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Fußnoten

Heinz Schön, Die »Gustloff«-Katastrophe. Bericht eines Überlebenden über die größte Schiffskatastrophe im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1984, S. 2.

Schön (s. Anm. 1), S. 3.

Geschichte und Geschehen II, hrsg. von Ludwig Bernlochner, Stuttgart/Düsseldorf/Leipzig 1997, S. 316.

Zitiert nach: Rolf Grix / Wilhelm Knöll, Die Rede zum 8. Mai 1945. Texte zum Erinnern, Verstehen und Weiterdenken, Oldenburg 1987, S. 27.

August W. Schlegel, zitiert nach: Josef Kunz, »Die Novelle«, in: Otto Knörrich, Formen der Literatur, Stuttgart 1981, S. 261.

Stefan Aust / Stephan Burgdorff, Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, Stuttgart/München 2002, S. 47.

Schön (s. Anm. 1), S. 16.

Schön (s. Anm. 1), S. 16.

Schön (s. Anm. 1), S. 17.

Schön (s. Anm. 1), S. 13.

Schön (s. Anm. 1), S. 22.

Schön (s. Anm. 1), S. 413.

Günter Grass, Katz und Maus, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 30.

Grass (s. Anm. 13), S. 30.

Grass (s. Anm. 13), S. 31.

Günter Grass, Hundejahre, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 102.

Grass (s. Anm. 16), S. 108.

Grass (s. Anm. 16), S. 112.

Grass (s. Anm. 16), S. 112.

Grass (s. Anm. 16), S. 259.

Grass (s. Anm. 16), S. 284.

Grass (s. Anm. 16), S. 316.

Günter Grass, Die Rättin, Darmstadt/Neuwied 1986, S. 93.

Johann Wolfgang Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Bd. 24, hrsg. von Ernst Beutler, Zürich 1949, S. 225.

Ralf Schnell, Die Literatur der Bundesrepublik. Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb, Stuttgart 1986, S. 159.

Schnell (s. Anm. 25), S. 159.

Die Entwürfe und Korrekturfassungen zu der Novelle Im Krebsgang sind in einem nicht publizierten Sammelband Atelier und Schreibwerkstatt im Günter Grass-Haus in Lübeck in der Glockengießergasse 21 einzusehen.

Martin Ebel, »Warum es jetzt doch endlich Zeit ist für diese Geschichte«, in: Basler Zeitung vom 822002.

Josef Kunz, »Die Novelle«, in: Otto Knörrich, Formen der Literatur, Stuttgart 1981, S. 263.

Reden des Führers. Politik und Propaganda Adolf Hitlers 19221945, hrsg. von Erhard Klöss, München 1967, S. 318.

Heinrich Vormweg, Günter Grass mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 3., erg. und aktual. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1996, S. 23.

Vormweg (s. Anm. 31), S. 23.

Volker Neuhaus, Schreiben gegen die verstreichende Zeit. Zu Leben und Werk von Günter Grass, München 1997, S. 11.

Vormweg (s. Anm. 31), S. 29.

Vormweg (s. Anm. 31), S. 39.

Vormweg (s. Anm. 31), S. 41.

Vormweg (s. Anm. 31), S. 45.

Neuhaus (s. Anm. 33), S. 37.

Günter Grass, Aus dem Tagebuch einer Schnecke, Darmstadt/ Neuwied 1972, S. 9.

Neuhaus (s. Anm. 33), S. 133.

Jens Christian Jensen, Günter Grass als Bildkünstler, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, H. 1: Günter Grass, 6., aktual. Auflage 1988, S. 72.

Jensen (s. Anm. 41), S. 60.

Günter Grass, In Kupfer, auf Stein, Göttingen 1986, S. 7.

Grass (s. Anm. 43), S. 7.

Catrin Bialek, »Die Nobelpreisankündigung löst beim Verlag Steidl einen Boom aus – 30 000 Bücher in zwei Stunden verkauft«, in: Der Tagesspiegel vom 6101999. (www.tagesspiegel.de/wirtschaft/die-nobelpreisankuendigung-loest-beim-verlag-steidl-einen-boom-aus-30-000-buecher-in-zwei-stunden-verkauft/96566.html. Stand: 21082018.)

