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Die Herausgebenden

Dr. med. Katharina Schmid, Ärztliche Leitung DRK-Landesschule Bildungseinrichtung Pfalzgrafenweiler.

Hannes Breitinger, Hauptfeldwebel, TC-HEMS auf dem Christoph 22, Gesundheits- und Krankenpfleger für Notfallpflege (DKG) in der ZINA am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.

Armin Hess, cand. M. A., Schulleiter der Bildungseinrichtung Pfalzgrafenweiler der DRK-Landesschule BW.

Dr. med. Marcus Rall, Notarzt, Ausbilder für CRM-Instruktoren, Gründer und Leiter des Instituts für Patientensicherheit & Simulations-Teamtraining InPASS GmbH.

Rolf Dubb, B. Sc., M. A., Fachkrankenpfleger A+I, Intensive Care Practitioner und Fachbereichsleiter und Leiter des Simulationszentrums an der Akademie der Kreiskliniken Reutlingen GmbH.

Julian Ohmayer, Gesundheits- und Krankenpfleger für Notfallpflege (DKG) in der ZINA am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.

Dr. med. Sabine Merz, Chefärztin Klinik für Akut- und Notfallmedizin Klinikum Friedrichshafen.

Katharina Schmid/Hannes Breitinger/Armin Hess/Marcus Rall/Rolf Dubb/Julian Ohmayer/Sabine Merz (Hrsg.)

Fallbuch Rettungsdienst

Verlag W. Kohlhammer

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Piktogramme

image       Merke

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1. Auflage 2022

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-039282-3

 

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-039283-0

epub:        ISBN 978-3-17-039284-7

Geleitwort

 

 

»Nicht schon wieder …!« Wenn wir ehrlich sind, erleben wir im rettungsdienstlichen Alltag regelmäßig Einsatzsituationen, die uns nerven. Die Trigger sind dabei persönlich sehr verschieden. Oft genug gelingt es uns nicht, in solchen Situationen unsere Emotionen zu verbergen. Darauf wiederum reagiert unser Gegenüber, die Situation schaukelt sich auf und letztlich endet ein Einsatz in einer nur wenig zufriedenstellenden Performance.

Tatsächlich sind solche Punkte immer eine Frage guter Kommunikation im Team, mit dem Patienten und schließlich bei der Übergabe mit den Kollegen in der Notfallaufnahme. Um diese Kommunikation gut zu gestalten, empfiehlt es sich, sich in die Rolle des jeweils anderen reinzudenken. Dazu benötigen wir

•  Respekt und Höflichkeit,

•  Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme sowie

•  Wertschätzung und Disziplin.

Diese Eigenschaften lassen sich beliebig untereinander vertauschen. Zunächst klingt eine solche Aufzählung nach allgemeingültigen Phrasen, die nur Ausdruck einer guten Kinderstube sind. Doch wenn wir den Arbeitsalltag professioneller Teams, insbesondere den verantwortungsvollen Umgang mit Patienten, kritisch beleuchten, müssen wir erkennen, dass diese Kriterien eines guten Umgangs miteinander durchaus nicht selbstverständlich sind: Im Jahr 2009 fliegt ein Airbus 320 der US-Fluggesellschaft Northwest Airlines auf dem Flug von San Diego nach Minneapolis 150 Meilen über den Zielflughafen hinaus. Die beiden Piloten geben später zu Protokoll, sie hätten solch ein hitziges Streitgespräch geführt, dass sie die nötige Aufmerksamkeit für die Position des Flugzeuges verloren hätten (»Loss of situational awareness«) und nur durch ein Mitglied der Kabinen-Crew darauf hingewiesen wurden, dass sie doch bereits längst am Ziel sein sollten. Der Flug konnte anschließend sicher beendet werden, aber dieser Vorfall bestätigt eindrucksvoll, dass eine emotional geführte Diskussion mit Mangel an Respekt und Höflichkeit unsere kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt. Dies gilt genauso für die Kommunikation im ebenso hochspezialisierten Rettungsteam.

