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Sandy Palmer

Meine schönsten Liebesgeschichten: Romane und Erzählungen

Meine schönsten Liebesgeschichten: Romane und Erzählungen

Sandy Palmer

Dieser Band enthält folgende Geschichten

von Sandy Palmer:


Der Mann aus dem Urlaubsparadies

Das Glück wohnt am anderen Ende der Welt

Liebeswirren am Nordseestrand

Tausend heiße Liebesnächte

Dich hat mir der Himmel geschickt

Das Glück, von dir geliebt zu werden

Heiße Nächte unter fremden Sternen

Seine begnadeten Hände


Ferien an der Nordsee, in einer gemütlichen kleinen Pension, in der er ungestört lesen und faulenzen kann - darauf hat sich Dr. Julian Breuer seit Wochen gefreut. Doch dann erlebt er eine herbe Enttäuschung: Sein Zimmer ist bereits vergeben. Doch die schöne Angestellte Andrea an der Rezeption weiß Rat...



Einen so spannenden Auftrag hat die Journalistin Ellen Niehaus lange nicht mehr bekommen: Sie soll in Dubai den Schauspieler Dennis Ullmann interviewen, der dort vor Drehbeginn eines Actionfilms Urlaub macht.

Der Traumjob gestaltet sich allerdings ziemlich anstrengend, denn Dennis wohnt nicht, wie angekündigt, im Burj Al Arab. Auf ihrer Suche trifft sie einen ebenso geheimnisvollen wie aufregenden Mann mit dunklen Märchenaugen, der sie Dennis vergessen lässt …





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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER MARA LAUE

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Der Mann aus dem Urlaubsparadies

Sandy Palmer




Mitreißende Geschichte um eine Ferienreise mit Hindernissen



Es ist eine Riesenenttäuschung für Sibylle, als sie erkennen muss, dass ihr Freund nur an ihrem Geld interessiert ist. Von der großen Liebe, an die sie lange geglaubt hat, keine Spur! Aus Enttäuschung bucht sie sich Hals über Kopf einer Reise nach Hawaii. Dort begegnet sie einem faszinierenden Mann, der allerdings ein Geheimnis hütet...


In der eleganten Hotelhalle ging es an diesem Tag extrem hektisch zu. Viele neue Gäste reisten an, unter anderem ein arabischer Scheich mit sage und schreibe vier Frauen und einem Hofstaat, der den ganzen siebten Stock des Luxushotels belegte.

Zu allem Überfluss wurde Sibylles Kollege Sascha krank und Sibylle musste eine Weile für ihn mitarbeiten, bis die Hotelleitung Ersatz gefunden hatte.

„Sagen Sie mal, wo bekomme ich denn noch Opernkarten für heute Abend her? Ihr Kollege sagte, Sie könnten da helfen.“ - „Bitte, kann ich meinen Schlüssel haben?“ - Haben Sie vergessen, mir ein Taxi zu bestellen?“

Die Hotelgäste sprachen wirr durcheinander. Jeder verlangte völlige Aufmerksamkeit, ein charmantes Lächeln und das Gefühl, dass die junge Frau hinter dem Tresen nur für ihn da war. Dabei fiel es Sibylle seit Tagen schwer, ihren Dienst perfekt zu verrichten.

Schuld daran war Alex, ihr Freund, mit seinen Zukunftsplänen.

Plänen, die mit ihren nicht das Geringste zu tun hatten!

„Wir können dieses Jahr nicht in Urlaub fahren“, hatte er ihr vor vier Tagen erklärt und die Prospekte, die Sibylle auf dem Tisch ausgebreitet hatte, einfach beiseite gewischt. „Wir müssen sparen. Jeden Cent.“

„Aha. Und warum, wenn ich fragen darf?“ Konsterniert hatte sie ihn angesehen.

„Weil wir uns ein Haus kaufen werden. Ich hab da ein tolles Angebot, das wir...“

„Wir?“ Sibylle hatte ihren Zorn nur mühsam zügeln können. „Wer sagt denn, dass ich überhaupt ein eigenes Haus will?“

„Aber wir gehören doch zusammen!“ Alex hatte so getan, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt, dass alles, was ihr gehörte, auch sein Besitz war. Und schon erklärte er ungerührt: „Du hast doch ein hübsches Sümmchen von deiner Tante geerbt. Da kannst du doch...“

Genau das war’s: Er hatte Wünsche, schmiedete Pläne, und sie sollte das alles bezahlen.

„Es gibt kein Risiko und keinen Haken an der Sache“, hatte er sie dann noch weiter zu überzeugen versucht. „Das Haus ist superklasse. Eine Toplage! Mit großem Garten. Und für knapp eine halbe Million spottbillig.“

„Du spinnst“, hatte Sibylle nur noch hervorbringen können. die Wut schnürte ihr die Kehle zu. „Hast du vergessen, dass ich gerade mal siebzigtausend Euro geerbt habe und keine halbe Million?“

Alex hatte daraufhin etwas von günstigen Krediten geschwafelt, von günstigen Finanzierungen und einer ungeahnten Möglichkeit, endlich zu etwas Eigenem zu kommen. Aber das hatte Sibylle nicht mehr interessiert.

„Hör auf mit diesem Unsinn“, hatte sie nur noch gesagt und ihn einfach stehenlassen.

Seit dieser Zeit waren sie sich aus dem Weg gegangen. Alex war sauer, weil seine schönen Zukunftsträume zu zerplatzen drohten, und Sibylle war wütend, weil sie erkannte, dass sie mit einem Egoisten reinster Form liiert war.

„Ich geh gleich ins Reisebüro und buch mir irgendwas. Egal, wohin, nur raus hier“, teilte sie ihrer Kollegin Hanni mit, als die endlich kam, um sie abzulösen.

„Aber du hast doch keinen Urlaub!“

„Hab ich doch noch. Etliche Tage sogar. Und falls es sich einrichten lässt, bin ich nächste Woche weg, das schwör ich dir.“

Sie hatte Glück, ihr Chef machte keine Schwierigkeiten, weil der Kollege wieder gesund war und außer Hanni noch eine weitere Kollegin an der Rezeption Dienst tun konnte.

Der Besuch in einem der größten Reisebüros der Stadt verlief so erfolgreich, dass sich Sibylles Laune besserte - was Alex als gutes Zeichen nahm.

Doch er irrte sich gewaltig, denn Sibylle reiste ohne ihn!

Acht Tage nach ihrem letzten großen Streit saß sie im Flugzeug nach Los Angeles, von dort aus würde sie weiterfliegen nach Hawaii. Ein Traumziel. Eine Reise ins Vergessen. Alex, den Job und das verregnete Deutschland würde sie für ein paar Wochen hinter sich lassen!

Im Hotel verzichtete sie auf den Begrüßungscocktail, packte nur ein paar Kleider aus und ging dann gleich zum berühmten Strand von Waikiki.

