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Fußnoten

Nun gibt es im Internet bekanntlich zu allem sehr vieles. Und so habe ich denn dort auch eine Hundeschule gefunden, die für sich damit wirbt, dass sie u. a. nach den Prinzipien der Neurodidaktik arbeitet. Das ist konsequent (URL: www.ig-hundeschulen/ch/hundeschulen/detailanzeige.php? id=8; Zugriffsdatum: 1032005).

Auf dem Feld der Didaktik kann man schnell des Guten zu viel tun. Dies gilt zunächst einmal aufgrund von Erfahrungen im Alltag. Ein allzu belehrender Ton im Gespräch, eine allzu suggestiv aufbereitete Ausstellung, eine allzu aufdringlich angelegte Werbekampagne: man spürt die Absicht – und ist verstimmt. Der genannte Vorbehalt gilt jedoch auch für solche Kontexte, in denen Didaktik notwendigerweise und zu Recht zum Zuge kommt: in den Kontexten von Lehren und Lernen, von Schule und Unterricht, von Bildung und Ausbildung. Auch hier erschwert manchmal eine übermäßige didaktische Auf- und Zubereitung der zu vermittelnden bzw. anzueignenden Inhalte und Aufgaben den Lernprozess bzw. senkt ihn auf ein unverantwortlich niedriges Niveau ab.

Ein Zuviel an Didaktik wäre dann gegeben, wenn die Lerngegenstände allzu stark vereinfacht und vereindeutigt werden, bis sie in ihrem Sachanspruch schließlich völlig verschwinden. Diese Gefahr droht, wenn der Lernprozess zu stark und einlinig vorstrukturiert wird oder wenn aus Gründen der didaktischen Unterstützung und Hilfe jede eigenständige und widerständige Erfahrungsmöglichkeit der Schüler vorsorglich beiseite geräumt wird. Eine solche Didaktik nimmt dem Lernenden alles ab – im doppelten Sinn. Aber es gibt auch ein didaktisches Zuwenig: Wenn alle Lern-Sachen Ansichtssache sind und jedes Lernen als ein Prozess individueller und interaktiver Konstruktion betrachtet wird, wenn alles Neue selbstständig und selbsttätig eigenaktiv erschlossen werden soll, wenn jedes Lernen ein individuelles Navigieren durch Informationsreservoirs wird, wobei das Ergebnis nur noch berichtet werden kann, es aber nicht mehr bewertet werden darf – dann löst sich die didaktische Aufgabe in das Spiel vielfältiger, beliebiger Konstruktionen auf. In diesem Fall ist jeder sein eigener Didaktiker.

Didaktisch kompetent handeln zu können will also gelernt sein und kann auch zu einem sehr großen Teil erlernt werden. Angehende Lehrer gehen mit einem im Studium sowie im Referendariat erworbenen Rüstzeug in die Berufspraxis – und lernen vor diesem Hintergrund dann aus anschaulich-praktischer Erfahrung. Auf der Basis eigener Erfahrung kann ein angehender Lehrer sicherlich die allernotwendigsten beruflichen Fähigkeiten erwerben. Über dieses funktionale Minimum hinaus lassen sich berufliche Erfahrung und Kompetenz jedoch nur dann in Richtung auf anspruchsvollere Fähigkeitsniveaus steigern, wenn sie denkend und urteilend verarbeitet und auf diese Weise zum Ausgangspunkt für weitere, neue Erfahrung gemacht werden. Das aber gelingt nur, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: Es muss ein Hintergrund, es müssen Begriffe, Denkwerkzeuge und Urteilskategorien zur Verfügung stehen, mit denen man die eigene didaktische Praxis, das eigene lehrende, unterrichtende Handeln und Entscheiden reflektieren kann, um in einen solchen Prozess der produktiven Verarbeitung von beruflicher Erfahrung eintreten zu können.

