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Inhalt

Vorwort

Geleit zur Neuauflage des Jahres 2008

Annäherung an ein Urbild

Generalreformation im Zeichen von Lilie und Rose

Die Grundschriften des Rosenkreuzertums

I. Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreuz

II. Fama Fraternitatis

III. Confessio Fraternitatis

Johann Valentin Andreae und sein großer Traum

Christian Rosenkreuz und das rosenkreuzerische Christentum

Vom Fortgang der Rosenkreuzer-Forschung

Das Rosenkreuzertum im Werk Rudolf Steiners – Ein Exkurs

Literaturhinweise

Über den Autor

Anmerkungen

Wer in den philosophischen Rosengarten...

Wer in den philosophischen Rosengarten will gehen ohne den Schlüssel, ist gleich einem Manne, der gehen will ohne Füße. (Michael Maier, Atalanta Fugiens, 1618)

Die gegenwärtige Kulturepoche kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn die Kräfte der materiellen Welt zur vollsten Blüte gebracht und so allmählich ihr Gebiet der Geistigkeit erobert wird.

Nur wenn man in Demut und in Klarheit und nicht aus der Schwärmerei heraus nach dem Höchsten strebt, kann Heilsames für den Fortgang der Menschheit geschehen.

Rudolf Steiner, 1911
Von der geistigen Führung des Menschen und der Menschheit

Diese Allegorie zeigt das Hauptwerk...

Diese Allegorie zeigt das Hauptwerk (Ergon) der Rosenkreuzer im Gebetszelt; das Nebenwerk (Parergon) beinhaltet die Kunst, die Natur in das Übernatürliche zu erheben. (Theophil Schweighart, 1618)

Vorwort

Christian Rosenkreuz ist eine Kult- und Kunstfigur, eine personifizierte Metapher des Geheimwissens. Seit Jahrhunderten fasziniert diese Imago jeweils eine Schar von Erdenbürgern, die nach dem Ursprung der Dinge suchen. Christian Rosenkreuz hilft den Menschen in allen Stadien des Suchens. Er weist den Weg demjenigen, der gleichsam noch unschlüssig unter den Zedern steht, und er vermittelt enormes Wissen und höchste Ahnung dem nächsten, der bereits tiefe Kenntnisse der sogenannten geheimen Wissenschaften besitzt.

All dies wurde mit drei kleinen Schriften erreicht, die zudem unter Religions- und Literaturwissenschaftlern sowie Historikern heftig umstritten sind; zieht man doch schon die Urheberschaft in Zweifel, die gewöhnlich Johann Valentin Andreae zugeschrieben wird. Er, der Dreißigjährige, habe solche Weisheiten gar nicht allein besitzen und niederlegen können; ihm müsse Hilfe – die gewöhnlich an seinem Tübinger Freundeskreis festgemacht wird – zuteil geworden sein.

Auch wird die literarische Form vor allem jene der »Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreuz« häufig als Beleg dafür genommen, dass die Aussagen gar nicht »ernst« gemeint gewesen seien, dass es sich vielmehr um eine vergleichsweise belanglose gesellschaftliche Satire handele.

Wenn dem so wäre, wären die Schriften lange in Vergessenheit geraten. Das sind sie aber gerade nicht. Ganz im Gegenteil. Das Befassen mit Christian Rosenkreuz und den drei Schriften, die ihn vorstellen – die Fama Fraternitatis, die Confessio Fraternitatis und die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz – lohnt immer wieder, fasziniert und inspiriert stets neue Generationen von Suchenden. Wer auch immer Urheber dieser rosenkreuzerischen Welle war – er hat einen zeitlosen Mythos geschaffen:

Die Figur des Christian Rosenkreuz ist fest verankert in Jahrhunderte alten Mythen und Symbolen. Das erleichtert Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen den Zugang, gibt der Figur C.R.C. aber auch eine hohe Standfestigkeit. Gerhard Wehr spricht zurecht von einem Archetypus.

