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Die Autoren

 

Prof. Dr. Marc Schreiber ist Professor für Laufbahn- und Personalpsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Als Berufs-, Studien- und Laufbahnberater berät er Privatpersonen und Unternehmen. Zudem arbeitet er als Dozent und Forscher mit den Schwerpunkten Laufbahn-, Beratungs- und Persönlichkeitspsychologie sowie Diagnostik.

 

Anita Glenck ist Laufbahn- und Personalpsychologin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sie ist verantwortlich für die strategische Führung des Zentrums für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung, für welches sie zugleich als Beraterin und Dozentin tätig ist.

Marc Schreiber

Wegweiser im Lebenslauf

Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung in der Praxis

Unter Mitarbeit von Anita Glenck

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032041-3

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032042-0

epub:   ISBN 978-3-17-032043-7

mobi:   ISBN 978-3-17-032044-4

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

AI

Artificial Intelligence

AIST

Allgemeiner Interessen-Struktur-Test

BA

Bundesagentur für Arbeit (Deutschland)

BBG

Berufsbildungsgesetz (Bundesgesetzes über die Berufsbildung der Schweizerischen Eidgenossenschaft)

BBV

Berufsbildungsverordnung (Verordnung über die Berufsbildung der Schweizerischen Eidgenossenschaft)

BIZ

Berufsinformationszentrum

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

BSLB

Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung

CCI

Career Construction Interview

CCT

Career Construction Theory

CMS

Career Management Skills

EC

Europäische Kommission

ELGPN

European Lifelong Guidance Policy Network

ESM

Experience Sampling Methode

ESS ERIC

European Social Survey European Research Infrastructure

EU

Europäische Union

FSP

Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen

HdBA

Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (Deutschland)

HEXACO

Honesty-Humility (Ehrlichkeit-Bescheidenheit), Emotionality (Emotionalität), Extraversion (Extraversion), Agreeableness (Verträglichkeit vs. Ärger), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Openness to Experiences (Offenheit für Erfahrungen)

ICCDPP

International Centre for Career Development and Public Policy

IAP

Institut für Angewandte Psychologie

IAEVG

International Association for Educational and Vocational Guidance

ID

Identitätskarte

IPIP

Internation Personality Item Pool

I-S-T 2000 R

Interessen-Struktur-Test 2000 Revised

IVBB

Internationale Vereinigung für Bildungs- und Berufsberatung

KI

Künstliche Intelligenz

KO

Karriereorientierungen

LE.A.DE.R

LEarning And DEcision making Resources

LGK

Laufbahngestaltungskompetenzen

MAS

Master of Advanced Studies

MPZM

Motivprofils nach dem Zürcher Modell

NICE

Network for Innovation in Career Guidance & Counselling in Europe

NEO-PI-R

NEO Personality Inventory Revised

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ORVIS

Oregon Vocational Interest Scale

PSI-Theorie

Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen

RIASEC

Realistic (praktisch-technisch), Investigative (beobachtend-forschend), Artistic (künstlerisch-sprachlich), Social (sozial), Enterprising (unternehmerisch) und Conventional (verwaltend)

SBFI

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation

SDBB

Schweizerischen Dienstleistungszentrums Berufsbildung | Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

SVA

Sozialversicherungsanstalt

VR

Virtuelle Realität

WTT

Whole Trait Theory

ZFH

Zürcher Fachhochschule

ZHAW

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

ZMSM

Zürcher Modell der sozialen Motivation

Vorwort zur Buchreihe

 

 

 

Über Beratung lässt sich durchaus streiten. Was ist Beratung? Wann und unter welchen Bedingungen ist sie ein professionelles Angebot? Welchen Beitrag leisten einzelne Fachwissenschaften für ein besseres Verständnis von Beratung? Wann ist Beratung eher Coaching? Wie ist sie von Training oder Therapie abzugrenzen? Und welchen Beitrag kann die Psychologie als Wissenschaft leisten, um diese und ähnliche Fragen zu beantworten?

Die Fragen sind so komplex wie ihr Gegenstand – die Beratung – selbst. Diese Buchreihe vermittelt Wissen und Kompetenzen in der professionellen, auf psychologischen Theorien und Konzepten basierenden Beratung. Dabei wird Beratung als ein bevormundungsfreier Prozess verstanden, in dem Probleme der Ratsuchenden in ihrem Verhalten, Handeln und Erleben geklärt werden. Zur Klärung der anstehenden Fragen und zur Reflexion des Beratungsprozesses werden psychologische Theorien herangezogen. Professionelle Beratung findet in einem entsprechend ausgewiesenen und damit geschützten Setting statt. Im Dialog werden Informationen ausgetauscht, Bedingungen und Möglichkeiten reflektiert und Lösungsversuche begleitet. Im Transfer von fachwissenschaftlichen und subjektiven Theorien zeigt sich die professionelle Beratungskompetenz. Dabei kommt der kritischen Reflexion der eigenen Praxis zur Entwicklung der eigenen Kompetenzen wie auch der theoretischen Grundlagen eine besondere Bedeutung zu. Mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Praxisfelder psychologischer Beratung sollen der Buchreihe als Ganzes eher allgemeine Theorien der Beratung zugrundeliegend. Allgemeine Theorien verweisen auf übergreifende Wirkfaktoren psychologischer Beratung und erleichtern eine Abgrenzung der Beratung von der Psychotherapie.

Damit werden (1) persönliche Kompetenzen der Beratenden, (2) die Fokussierung auf Ressourcen und (3) die Förderung einer optimalen Entwicklung in der jeweils individuellen Lebenswelt angesprochen. Konkretisiert wird dies in der Orientierung auf persönliche Bedürfnisse und Stärken der Ratsuchenden in ihren Lebenswelten, auf die Kompetenzen der Beratenden und die Stärken der Beratungssettings sowie auf das Anliegen einer nachhaltigen Resilienzförderung über das Beratungssystem.

