Edith Schuligoi

Frauenkastration

Leben nach dem Verlust von Gebärmutter und Eierstöcken

Ein Buch für Frauen, ihre Partner und begleitende Fachpersonen

Für meine Tochter Judith, für meinen Mann Guido und für meine Mutter - die immer zu mir standen, in all den schweren Tagen

„Ohne Wahrheit kann es keine Erkenntnis geben.“

Mahatma Gandhi

Inhaltsverzeichnis

Zum besseren Verständnis: sind ausgewählte Fachworte und Begriffe im Glossar ab Seite → erklärt.

Geleitworte

Kastration – Fragen und Antworten

Ein Kastrat ist ein weibischer Mann mit hoher Stimmlage, dem die Hoden entfernt wurden. Im Übrigen ist der Ausdruck Kastration der Tiermedizin vorbehalten und dient bei Hund und Katze neben der Unfruchtbarmachung auch der Domestizierung der Tiere. In der Humanmedizin ist die Kastration von Frauen bei uns ein gut gehütetes Tabu und die Entfernung der weiblichen Keimdrüse wird als Ovarektomie oder Adnexektomie oder umgangssprachlich, wenn die Gebärmutter ebenfalls herausoperiert wird, als Totaloperation bezeichnet.

Das vorliegende Buch ist kein Ovarektomie-Buch. Es ist ein Kastrationsbuch mit zum Himmel schreienden Geschichten von Frauen, die sich diesem Eingriff unterzogen haben, im guten Glauben, dass er nicht zu umgehen sei, ihrer Gesundheit diene und ihre Lebensqualität nicht negativ beeinflusse. Sie ahnten nicht, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt, der tief ins weibliche Leben zielt, und dass die medizinische Notwendigkeit dieses Eingriffes nicht selten zu hinterfragen ist. Auch ist ersichtlich, dass die Operateure und einige der nachfolgend behandelnden Frauenärzte sich nicht darauf einlassen können oder wollen, was sie mit der Entfernung der Eierstöcke bei einer Frau tatsächlich angerichtet haben und – dass später, wenn der Schaden zu Tage tritt, das große Leugnen an der Tagesordnung ist, bis hin zu Schuldzuweisungen an die Patientinnen. Ein ärztliches Verhalten, welches auch dann nicht entschuldbar ist, wenn man weiß, dass solche schweren Verläufe nicht zur Tagesordnung gehören.

Eine solche Medizin erzeugt Wut – wie sie bei der Autorin deutlich spürbar ist. Ohne Frage gibt es andererseits in Klinik und Praxis Ärzte und Ärztinnen, die Experten sind auf dem Gebiet der Endokrinologie und die Kenntnisse haben von der engen Verbindung von Organverlust, Hormonabfall und psychischer Veränderung. Nur leider ist es oft Glückssache, einen solchen Experten ausfindig zu machen.

Aus der Hirnforschung wissen wir, dass jedem Körperorgan in bestimmten Hirnregionen ein Platz zugewiesen ist, dessen Zellen in ständiger Verbindung mit dem Organ stehen, und dass darüber hinaus alle Organe in einem komplizierten Netzwerk miteinander kommunizieren. Dabei nehmen die hormonbildenden Drüsen, wie beispielsweise die Eierstöcke, eine Sonderstellung ein. Das An- und Abfluten der von ihnen produzierten Hormone, die jedes einzelne Körperorgan über die Blutbahn erreichen, wird aufs Feinste reguliert durch weitere Hormondrüsen am und im Gehirn. Die Entfernung der Eierstöcke hinterlässt also einen Defekt nicht nur im Bereich der weiblichen Geschlechtsorgane, sondern im gesamten Frauenkörper mit Rückwirkung auch auf Hirnfunktionen und die Psyche der Frau. Besonders bei jüngeren Frauen vor den Wechseljahren entsteht eine mehr oder weniger spürbare Defektheilung, an deren Auswirkungen Körper und Seele sich individuell anpassen müssen und in der Folge sehr unterschiedliche Reaktionsmuster hervorbringen.

Das Buch wirft mehr Fragen auf, als es Antworten geben kann: die Frage beispielsweise, weshalb sind die Genitalorgane der Frau so wenig wert? Ist es ein medizinisches Problem? Ein Problem, welches mit der Ausbildung junger Gynäkologen und Gynäkologinnen zu tun hat, die am Operationstisch ausgebildet werden, ohne dazu angehalten zu werden, sich die Folgeschäden ihres Tuns jemals vor Augen zu halten? Oder ist es noch immer ein gesellschaftliches Problem, in dem sich die seit alters her herrschende Missachtung weiblicher Unterleibsorgane und ihrer Funktionen im modernen Gewand widerspiegelt? Warum gibt es in der Medizin zu wenig Information darüber, dass selbst ein winziger Eierstockrest oft besser funktioniert als eine Hormonersatztherapie? Und schließlich bleibt die Frage offen, wohin sich die Frauen wenden können, um Hilfe zu finden, ohne sich auf den schwierigen und oft weiterhin zerstörerischen Weg von Versuch und Irrtum begeben zu müssen.

Dennoch hat dieses Buch seine große Berechtigung: Aus meiner ärztlichen Erfahrung weiß ich, dass für Frauen, die nach Entfernung der Eierstöcke psychisch und physisch krank sind, die Einsamkeit, die Sprachlosigkeit und das Achselzucken ihrer Ärzte am schlimmsten sind. Diejenigen Frauen, die einen langen Leidensweg hinter sich haben, werden sich vielleicht erstmalig verstanden und gestärkt fühlen, weil sie sich wiederfinden in dem einen oder anderen Frauenschicksal. Vielleicht können sie ein wenig aufatmen, weil sie nun erfahren, dass ihre eigenen Reaktionen nicht krankhaft sind, sondern normal. Vielleicht können sie auch wieder nach vorn schauen und sich nochmals auf den Weg machen, um sich Hilfe zu holen.

Die Erfahrung mit Frauengesundheitsaktionen und Büchern, die sich in den 90er Jahren gegen überflüssige gynäkologische Operationen richteten, lehrt, dass informierte, aufgeklärte Frauen, die selbstbewusst ihre Unterleibsorgane verteidigen, seltener und vor allem organerhaltend operiert werden. Die Operationszahlen gingen damals um mehr als die Hälfte zurück.

