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Georg W. Bertram

Sprachphilosophie zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Dieter Thomä, St. Gallen
Cornelia Vismann, Weimar †

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de

© 2011 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelbild: Marcel Broodthaers, Pipe (1969),
Keitelman Gallery, Brüssel
E-Book-Ausgabe September 2019
ISBN 978-3-96060-119-7
Basierend auf Printausgabe
ISBN 978-3-88506-681-1
3., überarbeitete Auflage 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zur Einführung …

… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1978 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Von Zeit zu Zeit müssen im ausufernden Gebiet der Wissenschaften neue Wegweiser aufgestellt werden. Teile der Geisteswissenschaften haben sich als Kulturwissenschaften reformiert und neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervorgebracht; auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sind die traditionellen Kernfächer der Geistes- und Sozialwissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diese Veränderungen sind nicht bloß Rochaden auf dem Schachbrett der akademischen Disziplinen. Sie tragen vielmehr grundlegenden Transformationen in der Genealogie, Anordnung und Geltung des Wissens Rechnung. Angesichts dieser Prozesse besteht die Aufgabe der Einführungsreihe darin, regelmäßig, kompetent und anschaulich Inventur zu halten.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in verstärktem Maß ein Ort für Themen, die unter dem weiten Mantel der Kulturwissenschaften Platz haben und exemplarisch zeigen, was das Denken heute jenseits der Naturwissenschaften zu leisten vermag.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Dieter Thomä
Cornelia Vismann

Inhalt

Einleitung

1.Zur Geschichte und zu den Fragen der Sprachphilosophie

1.1 Zur Geschichte der Sprachphilosophie

1.2 Die Fragen der Sprachphilosophie

2.Antike Ausgangspunkte – Platon und Aristoteles

2.1 Platons Dialog Kratylos und die vorsokratische Kontroverse

2.2 Aristoteles und das semiotische Dreieck

3.Neuzeitliche Weiterentwicklungen – Locke

3.1 Lockes Bestimmung der Sprache

3.2 Probleme von Lockes psychologistischem Bedeutungsbegriff

3.3 Probleme des semantischen Atomismus

4.Frege und die Philosophie der idealen Sprache

4.1 Kontext- und Kompositionalitätsprinzip

4.2 Sinn und Bedeutung

4.3 Sprachkritik und die Philosophie der idealen Sprache

5.Wittgenstein und die Philosophie der Alltagssprache

5.1 Die kritische Stoßrichtung der PU

5.2 Die Philosophie der Sprachspiele

5.3 Das Problem des Regelfolgens

5.4 Zur Kritik Wittgensteins und der Philosophie der Alltagssprache

6.Die Sprechakttheorie und der bedeutungstheoretische Intentionalismus

6.1 Austin: Auf dem Weg zur Sprechakttheorie

6.2 Grundzüge der Sprechakttheorie

6.3 Der semantische Intentionalismus von Paul Grice

6.4 Zur Kritik des semantischen Intentionalismus

7.Die hermeneutische Wende in der Sprachphilosophie: Herder und Heidegger

7.1 Herder und die Begründung eines hermeneutischen Antipsychologismus

7.2 Herders Erläuterung des Zusammenhangs von Geist und Sprache

7.3 Heideggers Weiterentwicklung des hermeneutischen Sprachbegriffs

7.4 Zur Kritik hermeneutischer Sprachphilosophien

8.Die Intersubjektivität der Sprache: Davidson und Brandom

8.1 Das Gedankenexperiment der radikalen Interpretation und der Interpretationismus Donald Davidsons

8.2 Davidsons Interaktionismus

8.3 Sprachphilosophie nach Davidson: ein Zwischenresümee

8.4 Brandoms normativer Pragmatismus

8.5 Sprachphilosophie vor dem Hintergrund postanalytischer Philosophie

9.Die phänomenologisch-strukturalistische Tradition und ihre Zuspitzung in der Philosophie Derridas

9.1 Saussures Begründung des Strukturalismus

9.2 Entwicklungen des Strukturalismus nach Saussure

9.3 Derridas These vom Schriftcharakter der Sprache (und der Erfahrung)

9.4 Iterabilität und die wirkungsgeschichtliche Konstitution des Verstehens

9.5 Die soziale Struktur sprachlichen Verstehens

10. Sprache und Reflexivität – ein Ausblick

10.1 Nochmals: Sprache und Geist

10.2 Ein kleiner historischer Rückblick

10.3 Eine neue Perspektive auf offene Fragen

Anhang

Literatur

Über den Autor

Einleitung

Sprache steht im Zentrum des menschlichen Lebens. Menschen erzählen sich Geschichten. Sie treffen sich abends in der Kneipe und reden stundenlang. Sie verbringen Jahre und Jahrzehnte damit, an wissenschaftlichen Texten zu arbeiten, und schreiben Gedichte, Romane und Tagebuch. Sie führen aber auch belanglose Gespräche, wenn sie zusammen in der Bäckerei warten oder wenn sie gemeinsam einem Sportereignis beiwohnen.

