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PETER HOERES

ZEITUNG FÜR
DEUTSCHLAND

Die Geschichte der FAZ

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger
Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.
Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Für Johanna und Carl

INHALT

Prolog in Mainz und Frankfurt

Von der Frankfurter Zeitung zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung

1 Marktwirtschaft in einer feindlichen Umgebung

Welter, Wipog und Wirtschaft gründen eine Zeitung – Das Gesicht der Zeitung in den ersten Jahren – Die FAZ als »Brigade Erhard« – Konflikte mit dem BDI – Unabhängigkeit! Die Gründung der FAZIT-Stiftung – Geheimhaltung!

2 Vergangenheitspolitik

NS-Vergangenheiten – Ziesel gegen Korn – Nazis in Argentinien – Kritik an Thomas Mann und Martin Heidegger – Der Oradour-Prozess – Der Frankfurter Auschwitz-Prozess – Schreiben über NS-Belastete

3 Eine Zeitung des Kalten Krieges

Die USA als Vorbild – Primat der Westbindung? Der Fall Sethe – Der Mauerbau – Hinter dem Eisernen Vorhang – Bericht aus Bonn – Die Dritte Welt in der Dekolonialisierung – Antikommunismus – Atomwaffen: Von der Wiederbewaffnung bis zur Nachrüstung

4 In der Nachkriegsmoderne

Sieburg und Korn: Konservativer Geschmack und kulturelle Öffnung – Ernst Jünger und Carl Schmitt – Verständigung über die kulturelle Moderne

Exkurs: Die FAZ und ihre Kritiker

Publizistische Kritik von außen – Leserbriefe

5 Reaktionen auf 1968

Reformen und Revolte – Ein Opfer des Vietnamkrieges in Frankfurt – Literaturkritik unter Bohrer: Alternative zur sozial engagierten Kritik – Ein halblinkes Feuilleton – Antikritik der Marktwirtschaftler – Sternbergers Verfassungspatriotismus

Exkurs: Sprachwandel und neue Themen

Befunde zum Sprachwandel – Der FAZ kommt die »Frau« abhanden – Der lange Weg zur Pop- und Rockmusik – Comics

6 In den roten Siebzigern und schwarzen Achtzigern

Die sozialliberale Regierung und die Journalisten – Die Entlassung Terns und eine Rebellion in der FAZ – Joachim Fest und Marcel Reich-Ranicki kommen – Der Fall Filbinger – Bilanz: Die FAZ im »roten Jahrzehnt« – Role models? Thatcher und Reagan – Die »geistig-moralische Wende«: Enttäuschte Erwartungen? – Wiedervereinigung – Sieger des Kalten Krieges?

Exkurs: Bilder in der Bleiwüste

Layoutreform – Die Ikonen Barbara Klemms – Tiefdruckbeilage und Magazin – Karikaturen – Das Bild auf Seite eins

7 Feuilletondebatten

Die Fassbinder-Kontroverse – Der Historikerstreit und der Bruch zwischen Fest und Reich-Ranicki – Der Literaturstreit um Christa Wolf – Schirrmachers Debatten- und Zukunftsfeuilleton

Exkurs: Pflichtprogramm und Kür

Lokal- und Regionaljournalismus – Sportjournalismus – Reisejournalismus

8 Die FAZ um die Jahrtausendwende

Das Ende der Ära Kohl – Eine Oppositionszeitung gegen Rot-Grün? – Der Rauswurf Hugo Müller-Voggs – Krisenjahre – Kampf gegen die Rechtschreibreform

9 Die großen Fragen der Gegenwart

Präludium: Die Fernseh-FAZ scheitert – Die FAZ verschläft das Internetzeitalter – Europa und der Euro – Die FAZ und die Anti-Euro-Partei – Islam und Einwanderung – Nr. 4

10 Leben und Schreiben in der Männerbastion

Einstieg, Aufstieg, Führung – Frauen in der Männerwelt – Der Stil der FAZ – Einfluss und Resonanz eines Leitmediums – Die FAZ in der Geschichte der Bundesrepublik

Epilog im Internet

Dank

Anhang

Anmerkungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Liste der Herausgeber und Ressortleiter der FAZ

Auflagenentwicklung

Liste Förderkreissitzung am 10. September 1952

Liste des Förderkreises [1961]

Personenregister

Bildnachweis

Die große Staatszeitung kennt keine Dankbarkeit.
Wer sie verlässt, ist aus dem Gedächtnis getilgt.
Es gibt in ihr auch keine Gemeinschaft der Lebenden
und der Toten, wie sie einer Erinnerungsbewahrung
entspräche. Vielmehr herrscht eine Art geschäftsmäßige
Erinnerungstilgung.

Gerhard Stadelmaier, »Umbruch«, 2016

PROLOG IN MAINZ UND FRANKFURT

Als ich am 10. November 2013 das Rhein-Main-Derby Mainz 05 gegen Eintracht Frankfurt in Mainz besuchte, fiel mir in der Pause ein kleiner Zeppelin mit dem typischen Schriftzug der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der FAZ, auf. Als Eintracht-Fan spöttelte ich, ob sich die FAZ nicht in der Zielgruppe vertan habe. Beim zweiten Hinschauen sah ich aber, dass nicht Frankfurter Allgemeine das kleine Luftschiff zierte, sondern Allgemeine Zeitung. Das Schriftbild war verblüffend ähnlich. Beide Zeitungen mussten etwas miteinander zu tun haben. So führte mich eine Alltagsbeobachtung zur Geschichte. In der Tat gab es einen Zusammenhang, denn hier in Mainz, bei der Allgemeinen Zeitung, hatte die FAZ ihren Anfang genommen, und hier hatte zunächst ein Teil der Redaktion residiert. Die Wurzeln reichten aber viel weiter zurück zur berühmten Frankfurter Zeitung (FZ), die, noch vor Gründung des deutschen Kaiserreichs, 1856 ins Leben gerufen worden war.

So gelangt man also zu der langen Vorgeschichte der FAZ, und auch ihre siebzigjährige Geschichte selbst ist kompliziert, facettenreich und angesichts von mittlerweile weit über sechs Millionen Artikeln1 und Tausenden von Redakteuren und Mitarbeitern schier unüberschaubar und daher nur begrenzt fassbar. Eine Totalgeschichte ist schon angesichts der Fülle an Material und unzähliger möglicher Perspektiven auch rein theoretisch sinnlos. Zudem wäre sie wohl auch ziemlich langweilig. Es werden also Kenner der FAZ in diesem Buch einiges vermissen, Namen, die für sie wichtig sind, und Artikel, an die sie sich erinnern. Jeder liest letztlich eine andere Zeitung, die allerwenigsten lesen sie Tag für Tag vollständig, und auch dann haben sie unterschiedliche Perspektiven, Rezeptionsmuster und Erinnerungen.

