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Hermann Schmidt

Linksaußen

Die besten Flügelflitzer der Fußballgeschichte

VERLAG DIE WERKSTATT

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In Erinnerung an den Linksaußen des SV 1911 Eckelshausen, Hermann Fischbach, die Nummer 11, den Helden meiner Kindheit.

Für Bjarne und Fin Schmidt

Bildnachweis:

getty images: 61, 141, 193

Hermann Schmidt: 13

Horstmüller Pressebilderdienst: Umschlagmotiv, 2, 27, 31, 44, 47, 75, 79, 97, 101, 103, 111, 115, 119, 127, 131, 135, 138, 153, 165, 167, 176, 180, 188, 202, 205

Metelmann Photo: 65, 67, 178

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2014 Verlag Die Werkstatt GmbH

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt

ISBN 978-3-7307-0120-1

Inhalt

DIE KLASSISCHEN LINKSAUSSEN

Wie alles anfing: Die Linksaußen Hermann Fischbach und Hartmut Immel

Interview mit Hermann Fischbach, Linksaußen einer Amateurmannschaft 1950-1975

Helden meiner Jugend: Der „Flutlicht-Meier” und Gerd Becker

Interview mit Gerd Becker

Der beste Linksaußen der Welt: Hans Schäfer

Gespräch mit Nationalspieler Horst Eckel über Hans Schäfer

Linksaußen der Aranycsapat: Zoltan Czibor

image Einwurf: Linksaußen in den fünfziger Jahren

„Körner II”, der Linksaußen der Hütteldorfer: Alfred Körner

Der Mathematiker: Branco Zebec

„Magic Dzajic”: Dragan Dzajic

„Paco”, der kantabrische Sturmwind: Francisco Gento

Flügelflitzer: Heinz Hornig

image Einwurf: Das Flügelspiel im europäischen und im südamerikanischen Fußball bei den Weltmeisterschaften 1954-1970

„De trappelnde Dribbelaar”: Coen Moulijn

Der „Blaue”: Alfred Heiß

Ein Mann namens Meier: Charly Dörfel

image Einwurf: Das Flügelspiel in den sechziger und siebziger Jahren in der Bundesliga

„Gib mich die Kirsche”: Lothar Emmerich

„De Nas”: Johannes Löhr

Interview mit Johannes Löhr

image Einwurf: Die entscheidende Phase im Wandel der Systeme des Fußballs

Ein Sarde aus der Lombardei: Luigi „Gigi” Riva

Oranje Boven: Piet Keizer und Rob Rensenbrink

Die Ente: Willi Lippens

Interview mit Willi Lippens

Der Rekordspieler der DDR: Eberhard Vogel

Ein Linker aus Franken: „Schorsch” Volkert

Der Dauerbrenner: Jupp Heynckes

„Danish Dynamite”: Ulrik Le Fevre

Der Handballer: Dieter Herzog

Der Zwilling: Erwin Kremers

Rebell vom Main: Thomas Rohrbach

Der Zettel-Ewald: Ewald Lienen

Auf der Bank: Calle Del’Haye

Der Floh aus Kiew: Oleg Blochin

Ein Dribbler aus Lodz: Wlodzimierz Smolarek

Ein Kind der Bundesliga auf Linksaußen: Stefan Kuntz

„El Pistolero”: Hristo Stoichkov

Chappi, der Schweizer: Stèphane Chapuisat

Der alte Mann aus Wales: Ryan Giggs

HÄNGENDE SPITZEN

image Einwurf:Variationen des Linksaußenspiels

Der König vom Bornheimer Hang: Richard Herrmann

Einmal Eintracht, immer Eintracht: Bernd Hölzenbein

Kleiner König des Parks: Roberto Rivelino

Ein Junge aus Jamaika: John Barnes

„Baixinho”, „Der Kurze”: Romario de Souza Faria

Der Mann aus Madeira: Christiano Ronaldo

Ne kölsche Jong: Lukas Podolski

„A Spaniard in the Works” (= Ein Spanier bei der Arbeit): Juan Manta

LINKS WIE RECHTS UND AB DURCH DIE MITTE

image Einwurf: Der vollkommene Stürmer

Vom SV Sodingen in die 1. Liga: Hans Cieslarczyk

„El Lobo”: Mario Zagallo

Alles in einer Person: Berni Klodt

image Einwurf: Linkshänder und Linksfüßer

Aufgewachsen am Borsigplatz: Helmut Kapitulski

Der Mittelstürmer, der auch einmal Linksaußen war: Siegfried Held

Interview mit Siegfried Held

Der Eisenbieger aus Schweden: Benny Wendt

„Behaltet eure Millionen”: Christiano Lucarelli

image Einwurf: „Linker” Fußball und linke Linksaußen

Der Orkan vom Ärmelkanal: Franck Ribéry

Ein Künstler auf der 11: Simao

Ein Borusse aus dem Bilderbuch: Marco Reus

Das Talent vom Millerntor: Deniz Naki

In Barcelona geboren: Andreas Laudrup

Der Hundert-Millionen-Mann: Gareth Bale

image Einwurf: Die Zukunft des Linksaußen

image Schlusspfiff: Typologie der Linksaußen

ANHANG

Mein bester Linksaußen der Welt – eine Umfrage

Rangliste meiner besten Linksaußen der Welt

Anmerkungen

Danke

Der Autor

„Ich finde leichter zweitausend Rechtsanwälte für einen Prozess als einen Linksaußen für die Bundesliga.”

