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Torsten Schwarz

Herausgeber

LEITFADEN
personalisierte
Dialoge

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Print: ISBN 978-3-943666-09-0

Epub: ISBN 978-3-943666-23-6

PDF: ISBN 978-3-943666-24-3

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 marketing-BÖRSE GmbH

Melanchthonstr. 5

D-68753 Waghäusel

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Umschlaggestaltung und Layout: Maren Wendt, Hamburg

Satz: Peter Föll, Karlsruhe

Druckproduktion: Winfried Becker, Fulda

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem und chlorfreiem Papier

Printed in Germany

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Vorwort

Es kommt Bewegung ins datengetriebene Marketing. Immer mehr Unternehmen wird klar, dass Digitalisierung Wettbewerbsvorteile verspricht. Daher wird endlich auch im Marketing mehr investiert, um die eigene Kundenansprache zu verbessern.

Baustellen gibt es zuhauf. Sei es der Kundenservice, der zu teuer und zu schlecht ist, oder die Werbung, die an der Zielgruppe vorbei geht. Die Daten sind vorhanden, was fehlt, ist die Fähigkeit, daraus die richtigen Handlungen abzuleiten. Dieses Buch möchte Wege aufzeigen, wie Unternehmen ihre Kunden persönlicher ansprechen.

Das Bild von Daten als dem Öl des 21. Jahrhunderts hat seine Berechtigung. Im letzten Jahrhundert haben wir gelernt, eine Vielzahl wertvoller physischer Produkte zu entwickeln, die alle auf der Veredelung von Erdöl basieren. Genauso müssen wir nun lernen, Daten als Rohstoff zu betrachten, den wir veredeln. Hier kommt dem Marketing eine Sonderrolle zu. Der Grund: Durch Internet und Smartphone gibt es eine Explosion von Nutzerdaten, die nur darauf warten, zum Nutzen des Kunden ausgewertet zu werden.

Big Data wird eingesetzt, um aus einer für Menschen nicht mehr überschaubaren Datenmenge Gruppen von Kunden zu extrahieren, die gleiche Interessen haben. Predictive Targeting ermöglicht es, die wirkungsstärkste Werbebotschaft zu ermitteln. Die Reisesuchmaschine Kayak analysiert ihren Datenschatz, um Kundenvorlieben zu ermitteln. Frankfurter suchten die meisten Hotels in Rom, Berliner zieht es nach Amsterdam. Fintech-Start-ups wie Flypper, Coya oder Element verbessern das digitale Erlebnis von Kunden beim Kontakt mit Versicherungen.

Hinter vielen Entwicklungen steckt künstliche Intelligenz: Maschinen lernen aus eigenen Erfahrungen. Google Lens ist eine Kamera, die Blumen identifizieren kann, sich aber auch vollautomatisch in ein WLAN einwählen kann, indem man sie auf ein Passwort richtet. Mit Google Home, Alexa und Cortana beginnt gerade die Ära der Sprachkommunikation. Kein mühsames Eintippen mehr, sondern Systeme, die den Menschen verstehen. Der erste Schritt in diese Richtung sind Chatbots.

Viele weitere Schritte, die Sie konkret angehen können, erfahren Sie in diesem Buch. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg in die digitale Zukunft.

Torsten Schwarz

Waghäusel, im Oktober 2017

Inhalt

Personalisierung wird zur Pflichtaufgabe

Torsten Schwarz

1. Die richtigen Personen auswählen

Die Herren der Daten

Tim Cole

Relevanz im Dialog

Christian Huldi

Anonymisierung und Pseudonymisierung

Daniela Duda

Effiziente Personalisierung: Personas reloaded

Frank Puscher

Predictive Targeting

Dennis Proppe

2. Den passenden Zeitpunkt herausfinden

Customer Lifecycle und Customer Value optimieren

Stefan Schulte

Personalisierte Customer Journey durch Marketing Automation

Alexander Körner

Echtzeit – Die 1. Liga des personalisierten Dialogs

Frank Ueffing, Matthias Meyer

3. Auf dem gewünschten Kanal ansprechen

Cross-Channel-CRM – Potenziale und organisationale Herausforderungen

Annett Wolf

International Customer-Experience-Management

Cecilia Floridi

Chatbots für personalisierte Dialoge

Peter Gentsch

Erfolgsfaktoren von Influencer-Marketing

Stefan Ramershoven

Programmatic Creativity – die Rolle der Kreativen

Jürgen Seitz

Personalisierung im Marketing: die Antwort des EU-Datenschutzrechts

Jens Eckhardt

4. Praxisbeispiele

Mehr Umsatz durch Personalisierung

Klingel setzt auf personalisierte Paketbeilagen

Jan Lippert

Runtastic – 90 Millionen individuelle Fitnesspläne

Philip Nowak

Esprit generiert echte Empfehlungen für Outfits

Andreas Landgraf

Passende Ad-Zielseiten für jeden Shopbesucher

Olaf Brandt

Mit Lifecycle-Marketing den richtigen Moment finden

baby-walz: Individueller Prospektversand überzeugt

Stefan Oertel

Uniserv gewinnt automatisch mehr neue Kunden

Martin Philipp

Customer Journey erfassen – passende Angebote machen

Die Customer Journey im Handel erfassen

Ingo Ax

Predictive Marketing in der Automobilindustrie

Rémy Jugault

Im Tourismus die richtigen Kunden finden

Jörg Beinlich

Persönliche Empfehlungen wirken nachhaltig

Zufriedene Stromkunden sagen‘s gerne weiter

Jens Rode

Persönlich ins Ronald McDonald Haus einladen

Axel Marciniak

Handelskammer hat personalisierte Empfehlungen

Christian Regner

5. Anhang

Autoren

Stichworte

Personalisierung wird zur Pflichtaufgabe

Torsten Schwarz

http://www.marketing-boerse.de/Experten/details/Torsten-Schwarz

Wer Kunden gewinnen und halten möchte, sollte diese auch persönlich ansprechen. Salesforce hat 7000 Verbraucher befragen lassen und das Ergebnis ist klar: 52 Prozent würden den Anbieter wechseln, wenn dieser es nicht schafft, sie persönlich anzusprechen [1]. Was aber heißt das konkret und wie weit müssen Unternehmen gehen, um den Kundenwünschen zu entsprechen?

