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This is Berlin, hipster scum

Eine Stadt kann nicht zu Ende sein, es sei denn, sie wird vernichtet, mitsamt all ihren Einwohnern. Eine Stadt ist ein komplexes Geflecht, ist Konflikt, ist vielschichtig. Der Lifestyle der Menschen, die jetzt Berlin den Rücken kehren, weil es nicht mehr hip genug ist, ist mitnichten komplex, oder Konflikt oder gar vielschichtig. Es ist die Sehnsucht nach billigem Fusel, billigem Wohnen und ein bisschen Bohemian-Deko – vor allem von Menschen, die Zugang zu Veröffentlichungen in (englischsprachigen) Medien haben. Das ist, was eine Stadt dem nicht mehr hippen Untergang weiht, das ist, was einer Stadt aber auch die hippen höheren Weihen erteilt.

Das Berghain war der beste Club der Welt, weil es von einem Magazin dazu gewählt wurde. Das Berghain ist nicht mehr der coolste Club der Welt, weil ein anderes Magazin darüber schreibt.

Das Bild der Stadt ist ein Medienbild, einerseits.

Es ist darüber hinaus ein unterkomplexes Bild, weil Subkulturen zum Flaggschiff einer Stadt werden. Es gibt Menschen, die in Berlin geboren sind, hier leben und wohl ihr Leben lang hier bleiben werden, aber nicht wissen, was dieses Berghain sein soll. Ur-Berliner, diese mythische Gestalt, von der man manchmal hört. Sie sind Teil Berlins, aber nicht Teil des Medienrauschens, nicht Teil des Heuschreckenschwarms, der von Feld zu Feld zieht, aus dem 20. Jahrhundert hinaus ins 21. hinein, wo Stadt nach Stadt von den Avantgarden heimgesucht wird, die heute nur noch glauben, sie produzierten Interessantes, aber eigentlich nur dem feuchten Selbstverwirklichungstraum des späten Kapitalismus ausleben.

Das Bild der Stadt nach innen ist eine Verhandlung ihrer Bewohner.

»Das ist nicht, wie man sich in Berlin verhält«, hört man jetzt immer öfter. »That’s not how shit is done in Berlin«, raunen Leute sich zu, die die Stadt für sich in Anspruch nehmen, ohne Demut einen Ort verteidigen, an dem sie selbst irgendwann innerhalb der letzten Dekade gestrandet sind (und noch immer kein Deutsch sprechen).

Berlin hat jetzt also eine Etikette? Hat jetzt also einen Kodex, der bestimmt, wie Dinge geregelt werden? Nur händigt man diesen den Neuankömmlingen natürlich nicht aus, die müssen das schon für sich selbst herausfinden, so wie man damals selbst einen Weg suchen musste, durch die ungeschriebenen Regeln der Coolness, die sich immer wieder neu schreiben. Distinktion ist dabei ein Grundmove, der immer mehr, immer kotzbrockiger, hochgehalten wird.

Während Berlin auf der globalen Aufmerksamkeitsskala langsam abgesäbelt wird, macht sich innerhalb der Stadt ein immer krasserer Hochmut breit. Revierverhalten in der Wahlheimat, als sei sie das durch die eigene Coolness und durch Berlingewandtheit gewonnene Territorium in der Schlacht um einen Sitzplatz möglichst nah am Schmelztiegel.

Hat jetzt endlich jeder zur Registrierung beim Bürgeramt einen Gästelistenplatz im Berghain bekommen und eine Kokstaxi-Nummer? Einen neuen Haarschnitt, neue Klamotten und eine kleine Tätowierung?

Klischeepaket, die ganze Schiene. Berlin verändert die Menschen, die hierherkommen, und die Menschen, die hierherkommen, verändern die Stadt. Die Stadt verändert sich, weil alles andere konservativ wäre – und wer will sich das schon im ach so progressiven und avantgardistischen und offenen Berlin auf die Fahne schreiben? Niemand. Erinnert sich jemand gern an die Person, die er vor Berlin war? Geschichte wird anders geschrieben.

Aber plötzlich gibt es Graben- und Revierkämpfe, werden andere diskriminiert, weil sie nicht teil der In-Crowd sind, Teil der vielen Wellen, die vor dem Abgesang auf Berlin trafen. Xenophobie innerhalb des gleichen Milieus. Distinktionsüberschuss. Und ja, sie nerven, die gerade erst Angekommenen mit ihren feuchten Augen (»THIS IS SO BERLIN! I LOVE IT!«) und der nach kurzer Zeit zynisch runtergebrochenen Lamentie: Früher (= letzte Woche) war alles besser. Berlin ist ein Ort geworden, den man sich zu leicht aneignen kann, ein Ort, den man besitzen will, weil man sonst nichts hat, auf das man sich stützen kann. Lokalpatriotismus als Zeichen der Charakterschwäche.

