Birk Wind

November

Roman

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Kannst du auch schon Lieder auswendig singen?« Das Kind hockte in dem strubbeligen Garten. Das Gesicht vornübergebeugt, sprach es mit einem Marienkäfer, der auf seinem Zeigefinger entlang lief.

Es bekam keine Antwort.

»Macht nichts«, meinte es und zog die Stirn in Falten: »Traust du dich nicht, es mir zu sagen?«

Der Käfer hielt inne.

Das Kind lächelte, formte die Lippen zu einem vorsichtigen Windhauch, hob die Hand und blies sanft. Schon spreizte der Siebenpunkt die indigoroten Flügel und segelte davon. Das Kind strahlte und sah der im Sonnenlicht entschwindenden Silhouette nach.

Es stand auf, die nackten Füße im Gras, und winkte: »Hab einen guten Tag, Herr Marienkäfer! Und wenn du mal Hilfe brauchst, beim Lieder auswendig lernen, dann komm ruhig wieder.«

Die Blätter der Pappeln zappelten. Zwischen den Wiesen schaukelten die milchweiß blühenden Köpfe der Margeriten auf ihren Stielen hin und her. Das Kind fühlte das Streicheln an den Waden. Zart kitzelten die Blütenblätter an der blassen Haut. Mit wachsamen Augen und gespitzten Ohren ging es weiter.

Ein Zitronenfalter tanzte vorbei. Der Duft von kirschrotem Phlox schwirrte durch die Luft. Im Vorübergehen strichen die Finger des Kindes durch die hohen sommerbleichen Gräser. Wind kraulte es am Hals. Von überall her drang emsiges Summen. Bienen steckten ihre Fühler in die Blütenkelche, Hummeln streckten zottelige Hintern in die Höhe.

Das Kind lauschte dem Treiben, erschrak. Etwas glitt über seinen Fuß. Es senkte den Kopf: »Ach, nur eine Eidechse.

Gähnend reckte das Kind die Hände in die Luft – Mittagslicht einfangen. Schweiß rann aus den Achseln an den Armen hinunter. Es griff den Zipfel des T-Shirts, rubbelte mit der verblassten lindgrünen Baumwolle die Haut trocken.

Mit einem Mal vernahm es ein Geräusch aus der Wiese; ein deutliches Räuspern. Seine Blicke forschten über dem Boden. Das Kind sah lichte Farben, die zwischen den Grashalmen hervor flirrten. Es blinzelte und kräuselte die Stirn. Vor ihm stand ein blumenstängelhohes Wesen mit einem beerenblauen Schlapphut und einem orangefarbenen Mantel, dessen Stoff einen molligen Körper umhüllte. Sonnengelbe Stiefelspitzen lugten darunter hervor. Der kleine Mann steckte die Hände in die Seitentaschen und sah zu dem Kind hinauf.

Das Kind war beeindruckt:

»Wer bist du denn?« Er antwortete mit glasklarer Stimme: »Guten Tag, ich bin der Illusionist.«

»Du bist … was?«

»Ein Zauberer, wenn du es genau wissen willst.

Das Kind schüttelte den Kopf: »On nein, das kann nicht stimmen. Zauberer sind doch große Leute mit spitzen Hüten und schwarzen Umhängen.«

Der kleine Mann verzog die Augenbrauen: »Glaubst du mir etwa nicht? Es wurde mir aufgetragen, dich hier aufzusuchen, ohne dich dabei zu erschrecken. Wäre ich in voller Größe erschienen, hättest du möglicherweise Angst vor mir bekommen und wärst weggelaufen. Zudem darf mich hier kein Mensch außer dir sehen.«

Das Kind setzte sich vor den Zauberer auf den Boden, schob die Hände in den Schoß und schwieg nachdenklich. Ein leise – herber Duft ging von dem Mann aus. Das roch gut, so wie ein hellgrünes Birkenblatt.

Der Illusionist breitete umständlich den Mantel um sich und setzte sich dann ebenfalls auf den Boden.

Die Augen weitgeöffnet schaute ihn das Kind an: »Und wer hat dich beauftragt? Und wieso?«

Der Zauberer hüstelte und rieb an seinem Kinn: »Dann glaubst du mir?«

»Ob ich dir glaube, weiß ich noch nicht. Ich habe doch noch nie einen Illusionisten getroffen.«

»Siehst du«, der kleine Mann unterstrich seine Worte mit einer bauchigen Geste, »eben genau so wie die Erwachsenen, die in ihren Büchern schreiben, wie unsereins auszusehen hat. In Wahrheit hat wohl kaum jemand von ihnen je Zauberer gesehen. Was denkst du?«

Das Kind lächelte: »Ich habe gar keine Bücher. Die Leute erzählen das so. Sie sagen aber auch, dass es nur Geschichten sind.«

Der Magier zwinkerte: »Aber mich«, grinste er, »mich gibt es, wie du siehst, tatsächlich und die Bewohner dieses Gartens haben mich gebeten, bei dir anzurücken.«

Das Kind zögerte und schlang die Arme um seinen schmalen Körper. »Dann stimmt es auch nicht, dass Zauberer lange graue Bärte haben und steinalt sind?«

»Wie du siehst, besitze ich praktisch überhaupt kein Alter«, lächelte der Mann, hob die Arme und schwenkte den Oberkörper abwechselnd nach rechts und links. Das Licht der Sonnenstrahlen schimmerte weich durch die Ohrmuschel seiner ziemlich weit abstehenden Lauscher. Es sah aus, wie Kopfseitenleuchten oder runde Antennen.