Korrekte Anrede verwenden

Es ist erwiesen, dass Menschen ihren Namen mögen und gerne lesen. Also sprechen Sie Ihre Kunden auch mit Namen an. Es ist kein Problem, neben der E-Mail-Adresse auch noch Anrede, Vor- und Nachnamen zu erfragen. Aber bitte nicht als Pflichtfelder. Wer das nicht will, wird neutral angesprochen. Gerade wurde ich vom Veranstalter einer Datenmarketing-Konferenz so angeschrieben: „Sehr geehrte(r) Frau/Herr Schwarz Herr,“. Das muss nicht sein.

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Abb. 1a: Datenerhebung Schritt 1: E-Mail-Adresse erfragen und prüfen.

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Abb. 1b: Datenerhebung Schritt 2: Daten für die persönliche Ansprache abfragen.

Der Vorteil einer zweistufigen Datenerhebung: Sie können zunächst die E-Mail-Adresse prüfen, um Rückläufer zu vermeiden und damit die Datenqualität zu sichern. Payback macht das vorbildlich und prüft sogar, ob ein Account bei einer bestehenden Domain wirklich aktiv ist.

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Abb. 2: Payback prüft, ob eine Adresse wirklich aktiv ist.

Sobald Sie von Ihren Interessenten den Namen und die korrekte Anrede haben, können Sie sicher sein, dass Ihre Ansprache deutlich persönlicher beim Leser ankommt. Auch im Newsletter gibt es dann keinen Grund mehr, auf das persönliche Anschreiben zu verzichten. Wer seinen Namen nicht angeben möchte, wird einfach neutral angesprochen.

Der Name kann als Text verwendet werden, ebenso jedoch auch in Form von Bildern. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Den Namen in den Sand gemalt, mit Rosen ausgelegt oder als Wolken am Himmel.

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Abb. 3: SportScheck begrüßt Kunden persönlich.

Technische Voraussetzungen schaffen

Richtig los geht es mit der Personalisierung erst, wenn die Software-Infrastruktur stimmt. Mindestens Customer Relationship Management (CRM) und E-Mail-Service-Provider (ESP) sollten miteinander verbunden sein. Um saubere Stammdaten zu erhalten, gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die Dubletten erkennen können und Datenschrott vermeiden. Die korrekte Anrede kann in vielen Fällen auch automatisiert aus der E-Mail-Adresse extrahiert werden.

Sobald die Stammdaten fehlerfrei sind, können sie zwecks besserer Personalisierung mit anderen Systemen verknüpft werden. Weitere relevante Daten finden sich im CMS (Content Management System) und im Web-Analytics-System. Tim Cole beschreibt im ersten Beitrag, worauf man achten sollte, wenn man im eigenen Unternehmen an die richtigen Daten kommen will.

Den Datenschutz beachten

Bevor Sie jetzt voller Begeisterung den Datenstaubsauger spielen: Vorsicht! Personendaten dürfen Sie nur speichern, wenn der Betroffene dem zugestimmt hat und es einem konkreten Zweck dient. Rechtsanwalt Jens Eckhardt erläutert im letzten Beitrag anschaulich, worauf es nach der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung ankommt. Eine korrekte Einwilligung heißt, dass ein Kunde weiß, was Sie mit den Daten anfangen.

Bei der Neukundengewinnung arbeiten Sie mit anonymen Daten. Sie wissen also gar nicht, welche Person genau hinter einem Profil steckt. Frank Puscher beschreibt in seinem Beitrag, wie Sie mit anonymen Personas Neukunden präzise auswählen und sehr persönlich ansprechen. Bei der Analyse der eigenen Kunden können Sie die Daten pseudonymisieren. Daniela Duda erklärt im dritten Beitrag, wann Personalisierung und wann Anonymisierung ratsam ist. Wenn Sie Nutzungs- und Nutzerdaten zusammenführen, benötigen Sie eine Einwilligung. Wenn Sie das von einem Webbesucher zuletzt angesehene Produkt in seinem persönlichen Profil speichern, brauchen Sie dazu die Zustimmung des Nutzers.

Personalisierung sollte die Relevanz steigern

Wie Personalisierung dazu beitragen kann, die Relevanz von Marketingbotschaften zu verstärken, zeigt der Beitrag von Christian Huldi. Das heißt nicht immer, dass jeder andere Inhalte bekommt. Sondern es heißt, dass der Sender einer Botschaft ganz genau weiß, was den Empfänger interessiert. Nutzen Sie jede Chance zum Dialog mit Ihren Kunden, um deren Wünsche, Vorlieben und Probleme kennenzulernen. Manchmal kann eine gut gemachte Massenbotschaft persönlicher rüberkommen, als wenn mir jemand lieblos ein Foto des zuletzt angeschauten Produkts präsentiert.

Es gibt einen einfachen Trick, mit dem Sie geschickt eine persönliche Note vorgaukeln: Bildpersonalisierung. Wenn der Baumarkt in den grünen Rasen meinen Namen prägt oder der Blumenhändler meinen Namen in Rosen auslegt, dann steckt dahinter ein einfacher Softwarealgorithmus. Bei Wonderlandmovies.de gibt es das sogar als Film. Oder Sie arbeiten mit dem vertrauten Wohnort des Empfängers: „Das schnelle Internet bald auch in Waghäusel“. Oder Sie fügen eine Anfahrtsskizze zu nächsten Filiale bei. Den Namen können Sie auch verwenden, um ganz persönlich zum Namenstag zu gratulieren.

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Abb. 4: Einfügen des Ortsnamens in ein Bild und in den Text bei 1&1.