Glücklich streckte sie sich auf ihrem Badetuch aus und schaute blinzelnd um sich. Ganz links konnte sie den Diamond Head sehen, den großen Vulkan, zu dem sie unbedingt fahren musste. Rechts musste Pearl Harbor liegen, doch diesen geschichtsträchtigen Ort konnte sie von ihrem Platz aus nicht sehen.

„Wenn Sie sich nicht bald eincremen, werden Sie morgen garantiert rot wie eine Tomate sein.“

Mit einem Ruck richtete sich Sibylle auf. Wer riss sie da aus ihren Urlaubsplanungen?

„Sie sind heute erst angekommen, nicht wahr?“ Der Mann ließ sich einfach neben sie in den Sand fallen.

„Stimmt. Aber woher wissen Sie das?“

„Ich lebe schon so lange hier, dass ich einen Blick dafür habe.“ Er lachte leise. „Ich heiße Fabian Hersfeld.“

„Und wie lange sind Sie schon auf Hawaii?“ Sibylle musterte ihn eingehender. Gut sah er aus mit seinem von der Sonne gebleichten Haar, dem gebräunten Gesicht und den klugen Augen, die sie jetzt, da er die Sonnenbrille abgenommen hatte, deutlich erkennen konnte.

„Seit dreieinhalb Jahren. Ich bin hier hängen geblieben. Irgendwie...“ Er sprach nicht weiter, doch sein Gesichtsausdruck war auf einmal unendlich traurig. Der Mann schien sich in der Weite des Meeres zu verlieren. „Wie lange machen Sie denn Urlaub auf Hawaii?“, fragte er ablenkend.

„Eine Woche hier auf Oahu, dann ist Inselhopping angesagt.“ Sibylles Augen leuchteten auf. „Ich bin wahnsinnig gespannt auf die Garteninsel Kauai. Das ist mein Traumziel, wenn ich mich hier am Strand ein bisschen ausgeruht habe.“

„Ich bin mir sicher, Sie werden begeistert wein. Hawaii ist wirklich noch ein Paradies. Wenn auch mit ein paar gravierenden Schönheitsfehlern.“ Er wies mit der Hand hinüber zu den Hotelburgen, die sich gerade hier in Waikiki den ganzen Strand entlang zogen. „Doch wenn man sich den Blick fürs Ursprüngliche bewahrt, dann kann man über den Massentourismus besser hinwegsehen“, fuhr Fabian Hersfeld fort.

„Wenn’s den nicht gäbe, wäre ich ja auch nicht hier“, fuhr Sibylle fort.

„Und das wäre traurig.“ In Fabians Blick las sie vorsichtiges Werben. „Darf ich Ihnen ein bisschen von der Insel hier zeigen?“

Sibylle zögerte einen Moment, dann nickte sie zustimmend.

„Fein! Wenn Sie wollen, fangen wir gleich morgen an. Heute muss ich leider noch mal in meine Praxis. Ich bin Arzt und praktiziere in Pearl Harbor.“ Er erhob sich. „So, es ist Zeit für mich, aufzubrechen.“

Sie verabredeten sich für den kommenden Tag, elf Uhr früh, in der Hotelbar. Dann ging Fabian mit einem letzten Winken davon.

Sibylle sah ihm nachdenklich hinterher. So sehr er sie auch beeindruckt hatte - ein Geheimnis schien ihn zu umgeben. Er wirkte trotz seiner Offenheit traurig. Und auch ein bisschen rätselhaft. Ob er sie ins Vertrauen ziehen würde, wenn sie sich ein wenig besser kannten?


*


Fabian war ein wundervoller Fremdenführer. Die Stunden in seiner Begleitung vergingen viel zu schnell. Er zeigte Sibylle Honolulu und entführte sie anschließen zur Hanauma Bay. Dort erlebten sie den Sonnenuntergang. Ganz ruhig lag der Ozean da, als der glutrote Ball sich immer tiefer senkte... und endlich als goldroter Schimmer am Horizont verlosch.

„Traumhaft schön ist das.“ Sibylle lehnte sich an eine Palme. Die meisten Touristen blieben in Waikiki, und so hatte sie in diesem Moment das Gefühl, wirklich im Paradies zu sein.

Allein mit einem geheimnisvollen Adam...

„Mein Lieblingsplatz“, gestand Fabian. „Ich komme immer hierher, wenn ich abschalten und den Tagesstress vergessen will.“

„Danke, dass Sie mich mitgenommen haben.“

Wie von selbst näherten sich ihre Gesichter einander. Fabian streckte die Hand aus, legte sie sanft um Sibylles Wange und zog ihren Kopf noch ein wenig näher. Ihr erster Kuss... süß, zärtlich und von einer Innigkeit, die Sibylle Tränen in die Augen trieb.

„Danke“, flüsterte Fabian dicht an ihren Lippen. „Danke, dass du hergekommen bist.“

Sie wollte fragen, was er damit meinte, wollte wissen, warum wieder diese unbestimmte Traurigkeit in seiner Stimme mitschwang, doch sein nächster Kuss löschte alle Fragen aus.

So blieb es die nächsten Tage über. Wann immer Fabian sich aus seiner Praxis loseisen konnte, fuhr er mit Sibylle über die Insel und zeigte ihr die verborgenen Schönheiten.

Sie besichtigten eine der vielen Ananasplantagen, flogen mit einem von Fabians vielen Freunden hinüber nach der Insel Hawaii, wo sie hoch zum Kilauea gebracht wurden, dem immer noch aktiven Vulkan, an dessen einer Seite auch heute noch glühende Lava ins Meer floss.

„Er ist eigentlich nur ein Nebenvulkan des Mauna Loa, und er gilt als der aktivste Vulkan der Welt“, erzählte Fabian. „Die Wissenschaftler haben errechnet, dass in den letzten Jahrzehnten alle elf Monate - im Durchschnitt gerechnet natürlich - eine Eruption stattfand.“

„Das ist beängstigend.“

„Die ganzen Inseln sind aus Lavaströmen geboren. Der größte hier, der Mauna Kea, ist 4205 Meter hoch. Aber man muss beachten, das er unterirdisch noch enorme Ausmaße hat. Ca. 5500 Meter - und somit ist er der höchste Berg der Welt.“

Sibylle war beeindruckt, doch sie gestand sich auch ein, dass ihr diese Vulkane Angst machten. Sie war froh, als sie zurück auf Oahu waren.

Schöner waren da der Tropical Botanical Garden mit seinen fast zweitausend verschiedenen Pflanzen. Und die mächtigen Banyan-Bäume entlang des Banyan-Drive. Sie bewunderte die riesigen aus Koa-Holz geschnitzten Idole am Strand, Zeugen der alten hawaiianischen Kultur.