Es geht hier also um Ausschnitte aus der Geschichte der Zeitung, um die Bildung von Schwerpunkten. Diese Schwerpunkte ergaben sich aus drei Fragekomplexen:

Erstens: Woran erinnerten sich die Zeitzeugen besonders und übereinstimmend? Das Gedächtnis trügt, und das Vergessen ist der Normalzustand unseres Gehirns. Frühere Erfahrungen werden durch später hinzugekommenes Wissen überlagert. Aber subjektiv für wichtig gehaltene Ereignisse, Strukturen und Prozesse werden immer wieder überdacht und erwähnt, und darauf kommt es bei der Frage nach der Relevanz an. Die so identifizierten Themen bedürfen dann der Erschließung anhand von Primärquellen aus der erforschten Zeit.

Zweitens: Was hat Niederschlag in unpublizierten Quellen unterschiedlicher Provenienz gefunden? Die vielen Briefe, die man im Geschäftsgang früher verfasste, die Vermerke und Protokolle von Redaktions- und Herausgebersitzungen, die zum ersten Mal überhaupt eingesehen werden konnten, sind nicht durch die Erinnerung getrübt. Sie sind gleichwohl quellenkritisch zu betrachten, bezeugen aber, was jeweils verhandelt und reflektiert wurde, was auf der Agenda der Zeitung stand.

Drittens: Wie und unter welchen Aspekten wurde die FAZ von außen wahrgenommen, in anderen Medien, in der Politik, in der Wirtschaft und im Kulturbetrieb? Denn für diese Funktionssysteme der Gesellschaft im Luhmann’schen Sinne bildete die FAZ ein Leitmedium, sie stellte diesen Systemen Informationen zur Verfügung und irritierte sie, wie sie ihrerseits von diesen Systemen irritiert wurde. Diese Resonanz ist für die Geschichte der Zeitung von großer Bedeutung und zeigt ihre Wirkung und ihre oft kritische Beobachtung.

Natürlich werden darüber hinaus die markanten politik-, wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen in den 70 Jahren seit Gründung der Zeitung 1949 und deren Beobachtung, Prägung und Kommentierung im Blatt in den Blick genommen. Es wird also eine Geschichte erzählt entlang der im oben skizzierten Sinn relevanten Stationen. Dass dabei die Vorlieben und Interessen des Autors mitspielen, der seit rund 35 Jahren zu den Lesern der Zeitung gehört, sei unumwunden zugegeben. Eine Chronik ist das vorliegende Werk also nicht, ebenso wenig eine Festschrift oder eine Auftragsarbeit. Der Autor stieß mit seinem Ansinnen bei der FAZ zunächst nicht auf offene Türen. Es ist schließlich ein deutsches Spezifikum, dass wichtige Medienhäuser in ihren eigenen Angelegenheiten sehr öffentlichkeitsscheu sind, erst recht in Bezug auf ihre eigene Geschichte. Dennoch habe ich nach vielen Anläufen als erster Wissenschaftler überhaupt Zugang zu den Archivalien der FAZ erhalten.2 Daneben haben mir viele FAZler mit Gesprächen und Auskünften geholfen, dieses Buch zu schreiben. Diejenigen, denen das Gebotene nicht reicht und die sich über einzelne Sujets weiter informieren möchten, seien auf die Arbeiten meiner Doktoranden zu den einzelnen Ressorts und zum Gründungsherausgeber Erich Welter verwiesen. Darüber hinaus dienen die vielen Nachweise zu FAZ-Artikeln nicht nur der Belegpflicht, dem wissenschaftlichen Prinzip der Nachprüfbarkeit, sondern sollen auch dazu anregen, sich mit verschütteten Autoren und Preziosen vertraut zu machen und unmittelbar in die jeweilige Zeit einzutauchen. Alle Artikel liegen digital und im Internet abrufbar vor, freilich kostenpflichtig. Das Gesamtarchiv hält darüber hinaus jede bessere Universitätsbibliothek in ihrem Netz vorrätig, ein unschätzbarer Fundus, der die Leser in immer neue Themen hineinzieht. Bei allen Einschränkungen: Der im Motto von Stadelmaier beklagten Erinnerungstilgung dürfte in jedem Fall entgegengewirkt werden.

VON DER FRANKFURTER ZEITUNG ZUR FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG

Die traditionsreiche Frankfurter Zeitung Leopold Sonnemanns war ein liberales Blatt unter Einschluss einiger sozialistischer und vieler jüdischer Journalisten. 1856 zunächst als Finanz- und Börsenzeitung gegründet, entwickelte sie sich in der »Eschenheimer Gaß« (Große Eschenheimer Straße) gegenüber dem Palais Thurn und Taxis während der 1920er Jahre zu einem Medium mit weithin beachteten Feuilletons. Zu ihren Mitarbeitern zählten Walter Benjamin, Rudolf Geck, Walter Dirks, Theodor Heuss, Siegfried Kracauer, Adolf Loos, Joseph Roth, Friedrich Sieburg und Max Weber. In der goldenen Ära des Feuilletons lieferten sie Glanzstücke »unter dem Strich«, wo die Feuilletons damals noch platziert waren, oder schrieben im Literaturteil aufsehenerregende Besprechungen. Nicht immer stießen diese Stücke oder Vorabdrucke moderner Romane wie Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz« auf das Wohlwollen der Leser, die bisweilen heftig protestierten.3

Die republiktreue Zeitung wurde damals kollegial von einer Redaktionskonferenz unter Vorsitz von Heinrich Simon geführt, eines Enkels von Sonnemann. Liberal, jüdisch, republiktreu – das machte die Lage prekär, nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 Kanzler geworden war. Anders als die noch deutliche ältere liberale »Tante Voss«, die 1934 unter ihrem Chefredakteur Erich Welter eingestellte Vossische Zeitung aus Berlin, wurde die FZ von den neuen Machthabern aber nicht verboten. Welter wechselte denn auch zur FZ und leitete dort den Handelsteil. Die Frankfurter Zeitung sollte nach dem Willen von Joseph Goebbels und seines Staatssekretärs Walther Funk sowie einiger dem liberalen Presseorgan wohlgesinnter Mitarbeiter im Reichspropagandaministerium als Feigenblatt des neuen Reiches im Ausland herhalten, wo die Zeitung die höchste Auflage aller deutschen Printmedien erreichte. Ein besonderer Fürsprecher der Zeitung war Rolf Rienhardt, Hauptamtsleiter im Presseamt der Reichsleitung der NSDAP und enger Mitarbeiter des Pressemultifunktionärs Max Amann.