Die richtigen Personen auswählen

Relevanz entsteht, wenn die richtigen Personen die richtige Botschaft erhalten. Dazu können entweder die Inhalte personalisiert werden, so dass Sie zu den Personen passen oder es werden Personen ausgewählt, die zu den Inhalten passen. Der erste Ansatz ist aufwendig und mit viel Technik verbunden, der zweite oft einfacher realisierbar. Dazu wird geschaut, ob es im Empfängerkreis Gruppen gibt, die sich ähneln. Von Segmentierung wird gesprochen, wenn relativ einfach nach klar definierten Merkmalen unterschieden wird: Geschlecht, Alter, Einkommen oder Sprache können zur Differenzierung genutzt werden. Oft wird auch mit einer großen Menge an für Menschen schwer überschaubaren Merkmalen gearbeitet. Diese werden dann mit multivariaten statistischen Methoden analysiert und in Gruppen eingeteilt (geclustert). Aufgrund der Vielfalt der eingesetzten Daten wird hier von „Big Data“ gesprochen – insbesondere, wenn dabei auch noch Echtzeitdaten zum Einsatz kommen.

Kunden segmentieren

Es muss nicht immer gleich Personalisierung sein – Hauptsache, das Angebot passt zum Kunden. Was sollen Männer mit Damenschuhen oder Hundebesitzer mit Katzenfutter? Johnny Cupcakes hat allein durch Geschlechtersegmentierung mit einem Mailing 141 Prozent mehr Umsatz gemacht. Interessant daran: Die Klickrate stieg gar nicht so stark. Dafür aber war die Rate derer, die anschließend kauften, deutlich höher, wenn Frauen und Männer mit unterschiedlichen Bildern angesprochen wurden.

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Abb. 5: Johnny Cupcakes steigerte Umsatz durch Einsatz unterschiedlicher Bilder.

Welche großen Segmente gibt es bei Ihnen? Gibt es Gruppen, die sich freuen, wenn sie spezifisch von Ihnen adressiert werden. Wo ist es sinnvoll, die Menschen unterschiedlich anzusprechen? Expedia hat zwei unterschiedliche Urlaubstypen differenziert: Die einen wollen faul abhängen, die anderen suchen Abenteuer und möchten etwas entdecken. Dazu gab es noch eine Differenzierung nach Alter und Geschlecht. Heraus kamen acht Segmente, die jeweils unterschiedliche Texte und Bildwelten erhielten.

Personas definieren

Mit soziodemografischen Daten zu arbeiten ist zweifellos sinnvoll. Ein spannender Ansatz ist jedoch auch, sämtliche vorhandenen Daten in ein Softwaresystem zu laden und mit multivariater Statistik Cluster zu bilden. Diese Cluster werden dann von Mitarbeitern interpretiert, die die Kunden gut kennen. Dabei kommen oft überraschende Gruppen zustande, auf die ein Mensch alleine nicht unbedingt gekommen wäre. Frank Puscher erläutert das Persona-Modell in seinem Beitrag ausführlich. Diese Personas verbindet, dass sie jeweils auf die gleichen Werbebotschaften reagieren.

Im US-Wahlkampf wird diese Technik eingesetzt, um Wählersegmente zu bilden, welche auf die gleichen Wahlbotschaften reagieren. Mit Microtargeting werden beispielsweise einzelne Wählergruppen wie „umweltbewusste Konservative“ gezielt mit passenden Argumenten versorgt. Unternehmen wie Cambridge Analytica sorgten dafür, dass Menschen unterschiedliche Botschaften zum Beispiel über geplante Waffengesetze bekommen haben, die Ängstlichen mit dem Argument der Verteidigung und Konservative mit verklärenden Bildern über Wildwestromantik.

Die Methode wurde vom Stanford-Professor Michal Kosinski entwickelt. Er zeigte schon 2012, dass man aus durchschnittlich 68 Facebook-Likes eines Users vorhersagen kann, welche Hautfarbe er hat (95-prozentige Treffsicherheit), ob er homosexuell ist (88-prozentige Wahrscheinlichkeit), ob Demokrat oder Republikaner (85 Prozent) [2].

Dennis Proppe erläutert in seinem Beitrag, wie man mit Predictive Targeting seinen eigenen Kundenbestand analysiert, um herauszufinden, wer auf welche Werbebotschaft mit welcher Wahrscheinlichkeit reagiert.

Lifecycle erfassen

Die Welt ist nicht statisch. Einer Schwangeren verkauft man keine Windeln und einem Rentner keine Klettertour. Wer gerade ein Auto gekauft hat, braucht kein zweites und wer sein Studium beendet hat, baut nicht gleich ein Haus. Wer es versteht, seine Daten richtig zu analysieren, weiß, in welchem Stadium sich seine Kunden gerade befinden. Ein erboster US-Vater beschwerte sich im Supermarkt, dass seine Teenager-Tochter mit Coupons für Babykleidung und Kinderbetten überhäuft wurde. Am Ende stellte sich heraus, dass sie schwanger war und ihr Vater es nicht wusste. Das Muster ihrer Einkäufe verriet sie [3].

Viele Produkte werden nicht „einfach so“ gekauft. Wer eine Reise, ein Haus oder eine Fabrikhalle plant, geht strategisch vor. Erst werden Informationen eingeholt, dann werden Anbieter recherchiert und schließlich Angebote eingeholt. Dann kann noch einmal Zeit vergehen, bis die Entscheidung fällt. Wer genau weiß, in welcher Phase des Lebenszyklus sich seine Kunden befinden, kann bessere Angebote machen. Stefan Schulte beschreibt in seinem Beitrag die sechs Phasen: Akquisition, Willkommensphase, Neukundenphase, Entwicklungsphase, Bestandskundenphase und Rückgewinnungsphase. Wer diesen Zyklus nicht kennt und versteht, ist verloren. Wer dagegen weiß, welche Form von Informationen in welchem Stadium auf das größte Interesse stoßen, ist im Vorteil.

Etwas anders als bei privaten Verbrauchern ist die Situation bei der Beschaffung von Investitionsgütern. Hier dauert es sehr viel länger, bis eine Kaufentscheidung getroffen wird und es sind meist viele Akteure an einer solchen Entscheidung beteiligt. Alexander Körner beschreibt in seinem Beitrag die Lebenszyklusphasen im B2B. Das beginnt mit einer Orientierungsphase, in der Informationen zum Thema eingeholt werden. Sodann folgt die Lernphase, in der Wissen gesammelt wird. Erst dann können Anforderungen definiert und eventuell passende Lösungen oder Anbieter recherchiert werden. Schließlich folgt die Auswahlphase, in der es konkret darum geht, sich für einen Anbieter zu entscheiden.

