Vorwort

Junge Menschen am Anfang ihrer Berufslaufbahn machen sich viele Gedanken über ihre zukünftige Arbeit. Dabei kommen immer auch Ängste hoch, wie wohl die Arbeitssituation sein wird, in die sie hineinkommen, und ob sie ihr gewachsen sein werden. Die, die schon lange arbeiten, erleben, wie der Druck bei der Arbeit zunimmt und das Klima in vielen Firmen immer kälter und unmenschlicher wird. Sie fragen sich, wie sie in der kalten Umgebung noch Menschen mit einem warmen Herzen bleiben können.

Wie können wir Mensch bleiben bei unserer Arbeit und in der heutigen Arbeitswelt bestehen? Und wie sollen wir als Christen die Arbeit verstehen? Gibt es eine christliche Arbeitsethik oder müssen wir uns einfach den Gesetzen der Arbeitswelt unterwerfen?

Vielen Menschen wird die Arbeit immer mehr zu einer Last. Sie haben Angst, die Freude an der Arbeit zu verlieren und unter dem Druck der Anforderungen zusammenzubrechen. Auch konkrete Probleme bei der Arbeit können belastend sein. Etwa die Frage, wie man mit schwierigen Mitarbeitern zusammenarbeiten kann oder wie man mit einem schwierigen Chef zurechtkommt.

Im zweiten Thessalonicherbrief mahnt Paulus die Christen:

Arbeitet in Ruhe!

2 Thessalonicher 3,12

Heute würden nur wenige Menschen sagen, dass sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können. Oft sollen immer weniger Angestellte die gleiche Arbeit leisten wie vorher. Der Druck wird immer größer, viele fühlen sich überfordert. Das zeigt sich am steigenden Krankenstand und an dem Phänomen Burn-out, unter dem heute viele leiden.

Der heilige Benedikt hat das Arbeitsethos, das bei Paulus aufscheint, in das konkrete Leben der Mönche übersetzt. Er fordert seine Mönche auf, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben. Das verlangt oft Mühe und Anstrengung. Doch vom Cellerar, der die wirtschaftliche Leitung des Klosters innehat, verlangt er: Er solle immer auf seine Seele achten und sein Amt mit innerer Ruhe verwalten (Regel Benedikts 31,8 und 17). Benedikt spricht hier von »aequo animo«: Der Cellerar soll eine ausgeglichene innere Stimmung haben und mit Gleichmut, innerer Ruhe und innerem Frieden seine Arbeit verrichten. Diesen inneren Frieden kann der Cellerar finden, indem er auf der einen Seite seine Aufgabe so organisiert, dass er sich selbst nicht überfordert. Auf der anderen Seite braucht es eine spirituelle Arbeit an sich selbst, um mit innerem Gleichmut den Anstrengungen der Klosterführung gewachsen zu sein. Für viele, die unter den Anforderungen des Arbeitsalltags stöhnen, erscheinen diese Gedanken, die Benedikt vor 1500 Jahren in seine Regel aufgenommen hat, fremd und wenig nachvollziehbar. Wie sollen sie Ruhe finden, wenn sie ständigen Erwartungen ausgesetzt sind, in der Firma, in der Familie, in der kirchlichen Gemeinschaft?

Benedikt hat die Verbindung von Gebet und Arbeit als das eigentliche Ziel des geistlichen Lebens gesehen. »Ora et labora« gilt als die Grunddevise der Benediktiner. Das meint nicht nur eine äußere Verbindung und ein zeitlich ausgewogenes Maß an Gebet und Arbeit. Es geht vor allem um eine innere Verbindung. Wenn uns das innere Miteinander von Gebet und Arbeit gelingt, dann könnten wir auch heute »mit innerer Ruhe« arbeiten. Allerdings sind die heutigen Bedingungen nicht förderlich, das benediktinische »ora et labora« in unserer Arbeit zu leben. Deshalb geht es in diesem Buch nicht nur um die persönlichen Voraussetzungen, wie wir Gebet und Arbeit miteinander verbinden können. Es geht auch um strukturelle Bedingungen, die eine solche Verbindung möglich machen. Wenn von den Führungskräften nur Druck ausgeht, wenn man den Sinn der Arbeit nicht mehr erkennt, wenn alles immer schneller gehen soll, dann ist es nicht leicht, innerlich ruhig zu arbeiten. Daher müssen sich auch Unternehmen bemühen, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Es ist ein Klima des Vertrauens notwendig. In so einem Klima arbeiten die Menschen gerne. Und sie arbeiten auch viel. Aber sie fühlen sich nicht kontrolliert oder unter Druck gesetzt.

