Umschlag

Tim Frühling, aufgewachsen in Stuttgart, ist Moderator, Wetteransager und Autor. Seit 2006 ist er Radiomoderator bei HR3. 2008 wagte er den Schritt vor die Kamera und präsentiert seither das Wetter in der Hessenschau. Im April 2013 erschien sein erstes Buch »Nichts kann ich mir am besten merken« im Fischer Verlag. Tim Frühling lebt in Frankfurt am Main.
www.timfruehling.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
 
Dieser Roman wurde vermittelt durch die Agentur Brauer, München.

© 2015 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: photocase.com/misterQM
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
Lektorat: Susann Säuberlich, Neubiberg
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-86358-776-5
Fuerteventura Krimi
Originalausgabe

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Für Sebastian,

der sich jedes Kapitel als Erster anhören musste

Für Christine,

die beste Cluburlaubsbegleitung, die man sich vorstellen kann

Und für alle Tarangos auf Fuerteventura und im Rest der Welt; verzeiht mir meine Phantasie. Ihr macht einen tollen Job!

Prolog

Der Wind an der Westküste Fuerteventuras kann unerbittlich sein. Kaum ein Dorf hat sich im Lauf der Jahrhunderte an der wellenumtosten Seite der Kanareninsel angesiedelt. Bis heute von Menschenhand unberührt, ragen die Felsen der Insel in die Gischt des Atlantiks.

Ganz besonders heftig pfiff der Wind in einer Januarnacht des Jahres 1994. Stärke elf wurde auf den Messinstrumenten überschritten. Zu viel für die »American Star«. Sie hielt der Naturgewalt nicht stand. Das über fünfzig Jahre alte Schiff riss sich von den Schleppern los, die es begleiteten, und wurde von den Böen an die Küste gedrückt. Ein Sieg der Natur über Mensch und Technik.

Wie durch ein Wunder konnte die Mannschaft von dem havarierten Dampfer im sturmgepeitschten Meer gerettet werden. Die gruselige Geschichte bescherte Fuerteventura eine ungeahnte Attraktion, denn auf Touristen übte das Wrack eine magische Wirkung aus: Scharenweise zog es die Schaulustigen auf die unwirtliche Seite der Insel, bis es schließlich von Salzwasser und neuerlichen Stürmen nach und nach zerfressen wurde.

Fast hätte man die Havarie damals von der einsamen weißen Villa in den kargen Bergen an der Westküste aus beobachten können. Seit Jahren hatte sie schon niemand mehr betreten. Für die Katastrophentouristen, die zur »American Star« pilgerten, lag das Anwesen zu weit ab vom Schuss, Einheimische mieden den Ort sowieso. Zu viele Geschichten haben ihre Vorfahren über diese geheimnisvolle Villa erzählt.

Ein deutscher Industrieller soll sie gebaut haben, wohl Mitte der vierziger Jahre. Eine unruhige Zeit in Europa. Nazi soll er gewesen sein. Es heißt, der Mann aus dem Schwarzwald habe möglicherweise einen unterirdischen U-Boot-Hafen geplant. Andere Inselbewohner schwören bis heute, dass von hier aus der Abtransport untergetauchter Größen der NSDAP nach Chile oder Argentinien organisiert werden sollte.

Vor allem aber stößt man bei den älteren Einheimischen auf eine Mauer des Schweigens, wenn es um die seltsame Villa geht, die inmitten einer unfruchtbaren Mondlandschaft offiziell als Mittelpunkt einer Tomatenplantage errichtet wurde.

Ungläubig schüttelten die Fischer von Morro Jable die Köpfe, als sie seinerzeit von den Plänen hörten, dass in den kahlen Bergen über ihrem abgelegenen Ort Gemüse wachsen sollte. Man hörte auch, der Deutsche habe auf einem flachen Landstück im äußersten Südosten der Insel eine Landepiste für Flugzeuge anlegen lassen. Gerüchte über Gerüchte machten damals die Runde, viele Fragen blieben bis heute unbeantwortet. Nach dem Tod des geheimnisvollen Industriellen im Jahr 1971 begann die Villa zu verfallen.

Heute pfeift der Wind durch die scheibenlosen Fenster, ab und zu löst sich ein Dachziegel, in windstillen Momenten hört man gelegentlich den Putz bröckeln. Einen blühenden Tomatenstrauch hat seit der Errichtung niemand gesehen.

Und doch weckt dieser unheimliche Ort immer noch Begehrlichkeiten. Eine spanische Baufirma behauptet, rechtmäßiger Eigentümer des Landhauses zu sein, die Nachfahren des Erbauers ebenso. 2007 fand ein Treffen beider Seiten direkt am Streitobjekt statt. Es konnte keine gütliche Einigung gefunden werden. Allerdings hörte man seitdem weder die Baufirma noch die Erben weiterhin Anspruch auf das Haus erheben. Möglicherweise ist beiden Parteien klar geworden, dass sich ein Streit um die Ödnis nicht weiter lohnt.