Für das Rettungsfachpersonal ist es Alltag, in eine fremde Wohnung zu kommen und sich dort souverän zu bewegen. Für den Patienten jedoch bedeutet es eine Ausnahmesituation. Auch wenn das Rettungsteam die akute Bedrohung des Patienten wenig dramatisch einschätzt, fühlt sich der Patient so hilflos oder schmerzgeplagt, dass er völlig fremden Menschen Zutritt in seine privatesten Räume (z. B. das Schlafzimmer) gewährt. Dabei müssen alle Symptome als subjektive Wahrnehmung verstanden werden. Selbst in der Annahme, dass ein rettungsdienstlicher Einsatz in Ermangelung einer vitalen Bedrohung nicht gerechtfertigt ist, gilt es, sich in die Situation des Patienten zu versetzen, um zu verstehen, was ihn zur Inanspruchnahme des Rettungsdienstes bewogen hat. Rücksicht und Empathie ermöglichen auch in derartigen Situationen eine zielführendere Kommunikation – im Gegensatz zu Vorwürfen über eine unnötige Alarmierung.

Die Übergabe der Patienten in den Notfallaufnahmen stellt besondere Herausforderungen an die Kommunikation. Die in dieser kurzen Phase weitergegebenen Informationen nehmen wesentlichen Einfluss auf die weitere Versorgung der Patienten. Dabei treffen jedoch oft unterschiedliche Wahrnehmungen aufeinander: Während das Rettungsteam gedanklich bereits am Ende seines Einsatzes angelangt ist und die Anspannung möglicherweise abfällt, befindet sich das Team der Notaufnahme am Beginn ihrer Patientenversorgung. Hinzu kommen äußere Stressfaktoren wie eine übervolle Notfallaufnahme oder der längst überfällige Schichtwechsel der Rettungswagenbesatzung.

Auch hier gilt es, für beide Seiten die Arbeit des jeweiligen Gegenübers wertzuschätzen. Dies ist einfacher, wenn das ärztliche genauso wie das Assistenzpersonal Erfahrungen auf beiden Seiten hat – in der prähospitalen Notfallmedizin ebenso wie in der klinischen Akutmedizin. Dem Gegenüber aufmerksam und diszipliniert begegnen, warten, bis alle für die Patientenversorgung wichtigen Personen bewusst zuhören können, alle Informationen nach einer klaren Struktur übermitteln, Rückfragen zulassen und dabei Zeit für ein freundliches Wort haben, sind die Zutaten einer guten Übergabe. Zusammenfassend beschreibt all das die Professionalität, welche die Autoren dieses wertvollen Buches ihren Lesern vermitteln möchten.

PD Dr. med. Björn Hossfeld, OFA

Ltd. Oberarzt

Notfallmedizinisches Zentrum

Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin u. Schmerztherapie

RTH Christoph 22

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Inhalt

 

 

  1. Geleitwort
  2. Abkürzungsverzeichnis
  3. Vorwort
  4. Rolf Dubb und Katharina Schmid
  5. 1   Patientenübergabe: Grundlagen
  6. Rolf Dubb
  7. 2   Fokus Übergabe: Ursachen für Fehler, die Bedeutung der »menschlichen Faktoren« (Human Factors) und wichtige Tipps für die Erhöhung der Patientensicherheit
  8. Marcus Rall
  9. 3   Strukturierte Patientenübergabe
  10. Julian Ohmayer
  11. 3.1   Ergänzende Mnemonics zur strukturierten Patientenübergabe
  12. 3.1.1   x/cABCDE
  13. 3.1.2   SAMPLER
  14. 3.1.3   OPQRST
  15. 3.1.4   qSOFA
  16. 3.1.5   BEFAST
  17. 3.2   Übergaberaster
  18. 3.2.1   ISOBAR
  19. 3.2.2   SBAR
  20. 3.2.3   ATMIST
  21. 3.2.4   BAUM
  22. 4   Strukturiere Patientenanmeldung in der Notaufnahme
  23. Hannes Breitinger
  24. 5   Fallbeispiele
  25. 5.1   Fallbeispiel 1
  26. Sofia Fröhlich
  27. 5.2   Fallbeispiel 2
  28. Patrick Michelmann
  29. 5.3   Fallbeispiel 3
  30. Patrick Michelmann
  31. 5.4   Fallbeispiel 4
  32. Patrick Michelmann
  33. 5.5   Fallbeispiel 5
  34. Patrick Michelmann
  35. 5.6   Fallbeispiel 6
  36. Katharina Schmid
  37. 5.7   Fallbeispiel 7
  38. Katharina Schmid
  39. 5.8   Fallbeispiel 8
  40. Katharina Schmid
  41. 5.9   Fallbeispiel 9
  42. Caroline Eckhardt
  43. 5.10 Fallbeispiel 10
  44. Caroline Eckhardt
  45. 5.11 Fallbeispiel 11
  46. Caroline Eckhardt
  47. 5.12 Fallbeispiel 12
  48. Michael Zoll
  49. 5.13 Fallbeispiel 13
  50. Michael Zoll
  51. 5.14 Fallbeispiel 14
  52. Michael Zoll
  53. 5.15 Fallbeispiel 15
  54. Caroline Eckhardt
  55. 5.16 Fallbeispiel 16
  56. Sofia Fröhlich
  57. 5.17 Fallbeispiel 17
  58. Michael Zoll
  59. 5.18 Fallbeispiel 18
  60. Christoph Armbrust
  61. 5.19 Fallbeispiel 19
  62. Caroline Eckhardt
  63. 5.20 Fallbeispiel 20
  64. Caroline Eckhardt
  65. 5.21 Fallbeispiel 21
  66. Christoph Armbrust
  67. Die Autorinnen, die Autoren