1934 musste Simon, ein getaufter Jude, nach dem Schriftleitergesetz ausscheiden. Herausgeber wurde nun die Imprimatur GmbH, über die der Vorstandsvorsitzende der I.G. Farben, Carl Bosch, die in der Weltwirtschaftskrise ins Trudeln geratene Frankfurter Zeitung seit 1930 unterstützt hatte, was im Unternehmen wegen manch linker Sozialreportage wie Siegfried Kracauers »Die Angestellten« auf Kritik gestoßen war. Joseph Roth hatte da seine Mitarbeit bereits aufgekündigt, und Kracauer floh unmittelbar nach der Machtergreifung nach Frankreich. Dagegen konnten der »jüdische Mischling« Erich Lasswitz und die mit Jüdinnen verheirateten Wilhelm Hausenstein, Dolf Sternberger – der als Redakteur für Bildung und Hochschule 1934 überhaupt erst zur FZ gegangen war, weil er unter den Bedingungen des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« nicht mehr Professor werden konnte – und Otto Suhr bis April 1943 weiter für die Zeitung arbeiten.

Eine Schlüsselrolle als Vorsitzender der Redaktionskonferenz nahm nun der Leiter des Politikressorts, Benno Reifenberg, ein. Dem Naturell nach war der kunstsinnige Reifenberg ein Feuilletonist. Von 1924 bis 1930 hatte er das Feuilleton der Zeitung geleitet. Wie viele seiner intellektuellen Zeitgenossen hat er die Nationalsozialisten zunächst unterschätzt und für das Führungspersonal wie den Stil der neuen Machthaber Verachtung gezeigt.4 Später ließ sich Reifenberg von den außenpolitischen Erfolgen Hitlers blenden und unterstützte diesen publizistisch. Auf der anderen Seite verteidigte er weiter die bürgerliche Individualität und hielt die Zeitung von Antisemitismus frei. Eine zweitägige Inhaftierung durch die Gestapo 1938 markierte dann eine Wende: Reifenberg ging in die »innere Emigration« und schrieb nur noch über Kunstthemen, denn er war nicht nur ein missliebiger Journalist, sondern galt nach den Nürnberger Gesetzen auch als »jüdischer Mischling«, was seine Lage höchst prekär machte. Im Frühjahr 1943 wurde er von der Schriftleiterliste gestrichen, was einem Berufsverbot gleichkam. Die Zeitung wurde dann Ende April 1943, nachdem ein offen die biographischen Abgründe von Hitlers ideologischem Ziehvater Dietrich Eckart schildernder Beitrag erschienen war, von Hitler persönlich verboten. Immer wieder war dieser in den Jahren zuvor über die verhasste Zeitung hergezogen. Schon in »Mein Kampf« hatte er geschrieben:

Gerade für unsere geistige Halbwelt aber schreibt der Jude seine sogenannte Intelligenzpresse. Für sie sind die »Frankfurter Zeitung« und das »Berliner Tagblatt« gemacht, für sie ist ihr Ton abgestimmt und auf diese üben sie denn auch ihre Wirkung aus. Indem sie alle scheinbar äußerlich rohen Formen auf das sorgfältigste vermeiden, gießen sie das Gift aus anderen Gefäßen dennoch in die Herzen ihrer Leser.5

Dieser Hass blieb erhalten, wie zahlreiche Äußerungen Hitlers in der Folgezeit belegen. Jetzt berichtete ihm die Witwe seines Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost, über den die FZ sich ebenfalls kritisch ausgelassen hatte, empört von dem Artikel Herbert Küsels über Eckart. Welter, der die Zeitung als stellvertretender Hauptschriftleiter bisher mit Geschick nach außen vertreten hatte, konnte nun nichts mehr tun. Da er die Verantwortung für den inkriminierten Artikel übernahm, wurde er ebenso wie Küsel von der Gestapo verhaftet. Er kam am folgenden Tag wieder frei, Küsel nach drei Wochen, wobei es ein Kompetenzgerangel zwischen der Frankfurter Gauleitung, die Küsel verfolgen wollte, und den ihn protegierenden Rienhardt und Amann, Goebbels sowie Alfred Rosenberg gab. Schließlich wurde Küsel zur Wehrmacht einberufen. Mit der Entlassung der »jüdischen Mischlinge« Benno Reifenberg und Erich Lasswitz sowie der bereits erwähnten, mit Jüdinnen verheirateten Redakteure Sternberger, Hausenstein und Suhr, die von Goebbels nun gefordert wurde, versuchte man noch, ein Verbot der FZ zu verhindern. Als Hitler während der eintägigen Abwesenheit von Reichspressechef Otto Dietrich im Juli die FZ in seiner Pressemappe fand und zu seinem Ärger feststellen musste, dass die Zeitung immer noch erschien, bestand er auf dem Verbot. Welter unternahm einen letzten Rettungsversuch, indem er Hans Schwarz van Berk, dem Leiter einer Sonderredaktion für das Ausland in Goebbels’ Ministerium, die Leitung der Zeitung eigenmächtig anbot. Doch vergeblich: Am 31. August 1943 kam das endgültige Ende der traditionsreichen und im Ausland viel beachteten Zeitung. Einige Redakteure wie Paul Sethe und Erich Welter wurden nun zum Völkischen Beobachter dienstverpflichtet. Welter konnte sich dem Schreiben für das Parteiblatt aber entziehen.6