Günter Grass, Fortsetzung folgt … Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur, Göttingen 1999, S. 40.

Günter Grass, Beim Häuten der Zwiebel, Göttingen 2006, S. 126.

Harald Asel in »Inforadio« vom SFB (Sender Freies Berlin) und ORB (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg) am 522002.

Andreas Pecht in Rhein-Zeitung vom 722002.

Pecht (s. Anm. 49).

Sandra Leis in Der Bund vom 722002.

Marius Meller, »›Das musste aufschraibn, biste ons schuldig‹. Über die Aktualität moralischer Literatur, Günter Grass und seine neue Novelle ›Im Krebsgang‹«, in: Frankfurter Rundschau vom 922002.

Ulrich Raulff in Süddeutsche Zeitung vom 522002.

Dirk Knipphals, »Schiffskatastrophen und andere Untergänge«, in: taz vom 2022002.

Drei Geschehen, die zeitlich weit auseinanderliegen und die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, werden allein deshalb, weil sie sich jeweils »auf den Tag genau« am gleichen Der 30. Januar …Datum – nämlich am 30. Januar – ereigneten, in Beziehung gesetzt.

Im Mittelpunkt steht das »Schiff«: Am 30. Januar 1945 wurde das mit weit mehr als 7000 Menschen beladene … 1945: Der Untergang der GustloffPassagierschiff Wilhelm Gustloff, das die vor den anrückenden russischen Truppen Flüchtenden über die Ostsee in den Westen Deutschlands bringen sollte, von einem russischen U-Boot torpediert und auf diese Weise versenkt. Dieses Ereignis, bei dem »mehr als fünftausend Menschen den Tod fanden«1, wird häufig als die »größte Schiffskatastrophe im Zweiten Weltkrieg«2 und als bitterster Beleg für das Schicksal der am Ende des Kriegs aus den Ostgebieten flüchtenden Deutschen angesehen. Wochen später – am 8. Mai 1945 – kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos und der Krieg war für die Deutschen beendet.

Wilhelm … 1895: Geburt des »Blutzeugen« Gustloffs Gustloff, auf den das Schiff getauft war, wurde am 30. Januar 1895 in Schwerin geboren, war später »Landesgruppenleiter Schweiz der NSDAP« und wurde am 4. Februar 1936 von dem jüdischen Medizinstudenten David Frankfurter in Davos erschossen. Die Umstände genügten, ihn zum Märtyrer der nationalsozialistischen Bewegung zu erklären und ihn als Vorbild für treue Gefolgschaft und Führergehorsam zu empfehlen. Die Schiffstaufe war ein Propagandaakt unter vielen.

Mit der »… 1933: »Machtergreifung« HitlersMachtergreifung« ist die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gemeint. Hitler und die Nationalsozialisten nutzten die Stellung des Regierungschefs systematisch zum Ausbau der nationalsozialistischen Herrschaft in und über Deutschland. Als »Machtergreifung« wird zudem der Prozess bezeichnet, der Deutschland durch eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum August 1934 in die Diktatur stürzte: »Am 20. August 1934 besaß Hitler die unumschränkte Macht in Deutschland. Als ›Führer und Reichskanzler‹ war er Staatsoberhaupt, Parteichef, Oberster Gerichtsherr und Oberbefehlshaber der Wehrmacht.«3 So lautet der historische Befund.

Nicht nur die Versenkung der Gustloff am 30. Januar 1945, sondern auch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wird in dem zu Beginn zitierten Satz als »Zeichen des allgemeinen

Der Erzähler von Im Krebsgang wird jedoch keine historische Darstellung und keinen Bericht im strengen Sinne des Wortes abliefern; er kündigt vielmehr eine »Novelle« an. Damit wählt er eine literarische Die literarische Formung zur NovelleForm, in der Ereignisse und Begebenheiten ganz unterschiedlicher Art gestaltet werden. Dem Erzähler einer Novelle wird empfohlen, »das Alltägliche […] so kurz als möglich abzufertigen«, stattdessen »bey dem Außerordentlichen und Einzigen zu verweilen.«5 Was aber als außerordentlich und einzig zu gelten hat, darüber entscheidet der Erzähler. Er wird das, was er erlebt und erfahren hat, zu dem in Beziehung setzen, was abstrahiert »deutsche Geschichte« genannt wird.