(Robert Schwan, ehemals Manager des FC Bayern München und von Franz Beckenbauer)

DIE KLASSISCHEN LINKSAUSSEN

Wie alles anfing

Die Linksaußen Hermann Fischbach und Hartmut Immel

Seit mein Vater mich, als ich noch ein kleiner Junge war, Mitte der fünfziger Jahre mit zum Fußballplatz meines Heimatdorfes in der oberhessischen Bezirksklasse geschleppt hat, übt dieser Sport auf mich eine Faszination aus wie nur ganz wenige andere Dinge in meinem Leben. Und von allem Anfang an mochte ich unter allen Spielern, neben den Torhütern, die Flügelstürmer der Mannschaften, für die ich mich begeisterte.

In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Fußballspiel noch von starren Positionen geprägt. Schon im Jugendfußball hatte jeder Spieler seinen ihm zugeordneten Platz. Wer seine Position verließ, wurde von Trainern und Betreuern sofort zurückbeordert. Ein Linksaußen hatte vorne links an der Seitenauslinie seinen Aktionsraum, und dort harrte er aus, bis der Ball kam. Ein rechter Verteidiger verteidigte hinten rechts, und wehe, er wagte sich aus der eigenen Hälfte heraus! Im Fußballspiel in Deutschland war die Abwehrarbeit der Manndecker über Jahrzehnte hinweg das oberste Prinzip der Taktik.

Doch die Lieblinge der Zuschauer waren schon immer die Stürmer und die Dribbler. Mein allererster Lieblingsspieler in der Elf des Bezirksligisten SV Eckelshausen hieß Hermann Fischbach. Er war damals 22 Jahre alt und von Beruf Bäckermeister, und seine Position war die des Linksaußen. Gespielt wurde in jenen Jahren im klassischen WM-System, das den Fußball der fünfziger Jahre in allen Spielklassen beherrschte, bei den Amateurvereinen und in den Oberligaklubs gleichermaßen und uneingeschränkt.

Hermann Fischbach, im schwarz-gelben Trikot des SVE, hätte noch ein paar Klassen höher spielen können, wenn er bereit gewesen wäre, den Verein zu wechseln. Er war der Flankengott und der Torjäger unseres Dorfvereins, aber schon bei seiner Ausbildung zum Meister, als er im 15 km entfernten Gladenbach arbeiten musste, hatte er Heimweh. Er wollte nie weg von zu Hause. Unsere Nummer 11 stand nicht links an der Außenlinie und wartete, bis er angespielt wurde. Er flitzte die Linie auf und ab, und wenn die Bälle aus der Verteidigung, der Läuferreihe oder von den Halbstürmern nicht kamen, dann holte er sich das Leder am eigenen Strafraum und wetzte breitbeinig und unwiderstehlich nach vorne, und in Höhe des Sechzehnmeterraumes flankte er den Ball nach innen auf seinen genialen Partner Helmut Dersch, und dann klingelte es im Kasten der Gegner. Unser Linksaußen war ein Laufwunder, er war ein Sprinter und ein Mittelstreckler zugleich, er hatte eine Lunge wie ein Gaul, er war schnell im Antritt, flugs im Tempowechsel, er war trickreich, ein Dribbler und er hatte einen guten Schuss. Der Linksaußen des SV 1911 Eckelshausen war nebenbei ein Mann für alle Fälle, der Trainer konnte ihn auch im Tor aufstellen, da stand er genauso seinen Mann wie als Stopper oder Verteidiger. Er konnte links wie rechts schießen, und an Härte fehlte es ihm ganz bestimmt nicht.

Eines allerdings, was dem typischen Linksaußen nachgesagt wird, fehlte Hermann Fischbach, dem Mann, von dem hier die Rede ist, völlig. Er war außerhalb des Fußballfeldes ein ganz normaler Mensch und damit, nach Einschätzung vieler Freunde des Fußballsports, eigentlich kein Linksaußen, wie er im Buche steht.

Hermann Fischbach ist im Alter von 78 Jahren im Sommer des Jahres 2013 gestorben. Er hat von Jugend an in der Backstube gestanden, zunächst als Gehilfe seines Vaters, später als Bäckermeister mit seinen beiden Söhnen Gerd und Dieter, die beide ebenfalls überragende Fußballer waren, wie ihr Vater. Und wenn er nicht in der Backstube stand, dann war er auf dem Fußballplatz zu finden. Hermann Fischbach war ein fröhlicher und allen anderen Menschen zugetaner Mann. Seine Frau Adele, Haushaltshilfe beim Dorfpfarrer, hatte er am Fenster des Pfarrhauses beim Schwätzchen kennengelernt. Sie waren sechzig Jahre einander treu und fest verbunden.

Nur auf dem Sportplatz konnte Hermann, der Mann, den sie im Dorf den „Bäcker-Hermann” nannten, in Rage geraten. Er regte sich schnell über die Schiedsrichter auf. Schwache Schiedsrichter waren die einzigen Lebewesen, die ihn aus der Ruhe bringen konnten.

Unmittelbar bevor Hermann Fischbach starb, habe ich ihn noch einmal an einem Samstag im Juli besucht. Der Held meiner Kindheit lag blass und dünn in einer schwarzen Trainingshose auf seinem Sofa. Er erzählte nichts mehr aus den alten Zeiten. In seinen letzten Tagen war der Fußball zu einer Nebensache geworden. Hermann Fischbach erzählte mir in unserem letzten von unzähligen Gesprächen, wie er seine Frau kennengelernt hatte, und er erzählte von seinen Söhnen.