Die wichtigste der Schriften – die Chymische Hochzeit – ist in der Ich-Form geschrieben, die den Leser dazu bringt, die sieben Tage der Hochzeit sozusagen mitzuerleben, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. So gerät er spielerisch und unterhaltsam (also auf dem sog. Königsweg) an die Pforten des Wissens.

Die in den Schriften enthaltenen Mythen werden geschickt mit der Sehnsucht der Suchenden, weiterzukommen, verbunden. Denn ihnen wird eine Heimstatt angeboten: In der C.R.C.-Bruderschaft sollen Brüder und Schwestern gemeinsam an den Aufgaben, die sich während der Suche stellen, arbeiten und in rituellen Zusammenkünften kurze Augenblicke der Transzendenz schaffen. Die C.R.C.-Bruderschaft öffnet freundlich lächelnd ihre Arme und lädt zum Mittun ein.

Gleichzeitig legen die Schriften zahlreiche trügerische Fährten, auf die zielsicher all jene geraten, denen es an Ernsthaftigkeit, Zutrauen oder einfach Zugang mangelt. Das beginnt mit den vielen satirischen Elementen, die augenzwinkernd vorgeben, es sei alles nicht so ernst gemeint und zieht sich durch das »falsche« Zahlenspiel der Alchimia hin bis zum vorgeblich fehlenden Schluss. Wer sich in diese Fragen verbeißt, ist noch im Äußeren verhaftet – und bleibt daran hängen. Das tiefe Wissen bleibt ihm verborgen, denn er ist hierfür noch nicht reif.

Für denjenigen aber, der sich von diesen Fährten nicht in die Irre führen lässt, öffnen die Schriften immer wieder neue Schichten der Erkenntnis. Vor allem die Chymische Hochzeit ist geradezu ein Kompendium an offenbartem Geheimwissen. Wer die sieben Tage der Hochzeit durcharbeitet, wer versucht, die Symbole zu entschlüsseln und in Beziehung zu setzen mit der Erzählung, der wird zielsicher durch ein Lehrbuch der Mystik geführt. Wer den vielen Hinweisen jeweils bis zu den Quellen nachspüren will, der hat viele Jahre zu tun. Bei alldem liegt kein trockenes unverständliches Buch vor, sondern eine heitere, spannende Erzählung. Kein Wunder, dass bis auf den heutigen Tag viele auf die buntschillernde Verpackung hereinfallen und die satirischen Elemente in Beziehung setzen zu der aufgewühlten Zeit des dreißigjährigen Krieges, in der sie entstanden sind. Gerhard Wehr tut gut daran, gleich zu Beginn seines Buches auf die übergeordneten Aspekte der Chymischen Hochzeit hinzuweisen: »Von sekundärer Bedeutung bleibt, ob es sich um historisch nachweisbare Personen handelt oder um Ideen, die in verschiedenen Zusammenhängen und Bezeichnungen aufzufinden sind. Sehr viel wirksamer und nachhaltiger erweisen sich oft jene Figuren, denen eine urbildhafte, eben eine archetypische und transpersonale Sinnhaftigkeit eignet.«

Gewiss, es ist hilfreich, sich die historischen und religionswissenschaftlichen Rahmenbedingungen vor Augen zu führen, in der die Schriften entstanden sind. Gerhard Wehr gelingt dies mit der Autorität seines tiefen Wissens um diese Dinge. Aber das periphere Wissen darf uns nicht davon abhalten, die eigentliche Botschaft von Christian Rosenkreuz zu erkennen und seiner Weisung in das verinnerlichte Leben eines Eingeweihten zu folgen. Durch Zeit und Raum ruft er einem Jeden von uns zu: Bereite Dich eines Tages auf die Einladung zu Deiner eigenen Chymischen Hochzeit vor, die Dich in ein höheres Dasein führen wird. Bestehe die Prüfungen mit Vertrauen und Demut! Übe Dich in Beständigkeit, wachse über Dich hinaus und erfülle dereinst die Dir zugewiesene Aufgabe in der Bruderkette der Rosenkreuzer!