Meine Hoffnung ist, dass das vorliegende Buch auch jetzt Frauen erreicht, die noch nicht operiert sind und die noch vollständig oder teilweise über ihre Unterleibsorgane verfügen. Sie haben das Recht, für den Erhalt dieser Organe zu kämpfen und sich notfalls eine zweite Meinung einzuholen.

Barbara Ehret

Dr. med. Barbara Ehret ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und war langjährige Chefärztin der gynäkologischen Abteilung im Klinikum MEDIAN in Bad Salzuflen. Sie ist Gründungsmitglied des AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit) und Buchautorin. Der Deutsche Ärztinnenbund verlieh ihr die Auszeichnung „Mutige Löwin“ für ihren Einsatz gegen unnötige Operationen.

Gebärmutter und Eierstöcke oder: die unsichtbare Weiblichkeit

Zu den chirurgischen Eingriffen, die das Risiko in sich tragen, enorm negative Folgen für das körperliche, psychische und emotionale Leben von Frauen mit sich zu bringen, gehören diejenigen, bei denen Hauptorgane, wie es Gebärmutter und Eierstöcke sind, entfernt werden. Ärzte und Chirurgen mit Erfahrung sind sich bewusst, dass es nützlich, ja sogar von größter Wichtigkeit ist, die Vor- und Nachteile eines folgenschweren Eingriffes gegeneinander abzuwägen. Es ist auch von großer Bedeutung, die Gründe und den Ablauf des chirurgischen Eingriffs zu erklären, damit die Frau versteht, was mit ihr passiert und eventuell eine andere Meinung einholt, damit sie dadurch ein klein wenig daran „teilhat“, was mit ihr geschieht.

Von Seiten der Ärzte werden Indikationen und Kontraindikationen meist zur Kenntnis genommen und respektiert, wobei aber der subjektive und emotionale Anteil, den die Frau empfindet, miteinbezogen werden sollte, da dieser zu ihrem täglichen Leben gehört.

Studien haben gezeigt, dass die Entfernung von Gebärmutter oder Eierstöcken wegen gutartiger Erkrankungen viel schlimmer erlebt werden, als wenn die chirurgischen Eingriffe wegen schwerer Erkrankungen, wie zum Beispiel bei Krebs, vorgenommen werden.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, besser vorher mit der Patientin ein ausführliches Gespräch zu führen, als hinterher zu versuchen, ihr zu erklären, was geschehen ist, wenn der chirurgische Akt vorbei ist und sich die Frau nur noch „die Augen ausweinen“ kann.

Normalerweise bleiben im Fall einer „einfachen“ Hysterektomie das gesundheitliche Wohlbefinden und sogar die Sexualität a priori unverändert, da der Uterus in diesem Bereich nicht stark einwirkt.

Eine Verminderung oder der Verlust der Libido können aber dennoch auch bei einer „einfachen“ Hysterektomie wegen psychologischer Gründe vorkommen. Die Gebärmutter, dieses Organ, das Leben weitergibt, ist ein sehr symbolisches Organ in Verbindung mit der Weiblichkeit. Ihre Entfernung kann negativ erlebt werden, wenn ein dringender Eingriff der Frau nicht die Zeit ließ, die Entscheidung anzunehmen, oder wenn noch immer ein Kinderwunsch besteht. In diesen Fällen kann der empfundene Schmerz die Libido beeinträchtigen, und eine psychologische Hilfe ist manchmal notwendig.

Es gibt allerdings auch Fälle von Hysterektomien ohne Entfernung der Eierstöcke, wonach sich Frauen auf der sexuellen Ebene über eine Verminderung der Intensität des Lustempfindens beklagen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Frauen zu der Gruppe jener gehören, die einen uterinen Orgasmus (mit angenehmen Kontraktionen der Gebärmutter beim Orgasmus) erleben. Wenn keine Gebärmutter mehr vorhanden ist, spürt man diese lustvollen Kontraktionen natürlich nicht mehr.

Die Entfernung der Gebärmutter führt zu einer Unterbindung von kleinen Blutgefäßen, welche die Eierstöcke versorgen (und sie bei ihrer Funktion unterstützen). Wenn diese Blutversorgung der Eierstöcke nicht mehr vorhanden ist, besteht das Risiko, dass die Eierstöcke ihre Funktion mehr oder weniger rasch verlieren. Dies kann dieselben Probleme wie eine Ovarektomie mit sich bringen, allerdings gewöhnlich langsamer und nicht so plötzlich wie nach chirurgischer Entfernung der Eierstöcke.

Schließlich ist noch anzumerken, dass einige Frauen ihre körperlichen Bezugspunkte verlieren, wenn man ihnen die Gebärmutter entfernt – auf einmal verfügen sie nicht mehr über dieselben sexuellen Auslösemechanismen wie vorher. So können sie zum Beispiel keine Lust mehr empfinden, wenn kein Druck mehr auf den Gebärmutterhals (der nicht mehr vorhanden ist) ausgeübt wird. Ihnen muss man Zeit für eine Wiederanpassung geben, damit sie ihre sexuellen Bezugspunkte ändern, damit beispielsweise das Innerste der Scheide für das Lustempfinden sensibel wird.

Zudem gibt es Frauen mit verkürzter Scheide, denen diese verkürzte Scheide Schmerzen bereitet. Für diese Frauen sind eine medikamentöse Unterstützung sowie eine physiotherapeutische und eine sexualmedizinische Rehabilitation notwendig.

Die bilaterale Ovarektomie (also die Entfernung beider Eierstöcke) wird meist negativ erlebt und schlecht vertragen. Sie wird im Allgemeinen wegen eines bösartigen Tumors oder wegen bestimmter Eierstockzysten, die genetische Risiken eines Eierstockkrebses in sich tragen, oder wegen seltener Erkrankungen wie z.B. Pseudomyxoma peritonei (PMP – Gallertkarzinom des Bauchfells) vorgenommen.

