbe ist rot. Deshalb auch die rote Wand in meinem Zimmer. Aber blau mag ich auch sehr gerne. Ich trage gerne Schmuck, also Kette, Ohrringe und meine Uhr. Mein liebstes Hobby neben Handball ist tatsächlich das Tischlern. Es macht mir Spaß und ich will mir demnächst eine eigene Werkstatt im Schuppen einrichten. Mein größter Traum ist es, noch etwas von der Welt zu sehen. Ich war schon ein Jahr in Amerika und spreche von daher fließend Englisch. Ich will noch mal nach Neuseeland für ein paar Wochen und Australien.“

„Was, keine Freundin und mal Kinder oder so was?“

„Mhh, ne.“

„Wieso nicht?“

„Ich kann Frauen nichts abgewinnen“, gab Thomas leise zu, seinen Blick hatte er starr auf die Tischplatte vor sich gerichtet. „Nicht, dass ich Frauen nicht mögen würde, nur halt nicht als Freundin.“

Matthias hob sein Gesicht an und lächelte.

„Dann kann ich dich ja mal mitnehmen. Aber du musst mir bei deinem Leben versprechen, dass nichts, was ich dir jetzt erzähle, meinen Eltern zu Ohren kommt!“

„Versprochen!“

„Also, meinen ersten Freund hatte ich mit fünfzehn. Ich habe es immer vor meinen Eltern verheimlichen müssen. Die halten so was für total abnormal. An dieser Heimlichtuerei ist die Beziehung nach fünf Monaten zerbrochen. Ich konnte es meinen Eltern nicht sagen. Die hätten mich sonst wohin verfrachtet, um mir das auszutreiben. Dann hab ich Mario getroffen. Ein guter Freund meiner Klassenkameradin Hannah. Hier in der Stadt gibt es einen Treff für uns. Zweimal die Woche. Ich bin da sehr gerne. Weil wir da alle gleich sind und mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.“

„Deine Eltern scheinen schwer einen an der Klatsche zu haben“, bemerkte Thomas trocken. „Mein Vater hat das ganz locker genommen, als ich ihm das erzählt habe. Der war total erleichtert darüber, dass ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt habe. Leider ist es an die falschen Ohren gekommen, das war für mich der Albtraum an der Schule. Als ich zusammengeschlagen wurde, hat meine Mutter mich von der Schule genommen. Die Jungs hab ich angezeigt, aber es war Horror. Ich hatte Angst, vor die Tür zu gehen. Die Jungs sind zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden und mussten mir Schmerzensgeld zahlen, in Höhe von knapp fünfzehntausend Euro. Naja, das Geld hab ich immer noch. Aber ich rühre es nicht an. Ich will damit mal was Gutes bewirken. Aber Geld kann auch die seelischen Schmerzen nicht ungeschehen machen. Schließlich haben sie mir immer wieder aufgelauert. Ich hatte Angst, alleine rauszugehen. Das war entsetzlich.“

„Ich bin froh, dass du hier bist“, gestand Matthias. „Deine Familie ist so toll. Ich hoffe, dass ich Ende nächsten Jahres ausziehen kann!“

„Hast du genug Geld?“

„Ja, ich hab viel gespart. Was Taschengeld anging, waren meine Eltern nie knauserig. Ich kriege zweihundert Euro im Monat. Davon hab ich immer die Hälfte auf mein Sparbuch gepackt. Inzwischen sind es mehr als zweitausend Euro.“

„Wow, ganz schön viel. Ich hab nicht ganz so viel auf dem Konto, aber ich muss auch nicht nächstes Jahr ausziehen.“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile.

Sie aßen auf und machten sich dann auf den Weg zum Skatershop. Thomas fand schnell, was er suchte. Einen schönen Rucksack in Rot mit einem schwarzen Muster drauf.

„Ja, man sieht, dass du Rot magst“, grinste Matthias ihn an.