Sie fuhren durch riesige Zuckerrohrfelder, besichtigten eine Ranch, und der Besitzer, der mit Fabian befreundet war, lud sie für den Abend zu einem traditionellen Fest ein.

Sibylle fühlte sich in eine andere Welt versetzt, und es kam in ihren Augen beinahe einem Kulturschock gleich, als sie nach Waikiki zurück fuhren. In diese von Touristen bevölkerte, laute und vollkommen amerikanische Stadt.

Ganz anders verlief der Besuch in Pearl Harbor, hier gedachten sie am USS Arizona Memorial in aller Stille der vielen Toten, die beim unerwarteten Angriff der japanischen Luftflotte gestorben waren. Sie schauten hinab zum Wrack der Arizona, die nach einer Magazinexplosion gesunken war und zum Grab für mehr als eintausend amerikanische Soldaten wurde.

„Ich wünschte, es gäbe nie wieder einen Krieg auf dieser Welt“, flüsterte Sibylle und lehnte für einen Moment den Kopf an Fabians Schulter.

„Das wäre wundervoll - aber es wird wohl eine Illusion bleiben. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir Menschen jemals ganz friedlich miteinander leben können.“ Dabei presste er die Lippen fest zusammen, und für ein paar Minuten schien sich ein dunkler Schleier über den sonnigen Tag gelegt zu haben.

Aber schon bald gewann der Zauber der Insel die Oberhand, sie genossen die Sonne, den Strand, die versteckten Bars am Wasser, in die sich kaum ein Tourist verirrte und wo sie ungehindert Zärtlichkeiten austauschen konnten.


*


Eine Woche im Paradies. Eine Woche vollkommenen Glücks... Sibylle schmiegte sich an Fabian und blickte hinüber zum Hafen. Er hatte sie in sein Haus eingeladen, ein altes Holzgebäude, das sich wie schutzsuchend an den Berghang schmiegte. Es war Sibylles letzte Nacht auf Oahu - oder Big Island, wie viele sagten - und die erste, die sie und Fabian zusammen verbrachten.

Am nächsten Morgen begann ihr Ausflug, der sie von Insel zu Insel führen sollte. Ein kleines Flugzeug brachte sie nach Hawaii, der größten Insel des Archipels. Hier, im Reich der Vulkangöttin, wie die Ureinwohner dieses Stück Erde bezeichneten, brodelte der große Vulkan Kilauea Tag und Nacht. Diesmal durchquerte Sibylle den Nationalpark mit etlichen anderen Touristen, doch sie erfuhr nicht ganz so viel über dieses Gegend wie vor Tagen, als sie mit Fabian und seinem Freund hier gewesen war.

Dennoch beeindruckte sie die Vulkanlandschaft auch jetzt wieder, diese dunkle, dampfende Lavawüste, unter der es doch immer wieder brodelte, und oft floss ganz unerwartet ein glühender Lavastrom über das schon erstarrte Geröll.

Alles war faszinierend. Und doch sehnte sie sich immer stärker zurück nach Fabian.

Ob es ihm ähnlich erging? Oder war sie für ihn nur ein Flirt gewesen? Eine von vielen Touristinnen, die ihm den Alltag für ein paar Stunden verschönten? Eine Frau, mit der man ein amüsantes Abenteuer erlebte, die man dann aber rasch wieder vergaß?

Der Gedanke, dass es so sein könnte, trieb ihr die Tränen in die Augen.

Doch es blieb nicht viel Zeit für Melancholie. Die Reise ging weiter.

Die beiden winzigen Inseln, noch kaum vom Tourismus erschlossen, begeisterten sie ebenso wie der Ausflug mit einem schnellen Segelboot. Delphine sprangen aus dem Wasser, es wirkte so, als begrüßten sie mit ihren Sprüngen die Besucher aus einer anderen Welt.

Die Zeit verging wie im Flug, und die Rückkehr nach Oahu stand bevor.

Am Abreisetag ging es Sibylle gar nicht gut. Sie hatte Fieber, ihr war übel, und irgendwie hatte sie das Gefühl, alles wie durch einen Nebel zu sehen. Doch energisch riss sie sich zusammen. Nur keine Schwäche zeigen! Den Abflug nur nicht gefährden!

Fabian wartete!

Er stand wirklich in der Hall des Flughafens und wartete mit einem weiß-lilafarbenen Orchideenkranz auf sie. Doch die Blütenkette fiel achtlos zu Boden, als er sah, dass sich Sibylle kaum noch auf den Beinen halten konnte.

„Liebling...“ Seine Stimme, sein Arm, der sie hielt, waren das letzte, was Sibylle für lange Zeit wahrnahm. Das Fieber tobte durch ihren Körper. Nicht einmal, dass Fabian Tag und Nacht an ihrem Bett saß, bekam sie mit.

Und dann, in der vierten Nacht, flatterten Sibylles Lider plötzlich, und ihre Hände glitten unruhig über die Bettdecke - sie sie von einer großen warmen Hand umfasst wurden.

„Ich bin da, Liebes, ganz ruhig...“

„Fabian?!“ Wie ein Hauch nur klang ihr Name, doch der Arzt atmete erleichtert auf.

„Ja!“ Und dann fühlte sie seine Lippen auf den ihren - und alles war gut.

Tief war der Schlaf, in den sie nun wieder fiel. Tief und erholsam. Nur ein Gedanke machte ihr Angst, als sie wieder wach wurde: „Mein Flug geht am zwanzigsten. „Wie... wie lange ist es noch bis dahin?“

„Übermorgen ist der zwanzigste“, erwiderte Fabian ruhig. „Aber ich denke, dass du dann noch nicht transportfähig sein wirst. Ich werde das attestieren.“ Er streichelte ihr Gesicht. „Glaubst du, ich lasse dich so schnell wieder aus meinem Leben gehen?“

Sibylle senkte den Kopf. So rasch nicht... aber bald. Sie konnte nicht ewig hier auf Hawaii bleiben. Konnte nicht so tun, als sei ihre Welt in Deutschland völlig unwichtig geworden.

Immer wieder, wenn sie aus den tiefen Erschöpfungs-Schlafphasen erwachte, malte sie sich aus, wie es sein könnte, wenn sie hier auf Hawaii bliebe. Bei Fabian...

Doch dann war sie zu schwach, um weiter darüber nachzudenken. Um zu grübeln, was wäre, wenn sie ohne ihn weiterleben müsste.

Oder mit ihm...

Es waren wirre Gedanken, die sich nie ganz festhalten ließen, denn sie schlief immer wieder ein. Aber wenn sie erwachte, war Fabian da.

Und das machte sie glücklich.

Noch...

Zehn Tage später war es soweit: Sibylle musste heim fliegen. Sie fühlte sich wieder gesund und stark. Wenn auch traurig. Unendlich traurig.