Das Kind nahm sein Gegenüber genauer in Augenschein. Er hatte eine schmale Nase und einen breiten freundlichen Mund. Die langen Haare glänzten in einem tiefen Schwarz. Kniff das Kind die Augen aber ein wenig zusammen, wirkte der Schopf schlotterweiß. Das Gesicht war in einem Moment satt, mit einer Unmenge weiser Falten, im nächsten schienen diese komplett flötengegangen zu sein. Die Haut war arg glatt. Die Augen leuchteten in einem hellen Kornblumenblau – wie die eines Eichelhähers.

Es stimmte, was er sagte: Wäre er groß, hätte das Kind sich furchtbar vor ihm erschrocken, wegen diesem Hin- und Herverwandeln. So aber fühlte es sich irgendwie gut in seiner Gegenwart. Oder war er nur wieder eine Einbildung? Eine von den angeblich ausgedachten Geschichten, über die die Leute lachten, wenn das Kind davon erzählt hatte? Deshalb behielt es solche Dinge schon ewig lieber für sich.

»Darf ich dich mal anfassen?«, fragte es.

Der Zauberer strahlte und streckte dem Kind beide Hände entgegen.

Vorsichtig schob es seine Fingerspitzen hinein. Die Haut fühlte sich warm und sehr fein an – eindeutig echt. Es schloss die Augen und wieder bemerkte es diesen zarten vertrauten Duft, der von dem Mann herüberschwebte. »Du bist ja wirklich, wirklich.«

»Das bin ich.« Er nickte und begann leicht in den Handflächen des Kindes zu trommeln.

Das Kind sang im Flüsterton: »Ein Zauberer in meinem Garten, ein Zauberer …«

Nach einer Weile verstummte es und zog die Arme zurück: »Ich möchte dir etwas zeigen, kommst du mit?« Eilig sprang das Kind auf und lief voraus, die Beine in der zu großen abgeschnittenen Jeans nackt und mit blauen Flecken übersät.

Der Zauberer wehte hinterher. Trotz seiner Fülle war er ausgesprochen leichtfüßig.

Am Ende des Gartens stoppte das Kind. Vom Gewitter der letzten Nacht flimmerte eine pralle Pfütze in der Sonne. Es hockte sich hin, zupfte eine Löwenzahnblume und begann mit dem Fingernagel die Stängel vorsichtig in Streifen zu teilen. Der Magier sah ihm dabei zu.

Behutsam setzte das Kind die Blume auf die Wasseroberfläche. Augenblicklich ringelten die Stiele sich ineinander. »Sieh, wie schön es sich kringelt? Ist das nicht wie ein Geheimnis?«

»Oh, das ist es wirklich«, nickte der Illusionist. Das Kind sah ihn an: »Glaubst du, es tut der Blume weh, wenn ich das mache?«

Der Zauberer, dessen Blick noch an seinem Spiegelbild auf dem Wasser hing, sagte: »Pflanzen fühlen anders. Ich schätze, es ist für sie in Ordnung, dir eine Freude zu schenken.«

»Weißt du, ich habe mich das schon oft gefragt und kann doch nicht damit aufhören.« Das Kind pflückte noch eine Löwenzahnblume. An seinen kleinen verschmutzten Händen klebte der weißliche Saft der Butterblume: »Ich nehme auch immer nur einige, nicht alle. Hast du eigentlich auch einen Namen?«

»Meinen Namen willst du wissen?« Er winkte das Kind mit dem Finger zu sich hinunter und reckte den Kopf nahe an dessen Ohr: »Ich heiße Zebulum, aber du kannst mich auch Zebu nennen.«

Das Kind wischte sich eine weizenblonde verfilzte Haarsträhne aus dem Gesicht: »Das ist wirklich dein Name? Sind Zebus nicht eigentlich so Tiere mit großen Hörnern?«

Der Zauberer hielt sich die Zeigefinger vor die Stirn und latschte brummend im Kreis: »Meinst du so ein Rind wie mich?«

Das Kind schüttelte sich vor Lachen aus, wurde aber gleich wieder ernst: »Willst du meinen Namen auch wissen?«

Zebulum nahm die Hörner wieder ab. Er lächelte: »Die Tiere haben ihn mir schon verraten, du bist November. Sonst hätte ich dich ja nicht finden können in diesem riesigen Garten. Ich musste mich doch zu dir durchfragen.«

November staunte: »Ich dachte, ein Zauberer weiß alles und muss nichts fragen?«

»Nein, nein, so einfach ist das nicht. Ich habe da so meine Spielregeln. Ich darf nur zaubern, wenn ich darum gebeten werde und die, für die ich banne, damit auch einverstanden sind.«

»Bist du gekommen, um etwas für mich zu zaubern?« Neugierig betrachtete das Kind den Magier. Es war ganz beeindruckt.