„Ist ja auch eine schöne Farbe.“ Er bezahlte die fünfzig Euro für den Rucksack an der Kasse und verstaute dann gleich seine Einkäufe darin. So war es wesentlich angenehmer zu tragen. „Jetzt noch ins Kino?“

„Ja klar. Lass uns mal zum Dammtor fahren!“ Sie verließen den Laden und stiegen in die U-Bahn.

„Was möchtest du denn nächstes Jahr beruflich machen?“, fragte Thomas nach einer Weile. „Willst du studieren oder eine Ausbildung machen?“

„Ich will Maler werden und später meinen Meister machen.“

„Auch nicht schlecht. Auch ein kreativer Beruf, wenn du dich später spezialisieren würdest.“

„Du sagst es. Mein Vater will, dass ich studiere. Am besten BWL oder Medizin. Aber ich will nicht auf eine Uni. Ich will nicht nur meinen Kopf anstrengen, sondern auch den Rest meines Körpers. Leider halten meine Eltern Maler für einen inakzeptablen Beruf.“

„Wieso das denn? Da verdient man doch gutes Geld nach der Ausbildung.“

„Ja, aber ihrer Ansicht nach zu wenig. Wie soll ich denn mit dem Gehalt eine Familie ernähren?“ Matthias grinste ihn viel sagend an.

„Am Besten ziehst du schnellstens aus. Aber wenn du gerne malst, würde ich deine Hilfe gerne in Anspruch nehmen. Ich will doch den Schuppen streichen und meine Werkstatt daraus machen. Ich weiß nur noch nicht, wie sie am Ende mal aussehen soll.“

„Zeig mir doch mal den Schuppen. Ich helfe dir auch beim Ausräumen und saubermachen.“

„Das ist ein Angebot“, freute sich Thomas.

Die Haltestelle wurde angesagt und sie stiegen aus.

Im Kino war es voll. Kein Wunder, es liefen ein Haufen guter Filme. Sie entschieden sich für ‚Fluch der Karibik Teil 4’, kauften die Karten und holten sich Nachos mit Käsesoße und Cola dazu. Sie gingen ganz früh in den Saal und setzten sich auf ihre Plätze in der letzten Reihe.

„Jetzt erzähl mir was von eurem Treff“, bat Thomas irgendwann leise.

„Das solltest du dir schon selber anschauen. Du kannst ja morgen mitkommen. Im Moment sind zwar einige schon im Urlaub, aber der Rest dürfte da sein. Mario ist der älteste. Er ist vierundzwanzig. Von Beruf Juwelier. Sehr ungewöhnlich und der ruhigste von uns. Aber wirklich nett und man kann toll mit ihm reden. Er ist mit Kevin zusammen, der ist einundzwanzig. Kevin ist Fotograf. Das macht er schon, seit er klein ist, sagt er immer! Er ist jetzt in seinem dritten Lehrjahr. Dann ist da noch Chris, ein ganz lieber Kerl, sehr aufgedreht, über Filme weiß er alles. In seiner Freizeit ist er Designer. Und bevor du lachst. Er ist wirklich gut. Wir haben schon fast alle etwas von ihm im Schrank. Basti ist unser Automechaniker. Neunzehn Jahre alt. Dann sind da noch Clemens und Jana. Unsere Pädagogen. Clemens hat Musik studiert auf Lehramt und spielt Klavier und Schlagzeug. Jana ist gelernte Erzieherin. Die sind beide wirklich sehr nett und kommen auch mit, wenn wir mal zu Ämtern müssen oder in der Schule Probleme haben. Und den Rest lernst du morgen kennen. Das sind die, mit denen ich immer zusammen sitze. Im Treff können wir auch was essen. Die Gruppe ist an ein Jugendzentrum angeschlossen, mit warmer Küche für mittags und abends. Jeden Tag gibt es etwas anderes und für drei Euro kannst du da gut essen. Getränke kauft Clemens immer von der Kaffeekasse. Das sind fünf Euro im Monat von jedem für Kaffee, Cola und Wasser.“

