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Inhalt

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Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Epilog

SUBURRA

GIANCARLO DE CATALDO
CARLO BONINI

SUBURRA

SCHWARZES HERZ VON ROM

 

THRILLER

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

 

FOLIO VERLAG

WIEN • BOZEN

 

© der deutschprachigen Ausgabe
FOLIO Verlag Wien • Bozen 2015
Alle Rechte vorbehalten

 

 

Für Severino.
Er weiß, warum.

Prolog

Rom, Juli 1993

Es war eine schwüle Sommernacht. Ein Fiat Ducato der Carabinieri stand am Lungotevere, mit drei Männern an Bord. Sie trugen Uniform, waren jedoch Kriminelle. In der römischen Unterwelt kannte man sie unter den Namen Botola, Lothar und Mandrake. Botola stieg aus und ging zum Fluss. Er fischte einen zerbröselten Keks aus der Tasche und legte ihn auf die Brüstung. Dann trat er ein paar Schritte zurück und sah zu, wie eine Möwe die Keksreste aufpickte.

– Wie schön die Möwen sind. Er stieg wieder ein. Der, der Lothar genannt wurde, zündete sich die x-te Zigarette an und seufzte.

– Mir reicht’s. Worauf warten wir?

– Gehen wir rein, sagte Mandrake überzeugt.

Doch Botola schüttelte den Kopf.

– Samurai hat gesagt, Punkt zwei. Keine Minute früher oder später. Es ist noch nicht so weit.

Die beiden anderen protestierten. Was soll’s? Zehn Minuten zu früh? Na und? Und überhaupt, sie standen ja auf der Straße und warteten, nicht Samurai. Und war Samurai vielleicht allwissend? War er vielleicht der Liebe Gott, konnte er sie Schritt für Schritt überwachen?

– Der Liebe Gott vielleicht nicht, räumte Botola seufzend ein, – Teufel würde der Sache schon näherkommen.

– Ja, der Teufel!, sagte Mandrake spöttisch. – Er ist ein Mensch wie du und ich. Ich habe es satt: Samurai hier, Samurai dort … Aber Samurai hat sich noch nie die Hände schmutzig gemacht … Hat eine große Klappe, keine Frage … ist aber auch keine Hexerei, wenn die anderen das Risiko auf sich nehmen.

Botola sah sie mit herablassendem Lächeln an. Die armen Teufel hatten ja keine Ahnung!

– Erinnert ihr euch an Pigna?

Lothar und Mandrake hatten den Namen noch nie gehört.

Botola erzählte ihnen eine Geschichte.

Es gab einmal einen Boxer namens Mandrione, eigentlich hieß er Sauro, doch aufgrund eines fatalen Zwischenfalls wurde er Pigna genannt. Ein Vieh, der arme Pigna, genauso stark wie dumm. Wäre er etwas schlauer gewesen, hätte er sich nicht mit Samurai wegen einer Drogengeschichte angelegt. Nach einer Reihe geschobener Boxkämpfe hatte ihm der Verband nämlich die Lizenz entzogen und Pigna hatte angefangen, für Samurai zu dealen. Das Problem bestand darin, dass Pigna sich für sehr schlau hielt. Zuerst arbeitete er in die eigene Tasche, dann, als er sich sicher fühlte, riss er sich eine große Lieferung unter den Nagel, verkaufte sie und verschwand. Drei, vier Monate blieb er verschwunden, eines schönen Tages tauchte er wieder auf. Mit dem Geld, das er Samurai geklaut hatte, hatte er sich ein Fitnessstudio gekauft, vier Typen aus der Vorstadt rekrutiert und begonnen, auf eigene Faust zu dealen. Samurai versuchte es zuerst im Guten und besuchte ihn im Fitnesscenter. Er schlug ihm ein vernünftiges Abkommen vor: Die Hälfte vom Fitnessstudio und vom Erlös im Tausch gegen Frieden. Pigna war uneinsichtig. Er rief seine Jungs und ging mit gesenktem Schädel auf ihn los. Fünf gegen einen, Samurai verteidigte sich so gut wie möglich, ging aber fast dabei drauf. Sie legten den Halbtoten in einer Gasse ab, es dauerte eine Zeitlang, bis er sich wieder erholt hatte. Eines Abends taucht im Fitnessstudio ein Unbekannter auf. Er schreibt sich ein, hebt ein paar Gewichte, plaudert mit den Jungs des Chefs. Als es an der Zeit ist zuzusperren und Pigna mit seinen Getreuen allein ist, zieht der Unbekannte eine Skorpion-Maschinenpistole heraus, eine, wie sie früher Terroristen verwendeten, und stellt sie alle an die Wand. Fünf Minuten vergehen. Pigna und die Seinen versuchen den Typen zum Reden zu bringen, doch der ist stumm wie ein Fisch. Schließlich geht die Tür auf und Samurai taucht auf. Unter dem Regenmantel trägt er einen Kimono und in der Hand hält er ein Katana, ein sehr scharfes japanisches Schwert. Er zielt damit auf Pigna und hält ihm eine kleine Rede. Die Sache mit dem Geld hätte er ja verkraftet, aber die Demütigung nicht. Deshalb, lieber Pigna, sagt er zu ihm, wirst du dir jetzt mit diesem Schwert den Bauch aufschlitzen, und ich sehe dir zu, wie du stirbst. Im Gegenzug krümme ich deinen Jungs kein Haar. Pigna beginnt zu winseln. Er bittet um Verzeihung. Er gibt zu, einen Fehler gemacht zu haben. Er schlägt vor, ihm das Fitnessstudio zu überlassen, den ganzen Stoff, der noch übrig ist, die Drogenkontakte. Samurai seufzt, hebt das Schwert und schlägt einem der Jungs mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. Pigna heult. Die Jungs heulen. Einer von ihnen tritt vor und bietet Samurai an, das Urteil zu vollstrecken. Samurai sieht ihn an und enthauptet ihn. Schau, Pigna, sagt er, du suchst dir die falschen Männer aus, sie sind nicht loyal … In diesem Augenblick gehen die drei, Pigna und die beiden Überlebenden, zu einem verzweifelten Gegenangriff über.

– Was soll ich euch sagen?, sagte Botola abschließend. – Samurai machte Hackfleisch aus ihnen. Sein Freund musste nicht einmal einen Schuss abgeben. Dann steckten sie die Überreste in Säcke und warfen sie in den Tiber.

Lothar und Mandrake sahen den Erzähler entgeistert an.

– Ich glaube, das ist ein Märchen, sagte Mandrake zaghaft.

– Es ist soweit, unterbrach ihn Botola. – Los.

Sie fuhren zum Piazzale Clodio. Blinkten dreimal mit dem Fernlicht in Richtung Tor des Palazzo di Giustizia, nach ein paar Sekunden ging es auf. Die Wache am Schilderhaus näherte sich langsam dem Fahrersitz. Der Mann erkannte Botola und bedeutete dem Kombi mit einer Geste, er solle weiterfahren. Im Schritttempo fuhren sie die Betonrampe hinauf, die zum Parkplatz von Gebäude C führte, wo eine Reihe von Panzertüren den Tresorraum der Agenzia 91 der Banca di Roma sicherte.