„Wir sehen uns wieder“, versicherte Fabian. „Ich liebe dich. Vergiss das nicht - ich liebe dich.“

Dann kam der letzte Kuss. Süß und bitter zugleich und von einer Wehmut, die schmerzte.


*


In Deutschland war inzwischen Altweibersommer. Spinnweben schwebten durch die Luft, und die ersten bunten Blätter kündeten vom nahen Herbst.

Alex hatte einen großen Strauß Blumen dabei, als er Sibylle am Flughafen abholte.

Doch sie musste an die gelben und rosefarbenen Hibiskusblüten denken, die um um Fabians Haus wuchsen und ihren zarten Duft verströmten.

„Hibiskus ist die Nationalblume unserer Insel“, hatte er ihr erklärt. „Wer einen Garten anlegt, pflanzt zuerst einmal ein paar Hibiskussträucher.“

Bei diesen Worten hatte sich wieder diese unbestimmte Trauer in seinen Augen gespiegelt, für die Sibylle einfach keine Erklärung gefunden hatte. Doch dass es da etwas in seiner Vergangenheit gab, über das er nicht hinwegkam, dessen war sie sich sicher.

„Sag mal, träumst du? Ich hab dich schon zwei Mal gefragt, ob wir zu dir oder zu mir fahren sollen.“ Alex legte besitzergreifend den Arm um ihre Schultern.

Sibylle liebt abrupt stehen. Sie waren noch auf dem Parkplatz des Flughafens. Alex trug ihren Koffer, sie hielt in der einen Hand den Strauß, in der andern ihre kleine Reisetasche.

„Es tut mir leid, aber...“ Sie schluckte, dann fuhr sie entschlossen fort: „Ich mache Schluss, Alex. Wir sind einfach zu verschieden. Du und ich... das ist vorbei.“

Ungläubig starrte er sie an. „Du hast dir wohl einen anderen angelacht?“ Alex ließ den Koffer aus der Hand fallen und rüttelte Sibylle an den Schultern. „Gib’s doch endlich zu!“

Sie nickte nur. „Ja, ich habe einen anderen Mann kennengelernt. Einen, der mir viel bedeutet. Aber ich werde ihn wohl nie wieder sehen.“

„Ach so!“ Alex grinste. „Du musstest den obligatorischen Ferienflirt haben, verstehe. Na und, Schätzchen? Ich bin doch nicht kleinlich. Das nächste Mal verreise ich, dann gibt’s eben Revanche.“

„Du bist - unmöglich!“ Sibylle fühlt Wut und Entsetzen in sich hochsteigen. Wie konnte er so reden? Wofür hielt er sich? Und wofür hielt er sie? Schätzte er sie so wenig?

Sie winkte einem Taxi. „Leb wohl, Alex.“

Zu Hause weinte sie, bis sie keine Tränen mehr hatte. Was dann blieb, waren Sehnsucht - und Einsamkeit.

Am folgenden Sonntag klingelte es schon früh an ihrer Haustür. Sibylle zog sich schnell Sweatshirt und Leggins an. Gerade halb neun. Wer mochte zu dieser ungewöhnlichen Zeit besuchen?

Nur widerwillig drückte sie den Knopf der Wechselsprechanlage. „Ja bitte?“

„Ich bin’s.“

Zwei Wörter nur, aber sie brachten Sibylles Welt ins Wanken.

„Fabian!“ Ihr Schrei war im ganzen Haus zu hören, doch das störte sie nicht. Er war da! Nur das zählte!

„Ich muss dir so viel erklären“, flüsterte er, als er sie in die Arme riss und so fest an sich presste, dass es beinahe schon weh tat. „Schon auf Hawaii wollte ich dir alles gestehen, aber ich war mir nicht sicher, ob du mich verstehen würdest.“

Und dann erzählte Fabian von seiner Frau, einer Hawaiianerin, die an einer schweren Krankheit gestorben war.

„Ich habe alles Menschenmögliche versuchte und konnte ihr doch nicht helfen. Die Blutkrankheit war zu tückisch, keine Therapie half. Wir sind auch zu etlichen Kollegen in die USA geflogen - immer ohne Erfolg. Mir blieb schließlich nur noch, die Leiden meiner Frau zu lindern, ihr die Zeit, die ihr blieb, so angenehm wie möglich zu machen. Als sie starb, war es für sie eine Erlösung. Nie werde ich ihren letzten Blick vergessen - er war voller Liebe, aber auch schon jenseitig. Sie hat ein wenig gelächelt, als sie mir zum letzten Mal in die Augen gesehen hat.“ Er brach ab, wischte sich kurz über die Augen. „Ich war vor Schmerz halb betäubt, das musst du mir glauben. Aber da war ihre Familie... Sie haben geglaubt, ich hätte ihr eine falsche Medizin gegeben, und sie haben geschworen, sich zu rächen. Schließlich hatte ich meine Frau dahingehend beeinflusst, dass sie nicht zu irgendwelchen Wunderheilern ging, sondern der Schulmedizin vertraute. Das hat man mir wohl auch übel genommen. Nie wieder sollte ich glücklich werden. Und deshalb...“ Er brach ab und sah sie bedrückt an.

„Deshalb also hast du dich manchmal so rätselhaft verhalten. Es gab Momente, da warst du ganz weit weg. Wie auf einem anderen Planeten.“ Sie schmiegte sich an ihn, roch den Duft seiner Haut, das leichte Aftershave, das er benutzte und das sie so gern mochte. Vor allem aber waren da seine Lippen, die sie noch mehrfach küssten, ehe er weiter sprach.

„Stimmt. Ich hab gezweifelt. Und ich hatte Angst. Angst vor allem um dich.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr in die Augen. „Aber ich kann nicht mehr ohne dich sein, und daher möchte ich es noch einmal versuchen, mich mit der Familie meiner Frau auszusöhnen. Wenn du jedoch nicht mit mir auf der Insel leben möchtest, komme ich zurück nach Deutschland. Nur ohne dich sein - das kann ich nicht mehr.“

„Ich fürchte mich nicht im geringsten. Nicht vor der Familie deiner Frau, und auch nicht vor irgendwelchen hawaiianischen Gottheiten und alten Drohungen. Was sollten mir, mal ehrlich, die Menschen tun, die mich nicht mal kennen und denen ich nichts getan haben?“ Sibylle sah Fabian mit leuchtenden Augen an. „Ich bin sicher, dass die trauernde Familie inzwischen eingesehen hat, dass du unschuldig bist und alles versucht hast, deine Frau zu retten. Im ersten Schmerz sagt man so vieles, was man nicht wirklich ernst meint...“

Dass Sibylle recht hatte, merkten sie ein paar Monate später. Da zog die junge Frau des Arztes in das schöne Holzhaus am Rand von Pearl Harbor, das Sibylle nach ihren eigenen Vorstellungen neu möbliert hatte. Es war ein wundervolles, gemütliches Heim geworden, und sie würde sich hier sicher wohl fühlen, das stand fest.