Über die Haltung der Zeitung, an welcher zuletzt auch zwei in der Nachkriegszeit sehr prominente Publizistinnen, Margret Boveri und Elisabeth Noelle, mitarbeiteten, ist viel gestritten worden.7 Unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur und unter genauer Beobachtung verschiedener Stellen von Partei und Staat konnte die FZ nur bis zu den Märzwahlen 1933 einen klaren Oppositionskurs gegen die Nationalsozialisten und Hitler persönlich durchhalten. Doch auch danach schien immer wieder Distanz zum Regime auf, etwa durch die Setzung von Anführungszeichen und die Verwendung des Konjunktivs sowie durch historisch verschleierte Kritik und Exkursionen in die Welt der Fabeln im Feuilleton. Zudem enthielt sich die FZ antisemitischer Artikel8 und ignorierte die »Blubo«-Literatur. Besonders strikt wurde auf die Beibehaltung einer klassisch zurückhaltenden und reflektierenden Sprache geachtet. Von 1937 an erschien regelmäßig eine Sprachkritik, die zum Vorbild für die FAZ wurde. Andererseits erschienen durchaus Artikel, in denen dem Regime gehuldigt wurde, für die sich insbesondere der Berliner Korrespondent und Hauptschriftleiter Rudolf Kircher zuständig fühlte. Außenpolitisch, und hier ganz besonders in der Revisionspolitik, gab es zwischen dem Regime und der FZ ohnehin partielle Übereinstimmungen. Im Krieg stimmten Redakteure wie Oskar Stark, Heinrich Scharpf oder Kircher sogar in die antiwestliche Propaganda ein.9 Der eher linke Walter Dirks war von 1938 an »Sonderberichterstatter« für die Bayreuther Festspiele, denen das Regime hohe Bedeutung zumaß. In seinen Besprechungen pries er Bayreuth als »das echte Theater des Volkes« sowie als »nationale Feierstätte« und wurde dennoch 1942 vom Propagandaministerium zur Rechtfertigung vorgeladen.10 Küsel übernahm die Selbstzensur und setzte sich bei den politischen Stellen auch immer wieder für in Bedrängnis geratene Kollegen ein.11

Eine Aufgabe der Zeitung, wie von manchen Emigranten gefordert, stand für die Verantwortlichen aus persönlichen, professionellen und nicht zuletzt patriotischen Motiven nicht zur Debatte. Eine retrospektive, vom Ende her denkende Bewertung kann gegenüber dem Erfahrungsraum und Erwartungshorizont nur anachronistisch und trivial ausfallen. Die Zeitung war widerständig (ohne direkt ein Medium des Widerstands zu sein) und wurde von den NS-Stellen auch so wahrgenommen. Zugleich polierte sie das Image des Dritten Reiches auf, was im Ausland in der Regel durchschaut wurde. Sternberger streute besonders viel Kritik am Dritten Reich in und zwischen die Feuilletonzeilen, etwa 1936 in seinen Sprachglossen.12 1943 erhielt er faktisch ein journalistisches Berufsverbot. Rückblickend meinte er, er habe zu viel aufs Spiel gesetzt, nämlich das Schicksal der Zeitung und seiner jüdischen Frau.13 Auch diese Perspektive gilt es zu bedenken, wenn man Kritik übt am damaligen Verhalten.

Nach dem Krieg sammelten sich ehemalige FZ-Redakteure zunächst um drei Zeitungen, die als Vorstufen zur Wiederbelebung der alten Zeitung gedacht waren. Eine direkte Wiedergründung war nicht möglich, weil die Amerikaner dagegen waren, welche die FZ damals doch als zu kontaminiert ansahen. Daher übertrugen sie die Verlagsrechte der Frankfurter Societäts-Druckerei einem Treuhänder, dem ehemals zweiten Mann der Ullstein-Druckerei Werner Wirthle.14 Heinrich Simons Bruder Kurt, der als Alteigentümer des Societäts-Verlages und der FZ Restitutionsansprüche geltend gemacht hatte, wurde als Miteigentümer eingesetzt.15 So kam es, dass die Vorläufer der FAZ nach dem Krieg nicht in Frankfurt, sondern in Stuttgart und Freiburg angesiedelt waren. In Stuttgart gründeten Curt E. Schwab als Lizenzträger und Erich Welter als fünfzigprozentiger Anteilseigner 1946 die Wirtschafts-Zeitung, die ab 1949 unter dem Titel Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung erschien. Zu ihr stießen Kollegen wie die späteren FAZ-Herausgeber Nikolas Benckiser und Jürgen Tern. Welters späterer Mitstreiter im Wirtschaftsressort der FAZ, Jürgen Eick, war bereits dabei. Und in Freiburg rief der letzte FZ-Verlagsleiter Wendelin Hecht die Badische Zeitung ins Leben. Hinzu kamen Paul Sethe und Martin Wiebel von der alten Zeitung, ebenso Oskar Stark, der Chefredakteur wurde. Ebenfalls in Freiburg setzte Benno Reifenberg alles daran, die Frankfurter Zeitung wiederzubeleben. Als Vorauskommando für dieses Unterfangen gründete er mit ehemaligen Redaktionskollegen im Dezember 1945 die anspruchsvolle Halbmonatsschrift Die Gegenwart, die zunächst als monatliche Doppelausgabe in ganz Deutschland ausgeliefert wurde. Von 1950 an erschien sie in Frankfurt in der Obhut der Frankfurter Societäts-Druckerei, wo ja auch die FZ erschienen war. Dies war die dritte Zeitung der FZler.

Die Gegenwart konnte mit stattlichen 83 000 Vorbestellungen starten. Die Zeitschrift wurde wie die FZ kollegial, von einem erst fünf-, dann neunköpfigen Herausgebergremium geleitet; Reifenberg war federführend. Bei der Gegenwart fanden sich die alten FZ-Redakteure Friedrich Sieburg und dessen Rivale Dolf Sternberger ein, ferner Fritz Hauenstein und Herbert Küsel, der den verhängnisvollen Eckart-Artikel geschrieben hatte. Sogar eine Frau wurde Redaktionsmitglied, die junge Romanistin Arianna Giachi, zuständig für Literatur. Die ehemalige FZ-Auslandskorrespondentin Lily Abegg berichtete als freie Mitarbeiterin aus der Türkei und aus Teheran.

Die Gegenwart orientierte sich am bürgerlich-liberalen Wertekanon, schaute kritisch zurück auf die Zeit des Nationalsozialismus und diskutierte den politischen und kulturellen Neuanfang mit Sympathie für die USA und anfänglicher Skepsis gegenüber einer deutschen Wiederbewaffnung. Vor allem warb man für die westliche parlamentarische Demokratie, unterstützte die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und geriet somit auf Distanz zur Sozialdemokratie. Die sehr elitäre Zeitschrift mit ihrer kargen Aufmachung und der überalterten Redaktion konnte sich in dem veränderten publizistischen Umfeld aber nicht mehr behaupten. Reifenberg musste sich schließlich auf Übernahmeverhandlungen mit der FAZ einlassen. Zum Jahresende 1958 wurde Die Gegenwart eingestellt. Sie lebte allerdings als Titel der FAZ-Seite für Dokumentationen und große Beiträge von Gastautoren fort – bis heute. Reifenberg konnte Herbert Küsel für die Politik- und Fritz Hauenstein für die Wirtschaftsredaktion sowie die Mitherausgeber der Gegenwart, die Politikwissenschaftler Dolf Sternberger und Michael Freund, als ständige Mitarbeiter bei der FAZ unterbringen. Er selbst wurde zum Herausgeber bestellt.16 Gleichwohl war er über diesen Schnitt betrübt, auch Welter beobachtete sein Fremdeln: »Er vergräbt sich einstweilen noch ganz in der Vergangenheit […]«.17 Reifenbergs Traum von der Wiedergründung der FZ war jedenfalls ausgeträumt.