Im Mittelpunkt der Novelle Im Krebsgang steht jene »Katastrophe«, die sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee ereignete: Dort wurde am 30. Januar 1945 die Wilhelm Gustloff versenkt – ein Passagierschiff mit einer Länge von 208,5 Metern und einer Breite von 23,5 Metern, das von den Nationalsozialisten als Urlaubs-Reiseschiff erbaut worden war und später als Fluchtschiff vor den anrückenden russischen Truppen dienen sollte. Eine zweite Katastrophe, die der Erzähler als »privates Unglück« (S. 88) bezeichnet, hat mittelbar mit diesem Ereignis zu tun.

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Als Ich-Erzähler stellt sich der Journalist Paul Pokriefke vor, der bei mehreren bundesrepublikanischen Zeitungen gearbeitet hat und seit langem gedrängt wird, »diese Die Geschichte vom Untergang der GustloffGeschichte« (S. 7) vom Untergang der Gustloff aufzuschreiben. Seit Jahren hat ihn seine Mutter, Ursula Pokriefke, von Kind an »Tulla« (S. 12) genannt, vergeblich gebeten, über das »Unglück« (S. 12) zu berichten. Erst als die lange zurückliegenden Ereignisse von Rechtsradikalen im Internet propagandistisch ausgeschlachtet werden, versucht der Erzähler herauszufinden, wer unter der Adresse »www.blutzeuge.de« anzutreffen ist und was es mit der »Kameradschaft Schwerin« auf sich hat (S. 8). Unterstützt wird er von einem »Namenlosen«, der über

Pokriefke überwindet sich, die gesamte Geschichte, die »vor mehr als hundert Jahren […] in der mecklenburgischen Residenzstadt Schwerin« (S. 7) begann, genau zu recherchieren.

Zunächst gibt er einen Überblick über die Lebensläufe: Gustloff, Frankfurter, MarineskoLebensläufe der Menschen, die am engsten mit der Geschichte des Schiffes verknüpft sind.

Er beginnt mit Wilhelm Gustloff, der am 30. Januar 1895 in Schwerin geboren wurde, früh in die Partei der Nationalsozialisten eintrat und in den dreißiger Jahren »Landesgruppenleiter der NSDAP« (S. 10) in der Schweiz wurde. In der schweizer Gemeinde Davos wird er am 4. Februar 1936 von dem Medizinstudenten David Frankfurter erschossen, der so die von Deutschen an Juden begangenen Grausamkeiten rächen will: »Ich habe geschossen, weil ich Jude bin« (S. 28). Wilhelm Gustloff gilt von nun an als »Blutzeuge der nationalsozialistischen Bewegung« (S. 29), dem zu Ehren Straßen, Plätze, Schulen und das neu erbaute Schiff benannt werden. Das Schiff ist wichtiges Propagandamittel der nationalsozialistischen »Kraft durch Freude«-Bewegung (abgekürzt: KdF). Es wird am Ende des Zweiten Weltkriegs durch den russischen U-Boot-Kapitän Alexander Marinesko, der 1913 in Odessa geboren wurde, zerstört. Marinesko wird dadurch zum »Helden der baltischen Rotbannerflotte« (S. 14). Die Geschichte der drei

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Noch einmal betont der Erzähler, dass er am liebsten »[d]ie Gustloff und ihre verfluchte Geschichte« (S. 31) liegenlassen möchte. Ihn hat schon als Kind genervt, dass »der ewig-währende Untergang« ein beliebtes »Sonntagsthema« (S. 33) seiner Mutter war, die für die Gustloff schwärmte, seit ihre Eltern 1939 an einer Norwegenfahrt mit dem KdF-Schiff teilgenommen hatten. Tulla Tulla Pokriefke, die ÜberlebendePokriefke hält das Schiff in guter Erinnerung, obwohl sie beinahe damit untergegangen wäre. Während der turbulenten Rettungsaktion im Januar 1945 wurde ihr Sohn Paul geboren, der nun höchst widerwillig erzählt.