Um den Interessenten in all diesen Phasen zu begleiten, werden jeweils passende Informationen in Form von Fachartikeln, Infografiken, Videos und Whitepaper über Webinare, Apps und Advertorials bis zu Bedarfsrechnern, Konfiguratoren und Erfahrungsberichten Dritter bereitgestellt. Aus den vom Kunden abgerufenen Inhalten lassen sich Rückschlüsse auf Interessensschwerpunkte treffen. Auch lässt sich darauf oft ableiten, auf welche Stufe des Lebenszyklus sich ein Kunde gerade befindet.

Marketing Automation einführen

Multivariate Analysen des eigenen Kundenbestandes sind nicht jedermanns Sache. Ein pragmatischer Ansatz zu mehr Personalisierung sind automatisierte Kampagnen. Der einfachste Fall ist eine Begrüßungsstrecke für neue Kunden. Es können aber auch Menschen gezielt angesprochen werden, die eine Aktion begonnen, aber nicht vollendet haben. Warenkorbabbrecher-Kampagnen sind heute bei den meisten Händlern Standard. Es gibt aber auch ganz andere Trigger: Wartungsintervalle (TÜV-Erinnerung), Geburtstage, Jubiläen, Inaktivität, Produktinteresse, Garantieablauf oder ein Update. Manche Unternehmen haben über zehn Anstoßketten definiert, entlang derer von der Empfängerreaktion gesteuerte Sequenzen von Botschaften verschickt werden.

Eine wichtige Anwendung von Marketing Automation ist gezieltes Lifecycle-Management. Am weitesten verbreitet ist die Automation der Neukundengewinnung: Das CRM-System liefert der Data-Management-Plattform (DMP) Informationen über bestehende Kunden. Daraus entwickelt die DMP eine Strategie für die Ansprache neuer Kunden auf den diversen Plattformen. Infrage kommt das System Google mit SEO, SEA und dem Display-Netzwerk. Ebenso lohnt es sich natürlich auch, Nutzer im Facebook-Netzwerk anzusprechen. Bei Google heißt das entsprechende Programm Customer Match und bei Facebook Custom Audience. Ebenso kann natürlich auf anderen Plattformen über klassisches Programmatic Advertising geworben werden. Jürgen Seitz erläutert in seinem Beitrag, wobei es darauf ankommt.

Sobald sich die neuen Interessenten auf dem eigenen System registriert haben, beginnt die Phase des Lead Managements. Nun muss kein teures Geld mehr auf Fremdportalen ausgegeben werden, sondern es zählt allein die eigene Intelligenz: Wer seine Interessenten mit unpassenden Informationen in zu hoher Frequenz bombardiert, vergrault sie. Wem es dagegen gelingt, im richtigen Moment die jeweils passenden Informationen zu liefern, erhöht seine Chancen als Anbieter.

Wenn das automatisierte Lead Management gut funktioniert, können sich die Vertriebsmitarbeiter einloggen, und sehen gleich oben in der Liste den Interessenten, bei dem ihr Anruf mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu einem „Sie rufen genau in richtigen Moment an!“ führt.

Kunden auf dem gewünschten Kanal ansprechen

Kunden haben meist auf mehreren Kanälen Kontakt zu Unternehmen. Das Problem der Unternehmen besteht darin, diese Kontaktpunkte adäquat abzubilden. Nach wie vor hat TV eine relativ hohe Reichweite, aber wie kann ich wissen, ob der Kunde, der gerade meinen Onlineshop betritt, über TV oder ein Plakat auf mich aufmerksam wurde? Mit allen Mitteln versuchen Unternehmen heute, die Wirkung der einzelnen Touchpoints zu quantifizieren. Das ist wichtig, weil es um die richtige Zuordnung von Werbebudgets geht. Matthias Ehrlich will mit Exaring adressierbares TV mit einem eigenen Glasfasernetz auf den Markt bringen. SilverPush kann mit „Audio Beacons“ herausfinden, welchen TV-Spot Sie gesehen haben. Immer mehr Ansätze eines Cross-Device-Tracking werden entwickelt.

Annett Wolf beschreibt in ihrem Beitrag, wie Cross-Channel-CRM realisiert werden kann. Das Problem erschöpft sich längst nicht mehr in der Attribution der Werbekanäle. Heute finden die meisten Kaufvorgänge unter Beteiligung von mindestens zwei Kanälen gleichzeitig statt. Dieses Omnichannel-Marketing, also das Beherrschen von zwei Kanälen simultan, stellt eine der ganz großen Herausforderungen für Unternehmen dar.

Frank Üffing und Matthias Meyer beschreiben die Herausforderungen, die sich aus den Anforderungen des Echtzeitdialogs ergeben. Die Erfahrung des Kunden muss in allen Kanälen gleichermaßen angenehm sein. Cecilia Floridi beschreibt an konkreten Beispielen, was derzeit auf das Customer Experience Management zukommt. Sie zeigt an vier Punkten, was Kunden heute fordern:

Mit Mobiltelefonen oder Tablets in der Hand wollen Kunden sich nahtlos zwischen den Kanälen bewegen, um ein Produkt online zu sehen, während sie im Laden oder Zuhause sind.

Die Kunden wollen sich über alle Rabatte informieren, die verfügbar sind, oder recherchieren, ob sie das Produkt oder die Dienstleistung woanders günstiger bekommen. Sie wollen jederzeit wissen, ob sie das Produkt abholen können oder wann sie es geliefert bekommen. Schließlich wollen sie, dass das Erlebte sich so gut anfühlt, dass sie darüber bei Freunden online schwärmen können.

Perfekt personalisieren

Einzelnen Kunden einzelne Botschaften zu senden, die auf den Punkt genau relevant sind, ist nicht leicht. Daher werden noch immer sehr viele Massenbotschaften an den gesamten Kundenstamm verschickt. Nicht immer lohnt sich der Aufwand der Personalisierung. Es gibt jedoch einen Trick. Fast alle Unternehmen versenden heute Newsletter. Solche Newsletter können wunderbar in Elemente aufgeteilt werden, die nach unterschiedlichen Regeln mit Inhalten befüllt werden. Das beginnt mit einem Angebot, das generell aus dem Profil des Kunden abgeleitet wird. Danach folgt ein Produkt, das mit hoher Wahrscheinlichkeit dem entspricht, was aufgrund des Customer Lifecycle jetzt relevant sein könnte. Darauf folgt ein Produkt, das sich aus dem Verhalten beim letzten Besuch auf der Website ableitet. Schließlich folgt noch ein Produkt, das einen regionalen Bezug zum Wohnort des Empfängers hat. Die Krönung ist noch ein Echtzeitangebot zum Zeitpunkt der Öffnung: Regenjacke, Sonnenbrille oder ein Frühstückstipp.