Diesen Hintergrund kann die Allgemeine Didaktik darstellen. Sie wird dieser Aufgabe aber nur gerecht, wenn sie in ihrem Grundduktus selbst so geartet ist, dass sie die Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Handlungspraxis weder

Die folgende Einführung in die Didaktik, die auf Studienmaterial zurückgeht, das für die Fernuniversität Hagen erstellt wurde, zielt darauf ab, eine Übersicht über grundlegende Dimensionen und Problemstellungen des didaktischen Denkens und Handelns bereitzustellen. Der Text setzt keine Erfahrungen mit erziehungswissenschaftlicher Literatur voraus. Er will angehende, aber vielleicht auch erfahrene Lehrer zu didaktischer Reflexion anregen.

 

 Münster, Juni 2008    Ewald Terhart

 

 

Die Nachfrage nach dieser kleinen Einführung in die Didaktik ist konstant hoch – zugleich haben sich die Diskussion um Didaktik sowie die Forschung zu Unterricht und Lehrerhandeln in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt. Durch Ergänzungen und Aktualisierungen habe ich versucht, neuere Entwicklung in diese Neuausgabe mit aufzunehmen, um sicherzustellen, dass Leserinnen und Leser in den aktuellen Stand der Diskussion eingeführt werden.

 

 Münster, September 2018    Ewald Terhart

Lehren und Lernen – zwei Dinge, die schon vom Klang ihrer Bezeichnungen her eng zusammengehören. Wenn es jedoch um die beiden Sachverhalte und ihr Verhältnis zueinander geht, dann spielt der Wortklang natürlich keine Rolle. Die analogen englischen Bezeichnungen teaching und learning ähneln sich klanglich keineswegs. Aber auch von der Sache her scheinen Lehren und Lernen im alltäglichen Sprachgebrauch und auf den ersten Blick eng zusammenzugehören: Lehren zielt darauf ab, dass der oder die Belehrte(n) etwas lernen; Lernen geht vielleicht besonders gut, wenn es angeleitet ist, wenn es also einen Lehrer gibt. Kurzum: Einer lehrt – und die Belehrten lernen. Insofern wird auch von unseren Sprachroutinen her immer schon eine sehr enge Verknüpfung zwischen Lehren und Lernen hergestellt. Natürlich ist das verdächtig. Die eingespielte enge Verknüpfung lockert sich in dem Maße, je länger man gesondert über die beiden Gegenstände Lehren und Lernen nachdenkt, und vor allem: je länger man die vermeintlich enge Relation zwischen beiden Sachverhalten überprüft. Was meinen wir eigentlich, wenn wir das Wort »Lehren« benutzen, und was meinen wir bei der Verwendung des Wortes »Lernen«? Und wie stark ist die Verknüpfung zwischen den beiden so bezeichneten Sachverhalten wirklich, und zwar gesondert betrachtet auf der Ebene der Worte und auf der Ebene der Dinge, die wir damit bezeichnen.

Lehren fällt als eine bewusste, zielgerichtete Tätigkeit zunächst einmal in den Bereich der Kompetenz von Lehrern. Sofern diese Lehrer in Bildungsinstitutionen und mit pädagogischer Intention Lehren als Berufsarbeit ausüben, fällt die theoretische und empirische Beschäftigung mit deren Tätigkeit in den Bereich der Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft. Lehren und Unterrichten sind Gegenstand der Schulpädagogik,

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Lernen fällt zunächst einmal in den Bereich der Psychologie. Bemerkenswerterweise gehört die Beschäftigung mit Lernen zur Allgemeinen Psychologie, die sich mit Grundlagen der geistigen Prozesse des Menschen befasst. Die Beschäftigung mit dem Organisieren von Lernen – also dem Lehren und Unterrichten – fällt dagegen in den Bereich der Pädagogischen Psychologie und dort in den der Unterrichtspsychologie. Innerhalb der Erziehungswissenschaft fällt die Beschäftigung mit Lehren und Lernen – wie schon erwähnt – in den Bereich der Schulpädagogik, der Allgemeinen Didaktik und Unterrichtsforschung. Die Unterrichtspsychologie und die Allgemeine Didaktik haben also einen sehr ähnlichen Gegenstandsbereich, gehen diesen jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, in unterschiedlicher Weise an. Jedenfalls wird man bei der näheren Befassung mit Lehren und Lernen letztlich immer auch über das Verhältnis von psychologischen Erkenntnissen und pädagogischen Konzeptionen, allgemeiner: von Psychologie einerseits und Pädagogik bzw. Didaktik andererseits sprechen müssen.

