Vorwort

Als wir Mönche von Münsterschwarzach von November 2016 bis November 2017 das 1200-jährige Bestehen der Abtei Münsterschwarzach feierten, gestaltete Pater Meinrad Dufner in unserer Abteikirche eine Ausstellung. Diese Ausstellung war weniger eine historisch-chronologische Darstellung der 1200-jährigen Geschichte unserer Abtei als vielmehr eine Aktualisierung und »Verheutigung« des christlichen Glaubens. Mit einbezogen war auch der Chorraum beziehungsweise die Altarwand. Dort hatte Pater Meinrad links neben der großen Figur des auferstandenen Christus eine lange Strickleiter von der Decke hinuntergelassen. Unschwer war diese als Himmelsleiter zu deuten. Das Besondere daran war ihre äußere Gestaltung und die Interpretation des Kunstwerkes. Sie war in eine goldene Rettungsfolie gewickelt, wie sie den meisten von uns aus den Erste-Hilfe-Kästen in PKWs bekannt ist. Schon vom Eingang der Kirche aus war diese goldene Leiter zu sehen, leuchtete den Besuchern entgegen und zog ihre Blicke auf sich. Nicht wenige hatten den Eindruck, dass diese Leiter dort ihren festen Platz hat, so sehr wurde sie als zum Raum passend und als zu unserer Glaubensgeschichte und Lebensgeschichte zugehörig betrachtet.

Die Himmelsleiter erinnert zunächst an die Erzählung über den Stammvater Israels – Jakob – im Alten Testament. Jakob hatte seinem Bruder Esau den Erstgeburtssegen des Vaters Isaak gestohlen. Esau wollte sich deshalb an Jakob rächen und dieser musste fliehen. In Haran schlug Jakob sein Nachtlager auf, legte sich auf einem Stein schlafen und hatte nun den Traum von der »Himmelsleiter«. In diesem Traum erblickte er eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichte und auf der die Engel Gottes auf- und niederstiegen. Von diesem Traum war Jakob so beeindruckt, dass er nach dem Aufwachen sagte:

»Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht.«

Genesis 28,16

Plötzlich hatte er Angst und meinte dann:

»Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.«

Genesis 28,17

Den Stein, auf dem er geschlafen hat, salbt er mit Öl und stellt ihn auf. Sollte sein Gott sich ihm als einer erweisen, der ihn am Leben hält, seine Lebenssituation heil überstehen lässt, dann wollte er an diesen Ort zurückkehren und dem Herrn ein Haus bauen. Jakob versteht, dass der Ort, an dem er gerade ist, Ort der Gegenwart Gottes ist. Er ist an diesem irdischen Platz anwesend und nicht nur »oben« im Himmel.

Ich erinnere mich daran, als ich das erste Mal an einer Führung durch diese Ausstellung von Pater Meinrad teilnahm, dass mir diese noch einmal neu die Augen für meinen Glauben geöffnet hat. Das lag vor allem an dem, was mein Mitbruder erzählte. Er meinte, das Christentum sei eine Religion, deren wesentliches Merkmal es ist, dass der Mensch sich nicht ständig mühen muss, um zu Gott zu kommen, sich einen Zugang zu Gott zu erschließen, Leistungen zu erbringen, damit Gott ihn annimmt. Anders gesagt: Er muss sich nicht ständig den Kopf zerbrechen, wie er zu Gott aufsteigen kann beziehungsweise wie weit er auf der Himmelsleiter Gott schon entgegengeklettert ist. Das Christentum geht vielmehr von der Prämisse aus, dass die grundlegende Bewegung von Gott zum Menschen geht. Er ist, wenn man in dem Bild bleiben möchte, vom Himmel herabgestiegen und schon längst zum Menschen gekommen.