„Das klingt toll. Was für Möglichkeiten, was zu machen habt ihr denn da so?“

„Kickertische, Billard, Dart haben wir auch. Sonst noch Schachbretter, andere Gesellschaftsspiele. ‚Spiel des Lebens’, ‚Tabu’, ‚Nobody is perfekt’. Wir haben eine ganze Menge.“

Matthias schwieg kurz, weil sich jemand neben ihn setzte und beugte sich näher zu Thomas.

„Die anderen werden dich mögen, glaub mir. Die sind alle ganz nett.“

Thomas nickte nur und schob sich noch etwas von seinen Nachos in den Mund.

Nach fast zweieinhalb Stunden war der Film zu Ende und das Licht ging wieder an. Matthias räkelte sich in seinem Sitz.

„So, jetzt nach Hause und noch eine Runde in den Pool hüpfen“, sagte Thomas zu ihm. „Oder musst du nach Hause?“

„Nein, ich hab keine Zeit abgemacht. Solange ich vor Mitternacht wieder da bin, ist alles gut.“ Sie erhoben sich und gingen aus dem Saal. Draußen schlug ihnen wieder die sommerliche Hitze entgegen.

Als Thomas mit Matthias nach Hause kam, saßen Nicky und Scarlett auf der Terrasse in einem großen Strandkorb.

„Ich bin wieder da“, rief Thomas durch das Haus und stellte seine Einkäufe ab und holte die Sachen für seine Mutter aus dem Rucksack.

„Wir sind draußen!“, hörte er die Stimme von seinem Vater. Matthias folgte ihm durch das Wohnzimmer.

„Hallo, ihr zwei“, wurden sie von Scarlett begrüßt. „Wie war es in der Stadt?“

„Es ging“, sagte Matthias. „Nicht so voll, wie wir dachten.“

„Hier sind deine Sachen, Mama.“ Thomas reichte ihr die Tüte. „Die Rechnung liegt drin!“

„Alles klar, ich leg dir das Geld in die Küche. Wie war euer Film?“

„Super. Wir wollten noch eine Runde schwimmen gehen, wenn das okay ist. Matthias muss seine neuen Shorts einweihen. Oder gibt es erst Essen?“

„Nein, Essen gibt es erst in einer Stunde“, sagte Nicky. „Ich dachte, heute Abend an Steak mit Kartoffelgratin, Pfeffersauce und zum Nachtisch Erdbeeren mit Sahne.“

„Klingt gut“, fand Matthias, dem schon das Wasser im Mund zusammenlief. „Dann gehen wir uns schnell umziehen.“

„Euer Pool ist super“, fand Matthias und schwamm jetzt neben Thomas her. „Macht ihr eigentlich eine Einweihungsfeier?“

„Bestimmt. Musst du nachher mal meine Mutter fragen. Ich meine, wir wohnen hier erst seid gestern. Wir müssen doch erstmal schauen, wer so neben uns wohnt.“

„Das stimmt. Nur keine Eile. Wollen wir sonst morgen mal deinen Schuppen in Angriff nehmen? Ich würde meinen Hund mitbringen, wenn es dir recht ist. Ich bringe auch einen Napf und sein Fressen mit. Hab eh alles doppelt für den Urlaub und so.“

„Kein Problem. Der Kleine ist hier jederzeit willkommen. Dann lass uns nachher mal gucken, dann könnten wir morgen ja schon Farbe kaufen. Vielleicht fährt Stevie uns ja zum Baumarkt.“

Irgendwann wurde es ihnen zu langweilig nur Bahnen zu schwimmen und Thomas holte einen Ball. Es entwickelte sich ein heißes Duell, doch keiner vermochte es, dieses für sich zu entscheiden. Als Nicky schließlich zum Essen rief, kletterten die zwei Wasserratten aus dem Becken, trockneten sich so gut es ging ab und bekamen zwei Bademäntel von Scarlett gereicht.