Ein paar Wochen später schon besuchten sie die Familie von Fabians erster Frau. Sie wurden zunächst ein bisschen verhalten, doch nicht unfreundlich begrüßt. Die Angehörigen der Toten hatten inzwischen eingestanden, dass die Krankheit der Tochter unheilbar gewesen war und dass Fabian alles für seine Frau getan hatte, was menschenmöglich war. Die Götter jedoch hatten anders entschieden - man musste es hinnehmen. So sagte es jedenfalls der Großvater der Toten, ein alter, weißhaariger Mann mit gütigen Augen.

Zum Abschied umarmte Fabians Schwiegermutter ihn - und auch kurz Sibylle. Dann, als die alte Frau ihm zulächelte und Sibylle einen Strauß gelber Hibiskusblüten schenkte, begannen seine Augen zu leuchten.

Jetzt wusste er: Sibylle und er würden hier auf Hawaii ein glückliches, erfülltes Leben haben!


ENDE


Das Glück wohnt am anderen Ende der Welt


Eine fesselnde Lovestory um eine Reise ins Liebesparadies

Endlich Urlaub! Endlich einmal das Land kennenlernen, in dem ihre Schwester seit längerem lebte - und in dem sie ihr Glück gefunden hatte. Johanna ist gespannt auf den Mann, den ihre Zwillingsschwester heiraten will. Doch als sie ihn dann vor sich sieht, bereut sie es, die weite Reise angetreten zu haben...

In Hamburg regnete es Bildfäden. Seit vier Tagen schon öffnete der Himmel seine Schleusen, hängte ein graues Kleid über die ganze Stadt. Im Hafen fuhren die Ausflugsboote fast leer durch die großen Anlagen, in den Shoppingarkaden herrschte nur wenig Betrieb, und an der Außenalster war auch nichts los.

„Es scheint fast so, als hätten wir tiefsten November und die Wirtschaftskrise wäre mal wieder auf einem Höhepunkt“, murmelte Klaus Bergstätt. „Wir müssen hier weg, Johanna. Bei dem Wetter wird man ja richtig depressiv.“

„Ich nicht. Ich hab was vor.“ Johanna lächelte vor sich hin.

„Du hast was vor? Klasse! Ich hatte auch was geplant fürs Wochenende!“ Klaus ging zum Fenster und sah hinaus in das triste Grau. „Ich hab uns günstige Flugkarten im Internet bestellt. Auf Mallorca scheint die Sonne.“ Er drehte sich zu Johanna um. „Na, was sagst du jetzt?“ Beifallheischend sah er sie an.

Johanna Paulsen schüttelte den Kopf. „Sorry, mein Schatz, aber daraus wird nichts. Hast du vergessen, dass meine Schwester mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hat? Ich fliege schon am Freitagabend nach Sydney.“

„Was? Und das sagst du erst jetzt?“ Vorwurfsvoll sah Klaus sie an.

„Wir haben schon mindestens drei Mal darüber gesprochen. Und auch darüber, dass du mitkommen könntest. Du warst jedenfalls herzlich eingeladen. Aber du hast mir ziemlich deutlich erklärt, dass du auf Verwandtschaft keinen Bock hast.“

Klaus zog es vor, darauf nichts zu erwidern. Er erinnerte sich an die hitzigen Diskussionen, die sie bereits über dieses Thema geführt hatten. Allerdings hatte er gedacht, Johanna hätte auch diesmal wieder klein bei gegeben - so, wie sie es eigentlich immer tat.

Aber das war ein Irrtum!

„Meine Zwillingsschwester heiratet. Glaubst du tatsächlich, da bliebe ich daheim? Oder würde alternativ mit dir einen Kurztrip nach Mallorca starten?“ Kopfschüttelnd sah Johanna den Mann an, der immer wieder behauptete, sie zu lieben. Aber wie konnte jemand von Liebe sprechen, wenn er so unsensibel war wie Klaus? Er hatte nur die eigenen Interessen im Kopf. Immer sollte es nach seinen Wünschen gehen. Bisher hatte sie dem nichts entgegengesetzt. Diesmal aber war es anders. Sie hatte nur ihre Zwillingsschwester - und bei deren Hochzeit wollte sie unbedingt dabei sein!

„Ich hatte mich so sehr auf diesen Wochenendtrip gefreut!“ Klaus schmollte.

Diesmal aber ging Johanna nicht darauf ein. Im Gegenteil, sie lachte und meinte nur: „Bis vor fünf Minuten hab ich noch nicht mal was geahnt von deinen Plänen, wenn ich dich daran erinnern darf. Also - sei kein Frosch. Ich bin ja bald wieder hier. Die paar Wochen gehen so rasch vorbei...“

„Wochen? Du willst ein paar Wochen weg bleiben?“ Blankes Entsetzen schwang in seiner Stimme mit.

„Klar doch! Für ein paar Tage lohnt sich doch der weite Flug bis zum anderen Ende der Welt nicht!“

Klaus schwieg. Er schwieg auch noch bis zum Abreisetag - und bewies damit noch einmal, dass er beileibe nicht der Traummann war, den Johanna am Anfang ihrer Beziehung in ihm gesehen hatte.

Der Abschied am Flughafen fiel kurz und knapp aus. Nicht mal einen kleinen Kuss gab ihr Klaus.

Aber Johanna störte es nicht. Ihre Vorfreude auf diese Reise war viel zu groß, als dass sie sich von Klaus hätte niederziehen lassen.

Sie genoss den guten Service an Bord, lehnte sich entspannt zurück und freute sich auf das Wiedersehen mit Stefanie. Ihre Schwester schien mit ihrem Bräutigam das große Los gezogen zuhaben. Thomas Hausberger war nicht nur reich, er schien auch sehr großzügig zu sein. Er hatte sogar Johannas Flugticket der Ersten Klasse bezahlt.

Und Stefanie konnte nach Los Angeles fliegen und sich dort ein Brautkleid aussuchen. Das hatte sie Johanna freudestrahlend am Telefon erzählt. „Weißt du, hier in der Wildnis hab ich einfach nicht das Richtige gefunden.“

Johanna lächelte, als sie an diese Unterhaltung dachte. „Meinst du nicht, in Sydney gäbe es ein Brautmoden-Geschäft, das deinen Ansprüchen genügt? Oder vielleicht in Melbourne?“

„Nichts da, ich fliege in die Staaten. Das ist eine nette Abwechslung!“, hatte Stefanie erwidert.

Sie ist ein vom Leben ziemlich verwöhntes Geschöpf, dachte Johanna. Aber ich gönne ihr den Trip von Herzen! Mir ist diese Reise nach Australien schon Aufregung genug!

