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Irene Pietsch

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Mandamos Verlag

© 2018 Irene Pietsch

Umschlag: Irene Pietsch

Illustration: Irene Pietsch

Verlag:

Mandamos Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Alte Rabenstr. 6, 20148 Hamburg

Herstellung und Auslieferung:

tredition GmbH

Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN
Paperback978-3-946267-48-5
Hardcover978-3-946267-49-2
e-Book978-3-946267-50-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Russische Liebe ist immer tragisch

(Dmitrij D. Tscherkaschin, seinerzeit Generalkonsul der Russischen Föderation in Hamburg anlässlich eines Besuches der Aufführung von Modest P. Mussorgskys „Chowanschtschina“ in der Hamburgischen Staatsoper.)

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„Russische Liebe ist immer tragisch“

Hamburg, d. 4. Juli 2018

Lieber Hajo,

Die Reise nach Hannover, um die deutsche Präsentation Deines Erstlingswerkes „Russland lieben lernen“ mitzuerleben, war in mancherlei Hinsicht eine echte Belastungsprobe für mich. Nicht, weil ich fürchtete, Dein Outing als Russlandfreund könne in irgendeiner Hinsicht peinlich werden. Geoutet hast Du Dich schon seit langem. Ich erwartete keine großen Überraschungen, sondern wollte Dein Debüt als Autor erleben, sehen und hören, wie Du es verstehst, eine nicht zu große Anzahl von Menschen unterschiedlicher Herkunft mit Deinen eigenen Worten in den Bann zu schlagen. Mit den Worten anderer habe ich bei Dir mehr als einmal erlebt. Du bedienst Dich dieser Taktik gerne als Ausweichmanöver, wenn Du entweder nicht so ganz im Bilde bist oder Dich nicht festlegen willst. Du bist zwar kein Regisseur mit Lorbeeren, auf denen Du Dich ausruhen könntest, aber lange genug Generalintendant an dem Vierspartenhaus in Bremen gewesen.

Meine Befürchtung war, Du könntest nun zu begeistert von Deiner Mission im Auftrage der russischen Regierung sein, uns Kunst- und Kulturbarbaren in Germanien – wie hast Du unter uns leiden müssen! Bis hin zur Auswanderung! - von den eindeutigen Qualitäten Russlands und seiner Menschen zu überzeugen, die das transportieren, was im westlichen Europa und in einigen Teilen der Welt als unverzichtbarer Bestandteil des in seiner Umfänglichkeit nicht vollends UNESCO testierten Weltkulturerbes gilt. Ich hoffe, keiner strebt es trotz guter Chancen an. Die Gremien in der UNESCO sind mehrheitlich mit ehemaligen Sowjetunion Adepten besetzt. Selbst Russland wäre damit überfordert, wo doch gerade eine Reform des Denkmalschutzes in Form einer Bildungsinitiative nach Art von Exzellenzsuche mit der Wünschelrute angestrebt wird.

Meine Befürchtung war darüber hinaus, Du könntest über Deine Begeisterung und Deinen Ehrgeiz, Deinem Auftraggeber eine gute Performance abzuliefern, gar vergessen, dass Kultur und Politik untrennbar verbunden sind, wobei es zunehmend scheint, dass beides im Spannungsfeld der kollektiven wie auch individuellen Wahrnehmung und Akzeptanz von einem dritten Faktor, nämlich dem von religiösen Überzeugungen und Ideologien übertönt wird, ohne eine Legimitation dafür zu haben. Dagegen ist dann auch solange kein Kraut gewachsen, bis Überzeugungsarbeit, gepaart mit starkem Durchsetzungswillen, eine begehbare und auch nachhaltig tragfähige Brücke dafür gefunden haben.

Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich. Du hast dieses Spannungsfeld schlicht negiert und Kultur als genius loci zum alleinigen Heilmittel erhoben. Ich weiß aber nicht, ob es neben Deinem Naturell, Konflikten gerne aus dem Weg zu gehen, Deiner Hamburger Schule, dem Studium an der Hochschule für Musik und Theater in der Ägide von Prof. Hermann Rauhe zu verdanken ist oder höherer Gewalt geschuldet war. Das entschuldigt manches und erklärt so gut wie nichts.

Wer eine „force majeure“ verursacht, ist im Grunde aus dem Schneider, wobei wir schon bei einer Kernfrage sind.

Die Sache mit der sogenannten „russischen Seele“:

Kann eine Seele verursacht werden?