1

Das Ziel

Menschen sollen nicht lügen und keine Intrigen spinnen. Polizisten erst recht nicht. Brigitte wusste das. Aber sie musste aus persönlichem Interesse im Sommer mal kurz gegen dieses Gebot verstoßen. Seit zwei Jahren arbeitete sie bei der Polizeidirektion Hersfeld-Rotenburg, und seit zwei Jahren gelang es ihr nur unzureichend, die Aufmerksamkeit ihres Kollegen Daniel auf sich zu lenken.

Daniel gehörte zu den Männern, die in Brigittes Freundinnenkreis »Ausstrahlungs-Ignoranten« genannt wurden. Damit bezeichneten die Mädels von ihrem Stammtisch Typen, die sich selbst ihrer Wirkung gegenüber Frauen nicht bewusst waren. Perlen, die also selbst noch nicht entdeckt hatten, wie hell sie strahlen. Tatsächlich schien sich Daniel mehr für Kriminalfälle, elektronische Musik und für seine Volleyballmannschaft zu interessieren als für die Frauen um sich herum. Und das machte ihn natürlich umso interessanter.

Zeit ihres Lebens führte Brigitte den Misserfolg bei Männern vor allem auf ihren Vornamen zurück. In der Tat war es 1981 nicht mehr üblich, Neugeborene Brigitte zu nennen. Ihre Eltern wollten mit dieser Geste eine solvente Großtante beglücken und hofften auf eine entsprechende Würdigung im Testament. Dazu kam es leider nicht. Der Geldsegen blieb aus, und die kleine Brigitte durfte sich seit nunmehr dreiunddreißig Jahren für ihren Namen rechtfertigen.

Im Sommer jedenfalls  – und hier beginnt die Intrige – setzte sich Daniel eines Tages auf ihren Schreibtisch und hatte eine Bitte.

»Sag mal, Brigitte, du hast doch mal erzählt, dass eine Freundin von dir ein Reisebüro hat.«

Brigitte nickte und hoffte, Daniel möge sich nur für eine Reise und nicht für ihre Freundin interessieren.

»Ich will im November mal raus. Zwei Wochen. Irgendwohin, wo es noch warm ist. Ob sie mir da was empfehlen kann?«

Brigitte griff nach einem Kugelschreiber und kreiste damit durch ihre lockigen Haare. Übersprunghandlung, sollte sexy wirken.

»Ja, die Anne. Die kann dir bestimmt weiterhelfen. ›Reiseoase‹ am Rathaus, direkt in der Fußgängerzone. Soll ich dir ihre Nummer geben?«

Daniel winkte ab. »Nee, danke, der Name reicht mir schon. Dann gehe ich da mal persönlich vorbei. ›Reiseoase‹, Anne, das kann ich mir merken. Danke dir.« Und schon war er wieder weg.

Brigitte konnte sich ziemlich genau vorstellen, was jetzt passierte: Daniel ging zu Anne, erklärte ihr, dass er Sonne und schöne Frauen suchte, buchte einen Urlaub und kam frisch verliebt aus dem Süden wieder. Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen! Beherzt griff sie zum Telefon und wählte die Nummer der »Reiseoase«.

»Hallo Anne, hier ist Bridgie.«

Im Kreis ihrer Mädels ließ sie sich mit einem Spitznamen ansprechen, den hier auf dem Revier besser niemand erfuhr. »Du, hör mal, in den nächsten Tagen kommt ein Daniel Rohde bei dir vorbei. Du weißt schon, der Kollege, von dem ich dir erzählt habe. Ja, der mit den blauen Augen. Der will eine Reise bei dir buchen. Und da wollte ich dich um Folgendes bitten …«

Nachdem Bridgie mit ihrer Freundin Anne telefonisch einen Plan geschmiedet hatte, legte sie triumphierend auf. Sie grinste dabei maliziös und kam sich ausgesprochen listig vor.

***

Zu keiner Jahreszeit sind die Kanaren so beliebt wie im späten Herbst, wenn in Deutschland die Tage grau und kurz sind und die Kälte beginnt, unbarmherzig durch alle Ritzen zu ziehen. Ein Hotelier, der seinen Laden zwischen Mitte November und dem Ende der Weihnachtsferien nicht voll hatte, musste auf den Inseln des ewigen Frühlings schon einiges falsch gemacht haben.

Der Club Tarango im Süden Fuerteventuras hatte in den letzten Jahren nichts falsch gemacht, dementsprechend gut gebucht war er in dieser zweiten Novemberwoche. Die Sonne schien zwar nicht mehr ganz so zuverlässig wie noch einige Wochen zuvor, trotzdem war kaum noch ein Zimmer zu bekommen in der traumhaften Anlage direkt am Strand von Jandía, der in keinem Prospekt oder Reiseführer ohne das Adjektiv »feinsandig« davonkam. Einige Ecken des Clubs waren zwar in die Jahre gekommen, der Gast wurde dafür aber mit altem Baumbestand, einem herrlich eingewachsenen Garten und der hervorragenden Lage seines Urlaubsdomizils entschädigt.