Zebulums Gesicht leuchtete auf: »Oh, für dich habe ich einen besonderen Auftrag. Ich soll deine Eltern verzaubern, so wie du es dir wünscht.«

Dem Kind blieb der Mund offen stehen. Damit hatte es tatsächlich so gar nicht gerechnet. Ob die Tiere dem Magier wohl erzählt hatten, dass es oft heimlich weinte? Wollte es überhaupt daran denken? Gerade war doch alles so anders, so hell. Die Gedanken in seinem Kopf gingen ganz durcheinander. Es dachte an zu Hause, die Eltern, all das, was eben gerade so herrlich weit weg schien.

»Zebu, du kannst doch auch einfach mich verzaubern. Vielleicht in einen Schmetterling. Dann kann mich meine Familie nicht mehr erkennen und ich für immer hier im Garten bleiben. Ich könnte eine Eidechse sein oder ein Frosch. Vielleicht ein Rotkehlchen?« ´

November knickte die Unterarme unter die Achselhöhlen und schob die Ellenbogen wie Schwingen in die Höhe. Flatterte aufgeregt. Es kauerte sich auf den Boden und hüpfte auf beiden Füßen, spitzte die Lippen und quakte. Wieder aufwärts breitete es die Hände aus, ließ die Flügelarme hinauf und hinunter schweben: »Schau, ich bin eine Wildgans oder eine Gabelweihe, was meinst du? Oder auch ein Kranich?« Das Kind wirbelte und tanzte quer über die Wiese.

Der Zauberer sah mit verschränkten Armen zu. Er dachte laut: »Ja, aber wäre es nicht irgendwie traurig, wenn du nicht mehr so bist, wie du bist?«

November lachte: »Dann wäre ich eben anders!«

»Ja, willst du denn nicht du bleiben?«

»Ich bleiben schon, aber ein anderer Körper wäre echt klasse.« Das Kind dachte, dass seine Eltern es dann nicht mehr finden könnten.

Zebulum räusperte sich und sah November an: »So war das aber nicht geplant, schließlich geht es um deine Rettung.« Jetzt hatte er aus Versehen schon zuviel verraten. Es verwirrte ihn ein wenig, dass das Menschenkind andere Vorstellungen hatte. »Die Tiere wollen dich aber gern, so wie du bist, hierbehalten.«

November hielt inne: »Menno, wieso das denn? Es wäre doch viel, viel besser, ich könnte für immer unter ihnen sein.«

»Und wer soll außer dir hier die Vogeltränke im Sommer füllen oder die Mücken vorm Ertrinken retten? Mir kam auch zu Ohren, du hättest ein Kohlmeisennest vor dem Zerquetschen in dem Gelenk einer Heupresse bewahrt. Die Tiere verlassen sich sehr auf dich. Sie sind in großer Sorge, weil du oft so betrübt bist.«

Das Kind pflanzte sich mitten in die Gräser und zog die Knie fest unter sein Kinn. Tränen quollen aus den quarzgrünen Augen. Mit dem Handrücken wischte es sich schniefend das Gesicht frei. Ein Frösteln durchzuckte den mageren Körper.

November atmete stockend, stand wieder auf und stemmte die Hände entschlossen in die Hüften: »Es geht nicht, Zebu. Du hast doch selber gesagt, du darfst nichts tun, was ich nicht will. Etwas gegen den Willen eines anderen zu tun ist Unrecht. Ich weiß das so sicher, wie das Gras grün ist.«

Ein erneuter Schluchzer ließ das Kind nach Luft schnappen.

»Außerdem ist es egal. Verstehst du? Egal, in was du Mama und Papa verzauberst: Mach sie zu Mäusen und sie werden alles zerfressen. Mach sie zu einem Schrank und sie werden ihre Türen öffnen und alles verschlingen, was sie kriegen, und in der Dunkelheit einsperren. Verzaubere sie in eine wunderschöne Blume und sie werden die Bienen mit ihren Lügen vergiften, wenn die den Honig trinken.«

Das Kind zitterte jetzt vor Wut. Es wollte nicht in seinen Kopf gehen, wie durch irgendeinen bescheuerten Zauber alles besser werden sollte. Das war einfach im Ganzen viel zu kompliziert.

