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Alexander Kühl

Ich will nicht sterben

Hardboiled - Horror Anthologie





BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

Über das Buch

 

„Mindestens so oft, wie Lebende Tote die Augen schlossen, haben Tote Lebende die Augen geöffnet." - Gregor Brand

 

Manchmal scheint die Sehnsucht nach dem Tod größer zu sein, als zu leben. Vielleicht ist dies in gewissen Augenblicken sogar die einzige Option? Ist manchmal der Preis für das Leben, welches wir uns erhoffen, zu hoch?

Acht Geschichten zeigen uns, dass manchmal Leben und Tod dicht beieinander liegen. Da ist Kurt Stolze, ein Ermittler, der buchstäblich Zeit in Gesellschaft des Todes verbringt. Oder der achtzehnjährige Tim. Der Teenager wird seit Wochen in einem Keller gefangen gehalten, und obwohl er sicher nicht sterben will, hat er nur noch Hoffnung durch den schnellen Tod seinen Peinigern zu entkommen.

Aber auch Georg Kramer erkennt nicht mehr den Sinn seines Lebens. Der einst lebensfrohe junge Mann ist zerfressen von Sehnsüchten, die ihn immer mehr in den Abgrund ziehen.

Doch gibt es auch Robert Stein. Der ehemalige Auftragskiller wird von seiner Vergangenheit eingeholt und muss einen letzten Auftrag ausführen.

Diese und weitere Geschichten wollen uns aufzeigen, dass es doch letztendlich das Leben ist, welches uns den Tod bringt – oder hat schon mal der Tod Leben hervorgebracht?

Über den Autor

Alexander Kühl wurde in Berlin geboren. Heute lebt er in Thüringen – gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern. Bereits als kleiner Junge entwickelte er apokalyptische Weltuntergangsgeschichten. Ein denkwürdiger Strafaufsatz mit dem Titel »Eine Banane ist ein wundervolles Wurfgeschoss« motivierte den damaligen Schüler dazu, weitere Geschichten niederzuschreiben und an seinem Traum festzuhalten, der Schriftstellerei.

2017 erschien Alexander Kühls Debütroman »RUNAWAYS« beim Verlag REDRUM BOOKS. 2018 erschien »RUNAWAYS II« sowie seine Dystopie »Sternenring«, die er bereits in früher Jugend zu Papier brachte. Im selben Jahr veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichten-Sammlung »Ich will nicht sterben«, drei skurrile Kurzgeschichten in der Anthologie »Tschüsschen, Tschüsschen« folgten. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied und Namensgeber des STRANGE TALES CLUBs. 2019 startete der mittlerweile etablierte Autor das FAN-Projekt STONE.

 

Hölle

"Der Tod begleitet das Leben wie der Schatten das Licht."     

- Rafik Schami

 

Tim brannten die Handgelenke intensiver als sonst. Hatte Peggy die Metallfesseln noch fester angebracht? Die Ketten, welche über einem Stahlring an der Wand befestigt waren, ließen ihm nur wenig Bewegungsspielraum. Das Metall der Schellen hatte die Haut an seinen Handgelenken längst aufgerieben.

Letzte Nacht hatte er nicht viel geschlafen. Das lag sicher nicht an der unbequemen Haltung und dem kalten Steinboden, denn daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Ebenso daran, dass er seine Hände nicht mehr spüren konnte. Auch der Uringeruch in dem muffigen Kellergewölbe konnte ihm längst nicht mehr den Schlaf rauben. Nein, es war Charlotte, die dafür gesorgt hatte, dass niemand in der vergangenen Nacht ruhig schlafen konnte. Das zwölfjährige Mädchen war ein Neuankömmling in der Hölle. Jedenfalls nannten jene Teenager, die hier gefangen gehalten wurden, diesen gottlosen Ort so. Wimmernd und völlig verängstigt hatte sie Tim gegenübergesessen, ebenfalls mit schweren Eisenketten an der Wand fixiert. Tim hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr immer wieder zugeflüstert, dass sie still sein soll, wenn sie die Nacht überleben wollte. Mit gezielten Fragen hatte er sie in eine Unterhaltung verwickelt, um für etwas Ablenkung zu sorgen. Sein Ziel war es, Charlottes Gedanken von dem Erlebten loszulösen. Bei seinem damaligen Einzug in die Hölle wäre er froh über jemanden gewesen, der ihm etwas Gesellschaft geleistet hätte. Doch er war allein damals und musste Tortouren des Schmerzes durchleiden. Er war wohl zur falschen Zeit am falschen Ort. Allerdings sah der kleine Junge, dem er vermutlich durch seine Anwesenheit das Leben rettete, dies anders. Damals!