Das entscheidende Ereignis ist die Menschwerdung Gottes in Jesus. Christen glauben, dass in Jesus Gott selbst Mensch geworden ist. Er war den Menschen nahe, hat ihnen seine Liebe, seine Freundschaft geschenkt, hat sie geheilt und aufgerichtet. Den Menschen, denen Jesus begegnet ist, wurde durch diese Begegnung neue Zuversicht, Hoffnung und Kraft geschenkt. In ihm als Mensch hat Gott den Menschen gefunden. Gottes Sehnsucht ist es, unter den Menschen spürbar nahe und anwesend zu sein, weil er die Menschen liebt.

Das Gold der Rettungsfolie, die Pater Meinrad um die Leiter gewickelt hatte, hat nicht nur eine praktische Funktion, sondern auch eine symbolische. Als unendlich kostbares Edelmetall verweist es auf die kostbare Würde des Menschen, die er als Geschöpf Gottes für Gott hat: Für ihn ist der Mensch unendlich mehr wert als Gold.

Wer sich auf die Suche nach Gott machen möchte, dessen Aufgabe ist es gar nicht so sehr, ständig im »Suchmodus« zu laufen, sondern in der inneren Bereitschaft zu sein, von Gott gefunden zu werden und ihn mitten unter den Menschen zu finden.

Nicht wenige Generationen sind aber geprägt von einer christlichen Erziehung, die dem Menschen vermittelte, wie er zu sein hatte, was »man« also zu tun und zu lassen hatte als »guter« Christ, weil der liebe Gott einen eben nicht lieb hatte, wenn man bestimmte Dinge tat oder nicht tat. Bis heute ist bei vielen Christen daher noch immer die Vorstellung präsent, dass Jesus am Kreuz sterben musste, weil Gott ein Opfer brauchte, das ihn versöhnte. Die Sünde der Menschen – so die Vorstellung – hatte ihn erzürnt, beleidigt, verletzt, sodass dies notwendig geworden war.

Dagegen entstresst der Gedanke, dass Gott den Menschen gefunden hat und ihn auch heute noch immer wieder sucht. Dass der Mensch sich finden lassen darf. Dieser Gedanke macht frei.

Mit diesem Buch lade ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, mit mir einen Weg zu gehen. Einen Weg, Gott (wieder) zu finden. Mitten in Ihrem Leben. Mitten in Ihrem Alltag.

Dieser Weg beginnt im ersten Teil bei biblischen Menschen und ihren Erfahrungen mit Gott – Schlüsselerfahrungen. Mit Jesus wird deutlich: Gott ist nicht nur beim Menschen und ihm nahegekommen, sondern im Menschen, er ist Mensch geworden und als solcher wurde er für andere erfahrbar. Im zweiten Teil führt der Weg deshalb weiter zur Entdeckung Gottes in mir und im anderen. Denn in Jesus zeigt sich: Wer Gott finden will, muss den Menschen suchen. Der Weg mündet dann im dritten Teil in die Herausforderungen für die Kirche, die sich daraus ergeben: Ist Gott mitten im Leben, mitten im Alltag, mitten in und bei den Menschen, dann muss genau dort auch Kirche sein. Sie muss zu den Menschen aufbrechen. Und bei ihnen sein. Das aber hat auch Konsequenzen für Gottesdienst, Ritual und Gestalt von Kirche heute. Es geht um die Frage: Verwaltet Kirche Tradition, Ritus, Formen oder lässt sie sich ein auf die Bedingungen des Lebens der Menschen heute? Erstarrt sie oder findet sie mit den lebendigen Menschen den lebendigen Gott?

Ich wünsche Ihnen eine spannende und überraschende Entdeckungsreise!

Gott findet den Menschen – Biblische Schlüsselerfahrungen

Gott entdecken: Nicht suchen – finden!

Interessanterweise fand ich folgenden Satz von Pablo Picasso: »Ich suche nicht, ich finde.« Man kann sich fragen: Ist das nicht genau das Gleiche? Will nicht der, der sucht, auch finden? Ich glaube, dass es bei diesem Zitat von Picasso um den Blickwinkel geht.