Nach dem üppigen Büfett war die große Bar zwischen Essenssaal, Pool und Theater allabendlich der Treffpunkt schlechthin. Süßliche Parfümschwaden mischten sich mit Zigarettenrauch, die Unterhaltungen der Gäste füllten den halb überdachten Barbereich mit einem vielstimmigen Gewirr.

Das Lieblingsthema der Urlauber war seit Jahren der Vergleich verschiedener Clubanlagen, die zur Tarango-Kette gehörten. Dabei ging es weniger um den Austausch von ernst gemeinten Informationen, vielmehr wollte ein jeder unter Beweis stellen, wie viel Tarango er sich in seinem Leben schon hatte leisten können. Die Küche im Club auf Kreta habe nachgelassen, hörte man, dafür seien die Tennisplätze an der Algarve in einem perfekten Zustand. Der Clubchef aus Apulien sei ins Salzburger Land versetzt worden, hieß es, und den Sketche-Abend in Ägypten müsse man miterlebt haben. Hauptzweck des selbstdarstellerischen Treibens war natürlich die maximale Beeindruckung des jeweils anderen Geschlechts.

Die Tarango-Kette war in den letzten Jahren dazu übergegangen, ihre Clubs auf bestimmte Zielgruppen zu spezialisieren. Die eine Anlage war ausschließlich auf die Interessen junger Eltern zugeschnitten, die andere bot ein besonders umfangreiches Sportangebot. Ein Club hatte sich verstärkt auf junge Flitterwöchler eingestellt, wieder ein anderer auf Golfspieler. Der Tarango auf Fuerteventura galt als Paradies für Alleinreisende und wurde Singles gern als lukrative Flirtbörse angepriesen.

Und die Gäste in diesen Novembertagen taten genau das, was der Tarango-Katalog mit ihnen vorhatte: anbändeln, schäkern, kokettieren und umwerben. Viele Gäste verwandelten sich unter der südlichen Sonne in völlig andere Menschen: zu Hause seriöser Geschäftsmann, hier der lockere Charmeur mit jeder Menge Schalk im Nacken. In Deutschland biedere Chefsekretärin, unter der Sonne des Südens die papageienbunt gewandete Lolita mit mädchenhaftem Augenaufschlag.

Eine dieser Urlaubs-Metamorphosen: Lothar Hanke aus Berlin, seit Jahrzehnten in der Hauptstadt eine Institution in puncto Immobilien. Kaum einer verstand es in den Zeiten vor der Wende so geschickt wie er, Fördermittel für die eingeschlossene Stadt abzugreifen. Seine Luxusdomizile sollten den Berlinern das fehlende Umland kompensieren.

In den Jahren nach der Wiedervereinigung bewies er einen sicheren Instinkt dafür, welche Gegenden im früheren Osten bald zu den beliebtesten Wohnlagen zählen würden. Wo ein Altbau nicht mehr zu renovieren war, zog Hanke ein neues Gebäude hoch. Wo Naturschutzbestimmungen das Bauen an Seen untersagten, war Hanke schneller und schuf Tatsachen, bevor die Behörden überhaupt erst darauf aufmerksam wurden. Das konnte auch mal schiefgehen  – eine Residenz am Schwielowsee musste tatsächlich im Rohbauzustand wieder abgerissen werden –, aber die anderen Objekte finanzierten solche kleinen Niederlagen einfach mit.

Und für Niederlagen war der Tarango ohnehin nicht der richtige Ort. Hier zeigte man gern, was man hatte. Üppiger Schmuck für die Damen und kostspielige Markenkleidung für die Herren standen hoch im Kurs. Auch Lothar Hanke ließ durch sein Auftreten keinen Zweifel am Erfolg seiner Geschäfte aufkommen. In einem Polohemd, das aufgrund eines bestimmten Logos für rund hundert Euro über die Ladentheke gegangen war, stand er an der Bar. Dazu eine leichte Leinenhose und ein Paar gut gepflegter Slipper – so sahen Menschen aus, die sich um den einen oder anderen Fünfziger beim Kauf ihres Outfits keine Gedanken machen mussten.

Der Immobilieninvestor mit einem leichten Hang zur Selbstverliebtheit war heute Abend mächtig in Fahrt: Er poussierte mit drei Frauen gleichzeitig, schmiss eine Getränkerunde nach der anderen, rauchte und lachte. Es heißt ja gern, man solle solch einen schönen Abend auskosten, als wäre es der letzte im Leben. Ein treffendes Motto. Obwohl Lothar zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, dass es tatsächlich sein letzter werden sollte.