Ein schwarzer Van hielt am Gehweg, direkt neben diesem kleinen Jungen, der fröhlich etwa zehn Meter vor ihm lief. Geistesgegenwärtig schrie Tim den Jungen an: »Lauf weg, Kleiner!« Der Junge reagierte blitzschnell und rannte los, bevor sich die Schiebetür des Fahrzeugs öffnete. Zweifellos sollte der Junge entführt werden. Der Van legte den Rückwärtsgang ein, zwei vermummte Männer überwältigten Tim und zogen ihn in den Laderaum. Eigentlich hatten die Entführer keine Verwendung für Tim. Der bereits seit einem halben Jahr volljährige Teenager war für ihre Zwecke zu alt, und dafür wollten sie ihn büßen lassen. Nachdem sie ihn in das Kellergewölbe gestoßen hatten, schlugen sie ihn fast tot. Irgendwann war er wieder zu sich gekommen. Er wusste damals nicht, wie lange er in seinem Blut und in seinem Erbrochenen gelegen hatte. Dann wurde er in einem Duschraum mit kaltem Wasser abgespritzt und in der Hölle willkommen geheißen.

Mittlerweile kannte er auch die Namen seiner Peiniger. Der Glatzkopf hieß Walther Wood. Er war ein aalglatter Typ, schon etwas älter, immer im schicken Anzug. Aber hinter der akkuraten Erscheinung schlummerte eine geldgierige Bestie. Seine Gehilfin, eine dürre Blondine mit zerkratzen Armen, wurde von dem Alten »Peggy« gerufen. Obwohl sie aussah, als leide sie an Bulimie, hatte Peggy enorme Kraft. Tim vermutete, dass sie süchtig war. Chrystal Meth oder so. Sie wirkte oft unruhig, wenn sie sich im Keller aufhielt, um das eine oder andere Kind mit dem Wasserschlauch von Pisse und Kot zu befreien. Da es für den Achtzehnjährigen keine Verwendung gab, hockte er seit Wochen in dieser Hölle und hatte Teenager kommen und gehen sehen. Die ersten Tage war er so sehr benebelt gewesen und daher unfähig zu begreifen, was hier im Keller vor sich ging.

Mittlerweile hatte er die Vermutung, dass es sich bei Walther und Peggy um ein Pärchen handelte, das Kinder entführte und weiterverkaufte. Fast täglich öffnete sich die schwere Eisentür, Kinder wurden gebracht, andere in einen Nebenraum geführt. Die meisten von ihnen sah Tim nie wieder. All jene, die zurückgebracht wurden, standen unter Schock. Stundenlang bekamen sie kein Wort heraus. Manchmal verschwanden einige von ihnen mehrmals am Tag hinter der Tür. Tim wurde noch nie in den Nebenraum geführt. Er hatte keine Ahnung, was sich darin befand und seine Mitinsassen hielten sich entweder zu kurz in der Hölle auf oder wollten nicht darüber sprechen. So gelang es ihm nie, konkrete Informationen von den Rückkehrern zu erhalten.

Irgendwann dachte er sich, dass es besser so sei, nicht zu wissen, was hinter der schweren Eisentür geschah. An manchen Tagen wünschte er sich sogar, die Tür würde aufgehen und es würde jemand sein Leben einfach beenden. Die Hoffnung, dieser Hölle lebend entfliehen zu können, hatte er schon seit einiger Zeit begraben. Er wünschte sich nur noch, dass er nicht zu lange leiden musste, wenn der Tag kam, an dem man ihn in diesen Nebenraum führte. Wahrscheinlicher war jedoch, dass er hier in diesem Loch verhungerte.

