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Die Autorin

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Wiebke Herbst
Sprachheilpädagogin M.A. und Logopädin, befasst sich seit 1989 mit der Diagnostik und Therapie neurologisch bedingter Schluckstörungen. Im Anschluss an ihre klinische Tätigkeit ist sie nun in eigener Praxis und in der Weiterbildung tätig. Im gleichen Verlag erschien bereits ihr Buch „Neurogene Dysphagien und ihre Therapie bei Patienten mit Trachealkanüle“.

Wiebke Herbst

Dysphagie – Schluckstörungen nach Schlaganfall und
Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen

Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de

3., überarb. Auflage 2009

2., überarb. Auflage 2006

1. Auflage 2002

ISBN 978-3-8248-0684-3 (PC-PDF)

Alle Rechte vorbehalten

© Schulz-Kirchner Verlag GmbH, 2009

Mollweg 2, D-65510 Idstein

Vertretungsberechtigter Geschäftsführer: Dr. Ullrich Schulz-Kirchner

Titelfoto: Marlies Imhoff

Lektorat: Doris Zimmermann

Umschlagentwurf und Layout: Petra Jeck

Druck und Bindung: wd print + medien GmbH, Elsa-Brandström-Str. 18,

35539 Wetzlar

Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Einleitung

Schlucken (bei Gesunden)

Wie wird der Schluckvorgang gesteuert?

Was passiert beim Schlucken normalerweise?

Schluckstörungen (Dysphagien)

Was ist eine Schluckstörung (Dysphagie)?

Warum kann es zu einer Lungenentzündung kommen?

Warum führt nicht jedes Verschlucken zu einer Lungenentzündung?

Welche Anzeichen für eine Schluckstörung gibt es?

Wie wird eine Schluckstörung festgestellt?

Schlucktherapeutische Untersuchung

Endoskopische Untersuchung des Schluckens

Röntgenuntersuchung des Schluckens

Wodurch entsteht eine Schluckstörung?

Welche weiteren Störungen können neben Schluckstörungen noch auftreten?

Wie wirkt sich der Schlaganfall bzw. das SHT auf das psychische Befinden des Betroffenen aus?

Wie ist die Prognose einer Schluckstörung?

Wie beschreiben Menschen mit Schluckstörungen ihre Probleme?

Wie geht es den Angehörigen?

Wie kann eine Schluckstörung behandelt werden?

Interdisziplinärer Behandlungsansatz bei Schluckstörungen

Welche Behandlungsverfahren gibt es?

Was ist „Schlucktherapie“?

Restituierende Methoden

Kompensatorische Methoden

Anpassung der Umwelt an die Behinderung (Adaptation)

Welche Ernährungsstufen gibt es?

Welche Voraussetzungen müssen für erste Schluckversuche erfüllt sein?

Sicherheitsregeln für Schluckpatienten

Wann sollte man Essen und/oder Trinken stoppen?

Maßnahmen im Notfall?

Mundpflege

Künstliche Ernährung

Welche Ernährungssonden und Sondenpositionen gibt es?

Was muss bei der Gabe von Sondenkost beachtet werden?

Sondenpflege

Verabreichung von Medikamenten durch die Sonde

Komplikationen der Sondenernährung

Wie kann die Flüssigkeitsaufnahme verbessert werden?

Handhabung von Trachealkanülen

Trachealkanülen

Warum wird ein Luftröhrenschnitt (Tracheostomie) durchgeführt?

Welche Auswirkungen hat eine geblockte Trachealkanüle?

Ist die Blockung/der Cuff dicht?

Darf man mit geblockter Kanüle essen und trinken?

Wie kann man erkennen, ob die Blockung nachgelassen hat?

Muss ein vorhandenes Tracheostoma eventuell operativ erweitert werden?

Sprechen bei entblockter Kanüle

Was ist im Umgang mit Trachealkanülen außerdem noch zu beachten?

Absaugen

Kanülenwechsel

Tracheostomapflege

Anfeuchtung der Luftröhrenschleimhaut (Trachealschleimhaut)

Adressen / Literatur

Schlagwortverzeichnis

Vorwort zur Reihe

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Sprachtherapie, Ergotherapie und Medizin. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren in Therapie, in Beratung, in Forschung und Lehre tätig sind.