Personalisierte Dialoge mit Chatbots

Neben dem Push-Medium Newsletter werden Pull-Medien stärker an Bedeutung gewinnen: Unternehmen müssen zum Dialog bereit sein, wenn der Kunde das will. Conversational Commerce gewinnt an Bedeutung. Peter Gensch erläutert, was es mit Chatbots auf sich hat. Er prognostiziert weitere Bots-as-a-Service-Konzepte. Unternehmen haben dann nur noch die Aufgabe, die Bots „anzulernen“. Der Bot scannt den Kundeninput nach Keywords, setzt dann nach den fest implementierten Regeln die Wissens- und Textbausteine zusammen und gibt den so generierten Output an den Kunden zurück. Erweiterungen des Systems in Form von neuem Wissen, Regelverknüpfungen, Keyword-Tagging und Textbausteinen müssen programmiert werden. Die intelligentere Form der Bots besorgt sich Informationen auch eigenständig aus Onlinequellen und verbindet diese zu neuem Content. Die KI-basierten Bots werden zudem durch die Antworten und Reaktionen der User gespeist.

Der Mensch bleibt wichtig

Trotz oder wegen Automatisierung und künstlicher Intelligenz werden Menschen als Leitfiguren in Zukunft wichtiger. Influencer Marketing gewinnt an Bedeutung: Diejenigen Menschen für sich gewinnen, deren Stimme wiederum bei vielen Menschen Gewicht hat. Stefan Ramershoven erklärt die Erfolgsfaktoren von Influencer Marketing.

Literatur

[1] Fourth annual State of Marketing report 2017, Insights and trends from 3500 global marketing leaders. 51 Seiten. Salesforce Research. https://www.salesforce.com/blog/2017/06/fourth-annual-state-of-marketing-report.html – Zugriff 11.10.2017.

[2] Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt – Das Magazin N°48 – 3. Dezember 2016. https://www.dasmagazin.ch/2016/12/03/ich-habe-nurgezeigt-dass-es-die-bombe-gibt/ – Zugriff 11.10.2017.

[3] Charles Duhigg: How Companies Learn Your Secrets. The New York Times Magazine 16.02.2012. http://www.nytimes.com/2012/02/19/magazine/shopping-habits.html – Zugriff 11.10.2017.

Schwarz, T. (2015): Big Data im Marketing, Haufe, 325 Seiten.

1

DIE RICHTIGEN PERSONEN AUSWÄHLEN

Die Herren der Daten

Relevanz im Dialog

Anonymisierung und Pseudonymisierung

Effiziente Personalisierung: Personas reloaded

Predictive Targeting

Die Herren der Daten

Tim Cole

http://www.marketing-boerse.de/Experten/details/Tim-Cole

Die Digitale Transformation beginnt und endet zwar in der Chefetage, aber dazu ist der Boss auf Hilfe angewiesen. Die alles entscheidende Frage lautet deshalb: Wer sorgt dafür, dass Führungskräfte den Überblick behalten und die richtigen Weichen stellen können?

Das ist die Aufgabe des Controllings, nämlich Transparenz zu schaffen und vor Risiken zu warnen. Leider eilt diesem Berufsstand aber nicht zu Unrecht der Ruf nach, hauptsächlich aus Erbsenzählern zu bestehen, und ihre Mitglieder fühlen sich deshalb oft ungeliebt. Dieses Vorurteil hat sich auch tief in die Selbsteinschätzung vieler Controller eingegraben. Und auch wenn sie heute nicht mehr mit Ärmelschonern herumlaufen, so sind doch viele Controller eher gewohnt, nach hinten zu schauen als nach vorn. Das muss sich aber ändern, wenn Unternehmen im Zeitalter von Big Data und Predictive Analysis die Orientierung behalten wollen.

Controller müssen lernen, Daten als Teil des Firmenvermögens zu verstehen und sie in den Dienst der strategischen Unternehmensführung zu stellen. Er oder sie muss verstehen, dass Daten eine Quelle von strategischen Erkenntnissen über die Zukunft der Unternehmen sind. Und Controller müssen vor allem umdenken. Sie müssen denken wie ein CDO, ein „Chief Digital Officer“ – eine Stelle, die wie für sie geschaffen scheint.

Der Seufzer von Siemens-Chef Heinrich von Pierer ging um die Welt: „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß“, so der legendäre Vorstandschef, „dann wären unsere Zahlen noch besser.“ Das war auf der Bilanzpressekonferenz von Deutschlands größtem Technologiekonzern in München – im Jahre 1995!

Tatsächlich schlummern in jedem Unternehmen ungeahnte Schätze in Form von digitalen Informationen. „Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts“, schrieb der niederländische Gründer und Finanzier Joris Tonders von Yonego, einem Spezialisten für Internet-Marketing, im amerikanischen Kultmagazin Wired.

Daten sind heute ein Teil des Betriebsvermögens, wie Maschinen, Gebäude, Rohstoffe und Fahrzeuge. Nur sehen das viele Unternehmer und Manager nicht so. Für sie ist das Sammeln und Verarbeiten von Daten kein Teil der Gewinnstrategie, sondern ein Kostenfaktor. Doch damit kommt man im Digitalzeitalter nicht weiter.