So gesehen ist das Verhältnis von Lernen und Lehren etwas asymmetrisch: Wir lernen ununterbrochen, aber wir lehren nicht ununterbrochen, und glücklicherweise werden wir auch nicht permanent belehrt. Darüber hinaus ist unmittelbar einsichtig, dass nicht jedes Lehren auch tatsächlich zum Lernen

Gleich an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Die erfolgreiche Durcharbeitung von Einführungen, Fachbüchern und Spezialdarstellungen zur Didaktik vermittelt nicht die praktische Fähigkeit zum Unterrichten. Diese Fähigkeit kann immer nur in konkreten Klassenzimmern erlernt werden und nicht durch das Studium von Texten. Sofern es im Folgenden gelingt, in didaktisches Denken einzuführen und das Nachdenken über Lehren und Lernen, über deren Voraussetzungen, Formen und Folgen anzuregen und weiterzuentwickeln, hat diese Darstellung ihren Zweck erfüllt.

2. Einige kurze begriffliche Vorklärungen

»Lehren ist Lernenmachen« schreibt Willmann (1889, S. 188). Nimmt man dies wörtlich, vollzieht er damit eine in dreifacher Hinsicht optimistische Einschätzung des Beitrags von Lehren für das Lernen:

Das ist sicherlich so nicht der Fall, und Willmann sieht das im Weiteren sehr wohl. Vielmehr sind alle drei Unterstellungen

In diese Überlegungen gehen aber bereits starke Annahmen über tatsächliche oder vermutete Realitäten des Lehrens und Lernens ein. Bevor man Argumente, Erfahrungen und Einsichten zu den Realitäten des Lehrens und Lernens austauscht, sollte man sich klar darüber werden, welche Implikationen in den dabei verwendeten Begriffen »Lehren« und »Lernen« sowie in der Verbindung zwischen diesen Begriffen stecken. Begriffsanalyse mit dem doppelten Ziel (a) der Aufdeckung solcher häufig nicht mitbedachter Implikationen und (b) der damit dann verbundenen Präzisierung des Begriffsgebrauchs sind das hauptsächliche Arbeitsfeld der analytischen Philosophie der Erziehung.

Die sprachanalytische Erziehungsphilosophie mit ihrer Konzentration auf die Analyse und Kritik der im Reden über Erziehung und Unterricht verwendeten Begriffe unterscheidet in diesem Zusammenhang einen Erfolgsbegriff des Lehrens von einem Absichtsbegriff (vgl. Terhart 1977; ausführlich Oelkers 1985, S. 158 ff.).

Eine Analogie mag diese Unterscheidungen noch einmal verdeutlichen (vgl. Smith 1977): Wie sieht es eigentlich mit dem Verhältnis der Begriffe »Verkaufen« und »Kaufen« aus? Ein Verkaufen kann es nur geben, wenn es zugleich jemanden gibt, der kauft. Umgekehrt kann es einen Kauf nur geben, wenn zugleich das Gegenstück – »Verkaufen« – stattfindet. (Analog: Wenn A den/die B heiratet, heiratet B auch A.) So gesehen haben wir es bei der Relation der Begriffe »kaufen/verkaufen« mit einer sehr engen Verknüpfung zu tun – so, wie es beim Erfolgsbegriff des Lehrens der Fall ist. Und lässt sich auch ein Absichtsbegriff des Verkaufens finden? Gedanklich ja, denn ein Verkäufer verkauft ja nicht ununterbrochen während der Arbeitszeit. Er wartet darauf, dass ein Kauf zustande kommt, er bereitet alles vor, er versucht, einen Kunden zum Kauf zu bewegen etc. Dieses Handeln wäre dann – streng genommen – nicht »verkaufen« (im Sinne von erfolgreichem Vollzug), sondern »verkäufern«: ein Handeln, dass mit der Absicht und als Versuch vollzogen wird, zu einer tatsächlichen Verkauf-/Kauf-Situation zu kommen.