Je nach Zielgruppe mit ihren unterschiedlichen Lebenswelten und Lebenslagen gewinnen unterschiedliche Beratungskonzepte an Bedeutung. Wenn es also in den verschiedenen Bänden dieser Reihe um unterschiedliche Zielgruppen (Jugendliche, Familien, Paare, Menschen im hohen Alter), unterschiedliche Orte (Schule, Hochschule, Unternehmen), unterschiedliche Anlässe (Migration, Erkrankung) und unterschiedliche Themenfelder (Mobilität und Verkehr, Sport) geht, dann haben wir einen weiten theoretischen Rahmen, der jeweils gegenstandsbezogen konkretisiert wird. Damit Details und Ganzes sich auch über die Buchreihe stimmig zusammenfügen, wird jeder einzelne Band von zwei Herausgebern betreut. So sichern die Mitglieder das Editorial Boards, dass sich in dem von ihnen betreuten Band Theorie und empirische Befunde eine wissenschaftsbasierte Praxis verdeutlichen.

Als »Editor in Chief« möchte ich allen Mitgliedern des Editorial Bords für ihre aktive Mitwirkung danken. Im Namen des ganzen Beirats danke ich den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zur Buchreihe. Sie ermöglichen einen differenzierten Blick auf Theorie und Praxis, auf Konzepte und Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Feldern der Beratung.

Danken möchte ich Frau Annika Grupp, Verlag Kohlhammer, die mit großer Kompetenz und Tatkraft die Arbeit an der Buchreihe begleitet. Mein Dank gilt auch Frau Flurina Hefti, ZHAW Angewandte Psychologie, die als Lektorin und Redakteurin das Projekt unterstützt.

Beratung ist ein buntschillernder Begriff und damit schwer zu fassen. Es ist aber fachlich und ethisch unverzichtbar, professionelle Beratung von unprofessionellen Angeboten und von Alltagsgesprächen abzugrenzen. Dies kann nur gelingen, wenn die Beratungspraxis theoretisch und empirisch begründet ist. Mit diesem Anspruch wird jede Beschreibung von Beratungspraxis anspruchsvoll. Wir sind aber sicher, dass jeder einzelne Band der Reihe Theorie und Praxis zielführend verbindet – ansprechend und gut nachvollziehbar. Damit stehen die Chancen gut, dass jeder Band eine Hilfe ist zur Orientierung in einem für sich anspruchsvollen und herausfordernden Beratungsfeld.

 

Christoph Steinebach, Zürich im Frühjahr 2020

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Abkürzungsverzeichnis
  2. Vorwort zur Buchreihe
  3. Vorwort
  4. Dank
  5. 1 Einleitung
  6. 1.1 Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung im Spannungsfeld zwischen Individuum und Arbeitswelt
  7. 1.2 Perspektive Individuum: Typische Herausforderungen von Klienten
  8. 1.3 Perspektive Arbeitswelt: Entwicklungen in der »neuen« Arbeitswelt
  9. 1.4 Perspektive Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB): Rolle der Beratenden
  10. 1.5 Was erwartet Sie beim Lesen des Buches?
  11. Teil I Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) im Kontext der Arbeitswelt
  12. 2 Wandel in der Arbeitswelt
  13. 2.1 Vier industrielle Revolutionen
  14. 2.2 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung
  15. 2.3 Plattformbeschäftigung kann zu Disruption führen 43
  16. 3 Informationsquellen für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  17. 3.1 Informationsquellen für die volkswirtschaftliche Allgemeinwetterlage
  18. 3.2 Informationsquellen für Berufe und Berufsbilder
  19. 3.3 Zum Umgang mit volkswirtschaftlichen Prognosen in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  20. 4 Berufsbild Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) heute und in Zukunft
  21. Teil II Psychologische Theorien für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  22. 5 Zeitgeist der Persönlichkeitspsychologie
  23. 5.1 Realismus und Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Paradigmen
  24. 5.2 Differentielle Psychologie – Merkmalsorientierte Forschung und individuumsorientierte Praxis am Beispiel der Intelligenz
  25. 5.3 Persönlichkeitspsychologie – Aktuelle Entwicklungen
  26. 5.4 Zwischenfazit und Ausblick
  27. 6 Zürcher Modell der sozialen Motivation (ZMSM)
  28. 6.1 Sicherheit, Erregung und Autonomie – die zentralen Motivkomponenten und deren Detektoren im Überblick
  29. 6.2 Sicherheits- und Erregungsmotiv und deren Detektoren
  30. 6.2.1 Sicherheits- und Erregungsmotiv
  31. 6.2.2 Funktionsweise der drei Detektoren Relevanz (REL), Vertrautheit/Familiarität (FAM) und Nähe/Distanz (DIST)
  32. 6.3 Autonomiemotiv und Erfolgs-Detektor
  33. 6.3.1 Autonomiemotiv
  34. 6.3.2 Funktionsweise des Erfolgs-Detektors
  35. 6.4 Copingstrategien bei Verhinderung der Erfüllung des Sollwertes
  36. 6.5 Fragebogen zur Erfassung des Motivprofils nach dem Zürcher Modell (MPZM)
  37. 7 Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie)
  38. 7.1 Die PSI-Theorie im Überblick
  39. 7.2 Ebene des Verhaltens (Motorik)
  40. 7.2.1 Antagonismus zwischen Intentionsgedächtnis (IG) und Intuitiver Verhaltenssteuerung (IVS)
  41. 7.2.2 Positive Emotionen unterstützen die IVS
  42. 7.2.3 Methode »Pendelübung«
  43. 7.3 Ebene des Erlebens (Sensorik)
  44. 7.3.1 Antagonismus zwischen Extensionsgedächtnis (EG) und Objekterkennungssystem (OES)
  45. 7.3.2 Negative Emotionen unterstützen das OES
  46. 7.4 Rechte und linke Hirnhemisphäre – Weshalb tut Bewegung gut?
  47. 7.5 Zielumsetzung (Verhalten) und Selbstwachstum (Erleben) bedürfen jeweils beider Hemisphären
  48. Teil III Paradigmen der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  49. 8 Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) – sechs Beratungsansätze
  50. 9 Kommunikation – Vier Seiten einer Nachricht
  51. 10 Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) – drei Paradigmen
  52. 11 Paradigma der Passung
  53. 11.1 Arbeiten 2.0 und das Selbst als Objekt
  54. 11.2 Eigenschaftsansatz und HEXACO-Modell der Persönlichkeit
  55. 12 Paradigma des lebenslangen Lernens
  56. 12.1 Arbeiten 3.0 und das Selbst als Subjekt
  57. 12.2 ORVIS-Modell der Berufsinteressen
  58. 13 Paradigma des Life-Designs
  59. 13.1 Arbeiten 4.0 und das Selbst als Projekt
  60. 13.2 Career Construction Theory (CCT)
  61. 13.2.1 Die Career Construction Theory (CCT) im Überblick
  62. 13.2.2 Konstruktion – Career Construction Interview (CCI)
  63. 13.2.3 Dekonstruktion und Rekonstruktion – Identitätskarte (ID)
  64. 13.2.4 Ko-Konstruktion – Ressourcenbilder
  65. 13.3 Bezug zur PSI-Theorie
  66. 14 Wirksame Beratung unter Berücksichtigung der drei Paradigmen
  67. 14.1 Vielseitige Kompetenzfelder für Beratende
  68. 14.2 Methode Entwicklungslinie und Kompetenzenbilanzierung
  69. 15 Laufbahnberatung im Organisationskontext
  70. 15.1 Laufbahnen und Organisationsformen im Kontext von Arbeiten 3.0 und Arbeiten 4.0
  71. 15.2 Rahmen einer individualisierten Laufbahn- und Personalentwicklung
  72. Teil IV Beratungskonzept und Einsatz von Fragebogen und Tests
  73. 16 Beratungskonzept
  74. 16.1 Ebenen eines Beratungskonzeptes
  75. 16.2 Beratungsgrundhaltung
  76. 16.3 Qualitäts- und Erfolgskriterien
  77. 16.4 Beratungsarchitektur und -methoden
  78. 16.5 Struktur eines Beratungsgespräches
  79. 17 Distanzberatung
  80. 18 Einsatz von Fragebogen und Tests als Kernkompetenz der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  81. 18.1 Diagnostikkompetenz als Teil des Qualifikationsprofils Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)
  82. 18.2 Fragebogen oder Test?
  83. 18.3 Wissenschaftlichkeit des Fragebogens oder Tests
  84. 18.4 Vertrauensintervalle
  85. 18.5 Normierung
  86. 18.5.1 Interindividuelle und intraindividuelle Perspektive
  87. 18.5.2 Die Perspektive spielt eine Rolle
  88. 18.5.3 Skalierung als wichtige Voraussetzung für die interindividuelle Normierung
  89. 18.6 Gestaltung des diagnostischen Prozesses
  90. 18.6.1 Bestimmen der zu untersuchenden Dimensionen
  91. 18.6.2 Einsatz von Interessensfragebogen
  92. 18.6.3 Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen
  93. 18.6.4 Einsatz von Intelligenztests
  94. 18.7 Fazit Einsatz von Fragebogen und Tests
  95. 19 Zusammenfassende Betrachtung
  96. Literatur
  97. Stichwortverzeichnis