Das lag auch daran, dass Welter den alten Titel nicht wiederaufleben lassen wollte. Die alte FZ war für das große Publikum zu stark auf ihren traditionell zentralen Handelsteil ausgerichtet und hatte eine deutlich geringere Auflage als die etablierte FAZ. Zum anderen sah man sie, wie Welter Margret Boveri schrieb, »teils als jüdisch, teils als kommunistisch (Sorge), teils als nazistisch« an. All diesen »Mißverständnissen« wollte er aus dem Weg gehen und den mittlerweile etablierten neuen Titel beibehalten.18 Werner Wirthle, der ebenfalls eine Wiederauferstehung der FZ geplant hatte, stieg 1958 bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH im Verwaltungsrat ein. Man einigte sich mit ihm über den Druck der FAZ, die noch bei der Frankfurter Rundschau gedruckt wurde, was wegen deren Linkslastigkeit nicht nur der Verwaltungsratsvorsitzende Alex Haffner und Herausgeber Erich Welter ungern sahen. Von 1962 an wurde dann in der »Frankfurter Druckerei Hoffman und Wirthle oHG« gedruckt, an der hälftig die FAZ GmbH und die Societäts-Druckerei beteiligt waren, die später ihrerseits eine Beteiligung an der FAZ GmbH erhielt.19 Die Abmachung mit Wirthle sicherte der FAZ auch die Rechte am FZ-Titel, den sie von nun an (mit Ausnahme der Jahre 2007 bis Januar 2009)20 bis heute immerhin im Impressum, als Untertitel zum Haupttitel, führt, und zwar in einer Antiqua-Versalzeile. Da die FAZ sich mit dem von Regina May entworfenen, dann in kleinen Schritten allmählich verdünnten Zeitungskopf in der Fetten Gotisch an der alten Zeitung orientierte, war allen Lesern klar, wer die Traditionslinie vertrat. Diese konnte nun kein Konkurrenzunternehmen mehr beanspruchen – vor allem nicht der inzwischen mit Welter über Kreuz liegende Schwab, der 1959 die Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung auf tägliches Erscheinen umstellte und sie als dezidierte Wirtschaftszeitung in Konkurrenz zur FAZ profilieren wollte. Welter warb umgekehrt eifrig alte FZ-Redakteure wie Jürgen Tern von Schwab ab. Insgesamt 19 ehemalige Redaktionsmitglieder der Deutschen Zeitung wechselten bis Ende 1960 zur FAZ. Dieselbe Anzahl an alten FZ-Redakteuren war bereits 1957 bei der FAZ tätig.21

Erich Welter hatte sich als FAZ-Herausgeber sehr um Reifenberg bemüht, und dieser lebte sich dann doch noch so gut in der Zeitung ein, dass er auch nach seinem Ausscheiden zum Jahresende 1965 weiter für die FAZ schrieb. Sein Sohn Jan war schon seit 1954 für die FAZ als dann langjähriger USA-Korrespondent tätig. Er berichtete für den Politikteil aus Washington und stieg dort zu einem der wichtigsten Auslandskorrespondenten und Begleiter mehrerer US-Präsidenten auf. Benno Reifenberg optierte in seinen Leitartikeln atlantisch, totalitarismustheoretisch und gesamtdeutsch orientiert. Harsch kritisierte er aber Neutralisten und Pazifisten wie Martin Niemöller. Reifenberg wurde also zunehmend konservativ-liberal, weltanschaulich blieb er freilich dem Liberalismus zeitlebens verhaftet und wählte auch die FDP bei gleichzeitiger Bewunderung für Konrad Adenauer. Ein homo politicus im eigentlichen Sinne war er nicht, und so widmeten sich seine späten Artikel auch wieder der Kunst- und Künstlerbetrachtung. 1966 folgten ihm in der Herausgeberschaft Nikolas Benckiser, ebenfalls ein FZ-Urgestein, und Bruno Dechamps (Verwaltungsratsvorsitzender Alex Haffner hatte Dechamps’ Berufung zur Bedingung gemacht, Benckisers Ernennung hinzunehmen).22 Reifenbergs Bestreben einer Wiederbegründung der Frankfurter Zeitung gelang ihm freilich nicht, die FAZ war eine neue Zeitung, die aus einer spezifischen Konstellation der Nachkriegszeit entstand.

Die eigentliche Keimzelle der FAZ bildeten aber letztlich gar nicht die Wirtschafts-Zeitung, die Badische Zeitung oder Die Gegenwart, denn deren Vertreter hatten sich 1947 bei einem Treffen in Saig im Schwarzwald versichert, dass keiner einen Alleingang in Sachen FZ-Wiedergründung unternehmen werde. Die Initiative kam vielmehr aus Mainz. An der dortigen Universität war Erich Welter mit Billigung der Amerikaner 1948 Professor für Volkswirtschaftslehre geworden. Als Redakteur der Wirtschafts-Zeitung war er schon nach kurzer Zeit ausgeschieden aufgrund einer Denunziation – so sah er es jedenfalls – wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich.23 In Mainz stieß Welter zur Allgemeinen Zeitung, für die er eine überregionale Ausgabe entwickelte. Doch eine Neubelebung der Frankfurter Zeitung konnte kaum von Mainz aus Ausstrahlung gewinnen. Das Finanz- und Wirtschaftsgeschehen und auch die Politik würden sich in Frankfurt abspielen, wo der Wirtschaftsrat der Bi- bzw. Trizone seinen Sitz genommen hatte und wo der Regierungssitz des Weststaates ansässig werden sollte. Ähnlich wie in der Gründungsphase der FZ stand auch bei der FAZ am Anfang die Wirtschaft im Zentrum, und zwar im doppelten Sinn: Die Gestaltung einer freien Wirtschaftsordnung war das Mission Statement der Zeitung, und es waren Industrielle, die das neue Blatt mit ihren Zuwendungen ins Leben riefen.24