Walter Plassmann,
Hamburg 2008

In welcher Gestalt das Kreuz von Rosen geschmückt wird, ob mit einer Rose im Schnittpunkt beider Kreuzesbalken, vier in den rechten Winkeln, von fünf oder sieben umschlungen, es bleibt dieselbe Symbolik: Dem Kreuz der Zeitlichkeit wird die Rose als Symbol der unvergänglichen Liebe zugesellt. So fand auch Johann Wolfgang von Goethe in seinem Fragment »Die Geheimnisse« ergreifende Worte im Signum des Rosenkreuzes, rief Erlebbares aus den antiken Mysterienkulten in die Gegenwart, führt uns an die Pforte der Einweihung und beantwortet so weit dies möglich ist die Frage: Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt?

Die Geheimnisse

Ein wunderbares Lied ist euch bereitet;

Vernehmt es gern und jeden ruft herbei!

Durch Berg und Täler ist der Weg geleitet;

Hier ist der Blick beschränkt, dort wieder frei,

Und wenn der Pfad sacht in die Büsche gleitet,

So denket nicht, daß es ein Irrtum sei;

Wir wollen doch, wenn wir genug geklommen,

Zur rechten Zeit dem Ziele näher kommen.

Doch denke niemand, daß mit vielem Sinnen

Das ganze Lied er je enträtseln werde:

Gar viele müssen vieles hier gewinnen,

Gar manche Blüten trägt die Mutter Erde;

Der eine geht mit düsterm Blick von hinnen,

Der andre weilt mit fröhlicher Gebärde:

Ein jeder soll nach seiner Lust genießen,

Für manchen Wandrer wird die Quelle fließen.

Ermüdet von des Tages langer Reise,

Die auf erhabnen Antrieb er getan,

An einem Stab nach frommer Wandrer Weise

Kam Bruder Markus, außer Steg und Bahn,

Verlangend nach geringem Trank und Speise,

In einem Tal am schönen Abend an,

Voll Hoffnung in den waldbewachsnen Gründen

Ein gastfrei Dach für diese Nacht zu finden.

Am steilen Berge, der nun vor ihm stehet,

Glaubt er die Spuren eines Wegs zu sehn,

Er folgt dem Pfade, der in Krümmen gehet,

Und muß sich steigend um die Felsen drehn;

Bald sieht er sich hoch übers Tal erhöhet,

Die Sonne scheint ihm wieder freundlich schön,

Und bald sieht er mit innigem Vergnügen

Den Gipfel nah vor seinen Augen liegen.

Und nebenhin die Sonne, die im Neigen

Noch prachtvoll zwischen dunkeln Wolken thront;

Er sammelt Kraft die Höhe zu ersteigen,

Dort hofft er seine Mühe bald belohnt.

Nun, spricht er zu sich selbst, nun muß sich zeigen,

Ob etwas Menschlichs in der Nähe wohnt!

Er steigt und horcht und ist wie neu geboren:

Ein Glockenklang erschallt in seinen Ohren.

Und wie er nun den Gipfel ganz erstiegen,

Sieht er ein nahes, sanft geschwungnes Tal.

Sein stilles Auge leuchtet von Vergnügen;

Denn vor dem Walde sieht er auf einmal

In grüner Au ein schön Gebäude liegen,

So eben trifft’s der letzte Sonnenstrahl:

Er eilt durch Wiesen, die der Tau befeuchtet,

Dem Kloster zu, das ihm entgegen leuchtet.

Schon sieht er dicht sich vor dem stillen Orte,

Der seinen Geist mit Ruh und Hoffnung füllt,

Und auf dem Bogen der geschloßnen Pforte

Erblickt er ein geheimnisvolles Bild.

Er steht und sinnt und lispelt leise Worte

Der Andacht, die in seinem Herzen quillt,

Er steht und sinnt, was hat das zu bedeuten?

Die Sonne sinkt und es verklingt das Läuten!

Das Zeichen sieht er prächtig aufgerichtet,

Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht,

Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet,

Zu dem viel tausend Herzen warm gefleht,

Das die Gewalt des bittern Tods vernichtet,

Das in so mancher Siegesfahne weht:

Ein Labequell durchdringt die matten Glieder,

Er sieht das Kreuz, und schlägt die Augen nieder.