Vorwort

 

 

 

Mit dem vorliegenden Buchprojekt bin ich 2015 gestartet. Es umfasst ausgewählte Theorien aus der Persönlichkeits- und Motivationspsychologie sowie Ansätze aus der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB), die mich in meiner praktischen Tätigkeit als Berater leiten und unterstützen. Darüber hinaus werde ich im vorliegenden Buch den Fokus auch auf die aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung richten. Diese findet im Kontext zwischen Individuum und Organisations- oder Arbeitswelt statt und orientiert sich deshalb sinnvollerweise an beiden Kontexten.

In meiner Tätigkeit als Berater, Dozent und Forscher im Bereich der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung sind wesentliche Impulse in Form von Unklarheiten, Irritationen oder Fragen und daraus entstandene Erkenntnisse der Beratungspraxis entsprungen. Aus diesem Grund soll der Praxisfokus auch als Leitfaden für das gesamte Buch dienen. Er wird mit verschiedenen ausführlichen Praxisbeispielen von Klienten (deren Namen und Kontext ich aus Gründen der Vertraulichkeit geändert habe) unterstrichen. Die nicht immer konfliktfreie Auseinandersetzung zwischen Theorie und Praxis hat mich persönlich nachhaltig geprägt: In meiner Ausbildung stark wissenschaftlich ausgerichtet fühle ich mich als Berater den konkreten Fragestellungen aus der Praxis ebenso verpflichtet. Wohl wissend, dass sich die beiden Pole sehr gewinnbringend ergänzen, hat mich in den letzten Jahren der aus meiner Sicht einseitige Fokus der wissenschaftlichen Forschung auf allgemeingültige Phänomene (in der Psychologie wie auch in den Wirtschaftswissenschaften) stark umgetrieben. In Anlehnung an Stern (1911) kann die für die Praxis ungünstige Schieflage wie folgt beschrieben werden: Während in der persönlichkeitspsychologischen Forschung vorwiegend Merkmale beforscht werden, hat man es in der psychologischen Praxis mit einzigartigen Individuen zu tun. Meine kritische Haltung dazu werde ich im Kapitel Zeitgeist der Persönlichkeitspsychologie (image Kap. 5) zum Ausdruck bringen und erläutern.

Das IAP Institut für Angewandte Psychologie – seit über 10 Jahren mein Arbeitgeber – ist das Beratungs- und Weiterbildungsinstitut innerhalb des Departements Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dienstleistungen und Weiterbildung müssen im Fachhochschulkontext kostendeckend und zu Marktpreisen angeboten werden. Als Teil eines Hochschulinstitutes stellt für uns die Wissenschaftlichkeit ein zentraler Pfeiler unserer Arbeit dar. Im Rahmen der Dienstleistungs- und Weiterbildungsangebote transferieren wir zum einen wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien in die Praxis und zum anderen bringen wir zentrale Fragen aus der Praxis im Rahmen von angewandten Forschungsprojekten wieder in den wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der Angewandten Psychologie ein.