Abkürzungsverzeichnis

 

 

AAO

Alarm und Ausrückordnung

AF

Atemfrequenz

ACS

Acute Coronary Syndrom = Akutes Koronarsyndrom

ÄND

Ärztlicher Notfalldienst

AZ

Allgemeinzustand

BB

Blutbild

Bds.

Beidseits

BIPAP

Biphasischer positiver Atemwegsdruck

BZ

Blutzucker

CK

Creatinkinase

CKMB

Isoenzym der Creatinkinase (MB steht für muscle-brain-type)

COPD

Chronic Obstructive Pulmonary Disease

CRP

C-Reaktives Protein

CRM

Crew Resource Management – Strategien und Konzepte zur Vermeidung von Fehlern im Bereich der Human Factors im Team

DMS

Durchblutung, Motorik, Sensibilität

DOAK

Direkte orale Anikoagulantien

CVRF

Cardiovasculäre Risikofaktoren

ERC

European Resuscitation Council

FAST

Schnelltest zur Erkennung eines Schlaganfalls: Face, Arms, Speech, Time

FFP

Fesh Frozen Plasma

GCS

Glasgow Coma Scale

HF

Herzfrequenz

HNR

Hausnotruf

HWS

Halswirbelsäule

ILS

Integrierte Leitstelle

ITW

Intensivtransportwagen

i. v.

intravenös

KG

Körpergewicht

KHK

Koronare Herzkrankheit

KMS

Kommunikationssystem

KTW

Krankentransportwagen

NA

Notarzt

NEF

Notarzteinsatzfahrzeug

NFS

Notfallsanitäter

NotSanG

Notfallsanitätergesetz

NRS

Numerische Rating Scale

NSTEMI

Non-ST-Segment Elevation Myocardial Infarction = Nicht-ST-Hebungsinfarkt

o. B.

ohne Befund

OG

Obergeschoss

OPQRST

Mnemonics zur Erfassung der Schmerzanamnese

OSG

Oberes Sprunggelenk

PEEP

Positive Endexspiratory Pressure

Pmax

maximale Druckbegrenzung

PPSB

Prothrombin-Komplex

PSA

Persönliche Schutzausrüstung

PSNV

Psychosoziale Nachsorge

RD

Rettungsdienst

ROSC

Return of Spontaneous Circulation

RR

Riva Rocci

RTH

Rettungshubschrauber

RTW

Rettungswagen

SAMPLER

Mnemonics zur Anamneseerhebung

SBAR

Mnemonics zur Übergabe von Patienten

SQR

Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg

STEMI

ST-Segmentelevation Myocardial Infarction = ST-Hebungsinfarkt

STU

Schnelle Traumauntersuchung

TAA

Tachyarrhythmia absoluta

TCPR

Telefonreanimation

TEP

Totalendoprothese

TIA

Transitorische ischämische Attacke

V. a.

Verdacht auf

VRS

Visuelle Rating Skala

VU

Verkehrsunfall

WASB

Vereinfachte Version der Glascow Coma Scale: Das Bewusstsein wird in wach, reagiert auf Ansprache, reagiert auf Schmerzreiz, bewusstlos eingeteilt.