Er fühlet neu, was dort für Heil entsprungen,

Den Glauben fühlt er einer halben Welt;

Doch von ganz neuem Sinn wird er durchdrungen,

Wie sich das Bild ihm hier vor Augen stellt:

Es steht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen.

Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt?

Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten

Das schroffe Holz mit Weichheit zu begleiten.

Und leichte Silber-Himmelswolken schweben,

Mit Kreuz und Rosen sich empor zu schwingen,

Und aus der Mitte quillt ein heilig Leben

Dreifacher Strahlen, die aus einem Punkte dringen;

Von keinen Worten ist das Bild umgeben,

Die dem Geheimnis Sinn und Klarheit bringen.

Im Dämmerschein, der immer tiefer grauet,

Steht er und sinnt und fühlet sich erbauet.

Er klopft zuletzt, als schon die hohen Sterne

Ihr helles Auge zu ihm nieder wenden.

Das Tor geht auf und man empfängt ihn gerne

Mit offnen Armen, mit bereiten Händen.

Er sagt, woher er sei, von welcher Ferne

Ihn die Befehle höhrer Wesen senden.

Man horcht und staunt. Wie man den Unbekannten

Als Gast geehrt, ehrt man nun den Gesandten.

(...)

So müd er ist, wünscht er noch fort zu wachen,

Denn kräftig reizt ihn manch und manches Bild:

Hier sieht er einen feuerfarbnen Drachen,

Der seinen Durst in wilden Flammen stillt;

Hier einen Arm in eines Bären Rachen,

Von dem das Blut in heißen Strömen quillt;

Die beiden Schilder hingen, gleicher Weite,

Beim Rosenkreuz zur recht’ und linken Seite.

Wohin er auch die Blicke kehrt und wendet,

Je mehr erstaunt er über Kunst und Pracht,

Mit Vorsatz scheint der Reichtum hier verschwendet,

Es scheint, als habe sich nur alles selbst gemacht.

Soll er sich wundern, daß das Werk vollendet?

Soll er sich wundern, daß es so erdacht?

Ihn dünkt, als fang er erst, mit himmlischem Entzücken,

Zu leben an in diesen Augenblicken.

Du kommst hierher auf wunderbaren Pfaden,

Spricht ihn der Alte wieder freundlich an;

Laß diese Bilder dich zu bleiben laden,

Bis du erfährst, was mancher Held getan;

Was hier verborgen, ist nicht zu erraten,

Man zeige denn es dir vertraulich an;

Du ahnest wohl, wie manches hier gelitten

Gelebt, verloren ward, und was erstritten.

Doch glaube nicht, daß nur von alten Zeiten,

Der Greis erzählt, hier geht noch manches vor;

Das, was du siehst, will mehr und mehr bedeuten;

Ein Teppich deckt es bald und bald ein Flor.

Beliebt es dir, so magst du dich bereiten:

Du kamst, o Freund, nur erst durchs erste Tor;

Im Vorhof bist du freundlich aufgenommen,

Und scheinst mir wert ins Innerste zu kommen.

Nach kurzem Schlaf in einer stillen Zelle

Weckt unsern Freund ein dumpfer Glockenton.

Er rafft sich auf mit unverdroßner Schnelle,

Dem Ruf der Andacht folgt der Himmelssohn.

Geschwind bekleidet eilt er nach der Schwelle,

Es eilt sein Herz voraus zur Kirche schon,

Gehorsam, ruhig, durch Gebet beflügelt;

Er klinkt am Schloß, und findet es verriegelt.

Und wie er horcht, so wird in gleichen Zeiten

Dreimal ein Schlag auf hohles Erz erneut,

Nicht Schlag der Uhr und auch nicht Glockenläuten,

Ein Flötenton mischt sich von Zeit zu Zeit;

Der Schall, der seltsam ist und schwer zu deuten,

Bewegt sich so, daß er das Herz erfreut,

Einladend ernst, als wenn sich mit Gesängen

Zufriedne Paare durcheinander schlängen.