Im Zentrum Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung stellen wir dies durch ein Team von Beratenden mit einem Masterabschluss in Psychologie und einer Zusatzqualifikation in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung sicher. Alle Mitarbeitenden erfüllen das Qualifikationsprofil Berufs-, Studien- und Laufbahnberater/in des Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI, 2011). Neben dem Dienstleistungsangebot in den Bereichen Berufs- und Studienberatung, Laufbahnberatung für Privatpersonen und Organisationen sowie Outplacementberatung bieten wir im Zentrum mit dem MAS ZFH in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung eine Weiterbildung für zukünftige Beraterinnen. Im MAS erwerben die Teilnehmenden die Handlungskompetenzen des oben erwähnten Qualifikationsprofils Berufs-, Studien- und Laufbahnberater/in. Der MAS ist vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) akkreditiert und die Absolventinnen sind berechtigt, den Titel diplomierte Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin zu tragen.

Im Rahmen des MAS ZFH in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung leiten wir die Teilnehmenden an, ein eigenes Beratungskonzept zu entwickeln. Dabei stellen die wissenschaftlichen Grundlagen, aus der Psychologie und anderen Disziplinen einen zentralen Pfeiler dar. Die Auswahl und Integration der zentralen Konzepte für das individuelle Beratungskonzept erfolgt jedoch subjektiv und ist Ausdruck der individuellen Haltung und Prägung der Teilnehmenden. Genauso basiert auch die Auswahl der in diesem Buch präsentierten Ansätze und Gedanken auf meiner individuellen Haltung und Prägung. Dadurch erhält das Buch eine persönliche und subjektive Note, die ich an einigen Stellen mit der Verwendung der Ich-Form unterstreichen möchte. Mit dem Ziel einer möglichst gendergerechten Sprache wird im vorliegenden Buch abwechselnd die weibliche und männliche Form verwendet.

Dank

 

 

 

Mein Dank gilt den Teilnehmenden meiner Kurse am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Studierenden der Psychologie, angehenden Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterinnen sowie mit HR Fachpersonen hat es mir ermöglicht, die im vorliegenden Buch enthaltenen Theorien und Ansätze zu reflektieren und dabei systematisch Erkenntnisse für die Praxis der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) zu extrahieren. Zentral war für mich auch die kontinuierliche Prüfung der Praxistauglichkeit in der Beratung mit meinen Klientinnen. Als Berufs-, Studien- und Laufbahnberater habe ich von deren Feedback enorm profitiert.

Essenziell für mich ist auch die permanente Auseinandersetzung und konstruktive Prüfung mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Zentrum für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung am IAP und anderen Personen am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW. Dazu zählen auch die zahlreichen Praktikantinnen. Insbesondere möchte ich mich bei Ida Mueller bedanken für die hilfreiche Mitarbeit bei der Quellensuche und -verarbeitung.

Speziell freut es mich, dass Anita Glenck als Studienleiterin des »CAS Diagnostik und Beratung in der Arbeitswelt« am IAP Institut für Angewandte Psychologie die Beiträge zur Methode der Entwicklungslinie und Kompetenzenbilanzierung, zur Gestaltung des diagnostischen Prozesses sowie zur Distanzberatung verfasst hat. Mit ihrer Expertise zum Thema sowie der langjährigen Beratungserfahrung verleiht sie dem Buchprojekt eine noch breitere und fundiertere Perspektive.

Nebst meinem beruflichen Umfeld hat auch mein privates Umfeld unendlich viel dazu beigetragen, mich selbst immer wieder anhand der erwähnten Theorien und Ansätze zu hinterfragen und reflektieren – eine weitere Prüfung auf Praxistauglichkeit, für die ich mich ganz herzlich bedanken möchte!

Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Christoph Steinebach, dem Herausgeber der Serie. Er hat es mir ermöglicht, das vorliegende Buch umzusetzen und nach der ersten Einreichung auch zahlreiche wertvolle und fundierte Rückmeldungen für die Überarbeitung gegeben. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Dr. Miriam Hansen für ihr differenziertes Feedback sowie bei Frau Annika Grupp, die mir seitens des Verlags jederzeit unterstützend zur Seite gestanden ist. Last, but not least möchte ich mich bei Flurina Hefti ganz herzlich für das äußerst sorgfältige und kompetente Lektorieren des Manuskriptes bedanken.

1         Einleitung

 

 

 

1.1       Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung im Spannungsfeld zwischen Individuum und Arbeitswelt

Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) findet im Spannungsfeld zwischen Individuum und Arbeitswelt statt und bezieht sinnvollerweise auch andere Lebensbereiche wie Familie und Freizeit/Hobbys ein. Das vorliegende Buch soll Beratende inspirieren, Laufbahnentwicklungsprozesse zu begleiten, sei dies als Berufs-, Studien- und Laufbahnberatende, in der Berufsorientierung, oder auch unter einem anderen Label (z. B. Job- oder Laufbahncoach). Ziel ist es, Beratende anzuregen, die beschriebenen Ansätze und Theorien mit ihren Klientinnen auszuprobieren und anzuwenden.