Die Bedeutung der Sprache für das menschliche Leben kann man sich mit einem einfachen Gedankenexperiment vor Augen führen: Stellen wir uns vor, dass wir nicht über Sprache verfügen. Wenn wir unter diesen Umständen in der Bäckerei Brötchen kaufen wollen, können wir auf die Brötchen zeigen und mit Händen und Blicken klarmachen, was wir wollen. Wenn wir jemandem den Weg zeigen wollen, so können wir auch dies mit Händen und Füßen erledigen. Wir können anderen auf diese Weise allerdings nicht all das mitteilen, was wir sonst noch denken. Wenn wir zum Beispiel denken, dass die Erde schon vor unserer Geburt existiert hat, dann bedürfen wir der Sprache, um dies zu artikulieren. Aber auch für das Fassen von Plänen, die die Zukunft betreffen, ist Sprache unerlässlich. Gehen wir davon aus, dass ich mir vornehmen will, morgen zur Bank zu gehen, um Geld zu holen. Wie soll ich ein solches Vorhaben fassen, wenn ich es nicht sprachlich artikulieren kann? Auch sind viele der Institutionen, die unsere Gesellschaft ausmachen, ohne Sprache unmöglich. Man denke nur an ein Gerichtsverfahren oder eine Eheschließung ohne Sprache. Oder man stelle sich vor, wie der Unterricht in Schule oder Universität ohne Sprache vor sich gehen könnte. Nicht zuletzt ist Sprache die Bedingung für alles Erzählen. Ohne Sprache gäbe es weder Gutenachtgeschichten noch die Ilias oder Romane von Flaubert und Dostojewski. Eine Welt ohne Sprache wäre zumindest eine sehr arme Welt. Aber vermutlich mehr noch: Es wäre eine Welt, in der es vieles, was uns in unserer Lebensform als wesentlich gilt, nicht gäbe. Eine menschliche Lebensform ohne Sprache ist wohl einfach keine menschliche Lebensform.

Was aber ist das: Sprache? Sprache ist ein eigentümlicher Gegenstand des Nachdenkens. Eigentümlich ist er bereits aus dem Grund, dass alles Nachdenken sich in Sprache vollzieht. Wir denken immer in Sprache nach. Können wir auch über Sprache nachdenken? Dem ersten Augenschein nach müssen wir diese Frage bejahen. Selbstverständlich können wir über Sprache nachdenken. Ich kann zum Beispiel darüber nachdenken, ob der letzte Satz, den ich geschrieben habe, so formuliert ist, wie ich ihn formulieren wollte. Oder ich kann darüber nachdenken, was man sagt, wenn man sich für eine unangemessene Äußerung entschuldigen will. Sagt man da »Es tut mir leid«? Oder sagt man »Ich habe es nicht so gemeint«? In dieser Weise über Sprache nachzudenken ist uns vertraut. Aber wie steht es mit dem Nachdenken über Sprache insgesamt?

Es gehört zu den Rätseln des philosophischen Denkens im Abendland, dass Sprache erst spät ein ausgezeichneter Gegenstand der Philosophie geworden ist. Viele Klassiker der abendländischen Philosophiegeschichte – wie zum Beispiel Descartes, Kant und Hegel – haben ihr Augenmerk nicht in besonderer Weise auf Sprache gerichtet. Dies ist besonders deshalb rätselhaft, weil die Philosophie selbst im Medium der Sprache agiert. Seit dem Beginn der abendländischen Philosophie sind Texte geschrieben worden. Und wie nicht zuletzt Platons Texte eindrucksvoll belegen, wurde in der Philosophie immer schon diskutiert. Die Philosophie vollzieht sich geschrieben und gesprochen in Sprache. Wenn man dies bedenkt, kann es also verwundern, dass die Philosophie nicht von Anfang an auch auf Sprache als einen ausgezeichneten Gegenstand reflektiert hat. Nach der sogenannten Wende zur Sprache (linguistic turn), die die Philosophie im 20. Jahrhundert genommen hat, scheint es zwar selbstverständlich, dass Philosophie immer auch Sprachanalyse betreibt. Aber vor einem weiteren historischen Horizont kann man von einer solchen Selbstverständlichkeit keineswegs sprechen. So liegt es nahe zu fragen: Entzieht sich die Sprache in irgendeiner Weise der Reflexion? Ist die Philosophie so sehr in Sprache verhaftet, dass es ihr schwer fällt, den Blick auf die Sprache zu richten? Gesetzt, dies ist der Fall: Folgt daraus irgendetwas für die Möglichkeit, auf Sprache zu reflektieren? Und folgt daraus etwas für die Sprachphilosophie, also die philosophische Reflexion auf Sprache? Ist es dieser Reflexion eigen, dass sie ihren Gegenstand nicht gänzlich einzuholen vermag?