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MARKTWIRTSCHAFT IN EINER FEINDLICHEN UMGEBUNG

Die Gründung der FAZ kam spät. Ihre Erfolgsgeschichte war unwahrscheinlich. Die Deutschen waren ein Volk der Lokalzeitungsleser, der Provinzblätter. Überdies gab es die Illustrierten. Wer brauchte da eine Bleiwüste mit starkem Akzent auf Außenpolitik und Wirtschaft und überdies mit einer unpopulären marktwirtschaftlichen Ausrichtung? Dafür gab es 1949, im Gründungsjahr der FAZ, schon eingeführte Organe wie Die Zeit und das Handelsblatt. Auf dem überregionalen Markt der Tageszeitungen waren Die Welt, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau längst gegründet und hatten mit ihren regionalen Schwerpunkten die Westzone unter sich aufgeteilt. Im Frankfurter Raum deckten Rundschau und Frankfurter Neue Presse das Spektrum auch ideologisch ab und hatten den wichtigen Anzeigenmarkt bereits besetzt. So wird hier eine ungewöhnliche und unwahrscheinliche Geschichte erzählt, nämlich die der frühen FAZ. Es wird berichtet über ihr Profil und ihr Aussehen, über erbitterte Konflikte und Interventionsversuche seitens der Bundesregierung wie der Wirtschaft und über die Sicherung der Unabhängigkeit der Zeitung, die zu ihrer DNA wurde.

WELTER, WIPOG UND WIRTSCHAFT GRÜNDEN EINE ZEITUNG

Die Gründung und Existenzsicherung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war das Werk Erich Welters. Er hatte die Idee und ergriff die Gelegenheit, als im September 1949 der Lizenzzwang aufgehoben wurde. Er bestimmte die Leitlinien, sammelte das Geld ein und sicherte langfristig die ökonomische und ideologische Unabhängigkeit der Zeitung. Er ersann auch die an der alten Frankfurter orientierte Kollegialverfassung, in deren Rahmen er dann das Zentralgestirn bildete. Welter war ein melancholischer Grandseigneur, hatte sich stets im Griff, sein Privatleben hielt er unter Verschluss. Er führte leise, aber es entging ihm nichts, denn er beobachtete seine Mannschaft genau. Zwei Sekretärinnen hüteten Artikel mit Fehleinschätzungen, die er seinen Redakteuren bei Bedarf unter die Nase halten konnte. Er verteilte Tadel und Lob zurückhaltend, oft auf kleinen Zetteln notiert, putzte niemanden herunter. Er ließ den Redakteuren ihre Eigenheiten und förderte sie nach Kräften. In den Konferenzen brachte er seine Autorität ein, konnte sich aber nicht immer durchsetzen. Helga Hummerich, Sekretärin des späteren Mitherausgebers Benno Reifenberg, schildert ihren Eindruck von Welter wie folgt:

Saß man ihm in jenen jungen Jahren gegenüber, so fühlte man sich bald wie von einem Motor mitgerissen. Er konnte rastlos wirken, verlor sich aber nie in Nebensächlichkeiten. Es ging etwas Zielstrebiges von ihm aus, sein Durchsetzungsvermögen war spürbar. Einfallsreichtum und Arbeitskraft schienen unsersättlich, man sah förmlich, wie ihm die Ideen durch den Kopf blitzten, während er sich mit einem Thema beschäftigte. Seine eher kleinen Hände griffen nach Merkzetteln, die er neben sich gestapelt hatte, oder legten neue dazu. Setzte er sich für eine Sache oder einen Menschen ein, war es, als beschleunigte er noch seine Fahrt. Hatte er Dank zu sagen, geschah es mit seiner charakteristischen Promptheit. Die Worte wirkten spontan und waren doch so sorgfältig gewählt, daß nie ein abgegriffenes sich einschlich.1

Die Zeitung war Welters Kind, er sorgte sich um sie, um ihre ökonomische Stabilität, sparte und bildete unermüdlich Rücklagen für schlechte Zeiten. Bezeichnend ist, dass er 1962 sein Büro in der Verlagsetage im zehnten Stock des neuen Sitzes an der Hellerhofstraße nahm. Heute sind Verlag und Herausgeber durch die Straße getrennt. Nach Welter verkündete die Geschäftsführung ihre Verlagsentscheidungen den Herausgebern eher, als dass sie sich mit ihnen beriet.2

Wenn Jürgen Eick im Nachruf auf seinen Lehrer Welter schrieb, er sei ein »in der Wolle gefärbter Liberaler«3 gewesen, oder der Kollege Karl Korn zu Welters 80. Geburtstag, er sei »in seinem Wesen liberal«,4 so meinte das mehr als den unerschütterlichen Ordoliberalismus, den Welter von Walter Eucken und der Freiburger Schule übernommen hatte. Nach Meinung des FAZ-Geschäfts führers Hans-Wolfgang Pfeifer, der jahrelang eng mit Welter zusammenarbeitete, war dieser »im Grunde ein eher unpolitischer Mensch«. Er »hielt zwar einiges von geistiger Selbständigkeit und Meinungsäußerungsfreiheit; Kameradschaft im soldatischen Sinn bedeutete ihm aber zweifelsfrei mehr, auch wenn er selbst häufig genug unkameradschaftlich und alles andere als verläßlich war«.5 Welters Liberalität kannte jedenfalls dort Grenzen, wo die freiheitlich-marktwirtschaftliche Ordnung infrage gestellt wurde oder gar der Kommunismus anfing, aber auch dort, wo die deutsche Sprache verhunzt wurde oder Kunst und Kultur politisiert wurden. Volkswirtschaftlich waren für ihn der Ordoliberalismus, die Ausgabendisziplin des Staates und die Währungsstabilität eherne Gesetze. Jenseits dessen begann die »Sozialsanitäterschaft«.6

Welter wurde in Straßburg geboren, war evangelisch getauft und wuchs in einem liberalen Elternhaus auf. Er gehörte zum »Toilettenjahrgang« 1900, wie er es selbst nannte, also zur Generation der Wilhelminer. Sein Vater diente zuletzt in nachgeordneter Stellung im Zivilkabinett Kaiser Wilhelms II. Welters Mutter war eine Amerikanerin aus St. Louis (Missouri), die Tochter eines deutschen Auswanderers. Welter stand den USA daher viel aufgeschlossener gegenüber als viele Deutsche seiner Kohorte. Die Westbindung nach 1945 wurde ihm zur Selbstverständlichkeit.

