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Muss ich dir die Wahrheit sagen?

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Muss ich dir die Wahrheit sagen?

Arztroman von Sandy Palmer

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.

 

Ein Autounfall bringt Graf Wietershausen und Dr. Tatjana Holldorf in Verbindung. Während des Klinikaufenthalts kommen sich die beiden näher, aber der Graf hütet ein dunkles Geheimnis. Professor Gerstenbach benimmt sich im OP-Saal merkwürdig, seine Kollegen machen sich ernsthafte Sorgen um die Arbeitsfähigkeit des begnadeten Chirurgen. Als er bei einem krebskranken Kind operiert, kommt es zu einem Problem.

 

 

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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

„Herr Ober, bitte zahlen!“ Tatjana Holldorf blickte den älteren Kellner des Hotels Excelsior auffordernd an.

„Ich komme sofort, Frau Doktor!“, nickte dieser seinem Stammgast zu. Frau Dr. Holldorf kam jeden Sonntagmittag zum Essen in das Restaurant des Hotels und wurde dementsprechend zuvorkommend dort bedient.

Die auffallend gekleidete Blondine, die vor einer halben Stunde an Tatjana Holldorfs Tisch Platz genommen und seither ununterbrochen auf die Uhr gesehen hatte, blickte jetzt neugierig zu der Ärztin hin. Sie schien für einen Augenblick vergessen zu haben, dass sie jemanden erwartete, der offenbar nicht pünktlich gekommen war.

Nur flüchtig hatte sich Tatjana Gedanken um ihr Gegenüber gemacht, dann hatte sie sich dem köstlichen Nachtisch gewidmet, der ihr serviert wurde.

Die dreiunddreißigjährige Ärztin aß, was ihr schmeckte. Angst um die schlanke Linie war ihr fremd. Wer sie nicht so mochte, wie sie war, sollte es eben bleiben lassen.

Gerade hatte sie das Wechselgeld eingesteckt und ihre Handtasche aus schwarzem Nappaleder verschlossen, als sie das Kreischen von Bremsen aufschreckte.

Sekunden später klirrte Glas, schepperte Blech auf Blech. Eine Frauenstimme schrie hysterisch auf.

Schnell erhob sich Tatjana Holldorf aus ihrem Sessel und eilte nach draußen. Ein Unfall! Vielleicht würde ihre Hilfe als Ärztin benötigt.

Als sie auf die Straße trat, sah sie den verunglückten Wagen schon. Es war ein eleganter silbergrauer Mercedes, der einen parkenden Wagen gerammt hatte. Der Fahrer schien hinter dem Steuer eingeklemmt zu sein, jedenfalls bemühten sich zwei Passanten, die Wagentür aufzustemmen. Doch es gelang ihnen erst beim dritten Versuch.

Auf dem Bürgersteig lag ein verbogenes Fahrrad, dessen Besitzer, ein etwa dreizehnjähriger Junge, sich gerade aufrappelte, sein zerfetztes Hosenbein betrachtete und dann völlig verstört zu dem Wagen hinübersah, der größeren Blechschaden erlitten hatte.

„Ist der Fahrer verletzt?“ Dr. Holldorf war auf die Unfallstelle zugegangen und bahnte sich einen Weg durch die Neugierigen, die sich in Sekundenschnelle angesammelt hatten und die Unfallstelle umstanden.

Um den Jungen mit dem Fahrrad kümmerte sich eine ältere Frau.

„Der Lausbub dort ist schuld“, erklärte ein Mann mit Bart. „Er bog plötzlich aus einer Seitenstraße heraus, ohne die Vorfahrt zu beachten. Der Fahrer des Mercedes wollte noch ausweichen, doch es gelang ihm nicht mehr. Er fuhr auf den parkenden Wagen auf. Jetzt ist die Tür verklemmt.“

„Wir haben es geschafft!“, rief in diesem Moment einer der Männer, die versucht hatten, den Verletzten zu befreien.

„Rühren Sie ihn nicht an. Ich bin Ärztin, ich möchte ihn erst untersuchen.“ Tatjana trat vor, und bereitwillig machte ihr die Menge Platz.

