Die Autoren

Gaby  Köster  – Foto © Stephan Pick
Gaby Köster, geb. 1961, wurde 1988 von Jürgen Becker entdeckt und spielte sich über unzählige Auftritte live, im Radio und TV in die erste Reihe der deutschen Kabarett-Szene.
Für Erfolgsformate wie »7 Tage – 7 Köpfe« und »Ritas Welt« erhält sie alle bedeutenden Preise (u.a. Deutscher Comedy-Preis, Deutscher Fernsehpreis, Adolf-Grimme-Preis). 
2007 startete ihr drittes und erfolgreichstes Solo-Programm »Wer Sahne will, muss Kühe schütteln!«. Im Januar 2008 erleidet Gaby Köster einen Schlaganfall, der sie zu einer langen  Karrierepause zwingt.
Till Hoheneder, geb. 1965, wurde mit dem Comedy-Duo „Till & Obel“ (1986 – 2000) bekannt. Heute ist er Autor und Comedian. Sein mit Gaby Köster geschriebenes Buch "Ein Schnupfen hätte auch gereicht" wurde ein Bestseller, ebenso „Keine Zeit für Arschlöcher“ mit Horst Lichter und „Und dann kam Ute“ mit Atze Schröder. Till Hoheneder wurde dreimal mit dem Deutschen Comedy-Preis ausgezeichnet. Seit 2018 ist er auch wieder auf der Bühne zu sehen: Mit Torsten Sträter bestreitet er spontane Lesungen und mit Atze Schröder ging er im Frühjahr 2019 erfolgreich mit dem Programm und Podcast „Zärtliche Cousinen“ auf Tournee.

Das Buch

»Ich werde oft gefragt, wie ich mich ins Leben zurückgekämpft habe – gute Frage, denn ich habe nie gekämpft! Ich habe die Liebe zum Leben einfach nicht aufgegeben. Den Glauben an den Sinn der Dinge, die um uns herum passieren!«
Gaby Köster hat allen Hindernissen zum Trotz ihren Humor nie verloren, ihre Familie zusammengehalten und ist sogar wieder in ihren Beruf zurückgekehrt. Und dabei hat sie etwas geschafft, was nur wenigen Menschen gelingt: Gaby Köster hat Frieden geschlossen mit sich und ihrem Schicksal. Denn statt zu resignieren und zu hadern, freut sie sich über jeden Tag: »Wie schön, dass ich das noch lebendig sehen darf. Wenn ich tot gewesen wäre, hätte ich das doch alles nicht mitgekriegt!«

Gaby Köster und Till Hoheneder

Das Leben ist großartig – von einfach war nie die Rede

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-2179-0

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Vorspann

Da saßen wir nun auf dem Sofa. Der Herr Sohn und ich, Gaby Köster. Seine Mutter. Ziemlich genau neun Jahre später, nachdem mein drecksdrisseliger Schlaganfall unser chaotisches Leben gehörig durchgerüttelt hatte. Mein Leben, aber auch seins. Mitten in der ohnehin schon schwierigen Pubertät überrollte auch Donald das Schicksal unvorbereitet und ungefragt. Und so klagte mein Kind einmal halb im Spaß, halb im Ernst: »Ich bin dreifach gestraft – ich bin das Scheidungskind einer Promimutter mit Schlaganfall! Kein Wunder, dass ich einen an der Waffel hab!«

Nervös wie Hulle rückten wir noch näher aneinander. Der Magen flau, und jeder von uns beiden vermied es, den anderen anzuschauen. Unsere schwitzenden Hände suchten und fanden sich. Sie drückten sich leicht, aber es kam mir vor, als ob sie das automatisch taten, ohne Befehl von oben. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn »oben« hat es ja bei mir mächtig gerappelt. Der verfluchte Schlaganfall hat in meinem Hirn ordentlich gewütet. Ganze Areale wie ein Hurrikan verwüstet. Die Reparaturarbeiten liefen zwar erstaunlich gut, sind aber meines Erachtens eher pragmatisch und rustikal durchgeführt worden. Was dazu geführt hat, dass bestimmte Körperteile mir nach wie vor nicht gehorchen und den Dienst verweigern. Unverschämt, aber was willste machen?