Ihm fiel auf, dass Walther und Peggy häufig junge blonde Mädchen in den Keller brachten, als wenn sie einen Kunden hatten, der explizit danach verlangte. Diese Mädchen hielten sich manchmal nur wenige Stunden in dieser Hölle auf, ehe sie hinter der Eisentür verschwanden.

Die Nacht war vorüber. Die Sonne erhob sich und schien durch das verdreckte Kellerfenster. Ein Lichtstrahl traf genau Charlottes Gesicht. Ihr Mund war völlig verkrustet. Ein Gemisch aus Blut und Kotze klebte an ihrem Kinn. Sie schlief immer noch. Tim war froh, dass sie noch nicht wieder bei Sinnen war. Er hatte es tatsächlich geschafft, sie zunächst etwas zu beruhigen und herauszufinden, wie sie hieß. Dann fing Charlotte an zu erzählen. Sie war mit ihrem Hund, einem West‑Highland‑Terrier auf dem Weg zum Park gewesen, als neben ihr plötzlich ein schwarzer Van hielt. Die Tür öffnete sich und Hände griffen nach ihr. Der Terrier versuchte, das Mädchen zu beschützen und schnappte nach den Kidnappern. Im Augenwinkel hatte Charlotte gesehen, wie Walther mit einem Messer ihrem Hund die Kehle durchschnitt und ihn nach draußen auf den Gehweg schleuderte.

»Der hat Pauli einfach getötet! Abgeschlachtet und weggeworfen. Dieses Schwein!« Immer wieder hatte sie in der Nacht den Namen ihres Hundes geschrien. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib und Tim dachte, dass sie jeden Augenblick kollabieren würde. Genervt war Peggy in den Keller gekommen, hatte die Neonröhren an der Decke eingeschaltet und gekeift: »Halt dein Maul! Halt dein verdammtes Maul, du Miststück!«

Doch Charlotte hatte sich bereits so dermaßen hineingesteigert, dass sie voller Panik schrie. Immer lauter, immer schriller. Es hörte sich beinahe nicht mehr menschlich an. Walther war die Steintreppe hinuntergepoltert und an die Seite seiner Gefährtin getreten. Peggy hatte erneut gekeift und das blonde Mädchen angebrüllt: »Ich warne dich das letzte Mal, halt endlich dein Maul!«

Es war zwecklos. Walther war hingegen ruhig geblieben. Er war nicht der Typ, der hirnlos brüllte. Nein, Walther Wood war aus einem anderen Holz. Er zog sein Messer, griff der kreischenden Charlotte in den Mund und schnitt ihr die Zunge heraus. Ihre Schreie verstummten abrupt, als das Blut in einem Schwall sowohl aus dem Mund als auch in ihren Rachen spritzte. Die Kleine hatte gewürgt, blubbernd rote Blasen ausgestoßen, bis sich der Magen entleerte und ihre letzte Mahlzeit in einem heftigen Strahl durch die Speiseröhre schoss. Walther warf angewidert die abgeschnittene Zunge in die Lache aus Blut und Kotze, dann verließen die Monster den Keller. Tim war noch nie Menschen begegnet, bei denen offensichtlich jegliche Empathie anderen gegenüber fehlte. Sie trugen nicht den geringsten Funken Mitgefühl in sich. Walther war sogar noch schlimmer als Peggy. Tim hatte oft genug mit ansehen müssen, wie er Kinder mit einer Eisenkette halbtot schlug. Als am Rücken die Haut wegplatzte und Blut in die Luft spritzte, trieb es dem Alten ein diabolisches Funkeln in die Augen, dass Tim glaubte, Satan gäbe es wirklich.

Ab und an ließ Walther seine Gewaltgelüste auch an Tim aus. Der Junge wusste, dass die letzte Abreibung schon einige Tage zurücklag und er bald wieder dran war. Er fühlte sich schwach. Seit etwa einer Woche hatte er nichts mehr zu essen bekommen. Wenigstens konnte ihm das Monster nun nicht mehr die Scheiße aus dem Leib prügeln. Seine Körperfunktionen stellten allmählich den Dienst ein.