Der Verletzte saß eingeklemmt hinter dem Steuer. Der rechte Arm war merkwürdig angewinkelt. Er schien gebrochen zu sein. Das Lenkrad hatte ihm ein paar Rippen eingedrückt, wie sie schon nach flüchtiger Untersuchung erkennen konnte.

Aber das Schlimmste erkannte sie erst, nachdem zwei Männer den Verletzten vorsichtig aus dem Wagen herausgehoben hatten. Das rechte Bein war mehrmals gebrochen. Zu allem Unglück waren es offene Brüche, die stark bluteten.

Zunächst vermochte sich die junge Ärztin nicht vorzustellen, wie es zu diesen Brüchen gekommen war, doch dann sah sie das Fernsehgerät, das zerstört auf dem Boden des Autos lag. Offenbar hatte es der Fahrer auf dem Nebensitz transportiert. Es war herabgestürzt und hatte ihm das Bein aufgeschlagen.

Gerade als die junge Ärztin niederknien wollte, um die Blutungen notdürftig zu stillen, hörte sie aus der Ferne die Sirene des Unfallwagens, den wohl einer der Umstehenden vom Hotel aus telefonisch alarmiert hatte.

Sie richtete sich erleichtert auf. Nun blieb ihr wenigstens die Arbeit erspart, auf der Straße den Verletzten zu verarzten.

„Sie hier, Frau Dr. Holldorf?“ Einer der Sanitäter sah sie überrascht an.

„Ich war zufällig in der Nähe“, erklärte Tatjana. „Bitte, beeilen Sie sich. Ich begleite Sie in die Klinik. Der Mann hat einen offenen Beinbruch und schon eine ganze Menge Blut verloren.“

„Dann los!“, kommandierte der ältere der Sanitäter, und gemeinsam mit seinem jungen Kollegen hob er den Verletzten auf die mitgebrachte Trage und verstaute diese vorsichtig im Wagen.

Tatjana stieg zu dem Verletzten, der teilnahmslos alles mit sich geschehen ließ. Offenbar hatte er einen Schock erlitten und nahm gar nicht mit vollem Bewusstsein wahr, was im Moment mit ihm geschah. Und vielleicht war es besser so, als wenn er die Schmerzen mit Bewusstsein gespürt hätte.

Während der Fahrt tastete Tatjana mehrmals nach dem Puls des Mannes, wobei sie zu ihrer Erleichterung feststellen konnte, dass er den Umständen entsprechend gar nicht so schlecht war. Zwar war ein leichtes Flimmern festzustellen, hin und wieder Unregelmäßigkeiten, doch diese waren auf den Schock zurückzuführen. Der Blutverlust hatte sich noch nicht ausgewirkt.

Tatjana tastete in die Brusttasche des Verletzten, wo Männer gewöhnlich ihre Brieftaschen aufzubewahren pflegten. Und richtig, auch jetzt zog sie eine Brieftasche hervor. Es war ein besonders teures Exemplar aus grauem Krokodilleder, das gewiss sehr kostbar war.

Doch Tatjana Holldorf hatte für derlei Dinge keinen Sinn. Sie legte keinen Wert auf teure Kleidung, Schmuck und Pelze, sondern bevorzugte sportliche, bequeme Sachen.

So kümmerte sie sich auch nicht um die Brieftasche selbst, sondern öffnete sie und schaute nach, ob sich eventuell ein Ausweis darin befand.

Was sie dann sah, überraschte sie doch: Der Patient war kein gewöhnlicher Sterblicher, nein, er war ein echter Graf! Und das beeindruckte die sonst so sachliche Frau Doktor Holldorf nun doch!

Graf Max von Wietershausen, stand in dem Personalausweis, den sie in der Hand hielt.

Sinnend betrachtete Tatjana daraufhin den Patienten, der bleich und mit etwas eingefallenem Gesicht vor ihr auf der schmalen Trage des Sanitätswagens lag.