***

Ein wenig plagte Brigitte jetzt doch das schlechte Gewissen. Daniel saß voller Vorfreude auf den Urlaub neben ihr – und sie war daran schuld, dass er ins offene Messer laufen würde. Der Kriminalbeamte war tatsächlich kurz nach ihrem Gespräch im Sommer in Annes »Reiseoase« aufgetaucht. Sein Wunsch: Wärme im November, relaxen unter Palmen – und dabei am besten noch eine nette Frau kennenlernen.

Anne war ja von Bridgie instruiert worden und hatte sich schon etwas Schönes für den armen Daniel ausgedacht: Club Tarango, Fuerteventura, der Party- und Single-Hotspot. So jedenfalls wurde die Anlage im Katalog beschrieben. Das war auch richtig, allerdings hatte Anne vor drei Jahren im Rahmen einer Inforeise die Gelegenheit gehabt, die wilde Partymeute persönlich in Augenschein zu nehmen.

Begeistert über ihren Verschwörungsgeist hatte sie ihre Freundin gleich nach der Buchung angerufen.

»Bridgie, Schatz, dein Daniel war hier. Ich habe ihn nach Fuerteventura geschickt. In einen Club voll flirtwilliger Singles.«

Pause am anderen Ende der Leitung. Schließlich: »Was soll das, Anne, ich habe dir doch gesagt, dass er auf keinen Fall eine Frau kennenlernen darf, bevor er, ääh, also, bevor er mich näher kennengelernt hat.«

Gegacker in der Hersfelder »Reiseoase«.

»Das weiß ich doch, meine Süße. Und das wird dort auch auf keinen Fall passieren. Die ganzen Single-Eulen da sind nämlich jenseits der sechzig. Du musst wissen: Den Club gibt es schon ewig. Und das Publikum ist ein wenig, na ja, ich drücke es mal vornehm aus, mitgealtert. Ich war vor ein paar Jahren mal da. Falten, welkes Fleisch und Cellulitis, wo man nur hinguckt. Wenn der niedliche Daniel nicht gerade auf Ladys steht, die seine Oma sein könnten, kommt der genauso solo wieder nach Hause, wie er hingefahren ist. Und wenn du am Tag seiner Rückkehr einen kurzen Rock anhast, heiratet er dich vom Fleck weg, nachdem er vierzehn Tage lang nur Visagen gesehen hat, die aussahen wie deine braune Lederhandtasche.«

Brigitte staunte. So viel Schäbigkeit hätte sie ihrer Freundin gar nicht zugetraut. »Du elendes Miststück. Das hast du sehr, sehr gut gemacht! Heute Abend Lust auf einen Aperol Spritz auf dem Linggplatz? Der geht auf meine Rechnung.«

Aus dem einen Aperol waren an dem Abend vier geworden – und aus dem Triumph Reue. Daniel hatte wirklich viel Geld für den Urlaub hingelegt und freute sich seit Wochen wie ein kleines Kind darauf. Deswegen wurde Brigitte ihre Intrige zunehmend unangenehm. Sogar so unangenehm, dass sie Daniel fragte, ob sie ihn zum Frankfurter Flughafen fahren sollte.

Und nun saß er im Auto neben ihr – in maximaler Erwartungshaltung auf einen heißen Flirturlaub, der keiner werden würde. Er hatte sich extra eine muschelbesetzte Surferkette gekauft und trug sogar an diesem trüben Novembertag auf der A 5 seine Sonnenbrille im Haar.

Verstohlen schielte Brigitte immer wieder auf ihren Kollegen neben sich. Er kam ihr vor wie ein freudvoll hechelnder Welpe. Sie fand das unbeschreiblich niedlich. Genauso wie seinen blonden Dreitagebart, seine blauen Augen und die Adern, die auf seinen trainierten Unterarmen feine Linien bildeten.

Je größer seine Freude wurde, desto mehr schämte sie sich. Zu allem Überfluss hatte er ihr auch noch einen Gutschein aus einer Parfümerie in der Hersfelder Fußgängerzone geschenkt. »Weil deine Freundin mich so gut beraten hat – und weil du mich zum Flughafen fährst.«

Oben am Rimberg mischten sich die ersten Schneeflocken unter den Regen, der aus tief hängenden Wolken fiel.

»Mensch, was bin ich froh, diesem Wetter jetzt zwei Wochen zu entfliehen. Deine Freundin hat gesagt, der November sei auf Fuerteventura traumhaft schön. Und der Club ist es auch. Tolles Essen, viel Sport und ein paar heiße Badenixen. Und das Beste: zwei Wochen lang keine Ermittlungen.« Daniel konnte nicht wissen, dass er sich nicht nur in puncto Badenixen irren sollte.