ZKS

Zentrale Koordinierungsstelle

4HITS

Herzbeuteltamponade, Intoxikation, Thrombembolie, Spannungspneumothorax

4Hs

Hypoxie, Hypovolämie, Hypothermie, Hyper-Hypokaliämie

10-für-10

Das »10 Sekunden für 10 Minuten-Prinzip«: ein Team Time-out zur Koordination des Teams, auch unter Zeitdruck

Vorwort

Rolf Dubb und Katharina Schmid

Von der Erstversorgung des Patienten1 bis zur endgültigen Versorgung im klinischen Setting sind verschiedene Übergaben zwischen unterschiedlichen Professionen und Strukturen notwendig. Als Herausforderung kommt hinzu, dass die verschiedenen handelnden Personen zum Teil einen unterschiedlichen Ausbildungstand oder verschiedene soziale und berufliche Prägung haben (Schnell et al., 1999). Eine umfassende und lückenlose Weitergabe aller relevanten Informationen ist hierbei unerlässlich (Sieber, 2009; Rossi, 2019).

Der Rettungsdienst übernimmt am Notfallort den Patienten von den Angehörigen. Möglicherweise ist bereits der Hausarzt oder ein »First-Responder-Team« vor Ort. Hierbei ist es wichtig, systematisch und strukturiert das primäre Notfallereignis und alle relevanten und für den weiteren Behandlungsverlauf notwendigen Hintergrundinformationen abzufragen, zu clustern, zu dokumentieren und bei der späteren Klinikübergabe zu berichten. Zu Beginn der Behandlung steht nicht die Diagnose, sondern mehr oder weniger ausgeprägte Symptome. Diese werden strukturiert abgearbeitet, behandelt und führen zu einer Arbeitshypothese bzw. einer Arbeitsdiagnose. Diese Daten stehen im Fokus der Behandlung und müssen im weiteren Verlauf lückenlos und umfassend weitergegeben werden (Rossi, 2019; Barzen et al., 2016), um eine umfassende und adäquate Behandlung einzuleiten. Fehler entstehen hier durch unstrukturierte Erfassung, fehlende Dokumentation, Nichteinhaltung von Empfehlungen und Leitlinien und Missverständnissen (Lutzenberger et al., 2012).

Neben der originären, primär medizinischen Versorgung ist der Rettungsdienst auch für die erste Erhebung der notwendigen patientenbezogenen Grunddaten zuständig. Hierzu gehören das Überprüfen und Sicherstellen der korrekten Identität (Name, Vorname, Geburtsdatum). Ist der Patient ansprechbar und orientiert, können diese Daten direkt vom Patienten abgefragt und dokumentiert werden. Ist der Patient bewusstseinsgetrübt, zur Person nicht orientiert oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage, seine Identität zu bestätigen, und stehen keine weiteren Informationsquellen zur Verfügung (Personalausweis, Angehörige etc.) kann diesem Patienten eine passagere, unverwechselbare »Arbeitsidentität« zugewiesen werden. Hier könnte eine Kombination von Geschlecht, genauer Notfallort und Rufzeichen RTW eine spätere Zuordnung von Befunden in der Klinik erleichtern.

Die präklinische Versorgung durch den Rettungsdienst ist sehr komplex. Getroffene Entscheidungen beeinflussen auch die weiteren Behandlungsschritte bis in die Klinik. Eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure ist für den Behandlungserfolg der betreuten Patienten unerlässlich. In diesem Buch werden anhand von konkreten Beispielen, angelehnt an reale Situationen, mögliche Lösungswege und Entscheidungshilfen aufgezeigt.

Literatur

Barzen, S., Schweigkofler, U., Hoffmann, R. (2016). Präklinik und Klinik: Treffen hier zwei Welten aufeinander? Rettungsdienst, 39, 1184–1189.

Lutzenberger, T., Wutzler, S., Marzi, I. et al. (2012). Schnittstelle Rettungsdienst-Klinik: Die Übergabe im Trauma-Zentrum. Rettungsdienst, 35, 1154–1157.

Rossi, R. (2019). Konzepte für eine strukturierte Patientenübergabe. Notfall + Rettungsmedizin. doi: 10.1007/s10049-019-0599-8

Schnell, R., Hill, P.B., Esser, E. (1999). Methoden der empirischen Sozialforschung. 6. Aufl. München: Wissenschaftsverlag.

Sieber, R. (2009). Strukturierte Patientenübergabe, Schritt für Schritt durch den komplexen Ablauf an der Schnittstelle Rettungsdienst-Notfallstation. star of life, 2, 17–21.