Berlin ist nicht vorbei, kann gar nicht vorbei sein, das Einzige, was vorbei ist, ist die Fähigkeit der Stadt, noch mehr Mittelklasse-Hipster aus New York aufzunehmen und zu befriedigen. Die großen Clubs funktionieren nicht mehr, weil der Untergrund nicht mehr unten schwimmt, sondern irgendwann nach oben getragen wurde. Eine neue Privatheit greift Raum, weil der große Wurf, die große Familie im Gleichklang nicht mehr funktioniert. Zurück in den Untergrund, rufen sie überall, wir wollen Orte schaffen für »uns«. Und die anderen? Die ziehen irgendwann weiter.

Berlin war ein lebenswerter, geschichtsträchtiger, spannender Ort, bevor es die coolste Stadt der Welt war und wird es auch danach sein, wenn die durchökonomisierte Logik der Coolness verschwunden ist. Egal welche Stadt als Nächstes den Staffelstab übernimmt (es geht wohl weiter nach Osten), Berlin wird weiter ein einzigartiger Ort bleiben mit einer Geschichte und einem Prozess, der nicht vorbei ist, nur weil die global agierenden Opportunisten des Coolness-Diktats ihre Zelte jetzt woanders aufschlagen. Aber so generieren Magazine keine Klickzahlen, Texte werden ohne Superlative nicht gelesen und das Medienspektakel Berlin geht weiter, auch wenn jetzt der Abgesang angestimmt wird. Der Hype selbst entlarvt sich als Wasser auf die Medienmühlen, dass Berlin in dieser Logik irgendwann vorbei sein muss, versteht jeder Teenager: Kein Trend hält ewig.

Die coolste Stadt der Welt zu sein heißt, eine Stadt ohne Geschichte, ohne Gesicht und ohne Charakter zu sein, weil darauf geschissen wird. In Berlin zu sein heißt, Toleranz zu leben statt kleinbürgerliche Distinktionsmerkmale zu pushen. This is how shit is done in Berlin, hipster scum.

Über das Buch

Als Kevin Junk vor ein paar Jahren nach Berlin zog, wollte er nicht ankommen, er wollte gleich voll da sein. Mitten in der Stadt, mitten im Leben, mitten im Zeitgeist. Es war das Berlin im Prekariat, im Kreativsein, im Tagsüber-in-den-Club-Gehen, im internationalen Freundeskreis, in Armut, Hedonismus und Eskapismus.

 

Doch der Wind wird rauer, die Mieten steigen, die Drogen werden härter, die Musik brachialer. Halb betäubt, halb rasend taumelt Berlin einer ungewissen Zukunft entgegen. Alle merken, dass sich etwas bewegt, doch keiner weiß, wohin.

 

In kleinen Essays und Geschichten versucht Kevin Junk ein Bild von der Stadt zu zeichnen, in der er lebt. Es sind autobiografisch gefärbte Versuche, nicht allein etwas über ihn, sondern auch über andere auszusagen. Es gibt nicht das »kollektive Berlin«, aber es gibt eine Generation junger Menschen in der Stadt, die Erfahrungen teilen, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden.

 

Kevin Junk nimmt den Leser mit. Er erzählt von Clubkultur, Drogen, Sex und schwuler Identitätssuche in einer Sprache, die ohne Phrasen und Stanzen auskommt.

 

Über den Autor

Kevin Junk studierte japanische Literatur und Kultur in Trier, Berlin und Kyoto. Seit 2009 lebt er in Berlin und schreibt seit 2013 frei für verschiedene Magazine. Sein Blog wolfauftausendplateaus.de versammelt seine Texte zu Kultur, Kunst, queerer Gesellschaftskritik, Mode und Clubkultur. Trotz der Breite seiner Themen ist er immer am Zeitgeist interessiert, im Versuch literarisch festzuhalten, was ihn bewegt.

 

Kevin Junk

 

Berliner Befindlichkeiten

 

Geschichten aus der Stadt

 

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

 

Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2015

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, info@culturbooks.de

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Jan Karsten

eBook-Cover: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 01.02.2015

ISBN 978-3-944818-77-1

 

 

Vorwort

Als ich vor ein paar Jahren nach Berlin zog, dachten alle, die hier schon länger lebten, mir erklären zu müssen, wie die nächsten Jahre so sein würden. Die, die hier geboren waren, ersparten mir die kleinen Lektionen für den urbanen Dschungel. Ich wollte nicht zuhören, ich wollte nicht ankommen, ich wollte da sein. Mitten in der Stadt, mitten im Leben, mitten im Zeitgeist. Sind es nur die Zugezogenen, die sich gern gegenseitig erklären, was um sie vorgeht? Was meine ich, wenn ich von Berlin spreche?