Die Auswirkungen auf das tägliche Leben sind unterschiedlich. Wenn die Entfernung nur einen Eierstock betrifft, bleiben Ovulation und Hormonproduktion erhalten, und die Frau muss nicht unbedingt eine Veränderung spüren. Die Entfernung beider Eierstöcke hingegen ruft eine künstliche Menopause durch Hormonentzug hervor. Hierbei handelt es sich um eine echte Kastration. Je nach Alter wird zudem der Verlust der Fruchtbarkeit sehr oft schwer ertragen, und eine psychologische Unterstützung ist dringend anzuraten.

Ovarektomien vor den Wechseljahren bedeuten, wie gesagt, eine vollständige Kastration. Diese löst eine brutale Menopause aus, die ohne vorangehende, schrittweise Verringerung der Hormonproduktion stattfindet, wie es bei der natürlichen Menopause der Fall ist. Die begleitenden Symptome der chirurgischen Menopause sind demnach sehr oft intensiver und für die Frauen schwerer zu ertragen. Beispielhafte Aussagen von Frauen nach dieser Art von chirurgischem Eingriff verdeutlichen ihr Empfinden: „Seit der Operation fühle ich mich ich wie ein ausgeräumter Schrank“, meint eine, eine andere fragt sich: „Werde ich noch eine Frau sein?“

Die Tatsache, dass das Innere des Körpers nicht sichtbar ist, bedeutet nicht, dass es in der Vorstellung nicht existiert. Jeder medizinische oder chirurgische Eingriff verschafft gewissermaßen „Existenz“, verwirklicht also das einst Unsichtbare, und führt dazu, die inneren Gedanken des Körpers zu erkennen. Diese Existenz wird durch die bisherige Geschichte der Person – basierend auf Erinnerungen und Sehnsüchten – rekonstruiert. Es ist so, als ob das entsprechende Organ erst durch das Leid ins Bewusstsein rückt: sich schlecht fühlen, leiden, das ist eine mögliche Art und Weise, seinen lebendigen Körper zu spüren. „Ich leide, daher bin ich.“ Durch Leiden verschaffen sich Gebärmutter und Eierstöcke sogar nach ihrer Entfernung das Attribut eines realen Objektes, das nicht auf seinen psychischen Zustand reduzierbar ist.

Ebenso scheint es Korrelationen zwischen Depression und Gebärmutterentfernungen zu geben. Nach einem Artikel aus dem Jahr 2010 (Mantani u.a., 2010) leiden mehr Frauen an Depressionen, bei denen eine Hysterektomie vorgenommen wurde, (14 versus 3 Prozent) als diejenigen ohne Hysterektomie. In der Praxis zeigt sich, dass Frauen mit Depressionen mehr körperliche Erkrankungen haben und häufiger chirurgische Eingriffe erleben, aber diese Frauen rufen auch mehr negative Reaktionen bei den betreuenden Ärzten hervor. Jeder Arzt hat die Pflicht, dies zu berücksichtigen, wenn er ein klein wenig Empathie für seine Patientin empfinden möchte.

In diesem Bewusstsein muss man den Frauen helfen können. Idealerweise auf präventive Art, indem jeglicher Eingriff, der nicht notwendig ist, vermieden wird. Oder, indem man der Frau eine konstruktive Zeit der Anpassung gewährt, und um den Mangel an Eierstockhormonen auszugleichen, und eventuell nach Bedarf eine medikamentöse Behandlung durch Hormonersatz mit Östrogenen oder sogar mit Androgenen durchführt.

In diesem Sinne ist ein Buch wie das von Edith Schuligoi ein nützliches Werk, das zahlreiche Frauen bestärken wird, damit sie sich weniger „sonderbar“, weniger „abnormal“ fühlen, weil sie besser verstehen, was mit ihnen geschieht und wie sie, wenn möglich, diese Katastrophe der Kastration vermeiden oder, wenn sie eintritt, ihr standhalten können.

Sylvain Mimoun

Dr. med. Sylvain Mimoun ist Gynäkologe und Psychiater, Direktor der Medizinischen Fakultät für psychosomatische Gynäkologie der Universität Paris 7, Präsident der franz. Gesellschaft für Geburtshilfe und Psychosomatik, Direktor der Abteilung Andrologie im Spital Cochin, Paris, Verantwortlicher für die Vereinigung Gynäkologie, Psychosomatik und Studium der Sexualität am Spital Robert Debré, Paris, Wissenschaftlicher Beirat für die Fachzeitschrift „Gynäkologie, Geburtshilfe und Fruchtbarkeit“, Redaktionsmitglied der Fachzeitschriften „Génésis“ „Sexologies“, „Journal d’Andrologie“, „Journal d’Urologie“ und „Journal of Psychosomatic Obstétrics and Gynaecology“

Das doppelte Leid

Hier ist also ein Buch, geschrieben von einer Frau für Frauen. Von einer zornigen Frau, von einer Frau, die kämpft, die die Frauen verteidigt, von einer Frau, die nicht mehr aufhören kann zu fragen, von einer Frau, die laut und stark ihre Empörung hinausschreit. Warum, für wen, gegen wen? Sie tut es, um ein sowohl unglaubliches wie beunruhigendes Schweigen zu brechen – ein Schweigen, das sie wie einen Akt der Gewalt erlebt, der zu vielen durch den Hormonmangel ins Ungleichgewicht gebrachten Frauen angetan wird. Nämlich Gewalt und Verachtung durch die Geringschätzung gegenüber den weiblichen Geschlechtsorganen und dem Genital, durch die Nichtanerkennung der Erschütterungen durch das, was man sehr wohl als eine Kastration betrachten muss.

Nicht zuhören, das heißt, die Klagen der operierten Frauen nicht zu hören – jener Frauen, denen ihre Gebärmutter, deren Wert man geleugnet hat, genommen wurde. Ebenso wie es Gewalt ist, die Klagen der Frauen nicht zu hören, denen man die Eierstöcke entfernt hat und mit ihnen die Hormone ihrer Weiblichkeit.