„Duschen könnt ihr nach dem Essen“, sagte sie und die Jungs nahmen Platz.

„Würdest du uns morgen zum Baumarkt fahren, Stevie?“, wollte ihr Bruder auch gleich von ihr wissen.

„Von mir aus, ich hab ja Zeit. Was braucht ihr denn?“

„Farbe. Für den Schuppen. Ich will doch meine Werkstatt einrichten. Matthias sieht ihn sich gleich an und hat dann vielleicht schon eine Idee.“

„Dann braucht ihr aber auch Overalls und Rollen. Sonst wird das nichts.“

„Klar, kaufen wir gleich mit.“

„Außen würde ich die Wand ja am liebsten Sprühen, wenn dir das recht ist?“, sagte Matthias und warf einen Blick auf die weiße Wand. „Ich hätte auch schon ein Motiv im Kopf.“

„Klar gerne, wenn du weißt, wo du Sprühdosen bekommst?“

„Natürlich. Bei dem Händler meines Vertrauens hier im Dorf. Der hat so was. Und auch alle Farben, die man haben will.“

Nicky stellte die Pfanne und die Auflaufform auf den Tisch. Matthias bekam zuerst etwas zu Essen, schließlich war er der Gast.

„Guten Appetit“, wünschte dieser und bekam nur Gemurmel zurück, da alle schon den Mund voll hatten.

„Sehr lecker, Nicky“, sagte Matthias.

„Freut mich, wenn es dir schmeckt. Was gibt es denn bei euch zu Hause immer zum Essen?“

„Ganz unterschiedlich. Meistens einen Salat oder eine Suppe vorweg, dann gibt es Fisch oder Fleisch und zum Nachtisch entweder komische Kreationen oder Torte.“

„Also Fisch gibt es bei uns nur alle zwei Wochen. Und dann nur Lachs oder Aal. Ab und zu essen wir das ganz gerne. Aber sonst lieber Fleisch oder italienisch.“

„Ja, ich merk schon, dass ihr alle Italienisch sehr gerne esst, egal in welcher Variante.“

„Ist ja auch lecker“, sagte Stevie mit vollem Mund.

„Stevie iss ordentlich“, rief Scarlett sie zur Ordnung.

„Sorry, Mama!“

Nach dem Essen gingen die Jungs schnell duschen und Thomas lieh Matthias eine Boxershorts und ein frisches T-Shirt.

„Dir stehen meine Sachen ja richtig gut“, freute sich dieser.

„Das liegt daran, dass wir die gleiche Größe haben“, lachte Matthias. „Zeigst du mir jetzt den Schuppen?“

„Klar, komm mit.“ Sie gingen nach draußen und Thomas schloss die Tür auf. Er machte Licht, welches kurz flackerte.

„Also, wir brauchen auf jeden Fall sehr viel stärkere Lampen“, sagte Matthias sofort. „Wie willst du sonst vernünftig arbeiten? Wo willst du denn deine Werkbank hin haben?“

„Da an die Wand“, Thomas deutete nach rechts.

„Du solltest die Werkbank lieber einen Meter vor der Wand stehen lassen. Dann kannst du bequem von allen Seiten arbeiten. Also, diese Wand würde ich Mitternachtsblau streichen und dann mit silbernen Sternen bekleben.“

„Hört sich gut an.“

„Die anderen Wände bleiben erstmal weiß. Dann brauchst du einen verschiebbaren Werkzeugschrank. Und genügend Steckdosen.“ Er sah sich um. Fünf Stück zählte er nur. Das sollte für den Anfang reichen. „Die Lampe müssen wir austauschen und über deiner Werkbank eine einzelne anbringen, damit du im Winter genügend Licht hast. Dann würde ich mir hier eine Heizung einbauen lassen. Hier ist ein Anschluss“, Matthias zeigte in eine Ecke. Thomas musste ihm recht geben.