Die Sprachphilosophie sollte die Frage bedenken, wie es zu einer philosophischen Reflexion auf Sprache kommen kann. Sie muss dabei im Blick haben, unter welchen Bedingungen sie entstehen kann und welche Grenzen ihr gesetzt sind. Dennoch kann diese Frage nicht am Anfang einer Einführung in die Sprachphilosophie stehen. Hier stehen zunächst eher die Fragen, was Sprache ist und welche Relevanz sie hat. Wie bereits angedeutet, hat Sprache eine Relevanz für das menschliche Leben, die kaum überschätzt werden kann. Was aber ist Sprache? Und wie funktioniert sie? Die Selbstverständlichkeit der Sprache steht in einem nicht unerheblichen Missverhältnis dazu, dass ziemlich unklar ist, was Sprache ausmacht. Dabei ist schon der Begriff der Sprache selbst klärungsbedürftig. So sagen wir zum Beispiel, Deutsch sei eine Sprache. Von Sprache in diesem Sinn ist allerdings nicht die Rede, wenn man danach fragt, was Sprache ist. Es geht vielmehr um Sprache im Sinne der allgemeinen Fähigkeiten, die alle Sprachen ausmachen. Ferdinand de Saussure (1857-1913) hat entsprechend den Vorschlag gemacht, Sprachfähigkeit (language) und Einzelsprachen (langues) zu unterscheiden (Saussure 1967, 11). Wenn man grundsätzlich über Sprache nachdenkt, geht es um die allgemeine Sprachfähigkeit. Genau hier setzt die Sprachphilosophie ein. Sie hat die Aufgabe, den Begriff der Sprache aufzuklären, also grundlegende Fragen in Bezug auf Sprache zu beantworten. Eine Einführung in die Sprachphilosophie muss entsprechend den Versuch unternehmen, zentrale Fragen der Sprachphilosophie auszuweisen und Begriffe zu bestimmen, die in der Beantwortung dieser Fragen relevant sind.

Diese Einführung hat das Ziel, grundlegende Fragen und Begriffe der Sprachphilosophie unter Rekurs auf ihre historische Entwicklung zu präsentieren. Sie ist so konzipiert, dass einerseits ein grober Überblick über die Geschichte der Sprachphilosophie seit der Antike geboten wird. Andererseits sollen die unterschiedlichen philosophischen Traditionen des Sprachdenkens im 20. Jahrhundert zu Wort kommen. So ist diese Einführung nicht wie andere entsprechende Texte (vgl. z.B. Blume/Demmerling 1998, Morris 2006, Newen/Schrenk 2008) allein auf die sogenannte (sprach-)analytische Philosophie hin orientiert, sondern sucht der Vielfalt sprachphilosophischen Denkens Rechnung zu tragen. Dies kann wiederum nicht anders als exemplarisch geschehen. Die Einführung ist so nach paradigmatischen Stationen gegliedert. Sie will systematische Optionen im Rahmen der Sprachphilosophie verständlich machen, indem sie diese Optionen an einzelnen Positionen ausweist.

Die Auswahl der Positionen ist so angelegt, dass entscheidende Entwicklungen in der Geschichte der abendländischen Sprachphilosophie deutlich werden. Dies geschieht in zehn Kapiteln. Das erste Kapitel schildert in knapper Form die historische Entwicklung der Sprachphilosophie, wie sie der Konzeption des Buches zugrunde liegt, und erläutert die zentralen Fragen der Sprachphilosophie.

In den Kapiteln zwei bis neun lege ich insgesamt drei große Etappen zurück. Mit dem zweiten Kapitel beginnt die erste dieser Etappen, das historische Vorspiel. Es präsentiert antike Ausgangspunkte sprachphilosophischen Denkens bei Platon und Aristoteles und profiliert dabei den Gedanken, dass die Ordnung der Sprache aus ihrem Zusammenhang mit der Ordnung dessen, was es gibt, heraus zu begreifen ist. Im dritten Kapitel mache ich dann einen Sprung in die Neuzeit und zur Philosophie von John Locke. Hier wird Sprache aus ihrem Zusammenhang mit dem subjektiven Geist heraus verstanden. Sowohl das antike als auch das charakteristisch neuzeitliche Verständnis bringen Sprache also nicht als eigenständige Größe in den Blick.

Dies geschieht erst dort, wo Sprache aus ihrer Bindung an den subjektiven Geist wieder gelöst wurde: in den klassischen Positionen der Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts. Diese machen die zweite Etappe der Einführung aus. Im vierten Kapitel wende ich mich so Gottlob Frege als einem der wesentlichen Gründungsväter der analytischen Philosophie zu und erläutere von ihm her Aspekte der Sprachanalyse, wie sie von sogenannten Philosophien der idealen Sprache betrieben wird. Im fünften Kapitel präsentiere ich Ludwig Wittgenstein und mit ihm ein in gewisser Hinsicht gegenläufiges Konzept: die Philosophie der Alltagssprache. Im sechsten Kapitel komme ich auf Positionen innerhalb der analytischen Diskussion zu sprechen, die sprachliche Bedeutung doch wieder beziehungsweise noch unter Rekurs auf die Absichten einer Sprecherin erklären. Diese Positionen machen indirekt deutlich, dass Sprache nicht nur in der engen Perspektive thematisiert werden kann, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oftmals eingenommen wurde.