An seinem Grab bei der Beerdigung standen nur noch wenige der alten Kampfgefährten. Kein Kranz vom Fußballverein SV Eckelshausen, kein Wort des Abschieds von einem Vertreter des Vereins. Die große Zeit des Fußballers und Linksaußen Hermann Fischbach lag eben auch schon 50 Jahre zurück.

Von jeher wird Torhütern und Linksaußen nachgesagt, dass sie ganz besondere Menschen sind, manche sagen sogar scherzhaft und liebevoll, erstklassige Torhüter und Linksaußen müssten ein Ding an der Klatsche haben. Vielleicht habe ich mich aus genau diesem Grund und wegen des überragenden Fußballers Hermann Fischbach aus meinem Heimatdorf im hessischen Hinterland von jeher ganz besonders für die Linksaußen interessiert.

Meine eigene „Karriere” als Fußballer begann im Alter von zehn Jahren in der C-Jugend des SV 1911 Eckelshausen, damals einem der führenden Fußballvereine im Kreis Biedenkopf. Ich spielte als einer der Jüngsten in der Mannschaft zunächst immer auf der Position des rechten Läufers. Der überragende Spieler unserer Jugendmannschaft, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren das Endspiel um die Kreismeisterschaft erreichte, war mein späterer Schulfreund Hartmut Immel, Sohn eines Lehrers aus dem Nachbardorf Wolfgruben. Er spielte Linksaußen, und er spielte diese Position, als hätte er sie neu erfunden. Hartmut Immel war ein Dribbler vor dem Herrn, er spielte andere Jungen schwindelig, er führte den Ball eng am Fuß und hatte einen granatenmäßigen Schuss mit dem linken Fuß. So ein glänzender Fußballer wäre man auch gern gewesen.

Doch es gab durchaus auch andere „Männer” auf dem linken Flügel in unserem Dorf, damals, die mein Bild von dieser Position des Linksaußen im Fußballgeschehen prägten. Gut anzusehen, rein äußerlich, immerhin der bärtige „Wesse Heinz“, der zur See fuhr und immer dann, wenn er in Eckelshausen ein Wochenende verbrachte, in der Reserve Linksaußen spielte. Auch er ein Linker, schnell und begabt am Ball, doch bei Weitem nicht so effektiv wie etwa der „Bäcker-Hermann”.

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Hermann Fischbach, dritter von rechts, in der Begegnung VfL Biedenkopf – SV Eckelshausen, 30.4.1958.

Meistens aber war auf der Linksaußen-Position der 2. Mannschaft der Spieler Herbert Bertram zu sehen. Er kam mir vor, als sei er der langsamste Linksaußen der Welt. Er drehte sich im Zeitlupentempo. Wenn er den Ball zugepasst bekam, dauerte es eine Ewigkeit, bis er sich nach vorne in Marsch gesetzt hatte, aber meistens hatten ihm seine Gegenspieler das Leder innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wieder abgenommen. Nicht alle Linksaußen waren Meister ihres Faches.

Die Position des Linksaußen ist die einzige innerhalb eines Mannschaftsgefüges, auf der ich – neben der des Spielmachers auf halblinks – in den mehr als 20 Jahren meiner aktiven Zeit nie selbst gespielt habe, abgesehen von einem einzigen Freundschaftsspiel.

In jeder besseren Fußballmannschaft war der Linksaußen früher ein absoluter Spezialist, der von Kindesbeinen an diese Position besetzte und dort spielte, von der D-Jugend bis zu den Seniorenmannschaften, fast immer ausgestattet mit einem starken linken Fuß, spritzig, pfeilschnell und gewandt am Ball.

Kein Rechtsfuß spielte früher in einem gutklassigen Team dauerhaft auf der Position der linken Spitze. Doch ein linker Fuß allein reichte nicht aus, um es auf dem linken Flügel zu etwas zu bringen. Es gab und gibt eben im Amateurfußball auch unendlich viele Spieler, die zwar primär den Ball mit links treten, weil sie Linksfüßer sind (so wie es eben auch Linkshänder gibt), denen es aber sowohl an Technik und Ballbehandlung fehlt, wie auch an der erforderlichen Spritzigkeit, und die daher dann zumeist in den Jugendmannschaften und im Amateurfußball in der Verteidigung landeten.

Bei fehlender Schnelligkeit, aber zugleich vorhandenen technischen Fertigkeiten, bot sich für solche Spieler die Rolle des linken Läufers, später die des Mittelfeldspielers oder Spielmachers an.

Im modernen Fußball nun gibt es die klassische Rollenverteilung nicht mehr. Wie sich die Taktik und die Strategie im Fußball verändert haben, warum es den Linksaußen des WM-Systems und des 4-3-3 nicht mehr gibt, wieso sich im Laufe der Jahrzehnte eine völlig neue Variante in der Gestaltung der Position des Linksaußen entwickelt hat und warum wir dennoch getrost davon ausgehen dürfen, dass der Fußballsport sich viel weniger verändert hat, als uns alle Fußballtheoretiker dieser Welt gerne weismachen wollen, das soll hier erläutert werden, und auch, welche einzelnen Spielerpersönlichkeiten die Position der Nummer 11 zu etwas ganz Besonderem im Fußballsport gemacht haben.

Die von mir in diesem Buch vorgenommene Auswahl der besten Flügelflitzer der Welt auf linksaußen ist eine sehr subjektive. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar „Richtigkeit“, und sie beinhaltet eine Handvoll Spieler, die als herausragende Fußballer den großen Sprung in die Bundesliga oder den internationalen Fußball nicht oder noch nicht geschafft haben. Für manche Fans und für mich aber waren und sind sie trotzdem Helden.