Viele Menschen investieren einiges an Energie ins Suchen. Manche suchen sogar ihr Leben lang und finden nie, sie kommen nie an und bleiben deshalb unzufrieden. Wer innerlich mit dem Gedanken »Ich finde« unterwegs ist, der ist bereit, auch anzukommen, zu finden und wahrzunehmen: Das ist das, was ich gesucht habe. Ein wenig erinnert es mich an den Satz, der lange »in« war: Der Weg ist das Ziel. Das stimmt durchaus. Aber was ist ein Weg ohne wirkliches Ziel im Sinn von ankommen? Natürlich gilt es den Weg zu würdigen und die wesentlichen Erfahrungen des Weges. Ich selbst wäre ohne meine Erfahrungen auf dem Jakobsweg nicht der, der ich heute bin. Es braucht im Leben immer wieder Aufbruch, Losgehen, sich Verabschieden von Wegen, die nicht mehr tragfähig sind, aber es geht auch um ein neues Finden, ein neues Ankommen.

In Bezug auf Gott kann das bedeuten, Altes loszulassen, festgefügte Denkschemata, wie Gott zu sein hat, wie ich ihn mir wünsche, an die Seite zu legen. Und mich von Gott überraschen zu lassen, wie das nicht nur die Gestalten des Alten Testaments getan haben, als sie Gott begegneten, sondern vor allem auch die Menschen, die mit Jesus in Berührung kamen. Ihnen allen gemeinsam war, dass ihnen Gott begegnet ist, wo sie es eigentlich gar nicht erwartet haben. Und vielleicht auch, dass sie Gott zunächst gar nicht gesucht haben, sondern er sie gefunden hat. Häufig suchen wir Gott aber immer nur an den Orten, wo wir ihn offensichtlich vermuten: in Kirchen, Gottesdiensten, Heiligtümern, auf Pilgerwegen und so weiter. Dabei gerät uns aus dem Blick, dass er uns auch heute dort begegnet, wo wir ihn gar nicht suchen oder vielmehr, wo wir unser Suchen beenden und uns einfach von ihm finden lassen. Oder wo wir uns mit der Haltung aufmachen: »Ich suche nicht, ich finde!«

Im Folgenden möchte ich einige dieser möglichen »Findeorte« Gottes näher betrachten.

Wo ist Kirche? – Randbemerkungen

Wir haben oben gesehen, dass Gott aus christlicher Sicht den Menschen immer nähergekommen ist: von den Begegnungen der Menschen mit ihm in den Geschichten des Alten Testaments über Jesus, der als Gegenüber, als Du erfahrbar wurde, bis hin zum Geist Gottes, der in jedem Menschen ist. Wenn aber Gott so nah bei seinen Menschen sein will, dass er in jedem anderen erfahrbar wird, was bedeutet das dann für die Kirche heute? Muss sich dann nicht auch der Blick in der Kirche wieder deutlich mehr dem Menschen, dem Einzelnen, zuwenden? Weil Gott gerade bei den Menschen gefunden werden kann?

So, wie sich der Weg Gottes mit den Menschen über die Jahrhunderte weg verändert und immer wieder erneuert hat, muss sich auch der Weg der Kirche durch die Zeit immer wieder erneuern. Die Zeit bleibt nicht stehen, und so, wie sich Menschen und ihre Bedürfnisse über die Jahrhunderte weg verändert haben, muss sich auch eine Kirche verändern, die das umsetzen will, was Jesus vorgelebt hat: nahe bei den Menschen zu sein, damit die Menschen nahe bei Gott sein können.