Nicht zuhören heißt, die Bedeutung des körperlichen und seelischen Entzugs nicht anzuerkennen, der von nun an den Alltag dieser Frauen vergällen wird. Dabei kennt man die schädlichen Auswirkungen der chirurgischen Menopause sehr genau, nicht zuletzt jene auf die Sexualität, deren Bedeutung man für das Leben von Männern und Frauen jeglichen Alters kaum leugnen kann. Das heißt also, gerade jene gerühmte Lebensqualität geringzuschätzen, die unsere Gesellschaft und die medizinische Welt von heute garantieren wollen. Wissenschaft und Medizin verbessern unaufhörlich die Lebensdauer, vor allem die weibliche. Aber welchen Wert hat Quantität ohne Qualität?

Die betroffenen Frauen durchleben in der Tat alle möglichen Beschwerden dieser frühen Menopause, die ihnen unberechtigt auferlegt wurde. Sie fühlen sich abgewertet und verachtet durch dieses absolute Nichthören und Nichtanerkennen. Und sie sind im Recht, wenn sie die Frage stellen, die durch die Autorin auf all diesen Seiten voller Zeugenaussagen zum Ausdruck gebracht wird: Warum?

Warum operieren, wenn es vermeidbar, wenn es nicht zwingend notwendig ist? Und vor allem: warum nicht die Folgen behandeln? Warum diese offensichtliche Ablehnung, das Leid dieser Frauen zu lindern und ihnen ihre Lebensfreude zurückzugeben dank der Mittel, über die unsere Medizin verfügt?

Warum dieses doppelte Leid?

Hierin liegt zweifelsohne der Sinn dieses Buches – Anklage, aber vor allem eine Botschaft der Hoffnung: Die Weiblichkeit hat kein Alter, und jedes Lebensalter einer Frau verdient die ganze Aufmerksamkeit der ÄrztInnen. Wer sonst sollte den Frauen, unseren Patientinnen, die wir und die uns gewählt haben, besser zuhören, sie verstehen und ihr Leid lindern, wenn nicht wir GynäkologInnen?

Michèle Lachowsky

Dr. med. Michèle Lachowsky ist medizinische Gynäkologin und Ärztin für Psychosomatik, Präsidentin der Französischen Gesellschaft zur Erforschung der Menopause (AFEM) sowie ehemalige Präsidentin der Internationalen Gesellschaft Psychotrauma BALINT. Sie ist außerdem Mitbegründerin und Vizepräsidentin der Französischen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie.

Möglichkeiten und Chancen für ÄrztInnen

ÄrztInnen erhalten durch dieses Buch die Möglichkeit zu erfahren, was es für die Seele, aber auch für den Körper ihrer Patientinnen bedeutet, wenn sie in deren körperliche Integrität durch therapeutische Maß-nahmen eingreifen.

Sie haben die Chance, die sie hoffentlich nutzen, aus ihrer beruflichen Schutzhaltung wachgerüttelt und offen zu werden dafür, was in ihren Patientinnen vor sich geht. Sie erhalten die Chance, wenn sie es bisher noch nicht taten, achtsam mit den Frauen umzugehen, weil sie endlich begreifen können, dass Aussagen und Klagen der Frauen IMMER wahr sind, denn nur sie fühlen, was in ihnen los ist, welche Veränderungen durch die operativen Eingriffe stattfinden.

Das Buch zeigt auf, wie wichtig es ist, dass sich ÄrztInnen so weiterbilden, dass sie sich bewusst sind, dass eine (kranke) Frau immer – gleichwertig – sowohl Körper, Psyche als auch soziales Wesen ist, und dass, wenn eines dieser Systeme aus dem Gleichgewicht gerät, es zwangsläufig Auswirkung auf die anderen Systeme haben wird.

ÄrztInnen werden beim Lesen dieses Buches ergreifend erfahren, dass körperliche Eingriffe körperliche Veränderungen bedeuten, mit körperlichen Folgen, mehr noch, mit Folgen für das soziale Gefüge, in dem sich die Frau befindet. Das zeigt das Buch in bedrückender Art und Weise auf.

Elia Bragagna

Dr. med. Elia Bragagna ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, Psycho- und Sexualtherapeutin sowie Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG). Seit 2009 werden an der Akademie sexualmedizinische Grund- und Diplomfortbildungen der Österreichischen Ärztekammer abgehalten.

www.afsg.at

Vorwort der Autorin

Nichts in meinem Leben hat mich so aus der Bahn geworfen und mich so an die Grenzen meiner physischen und psychischen Belastbarkeit gebracht, wie die Folgen meiner Kastration. Wie kam es dazu?

Mir war bereits als Kind, im Jahr 1976, ein Eierstock entfernt worden. Im Jahr 2003, als ich knapp 41 Jahre alt war, nahm man dann die Kastration wegen einer gutartigen Eierstockzyste vor, indem auch der zweite Eierstock weggeschnitten wurde. Die Gebärmutter wurde belassen.

Die traumatischen Folgen und Erfahrungen dieser chirurgischen Eingriffe prägten und veränderten mein Leben und das meiner Familie. Vor allem nach der Entfernung des zweiten Eierstockes hatte ich mit massiven körperlichen, seelischen und sexuellen Problemen zu kämpfen.

Die ersten Jahre danach fühlte ich mich mehr tot als lebendig, stieß aber vielerorts auf Unwissen und Ignoranz. Man teilte mir in meiner Heimatstadt mit, ich sei mit meinen gesundheitlichen Problemen eine Ausnahme.

Völlig verzweifelt kontaktierte ich via Internet Selbsthilfegruppen aus dem anglophonen Sprachraum und erfuhr, dass es sehr wohl viele Frauen gibt, die unter dem Verlust ihrer Geschlechtsorgane leiden, und dass schon etliche Bücher dazu in englischer Sprache veröffentlicht worden sind. Ich musste aber bald feststellen, dass im deutschen Sprachraum wenig Wissen, kaum Informationen, geschweige denn Bücher von Betroffenen, noch Hilfsangebote für diese Frauen vorhanden sind.