Ein Bankschalter im Inneren des Gerichts.

Ein Safe, in dem das Vermögen und die Geheimnisse von Richtern, Anwälten, Notaren, Polizisten aufbewahrt wurden.

Der doppelte Boden dessen, was Justiz genannt wird, in Wahrheit aber nur Macht ist.

Botola griff in den Tresor und holte die Liste der neunhundert Sicherheitsfächer der Bank heraus. Samurai hatte hundertsiebenundneunzig angekreuzt. Nur die sollten sie öffnen. Lothar nahm zwei große Jutesäcke. Mandrake überprüfte den Sack mit dem Werkzeug und den Ring mit den fünfzig Schlüsseln, die es ihm als einzigen in Rom erlaubten, alle Panzerschränke zu knacken. Alle drei zogen eng anliegende Lederhandschuhe über.

Die Carabinieri warteten auf sie, sie hatten ganze Arbeit geleistet. Die Panzertüren, die zu dem Safe führten, waren offen, das Alarmsystem und die Überwachungskameras deaktiviert. Botola erwiderte den Blick der Carabinieri mit einem verächtlichen Grinsen. Die beiden stanken nach Angst und Unehrenhaftigkeit. Nach korrupten Bullen. Er entließ den jüngeren der beiden mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Wange.

Sie kannten den Safe so gut wie ihre Westentasche. In den letzten beiden Monaten waren Botola, Lothar und Mandrake mindestens zehnmal hier unten gewesen, in Begleitung eines Kassiers der Agentur. Eines Fünfzigjährigen mit einer Schwäche für Koks und Weiber. Er gehorchte wie ein Schoßhündchen. Er hatte die Besitzer der Fächer einzeln aufgezählt, Samurai hatte nur eine Wahl treffen müssen. Er hatte Pläne geliefert und sie über die Anzahl der Zugriffe informiert. Er hatte ihnen erlaubt, Abdrücke von den Schlüsseln zu machen, die die Türen im Herzen der Bank öffneten. Jetzt hatten sie nicht mehr viel zu tun. Sie brauchten nur die Schätze in Empfang zu nehmen.

– Ich zieh’ jetzt die Uniform aus, sagte Mandrake. – Als Bulle fühle ich mich nicht wohl.

– Da geb’ ich dir recht, Bruder, stimmte Lothar zu.

Botola erlaubte es ihnen. Sie sollten sich jedoch beeilen. Das Glück war ihnen nicht ewig hold, und selbst die besten Pläne scheiterten manchmal aufgrund eines unvorhergesehenen Details.

Sie beschlossen, im Dunklen zu arbeiten, im Licht von zwei großen Unterwassertaschenlampen. Es lief wie am Schnürchen. Die ersten hundertvierundsiebzig Fächer ließen sich öffnen wie Pralinenschachteln.

Bargeld, zehn Milliarden Lire, ein Haufen Schmuck und Uhren landeten im Sack.

Mit unverhohlener Gier stürzte sich Lothar darauf. Mit der Zunge leckte er sich über die Lippen, als habe ihn eine unkontrollierbare Geilheit gepackt.

Botola übernahm den Rest. In diesen Fächern war nämlich etwas, das viel mehr wert war als die Bündel mit Fünfzig- und Hunderttausend-Lire-Scheinen. Staunend nahm er zur Kenntnis, dass ein Staatsanwalt, eine Koksnase, ein paar Deka zwischen der Uhr seines Großvaters und der Perlenkette seiner Frau versteckte, eine eiserne Reserve. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf die Kontoauszüge Schweizer Banken, wo Anwälte, Richter, Carabinierioffiziere, Finanzbeamte das Geld geparkt hatten, mit dem die Bande sie in den letzten Jahren gekauft hatte.

Samurai hatte recht. Hier drinnen, das war wie Weihnachten und Dreikönigstag in einem.

Im letzten Fach fand er eine Pistole.

So etwas hatte Botola noch nie gesehen, und das, obwohl er sich nach den vielen Jahren auf der Straße bei solchen Dingen auskannte. Aber diese Pistole war eine antike Pistole, mit langem Lauf und einer unverständlichen Aufschrift, wahrscheinlich in Deutsch. Er überprüfte die Liste, er dachte, es handle sich um einen Irrtum. Doch es war kein Irrtum. Samurai hatte dieses Fach sogar doppelt angekreuzt. Was hatte er mit dem alten Schießeisen vor? Er nahm die Waffe und ein paar Schachteln mit Munition und steckte alles in den Sack.

Vier Uhr morgens. Mandrake fluchte, weil ein paar Schlösser unerwarteten Widerstand boten.

– Es reicht Jungs, es ist spät.

Sie gingen zum Kombi zurück, während die Carabinieri hinter ihnen die Tore und die Panzertüren schlossen. Der Ducato drehte um und fuhr im Schritttempo die Rampe hinunter. Das Tor ging wieder auf. Botola beugte sich aus dem Fenster, in Richtung der Wache im Schildhäuschen.

– War uns ein Vergnügen, du Arsch.

Lothar und Mandrakes wildes Lachen übertönte das Knirschen des Getriebes, als er den ersten Gang einlegte.

Sie brachten den Ducato in das kleine Wäldchen am Monte Antenne, wo sie zuvor Botolas sauberen Saab versteckt hatten. Sie luden die Säcke ab und vergruben sie gemeinsam mit den Uniformen. Lothar und Mandrake schütteten Benzin über den Kombi.

– Gib mir Feuer, Botola!, scherzte Lothar.

Die Kugel traf ihn genau zwischen die Augen. Lautlos fiel er zu Boden. Mandrake schnellte herum. Entsetzt schaute er Botola an, der eine 7.65 in der Hand hielt, mit noch rauchendem Lauf.

– Aber was …

– Mandrake, ich war der Typ, der Samurai ins Fitnessstudio begleitet hat, sagte Botola und erschoss auch ihn.

Als Botola in seine große Wohnung in der Nähe des Pantheons zurückkehrte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Lothar und Mandrake waren nur noch verkohlte Leichen in einem Blechhaufen. Sie taten ihm leid, aber Samurai ließ nicht mit sich handeln. Die Beute war in Sicherheit, sie mussten nur noch drauf warten, dass sich das unvermeidliche Gewitter verzog. Er legte ein paar Flaschen Jahrgangschampagner auf Eis, dann trat er auf die schläfrige Piazza hinaus. Früher einmal hatte die Wohnung Dandi gehört. Dandi war vor ein paar Jahren durch die Hand ehemaliger Kumpane gestorben: durch die Hand von Verrätern, wie einige meinten. Durch eine Exekution, die die Welt von einem der größten Verbrecher befreit hatte, wie die meisten meinten. Botola hatte keine Meinung dazu. Er war mit Dandi gut befreundet gewesen, sein Tod war für ihn eine Mischung aus Unfall und Notwendigkeit gewesen. Wäre Dandi der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen, wäre er noch eine Zeitlang die Nummer eins geblieben. Wenn … dann wäre er nicht Dandi gewesen. Also …

Eine Zeitlang hatte Dandis Witwe Patrizia in der dreihundert Quadratmeter großen Terrassenwohnung gewohnt, von der aus man auf das römische Zentrum blickte. Dann hatte sich Patrizia mit einem Bullen eingelassen und ins Gras gebissen. Botola hatte eine nicht allzu lange Strafe abgesessen und die Wohnung samt Inneneinrichtung um einen Pappenstiel gekauft. Von hier aus, von dieser Wohnung, die sie früher daran erinnert hatte, wer sie waren, woher sie kamen und wie weit sie es gebracht hatten, von hier aus sollte alles von neuem beginnen.