Anhand des folgenden Praxisbeispiels von Herrn Meierhofer sollen zu Beginn des Buches die Aspekte herausgearbeitet werden, die für die BSLB von Relevanz sind und im vorliegenden Buch adressiert werden. Dabei werden folgende Perspektiven unterschieden:

1.  Perspektive Individuum: Welches sind typische Herausforderungen der Klienten?

2.  Perspektive Arbeitswelt: Wie gestaltet und entwickelt sich die »neue« Arbeitswelt?

3.  Perspektive BSLB: Welche Rolle können/sollen die Beratenden übernehmen?

1.2       Perspektive Individuum: Typische Herausforderungen von Klienten

Praxisbeispiel – Herr Meierhofer (40 Jahre; »ja, aber«)

Herr Meierhofer ist knapp 40 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Söhne. Seine aktuelle Position als interner Controller einer mittelgroßen Organisation stellt ihn überhaupt nicht zufrieden. Er kommt in die Laufbahnberatung mit dem Anliegen, seine neuen beruflichen Ideen mit seinen Stärken, Interessen und Werten abzugleichen und seine berufliche Entwicklung zu konkretisieren. Vor der Beratung möchte Herr Meierhofer ein Vorgespräch, in welchem ich ihm den Ablauf einer Laufbahnberatung aufzeige und in welcher Rolle ich mich dabei als Berater sehe. Ich stelle ihm den Ablauf einer Beratung so vor, dass es in einem ersten Schritt darum geht, den roten Faden der bisherigen Laufbahn, respektive des bisherigen Lebens zu identifizieren: Mit Blick auf meine Bedürfnisse, Eigenschaften, Werte, Interessen und Motive stellt sich die Frage, was mich ausmacht, wer ich bin? In einem zweiten Schritt geht es darum, den roten Faden weiter zu spinnen und ein berufliches Zielbild im Sinne einer beruflichen Funktion, Rolle oder des beruflichen Umfeldes zu entwickeln. In der Folge sollen konkrete Schritte in Richtung Zielbild in die Wege geleitet werden. Meine Haltung gegenüber der Beratung schildere ich ihm wie folgt: Ich sehe mich als Prozessbegleiter, der Fragen stellt und verantwortlich ist für den Ablauf der Beratung. Den Klienten sehe ich in der Verantwortung, wenn es darum geht, die Fragen zu beantworten und den roten Faden zu bestimmen. Dazu gehört auch das Generieren von konkreten Berufs- und Laufbahnideen. Mit der Bezeichnung Klient soll im Gegensatz zu anderen Bezeichnungen wie Ratsuchender oder Kundin zum Ausdruck gebracht werden, dass die Klientinnen und Klienten als »aktive« Teilnehmende in den Beratungsprozess eingebunden werden.

Herr Meierhofer hat seine bisherige Laufbahnentwicklung auf der Basis eines klar identifizierbaren roten Fadens sowie unter geschicktem Einbezug von Intuition und Kalkül getroffen: Er hat die KV-Lehre bei einem Familienunternehmen gemacht und in der Folge bewusst eine sichere Anstellung in der öffentlichen Hand gesucht. Parallel dazu hat er das Bachelorstudium der Betriebswirtschaftslehre absolviert. Das Studium hat ihm die nötige Herausforderung gegeben sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten eröffnet. In der Folge war er als externer Berater bei einem großen Beratungsunternehmen, wo für ihn insbesondere das Prestige und der Lohn wichtig waren. Schließlich hat er in die Funktion als interner Controller bei einer mittelgroßen Organisation gewechselt, weil er dort weniger lange Arbeitstage sowie weniger wechselnde Ansprechpersonen erwartet hatte. Als interner Controller wird er gemäß eigenen Aussagen aber eher als notwendiges Übel und weniger als interner Sparringpartner betrachtet. Herr Meierhofer stellt deshalb die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit in Frage. Zudem machen ihm die vielen unterschiedlichen Ansprechpartner und Prozesse in den verschiedenen Abteilungen der Organisation sowie das ständige Suchen nach Fehlern, welches seine Funktion als interner Controller mit sich bringt, zu schaffen. Hinzu kommt, dass er sich in seiner Funktion und Rolle auch nicht immer als kompetent erlebt.

Herr Meierhofer hat die Arbeitswelt in seiner Laufbahn systematisch exploriert. So weiß er zum Zeitpunkt der Beratung auch relativ genau, was er gut kann, was ihn interessiert und was für ihn wichtig ist. Vor der Beratung hat er auch bereits verschiedene Abklärungen getroffen und konkrete Ideen generiert und überprüft. Eigentlich möchte er Berufsfachschullehrer werden, weil er in diesem für ihn sinnvollen Beruf seine breite Fachexpertise weitergeben kann und er zudem gerne mit Jugendlichen arbeitet.

In die Beratung kommt er, weil er mit seiner letzten Entscheidung, dem Wechsel vom externen Berater in die Funktion des internen Controllers unzufrieden ist. Er hat diese Entscheidung gemäß eigenen Aussagen getroffen, obwohl er bereits während des Bewerbungsprozesses »gespürt« hat, dass ihm das neue Umfeld nicht entspricht. Demzufolge betrachtet er die damalige Entscheidung als Misserfolg und er möchte den nächsten beruflichen Schritt deshalb mit professioneller Unterstützung angehen.

Herr Meierhofer strebt danach, die Anstellung als interner Controller für etwas Spannenderes und Sinnvolleres zu aufzugeben. Im Beratungsprozess zeigt sich, dass er – eine (selbst-)kritische Person mit vielseitigen Interessen – im aktuellen Entscheidungsprozess mit angezogener Handbremse agiert: Bei jeder auch noch so vielversprechenden und zu seinem roten Faden passenden Option taucht immer wieder ein »ja, aber« auf. Entscheidet er sich für den Berufsfachschullehrer, so geht die Entscheidung wegen der nötigen Weiterbildung und den unsicheren Berufsaussichten auf eine 100% Anstellung mit einer finanziellen Unsicherheit einher. Er müsste sich also auf einen unsicheren Weg des beruflichen Explorierens einlassen. Dazu ist Herr Meierhofer (noch) nicht bereit. Dies, obwohl er in seiner bisherigen Laufbahn gerade durch fortlaufendes Explorieren sehr erfolgreich gewesen ist und sich daraus auch immer wieder neue Chancen ergeben haben.

Im Beratungsprozess wird für Herrn Meierhofer klar, dass er zwar auf dem richtigen Weg ist, dass aber weitere Abklärungen nötig sind, bevor er sich definitiv entscheiden kann. Das bedeutet für ihn, Gespräche über die beruflichen Aussichten als Berufsfachschullehrer mit einer Schule und mit Lehrpersonen zu führen und auch Schnuppertage zu machen. Obwohl Herr Meierhofer im Verlauf seiner Laufbahn immer wieder auf seine Intuition zählen konnte und er auch bei seiner letzten Entscheidung intuitiv wusste, dass er als interner Controller in dem Umfeld nicht glücklich werden wird, möchte er bei der anstehenden Entscheidung die Intuition explizit ausschließen und die Entscheidung mit Hilfe rationaler Überlegungen und Abklärungen »absichern«.