Durch meine gute Kenntnis der englischen und vor allem der französischen Sprache konnte ich in internationalen Fachartikeln zum Thema recherchieren. Ich kontaktierte neben Spezialisten im deutschen Sprachraum auch Experten der Gynäkologie, Endokrinologie und Sexualmedizin in Frankreich und fand nach Jahren endlich umfassende Hilfe. Auf diesem Wege erhielt ich außer medizinischer auch psychologische Unterstützung und erfuhr immer mehr über die große Bedeutung von Gebärmutter und Eierstöcken für die Gesundheit und Sexualität der Frau. Viele Informationen bzw. Hinweise in diesem Buch stammen daher aus Frankreich, da diese sich für mich als sehr hilfreich erwiesen haben.

Ich gründete die Selbsthilfegruppe „Femica“ (der Name setzt sich aus den Worten „femina castrata“ – „kastrierte Frau“ – zusammen), und es bildete sich zuerst in Österreich ein kleines Netzwerk von Betroffenen. Im Jahr 2006 ging ich mit der Website femica.at online. Über das Internet lernte ich immer mehr Frauen auch aus Deutschland und der Schweiz mit ähnlichen Schicksalen kennen.

Ich erkannte bald, dass die Folgen der Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken vielerorts noch tabu sind, und viele betroffene Frauen sagten zu mir: „Bitte, schreib das nieder, es glaubt uns ja niemand!“

So beschloss ich, nicht nur ein Buch über meine eigenen Erfahrungen, sondern auch über jene der vielen Frauen, die mich über mein Internetforum kontaktierten, zu schreiben. Dieses Buch handelt also großteils nicht von Frauen, die mit ihren Operationen zufrieden sind, sondern von denjenigen, die mit gesundheitlichen und seelischen Problemen nach den Operationen zu kämpfen haben.

Ich möchte, dass durch die in diesem Buch geschilderten, sehr persönlichen und berührenden Schicksale die Betroffenen vor allem Verständnis und Hilfe finden.

Die komplexe Problematik zur Gebärmutterentfernung und zur chirurgischen Menopause mitsamt den möglichen körperlichen, seelischen und sexuellen Folgen soll endlich auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht werden. Fachpersonen sollen mit diesem Buch spüren, welch große Verantwortung mit ihrer Arbeit verbunden ist.

Mit der Perspektive der Patientinnen rücken Aspekte der Behandlung in den Vordergrund, die weder in beruflicher Ausbildung noch im klinischen Geschehen bisher ausreichend berücksichtigt sind. Den betroffenen Frauen und ihren Angehörigen soll mit diesem Buch gezeigt werden, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Schicksal. Sie sollen ermutigt werden, mit anderen in derselben Situation in Kontakt zu treten, um hilfreiche Erfahrungen austauschen zu können.

Ich will mit diesem Buch aber auch erreichen, dass Mädchen und Frauen erkennen, wie wichtig Gebärmutter und Eierstöcke – obwohl im Bauch versteckt und für das Auge unsichtbar – sind. Denn vielen wird deren Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden erst nach dem Verlust dieser Organe bewusst.

Meine persönlichen Erfahrungen und die der insgesamt 35 weiteren Betroffenen in diesem Buch sollen der nächsten Generation erspart bleiben. Und sie sollen vor allem jenen Frauen, die ohne ihre Geschlechtsorgane leben und die darunter leiden, eine Stimme geben und sie endlich aus ihrer jahrzehntelangen Isolation holen. Denn bis jetzt hat man diese Frauen einfach ignoriert und vergessen.

Danke

Ein großer Dank geht an Helmut Kozar und an meine Freundin R.M., die die künstlerischen Fotos ihrer Werke für die Kapitelseiten dieses Buch zur Verfügung gestellt haben.

Vielen Dank auch an Dr. med. Lucia Ucsnik, MAS für die wissenschaftliche und gesundheitsökonomische Begutachtung und ihre Empfehlungen.

Edith Schuligoi

Aller Anfang

Vergessene Organe

In diesem Buch werden sich Frauen zu Wort melden, die ihre Gebärmutter oder ihre Eierstöcke oder beides verloren haben. Damit man die Erfahrungen der betroffenen Frauen besser verstehen kann, stellen sich Eierstöcke und Gebärmutter hier im Anfangskapitel für die Leser „persönlich“ vor. Die Organe versuchen so auf humorvolle Art auf ihren Wert aufmerksam zu machen.

Hallo, liebes Mädchen, hallo, liebe Frau! Deine Eierstöcke und deine Gebärmutter haben die Ehre, sich vorzustellen.

Wir sind deine Sexualorgane, gut versteckt und geschützt in deinem Bauch. Du siehst uns nie, denn wir arbeiten fleißig im Verborgenen. Als du noch ein Baby warst, waren wir bereits da.

Wir Eierstöcke, auch Ovarien genannt, möchten uns zuerst vorstellen!

Wir sind zwar nur walnussgroß, aber etwas ganz Besonderes, denn wir können viel! In uns reifen in den sogenannten Follikeln die Eizellen. Stell dir vor, schon bei deiner Geburt tragen wir fast 2 Millionen Eizellen. Diese Anzahl wird dann zwar kleiner, aber wenn du ein junges Mädchen bist, haben wir noch immer über 300.000 zur Verfügung.

Wir Eierstöcke geben nicht nur die Eizellen in die Eileiter ab, sondern wir produzieren auch die wichtigen Sexualhormone Östrogen, Progesteron und Testosteron.

Wir gehören mit unseren Eileitern zu unserer großen Schwester, der Gebärmutter, mit der wir einen eigenen, unauflösbaren Arbeitsvertrag haben. Denn wir kümmern uns gemeinsam mit ihr um deinen Menstruationszyklus.

Wir versorgen mit unseren Hormonen außerdem deine Haut, damit sie schön elastisch bleibt, deine Haare, damit sie glänzen, deine Nerven und Blutbahnen, damit sie gesund bleiben, und deine Knochen, damit sie stark und kräftig sind! Wir geben dir auch Kraft und Energie, und dir fällt gar nicht auf, dass wir da dahinterstecken.

In deinem gesamten Stoffwechsel haben wir also ein wichtiges Wörtchen mitzureden, und wir sorgen unter anderem auch dafür, dass du eine schöne frauliche Figur hast.

Wir sind aber auch zuständig für dein psychisches Gleichgewicht und, nicht zu vergessen, deine Libido und dein Sexualempfinden!