Das benediktinische »ora et labora« prägte die Arbeitsethik des christlichen Mittelalters. Von dieser Arbeitsethik könnten wir auch heute noch lernen. Natürlich sind die Voraussetzungen heute anders als zur Zeit des heiligen Benedikt. Doch dass Gebet und Arbeit, Innehalten und Nach-außen-Gehen, Bewegung und Ruhe, Leben und Beruf miteinander in Einklang kommen sollen, das ist auch heute ein wichtiges Anliegen. Heute spricht man von Work-Life-Balance. Benedikt meint, dass das Gebet die Quelle ist, aus der die Arbeit strömt. Und umgekehrt ist die Arbeit ein Test, ob unser Gebet echt ist, ob wir in unserem Gebet wirklich frei werden von unserem Ego, um uns auf Gott und auf die Arbeit einlassen zu können. Doch was meint Gebet für den modernen Menschen, der nicht unbedingt fromm ist? Gebet im weiteren Sinn meint: Zeit zum Innehalten haben, Zeit, in der ich zur Ruhe komme, in der ich die Arbeit unterbreche, um ganz bei mir zu sein. Ein guter Weg des Innehaltens geht über Rituale. Rituale sind kleine, sich wiederholende Tätigkeiten, die zur Gewohnheit werden können. Rituale sind Übungen. Ich mache zum Beispiel am Morgen folgende Übung: Ich stelle mich hin, erhebe meine Hände zum Segen und lass den Segen zu den Menschen strömen, mit denen und für die ich an diesem Tag arbeiten werde. Ich mache es mir zur Gewohnheit, vor jeder Besprechung kurz innezuhalten und Gott um den Segen für das Treffen zu bitten. Es gibt persönliche Rituale, persönliche Gewohnheiten. Es gibt aber auch gemeinsame Rituale, die die Kultur einer Firma prägen, das Ritual, die Geburtstage der Mitarbeiter zu feiern. Andere Rituale sind Formen der Begrüßung oder Formen, die Arbeit zu beginnen und zu beenden.

Dass die Verbindung von »ora et labora« auch in dem weltlichen Bereich der Arbeit sinnvoll ist, zeigen betriebswirtschaftliche Untersuchungen. Firmen, die gute Rituale pflegen, sind wirtschaftlich erfolgreicher. Das mag paradox erscheinen. Denn Rituale erfordern Zeit. Wenn wir zum Beispiel beim Geburtstag eines Mitarbeiters miteinander Kaffee trinken, dem Mitarbeiter gratulieren und seine Mitarbeit in der Firma würdigen, dann kostet das Zeit. Aber Rituale sind eben der Ort, an dem Gefühle geäußert werden, die sonst nicht zum Ausdruck kommen. Wenn in einem Ritual diese Emotionen ausgedrückt werden, dann sind sie eine Quelle von Energie. Die Emotionen bewegen die Mitarbeiter, gerne und mit vollem Einsatz zu arbeiten. Und Rituale schaffen eine Firmenidentität. Man spürt, dass es da um mehr geht als um die Effektivität der Arbeit. Rituale schaffen eine heilige Zeit. Und diese heilige Zeit, die sich die Mitarbeiter in einer Firma gönnen, verwandelt auch die übrige Zeit. Sie bewahrt uns davor, von der Zeit (chronos) aufgefressen zu werden, und schenkt uns eine angenehme Zeit (kairos). Rituale durchbrechen die Arbeit und lassen mitten im Arbeitsalltag etwas aufscheinen von Sinn, von Transzendenz, von Liebe und Achtung. Das motiviert die Menschen mehr als Druck von oben oder die Angstmache, mit denen manche Chefs meinen, ihre Mitarbeiter zu mehr Anstrengung anstacheln zu können.

Wir müssen immer an beiden Schrauben drehen: an der Schraube der äußeren Organisation der Arbeit und der Schaffung eines gesunden Arbeitsklimas, und an der Schraube der persönlichen Spiritualität. Auch wenn die äußeren Verhältnisse nicht ideal sind, kann ich mich im Gebet immer wieder zurückziehen in den inneren Raum der Stille. Dieser Raum der Stille hält mich nicht von der Arbeit ab, sondern befähigt mich, mitten in einer lärmenden und hektischen Atmosphäre die innere Ruhe zu bewahren. Wenn wir die Arbeit aus einer spirituellen Kraftquelle heraus vollziehen, dann wird unsere Arbeit zum Segen für uns und für die Menschen, für die wir arbeiten.