Controller arbeiten ihr Leben lang mit Daten. Sie sichten und sammeln sie, bewerten sie und versuchen, anhand einer Vielzahl von Indikatoren und Werttreibern herauszufinden, wie das Unternehmen in der Vergangenheit gewirtschaftet hat und ob man „im Plan“ ist. Doch das bedeutet ja, dass Controller ständig nach hinten schauen müssen. Im Zeitalter der Digitalen Transformation genügt der rückwärtig gewandte Blick aber nicht mehr. Controller müssen lernen, nach vorne zu schauen und verlässliche Vorhersagen über die Chancen zu machen, die sich dem Unternehmen in der Zukunft bieten werden. Sie müssen künftige Risiken erkennen und diese auch kalkulieren können, um das Management rechtzeitig zu warnen, bevor das Schiff auf ein Riff fährt. Sie müssen die Strategie des Unternehmens überblicken und wissen, wie man es auf Erfolgskurs bringt.

Dazu brauchen sie Daten – Unmengen von Daten. Jedenfalls viel, viel mehr als je zuvor. Wenn es ihnen gelingt, die Datenflut zu bändigen, werden sie in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Aus den Erbsenzählern von einst werden mächtige Herren der Daten!

Schluss mit den digitalen Müllhalden

Daten kommen heute in vielen Formen und Formaten daher: als Einträge in Datenbanken, aber auch per Mail, Fax oder als Tonaufnahmen, etwa von Unterhaltungen zwischen Kunden und Callcenter-Mitarbeitern. Fachleute sprechen von „nicht-kodierbaren Daten“, und sie liegen in fast jedem Unternehmen bis heute brach – riesige digitale Müllhalden, ungenutzt und ungeliebt.

Das Geschäftsmodell von Daniel Fallmann ist deshalb sozusagen ein Teil der Abfallwirtschaft: das Recyceln digitaler Datenberge. Der Chef der Linzer Firma Mindbreeze möchte eine Art „Google für Unternehmen“ schaffen: Ein System, das tief in das Innerste von Systemen eindringt und die dort schlummernden Informationsschätze durchsuchbar und damit auffindbar macht. Damit will er Chefs und Sachbearbeitern ein Werkzeug in die Hand geben, das vorhandenes Wissen in einen verwertbaren Rohstoff umwandelt – sozusagen die Antwort auf von Pierers 20 Jahre alte Frage: „Was weiß Siemens?“

Fallmanns Lösung ist eine „black box“, ein Gerät, das aussieht wie ein typischer Server und der vollgestopft ist mit Software, die in der Lage ist, Verbindungen zu allen vorhandenen digitalen und semidigitalen Systemen im Unternehmen herzustellen und die dort gespeicherten Daten zu katalogisieren – so wie es die Suchroboter von Google für das globale System des World Wide Web ständig tun.

Damit steht die kleine Firma aus Oberösterreich mit an der Spitze einer weltweiten Bewegung, die sich etwas irreführend „Big Data“ nennt – ein Begriff, den nur ein technikverliebter Computerfreak lieben kann. Jeder andere denkt dabei unwillkürlich an George Orwells schaurigen Zukunftsroman 1984 und an den Big Brother, der Herrscher über einen utopischen Unrechtsstaat, in der Bürger ausgespäht, verfolgt und am Ende gleich- oder ausgeschaltet werden – eine Vision, die mit den Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowdon eine ungewollte Aktualität bekommen hat.

Nur: Das Ziel von Big Data ist ja eigentlich gar nicht das Sammeln möglichst vieler Informationen, sondern die Umwandlung des „Rohstoffs“ Information in verwertbares Know-how: Wissen um die Kunden und ihre Vorlieben und Abneigungen, das Wissen um die Abläufe der Unternehmensprozesse und deren Aussteuerung, das Wissen um Reibungsverluste, die es zu vermeiden gilt, um die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen. Es geht, kurz gesagt, um Transparenz.

Die Analysten der Altimeter Group haben eine Definition von Digitaler Transformation geliefert, die genau diese Aufgabe in den Mittelpunkt stellt, nämlich die „Neuausrichtung von Technologien und Geschäftsmodellen, um die Zusammenarbeit mit den digitalen Kunden an möglichst jedem Berührungspunkt mit dem Unternehmen und den Lebenszyklus der Kundenbeziehung zu verbessern“.

Umgekehrt bedeutet das: Nicht jede Investition in Dinge wie Big Data, Social Media oder mobile Anwendungen zahlt sich automatisch aus. Sie müssen im Gesamtzusammenhang des Unternehmens und seiner Geschäftstätigkeit gesehen, eingebunden und nutzbar gemacht werden.

Digitale Transformation hat deshalb im Grunde weniger mit Technologie und mehr mit Infrastruktur, mit Organisationsmodellen und mit Führungsqualität zu tun. Es geht um ein neues Bewusstsein, das vielleicht am besten mit dem Schlagwort „digital first“ beschrieben werden kann: Die Ausrichtung aller unternehmerischen Aktivitäten darauf, den maximalen Nutzen aus dem Einsatz neuer Digitaltechnologien zu ziehen.

Das heißt, nicht das Sammeln von Daten ist wichtig, sondern die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen den Daten zu verstehen. „Eine wesentliche Stärke von Big Data ist die Chance, mit Hilfe des Computers dort Korrelationen und Muster zu erkennen, wo Menschen nur Datenchaos sehen“, wie Daniel Fallmann behauptet. In einem Report der Analystenfirma Gartner über das Mindbreeze-System heißt es: „Maschinen werden in Zukunft intuitiv genug sein, um menschliche Absichten zu verarbeiten, statt nur auf Anweisungen zu reagieren.“

In jedem Unternehmen werden täglich Tausende von elektronischen „Briefen“ empfangen, aber auch „richtige“ Briefe auf Papier mit Unterschrift und Eingangsstempel, die irgendwann – im einen Unternehmen früher, im anderen später, also erst nach der Bearbeitung, gescannt und archiviert werden. Faxgeräte arbeiten heute längst schon zumindest intern digital, aber das Ergebnis wird meistens als Papierdokument abgelegt. Viele Unternehmen betreiben eigene Seiten auf Facebook oder anderen Kanälen im Social Web, die gelesen, gescannt, kategorisiert und dann an die entsprechenden Mitarbeiter weitergeleitet werden müssen. Geschieht das manuell, dauert es viel zu lang, und der Mensch macht nun einmal hin und wieder Fehler, legt die Information falsch ab und vertippt sich ganz einfach. Ergebnis: Die Information ist zwar noch da, aber nicht verwertbar, nutzlos – eben digitaler Müll.