Außergewöhnliche Spielerpersönlichkeiten und Charaktere prägen das Bild der Spezialisten auf dem linken Flügel, und wahrscheinlich gibt es neben den Torhütern und den Spielmachern, also den klassischen „Zehnern“, kaum eine Position innerhalb einer Mannschaft, die die Fans im Laufe der Geschichte des Fußballs so sehr fasziniert hat wie die des Linksaußen. Während die Verteidiger und andere Defensivkräfte im traditionellen Fußball das eigene Tor absichern, den Spielaufbau der gegnerischen Mannschaft blockieren und zerstören und sich von daher auf die destruktiven Aspekte des Fußballsports konzentrieren müssen, beleben die offensiven Spieler die Strategie des Spiels über mehr als ein Jahrhundert hinweg durch ihre eindeutige Ausrichtung all ihrer spielerischen Fertigkeiten auf das Erzielen eines Tores.

Im Mittelpunkt des Zuschauerinteresses stehen daher nicht immer und ausschließlich die Spielmacher-Persönlichkeiten, die dem Spiel ihren Stempel aufdrücken, sondern auch diejenigen Spieler, die die Tore unmittelbar vorbereiten und selbst erzielen. Das waren früher die Außenstürmer auf rechts und links und der Mittelstürmer, das sind heute die Männer auf den Außenbahnen und in der Spitze. Überdurchschnittliche Spieler auf diesen Positionen prägen den Fußball und das Spiel ihrer Mannschaft. Schnelle Flügelflitzer, fintenreiche und elegante Dribbler, Goalgetter, die beim Abschluss nicht lange fackeln: Das wollen die Fans sehen.

Mein Buch über die besten Linksaußen der Welt soll zeigen, wie sich der Fußball auf der Position des linken Außenstürmers im Laufe der Jahrzehnte verändert hat und welche Menschen und Spielerpersönlichkeiten ihn in den unterschiedlichsten Vereinen und Ländern der Welt rund um den Erdball prägten. Zugleich ist es ein Versuch, die Frage zu klären, ob es den klassischen Linksaußen in der Welt des Fußballs überhaupt noch gibt und ob es ihn jemals wieder in seiner einstigen Prägung geben wird.

Interview mit Hermann Fischbach, Linksaußen einer Amateurmannschaft 1950-1975

Hermann, du hast über zwanzig Jahre als Linksaußen in Amateurmannschaften gespielt. Wie sah damals das Fußballtraining im Amateurfußball aus?

Hermann Fischbach: In unserem knapp 800 Einwohner zählenden Dorf spielte fast jeder halbwegs sportliche junge Mann Fußball. Sonst hätten wir keine zwei Mannschaften zusammenbekommen. Die Qualitäten der einzelnen Spieler und deren technische Fähigkeiten waren sehr unterschiedlich. Wer allerdings in der ersten Mannschaft spielen wollte, musste zumindest konditionell auf der Höhe sein. Deshalb stand im Vordergrund des damaligen Trainings die Konditionsarbeit. Wir sind ganz oft 10 km und mehr am Stück gelaufen, und die am Ball weniger begabten Spieler waren oft diejenigen mit der meisten Luft.

Was wurde am Ball und mit dem Ball geübt?

Hermann Fischbach: Das, was man heute in fast allen Mannschaften der Welt auch macht, Standards trainieren wie Freistöße und Ecken, Schulung des Zweikampfverhaltens, Förderung der Antrittsschnelligkeit, Sprints über kurze Strecken, Kopfballschulung, Flachpassspiel, Beweglichkeit und immer wieder Kondition.

Was unterschied den damaligen Fußball von dem der Gegenwart?

Hermann Fischbach: Zunächst einmal die Athletik. Früher spielten auch Spieler, die aufgrund ihrer mangelnden Fitness heute nicht mehr mithalten könnten. Fußball ist heutzutage mehr denn je ein Laufspiel. Ohne Schnelligkeit und Kondition geht es nicht mehr. Auch in den unteren Klassen kann ein Standfußballer keinen Beitrag mehr für eine Mannschaft leisten. Es gab früher viele Spieler im Amateurfußball, die am Ball nicht schlecht waren, aber keine Laufbereitschaft zeigten. Umgekehrt galt das genauso: Häufig waren Fußballer bei den Amateuren mehr Dauerläufer oder Sprinter als irgendetwas anderes. Das gibt es heute nicht mehr, vor allem nicht im höherklassigen Bereich. Gewisse Mindestvoraussetzungen muss ein ambitionierter Spieler heutzutage sowohl in der Ballbeherrschung wie auch im läuferischen Bereich mitbringen.

Und wie hat sich die Taktik in den letzten Jahrzehnten verändert?

Hermann Fischbach: Früher war das Spiel Mann gegen Mann in allen Klassen Gesetz. Der Verteidiger hatte seinen Gegenspieler auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die Sturmspitzen rechts, links und in der Mitte blieben in aller Regel bei gegnerischen Angriffen vorne stehen und warteten an der Mittellinie, bis die eigene Mannschaft wieder im Ballbesitz war. Erst dann ging die Post wieder ab. Es kam auch nicht oft vor, dass Positionen gewechselt wurde. So viel Fantasie war damals nicht gefragt beim Fußballspielen.

Und wie hast du dein Fußballspiel im Laufe der Jahre auf dem linken Flügel entwickelt?