1     Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in diesem Text bei personenbezogenen Bezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet. Diese schließt, wo nicht anders angegeben, alle Geschlechtsformen ein (weiblich, männlich, divers).

1          Patientenübergabe: Grundlagen

Rolf Dubb

Das Zusammenwirken von unterschiedlichen Professionen und Strukturen im Setting der oftmals komplexen Realität setzt eine klare, einheitliche Kommunikationsebene bei der Übergabe voraus (Schnell et al., 1999). Dies ist umso wichtiger, je komplexer sich die Situation oder der Sachverhalt darstellt.

Eine verbindende Klammer ist das strukturierte Teamtraining nach den Grundsätzen des Crew Resource Management (CRM). Hier werden u. a. Kommunikationsstrukturen systematisch trainiert und eingeübt, mit dem Ziel, die relevanten Informationen während der Patientenübergabe strukturiert anzusprechen.

Eine gute und strukturierte Kommunikation ermöglicht die notwendige Aufmerksamkeit, die Entscheidungsfindung und die daraus folgende zielorientierte Verteilung der nächsten Aufgaben im Team. Nicht nur das medizinische Fachwissen steht im Fokus, sondern die Bereitstellung einer wertebasierten, interprofessionellen Plattform mit dem Ziel, den größtmöglichen Nutzen für den kritisch Erkrankten oder lebensbedrohlich verletzten Patienten sicherzustellen. Die lückenlose Weitergabe aller relevanten Informationen ist unerlässlich (Sieber, 2009; Rossi, 2019).

Erster Ansprechpartner für die Angehörigen oder Bezugspersonen ist der Rettungsdienst. Ihm fällt die Aufgabe zu, relevante Informationen zu extrahieren, zu dokumentieren und entsprechend weiterzugeben (Rossi, 2019; Barzen et al., 2016). Fehlende Dokumentation und Missverständnisse sind oftmals ursächlich für die Fehlerentstehung (Lutzenberger et al., 2012).

Der Patient wird mit diesen erhobenen Daten in der Klinik vorangemeldet und den Erfordernissen entsprechend entweder über die Notaufnahme oder den Schockraum aufgenommen. Insbesondere die Übergabe im Schockraum ist geprägt von extremen Belastungen, die einerseits patientenbezogen vorhanden sind (Kreislaufsituation, Tubus, Drainagen, Katheter etc.) und andererseits ergänzt werden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Professionen. Gerade hier ist eine gute und klare Struktur mit einheitlicher Sprache und definierten Scores (z. B. cABCDE) für die Übergabe von der Präklinik in die Klinik wichtig.

Während der Übergabe gilt der Grundsatz »Hands off«. Alle nicht vital notwendigen Maßnahmen pausieren, der Teamleiter des Rettungsdienstes übergibt den Patienten an den Schockraum-Leader. Während dieses Prozesses hören alle Beteiligten aufmerksam zu. Inhaltlich werden die korrekten administrativen Angaben zum Patienten, soweit diese bekannt sind, genannt, sowie der Zustand des Patienten und dessen Verletzungsmuster bzw. der Zustand der akuten Erkrankung und die bisher durchgeführten Maßnahmen. Weitere Maßnahmen (z. B. Blutabnahmen, Kreuzblut etc.) werden sicher dokumentiert.

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Idealerweise wird durch den Träger des Rettungsdienstes und die entsprechende Zielklinik ein einheitliches Verfahren der Patientenübergabe etabliert und relevante Informationen schon vorab an die Zielklinik übermittelt.

Neben alle korrekten administrativen Angaben sollten die Haus- bzw. Fachärzte des Patienten und der entsprechende Medikamentenplan inklusive Allergien oder Unverträglichkeiten übergeben werden. Vorerkrankungen und die letzten Klinikaufenthalte vervollständigen den ersten Überblick. In diesem Kontext sind Hinweise auf multiresistente Keime (MRSA, VRE, MRGN etc.), akute Infektionen oder sonstige Risikofaktoren hilfreich, wenn diese Informationen vorliegen. Die häusliche Versorgungssituation kann für die spätere Planung der Entlassung wertvoll sein und sollte mit übergeben werden. Hier sind Hinweise auf die Wohnsituation (Aufzug, Versorgung mit Lebensmitteln, Pflegebett, Sauerstoff etc.) von Bedeutung. Möglicherweise hat der Patient eine Patientenverfügung und/oder eine Vollmacht oder hat sich während des Transportes diesbezüglich geäußert. Die letzte Mahlzeit, soweit bekannt, rundet die Übergabe ab.