Er eilt ans Fenster, dort vielleicht zu schauen,

Was ihn verwirrt und wunderbar ergreift;

Er sieht den Tag im fernen Osten grauen,

Den Horizont mit leichtem Duft gestreift,

Und – soll er wirklich seinen Augen trauen? –

Ein seltsam Licht, das durch den Garten schweift:

Drei Jünglinge mit Fackeln in den Händen

Sieht er sich eilend durch die Gänge wenden.

Er sieht genau die weißen Kleider glänzen,

Die ihnen knapp und wohl am Leibe stehn,

Ihr lockig Haupt kann er mit Blumenkränzen,

Mit Rosen ihren Gurt umwunden sehn;

Es scheint, als kämen sie von nächtgen Tänzen,

Von froher Mühe recht erquickt und schön.

Sie eilen nun und löschen, wie die Sterne,

Die Fackeln aus, und schwinden in die Ferne...

–Johann Wolfgang von Goethe–

Geleit zur Neuauflage des Jahres 2008

Unter dem Titel dieses Buches veröffentlichte der Autor eine Schrift im Rahmen der von ihm 1980 im Aurum Verlag Freiburg herausgegebenen Reihe »Fermenta cognitionis«. Im Sinne der von dem Münchener Philosophen Franz von Baader (1765–1841) ausgegebenen Devise ging es ihm um nichts weniger als um fermenta cognitionis, das heißt um einen Hinweis auf Antriebskräfte, die den individuellen Erkenntnisprozess anregen und befördern sollen. Solche Fermente, wie sie den Werken zahlreicher Schriftsteller zu entnehmen sind, stehen in großem Umfang nicht allein in Gestalt von historischen Dokumenten zur Verfügung. Auf dem Wege der Forschung und der spirituellen Aneignung geht es darüber hinaus um einen Prozess, der noch nicht zum Stillstand gekommen ist, sondern der vielmehr auch heute voranschreitet. Menschen unterschiedlicher weltanschaulicher Orientierung haben daran teil, in der westlichen wie in der östlichen Hemisphäre. Groß ist die Sehnsucht nach spiritueller Verwirklichung; groß auch das Verlangen, sich mit Bestrebungen in Geschichte und Gegenwart bekannt zu machen, die je auf ihre Weise darüber informieren. Insofern kann von einer Globalisierung eigener Prägung gesprochen werden. Deutlich wird dies im geistigen Austausch und in der Begegnung der in vielfacher Form im geistigen Streben Vereinten.

Nun liegt es in der Natur von Publikationen dieser Art, dass das einst in einem bestimmten Zusammenhang Dargestellte nach geraumer Zeit neu gefasst und entsprechend angereichert zu werden verdient. Eben das ist in der vorliegenden Schrift geschehen. Die Intention aber ist dieselbe geblieben. Denn beabsichtigt ist eine voranbringende Fermentwirkung, die das eigene Denken und das individuelle geistige Streben inspiriert. Leitbilder und ideelle Gründergestalten können hierzu je auf ihre Weise Wesentliches beitragen. Von sekundärer Bedeutung bleibt, ob es sich um historisch nachweisbare Personen handelt oder um Ideen, die in verschiedenen Zusammenhängen und Bezeichnung aufzufinden sind. Sehr viel wirksamer und nachhaltiger erweisen sich oft jene Figuren, denen eine urbildhafte, eben eine archetypische und transpersonale Sinnhaftigkeit eignet.

 

 

Beabsichtigt ist mit dieser Schrift eine voranbringende Fermentwirkung, die das eigene Denken und das individuelle geistige Streben inspiriert.