Was genau damals passiert ist, was es mit unserem Leben gemacht und wie wir uns damals gefühlt haben, das wollten Donald und ich noch einmal gemeinsam angucken. Genauer gesagt: den Film Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Frei nach dem gleichnamigen Buch meines famosen Freundes Till Hoheneder und meiner Wenigkeit, Frau Gabriele Köster. Natürlich waren wir unserer Meinung nach bestens vorbereitet. Donald und ich hatten uns natürlich im Vorfeld schon treuherzig versichert, dass das ja »nur« ein Film sei. Mit der Rea­lität hat das aber mal pihaupt nix zu tun und sowieso! Darum könnte das ja gar nicht so schlimm werden, wenn wir mal 90 Minuten lang eine Geschichte betrachten, die ja nur in Teilen mit der Wahrheit zu tun hat.

Wie sagte doch schon der gute Mark Twain: »Truth is stranger than fiction« – weil die Wahrheit im Gegensatz zur Geschichte nicht verfremdet werden darf, sollte und ist, wie sie ist. Unbarmherziger, verrückter, komischer, unwirklicher. Die Wahrheit ist ein Sackgesicht oder viel schöner, als das eine Geschichte je wiedergeben kann. Warum versuchen die berühmtesten Dichter und Schriftsteller sonst wohl immer wieder, das Phänomen der puren Liebe oder die Schönheit der Natur in Worte zu fassen? Weil diese Wunder in Wahrheit eigentlich unbeschreiblich sind.


Und darum wird uns dieser Film über einen Ausschnitt ­meines Lebens schon nicht aus der Bahn werfen. Da waren ­Donald und ich uns völlig einig gewesen. Das wäre ja auch lächerlich, denn wir kennen ja die Wahrheit, Freunde der gemischten Tüte. Dumm nur, dass von unserer Zuversicht nicht viel übrig geblieben war, seit die DVD im Laufwerk surrte. Ich empfand dumpfes Unbehagen. Scheiße, genauer gesagt: Ich hatte Angst, mir ging der Poppes so richtig auf Grundeis. Egal, dachte ich, das ziehen wir jetzt durch. Ich glaube, Donald hatte auch Schiss. Meine Hand ließ er jedenfalls nicht los.


Die ersten Szenen liefen, und schon beim bloßen Anblick von Anna Schudt, der Schauspielerin, die mich darstellt, bekamen wir einen echten Schock. Unwillkürlich zuckte meine Hand zusammen und meine Ringe schlugen fies auf Donalds Knöchel. Er wollte aus schmerzhaften Gründen loslassen, was ich wiederum nicht gestattete. Verdammte Hacke, diese Frau sah mir so gespenstisch ähnlich, dass mir in Sekundenbruchteilen der Kiefer eine Etage tiefer aufs Parkett knallte. Ihre Art, sich zu bewegen, zu sprechen – ich sah mich selber auf der Mattscheibe! Und war total verwirrt. Erschreckend, weil ich das doch gar nicht sein konnte und irgendwie dann doch war. Schwer zu verdauen, das! Zwar hatte ich die Dreharbeiten besucht und dabei schon erschüttert festgestellt, dass Anna sich praktisch in eine Art »Gaby Köster« morphen konnte … was ich schon ziemlich spooky fand. Aber das war natürlich viel abstrakter, wegen der Kameras und dem ganzen Gedöns am Filmset. Aber auf dem Bildschirm war das Ergebnis frappierend, im 1:1-Erlebnis fast unerträglich.

In diesem Moment vergaß ich völlig, dass Anna Schudt sich während ihrer Besuche bei mir wie ein Schwamm vollgesogen hatte. »Kösterisation« ist das Stichwort, liebe Leute. Sie wollte alles wissen: Wie ich rauche, wie es sich angefühlt hat, das erste Mal nach dem Schlaganfall wieder zu laufen, was in einem vorgeht, wenn man sich bewegen will und der Körper verflucht noch mal den Dienst verweigert – lauter so drisselige Sachen, die man als gesunder Mensch nicht wissen kann. Sie hatte das Buch Ein Schnupfen hätte auch gereicht gelesen, Ritas Welt geguckt. Telefonierte stundenlang mit Till, meinem Freund und Co‑Autor, um möglichst viele Teile für ihr Gaby-Puzzle zu bekommen.