Diese Diagnose bringt mich zur dritten Etappe meiner Darstellung. In dieser kommen Positionen zu Wort, die der Sprache nur im Zusammenhang mit anderen Aspekten des menschlichen Weltverhältnisses eine eigenständige Rolle zugestehen. Entsprechende Positionen charakterisiere ich im weitesten Sinn als hermeneutisch. Im siebten Kapitel verfolge ich ihren Ursprung im 18. Jahrhundert in der Sprachphilosophie Johann Gottfried Herders, die ich mit derjenigen Martin Heideggers aus Sein und Zeit verbinde. Vor dem Hintergrund dieser hermeneutischen Philosophien werden neuere analytische Ansätze verständlich, die ich im achten Kapitel vorstelle: die Sprachphilosophien von Donald Davidson und Robert Brandom. Das neunte Kapitel weitet das theoretische Spektrum der behandelten Positionen noch einmal aus. Es bringt mit der Philosophie Jacques Derridas eine Stimme aus der phänomenologisch-strukturalistischen Tradition ins Spiel. Damit ist die dritte Etappe abgeschlossen.

Das zehnte Kapitel will einen Ausblick geben. Es kommt auf die Frage zurück, inwiefern eine Reflexion von Sprache möglich ist. Ich lege dar, dass diese Frage für ein Verständnis der menschlichen Lebensform insgesamt aufschlussreich ist, und komme damit am Ende wieder auf die Relevanz der Sprache für den Menschen zurück.

Die vorliegende Einführung geht auf Vorlesungen zur Sprachphilosophie zurück, die ich an den Universitäten Hildesheim und Wien sowie an der Freien Universität Berlin gehalten habe. Ich danke den Studierenden, die an diesen Vorlesungen teilgenommen haben, für viele hilfreiche Diskussionen. Mein Dank gilt auch Katharina Beitz, David Blumenthal, Fabian Börchers, Daniel Martin Feige, Manuel Scheidegger und Shirin Weigelt für Kommentare und Kritik zu Vorversionen dieses Textes. Sie haben mir genauso manche Klärung abgenötigt wie diejenigen, mit denen ich lange und vielfältig über Fragen der Sprachphilosophie diskutiert habe: Stefan Blank, Tilman Borsche, Matthias Flatscher, David Lauer, Jasper Liptow und Martin Seel. Nicht zuletzt danke ich den Herausgebern der Einführungsreihe im Junius Verlag für die Anregung, diesen Band zu schreiben, und dem Lektor des Verlages, Steffen Herrmann, für die gute Zusammenarbeit.

Eine philosophische Einführung kann nichts anderes sein als ein eigenständiger Beitrag zur philosophischen Reflexion. So gilt, was für alle entsprechenden Beiträge gilt: Möge er weitere Reflexionen anstoßen – Reflexionen über Sprache und über die Reflexion von Sprache.

1. Zur Geschichte und zu den Fragen der Sprachphilosophie

Die Sprachphilosophie ist eine vergleichsweise junge philosophische Disziplin. Sie wurde erst im 20. Jahrhundert etabliert. Man spricht hier gemeinhin von einer Wende zur Sprache (linguistic turn), die im 20. Jahrhundert stattgefunden hat (der Begriff geht auf Rorty 1967 zurück). Mit dieser Wende wurde Sprache in doppelter Hinsicht als ein besonderer Gegenstand der philosophischen Reflexion etabliert: Einerseits wurde Sprache als Zentrum einer Erläuterung des menschlichen Weltverhältnisses thematisch. Sprachphilosophie löst dabei nach einem gängigen Verständnis die neuzeitliche Philosophie ab, in deren Zentrum das menschliche Bewusstsein stand. Andererseits geriet Sprache methodisch in eine Schlüsselstellung. Da alles Philosophieren sich in Sprache vollzieht, sollte eine Reflexion auf Sprache eine Selbstkritik der Philosophie erbringen. Mit der Wende zur Sprache im 20. Jahrhundert ist Sprachphilosophie im engeren Sinn begründet worden. Ich spreche von Sprachphilosophie im engeren Sinn dort, wo Sprache als eigenständiger Gegenstand des Philosophierens begriffen wird. Dies lässt sich folgendermaßen bestimmen: Sprache ist dort als eigenständiger Gegenstand des Philosophierens etabliert, wo sie nicht unter der Perspektive anderer philosophischer Fragen (wie zum Beispiel ontologischer, erkenntnistheoretischer oder bewusstseinsphilosophischer Fragen) thematisch wird. Entsprechend spreche ich von Sprachphilosophie in einem weiten Sinn, wenn genau dies der Fall ist.