Strukturierte Übergaben helfen mit, unerwünschte Ereignisse und deletäre Komplikationen im weiteren klinischen Verlauf zu minimieren oder gar ganz zu vermeiden. Grundlage ist das cABCDE-Schema, das dann durch weitere geeignete Konzepte, wie z. B. das ISOBAR-Schema, ergänzt wird, um alle relevanten Informationen systematisch, nachvollziehbar, umfassend, inhaltlich sicher und korrekt weiterzugeben (Rossi, 2019; von Drossow & Zwißler, 2016).

Literatur

Barzen, S., Schweigkofler, U., Hoffmann, R. (2016). Präklinik und Klinik: Treffen hier zwei Welten aufeinander? Rettungsdienst, 39, 1184–1189.

Lutzenberger, T., Wutzler, S., Marzi, I. et al. (2012). Schnittstelle Rettungsdienst-Klinik: Die Übergabe im Trauma-Zentrum. Rettungsdienst, 35, 1154–1157.

Rossi, R. (2019). Konzepte für eine strukturierte Patientenübergabe. Notfall + Rettungsmedizin. doi: 10.1007/s10049-019-0599-8

Schnell, R., Hill, P.B., Esser, E. (1999). Methoden der empirischen Sozialforschung. 6. Aufl. München: Wissenschaftsverlag.

Sieber, R. (2009). Strukturierte Patientenübergabe, Schritt für Schritt durch den komplexen Ablauf an der Schnittstelle Rettungsdienst-Notfallstation. star of life, 2, 17–21.

Von Drossow, V., Zwißler, B. (2016). Strukturierte Patientenübergabe in der perioperativen Phase – Das SBAR Konzept. Anästh Intensivmed, 57, 88–90.

2          Fokus Übergabe: Ursachen für Fehler, die Bedeutung der »menschlichen Faktoren« (Human Factors) und wichtige Tipps für die Erhöhung der Patientensicherheit

Marcus Rall

Übergaben sind aus Sicht der Patientensicherheit eine wichtige und anspruchsvolle Phase in der Versorgung von Notfallpatienten (Raduma-Tomàs et al., 2011). Typischerweise sind es Teams, die den Patienten bis zur Übergabe versorgt haben, und ihn dann an ein anderes Team übergeben. Da die Übergaben oft unter einem gewissen Zeitdruck (Notfall) ablaufen, einen komplexen Sachverhalt betreffen (einen Patienten mit allen Informationen), auch mitten in der Nacht stattfinden können (Müdigkeit/Aufmerksamkeit), sind Übergaben in der Notfallmedizin hoch anspruchsvoll und alles andere als trivial (Rall et al., 2020). Gleichzeitig ist eine gute und richtige Übergabe entscheidend für die weitere Behandlung des Patienten. Es ist also wichtig, ob sie gut oder schlecht gemacht wird. Schon kleine Fehler (Auslassungen) können für den Patienten dramatische Folgen haben.

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Abb. 2.1: Übergabe in der Notfallmedizin (eigene Darstellung)

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Wie beim Staffellauf muss sich das Team unter Zeitdruck koordinieren, die Qualität der Übergabe ist sehr wichtig und Fehler (Stab fällt zu Boden) sind besonders schwerwiegend. Wie im Sport gilt: Übung im Team macht den Meister! (Rall et al., 2018; Rall, 2010)

Unsere Teams sind bei Übergaben also extrem gefordert. In diesem Kapitel möchten wir einen Einblick in Herausforderungen, typische Fehlerquellen und mögliche Strategien vermitteln.

Herausforderungen im Bereich menschliche Faktoren

•  Zuerst Patient begrüßen
Falls Patienten ansprechbar sind, existiert ein nachvollziehbarer Impuls, zunächst den Patienten zu begrüßen und sich vorzustellen. Dies ist im Prinzip auch okay, birgt aber das Risiko, dass mit dem Patienten sofort ein Gespräch begonnen wird, welches dann in Konflikt mit der Übergabe kommen kann.