Da der Schüler Welter aufmuckte und diverse Streiche ausheckte, wurde er schließlich vom Gymnasium verwiesen. Einen Aufsatz über den Sinn des Krieges schrieb er wegen dessen offenkundiger Sinnlosigkeit nicht. Dennoch meldete er sich 1918 nach dem Notabitur freiwillig und gelangte noch an die Westfront, wo er sich auszeichnete.7 Der »wie dem preußischen Offizierskorps«8 entsprungen wirkende Welter war national gesinnt und besaß auch eine autoritäre Komponente, in den Worten Korns »eine kräftige Portion hausväterlich-herrischen Machtinstinkts«,9 die sich insofern noch in seinem Ordoliberalismus findet, als dieser ja durchaus auf einen starken Staat setzt. Welter lavierte sich und die Frankfurter Zeitung durch das Dritte Reich, drehte den Propagandafilm »Sieg im Westen«, konnte sich aber verschiedenen Anforderungen und Zumutungen des Regimes entziehen.

Welters Stärke lag nicht in der Wirtschaftswissenschaft, obgleich er es bis zum Professor und nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem eigenen Wirtschaftsinstitut in Mainz brachte. Sie lag auch nicht unbedingt im journalistischen Schreiben, dem er zunehmend entsagte, sondern im Führen und Gewinnen von Menschen für seine ordoliberalen Ideen und für seine Zeitung, ferner in seiner Ausdauer und Zähigkeit und in seinem Sinn für Details bis hin zur Typographie. Er versammelte einen Kreis von Unternehmern, Wissenschaftlern und Journalisten um sich, die ihr Geld, ihre Expertise und ihr publizistisches Talent in den Dienst seiner Sache stellten. Damit sicherte er nachhaltig den – durchaus unwahrscheinlichen – Erfolg dieser verspäteten Gründung, die für eine so unpopuläre Sache wie die Marktwirtschaft stand.

Wer waren nun die Mitstreiter, die Welter bei der Gründung der FAZ beistanden? Vier sind hervorzuheben: der ehrgeizige Otto Klepper, der unermüdlich Geld sammelnde Alex Haffner, der spendable Max H. Schmid und der sparsame Verlagsgeschäftsführer Werner G. Hoffmann.

Der parteilose Volljurist Otto Klepper war 1931 als letzter preußischer Finanzminister in die sozialliberale Regierung Otto Brauns berufen worden. Im folgenden Jahr versuchte er, den »Preußenschlag«, die Entmachtung der Landesregierung durch das Reich, zu verhindern, sah sich aber von dem sozialdemokratischen Innenminister Carl Severing im Stich gelassen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten flüchtete Klepper in die finnische Botschaft und begab sich von dort auf eine abenteuerliche Odyssee, die ihn über Finnland nach Frankreich, China, die USA, Spanien und Mexiko führte. Unermüdlich entwickelte der Patriot im Exil Gedanken für ein neues Deutschland und eine Aufhebung der Klassengegensätze. Nach dem Krieg schlug dann seine Stunde. Mit Gleichgesinnten wie dem ersten hessischen Wirtschaftsminister Rudolf Mueller, dem ehemaligen kommissarischen Frankfurter Oberbürgermeister Kurt Blaum, Ludwig Erhard und verschiedenen Unternehmern gründete er die Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 (Wipog). Im Juli 1948 zählte sie bereits 986 Einzel- und 69 Firmenmitglieder. Die Gesellschaft wollte in einer planwirtschaftlich und sozialistisch orientierten Umwelt für die Marktwirtschaft werben, dabei aber explizit nicht die Gruppenegoismen der Industrie vertreten, sondern auf die »Entproletarisierung« der Arbeiter, das heißt deren Teilnahme am wirtschaftlichen Erfolg, dringen und eine gemeinwohlorientierte soziale Synthese der Interessen erreichen. Der Staat habe nur dort zu intervenieren, wo der Wettbewerb versagt und die freie Preisbildung behindert wird. Die Wipog sprach sich für globalen Freihandel aus und warb für eine »arbeitsteilige Weltwirtschaft«. Schließlich strebte man eine Überwindung der »blickverengenden Vorstellung von der Eigengesetzlichkeit der drei Lebensbereiche Wirtschaft, Politik und Kultur« an.10 Nicht nur strenge Systemtheoretiker werden darin ein Verharren in überkommenen normativen Synthese-Schwärmereien erkennen.

Einen Schlüssel im Werben für die Marktwirtschaft erkannte man in der Publizistik. Die Suche nach einer entsprechend ausgerichteten Tageszeitung fiel mit den Restaurationsversuchen der Frankfurter Zeitung und der ökonomischen Krise der seit dem 1. Oktober 1948 bereits täglich erscheinenden Mainzer Allgemeinen Zeitung (AZ) zusammen. Erich Welter verband als FZ-Veteran, Berater der AZ, ordoliberaler Ökonomieprofessor und Wipog-Mitglied die Interessen aller Seiten in persona. Der Mainzer Verlag und die AZ waren vom Verleger Adolf Fraund und dem französischen Presseoffizier Edouard Hemmerlé aufgebaut worden. Hemmerlé orientierte sich bei seinem Vorhaben, eine deutsche Zeitung mit deutschen Mitteln zu initiieren, an der Frankfurter Zeitung und fand für sein Vorhaben die Billigung des französischen Ministerpräsidenten Georges Bidault und von Außenminister Robert Schuman.11

Die AZ, für die Welter als Berater und Verfasser von Beiträgen wirkte und bei der er personell die Weichen stellte,12 bildete den Kern der späteren FAZ. Aber die entscheidende Initiative zur Sammlung von Geldern für ein großes Projekt, für das es den Mainzern am Ende an Mut fehlte, kam von Alex Haffner, dem Vorstandsvorsitzenden der Salamander AG in Kornwestheim. Die Anregung dazu war vom amerikanischen Militärgouverneur ausgegangen,13 der sich im Herbst 1948 mit einigen badischen und württembergischen Industriellen traf. Als man dort über eine bürgerliche Zeitung nachdachte, fing Haffner Feuer und kontaktierte Welter, um über eine Wiederbelebung der FZ zu beratschlagen. Welter lenkte den Blick auf die AZ-Redaktion, wo schon einige ehemalige FZler arbeiteten, und schlug die Wipog als Treuhänder vor. Beide gewannen dann Otto Klepper für ihre Idee. Klepper selbst hatte bereits 1948 erfolglos einen Lizenzantrag für eine Zeitung in Frankfurt am Main gestellt. Auch Ludwig Erhard hatte im Gespräch mit Welter für eine Tageszeitung in Frankfurt als Gegengewicht gegen die sozialistisch orientierte Presse geworben.14