Mit anderen Worten, gibt es eine Absichtlichkeit, verbunden mit besonderen Anstrengungen, eine russische Seele haben zu wollen, um eben solche auch – bei Bedarf? – einsetzen zu können?

Du wirst an der Hochschule gelernt haben, dass allein bestimmte Tonfolgen eine Seele zum Schwingen bringen können, wenn die Veranlagung dazu da ist. Ohne Veranlagung passiert gar nichts.

Demnach scheint für uns in erster Linie die Musik und Kunst Seele zu transportieren, die wir dann als Russisch definieren, selbst wenn sie Rumänisch, Italienisch, Insel- und Festlandsspanisch, Südfranzösisch, Dudelsäckisch oder Griechisch ist.

Da viele Russen musikalisch sind, liebend gerne singen, vielleicht gar ein Instrument spielen, ist mit zunehmender Begeisterung dafür von einer ideellen „force majeure“ zu sprechen, die man gerne in Maßen gewähren lässt, aber nicht unbedingt zum Lebensinhalt werden lassen möchte.

Ich nehme an, dass im Russland der 4. Präsidentschaft von Wladimir Putin, einem bekennend unmusikalischen, aber um aktive wie passive Musikalität bemühten Russen, den Du ebenso schätzt wie ich, inzwischen nicht mehr mit dem Geigenbogen gegen Randalierer und Zerstörer seines neuen Systems vorgegangen wird.

Im Deutschland nach der Wende von geteilt zu wiedervereinigt hat sich diese Vorgehensweise aus gegebenem Anlass ebenfalls als unverzichtbar erwiesen, ohne der östlichen Musikalität Schaden zufügen zu wollen, was dann daherkommt, wie der possierliche Bär, der sein zotteliges Fell gewaschen haben will, aber dabei nicht nass werden möchte. Aus dem Grund halte ich die Entpolitisierung von kulturpolitischen Aussagen in Richtung Ost-West Verständigung für rosarotes Bonbonpapier.

Eine Überhöhung von Kulturprojekten als Ersatz für Friedensverhandlungen und daraus resultierender Instrumente, die Meinungen manipulieren helfen könnten, halte ich nicht für statthaft. Es geht auch bei dergleichen Intitiativen im Wesentlichen um den Erhalt oder um den Erwerb von Vertrauen in die Staatsmacht.

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Die russische Liebe als force majeure.

Ich komme zu dem von Dir hinlänglich zitierten und dann auch noch gelesenen Vorwort zu „Russland lieben lernen“. Es wurde vom derzeitigen Kulturminister der Russischen Föderation verfasst. Und wenn er es nicht selber verfasst haben sollte, so hat er es doch unterschrieben.

Dir muss es wie eine Backpfeife vorgekommen sein, der Du seit vielen Jahren und unter erheblichen Schwierigkeiten versuchst, Verständnis für Russland und seine Besonderheiten einzuwerben.

Der Herr Minister unterstellt schlichtweg, keiner außer Russen könnten Russland (und damit sich selber) verstehen, was eine beinahe nicht zu bewältigende Anzahl von Problemen beinhaltet.

Dir zum Trost: Ich habe das auch schon an den Kopf geworfen bekommen, meistens, wenn ich nicht Willens war, einem Wunsch oder Argument ohne Widerworte Folge zu leisten. Dieses Verhalten ließ bei mir den Verdacht keimen, dass der Vorwurf des Unverständnisses eine Art Verhandlungsmasse ohne Ausweg ist.

Die Probleme:

Es wird mal wieder der gute, alte Fjodor Tjuttschew zitiert. Allein die unterschiedlichen Übersetzungen des Zitats, dessen Inhalt eben nicht genau übersetzt werden kann – vielleicht auch, weil es sich um die Abhandlung eines Diplomaten des ausgehenden 19./beginnenden 20. Jahrhunderts handelt - gemahnt, damit sehr vorsichtig umzugehen und nicht als Schutz und Trutz vor sich her zu tragen. Damals herrschte Österreich in Oberitalien, dessen Wohlfühlexklave der wichtige Adria Hafen Triest war, bis es auch da anfing zu rumoren und schließlich in Sarajewo knallte.

Fjodor Tjuttschews Bonmot als Ausdruck einer russischen Sehnsucht nach Märchen, weil Russen sich Abläufe nicht anders erklären können und auch wohl oft genug nicht dürfen?