Mein Cousin Gerd, der im Film meinen Papa gespielt hat, erinnerte sich auch mit einem Schauer an die Dreharbeiten: »Als diese Anna-Gaby auf mich zugelaufen kam, bekam ich ein ums andere Mal eine Gänsehaut!« Hörens, liebste Leser, wenn so ein nahes Familienmitglied schon das Schlottern kriegt, könnt ihr euch ja wohl mal vorstellen, wie meinem Sohn und mir dieser Anblick an jenem Abend durchs Gebälk gedonnert ist. Heute kann ich ihr nur sagen: Ich danke dir, liebe Anna Schudt. Das war und ist eben ganz große Schauspielkunst. Sie hat mich verkörpert, aber nicht imitiert. Und genau das hatte sie mir auch versprochen, als wir uns vor den Dreharbeiten kennengelernt hatten. Sie sagte, sie würde sich ihre eigene Auslegung meiner Figur erarbeiten, aber mich auf keinen Fall imitieren. Was mir natürlich nur recht war. So eine überkandidelte Travestieparodie, das hätte mir auch gerade noch gefehlt, Herrschaften. Wir wollten ja schließlich keine Jörg-Knör-Tütensuppe schlürfen, sondern Champagner verköstigen.

Dass die gute Anna für diese grandiose Performance für den international renommierten Emmy-Preis nominiert wurde, ist mehr als nur verdient. Die Frau ist eine Granate, ein Schauspieljuwel. Und dabei auch noch ein feiner Mensch. Sie ist sehr behutsam mit mir und meiner Familie umgegangen. Dafür bin ich überaus dankbar, das hat mich sehr happy gemacht. Ich weiß – weil manche Menschen mich darauf angesprochen haben –, dass einige enttäuscht darüber waren, dass ich mich nicht selber gespielt habe. Das könnt ihr mal schön vergessen, Herrschaften – ich durchleb das alles nicht noch mal. Pustekuchen, mir reicht’s.

Aber zurück zu Mutter und Sohn auf dem Sofa: Als der Film schon eine Weile lief, schaute ich verstohlen zu Donald hinüber und sah mit blutendem Mutterherz, dass mein geliebtes Kind Tränen in den Augen hatte. Die ganze Anspannung löste sich und Tränen kullerten über sein abgekämpftes Gesicht. Ich wollte auch weinen, konnte aber nicht. De facto konnte ich schon seit Jahren nicht mehr weinen. Eine lange Nebenwirkung des miesen Schlaganfalls, die sich erst löste, als … aber dazu später, zurück aufs Sofa.

Wir blieben einfach sitzen und sagten erst mal nix. Als die Tränen trockneten, meinte der Sohnemann, dass diese Anna mich aber nun mal sehr echt getroffen hätte. Ich dachte in dem Moment nur, wie spooky es für ein Kind sein muss, dass eine Schauspielerin seine Mutter so frappierend gut spielt, dass die Grenze zwischen Film und Realität so verwischen kann. Monate später, nach der Filmpremiere hat er immer gerne erzählt, dass Anna Schudt mich wirklich sehr gut verkörpert habe – bis auf die Szene, wo sie »laut Drehbuchtexte geübt hätte: Das hätte meine Mutter nie gemacht, dieses Üben!« Ha! Recht hat er!

Nachdem Donald irgendwann erschöpft in seinem Zimmer verschwand, blieb ich noch lange alleine im Halbdunkel des Wohnzimmers sitzen. Ich war fix und fertig, geplättet und völlig überfordert. Mir jagten immer noch so viele Gedanken gleichzeitig durch mein ramponiertes Hirn. Ich war total hibbelig und konnte überhaupt nicht pennen. Ich dachte über Donald nach.