Er hatte gut geschnittene Züge, einen schmalen, Energie verratenden Mund und ein Kinn, das kräftig und männlich wirkte. Die Nase war ein wenig groß geraten, sie kam Tatjana direkt aristokratisch vor. Der Anzug des Grafen stammte offenbar von einem erstklassigen Schneider, der Stoff aus England. Das Hemd war aus reiner Seide. Sie konnte es trotz der Blutflecken genau erkennen. Die Krawatte war ein Traum aus blau-gelb gestreifter Seide.

Dies alles nahm Tatjana mit einem einzigen langen Blick wahr, doch dann wandte sie sich wieder dem Patienten Graf Wietershausen zu. Im Grunde war es doch egal, ob er nun ein Adeliger war oder ein einfacher Straßenarbeiter. Für sie hatte nur eines wichtig zu sein: Er war ein Mensch, der ihre ärztliche Hilfe brauchte. Und sie hatte dafür zu sorgen, dass er diese auch in ausreichendem Maße erhielt.

Als sie durch das kleine rückwärtige Fenster des Krankenwagens hinausblickte, erkannte sie, dass sie ihr Ziel gleich erreicht hatten. Sie waren auf dem Zufahrtsweg zum Krankenhaus.

In diesem Augenblick knirschten auch schon die Reifen auf dem Kies, der Wagen kam zum Stehen. Bevor sie in den Weg eingebogen waren, der zur Klinik führte, hatte der Sanitäter, der den Wagen steuerte, die Sirene abgestellt, um die Kranken in ihren Betten nicht unnötig zu erregen.

Jetzt sprangen beide Männer heraus, halfen erst Tatjana beim Aussteigen und hoben dann den Verletzten aus dem Wagen.

Die Pfortenschwester hatte schon den diensthabenden Arzt verständigt, der sofort in den Ambulanzraum geeilt war.

Als die Sanitäter mit der Trage jetzt diesen Raum betraten, blickte Dr. Breitner überrascht hoch, als er hinter den Männern Tatjana Holldorf erkannte.

„Nanu, Frau Kollegin, was führt Sie denn hierher?“, fragte er überrascht. „Sie sind doch heute dienstfrei?“

„Ich war in der Nähe des Unfallortes“, erklärte Tatjana, „und ich bin mit dem Sanitätswagen gekommen.“

„Wunderbar“, freute sich Markus Breitner, „dann brauche ich ja nicht allein die ganze Arbeit zu machen.“

Und während er sprach, gab er sich daran, den Verletzten einer Untersuchung zu unterziehen.

„Er hat offenbar Frakturen am Unterschenkel, eine am rechten Arm und Rippenbrüche“, sagte Tatjana, während sie schnell ihre Kostümjacke mit einem weißen Kittel vertauschte.

„Danke, dann kann ich mir diese Arbeit ja schon sparen.“ Er wandte sich an zwei Schwestern, die gerade dabei waren, den Verletzten zu säubern. „Bringen Sie ihn in den Röntgenraum. Hier kann ich nichts für den Mann tun. Erst einmal muss ich ein paar Aufnahmen von seinen Brüchen haben.“

„Hat die Blutung am Bein aufgehört?“, erkundigte sich Tatjana.

Dr. Breitner schaute sich das rechte Bein des Mannes an. „Ich glaube, ja“, erklärte er. „Der Notverband, den Sie angelegt haben, hat wohl den Blutstrom gestoppt.“

„Es ist eine riesige Wunde“, sagte Tatjana. „Sie werden wohl nähen müssen.“

„Es bleibt mir aber auch nichts erspart!“, seufzte der junge Chirurg. „Ich weiß es auch nicht, aber immer, wenn ich Dienst habe, passieren die kompliziertesten Unfälle.“

Tatjana lächelte ein wenig. „Das kommt Ihnen nur so vor“, meinte sie. „Man empfindet es wohl so, weil man als diensthabender Arzt an einem Sonntag die ganze Arbeit allein machen muss. Wenn viele Kollegen im Hause sind, verteilt es sich besser, und alles sieht nur noch halb so schlimm aus.“