Die Jahre zogen ins Land, ich studierte im Ausland, kehrte zurück nach Berlin. Ich beendete das Studium, wegen dem ich in die Stadt gekommen war, und blieb. Natürlich gäbe es Alternativen, aber die Stadt hat mich verändert – und sich. Mein Leben hier fräste kleine Kerben in meine Identität, als sei Berlin das einzige Schloss, auf das mein Schlüssel passte. Das Berlin, in dem ich lebe, ist ein Mikrokosmos mit bestimmten Orten, Ritualen, Gewohnheiten und Dynamiken, die nicht Berlin als solches sind, aber das Berlin, das ich mir zusammengesucht habe. Es ist das Berlin des Prekariats, des Kreativseins, des Tagsüber-in-den-Club-Gehens. Ein Berlin im internationalen Freundeskreis, in Armut und Hedonismus, in Zeitgeist und Eskapismus. So weit der Status quo.

In den letzten beiden Jahren, in denen ich mich und die Stadt sich am stärksten verändert haben, hat sich eine neue Erzählung entwickelt. Eine Erzählung von einer Stadt, die wirkt, als sei sie das letzte Refugium der Freiheit, die aber schon zwei Saisons ohne Sommer der Liebe auskommen musste, die ihre Unschuld verloren hat und die die letzten Wehen einer kollektiven Adoleszenz durchlebt. Der Wind wird rauer, die Mieten steigen, die Drogen werden härter, die Musik brachialer. Immer wieder fällt mir auf, dass die Gespräche zwischen den jungen Menschen in dieser Stadt sich ähneln, dass Diskussionen vielleicht diskursiver sind, als man denkt, wenn man sie unter zwei Augen führt. Es wird viel über Berlin geschrieben, das kleine Enfant terrible unter den europäischen Hauptstädten mit der einzigartigen Geschichte und den vom Kapitalismus schlecht versorgten und vernarbten Wunden im Stadtbild und in der Atmosphäre.

Ich habe das Wort Berlin schon so oft gehört, dass es nichts mehr bedeutet. Manchmal fahre ich mit dem Rad eine Strecke entlang, die ich auch blind abfahren könnte, und realisiere, dass diese Orte real sind. Einzigartig. Keine Kulisse, sondern Orte, die auf einer Karte auffindbar sind – und sich von anderen Orten in der Stadt, im Land, auf dem Kontinent und auf der Welt unterscheiden. Dann bedeutet Berlin wieder etwas, dann habe ich einen dieser »Berlin«-Momente, in denen ich mich freue, hier zu sein. Dann liegt die ganze Schönheit der Stadt auf der gleichen Koordinate wie ihre Hässlichkeit, dann lächele ich selig und fühle mich eins mit mir und zufrieden mit der Stadt. Dann bin ich erhaben über Genervtheit und Zweifel, dann ist kein Weg zu weit und kein Augenblick verschwendet.

Die kleinen Essays und Geschichten, mit denen ich versuche, ein Bild von der Stadt zu zeichnen, in der ich lebe, sind autobiografisch gefärbte Versuche, nicht nur etwas über mich, sondern auch etwas über andere auszusagen. Ich glaube nicht, dass meine Erlebnisse und Gedanken singulär sind, vielmehr prägen die Menschen um mich herum, was ich zu sagen habe, was ich denke – und umgekehrt. Es gibt nicht das »kollektive Berlin«, aber es gibt eine Generation junger Menschen in dieser Stadt, die Erfahrungen teilen, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden. Ich will kein Beispiel sein, aber auch kein Einzelfall. Ich will nicht von mir sprechen, muss aber aus meinen eigenen Erfahrungen schöpfen, um zu schreiben. Was Fiktion ist und was wirklich passiert, kann ich selbst nicht immer sagen, die Brüche, mit denen ich spiele, die Stimmen, mit denen ich spreche, sollen nicht verwischen, wer ich bin, sondern unterstreichen, was ich zu sagen habe.

Das Sensorium der Menschen um mich herum für Veränderungen ist fein. Halb betäubt, halb rasend taumeln wir einer ungewissen Zukunft entgegen. Wir alle merken, dass sich etwas bewegt, wir wissen nur noch nicht, wohin. Zu glauben, wir seien einzigartig, wäre nur noch ein weiterer Trugschluss.

Schreibblockade

Ich gehe in den Supermarkt und hole mir Süßigkeiten und unnützes Zeug im Wert von ca. zwei Tagen gesund essen. Ein Akt der Selbstwertschätzung. Wann war das letzte Mal, dass ich für mich, nur für mich, so viel leere und unnütze Kalorien gekauft habe? Eigentlich schlage ich so nur im Verbund über die Stränge.