Wie oft kommt es vor, dass wir gerne ein wenig rasten würden, aber das geht nicht! Wir sind schließlich stets – Tag und Nacht – für dich bereit, falls es dir gerade einfällt, dich im Liebesakt um deinen Herzallerliebsten zu kümmern. Wenn dann unsere Freunde, die Spermien, kommen, haben wir erst recht viel zu tun! Falls du es möchtest, und wenn noch dazu das richtige Spermium kommt, sind wir zum Zeitpunkt des Eisprungs dafür ausgebildet, dass ein Baby entstehen kann.

Auch wenn du schon älter bist, arbeiten wir weiter für dich! Wir sind nun nicht mehr für die Babys zuständig, wohl aber erfüllen wir noch all die anderen wichtigen Stoffwechselaufgaben. Wir arbeiten brav weiter. Wir erzeugen zwar nicht mehr so viel Östrogen und Progesteron, dafür haben wir aber genügend Testosteron, das wir ausschütten. Damit versorgen wir dich auch im Alter mit allen wichtigen Sexualhormonen, die dein Körper und deine Psyche brauchen, damit sie gesund bleiben.

Wir ermöglichen dir dadurch auch im Alter eine schöne Sexualität. Deshalb verstehen wir gar nicht, warum so viele glauben, wir würden für die ältere Frau nutzlos sein. So ein Blödsinn! Na ja, das kommt davon, weil man uns nicht sieht, kaum von uns spricht und über uns insgesamt zu wenig weiß.

Man behandelt uns so oft wie Stiefkinder. Das können wir gar nicht verstehen! Unsere männlichen Kollegen, die Hoden, haben es da viel besser. Jeder sieht sie mit freiem Auge, und darauf bilden sie sich auch weiß Gott was ein. Dabei sind sie unserer Meinung nach nicht so hübsch wie wir, können weniger, und trotzdem finden sie mehr Beachtung und Wertschätzung. Das schmerzt uns sehr. Denn durch diese Ungerechtigkeit und viel Unwissen werden wir auch viel öfter weggeschnitten als die Hoden! So viele unserer armen Kolleginnen fallen samt unserer lieben großen Schwester, der Gebärmutter, umsonst dem Skalpell zum Opfer. Was für ein Jammer!

Ja, und wenn wir nicht mehr da sind, dann ist guter Rat teuer. Alle unsere Mitarbeiter, allen voran die Hypophyse im Hirn und die Schilddrüse, regen sich dann furchtbar auf, leiden Schaden, und der gesamte Organismus der armen Frau gerät ohne uns völlig durcheinander. Meist werden in diesen Fällen Hormone von außen zugeführt – aber unsere Arbeit kann nichts vollwertig ersetzen! Wir haben unsere eigenen biochemischen Rezepte, unseren eigenen Rhythmus, wann und wie viel wir an Hormonen ausschütten, genau für dich passend. Diese, von uns wohl gehüteten Geheimnisse haben die Mediziner und Wissenschaftler auf der ganzen Welt bei weitem noch nicht lüften können.

Jetzt möchte ich mich, deine Gebärmutter, auch Uterus genannt, gerne näher vorstellen!

Auch ich bin ein sehr wichtiges Organ für dich. Ich bin ein Muskel und viel größer als meine lieben kleinen Schwestern, die Eierstöcke. Ich bin ungefähr sieben Zentimeter lang und schaue ein bisschen aus wie eine Birne. Lustig, nicht?

Mein unterer Teil heißt Gebärmutterhals oder Zervix und reicht in das Innere deiner Scheide hinein. Mein Hals hat sogar eine kleine Öffnung, damit die Spermien in mich hineinschwimmen können. Ich liege nicht völlig frei in deinem Unterleib, sondern in der Mitte der anderen Unterleibsorgane „klebe“ ich sozusagen am Bauchfell und bin mit Bändern, Nervenbündeln und einem Netzwerk aus Arterien und Venen verbunden.

Ich reagiere auf Hormone, und zwar in erster Linie auf die meiner Schwestern, der Eierstöcke. Das merkst du jedes Mal, wenn ich durch die monatliche Blutung auf mich aufmerksam mache. Ich gebe ja zu, dass dir das manchmal lästig ist. Es kommt auch vor, dass ich dir dabei Schmerzen bereite, wenn ich mich zu sehr zusammenziehe, um die Schleimhaut, die sich über den ganzen Monat aufgebaut hat, wieder abzustoßen. Aber dieses Geschehen gehört zum Leben jedes Mädchens und jeder Frau.

Ich bin auch wichtig für dein Sexualempfinden, denn ich beginne mich beim Liebesakt zu vergrößern, und meine Schwingungen breiten sich in deinem gesamten Becken aus. Manche Frauen spüren mich besonders intensiv beim Orgasmus, wenn ich mich vor Freude zu diesem Zeitpunkt sehr stark zusammenziehe. Ich bin natürlich auch der einzige Ort, wo sich der Embryo in Ruhe und Geborgenheit bis zur Geburt entwickeln kann. Da muss ich dann um vieles größer werden und du kannst mit Stolz deinen Bauch als werdende Mama im Spiegel betrachten. Dahinter stecke ich, weißt du! Ich freue mich mit dir, wenn du das erste Mal dein Baby spürst, das in mir strampelt.

Alle Menschen auf der Welt sind in mir herangewachsen! Wie oft werde ich von Dummköpfen, die selber bis zu ihrer Geburt in mir waren, als nutzlos bewertet, wenn ich meine Aufgabe als warmes, schützendes Nest für den Embryo erfüllt habe. So etwas Undankbares! Das tut mir unsagbar weh. Dabei habe ich auch noch andere Aufgaben zu erfüllen. Was kann ich denn dafür, wenn darüber nur so Wenige Bescheid wissen?

Ein Arterienast, der direkt in mich mündet, versorgt nämlich auch meine lieben kleinen Schwestern, die Eierstöcke, mit Blut. Wenn man mich entfernt, sind meine armen Schwestern möglicherweise nicht mehr genug durchblutet – und werden ganz müde. Sie können dann vielleicht, ohne mich, nicht mehr so gut arbeiten.