2

Der Sturz

Wenn man Netti Alvensleben gefragt hätte, wie es wohl klingt, wenn etwa fünfundachtzig Kilo Mensch auf dem flachen Steindach neben ihrem Bürofenster aufschlagen, hätte sie dieses Geräusch nur unzureichend oder falsch wiedergeben können. Sie hatte sich bis zu diesem Novembertag auf Fuerteventura allerdings auch noch nie Gedanken über diesen Sachverhalt gemacht. Man könnte es vielleicht am ehesten wie ein knarrendes Plumpsen mit leichtem Klackern beschreiben. Das Klackern mag von den Absätzen der teuren Lederhalbschuhe gekommen sein, vielleicht auch von der kostspieligen Armbanduhr. Möglicherweise klingt es aber auch einfach so, wenn Halswirbel brechen.

Nun jedenfalls lag Lothar Hanke vor Nettis Fenster, und sie machte sich aufgrund der verdrehten Lage seines Körpers nicht die geringsten Illusionen, dass da noch irgendetwas zu machen war. Dennoch war ihr erster Reflex: hin, so schnell wie möglich hin zu dem Mann und versuchen, noch in irgendeiner Art Erste Hilfe zu leisten. Netti kletterte also über den Fenstersims ihres Büros und lief die paar Meter zum schönen Lothar.

»Schöner Lothar«, das war der Spitzname des Mannes, der nun, elegant gekleidet wie immer, aber doch mächtig tot, vor ihr lag. Mechanisch knöpfte Netti Lothars Hemd am Ärmel auf. Ohne darüber nachzudenken, versuchte sie den Puls zu fühlen. So hatte sie es Anfang der achtziger Jahre in der Poliklinik in Halberstadt gelernt: Welche Blessur auch immer für die Einlieferung des Patienten verantwortlich ist, zuerst wird der Puls gefühlt.

Beim schönen Lothar war da nichts mehr. Trotzdem tätschelte Netti ihm ein paarmal unsanft die Wangen und rief seinen Namen. Ein Mensch ohne Pulsschlag reagiert darauf nicht mehr, auch wenn es dem schönen Lothar sicherlich zu Lebzeiten nie in den Sinn gekommen wäre, keine Reaktion zu zeigen, wenn eine jüngere Frau schon seinen Namen rief.

Nach dem ersten Hilfsreflex schoss Netti nun der Gedanke durch den Kopf, wie Lothar eigentlich auf das Steindach vor ihrem Büro kommen konnte. Es gab nur eine Lösung. Von oben.

Elf Stockwerke war das an das Flachdach angrenzende Haupthaus vom Club Tarango hoch, ganz oben pflegte der schöne Lothar im November für zwei Wochen ein Zimmer mit Leuchtturmblick zu buchen. Netti war zwar keine Kriminalsachverständige oder Pathologin, aber die beachtliche Torsion von Lothars Körper sprach nach ihrem Dafürhalten für einen Sturz aus großer Höhe. Also wahrscheinlich aus seinem eigenen Zimmer. Nachdem sie diese Frage für sich geklärt hatte, entschied sie sich, über die Beseitigungsproblematik nachzudenken.

Etwa sechzig Gästezimmer des Haupthauses hatten einen prachtvollen Blick auf das Dach. Für die allgemeine Reputation eines Hotels macht es sich nicht gut, Leichen auf dem Vordach liegen zu haben. Deswegen war Netti klar: Bevor irgendwelche weiteren Schritte eingeleitet werden konnten und sie Claus, den Clubchef, mit der Misere behelligte, musste Lothar aus dem Blickfeld. Und da gab es nur eine Möglichkeit: der Schornstein der Küche, die sich unter dem flachen Steindach befand. Der eckige, gemauerte Schlot würde fürs Erste Lothars Leiche vor den Blicken der Gäste schützen.

Es kostete sie zwar einiges an Überwindung, den verschrammten und verdrehten Körpers des einstigen Stammkunden unter den Achseln über das Dach zu ziehen, aber angesichts der Alternative, nämlich hysterisch kreischende Gäste auf ihren Balkonen, erschien es Netti das kleinere Übel zu sein. Trotzdem war die Erleichterung groß, als sie den toten Beau endlich im toten Winkel der Esse ablegen konnte.

***

Daniel Rohde hätte es wissen müssen. Der Satz »Das wird Ihnen gefallen« hatte ihm in seinem Leben noch nie Glück gebracht. Damals, als seine Friseurin ihn sagte, endete der Besuch mit Strähnchen. Hohn und Spott des gesamten Kommissariats verfolgten den partiell erblondeten Ermittler wochenlang.

Warum bei ihm keine Alarmglocke schrillte, als die Maus aus dem Reisebüro wieder den verhängnisvollen Satz sprach, war ihm bis heute ein Rätsel. Fakt war: Er hatte auf sie gehört und zwei Wochen diesen »Adventure & Single«-Club auf Fuerteventura gebucht. Keine Kleinkinder, hordenweise hübsche Solo-Frauen, Sonne, Essen und alle Sportarten kostenlos, das klang für den siebenunddreißigjährigen Single zunächst nicht verkehrt.