Hermann Fischbach: Ich war ein atypischer Linksaußen. Weil ich vom Torwart bis zur Nummer 11 eigentlich alles schon einmal gespielt habe, ging ich bereits in meiner Zeit als Jugendlicher mit zurück, wenn es sein musste. Gegen starke Gegner habe ich defensiv gespielt, aber in all den Jahren war mein Platz vor allem an der linken Außenlinie, immer dann, wenn zum Sturm geblasen wurde.

Was macht einen guten Linksaußen aus?

Hermann Fischbach: Schnelligkeit, Ballbeherrschung, Übersicht, beidfüßiger Abschluss, Fantasie. Das gilt heute, und es galt vor fünfzig Jahren. Ich bin im Übrigen sicher, dass der Fußball nicht „stehen bleibt“, sondern dass er sich fortlaufend ändert. Und irgendwann könnte auch einmal wieder ein Linksaußen gefragt sein, der ausschließlich vorwärts agierend dem Spiel den Stempel aufdrückt. Ribéry, Robben und Reus sind drei Spieler, die dem, was vor Jahrzehnten als „klassischer Außen und Linksaußen” bezeichnet wurde, sehr nahekommen. Es wird überhaupt sehr viel über Fußball geredet und geschrieben, vor allem über Strategie und Taktik, dabei unterscheiden sich viele Systeme und viele Spieler heutzutage nur unwesentlich von dem, wie früher eine Mannschaft eingestellt wurde. Der wesentliche Unterschied scheint für mich im Vergleich zu früher darin zu liegen, dass die Anforderungen an gute, höherklassige Spieler in puncto Kondition und Kraft enorm gestiegen sind.

Anmerkung des Autors:

Hermann Fischbach starb im Sommer des Jahres 2013 an einer Krebserkrankung. Neben seiner Familie und seinem Beruf gehörte dem Fußball und seinem Heimatverein, dem SV 1911 Eckelshausen, sein ganzes Herz. Zu seiner Zeit war er sicher einer der besten Linksaußen in Oberhessen. Das Interview wurde kurz vor seinem Tod geführt.

Helden meiner Jugend

Der „Flutlicht-Meier“, Eintracht Frankfurt und Gerd Becker, Karlsruher SC

Gerne wird der deutsche Fußball von seinen Kritikern so dargestellt, als sei er über Jahrzehnte hinweg taktisch rückständig gewesen, von besonders starker Defensivorientierung geprägt. Richtig ist, dass in den Schüler- und Jugendmannschaften vor allem Wert auf Zerstörung und Ordnung gelegt wurde. Sieht man sich die starken deutschen Vereinsund Nationalmannschaften in Vergangenheit und Gegenwart an, so bestätigen sich solche Verallgemeinerungen eher nicht. Alle national und international erfolgreichen Mannschaften aus Deutschland waren und sind von genialen Regisseuren, grandiosen Ballzauberern und dynamischen Außenstürmern geprägt. Selbst im Jugendfußball wurde im Training immer besonderer Wert auf das kreative Aufbauspiel und die Offensive gelegt.

Ein Beispiel für einen besonders gut ausgebildeten Linksaußen, der von „ganz unten” kam, ist der einst in Deutschland als „Flutlicht-Meier” bekannt gewordene Erich Meier, der das Pech hatte, dass es in Deutschland zu seiner großen Zeit jede Menge erstklassiger Linksaußen gab. Erich Meier wurde 1935 in Wallau im hessischen Hinterland geboren. Der gelernte Feinmechaniker hatte das Fußballspiel bei einem Dorfverein gelernt und das Talent so weit vervollkommnet, dass die Verantwortlichen der Frankfurter Eintracht auf ihn aufmerksam wurden. Sie verpflichteten den geradlinig aufspielenden, torgefährlichen Flügelstürmer, der dann im November 1956 sein erstes Ligaspiel für die Riederwälder gegen Schwaben Augsburg absolvierte.

Den Spitznamen „Flutlicht-Meier” bekam der schnelle Mann auf links, weil er seinerzeit bei Flutlichtspielen besonders stark auftrumpfte. In den fünfziger Jahren waren Abendspiele unter Flutlicht noch etwas ganz Besonderes. In fast allen Flutlichtspielen für die Adlerträger erzielte er mehr als ein Tor und erwies sich als idealer Partner für den berühmten Eintrachtler Alfred Pfaff. Seine Glanzzeit hatte Meier nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1959 in den Europapokalspielen der Riederwälder, als er in sechs Spielen vier Tore erzielen konnte. Beim Wiener SC schoss er das Siegtor gegen die Österreicher. Der Journalist Ludwig Dotzert schrieb: „Alles Gute kam von der kernigen Gestalt eines Meier, eines Weilbächer und eines Kress. Meiers reißende Spurts und giftige Präzisionsschüsse waren das Verblüffendste überhaupt an diesem fremdartig wirkenden Eintracht-Sturm […] Meier lieferte für die Eintracht die Linksaußen-Partie des Jahres.” Auch in den folgenden Europacup-Spielen glänzte Erich Meier, indem er die gegnerischen Verteidiger ein ums andere Mal in Verwirrung stürzte. Kritiker allerdings behaupteten nach einem 6:1-Sieg gegen Glasgow Rangers, dass Flutlicht-Meier nach gekonnten Flankenläufen den Ball über die Torlatte „säbelte“, statt die Flanken in den Strafraum zu heben. Zum 6:3-Sieg im Rückspiel des Halbfinales trug der Mann aus dem hessischen Hinterland erneut zwei Tore bei. Damit hatte er entscheidenden Anteil am Einzug der Eintracht in das europäische Pokalfinale. Das Endspiel verloren die Frankfurter dann im Glasgower Hampden Park am 18. Mai 1959 mit 7:3. In diesem Spiel traf Meier nicht.