Haffner lud dann im August 1949 zu einem Treffen von Unternehmern nach Kornwestheim ein, um das nötige Startkapital für die Gründung einer überregionalen Zeitung zu sammeln. Das tat er resolut. Von der Wipog waren Klepper, Mueller und der Agrarexperte Ulrich von Pufendorf vertreten. Neben Haffner selbst, der im Namen von Salamander agierte, durchbrachen die Zellstofffabrik Waldhof, vertreten durch den späteren FAZ-Geschäftsführer Werner G. Hoffmann, das Textilunternehmen Benger-Ribana und die Firma Bosch mit je 25 000 Mark das Eis der Sparsamkeit. Am Ende kamen 300 000 DM zusammen. Haffner, Hoffmann und Klepper übernahmen nun gemeinsam die weitere Initiative. Wenig später folgte eine zweite Spendenrunde, in der wieder Haffner selbst, Max H. Schmid, der Chef von Hoffmann bei der Zellstofffabrik Waldhof, und Friedrich Wilhelm Ziervogel von der Ruhrgas AG die meisten Gelder lockermachten. Diese wurden als unverzinsliche und unbefristete Darlehen verbucht, die später mit Zeitungsanzeigen – auf welche die Geber dann teilweise verzichteten – verrechnet wurden.15

Im Grundsatzabkommen vom 28. September 1949 über das Kapital der am 12. Dezember, im zweiten Erscheinungsmonat der Zeitung, gegründeten Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH wurde vereinbart, dass der Mainzer Zeitungsverlag (MZV) mit 49 000 DM und die Wipog mit 51 000 DM das Stammkapital der neu gegründeten GmbH stellen würden. Die Gesellschafter verständigten sich darauf, dass die Mainzer Allgemeine Zeitung und Wirtschaftsblatt zwar weiter in ihren Lokalausgaben fortbestehen solle, jedoch ein Teil der Redaktion, am Ende knapp zwanzig Mitarbeiter, schrittweise ins benachbarte Frankfurt umziehen würde, wo die FAZ als überregionale Nachfolgerin der Allgemeinen Zeitung erscheinen sollte. Darüber hinaus verpflichtete sich die Wipog, über die Förderer ein Darlehen von 699 000 DM aufzubringen. Im Förderkreis der Zeitung erhielt jedes Mitglied pro 25 000-DM-Darlehen eine Stimme. Anfang 1950 konstituierte sich ein aus zehn Personen bestehender Förderausschuss mit Haffner an der Spitze, der die Darlehensgeber vertrat und in der »Kleinen Kommission« monatliche Besprechungen mit Geschäftsführern und Herausgebern führte. Bisweilen tagte auch der gesamte Förderkreis. Im Vorstand beziehungsweise Beirat der Wipog und im Förderausschuss saßen neben Haffner Hans H. Matthiessen (Deutsche Vacuum Oel AG), Kurt Pentzlin (Bahlsen Keksfabrik), Albrecht Pickert (Hein, Lehmann & Co.), Adolf Schüle (IHK Mannheim), Otto A. H. Vogel (Industrie und Handelskammer Augsburg), Max H. Schmid (Zellstofffabrik Waldhof AG) und als neben Haffner und Schmid einflussreichste Geldgeber Friedrich Wilhelm Ziervogel (Ruhrgas AG) sowie die Wipog-Chefs Klepper und Mueller. Der größte Teil der Förderer kam bis 1951 aus der (süddeutschen) verarbeitenden, aber auch der Grundstoffindustrie, dann stieg auch die Schwerindustrie ein. Die Zahl der fördernden Unternehmen wuchs zunächst auf 40 und dann auf 65 an.16 Die Beteiligung der Wipog und von Unternehmern, die einen Förderausschuss beschickten, wurde im Impressum der FAZ wie auch in Verlagsdarstellungen bewusst nicht genannt, um den Eindruck zu vermeiden, man sei das Blatt der Wirtschaft. Zudem operierte die Wipog ja als Treuhänderin für die Geldgeber.

Ferdinand Rothe, Aufsichtsratschef des MZV, wurde Vorsitzender des zunächst paritätisch von Wipog und MZV beschickten Verwaltungsrates, Klepper wurde sein Stellvertreter und damit ein sich selbst kontrollierender Kontrolleur, denn er wurde zum Geschäftsführer der GmbH bestellt. Seine Lebensgefährtin Babette Gross, vormals mit dem kommunistischen Pressezaren Willy Münzenberg liiert, die an den Verhandlungen beteiligt gewesen war, sollte in der Verlagsleitung für Finanzen und Personalangelegenheiten zuständig sein, wurde aber letztlich nur eine Art Chefsekretärin. Dennoch übte sie, wie sich Zeitzeugen erinnern, einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Geschäftsgang und auf Klepper aus, den sie des Öfteren abkanzelte. Ihre Assistentin Liebhilt von Caprivi, später Mitarbeiterin von Geschäftsführer Hoffmann, erinnerte sich: »Klepper verließ dann das Büro von Babette Gross, begleitet von seinem Dackel, und beide schlichen mit hängenden Ohren über den Gang davon.«17 Beide galten als schwierig, und so war man in der FAZ erleichtert, als sie 1951 ausschieden. Doch zunächst versuchte Klepper, die Zeitung in die Hand zu bekommen, und schlug Haffner, wie dieser berichtete, »sogar eine Teilung der Beute« vor, und zwar »er die grosse Politik, ich die Wirtschaftspolitik«.18

Die Wipog musste die Unabhängigkeit der Zeitung zunächst gegen einige Geldgeber durchsetzen, dann mussten Haffner und die Herausgeber die FAZ gegen die Wipog und Klepper schützen, und schließlich musste sie nach dem Fall Sethe gegen Haffner und die Förderer verteidigt werden. Einer der wichtigen Förderer, Otto Seeling, Vorsitzender der Deutschen Tafelglas AG (DETAG), beschwerte sich etwa 1950, dass der Jesuit Oswald von Nell-Breuning in der FAZ für die Mitbestimmung plädieren durfte und an anderer Stelle die Gewinne seines eigenen Unternehmens zu stark herausgestrichen worden seien. Klepper wies derartige Beschwerden zurück, aber der Konflikt zwischen ihm und den maßgeblichen Förderern Alex Haffner und Max H. Schmid sowie den Herausgebern eskalierte zusehends. Das lag vor allem an Otto Klepper, dem autoritär auftretenden, sich überall einmischenden und sich auch häufig mit Beiträgen zu Wort meldenden Geschäftsführer. Der stieß auf heftige Gegenwehr, wenn er in die Redaktionsbelange eingreifen wollte – und das wollte er. Häufig monierte er Artikel und traf selbstherrlich Personalentscheidungen, etwa indem er dem verantwortlichen Sport- und Lokalredakteur Bernhard Gnegel kündigte, der jedoch mit einer Widerrufsklage erfolgreich war.19

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