Der vorliegende Ratgeber widmet sich den Dysphagien, den Schluckstörungen nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma. Erstmals wird Angehörigen und Betroffenen ein Sachtext vorgelegt, in dem die wesentlichen Aspekte der Thematik allgemein verständlich vorgestellt werden. Die Autorin, Frau Wiebke Herbst, hat die einzelnen Themen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit schluckgestörten Patient(inn)en und deren Angehörigen ausgewählt. Ich hoffe, dass der Ratgeber die Fragen der Ratsuchenden in der gewünschten Weise beantwortet!

Dr. Jürgen Tesak †
Herausgeber
im März 2002

Einleitung

Ob biblisches Abendmahl oder moderne Dinner Party, ob Staatsbankett oder ein Sonntagsessen in der Familie: Gemeinsames Essen und Trinken besitzt einen hohen Stellenwert in unserem sozialen und kulturellen Leben.

Frau T. war fünfundvierzig Jahre alt, als sie eine Hirnblutung erlitt. Sie ist verheiratet und hat sechs Kinder, die Jüngste war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Vor ihrer Erkrankung war sie als Floristin tätig. Die Hirnblutung führte zu einer schweren isolierten Schluckstörung. Sie bekam mehrere Lungenentzündungen und wurde mit einer geblockten Trachealkanüle versorgt. Mit dieser Kanüle konnte sie nicht sprechen, sondern lediglich stimmlose Sprechbewegungen ausführen, sodass die Familie die Worte von ihren Lippen ablesen musste. Für Verständigungsprobleme hatte sie einen Notizblock zur Hand. Sie wurde künstlich über eine Nasensonde ernährt. Sie lebte bereits seit einem Jahr wieder zu Hause und hatte zwischenzeitlich keine Schlucktherapie erhalten. Nachdem sich keine Verbesserungen der Schluckstörung eingestellt hatten, wurde ihr von ihrer HNO-Klinik die Kehlkopfentfernung vorgeschlagen. Da sie gleichzeitig einen stationären Schlucktherapieplatz erhalten hatte, wurde diese Maßnahme aufgeschoben. Sie erhielt in mehreren zeitlichen Abschnitten von etwa sechs Wochen Schlucktherapie. Die künstliche Ernährung konnte schrittweise reduziert und die normale orale Ernährung aufgebaut werden. Am Ende der stationären Behandlung in Intervallen (Intervalltherapie) konnte die Kanüle entfernt werden. Fr. T. erreichte ihr altes Normalgewicht und war glücklich, im Kreise ihrer Lieben essen und trinken zu können. Auch ihr Hobby Kochen machte ihr wieder richtig Freude.

Dieses Beispiel zeigt, dass selbst eine sehr schwere Schluckstörung erfolgreich behandelt werden kann. Erfahrungsgemäß sind die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten für Menschen mit Schluckstörungen immer noch zu wenig bekannt, sodass dieser Ratgeber die noch bestehenden Informationslücken so weit wie möglich schließen möchte.

Da dieser Ratgeber sich vor allem an Betroffene und deren Angehörige richtet, habe ich versucht, den Fachjargon in Grenzen zu halten. Allerdings gehören Fachbegriffe zur Materie dazu. Ich hoffe also, die für Laien etwas verwirrenden Zusammenhänge anschaulich dargestellt zu haben.

Wenn Sie etwas anmerken möchten oder Fragen haben, können Sie mich unter meiner E-Mail-Adresse wiebke.herbstrietschel@arcor.de kontaktieren.

Wiebke Herbst

Zur besseren Lesbarkeit wurde wechselweise die maskuline Form für Betroffene, Angehörige und die feminine Form für Therapeuten benutzt. Selbstverständlich sind jeweils Personen beider Geschlechter gemeint.

Schlucken (bei Gesunden)

Wie wird der Schluckvorgang gesteuert?

Verschiedene Strukturen des Gehirns sorgen dafür, dass das Schlucken reibungslos und sicher vonstattengeht. Im Wesentlichen sind zwei Bereiche beteiligt: die Großhirnrinde und der Hirnstamm. Zentren im Großhirn steuern dabei die bewussten, willkürlich auslösbaren Vorgänge des Schluckens, wie z.B. ausgiebig zu kauen oder das Schlucken willkürlich einzuleiten. Die sich anschließenden reflektorisch ablaufendend.h. automatisch, willentlich nicht beeinflussbaren – Bewegungen werden von sogenannten Schluckzentren im Hirnstamm (unterer Abschnitt des Gehirns) koordiniert. Im Bereich des Hirnstammes liegen die Kerne der fünf Hirnnerven (Nervus trigeminus, N. fazialis, N. hypoglossus, N. vagus, N. glossopharyngeus), die die 100 Muskeln der einzelnen am Schlucken beteiligten Organe (Wangen, Lippen, Kiefer, Zunge, Gaumensegel, Rachen, Kehlkopf, Zungenbein, Speiseröhre) versorgen.