Erich Meier wechselte zur Saison 1962/63 zum 1. FC Kaiserslautern. In seiner ersten Runde für die „Roten Teufel” schoss er in 27 Treffen 21 Tore. Nach drei Jahren auf dem Betzenberg wechselte er zu Alkmaar 54 nach Holland und beendete seine Karriere nach zehn Jahren im Profifußball bei AGOVV Apeldoorn. Er starb nach langer, schwerer Krankheit in seinem Heimatdorf bei Biedenkopf. Die Jahre nach seiner Karriere als Halbprofi hatte er in dem Ort gelebt, von dem er einst ausgezogen war, die große Welt des Fußballs kennenzulernen.

Dass gute Ausbildung von talentierten Fußballspielern nichts mit Zufällen zu tun hat, sollte sich einige Jahre später erneut unter Beweis stellen. In dem Verein, in dem Erich Meier seinen Weg nach oben begann, reifte in den sechziger Jahren erneut ein außergewöhnlich talentierter Flügelstürmer auf linksaußen heran. Der FV Breidenbach, führender Fußballverein im Landkreis Biedenkopf, bildete erneut einen klassischen Linksaußen aus, der – keine zwanzig Jahre alt – zu einem der gefährlichsten linken Stürmer im deutschen Fußball avancierte. Gerd Becker war genau wie sein Vorgänger beim FV Breidenbach, Erich Meier, sehr schnell, schussgewaltig und extrem torgefährlich.

In seinem ersten Jahr in der Regionalliga Süd spielte er für den KSV Hessen Kassel. Die Nordhessen wurden vor Bayern München in der Saison 1963/64 Meister der Regionalliga Süd, und Gerd Becker, der agile Mann auf links, trug dazu 20 Tore bei. Alsbald tauchte Becker auch als Linksaußen in der DFB-Juniorenauswahl auf. In dieser Elf spielte mit Günter Netzer ein Partner auf dem linken Flügel, dem noch eine große Karriere bevorstand.

Zur Saison 1965/66 wechselte Gerd Becker zu den Offenbacher Kickers an den Bieberer Berg. Nach der Meisterschaft in der Regionalliga Süd stiegen die Kickers in 1968 in die Bundesliga auf. In der Aufstiegsrunde spielte Becker in allen Begegnungen mit und erzielte vier Tore. Ab 1969 lief der ehrgeizige und stets sehr diszipliniert auftretende Gerd Becker für den Karlsruher SC auf. Damit war er, wie der OFC-Torhüter Rudi Wimmer, dem Ruf seines früheren Trainers Kurt Baluses gefolgt. Für die Elf vom Wildparkstadion absolvierte er in seiner ersten Saison in Baden alle 38 Ligaspiele. Gemeinsam mit dem vom 1. FC Köln gekommenen Mittelstürmer Christian Müller und Horst Wild bildete er einen brandgefährlichen Sturm. Nach seiner aktiven Zeit kehrte Gerd Becker wieder in seine Heimat zurück und wurde dort nebenberuflich Trainer in seinem Stammverein FV Breidenbach und, danach, bei dessen damals wichtigstem Konkurrenten im hessischen Hinterland, dem SV 1911 Eckelshausen.

Meier wie Becker waren in ihrem Charakter keine Linksaußen, die in das Bild des allzeit zu Späßen aufgelegten, schlitzohrigen Flügelstürmers passten. Sie hatten sich ihren Aufstieg im Fußball hart erarbeitet. Niemand schafft es, aus der Bezirksklasse in die oberste Spielklasse in Deutschland zu kommen, wenn er kein Talent hat. Doch wie viele große Talente scheitern im Fußball daran, dass es ihnen an Disziplin und Charakterfestigkeit fehlt!

Die Stürmer Becker und Meier aus dem oberhessischen Raum, beide klassische Linksaußen, machten ihren Weg, weil sie alle anderen Interessen ihrer Liebe zum Fußballsport unterordneten. Sie fanden im Fußball ein erfülltes Leben und genossen hohes Ansehen aufgrund ihres außerordentlichen Könnens, auch in all den Jahren nach der aktiven Zeit als Sportler.

Die Geschichte des Erich Meier aus dem hessischen Hinterland, der sicher nur in einigen wenigen Abschnitten ein Glanzlicht am europäischen Fußballhimmel sein durfte, zeigt, wie es dennoch geschehen kann, dass ein Fußballer aus der Provinz durch Fleiß und Beharrlichkeit plötzlich in das große Geschehen des Weltfußballs eingreift. Und so stand Erich Meier, der Junge aus dem Hinterland, mit seiner Frankfurter Eintracht in einem Spiel um den Europapokal gemeinsam mit einem anderen Mann einer gegnerischen Elf auf dem Platz, der zu den besten Linksaußen der Welt gehörte: Francisco Gento von Real Madrid.

Vorbild des Klasse-Linksaußen Gerd Becker aber war ein ganz anderer Mann, einer der in den fünfziger Jahren, rund 100 km westlich vom kleinen Ort Breidenbach entfernt gelegen, als der beste Linksaußen der Welt galt: Hans Schäfer vom 1. FC Köln.

Interview mit Gerd Becker

Gerd, du bist in einem Fußballdorf in Breidenbach, im hessischen Hinterland, aufgewachsen und hast es geschafft, in den bezahlten Fußball zu kommen, und dort deinen Weg zu gehen. Wie hat das angefangen?