In den Kirchen spüren viele, dass es neue Wege braucht, neue Konzepte. Keiner hat dabei das Rezept parat. Die einen fordern strukturelle Reformen (Ehelosigkeit aufheben, Frauenweihe, Beteiligung an Bischofswahlen und so weiter), die anderen eine Vertiefung des Glaubens. Häufig ist heute von Glaubenskrise die Rede. Manchmal macht es auf mich den Eindruck, dass viele denken: Wenn Kirche zurückfindet zu ihren »eigentlichen Quellen« wie Messe, Rosenkranz, Anbetung, wenn die Menschen wieder mehr beten, dann wird alles wieder gut. Es braucht sicher eine Vertiefung des Glaubens, aber nicht eine Rückkehr zu dem, was mal war, aber nicht mehr ist.

Gott ist ein Gott des Aufbruches und des Weges, wie man in den biblischen Geschichten des Alten wie auch des Neuen Testaments immer wieder nachlesen kann. Selten höre ich die Frage: Wozu mutet Gott der Kirche diesen Aufbruch und Umbruch zu? Wohin will er seine Kirche führen? Angesichts der schwindenden Mitgliederzahlen in beiden großen Kirchen, abnehmender Besucherzahlen in den Gottesdiensten und in den Gemeinden, scheint der Glaubensschwund sowohl auf der evangelischen wie auf der katholischen Seite gewaltig. Ich bezweifle jedoch, dass es ein Glaubensschwund ist. Ich bin unsicher, ob wirklich der Glaube, die Sehnsucht nach einem letzten Halt, nach einem »Mehr« im Leben schwindet. Ich glaube eher, dass die Menschen heute keine Antworten mehr finden in der Art, wie Glaube in den Kirchen gelebt und verkündet wird. Oder dass man ihnen dort Antworten auf Fragen gibt, die sie nicht gestellt haben.

Wenn Gott vor allem bei den Menschen zu finden ist, wäre es dann nicht an der Zeit, dass Kirche sich auch wieder dem Menschen zuwendet, statt in leeren Räumen zu sitzen und zu warten, dass sie kommen oder darüber zu lamentieren, dass niemand mehr die ehrenamtlichen Aufgaben in der Kirche übernehmen will? Die Frage wäre dann: Wo ist der Mensch heute zu finden? Wo kann ich ihm und wo kann ich somit Gott heute begegnen?

Der Umbruch in der Kirche, der durch Papst Franziskus ins Rollen gekommen ist, ist auch deshalb so deutlich wahrnehmbar, weil sein Vorgänger Papst Benedikt eher als scheu und zurückhaltend galt. Während er seine tägliche Messe im Kreis seines Sekretärs und seiner Haushälterinnen feierte, ging Franziskus von Anfang an unter die Menschen. Er blieb in seinem Zimmer im vatikanischen Gästehaus statt in die eigentliche Papstwohnung umzuziehen, feiert bis heute dort jeden Tag mit Gästen die Messe, isst mit ihnen, taucht unerwartet in der vatikanischen Kantine auf, macht Überraschungsbesuche in Gefängnissen, Krankenhäusern, an sozialen Brennpunkten.

Zu Beginn haben Kritiker gesagt, dass Franziskus das Amt seines göttlichen Glanzes beraube. Der Papst sei Stellvertreter Christi, sozusagen göttliche Autorität, und könne sich nicht wie ein einfacher Mensch unter die Menschen mischen. Genau damit aber ist er in die Fußspuren Jesu getreten. Jesus hat nichts anderes gemacht, als unter Menschen zu sein, vor allem unter jenen am Rand. Mit anderen Worten: In der Kirche, bei Gott haben alle einen Platz.

In diesem Sinn sind gerade die Wohnungen derer, die sich nicht dazugehörig fühlen, die sich manchmal als nicht recht gläubig fühlen, die sich klein vorkommen, weil sie so wenig vom Glauben, von Gott wissen, Anders-Orte. Anders-Orte auch deshalb, weil Kirche sich hier umstellen muss. Gerade das hat Jesus so faszinierend gemacht, dass er die Menschen herausgefordert hat, als er neu und anders, aufbrechend von Gott sprach. Als er gerade zu denen ging, die heute der Kirche außen vor sind oder mit der Institution Kirche nichts mehr anfangen können; die, die gar keiner Konfession oder Religion zugehörig sind, aber der Sehnsucht Raum geben. Wer anklopft, sagt Jesus, dem wird aufgetan. Und wer suchet, der findet.