»Und außerdem«, fügte es hinzu: »Irgendwann würde doch jemand entdecken, dass ich allein bin, und mich in ein Heim stecken. Oder glaubst du etwa, ich bin so stark wie Pippi Langstrumpf?« Es schüttelte heftig den Kopf: »Das bin ich nicht!« Seine Arme fielen schlaff herunter.

Der Illusionist legte seine Fingerkuppen auf Novembers Handrücken. »Es muss doch aber einen Zauber geben, der dir hilft. »Sicher fällt uns etwas ein.«

Das Kind wickelte einen Grashalm um den Daumen und starrte in die Luft. Nun hatte es tatsächlich einen echten Zauberer getroffen, doch schien alles andere so viel mächtiger. Vielleicht war das hier und jetzt auch nur ein komischer Traum. Wahrscheinlich war es in der Sonne eingeschlafen? Nein, nein … niemals wäre es selber auf die Idee gekommen, dass die Tiere es brauchen könnten. Nicht einmal im Traum! Eines war jetzt sicher: Nichts war wie vorher. Alles war jetzt anders.

Zebulum erhob sich: »Nun, wenn dem so ist«, sein Körper bebte kaum merklich, »werde ich einen Gartenrat einberufen. Noch in dieser Nacht.«

Die feucht glänzenden Augen Novembers blickten ihn erstaunt an: »Einen Gartenrat?«

»Genau. Ich will gern tun, was in meiner Macht steht.«

Seine Hände wuchsen über seinen Kopf hinweg und er begann damit durch die Luft zu fuhrwerken. Ein Schwarm Spatzen schwirrte herbei. Schiepsend landeten sie vor dem Zauberer auf der Erde und verstummten augenblicklich. November war beeindruckt und lauschte den Worten Zebulums.

Dieser kauerte vor den Vögeln: »Wir müssen gleich heute Nacht einen Rat aller Tiere des Gartens einberufen. Schnell, macht euch auf den Weg und sagt überall Bescheid. Es ist von großer Wichtigkeit!«

Kaum hatte er sich wieder erhoben, stoben die Vögel davon. Zebulum lächelte zufrieden und rieb seine Hände: »Das wäre erledigt.«

»Zebu, kann ich das auch? Mit den Tieren sprechen?«

»Oh ja. Eigentlich machst du es schon, aber du bist dir dessen nicht bewusst.«

November hielt den Kopf schief: »Was ist bewusst?«

Zebulum zwinkerte ihm zu: »Das ist, wenn du weißt, was du nicht weißt.«

Das Kind lächelte: »So was habe ich mir manchmal auch schon gedacht.«

Der Zauberer nickte wissend: »Ich muss jetzt schnell los. Wenn es dir recht ist, werde ich dir Morgen berichten, was der Rat beschlossen hat.« Daraufhin zog er den Hut und war verschwunden.

Verwirrt stand das Kind da. Hatte es das nur geträumt? War dies alles wahr? Nein, diesmal durfte ihm keiner mehr ausreden, was wirklich passiert war. Doch wieso blieb es hier allein? Vielleicht doch nur Butterland?

Die Sonne schlich bereits über den Horizont. War die Zeit so schnell vergangen? November suchte vergeblich die ersten tanzenden Mückenschwärme, lauschte nach dem Quaken der Frösche. Nichts war zu hören oder zu sehen. Keine streitenden Amseln, keine Bienen, die summend in ihren Stock flogen. Das Kind rannte quer über die Wiese.

Außer Atem kam es beim Eingangsloch der Erdhummeln an und stürzte sich bäuchlings auf den Boden. Oft hatte das Kind hier, den Kopf auf die Hände gestützt, Stunden verbracht, das Kommen und Gehen zu beobachten. Es riss die Augen weit auf. Tatsächlich war auch hier niemand mehr da, nur ein winzig einsames Loch in der Erde. November kniete in der Dämmerung und lauschte. Der Garten schwieg beharrlich.

Der Mond schwebte in den mattgrauen Himmel. Fröstelnd lauerte das Kind auf die Glühwürmchen, horchte vergebens nach dem Rascheln umherhuschender Mäuse. Das Grundstück war verlassen.

Drinnen vermisste November eh keiner. Der Vater war bestimmt in der Kneipe und die Mutter auf der Arbeit. Selbst wenn nicht, stritten sie doch sowieso nur. Verlorenheit breitete sich in dem Bauch des Kindes aus. Ein Windhauch strich über seine Wange. Wenigstens war der Wind nicht auch noch verschwunden. In das Haus wollte es nicht zurück, am liebsten niemals wieder im ganzen Leben.