Was passiert beim Schlucken normalerweise?

Wir nehmen einen Schluck bzw. führen die Nahrung zum Mund. Der Kiefer und die Lippen werden geschlossen, damit nichts aus dem Mund entweichen kann. Feste Nahrung wird zerkaut, dabei öffnet und schließt sich der Kiefer in kreisenden Bewegungen. Die Wangenmuskeln sind angespannt. Die Nahrung wird zerkleinert, bis sie zum Abschlucken die geeignete Beschaffenheit hat. Wie lange jemand kaut, ist individuell verschieden. Schnelle, hastige Esser nehmen sich häufig wenig Zeit zum Kauen. Beim Kauen bewegt die Zunge die Nahrung auf die Beißflächen der Zähne. Die Sensibilität verhindert, dass man sich in die Wangen, auf die Zunge oder Lippen beißt. Den Verlust der Sensibilität kann man nach einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt nachempfinden. Man spürt z.B. die Zunge oder die Wangen nicht oder nur undeutlich und läuft Gefahr, sich beim Kauen auf die Zunge und/oder in die Wangen zu beißen, ohne es zu spüren. Die Nahrung wird jedoch nicht nur zerkleinert, sondern auch mit Speichel versetzt. Dadurch entsteht eine rutschfähige Masse, die leichter transportiert werden kann als ein unzerkauter Bissen. Außerdem wird die Produktion von Magensaft angeregt.

Beim Trinken oder Schlucken breiiger Nahrung wird ohne große Vorbereitung geschluckt. Die Vorgänge vor dem Schlucken können wir willentlich beeinflussen, d.h., wir könnten Joghurt auch kauen, bevor wir es schlucken. Die Zeitspanne, bis wir schlucken, können wir selbst bestimmen. Wird geschluckt, so kommt eine automatische Bewegungskette in Gang, die wir nicht mehr steuern und beeinflussen können.

Die zerkaute Nahrung wird von der Zunge eingesammelt und in eine schluckfertige Portion, den sogenannten Bolus geformt. Um die Portion in den Rachen zu transportieren, legt sich zunächst die Zungenspitze an den Gaumen (kurz hinter die oberen Schneidezähne). Die seitlichen Ränder der Zunge heben sich etwas, die Portion befindet sich in der Zungenmitte in einer Art geformten Schüssel (Zungenschüssel). Der mittlere Zungenteil beginnt mit wellenförmigen Bewegungen, der hintere Teil der Zunge hebt sich und führt eine Rückwärtsbewegung aus, während die Schüsselform weiter bestehen bleibt. Durch diese schnelle Rückwärtsbewegung der Zunge wird der Bolus in Richtung Gaumenbögen transportiert.

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Abb.1: Der Bolus wird in der Zungenschüssel zum Schlucken bereitgehalten (modifiziert nach Hannig & Wuttge-Hannig, 1999)

Versuchen Sie einmal, die beschriebenen Vorgänge an sich selbst nachzuempfinden, indem Sie bewusst etwas essen bzw. trinken. Wenn Sie eine Schluckstörung haben, halten Sie sich bitte an die Speise/Flüssigkeit, die für Sie ungefährlich ist. Wenn Sie sich unsicher sind, verzichten Sie bitte auf Nahrung und/oder Flüssigkeit. Sie können die Vorgänge auch beim Speichelschlucken beobachten. Sprechen Sie mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner über das Beobachtete und tauschen Sie sich aus.

In Höhe der Gaumenbögen kommt es zur Auslösung des Schluckreflexes, die reflektorische, d.h. automatische Bewegungskette beginnt: Sie transportiert den Bolus in Sekundenschnelle vom hinteren Bereich der Mundhöhle in den Magen. Das Gaumensegel bewegt sich rachenaufwärts, geht einen Verschluss mit der Rachenhinterwand ein und verschließt so den Rachen zur Nase hin. Dadurch wird verhindert, dass Speichel/Nahrung/Flüssigkeit beim Schlucken in die Nase gelangt.

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