„Das muss ich erst mal mit meiner Mutter absprechen“, sagte Thomas. „Aber die Idee ist gut. Dann friere ich im Winter nicht. Ich brauche sie ja nur von Oktober bis ungefähr April!“

„Vor den zwei Fenstern kannst du Vorhänge machen, dann kann hier keiner rein sehen, wenn du an den Weihnachtsgeschenken arbeitest. Ich würde dir ein dunkles Rot vorschlagen. Und eine Fußmatte vor die Tür, damit du die Schuhe tauschen kannst, bevor du ins Haus gehst.“

„Wow! Hast du noch mehr solche Einfälle?“

„Ja, haufenweise. Aber das reicht erstmal, finde ich.“

Sie gingen wieder hinaus und Thomas schloss wieder die Tür ab.

Dann machten sie eine Einkaufsliste für den morgigen Tag und Thomas gefiel Matthias von Minute zu Minuten besser.

„Weißt du, wie toll es ist, dass ich dich kennengelernt hab?“, fragte Thomas. „Jemand, der in meinem Alter ist und genauso ist wie ich!“

„Ja, das kann ich nur zurückgeben. Endlich jemanden, der außerhalb von Schule und Sport total normal ist. Und mit dir kann ich über alles reden, hab ich das Gefühl.“

„Geht mir auch so. Was machst du in den restlichen Ferien?“

„Nichts mehr. Zumindest hab ich nichts geplant. Ich weiß, dass meine Eltern noch für drei Wochen weg wollen. Aber ich hab mich da ausgeklingt. Ich wollte dieses Jahr nicht.“

„Warum kommst du nicht zu uns?“, hörte sie Scarletts Stimme von der Tür her. „Wann fahren deine Eltern denn?“

„Zwei Tage nach meinem Geburtstag. Klar, ich komme gern, wenn ich darf.“

„Natürlich darfst du! Du bist hier jeder Zeit willkommen“, sagte Scarlett zu ihm. „Wir haben ein Gästezimmer für dich. Das ist kein Problem.“

„Und was mache ich mit meinem Hund? Den kann ich ja schlecht zu Hause lassen.“

„Bring ihn mit her! Wenn du ein Körbchen hast, ist das kein Problem. Und etwas zu fressen finden wir auch für ihn.“

„Ja bitte, komm zu uns!“ Thomas sah ihn bittend an. „Dann hab ich jemanden, mit dem ich meine Zeit verbringen kann.“

„Als ob wir niemand wären“, hörte er Nicky meckern. „Aber vielleicht sind wir ja schon zu alt dafür.“

„Ihr seid nicht alt. Halt nur meine Eltern.“

„Wir können sofort tauschen!“, bot Matthias ihm an. „Deine Eltern gegen meine Eltern.“

„Nein, vielen Dank. Aber so schlimm sind meine Eltern dann doch nicht“, lachte Thomas. „Wann wollten wir denn morgen los?“

„Also wir treffen uns in den Ferien immer so um zwölf. So haben wir alle Zeit auszuschlafen.“

„Hört sich gut an. Sollen wir etwas mitbringen?“

„Nein, also morgen nichts. Wenn wir etwas anderes machen würden, dann würde Jana vorher immer einen Zettel austeilen, damit wir nichts vergessen. Bei einigen, wie bei Basti, kannst du froh sein, dass der Kopf angewachsen ist!“

„So schlimm?“

„Viel schlimmer! Aber davon kannst du dich ja morgen selbst überzeugen.“

Um kurz nach elf machte Matthias sich auf den Heimweg. Er hatte sich mit Thomas für kurz nach zehn verabredet. Der Tag heute war super und er hoffte, dass der nächste Tag genauso werden würde. Seine Eltern waren da, er hörte, wie sie sich in ihrem Schlafzimmer unterhielten.