Auf dem internationalen Flughafen von Sydney herrschte ungewöhnliche Hektik. Menschen rannten durcheinander, Polizisten versuchten sich einen Weg zu bahnen, Sanitäter und Personal der verschiedensten Fluggesellschaften kümmerten sich um Passagiere, die zum Teil geschockt wirkten, andere weinten.

Abwartend sah Johanna sich um. Angst erfasste sie. Was war passiert? Warum kam niemand, um sie abzuholen, wie es abgesprochen war?

Dann, als sie sich gerade mühevoll zum Informationsschalter durchgearbeitet hatte, hörte sie es: Die Maschine aus Los Angeles war kurz nach dem Start explodiert! Warum, wusste man noch nicht. Nur eins stand hundertprozentig fest: Es gab keine Überlebenden!

*

Sie kam nicht dazu, ihr Entsetzen und ihre Trauer richtig zu verarbeiten, denn ganz plötzlich wurde sie von hinten heftig umarmt, und ein Mann flüsterte ihr ins Ohr: „Himmel, bin ich froh, dass du eine andere Maschine genommen hast, Schatz! Ein Brautkleid finden wir auch hier!“

Und dann wurde sie geküsst - zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Sie konnte nicht mehr denken, konnte nur noch fühlen: die weichen Lippen des Mannes, seine Hände, die sie festhielten und ihren Rücken streichelten.

„Ich... ich bin...“ Johanna versuchte sich aus der Umarmung zu befreien, doch Thomas ließ sie nicht los. Er hielt sie auch dann noch fest, als sie durch Sydney fuhren und sie zum ersten Mal all die imposanten Gebäude sah, von denen Stefanie so begeistert berichtet hatte.

„Thomas...“ Gerade fiel ihr Blick auf die ungewöhnlich konzipierte Oper der Stadt, die im Volksmund liebevoll „Auster“ genannt wurde. „Ich muss dir etwas gestehen.“

„Nur zu. Ich bin gespannt!“ Er legte den Arm um ihre Schultern, zog sie kurz an sich und küsste sie auf die Stirn.

Johanna fühlte ihr Herz bis hoch zum Hals schlagen. Thomas’ Nähe verwirrte sie. Wenn sie ihn ansah, wurde alles bisher Dagewesene bedeutungslos.

Bedeutungslos... dieses Wort schien sich in ihr einzugraben. Was zählten Lügen? Was die Tatsache, dass sie Johanna und nicht Stefanie war? Was bedeutete es, dass ihre Zwillingsschwester tot war - zerrissen von einer wahnwitzigen Explosion?

Bedeutungslos? Wirklich?

„Du wolltest irgendein sehr wichtiges Geständnis ablegen, Steffi.“ Thomas lachte sie zärtlich an.

„Ja... nein. Es ist nichts. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe.“

*

Tag um Tag verging.

Aus Johanna wurde Stefanie. Alle redeten sie so an, und langsam begann sie sogar, sich wie Stefanie zu fühlen. Wie ein Mädchen, das seinen Traumprinzen kennengelernt hatte und nun in seinem Schloss wohnen durfte.

Und als Schloss konnte man den großzügigen Landsitz von Thomas ohne weiteres bezeichnen. Er besaß riesige Schafherden, die auf einem unüberschaubaren Terrain weideten. Die Hirten kontrollierten den Viehbestand teilweise vom Hubschrauber aus, und es machte Johanna ungeheuren Spaß, Thomas auf solchen Informationsflügen zu begleiten.

„Du hast dich verändert“, sagte Thomas, als sie wieder einmal unterwegs waren. Unter ihnen zog eine riesige Herde über die karge Landschaft, es waren unendlich viele Tiere, und aufs neue bekam Johanna einen Begriff davon, wie reich Thomas sein musste.

„Verändert? Ich mich?“ Sie biss sich auf die Lippen, um die Unsicherheit, die wieder einmal aufflackerte, zu kaschieren.

Thomas griff nach ihrer Hand und zog sie für einen Moment an die Lippen. „Ja. Du hast dich verändert. Vor ein paar Wochen noch warst du nicht bereit, mit mir hier hinauf zu fliegen.“

Johanna zuckte zusammen. Wieder ein Punkt, in dem sie sich gravierend von ihrer Zwillingsschwester unterschied: Stefanie mochte keine Tiere, sie hingegen liebte Schafe ebenso wie Pferde, Esel, Katzen und die kleinste Wüstenmaus.

Unsicher sah sie Thomas an. Doch in dem markanten Gesicht war kein Zweifel zu lesen, nur unendliche Liebe.

Eine Liebe, die aber nicht ihr, sondern einer Toten galt, deren Leben in einem Feuerball ausgelöscht worden war.

Johannas Herz zog sich zusammen - wie immer, wenn sie an ihre verstorbene Schwester denken musste, die sie noch nicht einmal offiziell betrauern konnte. Sie war unendlich unglücklich - und doch gleichzeitig so glücklich wie nie zuvor im Leben. Thomas war ein Mann, von dem sie immer geträumt hatte. Sie harmonierten hervorragend miteinander, und an seiner Seite fühlte sie sich sicher und geborgen.

Nur an eins durfte sie nicht denken: dass ihr Glück auf einer furchtbaren Lüge aufgebaut war!

Ende Mai musste Thomas noch einmal hinaus zu einer Viehherde, in der erschreckend viele Tiere erkrankt waren. Er hatte Medikamente an Bord der kleinen Sportmaschine, Lesestoff für die Männer, die dort draußen ein ziemlich einsames, tristes Leben führten, und Zigaretten und Whisky.

„Kommst du mit, Darling?“, fragte er, und Johanna nickte zustimmend.

„Aber natürlich!“ Sie lächelte ihn zärtlich an. „Du weißt doch, wie gern ich mit dir fliege. Es ist immer noch ein Abenteuer für mich, eine Weile draußen in der unendlichen Weite des Outbacks sein zu können.“

„Seltsam... früher hast du ganz anders gedacht. Da wolltest du mit den Tieren und den Trips ins Outback nichts zu tun haben.“ Er kam auf sie zu und zog sie liebevoll in die Arme. „Aber ich muss gestehen, dass ich die neue Stefanie noch ein bisschen mehr liebe als zuvor.“

Johannas Herz schlug schneller. Sie schloss die Augen und genoss es, Thomas so nahe zu sein. Dabei fragte sie sich, wie lange sie ihre Lügen noch aufrecht erhalten konnte, wann das Kartenhaus, das sie aufgebaut hatte, zusammenbrechen - und ihr Glück genauso zusammenfallen würde.