Wozu führen diese zunächst etwas sterilen, vielleicht auch etwas wortklauberisch erscheinenden Überlegungen?

Speziell diese letzte Differenzierung innerhalb der Realprozesse von Lehren und Lernen macht deutlich, dass Begriffsanalysen trotz aller Verfeinerung doch noch zu grob ansetzen, wenn sie sich lediglich global mit »Lehren« und »Lernen« sowie deren Verhältnis zueinander beschäftigen. In der Wirklichkeit selbst existieren viele Formen von Lehren und ebenso auch viele Formen, Ebenen und Verläufe des Lernens.

Entsprechend ihrer Aufgabenstellung bleiben analytische Bemühungen immer an die Ebene der Begriffe geknüpft und machen auf die Implikationen des Begriffsgebrauchs aufmerksam. Den mit diesen Begriffen belegten Sachverhalten begegnet man nach dem Durchlauf durch solche Analysen mit einer viel differenzierteren Wahrnehmung und vor allem: mit viel mehr Vorsicht. In diesem Sinn ist der Wert analytischer

3. Zur Geschichte des organisierten Lehrens und Lernens

Die historische Entstehung des organisierten Lehrens und Lernens (in Form eines Unterrichtswesens) ist eng an die Entstehung und Etablierung des Schulwesens sowie an die parallel laufende Verberuflichung der Unterrichtstätigkeit geknüpft. Insofern ist jede Geschichte des organisierten Lehrens und Lernens eng mit der Geschichte der Schule und des Lehrerberufs verwoben. Eine umfassende Geschichte des Unterrichtens liegt in der erziehungswissenschaftlichen Literatur nicht vor; wohl aber existieren zahlreiche, mehr oder weniger breit angelegte Studien zu einzelnen historischen Abschnitten, regionalen Besonderheiten sowie zu Aspekten und Problemen der Geschichte des Unterrichtens und der Lehrerarbeit in einzelnen Schulformen und -fächern. Eine solche Geschichte zu schreiben ist auch deshalb schwierig, weil ein Bild vom tatsächlichen Geschehen in den Klassenzimmern nur noch

3.1 Antike

Organisierte Unterrichtstätigkeit ist im europäischen Raum bereits seit der Antike bekannt. Die Antike bildet also nicht nur den Ursprungsbereich für europäische Philosophie und Bildungstheorie, sondern ebenso auch für die Entstehung eines Schul- und Unterrichtswesens. Die Tätigkeit eines Schullehrers in einer Stadt des antiken Griechenland kann man allerdings bei weitem nicht mit der heutigen Situation vergleichen: Das Unterrichten war eine Art privates Gewerbe, die soziale Stellung der Schullehrer sehr niedrig, ihr Verdienst gering, ihre Methoden nicht selten – für heutige Verhältnisse – brutal und dazu noch vergleichsweise erfolglos. Um die (damals) notwendigen Kulturtechniken zu erlernen, bezahlten die Eltern auf der Elementarschulebene (7.–14. Lebensjahr) verschiedene Sport-, Musik- und Schreiblehrer. Erziehungsaufgaben im weiteren Sinn wurden den verschiedenen ›Kindertrainern‹ aber nicht übertragen. Diese übernahm die Familie selbst bzw. der von ihr angestellte »Paidagogos«, der Knabenführer, der dieser Aufgabe auch in einem kontrollierenden, beaufsichtigenden Sinn nachkam.

Ein Schullehrer – Sammelbezeichnung: »Didaskalos« – vermittelte elementare Kenntnisse und Fertigkeiten als Vorbereitung auf die später ansetzende, eigentliche Bildung und Erziehung in der Jugend- und Erwachsenenphase. Die Kindheit war