Wie früher. Besser als früher.

Gegen Mittag gab sich Samurai die Ehre. Er war sehr groß, trug ein koreanisches Hemd ohne jegliche Schweißspuren, eine dunkle Sonnenbrille, eng anliegende Jeans. Mit genervter Miene lehnte er den Champagner ab, nickte kaum merklich, als ihm Botola die Aktion im Tresorraum in den höchsten Tönen schilderte.

Botola war sauer. Okay, Samurai war wortkarg, nahezu schweigsam, aber ein bisschen Anerkennung, wenn schon nicht Bewunderung, hätte er zum Ausdruck bringen können!

– Hast du mitgenommen, worum ich dich gebeten habe?

Botola reichte ihm verärgert die Pistole und die Munition.

Samurai nahm die Reliquie ehrfurchtsvoll in Empfang, nahm die schwarze Ray-Ban ab, ließ einen zärtlichen Blick über die Waffe gleiten, schließlich lächelte er.

– Was ist denn so besonders an dem Eisen?, flüsterte Botola. Sie hatten einen Schatz gehoben, und Samurai hatte nur Augen für eine Pistole, die wohl hundert Jahre alt war.

– Das verstehst du nicht, antwortete Samurai kurz angebunden.

Botola ließ es bleiben. Seit zwanzig Jahren lebte er nun auf der Straße, und er hatte gelernt, dass man sich niemals zwischen einen Mann und seine Leidenschaften stellen durfte. Wenn sich Samurai für eine Pistole derart begeistern konnte, war es seine Angelegenheit.

Samurai steckte Pistole und Patronen ein, dann fiel sein Blick auf ein kleines Gemälde über einem langen weißen Sofa.

– Hat Dandi gehört, erklärte Botola schnell. – Er hat hundert Millionen bei einer Versteigerung dafür bezahlt.

– Es ist eine Kopie, flüsterte Samurai.

– Was redest du? Da ist sogar eine Signatur! Schau, De Chierico.

– De Chirico.

– Na und? Keine Ahnung, ob du dich erinnerst, aber Dandi war keiner, der sich vom erstbesten Fälscher reinlegen ließ.

– Ich habe ja nicht Fälschung gesagt. Ich habe Kopie gesagt. Das ist etwas ganz anderes. Der Künstler malt ein Original, dann setzt er Kopien des Originals in Umlauf oder erlaubt einem anderen Maler, es zu tun … Auf jeden Fall, es ist nicht viel wert.

– Gut, wahrscheinlich hast du recht. Mir haben die beiden Typen, die sich umarmen, sowieso nie gefallen.

– Hektor und Andromache, stellte Samurai richtig.

Botola hatte die Nase voll. Samurai übertrieb, aber warum brummte ihm der Schädel? Tja, vielleicht spielte ihm das Adrenalin einen üblen Streich. Botola ging in die Küche, entkorkte den gekühlten Champagner, goss nur sich selbst ein Glas ein, Samurai war ja schlecht drauf, und ging ins Wohnzimmer zurück, entschlossen, nicht länger Zeit zu verlieren.

Samurai hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und spielte mit der Pistole und den Patronen.

– Samurai, wenn es dich nicht stört, sollten wir über unsere Projekte sprechen.

Mit einer müden Geste bedeutete ihm Samurai fortzufahren.

Botola nahm einen potthässlichen Stuhl (ebenfalls eine Anschaffung Dandis, Gott hab ihn selig, der noch dazu total unbequem war) und platzierte sich vor ihm.

– Nun, ich sage, so wie wir im Augenblick dastehen, bleibt uns gar nichts anderes übrig.

– Und das wäre?

– Wir erobern Rom.

– Ach ja? Red’ weiter.

– Wir haben Geld, frisches, sauberes Geld, und zwar jede Menge. Das heißt, für uns ist es sauber, für sie ist es schmutzig, wenn du weißt, was ich meine.

– Natürlich.

– Gut. Wir haben die Papiere. Die uns sagen, wo das viele Geld gelandet ist, das die braven Staatsdiener in den letzten Jahren geklaut haben. Wir haben sie so gut wie an den Eiern. Das macht uns unantastbar, und deshalb …

– Deshalb?

– Wenn du mitspielst, sind wir beide von nun an wie Julius Cäsar und Oktavian Augustus.

Botola lachte über den Witz, er erinnerte ihn an Libanese, den Gründer der Bande. Er hatte eine Leidenschaft für das antike Rom gehabt. Vielleicht nicht mal zu Unrecht.

– Also, was sagst du, Samurai? Machen wir’s?

Samurai nickte und lud die Pistole. Während er das Magazin in die Öffnung am Lauf einsetzte, hielt er dem fassungslosen Botola einen kurzen Vortrag.

– Das ist eine Mannlicher, sie wurde 1901 in Österreich produziert. Anders als die meisten halbautomatischen Pistolen funktioniert sie nicht aufgrund des Rückstoßes des Verschlusses, sondern sie hat einen sogenannten Geradezugverschluss. Wie du siehst, werden die Patronen von oben, nicht von unten eingelegt. Die Waffe wurde im Ersten Weltkrieg vom österreichischen Heer verwendet. In Europa kam sie dann nicht mehr zum Einsatz, dafür aber in Argentinien. Das sind auch tatsächlich Borghi-Patronen, sie wurden 1947 in Buenos Aires hergestellt. Im Augenblick des Schusses wird die abgeschossene Patronenhülse ausgeworfen und eine neue von hinten in das Patronenlager geladen, wobei das Schloss gespannt wird.

Samurai seufzte tief, hielt Botola die Mannlicher an die Stirn und drückte ab.

Für den Rest des Sommers ging Samurai auf Tauchstation.

Die Uniformierten waren sauer, weil der Meistercoup für ziemlich viel Aufsehen gesorgt hatte, und riefen in Rom die besten Ermittler zusammen. Ein Maulwurf wurde schnell ausfindig gemacht und sang bei den Carabinieri, die wollten sich Lothar, Mandrake und Botola vornehmen: einmal Verräter, immer Verräter. Samurai hatte damit gerechnet. Genau aus diesem Grund hatte er die drei braven Burschen – widerwillig – umgelegt. Um alle Spuren zu beseitigen. Mitte September, während sich die Polizisten umsonst das Hirn zermarterten, wer hinter dem Raub stecken könnte, schnappte er sich die Beute und tauchte pünktlich beim monatlichen Treffen im Bagatto auf.