Meiner Ansicht nach sind die Menschen noch immer dort zu finden, wo schon Jesus sie gefunden hat und wo auch Papst Franziskus sie heute suchen will: an den Rändern. Deshalb möchte ich im Folgenden einige »Rand-Bemerkungen« machen, Orte nennen, an denen Menschen darauf warten, gefunden zu werden, und Haltungen, die heute wieder dazu führen könnten, dass wir Gott im Menschen begegnen können.

Statt eines Schlusswortes

Am Ende dieses Buches möchte ich sozusagen an den Anfang zurückkehren: Zu den Menschen der Bibel, die von Gott gefunden worden sind. Einer von ihnen – ich habe ihn bereits erwähnt – ist der Prophet Elija. Seine Geschichte ist die eines Menschen, der an das Ende seiner Kräfte kommt, dann von Gott gefunden wird und ihn ganz anders und neu erfährt, als er sich ihn bis dahin gedacht hatte. Meine Gedanken zu seiner Person und Geschichte mögen dieses Buch abschließen und all das, was mir wichtig war, zusammenfassen. Meinen Gedanken vorangestellt ist der Text aus dem Alten Testament, auf den ich mich beziehe. Mit ihnen wünsche ich Ihnen einen spannenden Weg, auf dem Sie immer wieder in Ihren Lebensbezügen Gott entdecken, sich von ihm überraschen und finden lassen können.

In jenen Tagen kam Elija zum Gottesberg Horeb. Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr kam nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr kam nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr kam nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.

1 Könige 19,9a.11–13a

Es muss ungefähr zehn Jahre her sein. Im Sonntagsgottesdienst wurden die beiden obigen Texte gelesen. Der Mitbruder, der die Predigt hielt, sagte in Bezug auf die Geschichte von Elija einen Satz, den ich bis heute nicht vergessen habe: »Gott ist nicht in dem, was Angst macht.«

Elija erlebt am Berg Horeb Erdbeben, Sturm und Feuer in ihrer zerstörerischen, angstmachenden Art. Darin – so die Erzählung –
ist Gott nicht. Zuvor war Elija geflohen. Er hatte einen »Götterstreit« gewonnen. In ihrer Wut und in ihrem Zorn verfolgten die unterlegenen Baalspriester und deren Königin Isebel Elija, bis er nicht mehr konnte. Er weiß, dass sein Leben jetzt in Gefahr ist verzehrt zu werden von dem Feuereifer, mit dem er zuvor den Götterstreit entflammt hatte. Elija hat hoch gepokert, hatte den anderen Angst eingejagt und am Ende gewonnen. Und erlebt jetzt, wie sein Gewinnergebahren auf ihn zurückfällt. Bis in die jüngere Geschichte hinein gab es ähnliche Szenarien in der Kirche: Da wurde bewiesen, wie mächtig Gott ist, verbal das Feuer der Hölle angeheizt, von Fegefeuer war die Rede. Es mag die vielleicht gute Absicht gewesen sein, Menschen zum Glauben zu bewegen, zur Umkehr aufzurufen, Seelen retten zu wollen. Bewirkt hat es Angst und Schrecken und ist als solches auf die Kirche zurückgefallen, weil Menschen sich eher abwendeten, ihre Seelen eher verletzt denn geheilt waren. Elija geht es ähnlich wie denen, die innerlich flohen, sich abwendeten. Er flieht in die Wüste. Ist fertig, am Ende. Depressiv sitzt er dort unter einem Ginsterstrauch und möchte sterben. Er zieht sich in sich zurück – trotzig, beleidigt. Darüber schläft er ein.