Diese Bestimmung von Sprachphilosophie erlaubt es zu sagen: Sprachphilosophie in einem weiten Sinn ist so alt wie das Philosophieren selbst. Sprachphilosophie im engeren Sinn ist ein Kind des 20. Jahrhunderts. Mit der Wende zur Sprache ist also das philosophische Nachdenken über Sprache nicht begründet worden. Es reicht bis in die Ursprünge des Philosophierens im Abendland zurück. Mehr noch: Man wird Sprachphilosophie im engeren Sinn nicht begreifen können, wenn man sie nicht aus historischen Entwicklungen des philosophischen Nachdenkens (auch über Sprache) heraus versteht (vgl. dazu Tugendhat 1976).

Dieses erste Kapitel hat vordringlich die Aufgabe, eine grobe Skizze der historischen Entwicklungen zu geben, von denen die Auswahl und Präsentation von Positionen in dieser Einführung motiviert ist. Ohne im Einzelnen auf Positionen und ihre Argumente einzugehen, sollen knapp die grundlegenden Etappen dargestellt werden, die das philosophische Nachdenken über Sprache genommen hat. In Verbindung mit dieser Darstellung will ich auch die Fragen charakterisieren, die im Zentrum der Sprachphilosophie stehen. So sollen in diesem Kapitel sowohl die historischen als auch die systematischen Grundlagen gelegt werden, von denen die weiteren Kapitel ihren Ausgang nehmen.

1.1 Zur Geschichte der Sprachphilosophie

Die Geschichte des philosophischen Nachdenkens über Sprache lässt sich in fünf Etappen erzählen. Die Einteilung in diese Etappen orientiert sich an üblichen Etappen der Philosophiegeschichtsschreibung. Demnach beginnt die Geschichte des philosophischen Sprachbegriffs in der Antike, deren Denken sich im Mittelalter fortsetzt (a). Mit der Neuzeit kommt es zu einer ersten entscheidenden Wendung in der Bestimmung von Sprache (b), aus der heraus wiederum im 18. Jahrhundert eine grundlegend neue Perspektive auf Sprache begründet wurde (c). Vor diesem Hintergrund hat sich im 20. Jahrhundert die bereits beschriebene Wende zur Sprache (linguistic turn) ereignet, mit der Sprache systematisch und methodisch in den Mittelpunkt des Philosophierens rückte (d). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist schließlich diese Wende ihrerseits Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen gewesen, so dass philosophische Positionen entstanden sind, in deren Zentrum nicht mehr nur allein Sprache steht, wiewohl sie weiterhin einen wichtigen Gegenstand ausmacht (e).

(a) Antike und Mittelalter: Seit Beginn der philosophischen Überlieferungen im Abendland tritt Sprache als Gegenstand des Philosophierens in Erscheinung – wenn auch nicht als ausgezeichneter Gegenstand. Schon in der vorsokratischen Philosophie haben Autoren wie Heraklit und Parmenides Überlegungen zum Verständnis der Sprache angestellt. Platon und Aristoteles haben entsprechende Überlegungen fortgeführt. Insgesamt überwiegt dabei in der Antike eine metaphysische Haltung, die von der Verständlichkeit der Welt ausgeht. Man kann diese Haltung als realistisch bezeichnen. Einer solchen Haltung zufolge gilt, dass die Grundstrukturen des Seins uns zugänglich sind. Zwischen Platon und Aristoteles fand allerdings indirekt ein Disput darüber statt, wie diese Grundstrukturen realisiert sind. Müssen sie, so die Platonische Position, als Ideen begriffen werden, an denen die konkreten Einzeldinge, die uns in der Welt begegnen, teilhaben? Oder sind die Grundstrukturen in den Gegenständen der Welt realisiert, wie Aristoteles meint? Der Sprachbegriff beider ist von diesen Verständnissen geprägt. Bei Platon korrespondiert der Orientierung auf Ideen eine gewisse Sprachskepsis. Diese hat sich besonders in kritischen Überlegungen zur Schrift niedergeschlagen, die argwöhnen, dass sprachliche Zeichen in keinem aufschlussreichen Bezug zu den Ideen stehen. Da Platon mit gutem Recht als Begründer der philosophischen Schriftstellerei betrachtet werden kann, ist dies nicht ohne Ironie. Aristoteles teilt die Sprachskepsis, die sich bei Platon in Ansätzen findet, nicht. Er vertritt vielmehr dezidiert eine realistische Sprachauffassung, wie sie auch bei Platon unterschwellig im Spiel ist. Sie besteht in der Annahme, dass sprachliche Ausdrücke in einem direkten Bezug zu Gegenständen der Welt stehen. Aristoteles verbindet eine solche Erläuterung damit, dass er – implizit – den für uns vertrauten Begriff der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke einführt. Damit gelingt es ihm klarer als seinen Vorgängern zu erläutern, warum Sprache die Welt so wiederzugeben vermag, wie sie ist.