Die Beratung von Herrn Meierhofer illustriert die Herausforderung zahlreicher Klientinnen der BSLB in der heutigen Arbeitswelt. Sie kann wie folgt charakterisiert werden: Einerseits sind sie unzufrieden mit ihrer aktuellen beruflichen Situation. Andererseits steht einer Veränderung ein »aber« im Weg. Klienten wie Herr Meierhofer erleben ihre aktuelle berufliche Situation als ambivalent. Sie sind zwar latent unzufrieden, schaffen es aber dennoch nicht, sich beruflich zu verändern.

Die Psychologie beschäftigt sich gemäß Nolting und Paulus (2018) mit dem Beschreiben, Erklären, Vorhersagen und Beeinflussen von menschlichem Erleben und Verhalten. So liegt es auf der Hand, psychologische Theorien einzubeziehen, wenn es um das Erklären und gegebenenfalls auch Verändern des Erlebens und Verhaltens von Klienten wie Herrn Meierhofer geht. In der Beratung kann der Einbezug verschiedener Motivsysteme einen Beitrag zum Beschreiben und Erklären leisten. In der Psychologie wird zwischen den Motivsystemen der Sicherheit (auch Bindung) und der Erregung (auch Neugierde oder Selbstverwirklichung) unterschieden. Beide beeinflussen das menschliche Erleben und Verhalten in einem komplexen Zusammenspiel, wie im Teil II dieses Buches in den Kapiteln zum Zürcher Modell der sozialen Motivation (ZMSM; Bischof, 1975, 1985; image Kap. 6) sowie zur Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie; Kuhl, 2005, 2010; image Kap. 7) beschrieben.

Nebst den Motivsystemen spielen in beruflichen Übergangssituationen auch verschiedene Erkenntnisprozesse eine wichtige Rolle. Umgangssprachlich werden rationale und auf den Verstand bezogene Entscheidungen unterschieden von intuitiven Entscheidungen, die aus dem Bauch heraus oder aber auch als Herzensentscheidungen getroffen werden. Analytisch rationale und dem Bewusstsein zugängliche Erkenntnisprozesse werden in der bereits erwähnten PSI-Theorie (Kuhl, 2005, 2010) ganzheitlich intuitiven und in vielen Fällen implizit und unbewusst ablaufenden Erkenntnisprozessen gegenübergestellt und in diesem Buch beschrieben.

1.3       Perspektive Arbeitswelt: Entwicklungen in der »neuen« Arbeitswelt

Die Arbeitswelt präsentiert sich heute für viele in einem rasanten Wandel, der sich vor allem auf die Digitalisierung oder Robotisierung, aber auch auf andere Megatrends wie Globalisierung, demografischer Wandel und Wissensgesellschaft zurückführen lässt (BMAS, 2015; image Kap. 2.1). Für die BSLB bedeutet dies, dass Laufbahnplanung nicht mehr wie früher abläuft, als typische Laufbahnen von der Lehre bis zur Pensionierung durchaus noch in einer Organisation stattfanden (Savickas & Baker, 2005). Die Arbeitswelt war stabil und man konnte davon ausgehen, nach kurzem Explorieren der Arbeitswelt im gewählten Beruf bis zur Pension zu verbleiben und kontinuierlich aufzusteigen, in Bezug auf Hierarchie, Prestige und Lohnstufe. Heute hingegen verändern sich viele Berufsfelder und -bilder innerhalb von zwei bis fünf Jahren enorm und können in ebendiesem Zeitraum auch wieder verschwinden. Dafür entstehen durch den Wandel auch immer wieder neue Berufsfelder wie kürzlich jenes der Bioinformatik.

Neben dem berufsfeldbezogenen Wandel kommt auch die arbeitsplatzbezogene Unsicherheit dazu: Einige Organisationen (man kann das als notwendig erachten oder ihnen mangelnde Verantwortungsübernahme unterstellen) bauen in finanziell herausfordernden Zeiten ganze Abteilungen ab oder verlagern diese in Länder mit tieferen Lohnkosten, steuerlichen Vorteilen oder weniger restriktiven Vorgaben bezüglich Arbeitssicherheit oder Umweltschutzes. Im November 2018 zeichnet sich der Arbeitsmarkt in der Schweiz gemäß Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO; siehe www.amstat.ch) zwar durch eine sehr tiefe Arbeitslosenquote von nur gerade 2.5 % aus. Dennoch – und trotz starkem Rückgang im Vergleich zum Vorjahr – stellt die Arbeitslosigkeit gemäß Credit Suisse Sorgenbarometer 2018 (gfs.bern, 2018) eine der größten Sorgen der Schweizer Bevölkerung dar. So geben im Jahr 2018 immer noch 22 % der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der fünf wichtigsten Probleme der Schweiz an. Im Vorjahr waren es sogar 44 %. Die Zahlen veranschaulichen, dass der subjektiv erlebte Druck bezogen auf die berufliche Entwicklung bei vielen enorm hoch ist.

In der »neuen« Arbeitswelt ist eine strategische und über mehrere Jahre vorausblickende Planung der beruflichen Laufbahn für viele praktisch unmöglich. Insbesondere Personen, die eher Sicherheit und Stabilität suchen und gleichzeitig einen hohen Anspruch haben, ihre berufliche Entwicklung rational-vorausplanend anzugehen, finden in der Arbeitswelt oft keine passende Realität. Die Situation trifft auch auf erfahrene und arrivierte Berufspersonen wie Herrn Meierhofer zu. Seine aktuelle Situation erfordert ein weiteres Explorieren der Arbeitswelt. Damit einher gehen wiederkehrende und teilweise einschneidende Laufbahnentscheidungen. Bei der Bewältigung dieser Übergänge spielt die BSLB eine zentrale Rolle. Dabei ist es wichtig, dass sowohl die beteiligten Institutionen (image Kap. 4) als auch die einzelnen Beratenden ein Selbstverständnis entwickeln, das sich zum einen an den Entwicklungen der »neuen« Arbeitswelt und zum anderen nahe am Erleben und Verhalten der Klientinnen orientiert. In der Folge wird mit Bezug zum Praxisbeispiel von Herrn Meierhofer auf die Rolle der Beratenden eingegangen.