Als er erwacht, von einem Engel berührt, findet er Brot und Wasser. Wie es heißt »in glühender Asche« gebackenes Brot, in der Glut, die vom Feuer entzündet wurde. Elija aber schläft wieder ein. Der Engel rührt ihn ein zweites Mal an und sagt zu ihm: »Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich.« Und wieder isst er Brot aus dem Feuer, der Glut, als ob Elija erfahren, spüren und endlich begreifen sollte mit seinen Sinnen, wofür Feuer eigentlich gut ist: um Menschen zu nähren. Wie Gott ist: sanft, fast unbemerkt kommt er im Engel und stärkt ihn. Gott schlägt nicht zurück, er übt keine Rache, sondern führt Elija sanft und berührend, bis er versteht, wie und wer er, Gott, ist.

Vielleicht hat Jahwe sich genau deshalb auf den Wettstreit mit den Baalspriestern eingelassen: Damit Elija genau das lernen und begreifen kann, damit er den Unterschied erfährt und spürt, wer Gott wirklich ist – und dass er Gott für sich benutzt hat, um dazustehen als der große Gotteskrieger und Gottesheld. Auch heutige Gotteskrieger setzen in Brand, zerstören, versetzen Menschen in Angst und Schrecken. Das – so lernt Elija – ist Gott nicht!

Als er am Berg Horeb ankam, müde von der Verfolgung, ging er in die Höhle. Sie ist ein Urbild des Mutterschoßes, der Gebärmutter. Elija schützt sich also, geht aber auch in die Regression, in den Rückzug, wie das Erwachsene manchmal tun, die in kindliche Verhaltensmuster fallen und am liebsten wieder im Mutterschoß wären, um den Konflikten und Herausforderungen auszuweichen, sich sozusagen die Decke über den Kopf ziehen. Elija braucht diesen Rückzug in die Höhle der Depression, der Niedergeschlagenheit, des Beleidigtseins über die ganze Situation.

Ich kenne das aus eigenem Erleben: Man ahnt den nächsten Entwicklungsschritt und geht noch einmal einen Schritt zurück, vielleicht auch um Kräfte zu sammeln oder Anlauf zu nehmen wie ein Weitspringer. Als Elija jetzt in der Höhle sitzt, erlebt er noch einmal die Urgewalten, all das, was Angst machen kann: Feuer, Sturm, Erdbeben.

Nachdem die gewaltigen, angstmachenden Kräfte vorbeigezogen sind, tritt Elija vor die Höhle, tritt er heraus aus seiner Niedergeschlagenheit, seiner Depression, seiner Angst. Er richtet sich auf und hüllt sein Gesicht in seinen Mantel. Es ist der Gottesmantel, der Mantel des Propheten, den er später Elischa überwerfen wird und an dem Elischa seine Berufung zum Propheten, zum Nachfolger erkennt. Elija hüllt sein Sehen neu ein, das heißt, er erkennt seine Berufung als Prophet, als Gottesverkünder neu. Er erfährt: Im leisen Säuseln ist Gott. Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph, übersetzt diese Stelle mit: »verschwebendes Schweigen«. Es ist nicht nur Schweigen, Stille an sich, sie ist »verschwebend«: etwas, das große Achtsamkeit braucht, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Gottes Gegenwart, Gottes leises Säuseln, Gottes verschwebendes Schweigen, in das alles eingehüllt ist, geht oft im Feuer und Eifer des Gefechts unter; im Feuereifer derer, die in den Fragen der Zeit – Flüchtlinge, Transgender, Ehe für alle – den Untergang des christlichen Abendlandes sehen, die von der Angst aufgezehrt werden, die nur schwarzmalen und sich in die Kirche zurückziehen als Trutzburg. Diese Kirche, die einst wortgewaltig, angstmachend den allmächtigen Gott in einer ein für alle Mal festgezimmerten Lehre verkündete.