Mit seiner realistischen Auffassung sprachlicher Bedeutung hat Aristoteles das mittelalterliche Denken maßgeblich geprägt. Im Bann seines Denkens hat sich im Mittelalter unter anderem eine Richtung des Sprachdenkens herausgebildet, die man als spekulative Grammatik bezeichnet. Die bedeutendste Version einer solchen spekulativen Grammatik (Tractatus de modis significandi) stammt von Thomas von Erfurt. Es handelt sich dabei nicht um eine Grammatik als Lehre von den Formen und von den Verknüpfungen sprachlicher Ausdrücke in unserem heutigen Sinn. Vielmehr wird in der spekulativen Grammatik nach den universalen Formen der Sprache und des von ihr ausgedrückten Seins gefragt. So setzt sich in ihr das antike Vertrauen in das Funktionieren der Sprache fort.

In der mittelalterlichen Philosophie steht allerdings die realistische Auffassung, die aus der Antike überkommen ist, nicht allein. Sie ist eine Partei in einer neuen Kontroverse, als deren Gegenpart üblicherweise Wilhelm von Ockham ausgemacht wird. Er gilt als der erste prominente Vertreter einer Auffassung, die man später als Nominalismus bezeichnet hat. Ein Nominalist widerspricht der realistischen (beziehungsweise wie man im Zusammenhang dieser Kontroverse auch sagt: universalistischen) Auffassung. Er vertritt die These, dass die Welt keine aus sich heraus verstehbare Ordnung hat. Was Menschen verstehen und erkennen, basiert auf Strukturen, die sie entwickeln. Dieser antirealistische Grundgedanke verändert den Begriff von Sprache. Wenn die Welt keine verstehbare Ordnung hat, dann kann Sprache nicht aus einem Zusammenhang mit dieser Ordnung heraus begriffen werden. Sprachliche Ausdrücke begründen demnach auf eigenständige Weise die Möglichkeit, dass die Welt für uns erkennbar ist. Mit Wörtern vermögen wir Gegenstände in ihrer Unterschiedlichkeit zu bezeichnen. Damit allerdings, und das ist die zweite zentrale These des Nominalisten, sind sprachliche Ausdrücke und Gegenstände jeweils als Einzelheiten zu begreifen. Ein Gegenstand wie der Stuhl, auf dem ich gerade sitze, hängt mit nichts anderem zusammen. Wenn ich ihn mit dem Ausdruck »Stuhl« bezeichne, wird ein Einzelgegenstand mit einem Einzelausdruck artikuliert. Es gibt nach nominalistischer Auffassung nichts Allgemeines (Universelles) an dem Gegenstand, das durch den Ausdruck sprachlich gefasst wird. Unser Verstehen der Welt vollzieht sich demnach nur durch einzelne Zeichen, die in Bezug auf einzelne Gegenstände gebraucht werden.

(b) Neuzeit: Die Kontroverse zwischen den sogenannten Universalisten (die man besser als Realisten bezeichnet, weil dieser Ausdruck besser den Kern entsprechender Positionen artikuliert) und den Nominalisten ist zwar im Mittelalter ausgebrochen. Wirkliche Bedeutung für den Sprachbegriff erlangt sie aber erst im neuzeitlichen Denken. Im Mittelalter fehlt in gewisser Weise noch ein entscheidendes Moment, mit dem eine nominalistische Position brisant wird: der Begriff vom Geist eines Subjekts als Basis der Auseinandersetzung mit der Welt. Um zu dieser Voraussetzung zu gelangen, musste der menschliche Geist in seiner Eigenständigkeit gedacht werden. Es musste die in der Antike und im Mittelalter vertretene Überzeugung, dass das menschliche Erkennen sich auf selbstverständliche Weise in den Grundstrukturen des Seins bewegt, aufgegeben werden. Dazu kam es in besonderer Weise mit der Philosophie von René Descartes. Descartes hat mit seiner Neubegründung des Wissens den Blick auf den menschlichen Geist gelenkt. Alle Zusammenhänge der äußeren Welt sind so beschaffen, dass wir uns über sie zu täuschen vermögen. Nur darüber, dass wir in unserem Denken bestimmte Denkakte vollziehen (zum Beispiel den Akt des Zweifelns), können wir sicher sein. Der Geist ist demnach dasjenige, das uns primär gewiss ist. Genau dies besagt im Kern das berühmte »Ich denke, also bin ich«, das Descartes als Grundpfeiler menschlicher Erkenntnis begreift. Zur weiteren Fundierung des Nominalismus ist es dann nach Descartes in dem empiristischen Ansatz von John Locke gekommen. Ganz im Sinne von Descartes fragt Locke nach der Basis des menschlichen Wissens. Allerdings ist er der Meinung, dass der Geist nicht aus einer Selbstgewissheit heraus begründet werden kann. Vielmehr bedürfe er der sinnlichen Auseinandersetzung mit der Welt, um zu Wissen zu gelangen. Einzelne sinnliche Eindrücke sind, so betrachtet, die Grundlage unseres Wissens. Mit diesem Gedanken ist nun die Basis für den Nominalismus gegeben. Dies lässt sich noch einmal im Kontrast zum mittelalterlichen Denken darstellen: Der mittelalterliche Nominalismus blieb an den Hintergrund der realistischen Weltauffassung gebunden, vor dem er formuliert wurde. Dies ist bei Locke anders. Ganz unabhängig von der Beschaffenheit der Welt kann der Nominalist nun sagen: Sprachliche Ausdrücke beziehen sich auf einzelne Eindrücke, die die Welt im Geist einer Sprecherin verursacht. Sprache wird damit als ein Instrument begreiflich, das es uns erlaubt, sinnliche Eindrücke zu bezeichnen und damit anderen mitzuteilen. John Locke hat entsprechenden Überlegungen einen paradigmatischen Ausdruck verliehen. Er begründet so ein Verständnis von Sprache, das man als bewusstseinsphilosophisch charakterisieren kann. Sprachliche Bedeutung wird damit nicht mehr im Zusammenhang mit den Grundstrukturen des Seins, sondern im Zusammenhang mit dem Denken von Subjekten begriffen (wenngleich dieses für Locke noch an die Beschaffenheit der Dinge gebunden ist).