Il Bagatto war offiziell ein „Freizeitzentrum“, insgeheim jedoch ein Treffpunkt der extremen Rechten in Rom. Organisation und Struktur waren den Linken abgeschaut, doch das Dekor war eindeutig faschistisch: Wimpel mit Liktorenbündeln, Wandmalereien mit Gandalf und Frodo, bis hin zu Aschenbechern mit Hakenkreuz und Knüppeln mit Metallkern, die an improvisierten Tischen unter der Hand verkauft wurden. Und Faschisten waren auch die jungen Burschen, die zuerst spärlich, dann immer zahlreicher herbeiströmten und sich auf den wackeligen Bänken im Keller das Lokals in Montesacro zusammendrängten und ungeduldig darauf warteten, dem Wort ihres geistigen Anführers zu lauschen.

An diesem Abend waren es mindestens vierzig und alle blutjung. Hooligans aus dem Stadio Olimpico, die zwar in verschiedenen Fankurven saßen, jedoch einen gemeinsamen Glauben hatten – oder zumindest versuchte Samurai ihnen das weiszumachen.

Die Hooligans. Roms Zukunft.

Samurai setzte große Hoffnungen in seine Jungs. Hungrige Burschen, die nichts zu verlieren hatten und darauf brannten, sich alles zu nehmen.

Er hatte sie mit Ideologie geködert, aber das Projekt war größer als eine veraltete Utopie. Es ging darum, ein engmaschiges Netz zu knüpfen. Sie sollten stark, entschlossen und furchtlos sein wie antike Krieger, aber auch schlau wie Füchse und, bei Bedarf, weich und ätzend wie Quallen. Alle sollten ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden: Straßenköter genauso wie Akademiker im Doppelreiher. Und alle, alle, würden loyal sein.

Samurai begann zu sprechen. Seine Stimme war leise und angenehm, hin und wieder brach jedoch ein Elan hervor, der für Begeisterung sorgte und die Herzen erwärmte. Er sprach von der engen, unauflösbaren Verbindung zwischen der erträumten Revolution und dem Leben auf der Straße. Er erklärte, dass das, was in den Augen der Kleinbürger als Verbrechen galt, für den Krieger unter gewissen Umständen eine perfekte Geste war, die sich sowohl über das Gejammer der Schwächlinge als auch über Disziplinierungsversuche durch die feige Justiz hinwegsetzte. Denn die Geste ist ihre eigene moralische, ästhetische und religiöse Rechtfertigung, sie genügt sich selbst.

Er sprach unermüdlich, fügte Beispiele und Gleichnisse an, bis er sicher war, dass er sie – wie immer – in der Hand hatte. Und dann, als sie auf die endgültige Offenbarung warteten, schwieg er ganz plötzlich und entließ sie mit einem halben Lächeln.

– Geht jetzt. Denkt darüber nach, was ihr gerade gehört habt. In einem Monat sehen wir uns wieder.

Die Jungs strömten hinaus, gaben halblaute Kommentare von sich, um die Konzentration von Samurai nicht zu stören, der sich mit geschlossenen Augen die Schläfen massierte, als habe ihn die Rede sehr angestrengt.

– Meister? Darf ich was sagen?

Seufzend öffnete Samurai die Augen.

Der Lauf einer Halbautomatischen war in zehn Zentimeter Entfernung auf ihn gerichtet.

Der Junge vor ihm hatte ein offenes Gesicht, ehrliche Augen und eine gerunzelte Stirn. Er lächelte angespannt und die Hand, mit der er die Pistole hielt, zitterte stark, obwohl er sie mit der anderen festzuhalten versuchte.

Marco Malatesta. Achtzehn Jahre alt. Ein Bursche aus Talenti, mit viel Herz, Mut und vor allem Hirn. Einer seiner Favoriten. Ein möglicher Erbe.

– Marco, du hast es geschafft, mir einen Schreck einzujagen. Aber jetzt bitte …

– Du bist kein Meister. Du bist ein Dreckschwein!

– Gib Acht, Marco. Du redest wie ein Kleinbürger.

– Schieb dir die blöden Sprüche in den Arsch, Samurai. Das bist du!

Er kramte in seiner Jackentasche und schmiss ihm einen Haufen bunter Pillen ins Gesicht.

– Die sind einen Haufen Geld wert, sagte Samurai ungerührt. Du solltest sie lieber aufheben.

– Ach, du erkennst sie wieder, was? Natürlich! Du drehst den Fans Ecstasy an, du machst uns süchtig. Du bist ein Dealer, Samurai. Nein, nicht nur ein Dealer, der Oberdealer. Früher hast du uns losgeschickt, um den Dealern den Schädel einzuschlagen. Und es als „revolutionäre Tat“ bezeichnet. Und was ist das, ha? Freie Marktwirtschaft?

– Mein Junge, wenn du jemanden erschießen willst, musst du zuerst das Schießeisen entsichern.

Instinktiv blickte der Junge auf die Pistole.

Samurai lächelte, dann schnellte er los. Einen Augenblick später hatte er die Pistole in der Hand.

Marco stürzte sich mit blutunterlaufenen Augen auf ihn. Samurai machte einen kleinen Schritt zur Seite, wich dem Angriff aus und versetzte ihm mit dem Lauf einen harten Schlag in den Nacken. Der Junge fiel ächzend zu Boden. Samurai entsicherte. Dann beugte er sich über Marco, zwang ihn sich umzudrehen, setzte sich rittlings auf ihn, und richtete die Waffe mitten auf seine Stirn.

– Ich sollte es dir mit gleicher Münze heimzahlen, Marco Malatesta. Du brauchst nicht um Gnade zu flehen.

– Ein Arschloch flehe ich nicht um Gnade an! Ich habe an dich geglaubt, Samurai, ich habe an deine Worte geglaubt. Wir müssen die Stadt ändern, wir müssen die korrupte Welt ändern, eine neue Moral! Doch du kommst mit der korrupten Welt gut zurecht, du suhlst dich darin, du bist ein Verräter!

– Ich bin kein Verräter. Allenfalls ein schlechter Lehrmeister. Ich habe dir nichts beigebracht. Deshalb trage ich noch größere Schuld als du. Und meine Strafe besteht darin, dich am Leben zu lassen.

Samurai steckte die Waffe ein. Er stand auf und forderte Marco auf, ebenfalls aufzustehen. Der Junge hatte Mühe, er konnte sich kaum auf den Beinen halten, sein Kopf hämmerte schmerzhaft. Samurai stützte ihn, mit der Rechten streifte er zart Marcos Gesicht, wie um den Frieden zu besiegeln. Marco verspürte einen stechenden Schmerz, er führte die Hand an die Schläfe, und als er sie zurückzog, war sie voller Blut.

– Nur ein unauffälliges Mal, erklärte Samurai und steckte die kleine Klinge ein. – Es wird dich ein Leben lang begleiten. Es wird dich daran erinnern, wer du bist, woher du kommst und was du getan hast.

Zwei Wochen später, als die Wunde vernarbt war, ging Marco Malatesta zur Carabinieri-Kaserne Pisacane und fragte nach dem diensthabenden Offizier.

Rom, heute

I.