Hier muss das Controlling ansetzen und dafür sorgen, dass alles Wissen, das im Unternehmen vorliegt, erschlossen und eingesetzt werden kann. Als Herren der Daten ist es ihre Aufgabe, die Sicht auf die Datenberge zu verbessern.

Reporting – Unternehmensführung im Rückspiegel

Das wichtigste Werkzeug des Controllers ist heute immer noch Microsofts Tabellenkalkulation Excel. Aber Reporting, jedenfalls klassisches Reporting, zeigt immer nur den Zustand des Unternehmens irgendwann in der Vergangenheit. Spreadsheets sind also so etwas wie der Rückspiegel im Auto: Man kann damit sehen, woher man gekommen ist – aber nicht, wohin man fährt.

Laut einer Umfrage des Institute of Management Accountants (IMA), eine weltweite Vereinigung von Buchhaltern und Finanzaufsehern, wissen die Betroffenen eigentlich längst, wo die Schwächen von Excel & Co. liegen:

63 Prozent bemängeln, dass Tabellenkalkulationsprogramme keine Kollaborationsfunktion besitzen, also keine Möglichkeit, gleichzeitig mit anderen im Unternehmen am gleichen Spreadsheet zu arbeiten.

55 Prozent vermissen eingebaute Genehmigungsverfahren, um sich Ergebnisse von Vorgesetzten digital absegnen zu lassen.

51 Prozent sagen, dass ihre Tabellenkalkulation keine Sicherheitsmechanismen besitzt.

70 Prozent geben zu, dass es keine Versionskontrolle gibt, sie sich also häufig mit veralteter Software herumplagen müssen.

Heimo Losbichler von der Fakultät für Management an der Fachhochschule Oberösterreich in Steyr hält die heutigen Reportingtools für ungeeignet, um angesichts der wachsenden Flut von Daten und der wachsenden Komplexität der Unternehmensabläufe noch den Durchblick zu behalten. Was Unternehmen benötigen, sind mehr und schnellere Informationen, sagt er. Dadurch aber verändere sich die Rolle des Controllers grundlegend: Statt quasi hinter den Abteilungen des Unternehmens her aufzuräumen, sind Controller zunehmend gefordert, den operativen Bereichen und der Firmenleitung den Weg nach vorne zu weisen. „Der Controller wird in Zukunft der Sparringpartner des Chefs sein müssen“, ist Losbichler überzeugt.

Um Mehrwert aus den wachsenden Datenbergen ziehen und damit zentrale Wettbewerbsvorteile für das digitale Unternehmen generieren zu können, muss sich das Reporting zu einem erfolgskritischen Informations- und Steuerungssystem im Unternehmen entwickeln. Ingo Dieckmann von IDL, einem Anbieter von Software im Bereich Finanzwesen und Controlling, ist überzeugt: „Das Reporting muss sich digital transformieren!“

Damit erhält das Reporting aber auch mehr Gewicht innerhalb des Unternehmens und gegenüber der Geschäftsleitung. Dazu muss es sich aber auch für neue Nutzergruppen öffnen. „Reporting bedient immer mehr Berichtsempfänger mit individuellen Informationen und ist damit nicht mehr Privileg exklusiver Nutzergruppen“, sagt Dieckmann. Dadurch verändern sich aber auch die Erwartungen der Adressaten ans Reporting: Menschen, die gewohnt sind, mit Social Media und Cloud-Anwendungen umzugehen, wollen sich nicht mehr durch seitenlange Excel-Tabellen quälen. Sie wollen wichtige Informationen jetzt, und zwar möglichst so aufbereitet, dass sie auf den ersten Blick verständlich sind und konkrete Hilfestellung geben.

Im Controlling der Zukunft wird es, vereinfacht ausgedrückt, nicht mehr so sehr darum gehen, was passiert ist, sondern warum es passiert ist und was das für das Gesamtunternehmen bedeutet. Doch dazu muss das Controlling ganz neue Datenquellen erschließen.

Wie das gehen kann, demonstrierte 2016 die DATEV, eine Genossenschaft der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, die unter ähnlichem Druck stehen, Hand an immer mehr Daten zu legen: Mit „DATEVconnect“ wurde ein System vorgestellt, das den direkten Draht zwischen dem Steuerberater und dem im Unternehmen arbeitenden ERP-Systemen schafft. „Enterprise Resource Planning“, wie sie von Anbietern wie SAP, Oracle oder Sage seit Jahren angeboten werden, dienen bekanntlich dazu, Firmenressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel und Material sowie Informations- und Kommunikationstechnik zusammenzufassen und zu organisieren. Solche Softwaresysteme sind heutzutage die wichtigste Quelle für Unternehmensdaten.

Früher musste die Firmenbuchhaltung Daten über Ein- und Ausgaben sammeln und diese an den Steuerberater weiterleiten. In großen Firmen geschieht das schon seit Jahren digital, in kleineren kann es noch vorkommen, dass die Sekretärin einmal im Monat mit einer Schuhschachtel voll Belege unterm Arm zum Steuerberater geht. Die digitale Steinzeit lässt grüßen.

Die DATEV möchte in Zukunft die Daten dort abzapfen, wo sie entstehen. Das kann zum Beispiel eine Werkzeugmaschine sein, die jedes Mal Vollzug meldet, wenn ein neues Werkstück gefertigt worden ist. Diese Information landet im ERP-System und wird dort bislang zum Buchhaltungssystem weitergeleitet, wo es verbucht und die entsprechende Rechnung ausgestellt wird. Die DATEV möchte sich direkt in diesen Datenstrom einklinken, denn dann kann der Steuerberater die Information direkt in die Gewinn- und Verlustrechnung und später in die Bilanz übernehmen, ohne dass dazu extra ein Beleg ausgestellt und weitergeleitet werden muss.