Da ich mich zwischen Blase und den Gedärmen befinde, habe ich aber auch die Aufgabe, die Blase und den Darm an Ort und Stelle und in ihren Begrenzungen zu halten. Genauso wie meine gescheiten, kleinen Schwestern, die Eierstöcke, trage ich zum Schutz deiner Arterien und deines Herzens bei. Das wissen leider auch nicht viele!

Nicht alle meiner wichtigen Aufgaben kennen die Mediziner und Wissenschaftler heute. Sie tun nur immer so, als ob sie alles wüssten. Dabei sind sie erst am Erforschen meiner Geheimnisse und der meiner kleinen Schwestern. Sie werden schon noch draufkommen, dass man unseren tatsächlichen Wert so viele Jahrzehnte hindurch nicht wirklich erkannt hat.

Wenn ich nur an meine arme Urgroßmutter denke! Damals hat man sogar geglaubt, die Hysterie würde in mir sitzen. Das wurde über Jahrhunderte auf den Universitäten von hochnäsigen Professoren so gelehrt, und alle haben das geglaubt.

Selbst heute noch lehrt man an Universitäten, wir seien nicht besonders wichtig. So viele von uns müssen daher in sterilen Operationssälen überall auf der Welt umsonst ihr Leben lassen. Oft werden meine kleinen Schwestern mit mir gemeinsam weggeschnitten, vor allem dann, wenn die Frau schon älter ist. Man macht Frauen leider noch immer unnötig Angst vor Krebs, und es wird behauptet, es würde nicht viel ausmachen, wenn wir weg sind.

Die vielen, schon seit Jahren bekannten, alternativen Methoden, um mich zu behalten, werden den Frauen oft nicht mitgeteilt. Also stimmen etliche Frauen zu, dass wir gemeinsam vorsorglich entfernt werden dürfen. Was für ein Irrtum! Wir landen dann in Forschungslabors oder einfach auf dem Müll. Ein Jammer, schließlich wachsen wir nie mehr nach.

Also, meine Liebe, pass auf mich und meine kleinen Schwestern auf, so gut es geht! Erkundige dich rechtzeitig und umfassend über unsere wichtigen Aufgaben und Funktionen. Schätze uns ebenso, wie Männer ihren Penis und ihre Hoden. Wir werden es dir danken!

Meine Geschichte

1976

Ich bin 14 Jahre alt und erfreue mich bester Gesundheit – nur manchmal spüre ich ein eigenartiges Druckgefühl im Unterbauch. Die Kinderärztin schickt mich vorsichtshalber zu einer Frauenärztin. In meiner Heimatstadt ist es zu dieser Zeit eine Rarität, dass eine Frau diesen Beruf ausübt. Die Kinderärztin hatte es gut gemeint, in der Annahme, eine Gynäkologin würde besser auf ein so junges Mädchen eingehen können als ein Gynäkologe. Meine Mutter ist bei der Untersuchung des „Unterleibs“ – wie das von den Frauen in der Verwandtschaft mit gesenktem, verschämtem Blick bezeichnet wird, dabei.

Die Frauenärztin ist eine Frau mittleren Alters, von großer Statur, mit kurz geschnittenen, rotblonden Haaren und resolutem Auftreten. Ängstlich ziehe ich auf Befehl meinen Slip aus, begebe mich auf den Untersuchungsstuhl. Die Gynäkologin streift sich einen Plastikhandschuh über, examiniert meine Vagina und bemerkt: „Die ist noch Jungfrau.“ Dann beginnt sie die Untersuchung durch den Anus. Sie ist nicht gerade sanft – tastet gleichzeitig den Bauch ab – und beginnt vor sich hin zu schimpfen: „Was wird schon sein mit dem blöden Mensch – schwanger ist sie!“

Ich habe in der Schule Aufklärungsunterricht gehabt, ich weiß daher, wie Babys entstehen. Ich verstehe deshalb überhaupt nicht, was die Gynäkologin meint. Ich habe ja noch nie mit einem Jungen sexuelle Kontakte gehabt. Wie soll ich jetzt auf einmal schwanger sein?

Meine Mutter steht mit kreidebleichem Gesicht, sichtlich geschockt und völlig unfähig, auch nur ein Wort von sich zu geben, neben dem Untersuchungsstuhl. Die Gynäkologin bohrt ihren Finger noch tiefer in den Anus, sodass es schmerzt. Mir beginnen die Tränen übers Gesicht zu laufen; die Gynäkologin sagt nur kurz und trocken: „Ah, so! Die Gebärmutter ist eh ganz klein – hab mich geirrt – schwanger ist sie nicht; da ist irgendwas auf dem rechten Eierstock – Sie kriegen eine Einweisung ins Landeskrankenhaus: Frauenklinik!“

Meine Mutter und ich verlassen schweigend die Praxis. Ich schäme mich in Grund und Boden, weiß aber eigentlich nicht, warum. Meine Mutter beginnt sich nach einiger Zeit über die unfreundliche Gynäkologin aufzuregen, doch ich sage nichts dazu. Ich fühle mich wie eine Aussätzige, und die Angst vor dem, was nun kommen wird, schnürt mir die Kehle zu.

In der Frauenklinik des größten Spitals der Stadt werde ich bald dem Primar und seinem gesamten Team vorgeführt. Viele Männer in weißen Kitteln stehen um mich herum und schauen mich neugierig an, als ich wieder auf dem von mir so gehassten Untersuchungsstuhl Platz nehmen muss. Zumindest ist der Primar nicht so unfreundlich wie die Gynäkologin. Er untersucht wieder vor aller Augen durch den Anus und redet dazu in lateinischen Fachausdrücken, die ich nicht verstehe, mit seinen Kollegen. Als die Untersuchung beendet ist, sagt er zu seinem Oberarzt: „Die Kleine für übermorgen zur OP vorbereiten.“

Bevor man mir die Narkosemaske aufs Gesicht drückt, versuche ich mich mit ruckartigen Kopfbewegungen zu wehren, doch ich werde festgehalten. Als ich das Bewusstsein wiedererlange, ist mir furchtbar übel. Stechende und brennende Schmerzen bohren in meinem Unterleib. Ich schaue um mich und sehe, dass ich ganz allein in einem riesigen Zimmer liege. Der immer wiederkehrende Brechreiz macht die Schmerzen im Bauchraum noch schlimmer.