Gerd Becker: Mein Vater war bereits ein guter Fußballer gewesen. Er ist als junger Mann im Krieg in der Normandie gefallen. Meine Mutter war mit 20 schon Witwe und hat nie mehr geheiratet. Wir lebten mit den Großeltern zusammen. Hier in Breidenbach wuchs man mit dem Fußball auf. Früher gab es keine D-, E- oder gar F-Jugend. Ich habe in der C-Jugend angefangen, Fußball zu spielen, und schon von Anfang an manchmal in der A-Jugend ausgeholfen.

Warst du von Beginn an Linksaußen?

Gerd Becker: Als ich mit dem Fußball begann, war Hans Schäfer, der Linksaußen der Nationalmannschaft, mein Vorbild. Ich wollte so werden wie er. Ja, ich war von Beginn an Linksaußen, weil ich einen starken linken Fuß habe. Ich bin auch Linkshänder, wie viele andere, die im Fußball diese Position gespielt haben. Zwar kann ich auch mit rechts treten, Flanken und Freistöße, aber eigentlich habe ich den rechten Fuß nur zum Laufen (lacht).

Wem ist dein Talent aufgefallen?

Gerd Becker: Ich spielte bald in der Kreisauswahl und wurde später auch in die Hessenauswahl berufen. Aber es war schwierig, sich unter dem damaligen Auswahltrainer Rudi Gellesch gegen die großen Namen aus Frankfurt durchzusetzen.

Wie hast du den Sprung in den bezahlten Fußball geschafft?

Gerd Becker: Wir vom FV Breidenbach spielten damals im Hessenpokal meist eine gute Rolle. In einem Spiel gegen Borussia Fulda machte ich das entscheidende Tor, und dann bekam ich ein Angebot vom KSV Hessen Kassel, nachdem wir gegen den KSV in der nächsten Runde des Pokals ausgeschieden waren. Ich bin dann im Alter von 19 Jahren nach Kassel gezogen und habe im „Bullenkloster” in der Weserstraße gewohnt. Wir spielten unter Trainer Walter Müller in der zweithöchsten Spielklasse, der Regionalliga Süd. Im ersten Jahr als Vertragsspieler holten wir uns die Meisterschaft in der Regionalliga Süd vor Bayern München, und ich schoss 20 Tore. Jendrosch brachte es gar auf 35 Tore. Unser Sturm erzielte in dieser Saison insgesamt 116 Tore. Ich wurde dann auch in die Junioren-Nationalmannschaft berufen. Aber wir schafften den Aufstieg in die Bundesliga nicht, Hannover 96 stieg auf.

Bist du damals noch regelmäßig nach Hause, nach Breidenbach, gefahren?

Gerd Becker: Nein, ich habe immer halbtags gearbeitet, weil ich wusste, dass der gelernte Beruf als Broterwerb wichtig ist. So bin ich dann nur alle vier oder fünf Wochen nach Hause zu meiner Mutter gefahren, zunächst mit Zug und Bus. Ich musste auch erst noch den Führerschein zu Ende machen. Ich hatte nicht gleich ein Auto in Kassel.

Dann bist du an den Bieberer Berg gegangen …

Gerd Becker: Im zweiten Regionalligajahr lief es nicht so gut für mich in Kassel. Ich nahm dann das Angebot des OFC an. In Offenbach habe ich zuerst bei Horst Canellas im Keller gewohnt, bevor ich eine eigene Wohnung fand. Wir wurden zweimal Vizemeister der Regionalliga Süd und schafften 1968 den Aufstieg in die Bundesliga. In der Aufstiegsrunde war ich in allen acht Spielen dabei und schoss vier Tore. Ich hatte schon beim KSV Hessen Kassel das Glück gehabt, immer gleich Tore zu machen, und so war ich recht schnell Stammspieler bei den Trainern, die mich geholt hatten. Zudem gab es auf meiner Stammposition Linksaußen meist nicht so viel gleichwertige Konkurrenz.

Der OFC stieg dann gleich wieder ab und du bist deinem ehemaligen OFC-Trainer Kurt Baluses zum KSC gefolgt …

Gerd Becker: Ja, ich ging zur Runde 1969/70 mit Rudi Wimmer zum Karlsruher SC in die Regionalliga Süd. Dort habe ich vier Jahre gespielt, wir wurden mehrfach Vizemeister und nahmen noch dreimal an den Bundesliga-Aufstiegsrunden teil. Insgesamt habe ich 317 Bundesliga- und Regionalligaspiele absolviert und 112 Tore geschossen.

Und in all den Jahren warst du immer Linksaußen?

Gerd Becker: Ja, das kann man guten Gewissens und nicht ohne Stolz sagen.

Du warst nach der Karriere als aktiver Vertragsspieler ja auch ein sehr erfolgreicher Trainer und hast u. a. deinen Heimatverein in die Landesliga Mitte zurückgeführt. Wie siehst du die Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte auf der Position des Linksaußen?

Gerd Becker: Nicht nur die Position des Linksaußen hat sich verändert. Der gesamte Fußball ist einem ständigen Wandel unterworfen. Es gab früher gar nicht die Trainingsmöglichkeiten, die man heute hat. Selbst im bezahlten Fußball nicht. Am Bieberer Berg gab es einen Verschlag unterhalb der Tribüne, wo Geräte für das Training aufbewahrt wurden. Athletik, Fitness und Ernährung spielen im modernen Fußball eine große Rolle.