In der Höheren Schule (14.–18. Lebensjahr), die von sehr viel weniger Heranwachsenden besucht wurde, änderten sich die Formen des Unterrichtens nicht sonderlich. Wohl aber wurde auf inhaltlicher Ebene der Grundstein für den »Lehrplan des Abendlandes« (Dolch 1959) gelegt, d. h. für die Sieben Freien Künste (eher formal und grundlegend: Grammatik, Rhetorik, Dialektik; eher material: Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik/Musiktheorie) sowie für ein Bildungsideal, welches sich am Begriff des Allgemeinen, der Zweckfreiheit und des Individuellen orientierte. Es war ein sprachlich-literarisch-ästhetisch bestimmtes Ideal, das sich auf die Selbstverfeinerung des Einzelnen als letzten Bezugspunkt richtete. Es war zugleich ein ebenso aristokratisches wie traditionsverhaftetes Bildungsideal, welches am Kanon der Klassiker festhielt und allen Erwägungen in Richtung auf eine gesellschaftliche Aktualität oder berufliche Nützlichkeit von Bildung (im Sinne von Ausbildung, Qualifizierung für Berufe) eine Absage erteilte. Auch die spätere inhaltliche und soziale Trennung zwischen

Für den Unterricht heißt dies: Er ist an Sprachlichkeit und Schriftlichkeit (und damit: an Intellekt) gebunden, hat einen definierten Kanon von Inhalten und ist auf die Tradierung des Klassischen gerichtet, dem sich die Individualität der einzelnen Schüler zu beugen hat. Die allgemeine Erziehungs- und Bildungsvorstellung hat den Einzelnen und seinen Anspruch auf Allseitigkeit im Blick und (noch) nicht den umgekehrten Anspruch der Allgemeinheit auf spezialisierte Nützlichkeit des Einzelnen. Das Bildungsproblem wurde eben noch nicht als ein Schul- oder gar Unterrichtsproblem angesehen, sondern als eine Aufgabe der lebenslangen Selbstveredelung. Dies erklärt vielleicht den großen Unterschied zwischen den philosophisch entwickelten hohen Ansprüchen an »Bildung« einerseits und den daran gemessen deutlich bescheideneren Realitäten des Lehrens und Lernens in Schulen und Klassenräumen andererseits – ein Element im Grundmuster abendländischer Bildungstradition, das bis heute Bestand hat.

3.2 Mittelalter

Mit dem Ende der antiken Welt und der Ausbreitung des Christentums wurde die Kirche zur einzigen Institution, in der das Erbe der antiken Tradition in modifizierter Form aufbewahrt und weitergeführt wurde. Das ganze Mittelalter über bis weit in die Neuzeit hinein waren Bildungs- und Schulangelegenheiten, waren organisiertes Lehren und Lernen Kirchenbelange. In den Dom- und Klosterschulen wurde der Nachwuchs für den Klerikerstand ausgebildet; die Bildungs- und

In Gestalt der deutschen Schreib- und Leseschulen, die in den größeren Städten im Hochmittelalter gegründet wurden, entstanden dann allerdings weltliche Konkurrenzunternehmen zu den kirchlichen Schulen. »Konkurrenz-«, weil sie sich in ihren Inhalten vom klassischen Kanon lösten und auch beruflich nützliche Kenntnisse vermittelten; »-unternehmen« insofern, als die Schulmeister, die diese Schulen führten, auf privatwirtschaftlicher Basis und mit städtischer Lizenz arbeiteten. Schulehalten war ein durch Zünfte geregeltes Handwerk, das Unterrichten vergleichsweise kunstlos und immer noch unpsychologisch. Es existierte (zunächst) keine Einteilung der »Kundschaft« (also der Unterrichteten) nach Alter oder Fähigkeiten; eine allgemeine Schulpflicht existierte ebenfalls noch nicht. Verfügte ein Schulmeister über Gesellen, konnte er mehrere »Haufen« von Schülern bilden. Gleichwohl wandte sich der Lehrer im Unterricht immer einzelnen Schülern zu; Frontalunterricht vor altershomogenen Gruppen ist eine Erfindung der frühen Neuzeit. Bedingt durch diese Schulen wurde zumindest in den großen Städten ein beachtliches Maß an Lesefähigkeit erreicht; die Situation im ländlich-bäuerlichen Bereich war demgegenüber auch weiterhin durch das vollständige Fehlen organisierter Unterrichtung gekennzeichnet. Die Tradierung des Wissens, der Fertigkeiten und der moralisch-sittlichen Regulative des Handelns erfolgte innerhalb