•  Erst mal einen kurzen Überblick über den Patientenzustand verschaffen
Auch dies ist ein eigentlich guter und verständlicher Plan, möchte man doch schnell selbst schauen, ob es ganz dringenden Handlungsbedarf gibt und in welchem Zustand der Patient ist. Dies ist eng verknüpft mit dem Impuls oben »Patient begrüßen«. Doch auch hier besteht das Dilemma, dass man, solange man den Patienten untersucht oder das EKG analysiert, nicht gut zuhören kann.

•  Zeitdruck
In der Notfallmedizin herrscht oft ein gewisser Zeitdruck, weil der Patient so kritisch krank ist oder weil viele andere Patienten zu versorgen sind etc. Dieser subjektive Zeitdruck kann bei Übergaben Hektik und Stress verstärken und dadurch die Qualität (quantitativ und qualitativ) negativ beeinflussen (Rall et al., 2019).

•  Viele Infos in kurzer Zeit
Es gilt oft, eine große Anzahl an Informationen zu vermitteln und zu verarbeiten. Viele der Informationen sind dabei wichtig und manchmal wird erst im Verlauf und weiteren Kontext klar, was besonders wichtig gewesen wäre.

•  Impuls, die Übergabe sofort zu machen
Oft hat das Teammitglied, das den Raum neu betritt, den Wunsch, sofort zu erfahren, was los ist. Auf der anderen Seite hat das Team vor Ort oft den Impuls, einem Dazukommenden sofort eine Übergabe machen zu müssen (wollen). Dabei ist bei genauerer Betrachtung dieser Impuls des »Sofortmachens« oft eigentlich gar nicht gegeben. Das Teammitglied hätte ja z. B. auch zwei Minuten später dazukommen können.

Typische Fehler

•  Es wird nicht zugehört.

•  Es wird nicht gewartet, bis jemand zuhört.

•  Man spricht zu schnell, zu viel und ohne schriftliche Unterstützung.

•  Während der Übergabe wird am Patienten manipuliert/umgelagert etc.

•  Die Struktur der Übergabe ist nicht klar (und ggf. chaotisch).

•  Man gerät in die »Multitasking-Falle«: Man versucht mit dem Patienten zu reden oder ihn zu untersuchen und »nebenher« bei der Übergabe zuzuhören. Da Menschen sehr schlecht im Multitasking sind, gehen dabei regelmäßig Informationen verloren. Das Problem ist dabei doppelt: Derjenige, der die Übergabe macht, fühlt sich ignoriert und despektierlich behandelt, weil er merkt, dass man ihm nicht zuhört, und derjenige, der Multitasking versucht, gerät in Stress ob dieser Mehrfachanforderung. Es kommt zu Missmut und Teamkonflikten, während gleichzeitig Informationen verloren gehen und man nicht einmal weiß, was man nicht weiß!

•  Die Übergabe findet ohne Merkhilfen statt (Struktur, Inhalte, Reihenfolge etc.), oft mit fehlenden Informationen.

•  Die Übergabe findet ohne schriftliche Dokumentation der Inhalte statt (Verlust von Informationen).

•  Man nimmt sich keine Zeit für Rückfragen des Empfängers.

•  Man betont nicht die wirklich wichtigen Dinge (das Wichtige geht dann in vielen anderen »belanglosen« Informationen unter)! Man verzichtet auf eine Zusammenfassung mit dem Empfänger.

•  Man nimmt sich zu wenig Zeit für die Übergabe.

•  Man macht die Übergabe an die falsche Person (was zu Infoverlust und Notwendigkeit für eine erneute Übergabe führt).

Tipps und Strategien zur Optimierung von Übergaben (Rall et al., 2020)

•  Übergaben sind wichtiger und integraler Bestandteil einer guten Patientenversorgung, nicht Anhängsel oder lästige Pflicht.

•  Übergaben sind wie die Visitenkarte für die Patientenbehandlung und reflektieren den Übergabeempfängern ein Bild von der Professionalität des Übergebenden. Wer seinen Patienten gut behandelt hat, möchte ihn auch gut weiterbehandelt wissen.

•  Übergaben sind sehr anspruchsvoll (s. o.) und sollten nicht unterschätzt werden. Es sind oft viele komplexe Informationen zu übermitteln und Fehler können verheerende Auswirkungen haben!

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Konkrete Tipps (Rall et al., 2020)

•  Ein festes Übergabeschema/Muster erhöht die Sicherheit und Vollständigkeit der Informationen enorm. Dies kann idealerweise schriftlich vorliegen oder wirklich auswendig gelernt werden. Idealerweise verwenden alle dasselbe Schema (siehe ISOBAR in image Kap. 3.2.1). Gut geeignet sind auch kurze Merkhilfen innerhalb der Übergabe, z. B. SAMPLER, cABCDE oder PQRST (s. u.).