Die Bilder der biblischen Geschichten wollen uns die Augen öffnen, dass wir nicht pessimistisch auf die Arbeit schauen, die uns erwartet oder in der wir gerade stecken, sondern hoffnungsvoll. Die Bibel will uns nicht dazu verführen, mit einer rosaroten Brille auf unsere Arbeit zu schauen, sondern mit einem realistischen Blick. Aber dieser realistische Blick ist immer auch ein Blick der Hoffnung. Er lässt uns in der gegenwärtigen Arbeitssituation Wege entdecken, wie wir die Arbeit so bewältigen können, dass sie für uns und für die Welt Segen bringt. Die 25 biblischen Bilder wollen uns davor bewahren, uns von der Arbeit erdrücken zu lassen. Sie verweisen uns auf die inneren Quellen, aus denen wir schöpfen können, um nicht erschöpft zu werden durch die täglichen Mühen. Daher ist mir das benediktinische »ora et labora« so wichtig. Es geht uns darum, die Spiritualität als wichtige Quelle für unsere Arbeit zu beschreiben. Das Gebet hilft uns, uns ganz auf die Arbeit einzulassen, ohne von ihr erdrückt zu werden. Denn es bringt uns in Berührung mit der inneren Quelle des Heiligen Geistes, die nie versiegt. Wenn wir aus dieser Quelle arbeiten, dann verwandelt das unsere Arbeit. Sie ist nicht mehr nur Last oder Pflicht, sondern wird auch zu einem Ausdruck unserer Spiritualität, zu einem Ausdruck der Liebe und Hingabe.

Bilder sind da, um meditiert zu werden und sich in uns einzubilden. Das Buch möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, einladen, die biblischen Bilder anzuschauen und dann immer wieder einen Blick auf Ihre Arbeit zu werfen. Indem Sie Ihre konkrete Arbeitssituation mit einem biblischen Bild in Verbindung bringen, werden Sie neue Wege für sich entdecken, wie Sie mit Schwierigkeiten umgehen und einen Sinn in Ihrer Arbeit erkennen können. Die biblischen Bilder wollen Licht in unser Leben bringen. Bilder sind mehr als Erfahrungen der Vergangenheit. Sie öffnen uns ein Fenster, um auf die Wirklichkeit sehen zu können. Oft genug schauen heute die Menschen durch dunkle und getrübte Fensterscheiben auf ihr Leben. Die Bibel will die Fensterscheiben reinigen, damit Licht durch sie hindurchdringen kann und wir im Licht der Bibel unsere Arbeitssituation neu bewerten lernen.

Zu den biblischen Bildern habe ich Worte aus der Regel Benedikts zitiert und sie so ausgelegt, dass sie für uns heute einen gangbaren Weg aufzeigen, wie wir Gebet und Arbeit miteinander verbinden können. Die Regel Benedikts ist genauso wie die Bibel in einer uns oft fremden Sprache geschrieben. Bibel und Regel brauchen daher eine Auslegung. Aber wenn wir die alten Worte im Licht unserer heutigen Erfahrungen sehen, dann entdecken wir in ihnen eine große Weisheit. Und diese Weisheit kann uns heute helfen, unsere Arbeitssituation mit neuen Augen zu sehen und mit ihnen so umzugehen, dass sie uns nicht bedrückt, sondern herausfordert, menschlich und spirituell zu wachsen.

So wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie sich durch die biblischen Bilder und die Texte aus der Regel Benedikts anregen lassen, Ihre konkrete Arbeitssituation auf eine neue und tiefere Weise zu verstehen und für sich neue Wege zu finden, damit zurechtzukommen. Und ich wünsche Ihnen, dass Ihre Arbeit von Gott gesegnet ist und Ihnen und den Menschen, für die und mit denen Sie arbeiten, Segen bringt.

Anselm Grün

Versuchungen

Bevor Jesus anfängt zu arbeiten und öffentlich aufzutreten, wird er vom Satan versucht. Man könnte diese Versuchungen so verstehen, dass Jesus sich vor diesem Schritt seinen eigenen Schattenseiten stellen muss. Jeder von uns hat auch Schattenseiten. Es sind Versuchungen, die Arbeit dafür zu benutzen, die eigenen egoistischen Bedürfnisse auszuagieren. Doch dann wird die Arbeit für uns nicht hilfreich sein und wir werden durch sie uns selbst entfremdet. Es wird von uns kein Segen ausgehen. So ist es auch unsere Aufgabe, bevor wir in die Arbeit einsteigen, uns wie Jesus diesen drei Versuchungen zu stellen. Nur dann wird unsere Arbeit gelingen. Aber auch während der Arbeit werden wir dann und wann von diesen Versuchungen heimgesucht. Und wir müssen uns immer wieder darüber Rechenschaft ablegen, wie und wofür wir arbeiten wollen.

