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Die Autorin

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Sabine Koppetsch

studierte an der Humboldt Universität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin Dipl. Sprechwissenschaften/Stimm- und Sprachtherapie, Deutsch als Fremdsprache und Semiotik. Sie war mehrere Jahre am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaften tätig und übernahm 2003 eine Dozententätigkeit an der Medizinischen Akademie. 2004 promovierte sie zum Thema „Orofaciale Rekonstruktionen nach Mundboden- und Zungenteilresektion“ und seit 2006 arbeitet sie außerdem am Fachbereich Rehabilitationswissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen.

Sabine Koppetsch

Orale Tumore

Ein Ratgeber für
Betroffene, Angehörige und
Therapeuten

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

1. Auflage 2006
ISBN 978-3-8248-0685-0 (PC-PDF)
Alle Rechte vorbehalten
© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein 2006
Lektorat: Doris Zimmermann
Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck
Umschlagfotos: www.photocase.com, Archiv Schulz-Kirchner Verlag
Druck und Bindung: Elektra, Niedernhausen
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

Gewebeveränderungen im Bereich der Zunge und des Mundbodens

Das Plattenepithelkarzinom

Häufigkeit und Ursachen der Erkrankung

Erste Symptome und Prognose

Die medizinische Versorgung oraler Tumore

Diagnostik

Das therapeutische und chirurgische Vorgehen

Anatomie und funktionelle Besonderheiten der Zunge

Die Versorgung der Zunge

Die Zungenmuskeln

Zungen- und Mundbodenresektionen in der Tumorchirurgie

Das operative Vorgehen bei oraler Defektdeckung

Strahlenbehandlung und Chemotherapie

Das Leben nach einem chirurgischen Eingriff oder einer Radiochemotherapie

Die Nahrungsaufnahme

Die Lautbildung

Die Bildung von Vokalen

Die Bildung von Konsonanten

Übungen zur Schulung von Lippen-, Kiefer- und Zungenbewegungen

Motorische Übungen

Artikulatorische Übungen

Der motorische Untersuchungsbogen

Tumornachsorge

Informations- und Literaturhinweise

Glossar

Bildnachweis

Vorwort zur Reihe

Die Ratgeber für „Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen der Gesundheit, der Medizin und der Therapieberufe (Sprachtherapie, Ergotherapie, Physiotherapie). Die Autorinnen und Autoren der Reihe sind ausgewiesene Fachleute mit langjähriger Erfahrung in Therapie, Beratung und Lehre.

Orale Tumore sind ein interdisziplinäres Thema, zu dem kaum allgemein verständliche Literatur existiert. Erfreulicherweise hat Frau Dr. Koppetsch diese Lücke mit ihrem Band in der RATGEBER-Reihe geschlossen. Für Betroffene, Angehörige wie auch Fachleute werden Grundtatsachen der Problematik kompetent und verständlich dargelegt. Wir hoffen, mit dieser Arbeit indirekt zur Lebensqualität Betroffener beitragen zu können.

Prof. Dr. Jürgen Tesak
Dekan Fachbereich Gesundheit
Europa Fachhochschule Fresenius

Einleitung

Hinweise auf die Kenntnis von Karzinomen der Mundhöhle sind bereits im Corpus hippocraticum (5.-3. Jhd. v. Chr.), dem umfassenden Sammelwerk der altgriechischen Heilkunde, zu finden. Auch die Problematik der Beurteilung und Behandlung von Mundhöhlenkarzinomen wird schon in historischen Schriften besprochen und diskutiert. Sie wurde jedoch lange Zeit nur als Teilgebiet der Onkologie behandelt, und so existieren in älteren medizinischen Schriften lediglich allgemeinärztliche und chirurgische Abhandlungen. Ihr vordergründiges Ziel war es, das Überleben der Patienten zu sichern, der Erhalt der Lebensqualität spielte jedoch eher eine untergeordnete Rolle.

Erst in den vergangenen Jahrzehnten nahm, neben dem Ziel Untersuchungs-, Aufnahme-, Diagnoseverfahren und chirurgische Techniken weiterzuentwickeln, das Bemühen um den Erhalt der Lebensqualität der betroffenen Patienten zu. Heute beschäftigen sich Fachdisziplinen wie die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, die Onkologie, die Sprachtherapie und Sprachpathologie, die Klinische Linguistik und die Phonetik/ Sprachakustik mit den unterschiedlichen Behandlungsmethoden oraler Tumore und den daraus resultierenden funktionellen Folgen. Trotz des wachsenden Interesses wird in verschiedenen Fachartikeln häufig kritisch betont, dass es zu wenige Veröffentlichungen und zu wenige Langzeitstudien gibt, die klinisch und therapeutisch relevant sind. Die Möglichkeiten der Information sind daher nur sehr begrenzt. Der vorliegende Ratgeber soll helfen, diese Lücke zu schließen. Da er sowohl für Betroffene als auch Therapeuten gedacht ist, und somit unterschiedliche Lesergruppen angesprochen werden sollen, wurde die Thematik so bearbeitet, dass zunächst die Problematik der oralen Tumore und mögliche therapeutische und medizinische Behandlungsverfahren dargestellt werden. Im Anschluss werden die häufigsten funktionellen Folgen und Möglichkeiten der Bewegungs- und Artikulationsschulung und der Tumornachsorge vorgestellt.