(c) 18./19. Jahrhundert: Auch wenn es in der Philosophie der Neuzeit zu diesen Weiterentwicklungen des Sprachbegriffs kommt, so gewinnt damit Sprache doch immer noch keine sonderlich prominente Rolle. Dies gilt auch für jene Philosophie, die eine nochmalige Neuausrichtung der ganzen Disziplin begründet: für die Philosophie Immanuel Kants. Kant hat den Cartesischen Rekurs auf den menschlichen Geist zugespitzt. Ihm zufolge gilt, dass das menschliche Erkennen sich in Strukturen abspielt, die im Subjekt begründet sind. Kant interpretiert diese Strukturen als solche, die sowohl die sinnliche als auch die verstandesmäßige Auseinandersetzung mit der Welt bestimmen. Er erläutert sie allerdings weitestgehend, ohne auf Sprache zu sprechen zu kommen. Dies ist bereits von Zeitgenossen kritisiert worden. Besonders Johann Georg Hamann und Johann Gottfried Herder haben gegen Kant argumentiert, dass das menschliche Erkennen sich in Strukturen abspielt, die durch Sprache bestimmt werden. Hamann und Herder vertreten die These, dass Sprache die menschliche Auseinandersetzung mit der Welt bestimmt. Diese These begründet in gewisser Weise die moderne Sprachphilosophie. Man kann in ihr eine Wende zur Sprache avant la lettre gegeben sehen. Allerdings scheint es mir wichtig, die spezifisch hermeneutische Stoßrichtung einer solchen Wende zur Sprache zu begreifen. Sprache wird hier in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem menschlichen Geist begriffen. Wilhelm von Humboldt hat eine entsprechende Auffassung später in der These gebündelt, Sprache sei das »bildende Organ des Gedanken« (Humboldt 1830ff., 426). Im Umkehrschluss heißt dies: Sprecherinnen und Sprecher können Sprache nicht unabhängig von Gedanken haben. Mit der hermeneutischen Wende zur Sprache tritt Sprache in das Zentrum philosophischer Aufmerksamkeit. Allerdings hat die Perspektive der Kritiker Kants sich nicht durchgesetzt. Nach Kant haben andere Philosophien die Diskussion bestimmt, nicht zuletzt diejenige von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dieser hat der Sprache zwar mehr Aufmerksamkeit geschenkt als Kant, hat sie aber in einem größeren Zusammenhang geistiger Tätigkeiten des Menschen begriffen und so nicht gleichermaßen ins Zentrum gestellt wie Kants Kritiker.