Tims Blick fiel wieder auf die massive Eisentür. Vielleicht wartete dahinter eine noch schlimmere Hölle mit noch skrupelloseren Menschen. Vielleicht bot etwas da draußen aber auch die Aussicht auf einen schnellen Tod. Er hatte kaum diesen Gedanken beendet, als sich die Eisentür öffnete. Kälte drang in die Zelle. Bevor sie Tims Beine erreicht hatte, stand Walther Wood vor ihm und feixte: »Heute ist dein Glückstag! Wartet doch da draußen wirklich jemand, der alles sehen möchte, was wir im Keller haben.«

Grob trat er gegen den Körper des Mädchens, um zu prüfen, ob es überhaupt noch am Leben war. Charlotte öffnete die Augen und war ganz still. Sie schrie nicht. Sie gab keinen Mucks von sich. Schien wie entrückt. Tim erschrak, als er in ihre Augen blickte, in diesen starren Blick, der sie wie ein Wesen wirken ließ, das nicht von dieser Welt war. Walther Wood klimperte gut gelaunt mit einem Schlüssel und löste die Fesseln der beiden Kinder.

»Na los! Oder muss ich euch Beine machen?«

Energisch trieb er die beiden an, durch die Eisentür in den Nebenraum zu gehen. Charlotte stolperte mehr, als dass sie ging. Tim nahm seine ganze Kraft zusammen, um so aufrecht wie möglich die Hölle zu verlassen, nur um sie gegen eine andere einzutauschen. Für diesen Moment hatte er sich vorgenommen, diesem Wood zu zeigen, dass er immer noch seinen Stolz und seine Würde besaß und doch hämmerte ihm der Puls bis in sein Hirn. Er war nicht mehr in der Lage, die nötige Kraft aufzubringen, sich vorzustellen, was jetzt passieren würde, und ließ einfach alles zu.

»Los, Klamotten runter!«, keifte Peggy. Wie in Trance versuchte Charlotte, sich zu entblößen, aber ihre Hände waren nicht fähig, nach ihren Sachen zu greifen, geschweige denn festzuhalten. Immer wieder rutschten ihre Hände ab und glitten tatenlos nach unten.

»Los, Klamotten runter, habe ich gesagt!« Peggy riss der Geduldsfaden. Wild mit den Armen fuchtelnd, schrie sie Charlotte an, und als sie endlich bemerkte, dass das Mädchen gar nicht dazu fähig war, legte sie selbst Hand an. Als Charlotte nackt war, schubste Peggy die Zwölfjährige durch eine offene Tür in einen langen schmalen Raum. Tim hatte sich währenddessen seiner von Blut, Urin und Kot durchtränkten Sachen entledigt und folgte wortlos Peggys Anweisungen. Die rechte Seite des schmalen Raumes war komplett verglast. Auf den Jungen wirkte es wie ein Schaufenster, in dem Ware präsentiert wurde. Als er nähertrat, erkannte er, dass es sich um einen riesigen Spiegel handelte.

Wozu?, fragte er sich im Stillen. Dann dämmerte es ihm. Früher hatte er gern Krimis, Thriller oder Horrorfilme gesehen. Früher! Also noch vor wenigen Tagen. In einer anderen Zeit. Einer anderen Welt. Was er im Spiegel sah, war nicht mehr er, sondern ein halbverhungerter Junge, der bald sterben würde. So oder so.

Auf der anderen Seite dieses Einwegspiegels glotzten wahrscheinlich irgendwelche Perversen auf seinen nackten Körper und den von Charlotte. Was sie wohl wert war? Ein zwölfjähriges Mädchen, den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Tim war alt genug, um zu wissen, was ein Pädophiler war.

Eine Tür öffnete sich. Walther Wood steckte den Kopf herein und grinste. »Der Kerl da will euch beide kaufen«, flüsterte er und gab Peggy ein Zeichen. Tim konnte einen kurzen Blick auf einen muskulösen Mann in einem schwarzen Hoodie erhaschen. Sein Kopf war kahlgeschoren und ein Dreitagebart zierte sein ernstes Gesicht. Zu gern hätte Tim die Unterhaltung zwischen diesem Fremden und Walther Wood belauscht, um eine Ahnung davon zu haben, was ihn erwarten könnte. Doch der Raum war offensichtlich schallisoliert. Kein Wort drang durch die Wand oder diesen widerlichen Spiegel.

»Na los! Anziehen!«, hörte er Peggys schrille Stimme und noch etwas anderes. Nur dumpf, kaum wahrnehmbar. Ein Poltern?