Am Fenster der Anna-Magnani-Suite, im vierten Stockwerk des Hotels La Chiocciola, das im Werbeprospekt als „charmantes Boutiquenhotel hinter dem Campo de’ Fiori“ beschrieben wurde, in den Augen des Pöbels jedoch ein sündteures Stundenhotel der kapitolinischen Elite war, öffnete der Abgeordnete Pericle Malgradi, ein Musterbeispiel christlicher Lebensführung, den schwarzen Seidenmorgenmantel mit dem schneebedeckten Fujiyama darauf – Kimono heißt das, Kimono, hatte ihm Samurai erklärt, aber der hatte einen Knall – holte sein Geschlechtsteil heraus, das – wie er urbi et orbi zu verkünden pflegte – zu einer phänomenalen Erektion fähig war –, und segnete Dächer und Passanten der Ewigen Stadt mit einem gelben Strahl.

– Sabrina!, kläffte er, ohne sich zu seiner Favoritin umzudrehen, die noch immer auf dem king-size bed lag, neben der anderen, der Litauerin, – Sabrina, du bist doch Römerin, du kennst doch Bellis Gedichte … wie heißt es doch gleich? Ich bin der König … und ihr seid nichts …

Ach, das Wasserlassen, das göttliche postkoitale Wasserlassen, was für ein Genuss, was für ein Vergnügen! Er pisste auf die armen Teufel hinunter, die nachts arbeiten mussten, er ließ seinen Strahl wie aus einer Gießkanne hinunterregnen, ließ ihn zuerst empor schießen wie aus einem Springbrunnen, stoßweise und ruckartig, und dann hinuntertröpfeln oder ihn einfach wie einen mächtigen Wasserfall in die Tiefe rauschen.

– Sabrina, schau! Ich habe einen auf der Glatze erwischt! Köstlich, er schaut, schaut nach oben, ja, ärgere dich nur über die Möwen und die Krähen … ich bin oben und du bist unten … begreifst du endlich, wie das Leben funktioniert? Sabrì? Sabrinaa … Verdammt, komm her und schau, ihr werdet mir doch wohl eine kleine Freude machen, bei dem, was ich euch bezahle!

Schweigen. Die Huren waren wahrscheinlich eingeschlafen. Kein Wunder. Er hatte die beiden ja fertiggemacht. Er, Pericle Malgradi! Aber er würde sie wieder aufwecken, die beiden „Professionellen“!

Der Abgeordnete fischte eine Patek Philipe Annual Calendar 4937G aus der Tasche des Kimono, küsste zärtlich und mit berechtigtem Vaterstolz das kleine Bild seiner Töchter, das er im Inneren des Gehäuses einfügen hatte lassen, ließ den Deckel aufklappen – wer außer ihm konnte sich eine Medikamentenschachtel mit einem Drachen drauf um mehr als fünfzigtausend Euro leisten? – und holte ein paar Levitra-Tabletten heraus.

– Levitra, Sabrì, hast du verstanden, nicht das Armeleutezeug, das die anderen fressen, Cialis, Viagra … von dem man nur Kopf- und Bauchweh bekommt. Das ist was Besonderes, mein Mädchen, erstklassige Ware, von meinem Bruder Temistocle eigenhändig hergestellt. Irgendwann stelle ich ihn euch vor, er hat ja auch einen Champions-League-Schwanz … das liegt bei uns in der Familie … die Brüder Malgradi, Klasse ist dicker als Wasser … Ach, Sabri’, kommt her, du und die andere, die Slawin, wie heißt sie doch gleich … hört ihr mich nicht, ihr Nutten?

Nichts. Schweigen. Verdammt! Sabrina war dabei, es sich zu verscherzen. Sie war ja nicht die einzige Nutte in Rom, in Rom konnte man aus dem Vollen schöpfen! Nächstes Mal nahm er sich zwei Schwarze. Nein, noch besser, zwei Schwarze und eine Transe. Um ein bisschen Spaß zu haben. Das stand ihm zu, er hatte ja sein Leben lang der Gemeinschaft gedient. Der Transe würde er jedoch von Anfang an klarmachen; geben ja, nehmen nein! Er war ja keine Schwuchtel!

Der Herr Abgeordnete steckte die Uhr in die Tasche zurück, holte eine Prise Koks aus dem Stanniolpapier, vermischte es mit den zerbröselten Tabletten, legte das Ganze auf das Fensterbrett und sniefte.

– Sabrina! Slawin! Für euch ist auch noch was da!

Nach wie vor Schweigen. Jetzt reichte es aber. Ihm wurde so schwindlig, dass er schwankte. Er lehnte sich an die Balustrade. Das Zeug stieg ihm zu Kopf. Bald würde es im Schwanz ankommen. Während der Erektionscocktail langsam wirkte, überkam ihn ein angenehmes Gefühl der Unbesiegbarkeit. Alle riefen dazu auf, auf die Bremse zu steigen, alle sagten, sie tanzten am Rande eines Vulkans, alle fürchteten, die Dinge könnten sich von einem Augenblick auf den anderen verändern. Alle faselten von Sparkurs, von Moral … zum Teufel damit! Italien würde sich nie ändern. Wir werden immer oben sein, und die armen Teufel unten.

– Hilfe!

Endlich ein Lebenszeichen.

– Setzt euch den Brillanten ein, Onkelchen kommt.

Ach ja, der Brillant. Damit hatte ihn Sabrina überzeugt, dass sie besser als alle römischen Huren war. Ein kleines Schmuckstück im Loch, dem hinteren. Das auf diese Weise immer offen und einsatzbereit blieb, wenn Sie mich verstehen. Malgradi leckte es gerne ab. Ein köstliches Vorspiel! Mit nur einem Nachteil: Es bestand die Gefahr, dass man das kleine Teil verschluckte. Aber ihm, Pericle Malgradi, der Number One, passierte so was nicht.

Malgradi drehte sich um.

Sabrina starrte ihn an, leichenblass.

– Was zum Teufel ist los?

– Vicky geht es nicht gut.

Allmählich dämmerte es ihm, dass es möglicherweise ein Problem gab.

– Und was soll ich tun?

– Sie stirbt, du Trottel.

Was war in Sabrina gefahren? Warum schrie sie so?

– Verdammt, halt den Mund, ich denk’ ja schon nach!

Sabrina schnaubte vor Wut. Malgradi begriff allmählich. Um Himmels willen! Die Slawin war grün geworden, grün wie eine Artischocke kurz vor der Ernte. Sie lag auf dem schwarzen Seidenlaken und schnappte nach Luft, ihr Brustkorb, der sich verzweifelt hob und senkte, gab ein ungesundes Geräusch von sich, ein Rasseln.

– Um Himmels Willen! Sie stirbt! Sie stirbt! Die Idiotin stirbt!

Er war wie gelähmt. Er konnte keine Entscheidung konnte keine Entscheidung treffen. Er konnte nicht sprechen. Sabrina kramte in der Tasche und holte ein Handy heraus.

– Wir müssen die Rettung rufen!, sagte Sabrina

Endlich konnte der Abgeordnete einen klaren Gedanken fassen: Ich bin im Arsch! Neben dem Bett, neben der Ausländerin, die immer bleicher wurde und immer heftiger keuchte, sank er in die Knie. Während die Benommenheit infolge des Koks abnahm und die hysterische Klarheit infolge des Amphetamins zunahm, liefen die eventuellen Konsequenzen wie ein Film vor ihm ab.