(d) Wende zur Sprache (linguistic turn): Zur Begründung von Sprachphilosophie als philosophischer Disziplin ist es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gekommen. Als Ausgangspunkt dieser Begründung kann man die Kritik an der Bewusstseinsphilosophie begreifen, die seit Descartes vorherrschend war und die spätestens seit Locke maßgeblich auch den Begriff der Sprache bestimmte. Diese Kritik ist in der Überzeugung motiviert, dass der Rekurs auf den menschlichen Geist uns nicht zu verstehen erlaubt, wie wir die Welt objektiv zu erfassen vermögen. Genau dies lenkt den Blick in neuer Weise auf Sprache. Es gilt, den Gehalt sprachlicher Ausdrücke als vom subjektiven Bewusstsein unabhängige Basis der menschlichen Auseinandersetzung mit der Welt zu begreifen. Eine entsprechende Wende zur Sprache ist mehr oder weniger direkt von unterschiedlichen Autoren angestoßen worden. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei Gottlob Frege sowie den Philosophen des sogenannten Wiener Kreises zu. Aber auch der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure hat mit seinen Überlegungen zum Begriff der Sprache eine Position begründet, die Sprache als Basis der menschlichen Auseinandersetzung mit der Welt zu verstehen erlaubt. Man kann sagen, dass die Wende zur Sprache alle drei großen Strömungen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts miteinander verbindet: (Sprach-)analytische Philosophien, hermeneutische Philosophien und phänomenologisch-strukturalistische Philosophien kommen darin überein, dass Sprache ins Zentrum der philosophischen Reflexion zu rücken habe. Die Wende zur Sprache ist dabei auch mit einem methodischen Motiv verbunden. Besonders in der analytischen Tradition geht es zugleich darum, das Medium zu befragen, in dem alles Philosophieren stattfindet. Das philosophische Nachdenken und Argumentieren vollzieht sich im Medium der Sprache. Es steht der Philosophie im Sinne einer kritischen Selbstreflexion gut zu Gesicht, sich mit diesem Medium auseinanderzusetzen. So kann man sagen, dass die Wende zur Sprache einen substanziellen und einen methodischen Sinn hat. Substanziell geht es darum, Sprache als Basis aller menschlichen Erkenntnistätigkeit zu begreifen. Methodisch hingegen steht die Frage im Zentrum, inwiefern Philosophie durch eine Reflexion auf Sprache Selbstkritik zu leisten vermag. In den besonders optimistischen Varianten der frühen analytischen Philosophie führt diese methodische Perspektive zu dem Gedanken, dass Philosophie nichts als Sprachkritik zu sein hat.

(e) Kritik an der Wende zur Sprache: Die Wende zur Sprache ist allerdings in den unterschiedlichen Strömungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts nicht auf die gleiche Weise ausgefallen. Gerade in hermeneutischen Philosophien wie denjenigen von Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer steht Sprache nicht auf die gleiche Weise im Zentrum wie in manch anderen Philosophien. So ist es aufschlussreich, zwei Varianten einer Wende zur Sprache zu unterscheiden. Die erste Variante kann man als klassisch bezeichnen. Mit ihr rückt eine Reflexion auf Sprache im engeren Sinn ins Zentrum der philosophischen Arbeit. Sprache wird als eine Basis begriffen, die für sich betrachtet werden und aus diesem Grund die philosophische Reflexion orientieren kann. Die zweite Variante hingegen geht davon aus, dass Sprache im Zusammenhang mit unterschiedlichen anderen Dimensionen des menschlichen Weltverhältnisses betrachtet werden muss. Diese Auffassung ist insbesondere mit der These verbunden, dass wir sprachliche Bedeutung nicht unabhängig von den spezifisch geistigen Perspektiven von Sprecherinnen und Sprechern auf die Welt begreifen können. Paradigmatisch wird eine entsprechende Sichtweise von hermeneutischen Positionen vertreten. Wenn man diese beiden Varianten einer Wende zur Sprache unterscheidet, kann man auch die bereits angesprochenen Positionen der Zeitgenossen Kants besser verorten. Wenn überhaupt gehören diese einer Wende zur Sprache im Sinne der zweiten Variante an. Diese Variante hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in der analytischen Tradition zunehmend durchgesetzt. Mit ihr ist nicht in gleicher Weise wie in der klassischen Variante der Optimismus verbunden, die objektive Auseinandersetzung mit der Welt allein in einer Reflexion auf Sprache begründen zu können. Positionen, die die Wende zur Sprache in einer hermeneutischen Weise interpretieren, begreifen Sprache in einem Zusammenspiel unterschiedlicher Dimensionen, die sich nicht auf Sprache reduzieren lassen. Entsprechende Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind dabei einerseits damit verbunden, dass unter anderem der philosophie- und metaphysikkritische Anspruch der frühen analytischen Philosophie aufgekündigt wird. Andererseits führen sie dazu, dass in mehr oder weniger inflationärer Art und Weise neue Wenden ausgerufen wurden, die über die Sprache hinausführen sollen: zum Beispiel ein iconic turn, ein performative turn und ein cognitive turn. Im Zuge der letzten Etappe dieser Skizze einer Geschichte der Sprachphilosophie verliert damit die Sprache in systematischer Hinsicht wieder den uneingeschränkten Vorrang, der ihr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zukam. Dies aber führt nicht dazu, dass sie aus dem Zentrum philosophischen Nachdenkens verschwindet. Sie teilt sich den Platz in diesem Zentrum nur mit anderen Größen, die als konstitutiv für das menschliche Weltverhältnis begriffen werden.

1.2 Die Fragen der Sprachphilosophie