Wie sich allerdings rausstellen sollte, waren die meisten Solo-Frauen im Club Tarango schon von der Pflicht entbunden, in die Rentenkasse einzuzahlen. Die Sonne im November entpuppte sich als launischer Reisebegleiter, und ein Kind hatte er auch schon entdeckt. Alles in diesem Hotel befremdete ihn: das Essen an Tischen mit bis zu sieben unbekannten Menschen, das ständige Geduze untereinander und die immerwährende gute Laune aus heiseren Animateurskehlen. Deswegen hatte er schon nach Tag zwei jegliche sportive Aktivität eingestellt. Es war einfach nicht sein Geschmack, wenn beim Beachvolleyball ständig einer »Hophophop« krächzte und während des Spiels abgegriffene Witze erzählte.

Darüber hinaus kam sich Rohde wie ein Landei vor. Der Kommissar hatte das Gefühl, als sei keiner der Gäste vom Dorf wie er oder wenigstens aus einer Kleinstadt. Alle Anwesenden, die zu einem großen Teil jahrzehntelange Tarango-Anhänger waren, kamen entweder aus München, Hamburg oder Köln. Dass er nicht gerade auf Nachbarn aus Wildeck-Bosserode treffen würde, war ihm klar. Aber von dem Umstand, dass offenbar ausschließlich die angegraute Großstadt-Schickeria vom »Adventure & Single«-Slogan angezogen würde, war weder in seinem Prospekt noch bei der Reisebüro-Maus in Bad Hersfeld die Rede gewesen.

Als er am vierten Tag das Clubgelände zum ersten Mal verließ, entdeckte er in einer gegenüberliegenden Shoppingmall wenigstens eine deutsche Kneipe, die Bundesligaspiele live übertrug. Gott sei Dank war englische Woche, und der arme Rohde hatte wenigstens in den Abendstunden ein bisschen Spaß mit sich, Bier und Fußball.

***

»Das kann er nicht mit mir machen, DAS KANN ER EINFACH NICHT MIT MIR MACHEN

Wenn Dekorateur Rayk sich ereiferte, entbehrte es nie einer gewissen Komik. Rayk gehörte zu den Schwulen, die durch ihre näselnde Art zu sprechen sofort klarmachten, mit welcherlei Geschlecht sie ihr Bett am liebsten teilten. Ein weiteres Plus an Komik verlieh ihm sein Dialekt aus dem Süden Thüringens. Schon mit acht Jahren hatte Rayk als kleiner Kerl in Hildburghausen bemerkt, dass sein Leben irgendwie in eine andere Richtung verlief als das seiner Freunde um ihn herum. Sie wünschten sich zu ihren Geburtstagen Spielzeugautos und Fußbälle, Rayk orderte bei seinen Eltern wochenlang im Voraus ein Teeservice, das er im Konsum gesehen hatte.

Später folgten Hänseleien, eine schreckliche Zeit bei der NVA und schließlich eine Ausbildung als Requisiteur am Theater in Leipzig. Seiner persönlichen Entwicklung tat es gut, seinem Hochdeutsch nicht. Nach der Wende lebte Rayk ein paar Jahre seine sexuellen Phantasien in Berlin aus, bevor er über eine Annonce den Job als Dekorateur im Tarango fand.

Die erste Zeit war der Himmel auf Erden für ihn gewesen: Sonne, Kreativität, hier und da ein süßer Spanier, so hatte er sich das Paradies vorgestellt. Im Lauf der Jahre allerdings störte Rayk sich mehr und mehr an der kahlen Insel, dem ständigen Umgebensein von jüngeren Kollegen und den Weisungen seitens der Chef-Animation. Die letzten zehn Jahre bis zur Rente, hatte er deswegen beschlossen, würde er sich gern etwas Eigenes aufbauen.

Ein kleines Café in Berlin-Schöneberg, das wäre sein Traum. Seine Spezialität: monatlich neu dekorierte Räumlichkeiten, dazu eine übersichtliche Karte mit mediterranen Spezialitäten.

Kochen mussten alle »Tarangos«, wie die Mitarbeiter genannt wurden, sowieso. Die Gäste liebten es, wenn die Unterhaltungs-Angestellten unter Scherzen beim Show-Cooking brieten, frittierten oder aufschnitten. Und von diesen Cooking-Stations hatte Rayk sich einiges für seinen späteren Traum abgeschaut. Natürlich fehlte ihm das Geld für das Café. Das Gehalt bei Tarango war höchstens mittelmäßig, und die Abende unter Kollegen, in denen eine Runde nach der anderen geschmissen wurde, ließen größere Anlagebeträge nicht zu. Aber es gab ja noch den schönen Lothar.