Als ich anfing, war klar, was und wie ich zu spielen hatte. Jeder wusste, was ein Linksaußen zu tun und was er zu lassen hat. Heutzutage habe ich manchmal den Eindruck, dass aus dem Fußball eine Wissenschaft gemacht werden soll. Immer mehr Leute, die häufig gar nicht selbst gespielt haben, reden und schreiben theoretisch über Fußball, als sei er neu erfunden worden. Schon immer musste ein Trainer seine Mannschaft taktisch so einstellen, wie es den individuellen Fähigkeiten der Spieler entsprach, die ihm zur Verfügung standen. Nicht überall ist Bayern München.

Es gab immer unterschiedliche Möglichkeiten, die Position des Linksaußen auszufüllen. Es gab immer Spieler, die mit zurückgingen oder auf den anderen Flügel auswichen. Die Position des Linksaußen hat sich genauso viel oder wenig geändert wie andere Positionen in der Mannschaft auch. Wir gehen zwar davon aus, dass es keine klassischen letzten Männer mehr gibt, keine Vorstopper mehr und keine Halbstürmer. Trotzdem, trotz der „Vermessung” und Zuteilung von Räumen, trotz Schieben und Verschieben, ist das meiste, was auf dem Feld geschieht, nicht so grundlegend anders als der Fußball vor fünfzig Jahren. Ein Ribéry oder ein Reus spielen im Prinzip und sehr effektiv Linksaußen. Sie agieren nur flexibler und „multifunktionaler” im modernen Fußballspiel.

Gehst du noch regelmäßig zum Fußball?

Gerd Becker: Ja, ich gehe immer noch zu den Spielen meines Heimatvereins und beobachte auch das Geschehen der anderen heimischen Vereine, von denen ich einige trainiert habe.

Der Berufsfußball hat sich unter dem Einfluss der Medien stark verändert. Heute kann niemand mehr nach einem Spiel drei oder vier Bier trinken, ohne Gefahr zu laufen, dass es am nächsten Tag zur Schlagzeile in der Presse wird. Die Spieler tun mir leid, nichts mehr bleibt privat. Dazu kommt, dass nicht jeder, der sich für den Fußball als Broterwerb entscheidet, automatisch reich wird. Viele Spieler lernen keinen Beruf und stehen nach ihrer Karriere mit leeren Händen da. Das ist eine problematische Entwicklung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Der beste Linksaußen der Welt

Hans Schäfer, 1. FC Köln

Der Mann hat Schuhgröße 42 und sein linker Fuß, in Bronze gegossen, ist im Deutschen Sport- und Olympiamuseum zu Köln ausgestellt. Es ist der Fuß, mit dem er im Weltmeisterschafts-Endspiel 1954 in Bern in der Schweiz die Flanke zu Helmut Rahn schlug, die dieser eiskalt dann zum 3:2-Siegtor für die deutsche Nationalmannschaft verwandelte. Der Mann, von dem hier die Rede ist, hat 507 Pflichtspiele für seinen Verein, den 1. FC Köln, absolviert und 304 Tore in dieser Zeit für die Geißböcke geschossen.1 Er hat an drei Fußballweltmeisterschaften teilgenommen, 1954 in der Schweiz, 1958 in Schweden und 1962 in Chile.

In 39 Länderspielen erzielte er 15 Tore, und nicht nur deshalb ist er in seiner rheinischen Heimat eine Legende. Dabei will der inzwischen 86 Jahre alt gewordene einstige vorbildliche Fußballspieler selbst weder Legende noch Held sein. Laut der Zeitung „Die Welt” hat der Mann nie ein Buch über den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft in Bern gelesen, und auch die Reportage jenes Sieges von Herbert Zimmermann, in deren Besitz er ist, hat er sich nie angehört.2

Er will sich seine eigenen Erinnerungen nicht durch irgendwelche Dokumente oder Interpretationen anderer zerstören lassen. In seiner Heimat nennen sie ihn „De Knoll“, was übersetzt so viel wie „Dickkopf “ oder „sturer Bock” bedeutet. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Er sagt von sich, dass er doch nur ein guter Fußballer gewesen sei, mehr nicht. Es gäbe viel Wichtigeres im Leben als Fußball.

Der Mann, der der beste Linksaußen war, den es im deutschen Fußball je gegeben hat, ist Hans Schäfer. Fachleute und die internationale Presse bezeichneten den überragenden Fußballer des 1. FC Köln seinerzeit nach der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz sogar als den „besten Linksaußen der Welt”. Im Jahr 2002 ist Hans Schäfer in die „Hall of Fame” des deutschen Fußballs aufgenommen worden, neben Fritz und Ottmar Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Günter Netzer und Berti Vogts. Nach der Aufnahme in die Ruhmeshalle lehnte der Geehrte jedes Interview ab. Seit neun Jahren hat er sich jedem Journalisten für ein Gespräch verweigert.

Mehr als zehn Jahre lang prägte der Kölner Spieler den Fußball in Deutschland. Sein Verein, der 1. FC Köln, dominierte fast ein ganzes Jahrzehnt den Fußball in der Oberliga West und später dann, zu Beginn der sechziger Jahre, die Bundesliga. Hans Schäfer war wahrscheinlich einer der besten Stürmer im Fußball des 20. Jahrhunderts.

Geboren wurde Hans Schäfer am 19. Oktober 1927 in Köln-Sülz als Sohn des Friseurs Hugo Schäfer aus Alsenz im Pfälzer Wald und seiner Frau Katharina, geborene Bellut. Die beiden hatten im November 1926 in Solingen geheiratet. Das Ehepaar bezog eine Wohnung im Kölner Vorort Zollstock, und bald entwickelte der junge Familienvater eine Vorliebe für den Fußballverein DJK Rheinland Zollstock (später Rot-Weiß Zollstock).