November rappelte sich auf und schlang die Arme um den schlotternden Körper. An seinen Füßen sammelte sich Tau. Kleine kühle Tropfen rieselten zwischen die Zehen. Es tapste durch das verwaiste Gelände zum Geräteschuppen. Er lag am Ende des Gartens hinter einem weitausladenden wildwuchernden Brombeerbusch. November stemmte sich mit der Schulter gegen die klapprige Tür. Sie knarrte laut im Dunkel. Ein staubiger Geruch quoll dem Kind aus dem Inneren entgegen. Niesend betrat es den Raum und zog die Tür wieder hinter sich zu.

Die Sonne hatte den ausgedienten Verschlag, von dessen schiefen Holzbrettern der moosgrüne Lack abblätterte, im Laufe des Tages aufgeheizt. Mit den Händen tastete das Kind durch die Finsternis. Schmutz heftete sich an die feuchten Fußsohlen.

»Ihhhhhhhhh!« November schrie auf, wischte hastig die klebrigen Flusen aus dem Gesicht, atmete tief ein, flüsterte: »Nur Spinnenweben, die tun doch nichts.« Dennoch kroch das Kind lieber auf allen vieren weiter.

Die Augen begannen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, Umrisse zu erahnen. Vorsichtig krabbelte es über den sandigen Boden und suchte nach den Gartenmöbeln der Großeltern aus dicken Ästen, mit der polierten Oberfläche zum sich nicht daran sattstreicheln können. Früher standen die Möbel in jedem Sommer unter der ungeheuer großen Trauerweide vor dem Haus.

Der Kopf des Kindes stieß gegen etwas Hartes: »Autsch! Mist!« Mit den Händen tastete es sich weiter vor. Da waren sie ja.

Forschend kletterte November hinauf. Hinter der Bank müssten noch die alten Kissen und Decken liegen. Das Kind kniete auf dem Holz und zerrte die Stoffe hervor, schüttelte sie nacheinander aus. Staubflocken wirbelten umher. Die Luft schwoll dicht, miefte unglaublich.

Schwer atmend schwenkte November die alte Wolldecke, so kräftig es ging, breitete die Polster auf der Bank aus, rollte sich in den kratzigen Stoff und ließ sich in die Kissen fallen. Sein Kopf war so erschöpft. Wenn so viel Staub gewachsen war, sind die Großeltern schon ganz schön lange nicht mehr dagewesen. In diesem Augenblick vermisste das Kind sie furchtbar. Erneut krochen Tränen aus seinen Augen, glitten über das verschmutzte Gesicht. Es war zu müde für noch mehr Traurigkeit und schlief ein.

***

Das Netzgewebe wirkte riesenhaft. In ihm lief eine Spinne auf und ab. Sie kreischte: »Wie kann man nur so viel Staub aufwirbeln! Sieh dir den Schlamassel an. Mein Netz ist verdreckt, völlig unbrauchbar. Konntest du nicht aufpassen?«

Das Kind fand sich auf einmal insektenklein wieder, balancierte mit ausgebreiteten Armen rudernd auf den Fäden: »Ich wusste doch nicht, dass du hier dein Netz gespannt hast. Es tut mir leid.«

»Papperlapapp!« Die Spinnenaugen funkelten: »Bist doch direkt hineingerannt in meine Maschen. Nicht genug, dass ich es flicken muss … schau, der ganze Dreck.«

Das Kind mühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Die Spinne war enorm aufgeregt, wippte nervös. Die gesamte Spinnwebe geriet in Schwingung.

November rief: »Ich dachte, du bist schon ausgezogen! Selbst eine Fliege wäre doch ziemlich blöd, sich in diesen ollen Schuppen zu verirren, oder?«

»Kind, du hast keine Ahnung. Ich lebe seit meiner Geburt hier und ja, die dummen Fliegen sind mir die Liebsten. Oft muss ich ewig warten, bis sich so ein einfältiges Tier hierher verirrt und einfangen lässt.«

»Warum ziehst du denn nicht einfach aus, statt hungrig und einsam hier kleben zu bleiben?«

Das Netz vibrierte noch schwungvoller. »Das geht nicht!« Heiser hallte die Stimme der Spinnenfrau vom anderen Ende herüber.

November gab nicht auf: »Aber wieso denn nicht? Draußen im Garten ist es viel besser. Dort leben auch mehr Fliegen.«

»Weil es eben nicht geht!«, zischte sie.

»Dafür muss es doch aber einen Grund geben, es bindet dich hier doch keiner an, oder?«

»Stell nicht so alberne Fragen, Kind!« Die Spinne trat einige Schritte zurück und glitt geschickt an einer Fluse hinab.

Auf einmal konnte November sie nicht mehr sehen: »Hallo, Frau Spinne, wo bist du denn?« November kauerte auf den Knien, versuchte durch die blickdichte Spinnwebe zu schauen, bohrte mit dem Zeigefinger ein Guckloch in den herabhängenden Staub. Der trockene Dunst kroch in seine Nasenlöcher.