Paul greift zurück und berichtet vom Prozess in der Schweiz im Jahr 1936, in dem Frankfurter zu »achtzehn Jahre[n] Zuchthaus« verurteilt wurde und »danach Landesverweis« (S. 47) erhielt, von der triumphalen Überführung der Leiche Wilhelm Gustloffs und der »Trauerfeier in Schwerins Festhalle« (S. 35), von der Schiffstaufe in Hamburg und von Alexander Marinesko, der vorläufig noch einen »Kommandeurkurs« (S. 53) besucht.

Im Internet verfolgt der Erzähler, wie ein nicht näher genannter »Wilhelm« und »David« im Internet-DialogWilhelm mit einem David einen »Internet-Dialog« (S. 49) führt, in dem der Prozess gegen

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Während Frankfurter in Chur in Haft sitzt und Marinesko »das Schiffeversenken übte« (S. 68), läuft die Gustloff zunächst zur »Probefahrt« aus, dann zur »Jungfernfahrt« (S. 57) und schließlich zu mehrtägigen Auslandsreisen nach Norwegen, Italien und Madeira.

In allen Einzelheiten beschreibt der Erzähler das Schiff, das von den Reisenden einst als »ein schwimmendes Die Gustloff – »ein schwimmendes Erlebnis«Erlebnis« (S. 57) gepriesen wurde. Seine Angaben übernimmt er weitgehend aus dem 515 Seiten starken Band »Die Gustloff-Katastrophe. Bericht eines Überlebenden«, verfasst von Heinz Schön, der, wie der Erzähler lobt, alles gesammelt und aufgeschrieben hat, »was die Gustloff in guten und schlechten Zeiten betraf« (S. 62).

Im Internet wird das Schicksal der Gustloff neuerdings von rechtsradikal Gesinnten immer mehr zur »Legende« (S. 63) stilisiert. Zutiefst erschrocken muss der Erzähler feststellen, dass hinter dem Decknamen Wilhelm sein Sohn Konrad steckt.

Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird Frankfurter in eine weiter von der deutschen Grenze entfernte Haftanstalt verlegt und Alexander Marinesko bekommt als Kapitän ein neues U-Boot mit zehn Torpedos an Bord unterstellt. Die Gustloff wird »im Verlauf der Nacht vom 24. zum 25. August« (S. 79) 1939 durch Funkspruch von einer Norwegen-Reise zurückbeordert und zum »Lazarettschiff mit fünfhundert Betten umgerüstet« (S. 80). Im November 1940 ist es auch damit vorbei. Die Gustloff wird Wohn- und Ausbildungsschiff, eine »schwimmende Die Gustloff – »eine schwimmende Kaserne«Kaserne« (S. 84), und liegt in der »Hafenstadt […] Gotenhafen« ab jetzt »für Jahre fest« (S. 85).

Im Vorgriff erfährt man, dass sich die Überlebenden der Katastrophe zuerst 1985 und wieder 1995 getroffen haben. Auf dem Treffen vom 28. bis 30. Januar 1995, bei dem es keinen »Unterschied zwischen Ossis und Wessis« mehr gibt, hält Heinz Schön einen Vortrag, der den Anwesenden aber nicht parteiisch genug ist. Frau Pokriefke hatte ihren Sohn Paul überredet, an dem Treffen teilzunehmen; ihren Enkel Konrad bearbeitet sie, »Verkünder der Legende eines Schiffes« (S. 95) zu werden. Konrad zeigt sich bereit.

Wie unter Zwang schreibt der Erzähler weiter und nähert sich den kritischen Tagen Ende Januar 1945. Die vorrückenden russischen Truppen sind dabei, »Rache zu nehmen für das von den faschistischen Bestien verwüstete Vaterland« (S. 101); die aus Ostpreußen fliehende Zivilbevölkerung hofft, auf dem Seeweg den russischen Die Flucht vor den russischen EroberernEroberern zu entkommen, und setzt unter anderem auf die Gustloff, die inzwischen zum Flüchtlingsschiff umgerüstet ist. Tulla Pokriefke erhält als Schwangere auf dem weit überbesetzten Schiff einen bevorzugten Platz, während die Eltern ins Schiffsinnere verwiesen werden und dort später die Katastrophe nicht überleben.