*

Die große Farm mit ihren vielen Nebengebäuden lag nur knapp einhundert Kilometer von Sydney entfernt, und doch befand man sich in einer ganz anderen Welt, wenn man erst einmal die Großstadt hinter sich gelassen hatte. Rasch begann das Niemandsland, die unendliche Weite dieses Kontinents. So weit das Auge reichte, sah man nur brachliegendes Land, das von unzähligen Schafen durchstreift wurde. Die Tiere fanden immer etwas zu fressen, sie waren genügsam und auch mit trockenen Grasbüscheln zufrieden.

Vereinzelt nur tauchte ein Haus auf, und erste nachdem sie zwanzig Minuten geflogen waren, erblickte Johanne eine kleine Wohnsiedlung.

„Was ist das?“, erkundigte sie sich.

„Wir nennen es Old Sams Oase“, antwortete Thomas. „Sam ist ein alter Jäger, der hier vor vielen Jahren sesshaft geworden ist. Es heißt, dass er eine Weile bei den Aborigines gelebt hat und mehr von ihrer Kultur weiß als jeder Wissenschaftler. Inzwischen hat er hier eine Kneipe aufgemacht. Sie ist Anlaufstelle für alle, die hier in der Gegend leben und arbeiten. Warte nur, gleich wirst du ihn kennenlernen. Wir müssen vorher nur noch zu der Herde mit den kranken Tieren fliegen.“

Er zog die Maschine n eine leichte Kurve und korrigierte fast unmerklich den Kurs.

Johanna sah fasziniert aus dem Fenster. Sie liebte dieses Land schon jetzt und wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn sie von hier wieder fortgehen musste.

Ein leises Knattern störte ihre Gedanken. Die Maschine begann leicht zu trudeln.

„Was ist los?“ Fragend sah sie Thomas an, der an den verschiedensten Kontrollgeräten hantierte.

„Ich weiß nicht genau... vielleicht ist was mit der Benzinzufuhr...“ Er machte ein ernstes Gesicht, und in Johanna kroch Angst hoch.

„Leg den Kopf in die Arme! Versuch deine Augen zu schützen!“ Thomas warf ihr einen raschen Seitenblick zu, dann konzentrierte er sich wieder ganz darauf, das Ärgste vielleicht noch abzuwenden und eine halbwegs anständige Bruchlandung machen zu können.

Und dann... ein Krachen und Bersten, Splittern, ein Schrei, von dem Johanna nicht wusste, dass sie selbst ihn ausgestoßen hatte...

Dumpfe Schläge, die von außen das Flugzeug zu zerstören drohten - dann war es still.

Johanna erwachte von einem stechenden Schmerz in ihrer linken Hand. Vorsichtig versuchte sie die Finger zu bewegen, sich selbst in eine andere Position zu bringen - es gelang.

„Thomas...“ Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.

Als keine Antwort kam, versuchte sie sich ein wenig aufzurichten und in der Maschine umzusehen. Schräg lag das Flugzeugwrack auf einer Grasfläche. In einem fast quadratischen Ausschnitt konnte sie durch eines der Fenster den blauen Himmel sehen.

Und Thomas... er war über dem Steuer zusammengesunken. Blut sickerte aus einer Platzwunde an der Schläfe, und ein dumpfes Stöhnen kam aus seiner Kehle.

„Thomas...“ Es gelang Johanna, den Sicherheitsgurt zu lösen und sich zu dem geliebten Mann hinunter zu tasten. Mit zitternden Fingern streichelte sie sein Gesicht, rief immer wieder seinen Namen.

Thomas reagierte nicht.

*

Die Sonne stand hoch im Zenit, als der Verletzte endlich die Augen aufschlug und sich ein wenig unsicher umschaute.

Johanna hatte inzwischen Höllenqualen ausgestanden. Jetzt brannten ihre Augen von ungeweinten Tränen.

„Alles okay?“ Seine Stimme ließ sie zusammenzucken.

„Oh mein Gott!“ Jetzt endlich konnte Johanna weinen. „Endlich!“ Sie beugte sich über Thomas, küsste ihn auf die blassen Lippen.

„War ich lange bewusstlos?“ Thomas versuchte ebenfalls seinen Gurt zu lösen.

„Fast zwei Stunden. Ich... ich konnte dir nicht helfen.“ Wieder liefen Tränen über ihre Wangen.

„Nicht weinen“, bat Thomas. „Das kriegen wir alles wieder hin. Hauptsache, dir ist nichts passiert.“

„Ich bin o.k.“, versicherte Johanna. „Aber was ist mit der Maschine?“

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist was mit der Benzinzufuhr nicht in Ordnung. Deshalb auch das Stottern. Aber es kann auch ein Motorschaden sein. Na, ist auch egal. Machen wir erst mal, dass wir hier rauskommen.“

Kurze Zeit später lagen sie im Schatten eines Felsens und hielten sich umarmt. Langsam ebbte der Schock in Johanna nach, sie konnte Thomas’ Nähe, seine zärtliche Wärme wieder genießen.

„Was meinst du, wann Hilfe herkommen kann?“, fragte sie nach einer Weile.

„Das dauert bestimmt nicht lange. Man wird uns vermissen, und auf dem Radar sind wir auch nicht. Man wird merken, dass es keine Funkverbindung mehr gibt und bestimmt einen Suchtrupp losschicken. Ich denke, der wird sogar schon unterwegs sein. Keine Angst, Schatz.“

„Hab ich auch nicht.“ Johanna senkte den Kopf. „Wenigstens nicht davor, hier in der Wildnis vergessen zu werden.“

„Wovor denn dann?“ Er sah ihr fragend in die Augen.

Zärtlich strich sie über sein Gesicht, tastete vorsichtig nach der Platzwunde, die inzwischen nicht mehr blutete und zum Glück nicht allzu tief war.

„Ich... ich muss dir etwas gestehen, Thomas.“ Ihre Stimme klang flach und war kaum zu verstehen.

„Jetzt?“

„Ja. Denn morgen... morgen ist es zu spät.“

„Aber Darling! Morgen heiraten wir - egal, was kommt. Und wenn wir das müdeste Ehepaar sind, das je getraut wurde.“

Johanna senkte den Kopf. Wie schwer es war, die Wahrheit zu gestehen! Sie verfluchte sich selbst, dass sie sich überhaupt zu diesen Lügen hatte hinreißen lassen. Was war ihr nur eingefallen, Stefanies Stelle einzunehmen? Jetzt musste Thomas sie doch hassen...

„Du weißt, dass ich eine Zwillingsschwester habe“, begann sie vorsichtig.

„Natürlich! Sie lebt irgendwo im Norddeutschen, oder?“

Johanna schüttelte den Kopf. „Nein. Stefanie... sie lebt gar nicht mehr. Sie ist tot!“ Aus großen, brennenden Augen sah sie Thomas an.

„Aber Steffi... Darling... du lebst doch! Ich halte dich in meinen Armen.“ Er küsste sie liebevoll. „Das ist der Schock, nicht wahr?“

„Nein. Stefanie ist tot. Ich bin Johanna!“

Jetzt war es heraus. Endlich.