Das Kind sah den achtbeinigen Schatten über den Boden huschen. »Renn doch nicht weg, ich hab dich doch nur was gefragt. Ist es so schwer, mir eine Antwort zu geben?«

»Ja, das ist es.« Die Spinne drehte sich um.

November konnte sie nun gar nicht mehr sehen und rief: »Hallo, bist du noch da?«

»Nein, bin ich nicht!«, krächzte es aus einer Ecke.

»Jetzt hast du dich aber selbst verraten, bist also doch noch da.« Das Kind lachte.

»Wo soll ich denn auch hin?«, jammerte die Stimme zurück.

Das Kind kroch über das Maschenwerk, hangelte sich am Rand hinab und ließ sich auf den Boden fallen. Es rappelte sich hoch und schlich auf Zehenspitzen zu dem Tier.

»Was läufst du mir hinterher? Ich habe keine Zeit, muss weben«, grummelte die Spinne.

November meinte: »Hier unten ist dafür aber sicherlich kein guter Ort.«

Die Weberin schnaubte ungeduldig: »Was geht dich das an?«

»Ich will doch nur wissen, wieso du nicht hinaus kannst? Draußen ist es doch schön.«

Die Spinne widersprach: »Quatsch, hier ist es schön genug!«

»Wie willst du das wissen, wenn du das Draußen gar nicht kennst?«

Die Spinnenfrau wirbelte herum und schoss auf November zu: »Lass mich endlich in Ruhe!« Sie wirkte elefantengroß und raunte: »Du hast doch keine Ahnung.«

Das Kind verschränkte die Arme vor der Brust: »Wohl habe ich Ahnung von da draußen!«

Die Achtbeinige schüttelte den Kopf: »Das meine ich ja auch nicht.«

»Was meinst du denn?«

Die Spinne trat einen Schritt zurück, schrumpfte urplötzlich, flüsterte: »Ich fürchte mich vor dem Draußen. Muss hierbleiben und aufpassen.«

November ging in die Hocke »Oh, das ist ja schrecklich. Tut mir leid. Kann ich dir irgendwie helfen?«

»Wohl eher weniger. Es ist so, wie Menschen Angst vor unsereins haben.«

November lächelte: »Ich habe keine Angst vor dir!«

»Das ist ja das, was mich so an dir erstaunt, du seltsames Fliegenflügelkind. Sonst hätte ich dich schon längst gefressen«, sagte die Spinne.

Das Kind wich zurück. Ihm war jetzt doch etwas mulmig zumute. Es schaute hinterrücks über seine Schulter und erblickte filigrane Flügel auf seinem Rücken. Wenn sie tatsächlich funktionierten, wäre es kein Problem, der Spinne zu entwischen. Von Neugierde gepackt, den Blick rückwärts gerichtet, probierte November das mit dem Fliegen. Tatsächlich begannen die silbrigen Schwingen zu rotieren, machten etwas Wind im Nacken. Seine Füße lösten sich vom Boden. November schwebte hinauf und zappelte mit den Beinen, flog ein paar Runden.

»Ich kann fliegen!«, winkte November der Spinnenfrau zu.

Die Weberin verdrehte den Kopf hinter ihm her: »Wusstest du das denn noch nicht, dass man, wenn man Flügel hat, auch fliegen kann? Du dummes Flügelkind!«

November pendelte wieder hinunter, landete unbeholfen, strahlte die Spinne an: »Ich wusste doch gar nicht, dass ich Flügel habe.«

»Komisch. Wie kann man Flügel haben und es nicht wissen?« Die Spinnenfrau verdrehte die Augen.

»Das kann ich dir leider nicht erklären. Vielleicht konnte ich sie nicht sehen, bis du es mir gesagt hast. Und jetzt finden wir für deine Angst eine Lösung«, stellte November fest.

»Heute nicht, Kind, denn bevor ich ganz verhungere, muss ich mir ein neues Netz bauen«, raunte die Spinne und verschwand.

»Aber draußen, da geht es doch besser«, widersprach November erneut.

Die Spinne jedoch hatte sich endgültig verkrochen und November war klar: Ein weiteres Mal käme sie nicht wieder.

***

Der Zauberer zupfte das Kind am Ärmel. Seit dem Morgengrauen war er auf der Suche nach ihm und heilfroh, November endlich gefunden zu haben.

Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen des Holzes hereinströmten, standen an den Wänden. Der Raum schimmerte zartgrau.

Das Kind öffnete die Augen: »Wo bin ich?«

»Im Schuppen«, lächelte der Zauberer.

November blinzelte: »Ich muss eingeschlafen sein und hatte einen komischen Traum von einer Spinne.« Es setzte sich auf, streckte die Arme und gähnte: »Du bist wieder da?«

»Ich hatte es so gesagt«, erwiderte Zebu.