Donna Fabiana, Ehefrau und Mutter, fromm und gläubig, die bei den Figlie della Vergine ein- und ausging. Aus.

Seine Funktion als Parteisekretär, der sein Leben der Rettung der Familie und dem Kampf gegen die Schwulenehe und die Abtreibung gewidmet hatte. Aus.

Seine Wahlkreise in Kalabrien, enttäuscht und verärgert.

Aus. Skandal. Elend. Gefängnis.

Die Litauerin keuchte, gelblicher Schaum stand ihr vor dem Mund. In dem letzten verzweifelten Versuch, Luft zu bekommen, ballte sie krampfhaft die Hände.

Malgradi riss Sabrina das Handy aus der Hand.

– Du rufst niemanden an, verstanden! Los, hau ab! Ihr seid nie hier gewesen! Ich kenne euch nicht!

– Um Himmels willen, sie stirbt! Wir müssen Hilfe holen!

– Pech für sie! Verdammt, ich hau ab!, schrie Malgradi und raffte seine Kleidungsstücke zusammen.

Sabrina, plötzlich kalt wie eine Hyäne: – Sicher, es hat dich ja auch niemand heraufkommen sehen.

Das Hotel La Chiocciola, ein Boutiquenhotel. Abfackeln sollte ich es, samt euch beiden. Und dich, du Hure, sollte ich darin anbinden, mit einem dreifachen Knoten! Samt dieser verdammten Vicky und ihrem Clan, wir waren viel zu tolerant gegenüber den Ausländern, viel zu sehr, wir haben ihnen den kleinen Finger gegeben, und sie wollten gleich die ganze Hand, ich bin im Arsch, im Arsch …

Röchelnd erbrach die Arme einen kleinen Klumpen, dann war sie still.

– Sie ist tot!, flüsterte Sabrina.

Sie schloss ihrer Freundin die Augen und blickte Malgradi an, mit einer Mischung aus Verachtung, Ekel und Widerwillen.

Aber der Herr Abgeordnete war ganz woanders. Aus der Tiefe seiner Seele war eine Erinnerung an die ferne Kindheit in Kalabrien aufgetaucht, wie hatte doch Großvater Alcide gesagt, als sie in Le Castella zum Fischen hinausfuhren, bete, bete, damit ein Fisch geschwommen kommt, wenn du nicht mehr weiterweißt, musst du beten, und da fiel Malgradi auf die Knie, faltete die Hände und flehte den Lieben Gott an, lege deine gebenedeite Hand auf mein demütiges Haupt, ich gehe ins Kloster, ja ins Kloster, aber bewahre mich vor diesem Skandal, du, der du allmächtig bist, ich bitte dich, ich …

– Ja, bete nur. Gleich kommt der Schutzengel auf einem fliegenden Teppich.

Ach, die Hure riss das Maul auf. Und traute sich sogar, ihn zu beschimpfen. Was erlaubst du dir? Du schleppst diese Schwindsüchtige an, die vielleicht sogar krank war, und jetzt reißt du das Maul auf?

Der Abgeordnete Malgradi wurde plötzlich unsagbar wütend. Er stand auf, stürzte sich auf Sabrina und verpasste ihr einen harten Schlag, sie fiel zu Boden.

– Sehr gut, sagte sie, ohne die Fassung zu verlieren, und strich sich mit der Hand über die Wange. – Bringst du mich jetzt auch um? Damit du zwei Leichen entsorgen musst?

– Und was soll ich deiner Meinung nach tun, ha? Hast du vielleicht eine Idee, du dumme Kuh?

Sabrina nahm das Handy und rief jemanden an.

– Spadino? Ich brauche Hilfe.

Eine halbe Stunde später klopfte ein ungefähr zweiundzwanzigjähriger Mann in schwarzem T-Shirt und verwaschenen Jeans an die Tür der Suite. Er war klein, untersetzt, hässlich wie die Sünde.

Sabrina ließ ihn herein und zeigte auf das Bett.

Dem Jungen reichte ein Blick, er begriff sofort, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Die Leiche, Sabrina, traurig und angewidert, der verschwitzte Typ, der die Hände rang … Ja, das war eine Riesenchance. Mehr als er zu hoffen gewagt hatte, als Sabrina ihn angerufen hatte.

– Vielleicht können Sie uns helfen, uns aus dieser … peinlichen Situation zu befreien …

Das große Tier kam näher, lächelte wie auf einer Wahltribüne und zitterte wie kurz vor einer Panikattacke. Hoffentlich wimmerte er nicht wie ein Mädchen.

– Und?

– Nun … ja … Sabrina hat mir nur Gutes von Ihnen erzählt …

– Mir übrigens auch von dir, grinste Spadino.

Der Abgeordnete steckte eine Hand in die Tasche und zog eine dicke Brieftasche heraus.

– Wenn Sie mir helfen könnten …

Er wusste nicht weiter. Wie hätte er es formulieren sollen? Der Junge machte sich einen Spaß daraus, ihn ein wenig zappeln zu lassen, dann nickte er und zündete sich eine Zigarette an.

– Also, was nun genau? Ich soll die tote Hure wegbringen … okay.

Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Abgeordneten aus.

– Genau!, sagte er und öffnete die Brieftasche. – Ich dachte, für die Unannehmlichkeiten …

– Wieviel hast du dir vorgestellt?

Der Abgeordnete reichte ihm ein Bündel Banknoten.

– Also …

– Wir zählen sie später, sagte der Junge wie zum Trost und steckte die Beute gierig ein.

Malgradi setzte ein Lächeln auf wie nach einem wichtigen Geschäftsgespräch, das zur allgemeinen Zufriedenheit ausgegangen war.

– Ich werde nicht vergessen, was Sie für mich getan haben, Herr …

– Nenn mich Spadino. Und was den Dank anbelangt … dafür ist später noch Zeit! Hau jetzt ab!

Malgradi zog sich im Rückwärtsgang zur Tür zurück, wobei er weitere Dankesworte von sich gab.

– Ich glaube, dein Freund ist wirklich ein Arschloch, sagte er, als dieser das Feld geräumt hatte.

– Ein Riesenarschloch, das kannst du mir glauben.

– Hilf mir, die arme Sau anzuziehen, Sabrì.

Seufzend machten sie sich an die Arbeit.

Sie hatten vor, sie an einem Ort abzulegen, den Spadino gut kannte. Einem sicheren Ort. Allerdings mussten sie sie zuerst aus dem Hotel hinausbringen, ohne dass der Portier der Chiocciola, die Zimmermädchen oder eventuelle Gäste, denen sie unterwegs begegneten, Verdacht schöpften. Doch selbst angezogen und parfümiert – es war ein heißer Abend, es roch schon unangenehm –, sah die Litauerin eindeutig wie eine Leiche aus. Also befahl Spadino Sabrina, sie zu schminken. Sabrina setzte ihr auch noch die verspiegelte Tom-Ford-Brille auf, die sie trug, wenn sie nach einer harten Nacht schnell einen Quickie absolvieren musste und die Augenringe verbergen wollte. Die Wirkung war nicht überwältigend, aber es ging. Sie mussten nur ein paar Meter zurücklegen, mit etwas Glück würde es gutgehen.