Doch Christen heute sind gefordert, aus dieser Höhle herauszutreten, um »bis an die Ränder« zu gehen, um den Menschen nahrhaftes Brot, erfrischendes Wasser zu geben, mit ihnen Gottes ausgestreckte Hand zu entdecken, seine verschwebende Gegenwart; seine Hoffnung und Liebe, um ihre Lebenswunden darin einzuhüllen.

Alle Christen sind Prophetinnen, Propheten, alle Christen sind eingehüllt in den Mantel der Prophetie, sind geborgen, umhüllt, eingehüllt von einer stärkenden, aufrichtenden, hoffenden, nährenden, Leben spendenden und Vertrauen stärkenden Gegenwart. Wahrnehmbar, spürbar aber erst dann, wenn ich zurücktrete und Abstand nehme vom Feuereifer, der auch zerstören kann, von der Enttäuschung, weil die Welt doch so schlecht und antichristlich und antikirchlich ist, Abstand nehme von allem, was Angst macht, was Angst machen will. Auch in der Kirche. Denn: Darin ist Gott nicht.

Adam und Eva

Der erste Schöpfungsbericht des Alten Testaments erzählt im Buch Genesis, dass Gott am sechsten Tag den Menschen erschuf. Von ihm heißt es, dass er als Abbild beziehungsweise Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Damit ist etwas ausgesagt, das bis heute die Grundlage der einzigartigen Würde eines Menschen ist: Zusammen mit der ganzen Schöpfung ist er nicht nur ein »Zufallsprodukt« oder eine Laune der Evolution, sondern er entspringt dem Willen Gottes. Während diese Erzählung vor allem in den USA fundamentalistische Strömungen dazu motiviert hat, sie wörtlich zu nehmen und infolgedessen die Evolutionstheorie gänzlich abzulehnen, werden auch in der modernen Forschung Stimmen laut, dass der Schöpfung trotz aller Zufälligkeit ein Sinn, eine Idee, ein Plan zugrunde liegen müsse. Hier begegnen sich Evolutionstheorie und biblische Erzählung. Der Sinn der biblischen Erzählung ist nicht, einen genauen chronologisch-wissenschaftlichen Bericht über die Entstehung der Welt zu geben, sondern eben die Frage zu beantworten: Was ist die Idee dahinter? Und während die Evolutionstheorie die Frage beantwortet, wie die Schöpfung, die Erde, das Universum, der Kosmos entstanden ist und welche Prozesse sich wann wie ereignet haben, gibt die Erzählung der Bibel eine Antwort auf die Frage nach dem Warum beziehungsweise Wozu, nach dem Sinn des Ganzen.

Die Schöpfungserzählungen (es sind nämlich zwei: Genesis 1,1–2,4a und Genesis 2,4–25) reflektieren die Frage des Ursprungs der Welt. Sie sind auf dem Hintergrund des Weltbildes ihrer Entstehungszeit (etwa 500 v. Chr.) geschrieben und dementsprechend finden sich darin Sätze, die den Lesern heute fremd vorkommen. Dazu gehört für mich zum einen die Anweisung Jahwes, dass der Mensch sich die Schöpfung untertan machen, beziehungsweise nach einer neuen Übersetzung der Bibel »unterwerfen« soll. Zweitens die Aussage, dass die Frau aus dem Mann – nämlich aus der Rippe Adams –
entstanden ist. Doch im Umgang mit diesen Geschichten ist es wichtig, die eigentliche Aussage beziehungsweise Aussageabsicht herauszufiltern und zu erkennen. Leider ist der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, lange Zeit wörtlich genommen worden. Gemeint ist damit aber eigentlich ein Umgang mit der Schöpfung, der die Ressourcen der Erde schützt und allen dient. Es meint also weniger, dass der Mensch die Welt zu seinen Zwecken nutzen sollte, sondern die Verantwortung dafür hat, dass alle Lebewesen –
Menschen, Tiere, Pflanzen – gut leben können.