1.4       Perspektive Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB): Rolle der Beratenden

Eine strukturierte Reflexion und Auseinandersetzung mit der bisherigen schulischen oder beruflichen Laufbahn ermöglicht es Klientinnen in der Beratung, den roten Faden ihrer beruflichen Laufbahn zu erkennen. Dieser dient in der Folge als Kompass für die konkreten nächsten Schritte der beruflichen Laufbahnentwicklung. Herr Meierhofer hält für sich fest, dass er viele berufliche Interessen hat, die sehr gut mit seinen Berufsideen übereinstimmen. Die Reflexion über sich selbst hat zur für ihn wichtigen Erkenntnis geführt, dass er ein (selbst-)kritischer Geist ist. Dies lässt ihn bei jeder beruflichen Option ein »ja, aber« erkennen und führt dazu, dass er zurzeit »mit angezogener Handbremse« agiert. Im Rahmen der Beratung hat Herr Meierhofer konkrete nächste Schritte definiert (Gespräche mit Berufsschulen und Lehrpersonen; Schnuppertage). In der abschließenden persönlichen Evaluation der Beratung äußert er sich sehr ehrlich, indem er, verbunden mit einer gewissen Ernüchterung, sagt, dass er sich insgeheim erhofft hat, in der Beratung neue Berufsideen zu erhalten. Ideen, auf die er selbst nicht gekommen wäre. Diese konnte ich ihm nicht liefern und seine Rückmeldung konfrontierte mich abermals mit der wichtigen Frage nach meiner Rolle als Berater:

Gerade im Hinblick auf die Informationen über die Arbeitswelt findet die BSLB im Spannungsfeld zwischen Expertenberatung (»Als Beraterin mache ich die Passung zwischen Personen und Berufen« und »Als Beraterin vermittle ich Informationen über Berufe und die Arbeitswelt«) und Prozessberatung (»Als Beraterin steuere ich den Beratungsprozess« und »Als Beraterin leite ich Personen an, sich selbst die relevanten Informationen zu beschaffen«) statt. Mein eigenes Beratungsverständnis ist stark geprägt durch die nachhaltige (und in manchen Fällen schockierende) Erfahrung von Klienten, die berichten, dass sie als Jugendliche eine Berufsberatung gemacht hätten und dass ihnen die Beraterin damals entweder vehement vom Herzenswunsch abgeraten oder den »richtigen« Beruf vorgeschlagen habe. Einige dieser Klienten bereuen es noch heute, deswegen eine »falsche« Entscheidung getroffen oder den Herzenswunsch nicht weiter verfolgt zu haben. Andere hingegen waren sehr zufrieden mit der Empfehlung der Beraterin. Unabhängig davon, ob der Klient mit der Empfehlung der Beraterin zufrieden war/ist oder nicht: Die Verantwortung für die Laufbahnentwicklung eines Klienten kann aus meiner Sicht nie bei der beratenden Person liegen. Die Stärkung der Selbstverantwortung der Klientin sollte immer im Vordergrund stehen. Das soeben genannte Vorgehen in der Beratung erinnert an eine einseitige und »naive« Anwendung des Passungsansatzes (image Kap. 11) und birgt die Gefahr, dass Beratende die Verantwortung für Laufbahnentscheidungen übernehmen.

Aus meiner Sicht sollte der Fokus in einer nachhaltig wirksamen BSLB sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen auf die Prozessberatung gelegt werden. Dabei werden Klientinnen in Phasen des beruflichen Übergangs durch den Beratungsprozess navigiert mit dem Ziel der Förderung ihrer Laufbahngestaltungskompetenzen (siehe Neary & Hooley, 2016; image Kap. 4), vom Erarbeiten des persönlichen roten Fadens, über das Erkunden der Ausbildungs- und Berufswelt bis hin zur Entscheidungsfindung sowie der Umsetzung. Dabei erachte ich es sehr wohl als Aufgabe der Beraterin, kritische Fragen zu stellen (z. B. wenn eine Klientin Ziele anstrebt, die aus Sicht der Beraterin nicht realistisch sind). Ebenfalls erachte ich es als Aufgabe der Beraterin, im Kontakt mit der Wirtschaft zu stehen, zu verstehen, wie diese »funktioniert« sowie ein offenes Ohr für Branchenvertreterinnen zu haben, die sich hoffnungsvoll an die BSLB wenden, weil sie Mühe haben, geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren. Jedoch erachte ich es nicht als Aufgabe des Beraters, Klienten von vermeintlich unrealistischen Optionen abzuhalten, wenn sie diese unbedingt in Angriff nehmen wollen. Ebenfalls erachte ich es nicht als Aufgabe des Beraters, Klienten Branchenempfehlungen im Hinblick auf gute Berufschancen zu machen. Und schließlich erachte ich es auch nicht als Aufgabe des Beraters, Klienten eine für sie passende Laufbahnoption zu präsentieren.