„Da könnten Sie recht haben“, gab Markus zu. „Aber nun ist genug geredet. Schwester Liselotte, haben Sie den Verband am Bein abgenommen? – Ja, lassen Sie mich mal sehen“, er blickte kritisch auf die große Wunde, die sich geschlossen hatte. „Sieht nicht gut aus“, meinte er dann. „Sie haben recht, Frau Holldorf, ich muss nähen. Das bedeutet für den Patienten, dass er das Bein nicht eingegipst bekommt, sondern in einer Schale wochenlang ruhig halten muss. Das erfordert viel Geduld.“

„Es muss nun mal sein.“ Tatjana sah zu, wie die beiden Schwestern den Verletzten hinüber in den Röntgenraum schoben, der direkt neben dem Ambulanzraum war.

Dr. Breitner machte die benötigten Aufnahmen selbst, da auch die Röntgenassistentin heute frei hatte.

Die Diagnose der beiden Ärzte bestätigte sich voll und ganz. Gut eineinhalb Stunden beschäftigten sich Tatjana Holldorf und Markus Breitner damit, den Verletzten einzugipsen, die Brüche zu richten und das rechte Bein ruhigzustellen.

„Puh, das war Schwerarbeit“, stöhnte Markus, als er den Patienten endlich wohlversorgt auf der Station wusste. „Ich hätte nicht gewusst, wie ich ohne Sie fertig geworden wäre, Frau Holldorf. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe.“

„Nichts zu danken. Das war doch selbstverständlich.“ Die Ärztin legte den schmutzigen Kittel ab und griff wieder nach ihrer Kostümjacke. „Ich schaue noch schnell einmal nach dem Patienten, dann bin ich endgültig weg“, sagte sie. „Das Wetter ist zu schön, um es in der Krankenhausluft zu verbringen. Ich werde einen Waldspaziergang machen.“

„Sie Glückliche“, meinte Markus, doch während er es aussprach, kamen ihm Bedenken. War Tatjana Holldorf wirklich zu beneiden? Im Grunde genommen nicht, denn sie stand ganz allein auf der Welt, hatte keine Freunde und keine Bekannten. Sie lebte nur für die Klinik, für die Medizin und ihre Patienten.

Aber war das wirklich genug, um das Leben einer dreiunddreißigjährigen Frau auszufüllen? Markus Breitner wagte es zu bezweifeln.

 

 

2

„Guten Morgen, Herrschaften!“ Oberarzt Dr. Munther betrat den Vorbereitungsraum zum OP, wo sich schon die Narkoseärztin Dr. Holldorf und der chirurgische Assistent, Dr. Breitner, versammelt hatten und mit der jungen Operationsschwester Barbara plauderten.

Sie sprachen von dem neueingelieferten Grafen Wietershausen, der das beste Zimmer der Klinik belegte.

„Sie hätten mich ruhig rufen können“, sagte Schwester Barbara. „Sie wissen doch, dass ich nur zehn Minuten von der Klinik entfernt mein Appartement habe. Mit dem Taxi wäre ich schnell hier gewesen.“

„Nett von Ihnen, aber wir sind gut allein zurechtgekommen“, lächelte Dr. Breitner. „Ich wollte nicht auch Ihnen noch den Sonntag verderben. Gerade genug, dass Dr. Holldorf kostbare Stunden ihrer Freizeit geopfert hat.“

„Selbstverständlich“, murmelte die junge Narkoseärztin nur kurz, dann drehte sie sich nach dem Oberarzt um, der sich an eines der Waschbecken begeben hatte und sich vorschriftsmäßig zu waschen begann.

„Ich habe Frau Meurer schon vorbereitet“, sagte sie. „Sobald Sie fertig sind, können wir anfangen.“

„Frau Meurer? Frau Meurer … warten Sie mal, ich komme im Moment nicht darauf. Wer ist das noch mal?“

„Das Magengeschwür von Zimmer 314“, erklärte die Ärztin.

„Ach ja, das machen wir ja allein. Nachher die Gallenoperation an Direktor Kürschner, die macht der Chef.“

Etwas wie Ironie klang durch die Stimme des Oberarztes, und Schwester Barbara schaute ihn überrascht an. War der blonde, unattraktive Oberarzt etwa neidisch auf den Professor? Gönnte er ihm nicht, dass er den Direktor operierte? Dabei war der Patient selbst es gewesen, der darauf bestanden hatte, vom Klinikleiter persönlich operiert zu werden.