Sie zogen sie hoch, stützten sie, jeder auf einer Seite. Wie schwer sie war, Gott hab sie selig! Sie kamen nur mühsam voran, es war eindeutig, dass sie nicht ging, sondern dass sie sie zogen.

– Anders geht es nicht, sagte Spadino. Dem Portier sagen wir, sie sei betrunken. Im Notfall geben wir ihm hundert Euro, damit er begreift, dass er wegschauen soll.

Das leuchtete ihr ein.

Sie machten sich auf den Weg.

Der Gang im vierten Stockwerk war leer. Der Lift kam sofort. Schon waren sie in der Lobby. Spadino bat den Portier, die schwere Drehtür aufzuhalten, der Mann tat es, unterwürfig lächelnd. Sabrina steckte ihm ein paar Hunderter zu.

Als das merkwürdige Trio draußen war, ging der Portier zur Rezeption zurück, legte den „Corriere dello Sport“ weg, den er jeden Tag andächtig las, um sich als echter Römer und – je nach Bedarf – als Roma- oder Lazio-Fan zu fühlen, und dachte nach. Er hieß Kerion Kemani, war fünfunddreißig Jahre alt und kam aus Albanien. Ein Zweifel quälte ihn. Er verdankte dem Abgeordneten Malgradi viel: den Arbeitsplatz, bald würde er die Staatsbürgerschaft erhalten. Aber wo hörte die Dankbarkeit auf? Auch er war kurz auf der Straße gewesen, bevor er wieder auf den rechten Weg zurückgefunden hatte. Im Übrigen hatten ihm die Italiener auch keine andere Wahl gelassen. 1991 war er mit der ersten Migrationswelle in Bari an Land gegangen. Noch beinahe ein Kind, hatte er sich mit vielen anderen in einem Stadion wiedergefunden, das sich bald in einen Raubtierkäfig verwandelte. Um die Überfahrt zu bezahlen, hatte sein Vater alles verkauft, was er besessen hatte, das Haus, das Feld, die wenigen Tiere, die er seinerzeit vor dem Zugriff der Kommunisten hatte bewahren können. Die Alona-Mafia im Stadion hatte den Rest besorgt. Seine Schwester war auf den Strich gegangen und er hatte sich als Schuldeneintreiber verdingt. Er hatte Familienväter terrorisiert, hin und wieder jemandem die Knochen gebrochen, widerspenstige Huren bestraft. Sowas eben. Dann hatte sein Leben sich verändert, sicher, doch gewisse Erinnerungen konnte man nicht auslöschen. Auf der Straße hatte er zumindest gelernt, dass die Kleine mit der Sonnenbrille alles andere als betrunken war.

Sie war tot.

Was also sollte er tun? Fürs Erste dachte er nach.

Was auch immer in der Suite vorgefallen war, Malgradi hatte damit zu tun. Und welchen Vorteil konnte er, Kerion, dabei herausschlagen?

Malgradis Großzügigkeit war nicht uneigennützig. Malgradi half ihm dabei, in Italien Fuß zu fassen, und er garantierte ihm im Gegenzug maximale Diskretion bei seinen turbulenten Sexaffären. Kein Meldezettel, keine peinlichen Meldungen ans Präsidium, keine Dokumente. Zum Dank wählten ihn alle seine Landsmänner, die die heiß ersehnte Staatsbürgerschaft erhalten hatten – bisher ungefähr tausend.

Es handelte sich also gar nicht so sehr um Großzügigkeit, sondern um ein Abkommen. Und Abkommen gelten, wie man weiß, nicht ewig. Beziehungsweise können sie neu ausgehandelt werden.

„Jetzt bin ich am Zug, Herr Abgeordneter.“

Deshalb ging Kerion Kemani, ein albanischer Portier und angehender italienischer Staatsbürger, in die Anna-Magnani-Suite hinauf, nahm einen Kissenbezug, der nass war und stank, wonach, wollte er gar nicht genau wissen, und ein Stück Stanniolpapier mit weißem Pulver, lud das Handy und machte der Vollständigkeit halber ein paar Fotos vom Tatort. Später, in seiner Zweizimmerwohnung im Pigneto, in der er mit seiner Schwester wohnte, die jetzt keine Hure mehr war, sondern eine alte Dame im Rollstuhl betreute, schrieb er einen kurzen Bericht und ging zu Bett.

Zu gegebener Zeit würde er das brauchen können.

Spadino und Sabrina luden die Leiche im Nationalpark Marcigliana ab, der ein paar Kilometer von Monterotondo Scalo entfernt war. Spadino entdeckte eine Art kleiner Schlucht, gemeinsam zerrten sie die Litauerin aus dem Auto und legten sie auf einem schönen Bett aus Blättern und trockenen Ästen ab.

– Ruhe in Frieden, Amen, sagte Spadino und rollte sich eine Zigarette.

– Bringst du mich jetzt bitte nach Rom zurück?

– Entspann dich, Sabrí, schau dir den schönen Sternenhimmel an. Die Sache fängt erst an. Ich glaube, den Abgeordneten wird der Spaß eine schöne Stange Euro kosten.

– Damit will ich nichts zu tun haben.

– Ich habe dich auch nicht darum gebeten. Im Gegenteil: Du kennst mich nicht mal, klar?

– Pass auf, Malgradi ist gefährlich.

– Wer? Der?

– Er hat die richtigen Freunde, Spadí, unterschätz ihn nicht.

– Red’ keinen Unsinn! Ich bin gefährlich, meine Liebe! Hör jetzt zu flennen auf, was geschehen ist, ist geschehen.

– Spadino, ich möchte mein Leben ändern.

– Pech für dich, sagte er sarkastisch und warf die Kippe weg. – Ich habe jetzt Lust bekommen.

– Ich bitte dich, fahren wir nach Rom zurück.

– Das kostet aber was, sagte er kurz angebunden und knöpfte sich die Hose auf.

Sabrina machte sich an die Arbeit.

Vom Geruch angelockt, tauchten ringsherum unsichtbare und schweigende Schatten auf. Wilde Hunde.

 

II.

Spadino rief in der Abgeordnetenkammer an und verlangte Malgradi. Man verband ihn mit einer freundlichen Sekretärin.

– Der Herr Abgeordnete ist in der Stiftung.

– Wo is’ die?

– Bitte?

– Wo befindet sich die Stiftung?

– Auf dem Largo dei Lombardi. Kennen Sie den ehemaligen Sitz der PSI?

Von der PE-ES-I hatte Spadino noch nie etwas gehört, es dauerte eine Zeitlang, bis er begriff, dass dort auch der Laden war, wo er sich – wenn die Geschäfte gut liefen – mit geilen Schuhen eindeckte.

Er fuhr mit dem Moped hin, stellte es wie gewöhnlich neben dem Halteverbotsschild ab.