Ich schreie immer wieder nach meiner Mutter. Ich ergreife verzweifelt die Glocke, die ich über meinem Bett erblicke, und läute Sturm. Wie eine Ewigkeit kommt es mir vor, bis eine sehr nette Krankenschwester erscheint und sich um mich kümmert. Die Krankenschwester berichtet mir, dass ich noch in der Narkose, als man mich ins Aufwachzimmer gebracht hat, getobt und wild um mich geschlagen habe. Eine weitere Beruhigungsspritze sei notwendig gewesen, und daher komme mit Sicherheit nun auch die Übelkeit.

Sie zeigt mir auch die waagerechte 10-Zentimeter-Schnittwunde, direkt beim Ansatz der Schamhaare. Mein Vater kommt mich besuchen. Gleichzeitig mit ihm der Oberarzt, der mich operiert hat. Dieser war vom Primar sehr gelobt worden für seinen schönen Schnitt. Freundlich erklärt er meinem Vater, dass man den gesamten rechten Eierstock wegen einer Zyste, die größer als eine Orange gewesen sei, entfernt habe.

Mein Vater schaut den Operateur entsetzt an, doch dieser beeilt sich zu sagen, dass alles gutartig sei und ich ja noch einen Eierstock hätte, und es dadurch ohne weiteres möglich sein müsste, später einmal Kinder zu bekommen. Der verbliebene linke Eierstock habe zwar auch eine sehr kleine Zyste, die habe man aber belassen, damit dieser Eierstock die Funktion des rechten Organs übernehmen könne. Mein Vater tröstet mich so gut er kann, als ich ihn mit großen, fragenden Augen anblicke.

Die Folgen dieser Operation in jungen Jahren waren ein völlig unregelmäßiger Menstruationszyklus und viele Verwachsungen im Bauchraum. Der gesamte Bereich um die Narbe ist lange Zeit sehr empfindlich. Daher trage ich keine modernen Slips wie andere junge Mädchen, denn diese schließen genau bei der Narbe ab, und das stört mich. Wenn ich mich für den Turnunterricht in der Mädchenkabine umziehe und meine Mitschülerinnen meine großen, altmodischen Unterhosen sehen, finden sie das immer sehr komisch. Doch das ist mir egal.

Nur meine beste Freundin versteht mich. Mit ihr spreche ich auch über meinen Widerwillen, Tampons bei der Menstruation zu verwenden. Ich mag es einfach nicht, dass da etwas in die Scheide eingeführt werden soll. Ich verwende daher immer nur Binden.

Den gesamten Genitalbereich empfinde ich als sehr verwundbar, will nicht an die Operation erinnert werden und möchte ihn so schützen. Ich bin eine sehr ernste Jugendliche, meine Lehrer und Mitschüler schätzen mich aber wegen meiner Reife, die in diesem Alter unüblich ist.

Zweimal jährlich muss ich zur Kontrolle in die gynäkologische „Kinderambulanz“. Mein zweiter Eierstock wird immer genau vermessen. Die kleine Zyste ist ständig da, doch sonst wird alles als in Ordnung befunden. Mein Menstruationszyklus aber pendelt sich einfach nicht ein. Ich habe manchmal zwei Monate keine Menstruation, dann wieder alle drei Wochen mit sehr heftigen und langen Blutungen. Für mich ist es mittlerweile normal, keinen regelmäßigen Zyklus zu haben wie meine Freundinnen. Ich denke, dass es wohl immer so bleiben wird. Beim Laufen und anderen sportlichen Aktivitäten verspüre ich oft Schmerzen im Unterbauch. Doch erst etliche Jahre danach wird man mir sagen, dass ich nun viele Verwachsungen durch die Operation habe.

2003

Das Schicksal konfrontiert mich, 27 Jahre später, nochmals mit einer Organentfernung – diesmal mit der des zweiten Eierstockes. Wegen dieser einfachen, glatten, relativ kleinen Zyste, die ich doch schon seit dem 14. Lebensjahr habe, werde ich nun endgültig kastriert.

Die Zyste könne von heute auf morgen entarten, Eierstockkrebs würde ich nicht überleben, sagt man mir, und ich hätte nach der Operation nichts Schlimmes zu befürchten.

Ich vertraue und willige in die Operation ein, denn nach meinen Informationen denke ich, dass dies die einzige Möglichkeit sei. Außerdem möchte ich keinesfalls riskieren, dass meine einzige Tochter eventuell ohne Mutter aufwachsen muss.

Erst hinterher erfahre ich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese gutartige Eierstockzyste von gerade 5,6cm jemals entartet wäre, nur 0,7 Prozent betragen hätte. Und dass in Fällen wie dem meinen normalerweise streng organerhaltend vorgegangen wird.

Jetzt erst beginne ich, Vieles, was die ÄrztInnen in meiner Heimatstadt mir empfohlen und mit mir gemacht haben, zu hinterfragen und nicht mehr bedingungslos zu vertrauen. Aber da ist es bereits zu spät.

2005

An meinem 43. Geburtstag regnet es in Strömen und ich erinnere mich an jenen Tag im September 2003, als ich, eine selbstbewusste und beruflich erfolgreiche Frau, ins Krankenhaus ging, um mich operieren zu lassen.

Man hatte mir gesagt, dass mein Eierstock mit der Zyste ein Damoklesschwert sei und ich der Operation zustimmen solle, da ich auch an meine Tochter denken müsse. Ich erinnere mich an den extrem starken Regen an diesem Tag – so als ob der Himmel wie zur Warnung alle seine Schleusen öffnete. Ich erinnere mich an jenes Gefühl des drohenden Unheils, als ich das Krankenhaus betrat. Ich erinnere mich an den Operateur, dem ich voll vertraut hatte. Ich erinnere mich an den sterilen Operationssaal. Ich erinnere mich an meine grenzenlose Angst und an die Tränen, die mir über die Wangen liefen, als man mir die Narkosespritze gab.