3.3 Neuzeit

Die Entstehung eines Schul- und Unterrichtswesens für alle und in staatlicher Regie wird in dem Maße notwendig, wie aufgrund der Zunahme des erreichten Wissensstandes sowie eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels (neue Wirtschaftsformen, Entstehung des Staates und seiner Ordnungsleistungen etc.) die Weitergabe des kulturell erreichten Wissens- und Fähigkeitsniveaus durch einfachen Mitvollzug der nachwachsenden Generationen am Leben der älteren Generationen nicht mehr ausreicht. Die ökonomisch-technische Entwicklung verlangt ein höheres Qualifikations- und Disziplinierungsniveau für immer größere Teile der Bevölkerung. Der Prozess der notwendigen Wissensübertragung, Qualifizierung und Sozialisation lässt sich schließlich nur noch durch ein allgemeines, vom Staat organisiertes Unterrichtswesen garantieren. In der frühen Neuzeit ist dies der absolutistische, aufgeklärte Staat, der an nützlichen Untertanen interessiert ist, die er auf möglichst rationale, effektive, kostengünstige, die sozialen Verhältnisse allerdings nicht gefährdende Weise zu qualifizieren trachtet. Das Ergebnis ist ein (Zwangs-)Unterricht vor Jahrgangsklassen nach dem Prinzip der Frontalmethode, ein Unterrichtsarrangement, das aus der Verschränkung von Prinzipien der Aufklärung und des Absolutismus entsteht.

Im Zeitraum zwischen 1750 und 1850 findet in Deutschland der Übergang vom althergebrachten »Schulehalten« zum »

Die Ausbreitung eines Pflichtschulsystems in staatlicher Regie, die Herausbildung und Etablierung von Klassenunterricht als Frontalunterricht sowie schließlich die psychologisch abgestützte Methodisierung des Unterrichts verwandelten allmählich den ebenso uneinheitlichen wie unübersichtlichen Schul- und Unterrichtsbetrieb der frühen Neuzeit in ein tatsächliches »System« zur organisierten, geplanten Wissens und Fähigkeitsübertragung von der alten zur jungen Generation wie auch zur inneren und äußeren Zivilisierung, oder anders: zur Disziplinierung der nachwachsenden Generation. Gegenüber der vor-neuzeitlichen Situation kann man das in einer gewissen Hinsicht auch als einen Verlust bewerten. Man muss jedoch auch sehen, dass mit dieser Entwicklung – bis gegen Ende

Allerdings: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat sich in den Klassenzimmern eine Kultur des Lehrens und Lernens etabliert, die eher durch administrative Strenge, durch »Schulzucht« und militärischen Geist zu kennzeichnen ist als durch das humanistische und demokratische, auf »Bildung« verpflichtete Gedankengut der Pädagogen und Schulmänner. Zwar wird von ihnen die Ausbreitung des staatlichen Pflichtschulsystems, die verbesserte Ausbildung und Bezahlung der Lehrer etc. als Erfolg gefeiert – zugleich aber wird der Preis hierfür, insbesondere von den Kulturkritikern, Lebensreformern und Reformpädagogen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als zu hoch angesehen. Diese gespaltene Perspektive der Pädagogen und Didaktiker auf die Staatsschule und die durch sie beförderte Unterrichtskultur ist bis heute ein durchgängiges Element der Schulpädagogik und Didaktik; von hier aus wird auch verständlich, dass man die Schule als Rahmen für Unterricht zwar im Prinzip und mit guten Gründen verteidigt und den Unterricht innerhalb dieses Rahmens zu optimieren versucht, zugleich aber – und ebenfalls mit guten Gründen – kontinuierlich Schul- und Unterrichtskritik betreibt. Konsequenz dieser Haltung ist, dass das Bemühen um Verbesserung – also Reform – von Schule und Unterricht zu einem der kontinuierlichen Leitmotive des pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Diskurses über schulisches Lehren und Lernen wird.

Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

4. Lehren und Lernen – zwischen Psychologie und Didaktik