Im Zeichen des im 17. Jahrhundert, das heißt von dem in einem entscheidenden geistesgeschichtlichen Augenblick imaginierten Christianus Rosenkreuz, wurden Impulse freigesetzt, welche die christlich-abendländische Spiritualität befruchtet haben, der sie selbst entstammen. Wer nicht bei einer nur vordergründigen Betrachtung geschichtlicher Ereignisse verharrt, wird einräumen, dass das geistig-religiöse Leben nach wie vor derartiger Anstöße bedarf. In diesem Sinn wird dieses Buch »Christian Rosenkreuz« wieder neu vorgelegt. Man wird sich freilich davor zu hüten haben, die betreffenden Symbolgestalten, so auch das Wesen des Rosenkreuzerischen ideologisch zu verfremden oder konfessionalistisch zu vereinnahmen. Vielmehr gilt es auch in diesem Zusammenhang jenes Dichterwort zu beherzigen, das am Eingang von Goethes Rosenkreuzer-Fragment »Die Geheimnisse« steht:

Wir wollen doch, wenn wir genug geklommen,
zur rechten Zeit dem Ziele näher kommen.

Gerhard Wehr,
Schwarzenbruck bei Nürnberg, Ostern 2008

Annäherung an ein Urbild

Ein gewaltiger Archetypus beherrscht Menschen und Mächte, seitdem die Menschheit begonnen hat, diesen Planeten zu bevölkern und seitdem der Versuch einer zielgerichteten Weltgestaltung unternommen wird. Das Gemeinte lässt sich auf vielfältige Weise veranschaulichen. Hierfür einige Bespiele:

Da ist das aus traumhaften Tiefen in das Licht des klaren Bewusstseins emporsteigende Urbild vom idealen Menschsein, von einer in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lebenden Gesellschaft. Wieder und wieder wird vom Anbruch eines neuen Zeitalters gesprochen. Die frühe Christenheit verkündete den neuen Äon, der mit der Menschwerdung Christi in Erscheinung getreten sei und dessen Parusie (Wiederkehr) in neuer Seinsweise, dessen letzte Erfüllung noch bevorstehe. Seitdem machten sich Berufene und nicht wenige Unberufene diese Parole zu eigen, wenn sie ein New Age propagierten, aber darunter oft auch all das subsummierten, was dem jeweiligen Publikumsgeschmack entspricht: »Ach, der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt!« (Hölderlin).

Und im Gang der sogenannten Globalisierung auf allen Gebieten gibt es immer wieder den großen Traum, der von menschlichen Sehnsüchten aller Art genährt wird. Man denke nur an die Träume, die dem Prinzip Hoffnung folgen. In der Regel müssen sie sich gegen die Realitäten der tödlichen Bedrohung jeglicher Art behaupten. Vor allem in Krisenzeiten, in Zeiten spannungsvoller Auseinandersetzungen und des Umbruchs pflegt sich jener Archetypus zu regen: bald als kühne Staatsutopie, bald als eine Kunde von einer gestaltbaren besseren Welt, bald als Ausdruck der Hoffnung auf eine umfassende Reformation oder – unter anderem Aspekt – als eine Revolution, deren Träger vor letzten Konsequenzen nicht zurückschrecken. An Beispielen mangelt es nicht. Und man vergesse nicht: Seit den Tagen Jesu ruft und betet die Christenheit – im Grunde ist es ein uraltes Menschheitsgebet–: Dein Reich komme!

Die Botschafter des Kommenden, Neuen sprechen von dem, was sie bewegt, oft in einer von Symbolen gesättigten Sprache. Letztlich geschieht es deshalb, weil sich durch Bild und Symbol, anders als durch das begriffliche Definieren1, etwas von der Tiefendimension des Gemeinten andeuten lässt. Die sensibilisierten Empfänger – Frauen wie Männer! –einer solchen Botschaft richten ihren Blick auf das sich Ankündigende. Sie sind fasziniert. Sie lassen sich für das entflammen, was der äußeren Wahrnehmung zunächst noch verborgen ist. Der Widerhall, den eine solche Idee oder Utopie2 bei den jeweiligen Zeitgenossen findet, zeigt an, wie groß die Bereitschaft sein kann, ein Symbol zu realisieren oder eine Utopie in konkreter Gestalt auszuformen: »Das Reich muss uns doch bleiben!«

 

Die Botschafter des Kommenden, Neuen sprechen von dem, was sie bewegt, oft in einer von Symbolen gesättigten Sprache.

Nun ist das Rosenkreuz