Dein Buch ein russisches Sommermärchen?

Vielleicht sollte auch in den maßgeblichen Amtsstuben der Russischen Föderation nach zeitgemäßeren Zitaten gesucht werden. Du bringst dazu als Anschauungsmaterial eine Fotografie. Sie zeigt – so sagt es die dürftige Beschreibung - eine Szene im Außenministerium.

Sinn und Unsinn von Bildunterschriften:

Ist es ein Vergehen, wenn nicht alle russischen Namen, die in Deinem Buch, besonders als Untertitel zu Bildern, genannt werden, uns so geläufig sind wie die gängigsten Produkte in den Lebensmittelregalen unserer Supermärkte? Oder ist das Buch eventuell gar nicht für deutsche Leser gedacht?

Ich weiß nicht, ob alle mein Interesse teilen und das Büro des hochrangigen Beamten schön anzuschauen finden. Es wirkt beinahe spartanisch. So ungefähr stelle ich mir Putins Arbeitsplatz vor, wenn er nicht gerade für Fernsehaufnahmen mit einem zaristischen Ambiente aufwartet, was – wie Du Matthias und mir jüngst in Hamburg erzähltest – originalgetreu in Sotschi aufgebaut worden ist, um auch dort Gäste empfangen zu können, ohne dass sie das Gefühl missen müssen, im Moskauer Kreml zu sein. Die Tür geht auf – der Chef erscheint, nimmt Platz an einem Schreibtisch, der aus der Werkstatt von Roentgen stammen könnte oder der Chef und sein Gast – meistens nur einer – sitzen auf Louis V oder VI Stilmöbeln in einem Salon und haben einen kleinen Tisch zwischen sich, auf dem meistens nichts steht. Die Dolmetscher dolmetschen wohl unsichtbar.

Es fällt auf, dass der Kreml in letzter Zeit an Blumenschmuck spart. Das ist löblich, weil irgendwo ja schließlich angefangen werden muss. Sparsamer wäre aber vielleicht sogar, in den sommerlichen Ferienmonaten den Kreml ganz zu schließen und nur noch die Sommerresidenz in Sotschi zu nutzen. Das hat mehr als einen Vorteil. In Klinikum Rostock-Süd, dem sozialen Brennpunkt Mecklenburgs größter Stadt, der Du unlängst eine interessante Inszenierung des „Freischütz“ gegönnt hast, wird im Sommer die Gyn II geschlossen. Das dürfte vielleicht auch Russen bekannt sein. In den sogenannten Sonnenblumenhäusern Rostock-Süds wohnen etliche. Und was dort bekannt ist, ist dann auch in Russland bekannt. Es müsste nur die richtigen Ohren erreichen.

Auf dem oben genannten Bild in Deinem Buch, einem seltenen Exponat, da kein Kreml Panorama, ist wenig (sichtbare) Elektronik auszumachen, aber viele Bücher- und Aktenstapel, ein Fläschchen Wasser und ein würdiger Amtsinhaber, der aus einem Fotoalbum der Fünfziger hätte stammen können. Vielleicht ist der Eindruck aber auch verfälscht, weil es sich um eine Schwarzweißabbildung handelt, vielleicht sogar aus einer Winterresidenz des russischen Außenministeriums.

Kleiner Tipp: Sepiafarbe wirkt älter und geheimnisumwobener als Schwarzweiß und Fotopapier mit „Mäusezähnen“ macht sich noch effektvoller! Kann alles bestellt werden. Die heutige Zeit macht es unglaublich einfach, Geschichte zu suggerieren, auch, wo unter Umständen kaum oder gar keine Geschichte ist.

Noch mehr zur Seele:

Ich denke, allein Präsident Putin dürfte inzwischen genügend Zitate geliefert haben, die in Bezug auf Russen und Russland gemünzt werden können. Ich selber habe aus seinem Mund nie gehört, dass wir, um Gottes Willen, doch bitte davon ablassen sollen, Russland zu verstehen. Ganz im Gegenteil. Er wird nicht müde, Verständnis einzuwerben und ist sogar früher bereit gewesen, in Vorleistung zu gehen. Mit zunehmend vielen Amtsjahren und entsprechenden Erfahrungen mag eine gewisse Ermüdung seiner Geduld eingetreten sein, die hier erschrocken zur Kenntnis genommen wird, weil Ungeduld als komplett unrussisch gilt.