Obwohl sie sich vor der Reaktion des Mannes fürchtete, obwohl sie wusste, dass sie seine Liebe genau in diesem Moment verloren hatte, fühlte Johanna sich besser. Erleichtert. Sie konnte nun einmal nicht lügen, und es war ihr letztendlich unmöglich gewesen, ihr Lebensglück auf einer Lüge aufzubauen. Kurz bevor sie Thomas ihr Jawort geben konnte, hatte sie alles gesagt.

„Warum?“ Nur dieses eine Wort kam über die Lippen des Mannes.

„Warum...“ Johanna zuckte mit den Schultern. „Ich... ich hab’s einfach nicht fertig gebracht, dir weh zu tun. Du warst so glücklich damals, als du mich vom Flugzeug abgeholt hast.“

„Ich wollte Stefanie abholen!“

„Ja... aber sie ist tot.“ Ganz klein war ihre Stimme nun, und sie wagte es nicht, zu Thomas auf zu sehen. „Stefanie saß in der Unglücksmaschine aus Los Angeles. Und ich... ich kam aus Deutschland, weil sie mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Es sollte eine Überraschung für alle Hochzeitsgäste sein - und für dich. Wir als doppeltes Lottchen.“ Sie schluchzte auf. „So hat man uns früher immer genannt, weil wir uns total ähnlich sahen. Und jetzt...“

Tränen rannen über ihr Gesicht. Endlich konnte sie wirklich um ihre Schwester weinen, brauchte nicht länger die starke, glückliche Stefanie zu spielen...

Zart, kaum fühlbar streichelte Thomas über ihr Haar.

„Ich hab’s geahnt“, sagte er leise, und seine Stimme klang belegt.

„Was?“ Aus tränenfeuchten Augen sah sie ihn an.

„Dass du... also... irgendwie warst du verändert. Du warst nicht mehr die Stefanie, die ich kannte. Du warst weicher, zärtlicher, anschmiegsamer. Nicht so taff und selbstbewusst. Und...“ Er lächelte ein wenig. „Du warst eigentlich in allem so, wie ich mir eine Frau erträumt hatte. Stefanie kam diesem Ideal nahe, aber du..“ Jetzt legte er beide Arme fest um Johanna, bettete ihren Kopf an seine Brust und streichelte ihr Haar. „Du warst - du bist meine Traumfrau, Johanna.“

Sie konnte nicht antworten. Glück, dieses gewaltige Glücksgefühl, das sie auf einmal erfüllte, machte sie stumm. Außerdem waren da Thomas’ Lippen. Nah, dicht vor ihren. Als er sie küsste, glaubte Johanna im Paradies zu sein.

Motorengeräusch zerstörte die Idylle. Zwei Hubschrauber kreisten dicht über ihnen, und jetzt setzte der größere von ihnen zur Landung an.

Thomas sprang auf und gestikulierte wild mit beiden Armen. „Hierher!“, rief er. „Kommt hierher!“

Zwar hörten die Männer im Helikopter ihn nicht, aber sie sahen ihn, denn ganz in der Nähe ging die Maschine nieder, und gleich darauf sprangen zwei dunkelhaarige Männer heraus.

„Was ist passiert?“, rief einer noch im Laufen und kam rasch näher.

„Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es die Benzinpumpe.“ Thomas ging ein paar Schritte auf die beiden zu, schüttelte ihnen die Hände. Man kannte sich - so, wie sich viele Farmer in der unendlichen Weite dieses Kontinents kannten. Manchmal sah man sich wochen- oder monatelang nicht. Aber man kommunizierte übers Internet oder, wenn das nicht ging, per Funk miteinander. Wenn einer von ihnen Hilfe brauchte, war es für die anderen selbstverständlich, zu helfen. Man war stets füreinander da.

Johanna sah den Männern aus der Ferne zu. Sie konnte nicht mit ihnen reden, keine belanglosen Höflichkeitsfloskeln austauschen oder gar Witze über die „Rettung“ machen.

In ihrem Innern herrschte ein heilloses Durcheinander.

Thomas hatte ihr verziehen. Er liebte sie - liebte sie noch mehr, als er Stefanie geliebt hatte.

Durfte sie das wirklich glauben?

*

Als Johanna am nächsten Morgen erwachte, lagen Hunderte roter Rosen auf ihrer Bettdecke, und Thomas beugte sich über sie und küsste sie sehr, sehr zärtlich.

„Aufstehen, Faulpelz. Oder willst du dich vor der Hochzeit drücken?“

Johanna antwortete nicht, sie streckte nur die Arme aus und zog den geliebten Mann an sich. Endlich, endlich durfte sie ihre große Liebe wirklich genießen!

Vorsichtig, um die zarten Rosenblüten nicht zu zerstören, erhob sie sich wenig später und machte sich fertig zur Trauung. Sekundenlang tat es ihr leid, dass sie kein weißes, romantisches Brautkleid besaß, doch ein schlichtes cremefarbenes Kostüm, das sie aus Deutschland mitgebracht hatte, würde es sicher auch tun. Was zählten schon Äußerlichkeiten! Wichtig war nur ihr Glück mit Thomas.

Drei Stunden später war sie seine Frau. Ein glänzender goldener Ring steckte an ihrer Hand, und Thomas flüsterte ihr zu: „Und jetzt nichts wie weg hier!“

„Aber die Gäste...“

„Wir trinken noch ein Glas Champagner mit ihnen, dann kommt meine Überraschung.“

Und wirklich - niemand hielt sie auf, alle Anwesenden schienen zu wissen, was Thomas vorhatte.

Draußen wartete der Hubschrauber, der sei zum Flughafen bringen würde. Von dort aus ging es nach Bali.

Als Johanna endlich erfuhr, wo sie ihre Flitterwochen verbringen würde, war sie sprachlos. Bali war eines ihrer Traumziele. Sie hatte Thomas einmal davon erzählt, dass sie dieses Inselparadies im Indischen Ozean gern einmal sehen würde.

Und jetzt war sie hier! In Denpasar, der Inselhauptstadt, waren sie gelandet und von dort aus noch ein Stück mit dem Leihwagen gefahren, bis sie zu einem Ressort kam, das etwas außerhalb lag. Weitab vom Massentourismus, doch höchst luxuriös verbrachten sie drei wundervolle Wochen.

Es waren Tage voller Liebe und Glück, die so erfüllt waren, dass Johanna manchmal sogar Angst vor dem Neid der Götter bekam.

Doch Thomas ließ sie alle Bedenken rasch wieder vergessen. Wenn er bei ihr war, das wusste Johanna, konnte ihr nichts Böses geschehen. Noch dazu, wenn er sie innig umarmte und küsste...

ENDE