Rayk hatte Lothar Hanke gleich zu Beginn seiner Tarango-Karriere kennengelernt, etwa zwölf Jahre war das jetzt her. Der wohlhabende Stammgast hatte ihn mit einer außergewöhnlichen Bitte angesprochen: Während seines Urlaubs pflegte Hanke sich mit drei Damen intensiver zu vergnügen, die aber nichts voneinander wussten. Deswegen war es ihm wichtig, unter dem Personal einen Vertrauten zu haben.

Um die Geschäftsbeziehung kurz zu skizzieren: Hanke hatte seinen Spaß, und Rayk kümmerte sich um seine Alibis. Ein Schachabend mit dem Clubchef, ein Fährausflug nach Gran Canaria, ein Eselsritt an die Costa Calma, Rayk war phantasievoll, wenn es darum ging, seinen Auftraggeber bei den zwei aktuell zu hintergehenden Damen zu entschuldigen. Und Hanke im Gegenzug großzügig. Pro Urlaub versprach er Rayk zweitausend Euro für seine Dienstleistung. Das Geld wartete verzinst auf dem Konto einer Berliner Bank und sollte Rayk übergeben werden, sobald er die Pläne für sein Café umsetzen wollte. Mehr als zwanzigtausend Euro waren auf diesem Wege schon zusammengekommen.

Anlass für Rayks nasalen Wutausbruch war der Besuch, den Lothar ihm gestern am frühen Abend zwischen den Stoffballen der Requisite abgestattet hatte. Sichtlich zerknirscht bat der Gast den Deko-Tarango um eine Unterredung. In deren Verlauf wurde Rayk klargemacht, dass es mit dem Geld nichts wurde. Mehrere Immobiliengeschäfte seien in letzter Zeit nicht so gelaufen wie geplant, die Krise im Allgemeinen und Speziellen, fürchterliches Bedauern, aber das Geld habe anderweitig eingesetzt werden müssen. Hankes Auftritt hatte Rayk den Boden unter den Füßen weggezogen.

Der Geprellte hatte noch versucht, wenigstens einen Teil der versprochenen Summe zu bekommen, und an Lothar Hanke als Ehrenmann appelliert, auf dessen Wort man doch was geben könne. Aber nichts half. Unter heftigstem Entschuldigen wurde eine Zahlung des Geldes definitiv ausgeschlossen.

Diese niederschmetternde Nachricht trug Rayk fast einen ganzen Tag lang mit sich herum. Zu den Vereinbarungen zwischen ihm und Hanke hatte immer gehört, dass keine Tarango-Kollegen von seinem Zweitjob als Alibi-Beschaffer erfuhren. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, dass durch Schwatzhaftigkeit eine der drei betroffenen Damen davon Wind bekam.

Da nun aber Hanke die Regel gebrochen hatte, sah sich Rayk auch nicht mehr dazu verpflichtet, zu schweigen. Er hatte sich Choreografin Litwina offenbart, erzählte ihr von den langen Jahren des organisierten Versteckspiels, davon, dass man ihn um Geld betrogen hatte, und steigerte sich schließlich unter Tränen in seine südthüringische Elegie.

***

»Und dann kam er mit einem Salzstreuer, den er extra vom Tisch mitgebracht hatte, an meine Cooking-Station und würzte vor den Augen aller Gäste die Soße meiner Albóndigas nach!«

Köchin Romana hatte ihren Kollegen Dave noch nie so aufgebracht erlebt. Mit dem Zeigefinger drosch er während des Satzes auf den Tisch vor ihm ein. Sonst kam er ihr fast stoisch vor. Selbst als der Chef de Rang Dave damals eröffnete, dass das Tattoo am Hals keine gute Idee gewesen sei, weil die Gäste so was wohl kaum schätzten, blieb der Hundert-Kilo-Koch die Ruhe selbst.

»Ick kann ja ma vasuchn, dit mit viel Seife abzuwaschen«, hatte er zurückberlinert, und damit war die Diskussion beendet. Zumindest sah er nach der Ansage seines Chefs von einem Nasenring ab, mit dem er schon eine Weile geliebäugelt hatte.

Aussehen hin oder her – sein Essen war ihm heilig. Wer je gesehen hatte, mit welcher Hingabe dieser Koloss schnippelte, würzte und abschmeckte, der wusste, dass es sich dabei nicht um einen Beruf, sondern um eine Berufung handelte. Das Rezept für seine Albóndigas, spanische Hackfleischklöße in einer pikanten Tomatensauce, hatte er sich von einem einheimischen Gastronomen geben lassen.

»Wenn der feine Herr eben sein ganzes Fressen nur noch mit Glutamat gewohnt ist, bitte, aber ich würze hier noch mit traditionellen Mitteln. Sonst könnte ich ja gleich im Schnellrestaurant anfangen, wo jeder Burger gleich schmeckt.«

Wenn Dave »Restaurant« sagte, klang es immer wie »Resterang«. Die Halsschlagader unter seinem frischen Tattoo schwoll bedenklich an.