In seinem Zimmer fuhr er seinen Computer hoch und zog sich schnell sein Schlafshirt für die Nacht an. Dann setzte er sich auf den Stuhl und schrieb an Thomas.

Heute bin ich mal schneller als du! Der Tag war ganz toll mit dir. Vielen Dank dafür. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie es ist, mit normalen Leuten zusammen zu sein. Ihr seid alle so nett und ich fühle mich sehr wohl bei euch.

Denk dran, dass wir morgen früh noch in den Baumarkt müssen. Wollen wir uns nicht etwas früher treffen? Schon um 9 Uhr vielleicht? Das wäre besser, dann würden wir es pünktlich zurück schaffen und wären pünktlich beim Treffen!

Auf jeden Fall ist der Schuppen ein großes Projekt, was wir auf jeden Fall zusammen machen sollten. Ich male die Wand blau und du die anderen weiß. Da kannst du nichts falsch machen. Außerdem mache ich ja auch noch die Außenwand. Aber du darfst nicht gucken! Das wäre sonst gemein. Ich werde morgen schon etwas früher aufstehen und die Farbe dafür kaufen. Der Laden macht um 8 Uhr schon auf! Dann komme ich mit den Dosen gleich zu dir.

Übermorgen können wir dann anfangen. Das wäre super. Dann werden wir vor meinem Geburtstag fertig.

Ach ja, kannst du deine Mutter mal fragen, ob sie eure Einweihungsfeier nicht in den Zeitraum legen kann, wenn meine Eltern im Urlaub sind. Dann muss sie sie nicht einladen und ich bin nicht gezwungen, im Anzug bei euch zu erscheinen. Denn die Dinger sind unbequem und trage ich eigentlich nur zu ganz besonderen Anlässen. Runde Geburtstage oder Hochzeiten oder ähnliches.

So, schlaf gut und bitte schreibe noch zurück. Ich weiß, du bist noch wach.

Bis morgen und träume was Schönes.

Matthias

 

Er klickte auf Senden, ging ins Badezimmer und machte sich fertig. Zurück sah er, dass eine Antwort gekommen war.

Hallo, du einsamer Kerl, hab ich gerade mit meiner Mutter besprochen. Darf ich ihr eigentlich von dir erzählen oder willst du das selber tun? Da brauchst du auch keine Angst zu haben, dass sie etwas verraten würde. Und mein Papa und Stevie auch nicht.

Das mit der Einweihungsfeier findet sie eine gute Idee!! Mein Papa auch. Er hatte wohl schon das Vergnügen, heute morgen mit deinem alten Herrn. Und war alles andere als begeistert. Aber das kann er dir selbst morgen Abend erzählen.

Um 9 Uhr hört sich gut an. Auch wenn ich dann so früh aufstehen muss. Aber naja. Was tut man nicht alles für eine eigene Werkstatt.

Schlaf gut und träume was Schönes. Bis morgen früh. Wir sehen uns ja schon in etwas mehr als neun Stunden.

Thomas

Matthias lächelte, lockte sich aus und fuhr den PC runter. Sein Bett rief ihn schon. Kaum hatte er sich hingelegt, war er auch schon eingeschlafen.

Thomas saß noch eine Weile am PC. Er surfte etwas herum, googelte ein paar Sachen und schrieb ein paar Freunden aus den USA und seiner Gastfamilie dort. Mit denen hatte er immer noch Kontakt. Sie hatten ihn freundlich aufgenommen und seine zwei Gastschwestern waren echt super nett zu ihm gewesen. Er vermisste sie manchmal schon etwas. Thomas hatte es sogar geschafft, ihnen die wichtigsten Dinge auf Deutsch bei zu bringen. Auch ein paar Sätze und Schimpfwörter und der ganzen Familie hatte das echt Spaß gemacht.