Wenn der Buchhalter das kann, warum dann nicht das Controlling? Wenn es auch in der Lage wäre, sich die Daten sozusagen direkt von der Maschine zu holen, könnte es sich sozusagen in Echtzeit einen Überblick verschaffen. Das würde die Menge der Daten natürlich vervielfachen, die Controller wären überfordert. Durch den Einsatz von Automation kann die Arbeit des Controllers sozusagen an Kollege Computer delegiert werden. Die Controller könnten sich besser um den eigentlichen Job kümmern, nämlich Sinn aus den Daten zu machen. Dazu müssten Controller nicht einmal ins Büro; sie könnten sich die Ergebnisse zu Hause im Homeoffice oder unterwegs auf dem Laptop, Tablet oder Smartphone anschauen und bearbeiten.

Aber statt solche Chancen aufzunehmen und zu nutzen, fürchten sich gerade Controller viel zu häufig vor der Technik. Sie befürchten, von ihr überflüssig gemacht zu werden. Diese Angst ist irgendwie auch verständlich: Computer können Erbsen viel schneller zählen als ein Mensch. Wenn sich also Controller weiterhin nur als Erbsenzähler sehen, haben sie tatsächlich bald ausgedient.

Automation verändert das Berufsbild des Controllers radikal. Der alte Job, nämlich Zahlen zusammenzutragen und aufzubereiten, wird künftig von der IT-Abteilung erledigt. Dort kann man das ja auch sehr viel schneller und besser. Controller, die sich sozusagen an ihren alten Excel-Tabellen festklammern, machen sich damit also selbst überflüssig.

Es gibt aber andere Aufgaben des Controllings, die viel wichtiger sind. Controller müssen nur bereit sein, die Chancen beim Schopf zu packen.

Ein Beispiel: Wenn die Systeme immer mehr und immer komplexere Daten liefern, steigen die Anforderungen an die Datenqualität enorm. Irgendjemand muss sicherstellen, dass Daten aktuell und relevant sind, und dass sie aus garantiert vertrauenswürdigen Quellen stammen. Das ist heute keineswegs immer gewährleistet. In den sogenannten Verzeichnissen sind die Namen der Anwender oder Kunden festgehalten, aber oft mit völlig unterschiedlichen Schreibweisen. Ist „Hans Müller“ im einen System wirklich der „H. Müller“ im anderen? Konsistenzprüfung und Datenbereinigung ist ebenso wie das Anlegen von sogenannten „Metaverzeichnissen“ eine Aufgabe, die irgendwo im Niemandsland zwischen Controlling und IT angesiedelt ist. Gute Controller sollten sie an sich reißen, denn Daten sind ihr Reich!

Daten müssen außerdem standardisiert und exakt definiert werden, damit alle wirklich über das Gleiche sprechen, wenn sie sich über die Unternehmenszahlen unterhalten. Das sind ebenfalls Kernaufgaben des Controllings, jedenfalls des modernen Controllings. Die Herausforderung besteht darin, ein tiefes Verständnis für das Business und seine Bedürfnisse zu entwickeln. Nur dann kann das Controlling der geforderte Sparringspartner für die Fachabteilungen und die Unternehmensleitung sein.

Daten werden heute in unterschiedlichen Systemen erzeugt und vorgehalten, die berühmten „Daten-Silos“, auf die in der Regel nur die betroffene Fachabteilung Zugriff hat. Irgendjemand muss diese Systeme zusammenführen und integrieren. Auch hier sind Controller gefordert. Sie müssen dazu aber über Fachkenntnisse in der IT-Technik wie in der Prozessoptimierung verfügen – alles Dinge, die zu den künftigen Kompetenzbereichen eines guten Controllers zählen werden. Und schließlich muss sich irgendjemand um die Integrität der Daten kümmern, also den Schutz vor unbefugter Manipulation. Zugangs- und Rechtemanagement sind deshalb ebenfalls Kernaufgaben des „neuen“ Controllings.

Bislang ist das Controlling meistens höflich zur Seite gestanden und hat solche Dinge den IT-Kollegen überlassen. Und es stimmt: Die technische Umsetzung wird auch in der IT-Abteilung bleiben (müssen): Controller sind in der Regel keine Programmierer. Aber die Notwendigkeit, solche Veränderungen zu erkennen und die Umsetzung zu begleiten und zu überwachen, dazu wird in Zukunft der Controller nötig sein. Ist ja schließlich sein Job, das Kontrollieren!

Controlling und Business Analytics – zwei Welten

Wenn sich das Controlling den Anforderungen der Digitalen Transformation stellen soll, dann muss es in der Lage sein, in die Zukunft zu blicken. Nein, nicht mit Hilfe einer Kristallkugel oder mit Tarockkarten. Big Data lässt sich nur mit leistungsfähigen Analysesystemen beherrschen. Wobei hier eine Art „digitaler Dreisprung“ zu erkennen ist: Von der beschreibenden über die vorausschauende Analyse bis hin zu Empfehlungssystemen. Oder, um die englischen Termini zu verwenden: „Descriptive Analytics“, „Predictive Analytics“ und „Prescriptive Analytics“ (Abb. 1).

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Abb. 1: Vorausschauende Analysen werden wichtiger [1].

Deskriptive, oder beschreibende Analyse entspricht der klassischen Reporting-Funktion, die dem Controller von alters her vertraut ist. Sie beschreibt den Status quo, also die historische Entwicklung des Unternehmens, zum Beispiel anhand von Zielabweichungen. Die darauf aufbauende „diagnostische Analyse“ versucht, aus diesen Ergebnissen Ursachen aufzuspüren, zum Beispiel warum liegen die Kosten über Plan oder warum stockt der Abverkauf? Diese sogenannten Plan-Ist-Vergleiche sind heute das Rüstzeug jedes Controllers, und sie werden es auch in Zukunft bleiben. Allerdings lassen sich gerade solche Aufgaben weitgehend automatisieren.

Die durch die Automation gewonnene Zeit wird der Controller in Zukunft für die vorausschauende Analyse, also für „Predictive Analytics“ nutzen – nutzen müssen, wenn er seinen Job nicht verlieren will. Es gibt eine Fülle von Softwaretools, die in der Lage sind, aus den Unmengen von Daten Muster zu erkennen oder Zusammenhänge zwischen scheinbar nicht verwandten Daten zu ziehen. Diese Software muss das Controlling nutzen und beherrschen, um mit Hilfe der entsprechenden Algorithmen nicht nur Prognosen zu wagen, sondern um die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse zu berechnen und die Risikoverteilung zu ermitteln.