Die erste Versuchung ist, die Steine zu Brot werden zu lassen. Es ist die Versuchung, alles für uns selbst zu benutzen. Die Arbeit hat lediglich den Zweck, dass wir Vorteile haben. Sie dient uns dazu, dass wir möglichst viel Geld verdienen. Doch Jesus sagt:

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.

Matthäus 4,4

Wir leben nicht nur von dem, was uns etwas bringt, sondern von dem, was uns wahrhaft nährt. Wir leben nicht allein für das Geld. Geld nährt nicht. Es braucht andere Werte, die uns nähren bei der Arbeit. Jesus spricht vom Wort Gottes. Das Wort Gottes können wir verschieden auslegen: Einmal sind damit die Werte gemeint, die uns nähren, die uns Kraft schenken. Ohne Werte wird unsere Tätigkeit wertlos. Wir müssen uns also überlegen, welche Werte uns in der Arbeit leiten. Das Wort Gottes bezieht sich aber auch auf das, was Gott uns sagen möchte. Auf das Wort Gottes zu hören ist notwendig, damit wir nicht einfach so dahinleben. Das Wort Gottes zeigt uns einen Weg, wie wir unser Leben sinnvoll leben können. Und es weist uns über diese Welt hinaus. Es gibt etwas, das diese Welt übersteigt. Nur wenn wir in Gott, der jenseits der Welt ist, unseren eigentlichen Halt haben, haben wir auch ein gutes Fundament für unsere Arbeit in der Welt. Im Vaterunser bitten wir Gott, er möge uns das tägliche Brot schenken. Die Kirchenväter haben darin zum einen den täglichen Lebensunterhalt gesehen, zum anderen haben sie dieses Brot aber auch als »überwesentliches« Brot verstanden, als Brot, das unsere tiefste Sehnsucht nach der jenseitigen Welt, nach Gott erfüllt.

Die zweite Versuchung ist die, sich in seiner Arbeit besonders hervorzutun. Jesus soll vom Dach des Tempels springen. Er soll also ein Zauberstück vorführen. Er soll sich vor allen anderen profilieren. Manche wollen in ihrer Arbeit nur glänzen. Sie wollen sich über die anderen stellen. Dabei verlieren sie oft das rechte Maß. Sie schauen nur darauf, auf der Karriereleiter hochzuklettern. Sie machen durch besondere Aktionen auf sich aufmerksam, um nach oben zu kommen. Doch die Gefahr ist, dass sie jäh abstürzen. Denn sie überschätzen sich selbst. Sie kritisieren die anderen Mitarbeiter und Chefs. Alle haben keine Ahnung von der Arbeit. Nur sie allein sind wirklich fähig. Doch solche Selbstüberschätzung tut uns nicht gut. Manche gehen mit zu großen Vorstellungen in die Arbeit. Sie meinen, sie seien für einfache Arbeiten überqualifiziert. Sie müssten sofort Aufgaben erledigen, die ihrer Ausbildung entsprechen. Doch wenn ich die einfachen Aufgaben überspringe, werde ich mich nie nach oben arbeiten. Es geht nicht darum, auf die besonderen Fähigkeiten aufmerksam zu machen, sondern erst einmal die einfachen Aufgaben gut zu erfüllen. Es geht nicht darum, irgendeinen Zauber zu veranstalten, durch »zaubern« auf mich aufmerksam zu machen, sondern es geht um den Segen Gottes. Mein Tätigsein soll zum Segen werden für mich und für die Menschen, für die ich arbeite.