Romana hielt wirklich große Stücke auf ihren Kollegen und konnte diese Flut von Beschwerden über sein Essen nicht nachvollziehen.

»Das Roastbeef soll zäh gewesen sein, die Gambas verkocht, die Knoblauchmayonnaise habe ihn drei Tage lang aufstoßen lassen, und das Wiener Schnitzel könne jeder Fiaker-Fahrer besser zubereiten«, ging Romana die Liste der Reklamationen durch, die der Chef Dave gestern überreicht hatte. »Und hier schreibt er sogar noch, dass er bedauert, dass für dieses Schnitzel ein unschuldiges Kälbchen sterben musste.«

»Das wäre alles nicht so schlimm, wenn ich schon vier Jahre hier wäre und fest angestellt. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass meine Probezeit erst in drei Wochen endet – und dass ich danach als freier Mitarbeiter immer noch zum Abschuss freigegeben bin. Und mit so ’ner Latte an Gemäkel werden die sich dreimal überlegen, ob die mich hierbehalten wollen. Es ist zum Kotzen.«

»Tja«, seufzte Romana. »Oder wenn die Beschwerde von irgendeinem Gast gekommen wäre, der nicht schon seinen zwanzigsten Urlaub hier verbringt. Aber du weißt genau, wie pingelig die bei Stammgästen sind. Und besonders, wenn es so ein wichtiger Typ ist wie Lothar Hanke.«

***

Wenn Bonnie in Aufruhr geriet, wogte ihr ganzer Körper. Man sah es zwar nicht auf Anhieb, weil sie es geschickt verstand, ihre Kilos in Saris, Kaftane oder Mu’umu’us zu hüllen, aber man ahnte, dass unter ihren gewickelten Roben einiges in Wallung sein musste.

An diesem Nachmittag vibrierte sie von oben bis unten. Bonnie hatte am gestrigen Abend eine Entdeckung gemacht, die sie veranlasste, sich anschließend nach allen Regeln der Kunst die Lichter auszuknipsen. Spät und verkatert wurde sie wach. Eine gehörige Portion Reue war außerdem mit dabei. Nicht darüber, dass sie fast zwei Flaschen Wein allein geleert hatte, sondern über ihr kindisches Detektivspiel gestern Abend.

Ihr war das Verhalten ihrer Bekannten Gitta schon den ganzen Urlaub über so seltsam vorgekommen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren hatte sie plötzlich Verdacht geschöpft. Und gestern Abend … diese Art, wie Gitta über Lothars Scherze lachte, die war irgendwie ranschmeißend. Signalisierend. Bereitschaft signalisierend.

Bonnie verabschiedete sich von der Bar früher als üblich und legte sich dann auf die Lauer. Sie kam sich schon ziemlich blöd vor, fast zwei Stunden hinter dieser Säule im elften Stock zu warten.

Aber ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen. Kurz nach Mitternacht öffnete sich die Aufzugstür. Gitta giggelte albern und hing wie eine Teenagerin am schönen Lothar. In nur wenigen Zentimetern Entfernung streiften die beiden an der Säule vorbei, die Gott sei Dank breit genug war, um Bonnies Volumen komplett zu verstecken. Am Ende des Ganges verschwanden die beiden im Zimmer vom schönen Lothar.

Bonnie musste nicht einmal ihre Position hinter der Säule verlassen und an der Tür lauschen, um mitzubekommen, dass man keine Zeit verstreichen ließ, um sich dem eigentlichen Zweck der nächtlichen Visite zu widmen. Sie fand es abstoßend und vulgär, wie zwei Menschen über sechzig derartige Geräusche machen konnten. Und noch dazu in einem Gebäude, in dem zu diesem Zeitpunkt schon Dutzende Gäste schliefen. Keinen Gedanken verschwendete sie daran, dass sie mit demselben Mann noch zwei Nächte vorher ähnlich lustvoll gequiekt hatte.

Nach der Observation ging Bonnie in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett. Gedanken jagten ihr durch den Kopf, und sie versuchte, dieses Karussell zu bremsen, indem sie sich über den Wein hermachte, den die Putzfrau im Auftrag von Clubchef Claus guten Kunden zur Ankunft aufs Zimmer stellte. Nach einer Flasche war sie enthemmt genug, um aus dem Abstellraum der Reinigungskraft auf ihrer Etage eine weitere Flasche zu stibitzen. Am Boden ihres alkoholischen Diebesgutes angekommen, sank die dicke Frau in einen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Tag funktionierte sie das nachmittägliche Kaffee- und Kuchenangebot zu einem Frühstück um und traf dort ihre Freundin Regine. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, von der nächtlichen Beschattung und deren Ergebnis nichts zu erzählen. Zu peinlich war es ihr, wie ein Backfisch hinter ihrem Schwarm herspioniert zu haben. Aber irgendwie machte sie der Restalkohol redselig. Und aggressiv.