»Das hast du.«

»Die Sonne ist soeben aufgegangen.«

»Sind die Tiere wieder im Garten?«

»Nein, aber wir müssen uns beeilen, sie warten auf dich. Komm.« Zebulum reichte dem Kind seine Hand.

November rollte sich aus dem Stoff, schon stand es auf seinen Beinen. Hier gab es nichts mehr zu verlieren. Es musste unbedingt zu den Tieren. Leicht vornübergebeugt fasste das Kind die Hand des Zauberers. Die Tür des Schuppens sprang auf und schloss sich hinter ihnen sogleich wieder.

Noch lag der Garten im Nebel. Das Gras war kühl und von neuem atmete November diese Totenstille. Gemeinsam hasteten sie über das Gelände. Am Ende angekommen fegten vor Ihnen einige Latten aus dem Zaun. Beide schlüpften nacheinander durch die Lücke. Das Kind sah sich um. Verblüfft blieb es stehen. Die Bretter fielen von selber wieder knirschend zurück.

Zebulum zog November weiter: »Wir haben wirklich keine Zeit!«

»Ich komm ja schon!«

Sie liefen aus dem noch schlafenden Dorf und am Friedhof vorbei – dem Ort, dem November vertraute. Die Großmutter hatte ihr Enkelkind oftmals zur Grabpflege dorthin mitgenommen. Ausgelassen hatte das Kind auf den Wegen gespielt und die schweren Gießkannen aus Gusseisen vom Brunnen zu den Pflanzen geschleppt. Jetzt lag Großmutter selber dort.

November stockte: »Zebu, bitte! Ich möchte mich von meiner Omi verabschieden.«

Der Zauberer schüttelte den Kopf.

»Bitte! Es ist wichtig!« Das Kind stellte einen Fuß auf den Saum von Zebulums Mantel.

Dieser blieb stehen und seufzte.

November rannte zu dem stattlichen Eingang und stemmte beide Handflächen gegen das schwere Eisen. Quietschend und knarrend ruckelte das Tor auf. Das Kind fegte über den sandigen Weg: am Brunnen vorbei, rechts einen schmalen Pfad entlang. Im Schutz einer hohen Birke lag die Grabstätte. Weiße Kiesel bildeten einen Kreis um leuchtende Blumen. Das Kind schnappte einen der glatt geschliffenen Steine und sagte: »Machs gut.«

Den Kieselstein fest in der Faust holte November kräftig Luft, richtete sich wieder auf und hastete mit klopfendem Herzen zurück.

Zebulum verharrte sitzend – die Beine übereinandergeschlagen, die Hände auf den Stein gestützt – auf der bemoosten Friedhofsmauer. Als er das Kind erblickte, schwang er hinab, winkte und preschte den Waldweg hinauf. November folgte ihm.

Auf der Hälfte bogen sie auf einen Trampelpfad ab. Während der Zauberer geschmeidig durch das Unterholz sprintete, hatte das Kind Mühe, ihm zu folgen; Äste schlugen ihm ins Gesicht, Tannennadeln zwickten in die nackten Füße. Es lief um sein Leben.

Zebulum vergewisserte sich stetig, dass November ihm folgte. Er wusste, dass die Eltern das Kind bereits suchten. Auf dem Weg zum Schuppen war er an dem Haus vorbeigeschlichen, hatte die Stimmen aus dem offenen Fenster vernommen. »Ich schlag es tot, wenn ich es erwische«, hatte die Mutter geschrien, so garstig und laut, dass Zebulum erschrocken zusammengezuckt und schnellstens weitergerannt war. Er wusste, es ging um ihre Ängste, dass etwas von den Geheimnissen nach außen dringen könnte. Keiner durfte wissen, was sie heimlich mit dem Kind taten. Den Tieren hatte er das Versprechen gegeben, mit dem Gartenkind nachzukommen.

Die Zeit raste und er rief: »Komm schnell, November!«

Er reichte dem atemlosen Kind die Hand. Könnte er sie beide doch einfach zu dem Ziel wünschen. Warum gab es nur diese lästige Vorschrift, dass das Kind den Weg aus eigener Kraft schaffen musste?

Endlich lichtete sich der Wald. Ein schmaler Pfad führte sie durch einen wuchtigen Steinbruch. Auch hier lag der Morgen noch halb im Nebel. Die Sonne begann bereits, den Tau aufzulecken. Der Zauberer trieb das Kind voran, bis sie vor einem Abgrund standen.

November schielte hinunter, zuckte: »Da runter?«

»Jau.« Zebulum zwinkerte aufmunternd.

November nahm allen Mut zusammen und begann rückwärts zu klettern. Grobe Steinbrocken wuchsen übereinander. Nur nicht hinab schauen, dachte das Kind.