Peggy hatte es wohl auch gehört. Vorsichtig öffnete sie die Tür neben dem Spiegel und erstarrte. Im Augenwinkel sah Tim, wie der Unbekannte ein Messer mit voller Wucht in den Kopf seines Peinigers trieb. Peggy schloss leise die Tür, dann wurde sie hektisch. Ohne ein Wort zerrte sie Charlotte, die immer noch nackt war, hinter sich her, gab Tim einen Tritt und damit den Befehl, ihr zu folgen.

Etwas passierte hier. Etwas, das Tim nicht einzuschätzen vermochte. War das ein Überfall? Oder etwa …? Nein, das war nicht möglich. Wer sollte ihn retten? Der Typ mit dem Messer war kein Polizist. Und selbst wenn, wäre er wohl kaum allein hier. Da gab es Sondereinsatzkommandos, die Häuser stürmten. So etwas kannte Tim aus dem Fernsehen. Nein, der Typ musste jemand sein, der höchstwahrscheinlich noch brutaler war als Walther Wood. Deshalb folgte er Peggy. Er musste sich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Tims Großvater hatte diesen Vergleich oft erwähnt, erst jetzt begriff der Junge, was er damit gemeint haben könnte.

Peggy schleifte Charlotte durch einen dunklen Gang und schließlich in ein Zimmer, in dem ein großes Bett stand. »Ihr verhaltet euch still! Mucksmäuschenstill! Hast du mich verstanden?«, flüsterte sie und gab Tim einen weiteren Tritt. Dann verschloss sie die Tür. Er hörte, wie es im Schloss knackte.

Sobald Peggy verschwunden war, setzte sich Tim zu Charlotte aufs Bett. Sie lag da, als wäre sie tot. Vermutlich war sie wieder ohnmächtig geworden. Durch Tims Kopf rasten die jüngsten Ereignisse, die er so wenig verstand wie sein Schicksal.

Ein Schrei zerriss die Stille. Peggy brüllte wie am Spieß, verstummte dann aber abrupt. Wieder war es still. Unheimlich still!

Dann wurde es laut. Ein Quietschen, wenig später ein lautes Klopfen. Jemand hämmerte gegen die Tür, warf sich dagegen.

Jetzt wird er uns töten, vermutete Tim. Ein Wimmern entrann seiner Kehle, das er nicht unterdrücken konnte. Charlotte weinte.

Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, dann ein zweiter, dritter … Die Tür flog auf. Der Typ mit der Glatze und dem schwarzen Hoody kam ins Zimmer. In seinem Gesicht sah Tim rote Spritzer, seine Hände waren voller Blut. Schweren Schrittes kam er herein, schaute sich um.

»Lasst uns verschwinden!« In seiner Stimme klang Zorn. Charlotte zuckte zusammen, weinte, dann verlor sie das Bewusstsein. Die Glückliche! Der Typ nahm sie in die Arme. Was hatte er vor?

»Kannst du laufen?«, fragte er und sah plötzlich gar nicht mehr so brutal aus. Was bedeutete das? Tim nickte, machte einen Schritt, doch dann verließen ihn die Kräfte

»Ich werde dich jetzt anfassen«, sagte der Typ. Instinktiv schreckte Tim zurück.

»Nein, nicht so! Wir müssen hier raus, deshalb werde ich dich tragen. Okay?«

Wieder nickte Tim. Der Mann ging in die Hocke, griff Tims Beine und schob sich den zitternden Leib über die Schulter. Tim wagte immer noch nicht zu glauben, was gerade passierte. War es möglich, dass er heute nicht sterben würde? Konnte es tatsächlich sein, dass dieser Typ ihn aus der Hölle befreite?

»Halte dich fest!«

Tim tat es. Er krallte beide Hände in diesen schwarzen Hoody. Der Mann drückte Charlotte behutsam an sich, stand auf und lief durch den dunklen Gang. Vorbei an der Eisentür, vorbei an den Leichen der Monster, eine Treppe hinauf ins Freie.

»Wer bist du?«, fragte Tim, der sein Glück immer noch nicht fassen konnte.

»Ich bin ein Stein, der alles ins Rollen bringt.«