Um besonders dem fachfremden Leser das Verständnis für die vielfältigen Fachbegriffe zu erleichtern, wurden die wichtigsten entweder im Text oder im Glossar erklärt. Auf ihren Gebrauch wurde bewusst nicht verzichtet, da Betroffene in der Praxis häufig mit ihnen konfrontiert werden.

Informations- und Literaturhinweise, eine Zusammenstellung informativer Ratgeber, ein Verweis auf online-Foren und mögliche Ansprechpartner werden am Ende des Ratgebers vorgestellt.

Ein umfassender Literaturüberblick ist im Internet unter:
http://www.schulz-kirchner.de/logopaedie/downloadsl.htm einsehbar.

Gewebeveränderungen im Bereich der Zunge und des Mundbodens

Mit Gewebeveränderungen beschreibt man gutartige (benigne) oder bösartige (maligne) Neubildungen von Gewebe (Krebs, Neoplasien, Tumore). Sie können überall im Körper vorkommen, so auch in der Mundhöhle (Cavum oris proprium).

Gutartige Neubildungen bestehen aus Zellen, die den normalen Zellen ähneln. Sie wachsen langsam, erzeugen keine Tochtergeschwülste und durchdringen in der Regel beim Wachstum nicht das umliegende Gewebe. Sie verdrängen das Nachbargewebe jedoch mit fortschreitendem Wachstum und können das umliegende Gewebe z.B. durch zu großen Druck (Drucknekrosen) verletzen oder zerstören.

Unter bösartigen Neubildungen (Malignome, Neoplasien) versteht man autonome (unabhängige) und irreversible (nicht umkehrbare) Gewebewucherungen, so genannte ungeordnete Zellhaufen mit fortschreitendem Wachstum. Sie bestehen aus entarteten Zellen, die sich teilen und das umliegende gesunde Gewebe zerstören. Maligne Tumore wachsen nicht nur nach außen (expansiv), sondern auch nach innen (infiltrativ) und zerstören das Gewebe (gewebedestruierend). Sie wandern vom Ursprungsort über das Blut- oder Lymphsystem in andere Organe und vermehren sich dort als Tochtergeschwülste (Metastasen).

Unter malignen Kopf-Hals-Tumoren versteht man bösartige Tumore, die sich im Mund-Nasen-Rachenraum sowie im Hals entwickeln. Nach dem Ursprungsgewebe unterscheidet man:

Image    Karzinome, die sich aus der Haut oder der Schleimhaut entwickeln (Abb. 1.1-links),

Image    Lymphome, die im lymphatischen Gewebe entstehen (Abb. 1.1-rechts),

Image    Sarkome, die sich vom Binde- und Stützgewebe ableiten (Abb. 1.2).

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Abb. 1.1: links: Karzinom; rechts: Lymphom (Virchow-Klinikum)

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Abb. 1.2: Karposi-Sarkom (Virchow-Klinikum)

Zu den am häufigsten vorkommenden bösartigen Neoplasien im Bereich der Schleimhäute und an deren Übergang zur normalen Haut zählt das Plattenepithelkarzinom (PECA) (Abb. 1.3). Seine Häufigkeit wird mit über 95% aller Kopf-Hals-Tumore angegeben. Daher soll im Folgenden auf diese Form der malignen Gewebeveränderung ausführlicher eingegangen werden.

Das Plattenepithelkarzinom

Das PECA wird auch als spinozelluläres Karzinom oder Stachelzellkarzinom bezeichnet. Man unterscheidet zwischen dem verhornenden PECA, der häufigsten Form, und dem nicht verhornenden PECA, welches seltener vorkommt, jedoch aus klinischer Sicht bösartiger ist. Im Bereich der Zunge handelt es sich meist um verhornende Plattenepithelkarzinome, die durch ein infiltrierendes Wachstum (in die Umgebung hineinwachsend) gekennzeichnet sind.

Die Entstehung des PECA beginnt mit der Aufhebung der normalen Zellstruktur und der Entwicklung zellulärer Atypien (Fehlentwicklung). Der Tumor wächst und gibt gleichzeitig Tochterzellen (Metastasen) ab. Diese wachsen in den Absiedlungsgebieten weiter.

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Abb. 1.3: rechts: PECA – Zunge; links: PECA – Mundboden (Virchow-Klinikum)

Eine weitere Einteilung der Tumore findet man in der Unterscheidung zwischen endophytischen und exophytischen Formen (Abb. 1.4). Die endophytischen Tumore wachsen in den Zungenmuskel und stellen die häufigste Form dar, während die exophytischen Tumore nach außen wachsen und seltener zu beobachten sind. Mit fortschreitendem Geschwulstwachstum verwischen die Grenzen zwischen den beiden Formen.

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Abb. 1.4: PECA; links: exophytisches Karzinom; rechts: endophytisches Karzinom (nach Mittermayer, 1993)