Der Magier kletterte neben ihm: »Sieh mich an! Du schaffst das.«

Schritt für Schritt kamen sie voran, vorbei an Vogelnestern, auf deren Rand Eltern standen und sich drohend aufplusterten, um ihre Jungen zu beschützen; vorüber an uralten Baumwurzeln, die aus dem Stein ragend ihre Kletterhilfe anboten. Es ging so zäh vorwärts, dass es November wie eine Ewigkeit erschien.

Schließlich erreichten sie wieder sicheren Grund.

»Hier weiter.« Der Zauberer deutete gen Süden.

Sie marschierten über eine urwüchsige Ebene. Felsentrümmer säumten einen mit Moos bewachsenen Weg. Das weiche Grün tat Novembers Füßen wohl, machte das Laufen leichter.

Der Weg endete an einem Tümpel, der im Schatten eines Hügels ruhte. Weißer Dunst lag auf der Wasseroberfläche, hüllte Kleefarn in einen Schleier.

November schnappte nach Luft: »Sind wir da?«

Der Zauberer nickte: »Ja, das sind wir.«

»Sind hier die Tiere aus dem Garten?«, wollte November wissen.

»Ganz in der Nähe.« Der Illusionist setzte sich ans Ufer und klopfte auf die Erde: »Komm, setz dich zu mir.«

Das Kind ließ sich neben ihm nieder.

Zebulum holte Luft: »Ich wollte dir noch sehr viel mehr erklären, aber die Zeit drängt. Deine Eltern suchen bereits nach dir, darum muss ich mich kurzfassen: Der Rat der Tiere hat beschlossen, sich zusammen mit dir zu verstecken, um deine Kindheit zu retten. Die letzte Entscheidung jedoch kannst nur du selber treffen. Es gibt einen Platz in der Erde, an dem ihr in Sicherheit seid. Hier ist der Eingang für die Menschen. Es waren bisher nur sehr wenige Kinder dort. Die letzte war deine Großmutter.«

Kannte der Zauberer etwa Omi?

November lauschte gierig, während Zebulum weitersprach: »Wenn du mit mir hinabsteigst, wird vieles anders werden.«

»Kann ich mich auch wieder umentscheiden?« Das Kind blinzelte.

»Jederzeit steht dir der Ausgang offen.« Der Zauberer brachte ein Lächeln zustande.

November stiegen Schweißperlen auf die Stirn: »Wohnst du auch dort?«

»Zeitweilig, so oft ich kann.«

Erste Sonnenstrahlen krochen an das Ufer.

Der Zauberer ergriff erneut das Wort: »Wenn die Sonne den Dunst vertrieben hat, wird der Eingang für heute verschlossen. Kannst du dich jetzt entscheiden?«

»Noch eine Frage …« Die Blicke des Kindes lagen auf dem Wasser. »Wenn ich nicht gehe, kommen dann die Tiere zurück in den Garten?«

»Das haben sie so vorgesehen«, antwortete Zebulum.

November streckte lachend die Arme aus: »Also los!«

Zebulum schwang sich auf, griff in seine Manteltasche und zog die geschlossene Faust wieder heraus. Er holte weit aus und warf einige bunte Steine zwischen den Nebel.

Sie standen da und warteten. Nichts geschah, bis plötzlich koboldblaue Luftblasen aufstiegen. Das Wasser begann zu brodeln, schmale Fontänen falteten sich wie lautlose Gestalten aus der Mitte heraus nach außen. Wellen spuckten an das Ufer und benetzten die Füße des Kindes. November wich keinen Millimeter von der Stelle blieb eisern neben dem Zauberer stehen. Weitere Wogen schossen über das Ufer, rauschten, wirbelten, sprühten.

Die Massen teilten sich und unter dem heidelbeerfarbenen Dampf erschien eine Treppe.

Zebulum fasste die Hand des Kindes: »Bist du bereit?«

November straffte die Schultern: »Das bin ich.«

Gemeinsam stiegen sie in die Tiefe. Hinter jeder Stufe, die sie nahmen, schlossen sich die Wassermengen wieder. Es ging weit und weiter hinunter. Neben ihnen waberten ihre Spiegelbilder durch fahle Luft.

Unten angekommen standen sie vor einer klitzeklein erscheinenden Öffnung, dunkel und rund. November begann zu zittern, hinter ihnen gab es kein Zurück, vor ihnen dieses unvorstellbare Miniloch. Fragend sah das Kind den Zauberer an.

Der lächelte: »Schau, so geht es.« Zebulum legte die Hände über seinem Kopf aneinander und schob sich voraus.

Das Kind atmete aus: Der Zauberer war doch tatsächlich verschwunden! Seufzend kniff November die Augen fest zu und folgte ihm nach.

Eine weiche elastische Masse sog das Kind in sich hinein. Zeitlose Stille in dem dunkelblauen Tunnel.

Ein lauer Windzug auf seiner Nasenspitze ließ November die Augen wieder öffnen. Vor ihm konnte es die Konturen des Zauberers unter einem Nachthimmel wahrnehmen.