Aus diesem Verständnis über die Rolle der Beratenden ergibt sich die Forderung, dass Beratende insbesondere Handwerkszeug und Kompetenzen in Richtung Prozessbegleitung, -unterstützung sowie Stärkung der Selbstwirksamkeit erwerben sollten. Damit ist aber nicht gemeint, dass volkswirtschaftliche Zusammenhänge sowie Wissen über das Funktionieren der Arbeitswelt und einzelner Berufe keine Rolle spielen für Beratende. Im Gegenteil, Expertenwissen in den Bereichen Arbeitswelt, Branchen- und Berufskunde, Bildungssystematik, wirtschaftliche, gesellschaftliche sowie politische Zusammenhänge, rechtliche Grundlagen und Sozialwerke ist wichtig für eine Prozessberatung. Prognosen und Trends in der Arbeitswelt können sich aber schnell ändern und sind unter Umständen schon nach kurzer Zeit nicht mehr aktuell. In der Beratung besteht so die große Gefahr, dass ein Berater Detailinformationen zu einem Fachbereich, die für eine Klientin zentral sind, nicht kennt oder sein Wissensstand darüber veraltet ist. Im Beratungsprozess sollte es deshalb nicht um das Vermitteln von Information gehen, sondern darum, jugendliche und erwachsene Klienten anzuleiten, sich die aktuellen und relevanten Informationen aus erster Hand (z. B. von Berufsverbänden, Organisationen, Ausbildungsverantwortlichen oder auch -teilnehmenden etc.) einzuholen und so eine selbstverantwortliche Laufbahnentwicklung zu unterstützen.

Das Praxisbeispiel von Herrn Meierhofer macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Rollenfrage und deren kontinuierliche Klärung zentral sind; dabei jedoch auch Unklarheiten und Enttäuschungen entstehen können. Die Rollenfrage wird im vorliegenden Buch wiederholt thematisiert und mit konkreten Beispielen veranschaulicht (image Kap. 16).

1.5       Was erwartet Sie beim Lesen des Buches?

Im Teil I »Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) im Kontext der Arbeitswelt« soll verdeutlicht werden, dass der mit der Digitalisierung einhergehende Wandel in der Arbeitswelt einen Einfluss auf die Beratung im Bereich der BSLB hat. Nebst Ausführungen zu den Entwicklungen in der »neuen« Arbeitswelt, werden auch Hinweise auf konkrete Informationsquellen für die Beratung gemacht und Überlegungen zur BSLB der Zukunft angestellt.

Im Teil II »Psychologische Theorien für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)« findet eine Auseinandersetzung mit der Psychologie, die sich mit dem Beschreiben und Erklären menschlichen Erlebens und Verhaltens beschäftigt, statt. Nebst aktuellen Entwicklungen innerhalb der Persönlichkeitspsychologie werden zwei Theorien im Detail vorgestellt und sowohl mit konkreten Methoden für die Praxis der BSLB als auch Praxisbeispielen veranschaulicht: Das Zürcher Modell der sozialen Motivation (ZMSM; Bischof, 1985, 1993) und die Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie; Kuhl, 2005, 2010).

Im Teil III »Paradigmen der Berufs- Studien- und Laufbahnberatung (BSLB)« findet eine detaillierte Auseinandersetzung mit drei verschiedenen Paradigmen der BSLB statt: Passung, lebenslanges Lernen und Life Design. Die Paradigmen, die von Savickas (2012b, 2015b, 2019) beschrieben werden, stehen in einem engen Bezug zu den Entwicklungen in der Arbeitswelt. Sie adressieren unterschiedliche Facetten der beruflichen Identität und nehmen Bezug auf die verschiedenen Ebenen des Selbst nach McAdams (2013, 2015): Selbst als Objekt, Subjekt und Projekt. Die unterschiedlichen Facetten werden im Detail erläutert. Zudem werden konkrete Methoden für die Praxis vorgestellt und mit Praxisbeispielen veranschaulicht.

Im Teil IV »Beratungskonzept und Einsatz von Fragebogen und Tests« werden die für die Entwicklung eines persönlichen Beratungskonzeptes zentralen Ebenen beschrieben. Ein Beratungskonzept beinhaltet eine Grundhaltung sowie eine Architektur verschiedener Phasen einer Beratung, innerhalb derer die konkreten Methoden eingeordnet werden können. Darüber hinaus wird im Teil IV auf das Thema Distanzberatung sowie den konkreten Einsatz von Fragebogen und Tests in der Beratung eingegangen.

 

 

 

Teil I    Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) im Kontext der Arbeitswelt

2         Wandel in der Arbeitswelt

 

 

 

2.1       Vier industrielle Revolutionen

Digitalisierung als Megatrend hat heute einen weitreichenden Einfluss auf die Arbeitswelt. Einerseits besteht aufgrund der Automatisierung die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten, andererseits ergeben sich durch den technologischen Fortschritt aber auch neue Berufsfelder mit entsprechenden Berufschancen. Gemäß Grünbuch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS, 2015) kann die Digitalisierung der dritten von bis heute vier industriellen Revolutionen zugeordnet werden.

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Abb. 2.1: Arbeiten 1.0 bis 4.0 (in Anlehnung an BMAS, 2015)

Die vier industriellen Revolutionen seit dem Ende des 18. Jh. werden im erwähnten Grünbuch (BMAS, 2015) beschrieben (image Abb. 2.1). Die Anfänge der Industriegesellschaft mit der Erfindung der Dampfmaschine Ende des 18. Jh. werden als Arbeiten 1.0 bezeichnet. Der Beginn der Massenproduktion und die damit verbundene fortschreitende Industrialisierung sowie der Beginn des Wohlfahrtsstaates in Deutschland am Ende des 19. Jh. werden als Arbeiten 2.0 umschrieben. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. vollzog sich die Konsolidierung des Sozialstaates im Kontext des zunehmenden Wettbewerbsdrucks, welcher durch die Digitalisierung und die Globalisierung beschleunigt wurde. Diese Konsolidierung im Sinne von Arbeiten 3.0 hat in unterschiedlichen Staaten zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. So weisen Deutschland oder Frankreich bis heute einen stärkeren Arbeitnehmerschutz (oder anders formuliert einen weniger flexiblen Arbeitsmarkt) auf als beispielsweise die Schweiz. Derzeit vollzieht sich eine zunehmende Verschmelzung von Mensch und Maschine, welche mit unterschiedlichen Stichworten wie Arbeiten 4.0, Cognitive Computing, künstliche Intelligenz (KI; auf Englisch Artificial Intelligence, AI), maschinelles Lernen (auf Englisch Machine Learning), Deep Learning oder Virtual Reality (VR) umschrieben werden kann (Morgan, 2018; Stone et al., 2016).