Sie hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick rollten zwei junge Pflegerinnen von der chirurgischen Station das Rollbett mit der Patientin Meurer in den Operationssaal.

Schwester Barbara folgte der Narkoseärztin, die sich nun um die Patientin kümmerte.

Die etwa fünfzigjährige Frau hatte schon am frühen Morgen eine erste Injektion erhalten, sie schlief schon fast und nahm kaum noch wahr, was um sie her geschah.

Nachdem Frau Dr. Holldorf die Patientin an all die komplizierten Apparaturen des Narkosegerätes angeschlossen hatte, wandte sie sich zu den beiden Chirurgen um.

„Ich bin soweit“, verkündete sie. „Die Patientin ist operationsfertig.“

Dr. Munther und Dr. Breitner trugen inzwischen die grüne sterile Operationstracht. Ihre Köpfe waren mit grünen Kappen bedeckt, die Hände trugen schon die Gummihandschuhe.

Gerade bänden zwei Hilfsschwestern ihnen den Mundschutz um. „Wir kommen“, erwiderte der Oberarzt. Seine Stimme klang durch das Tuch ein bisschen gedämpft.

Schwester Barbara hatte schon ihren Platz hinter dem Instrumententisch eingenommen. Sie überprüfte ein letztes Mal, ob auch alle Operationsgeräte an ihrem Platz lagen und griffbereit waren. Dann schaute sie zu den beiden Ärzten hinüber, wobei sie unbewusst ein wenig lächelte, als sie dem Blick des jungen Assistenzarztes begegnete, der gerade seinen Platz eingenommen hatte.

„Also, es geht los.“ Dr. Munther ließ sich das erste Skalpell reichen und begann mit dem Eingriff. Knapp und sachlich klang seine Instruktion, ohne das übliche Geplauder, das oftmals mit dem Eingriff wenig zu tun hatte, aber das viele Chirurgen gern pflegten, vollführte er die Operation, die auch ohne Schwierigkeiten vonstatten ging.

Es war ein routinemäßiger Eingriff, von dem Oberarzt schon hundertmal ausgeführt. Jeder Handgriff saß, er wusste genau, was im nächsten Moment zu tun war.

Dies erwartete er aber auch von seinen Mitarbeitern, vor allem von der Operationsschwester. Ihm war es am liebsten, wenn diese das benötigte Instrument schon in der Hand hielt, noch bevor er es angefordert hatte.

Und in Schwester Barbara hatte er eine Helferin gefunden, die ganz und gar seinen Anforderungen entsprach.

Eigentlich beachtlich für ihr Alter, dachte er bei sich. Das hätte ich ihr nicht zugetraut, als sie vor einem Vierteljahr bei uns anfing. Ich hatte wegen ihrer Jugend Bedenken, die sich aber glücklicherweise nicht bewahrheitet haben.

Doch er hütete sich, eine lobende Bemerkung zu machen. Das war nicht Dr. Munthers Art. Er sagte nur, nachdem der Eingriff an Frau Meurer beendet war:

„Ich danke Ihnen, meine Herrschaften!“

Dann wandte er sich an eine unsterile Schwester. „Bitten Sie die Schwestern von der Chirurgie, den Direktor herunterzubringen, den der Chef gleich operieren soll. Ich denke, Professor Gerstenbach kommt jede Minute. Er wollte gegen neun Uhr hier sein.“

Schnell warf Schwester Barbara einen Blick auf die große Wanduhr, die an der Längsseite des Operationssaales auf den blauen Kacheln hing. Drei Minuten nach neun – ob Professor Gerstenbach kommen würde?

Bang fragte es sich das junge Mädchen. Sie hatte Angst um den Professor. Angst, dass er sich wieder mit einer offensichtlichen Ausrede vor der Operation drücken würde, so, wie er es in den letzten Wochen immer häufiger getan hatte.