•  Die Infos sollten immer auch schriftlich festgehalten werden.

•  Bevor man mit der Übergabe beginnt, muss der Patient überprüft werden. Ist er stabil für die Zeit der Übergabe?

•  Es sollte gecheckt werden, ob man an die richtige Person übergibt und alle da sind, die die Übergabe hören sollen.

•  Fragen Sie, ob der andere für die Übergabe bereit ist! Ggf. muss kurz gewartet werden.

•  Dem dazukommenden Team sollte kurz Zeit gelassen werden, um sich beim Patienten vorzustellen und sich ein kurzes Bild von ihm und den Vitalwerten machen zu können (ein paar Sekunden!). Dann erst kann mit Übergabe begonnen werden.

•  Wenn man dazukommt, sollte nicht sofort nach der Übergabe gefragt werden, sondern man sollte reinkommen, sich orientieren, die Situation einschätzen, ggf. erstmal helfen/unterstützen, dann die Übergabe anfordern und ggf. fragen, ob das Team bereit ist für die Übergabe.

•  Wichtige Informationen betonen und ggf. mit »closed loop« bestätigen lassen

•  Am Ende nochmal die wichtigsten Infos, Verdachtsdiagnosen, Sorgen, die man sich macht, und »To-dos« zusammenfassen

•  Zeit für offene Fragen und Rückfragen geben und beantworten

•  Dokumentation der Übergabe und Infos

•  Danke sagen

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Mehr zur Optimierung der Patientensicherheit und der Zusammenarbeit im Team unter Nutzung von CRM finden Sie in Rall, M., Schmid, K., Langewand, S., Op Hey, F. (2020). Crew Resource Management (CRM) für die Notaufnahme. Stuttgart: Kohlhammer.

Literatur

Raduma-Tomàs, M.A., Flin, R., Yule, S., et al. (2011). Doctors’ handovers in hospitals: a literature review. BMJ Quality & Safety, 20, 128–133, doi: 10.1136/bmjqs.2009.034389

Rall, M. (2010). Notfallsimulation für die Praxis. Notfallmedizin up2date, 5(4), 277–298, doi: 10.1055/s-0030-1250654

Rall, M., Op Hey, F., Langewand, S. (2018). Die Rolle von Simulationstrainings für Notfallsanitäter – jetzt und in Zukunft. retten!, 7(5), 380-385, doi: https://doi.org/10.1055/a-0586-9911

Rall, M., Huckels, B., Sandhäger, D. et al. (2019). Stopp in letzter Sekunde – Stop-Injekt: Check. f&w, 5, 422–425.

Rall, M., Schmid, K., Langewand, S., Op Hey, F. (2020). Crew Resource Management (CRM) für die Notaufnahme. Strategien zur Fehlervermeidung und Optimierung der Teamarbeit. Stuttgart: Kohlhammer.

3          Strukturierte Patientenübergabe

Julian Ohmayer

Die Übergabe durch das präklinische Team in der Notaufnahme legt den Grundstein für die weitere Versorgung in der Klinik. Bereits vorhandene Übergabe-Konzepte helfen, diese optimal zu gestalten. Dennoch zeigt eine aktuelle bundesweite Umfrage (Gräff et al., 2021) aus dem Jahr 2020, an der Kollegen aus der Präklinik und Klinik teilgenommen haben, dass diese nicht verbreitet und zum Teil noch nicht einmal bekannt sind. Die Umfrage zeigt, dass 39 % aller Befragten kein Übergabeschema kennen und in Summe 58,8 % zur Übergabe gar kein Schema verwenden oder ein eigenes Schema entwickelt haben (image Abb. 3.1; image Abb. 3.2).

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Abb. 3.1: Auswertung der bundesweiten Umfrage zur Frage: »Welches Übergabeschema der unten genannten ist Ihnen bekannt?« (Gräff, I., Ehlers, P., Seidel, M. et al. (2021). Der Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme. Eine bundesweite Onlineumfrage. Notfall Rettungsmed, 24, 211–222, doi: https://doi.org/10.1007/s10049-020-00750-3https://creative commons.org/licenses/by/4.0/deed.de