Sechs große straßenseitige Rauchglasscheiben bildeten ein L entlang der Piazza und des ersten Stücks der Via del Corso, dahinter bewegten sich flüchtige Schatten, es war nicht deutlich zu erkennen, wer dort ein und ausging. Die Tür aus bruchsicherem Glas öffnete sich automatisch mittels Fotozellen, und darüber befand sich eine Emailkokarde in den Farben der Trikolore. Auf einem Schild stand: „Rialzati, Roma“, erhebe dich, Rom. Warum, wann war Rom gefallen? Und wer sollte bei der Erhebung helfen? Malgradi? Ich bitte dich!

Die beiden Türsteher waren bekannte Gesichter: zwei Bodybuilder aus Ostia, die als Rausschmeißer in Diskotheken gearbeitet hatten, damals, als er Shit vor Schulen verkaufte. Sie nickten und ließen ihn hinein.

Sofort trat eine spindeldürre Schwarzhaarige auf ihn zu.

– Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?

– Ich suche den Herrn Abgeordneten.

– Haben Sie einen Termin?

– Wir sind alte Freunde.

– Sagen Sie mir bitte Ihren Namen?

– Ich bringe ihm etwas, das er gestern in der Chiocciola vergessen hat, sagte Spadino und tippte an seinen Rucksack.

– Es wird etwas dauern. Der Herr Abgeordnete hat heute Vormittag jede Menge Sitzungen.

– Ich habe nichts vor. Ich warte.

– Dann folgen Sie mir bitte in die Italia-Lounge …

– Gerne.

Spadino folgte ihr über einen kurzen, dunklen Gang, über einen Kunstharz- und Betonboden, und von dort aus in ein sehr großes, viereckiges, fensterloses Zimmer. Über die mit Holz und Schieferplatten verkleideten Wände liefen kleine Wasserbäche, das Wasser sammelte sich in Stahlbecken, im Boden eingelassene Lampen verbreiteten ein kaltes Licht. Verdammt, dachte Spadino, mein Großvater, Gott hab ihn selig, hatte recht. Politik ist die beste Möglichkeit, Geld zu machen.

Mitten im Raum, in einem Halbrund schwarzer Ledersofas, Marke Chesterfield, vor einem Glastisch mit runden Füßen und einer Kopie der Trajanssäule darauf, saß ein schmächtiger, hohlwangiger Typ in blauem Nadelstreifanzug. Er unterhielt sich mit jemandem, der ihn ständig unterbrach und ihn mit „Herr Anwalt“ ansprach. Die beiden befanden sich mitten in einer Diskussion, die offenbar genauso angeregt wie heikel war.

– Das ist der Koordinator der römischen Sektionen, erklärte die spindeldürre Schwarzhaarige, – Anwalt Mauro Lotorchio. Fürs Erste können Sie sich mit ihm unterhalten.

– Ich nehme mir mal einen Kaffee.

Die Schwarzhaarige zeigte auf die kurze Seite der Lounge. Auf einer Theke aus Glas und Stahl thronte eine chromglänzende Vintage-Kaffeemaschine. Daneben standen zwei zwanzigjährige Blondinen in schwarzem Top, weißen Leggins und Highheels.

– Unsere beiden Volontärinnen helfen Ihnen gerne, sagte sie kurz angebunden, verärgert, und ging.

Spadino ging zur Bar, er musste nicht einmal einen Wunsch äußern. Eine Hand mit blaulackierten Nägeln reichte ihm einen Espresso.

– Arbeitest du wirklich umsonst?

– Der Abgeordnete sagt, Politik sei Dienst am Volk. Eine Leidenschaft. Keine Arbeit.

– Ach ja? Das sagt der Abgeordnete? Und was isst du am Abend?

– Der Abgeordnete oder einer seiner Mitarbeiter lädt mich zum Essen ein.

– Ach so.

Spadino blickte wieder Lotorchio und den Mann an, mit dem er sich angeregt unterhielt. Die beiden bemühten sich zwar leise zu sprechen, doch er verstand, was sie sagten. Der Typ wollte eine Wohnung. Lotorchio schlug eine vor, doch der andere lehnte ab. Keine war ihm recht. Aber wie viele Wohnungen hatten sie zur Verfügung? Und wem gehörten sie? Malgradi?

Nach dem ersten Kaffee trank er einen zweiten, und dann einen dritten. Die Zeit verging, keine Spur von Malgradi. Spadino stieg langsam das Blut zu Kopf. Schließlich einigten sich Lotorchio und sein Gesprächspartner und reichten einander die Hand. Der Typ zog ab. Ein hohes Tier der Verkehrspolizei kam herein, in Uniform. Er sah Lotorchio und ging ihm entgegen, wobei er einen Packen Dokumente schwenkte.

– Mein lieber Herr Anwalt! Ich bringe Ihnen die Behindertenausweise, um die mich der Herr Abgeordnete gebeten hat.

Na sowas! Spadino zündete sich gerade angewidert eine Zigarette an, trotz der „Rauchen-Verboten“-Schilder an den Wänden, als die Stimme Malgradis das Gespräch zwischen Lotorchio und dem Polypen unterbrach. Der Abgeordnete hatte sich bei einem kleinen, korpulenten Typen untergehakt, der einen schmutzig grünen Anzug, ein rosa Hemd und eine braune Krawatte trug. Das Gespräch, der Grund seines stundenlangen Wartens, schien zu Ende zu sein.

– Verstehen Sie das Problem, Herr Abgeordneter? Diese Sache mit dem Entlassungsschutz wird allmählich zur Qual. Warum darf ich einem Angestellten keinen Fußtritt geben, wenn der Laden leer ist? Wo sind wir? In Nordkorea? Ich kann Leute nur brauchen, wenn sie mir Geld bringen. Wenn nicht, tschüss, auf Wiedersehen. Nach Hause. Entlassung, unbezahlte Ferien.

– Mich müssen Sie nicht überzeugen. Ich habe eine Gesetzesänderung vorgeschlagen und werde sie im nächsten Finanzausschuss besprechen. Wir müssen das Land von der Diktatur der Gewerkschaften befreien. Rechte, Rechte … Die Linken können gar nicht genug kriegen von diesem Wort. Und die Pflichten? Wo bleiben die Pflichten?

– Kann ich also meine Leute im Verein beruhigen? Versprechen Sie es mir?

– Auf Malgradis Wort kann man sich verlassen.

– Und auf die Stimmen des Vereins.

Sie lachten beide herzlich.

Endlich sah Malgradi Spadino. Den aus der Chiocciola. Er ging zu ihm hin und begrüßte ihn, mit einem Zittern in der Stimme, von dem er nicht wusste, ob es Angst oder Wut war.

– Was machen Sie hier?

– Abgeordneter!, lächelte Spadino.

– Was fällt Ihnen ein?, flüsterte er ihm ins Ohr, legte ihm eine Hand auf die Schulter und führte ihn Richtung Tür.

Spadino pflanzte sich mit gespreizten Beinen vor der Tür auf. Mit beiden Händen packte er den Rucksack und nahm eine drohende Haltung ein.

– Regel Nummer eins: Von nun an duzen wir uns. Wie gute Freunde. Regel Nummer zwei: Eine Hand wäscht die andere. Von nun an kaufst du bei mir Stoff. Und nicht bei diesen Idioten aus Ostia, die da draußen für dich Wache stehen.

– Welchen Stoff?