Natürlich war mir schon damals klar gewesen, was das arme Kerlchen durchgemacht hat. Aber jetzt traf mich die Erkenntnis über sein Leiden mit der Wucht eines mächtigen Güterzugs. Als alle seine Mitschüler und Freunde ihre Puber­tät ausgelebt haben, saß mein Sohn an meinem Krankenbett und betete für mein Leben. Es ist doch so, Freunde des pustelroten Pubertätspickels: In dieser Zeit lösen sich die Kinder schmerzhaft von der Vorstellung, dass Mama und Papa so ’ne Art Erziehungs-Avenger sind. Stellen fest, dass ihre Eltern auch nicht immer recht haben, Stuss labern und alles andere als perfekt sind. Und dass man auf Dauer nicht mit ihnen unter einem Dach leben sollte, um einen Dachschaden zu vermeiden. In diesem schmerzhaften und wichtigen Prozess gab es für Donald wenige Möglichkeiten, sich normal zu lösen: Seine Eltern waren relativ frisch geschieden und ich, seine Mutter, war todkrank dem Düvel von dr Schöpp jesprunge. Allerdings mit dauerhaftem Dachschaden. Was wiederum dazu führte, dass der bedauernswerte Herr Sohn permanent zwischen Rücksicht, Mitleid und pubertätsbedingter Aggression taumelte. Inklusive heftiger Mutterliebe und starken Gewissensbissen, wenn er mich ab und zu mit verbalen Frechheiten verletzte. Was mir in diesen Stunden wieder eindringlich klar wurde: Was Donald mit mir erlebt hatte, ging über eine normale Mutter-Kind-Beziehung weit hinaus. Ich konnte schon nicht seinen Vater zu Hause ersetzen, aber eine normale Mutter war leider auch nicht für ihn drin.


Der Film hat mir mit neun Jahren Abstand ziemlich heftig vor Augen geführt: Das Leben lief für meine Mutter, meinen Sohn und mich in diesen Jahren einfach erbarmungslos weiter. Die Konsequenzen musste jeder oft alleine schultern. Der Alltag lässt wenig Zeit für persönliche Befindlichkeiten, und am Anfang war ich noch viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Meine neue Rolle zu finden, meinen neuen Körper und sein Handicap zu akzeptieren. Den Film gemeinsam angeschaut zu haben hat aber vor allem Donald endlich mal die Möglichkeit gegeben, mir ohne Vorwürfe klarzumachen, was er damals durchgemacht hat. Ich konnte fragen: »War das wirklich so für dich?« Und er konnte antworten ohne anzuklagen. Deswegen muss ich meinem Sohn ein ganz großes Kompliment aussprechen: Du warst und bist ein kluger, mutiger Junge. Ich liebe dich sehr und danke dir für deine Kraft und Geduld. Deine Fehler sind meine Fehler.

Es ist für mich also nicht verwunderlich, wenngleich auch schmerzhaft, dass Donald das Haus verlässt. Richtung Argentinien. 11 443 Kilometer Abstand dürften ausreichen, um ein paar heftige Pubertätsanfälle und wichtige Ablösungsprozesse ungehindert nachzuholen. Er selber meinte dazu nur trocken wie Löschpapier: »Mama, stell dich nicht so an. Wenn du mich sehen willst, ist das doch ganz einfach! Du setzt dich in Köln in den Flieger und 17 Stunden später hole ich dich am Flughafen ab – wo ist das Problem?«

Das hörte sich tröstlich an, ich weiß aber nicht, ob mir das reicht in der Stunde des Abschieds. Wir werden sehen. Am Ende hat der Film uns allen wieder dringlich klargemacht, dass nur Hoffnung, Mut, Liebe und der feste Wille, es gemeinsam zu schaffen, unserer kleinen Familie geholfen haben, durch den Sturm zu kommen. Und so wird es bleiben, Kinders. Das ist meine Erkenntnis aus dem Film, die Essenz aus zehn Jahren danach: »Wie schön, dass ich das noch lebendig sehen darf. Wenn ich tot gewesen wäre, hätte ich das doch alles nicht mitgekriegt!«