Die dritte Versuchung ist die Versuchung der Macht. Jeder Mensch übt Macht aus. Macht ist auch etwas Gutes. Wir sind mächtig, etwas zu gestalten, etwas Gutes zu tun. Wir können etwas bewirken und in Bewegung bringen. Doch es gibt immer auch die Versuchung zur Macht. Diese Versuchung erkennen Mitarbeiter oft bei ihren Chefs. Manche Chefs benutzen ihre Macht nicht, um die Firma gut zu führen und für die Mitarbeiter ein gutes Betriebsklima zu schaffen, sondern um sich selbst darzustellen. Wer Macht ausübt, übernimmt Verantwortung für andere Menschen. Er sorgt dafür, dass die Mitarbeiter einen guten und sicheren Arbeitsplatz haben, dass die Zukunft der Firma gesichert ist. Doch viele üben Macht aus, um andere kleinzumachen. Das ist immer dann der Fall, wenn ich mit der Macht mein eigenes Minderwertigkeitsgefühl ausgleichen möchte. Wir dürfen aber bei der Versuchung der Macht nicht nur auf die Chefs schauen. Jeder, der arbeitet, übt Macht aus. Er kann mit seiner Arbeit etwas bewirken. Er schafft ein Klima um sich herum. Das kann ein Klima sein, in dem sich alle wohlfühlen. Es kann aber auch ein Klima der Angst sein, mit dem ich die anderen einschüchtern möchte. Dann unterliege ich der Versuchung der Macht. Ich zeige meine Macht über Mitarbeiter, die weniger begabt sind als ich, die weniger ankommen beim Chef. Ich übe meine Macht aus, indem ich die anderen Mitarbeiter entwerte. Und ich übe Macht über sie aus, indem ich sie von mir abhängig mache. Eine beliebte Form Macht auszuüben ist, andere warten zu lassen. Es ist die Macht des kleinen Beamten, der jeden Bittsteller lange warten lässt, um ihm zu zeigen, dass er Macht hat. Und diese Macht üben auch viele Mitarbeiter aus, die ihre Kollegen bewusst warten lassen. Sie sollen spüren, dass sie angewiesen sind auf ihre Gnade. Solche Machtspiele gibt es oft in Firmen.

Benedikt kennt die Versuchung, die mit jeder Arbeit verbunden ist. Er nennt die wichtigste Versuchung die des Betrugs und die der Habgier. Wir sind immer in Versuchung, unsere Arbeit besser darzustellen, als sie ist. Das gilt für die Tätigkeit an unserem Arbeitsplatz genauso wie für die Produkte, die wir herstellen. Wir preisen sie oft besser an, als sie sind. Das nennt Benedikt Betrug. Wir sollen ehrlich bei unserer Arbeit sein, dankbar für das, was wir erreichen, aber auch immer im Bewusstsein, dass das Ergebnis unserer Arbeit nicht alle Bedürfnisse der Welt befriedigt. Die andere Versuchung ist die der Habgier. Wir wollen immer mehr mit unserer Arbeit verdienen und unsere Produkte immer teurer verkaufen, damit der Gewinn der Firma immer größer wird. Dagegen schreibt Benedikt:

Wenn etwas von den Erzeugnissen der Handwerker verkauft wird, sollen jene, durch deren Hand die Waren veräußert werden, darauf achten, dass sie keinen Betrug begehen. Sie sollen immer an Hananias und Saphira denken, damit sie nicht etwa den Tod an der Seele erleiden, der jene am Leib traf. Das gilt ebenso für alle anderen, die mit dem Eigentum des Klosters unredlich umgehen. Bei der Festlegung der Preise darf sich das Übel der Habgier nicht einschleichen. Man verkaufe sogar immer etwas billiger, als es sonst außerhalb des Klosters möglich ist, damit in allem Gott verherrlicht werde.

Regel Benedikts 57,4–9

Es ist interessant, dass das Motto Benedikts »Damit in allem Gott verherrlicht werde« ausgerechnet im Kapitel über die Arbeit vorkommt. An der Art und Weise, wie wir arbeiten, soll etwas von Gottes Schönheit sichtbar werden, daran sollen die Leute merken, ob es um uns und unsere Selbstdarstellung geht oder um die Ehre Gottes.

Die Herkunftsfamilie als Wurzelkraft

Mir meine Herkunft bewusst zu machen, hilft mir, meine Stärken und Schwächen zu entdecken. Nur wenn ich um beides weiß – um Stärken und Schwächen –, kann ich beide nutzen, um in der Arbeit das Potenzial zu entfalten, das Gott mir geschenkt hat. Jeder wurde durch seine Herkunftsfamilie geprägt. Diese Prägung soll er so einsetzen, dass sie zum Segen wird für ihn und für andere.

Wie die Herkunftsfamilie uns prägt, zeigt uns die biblische Geschichte von Abraham, Isaak und Jakob. Abraham war der große Patriarch. Er ist ausgezogen aus seiner Heimat und hat in der Fremde ein neues Leben aufgebaut. Doch vor lauter Ausziehen und Aufbauen hat er offensichtlich seinen Sohn Isaak vernachlässigt. Isaak wurde eher ein Muttersohn. Er scheint gegenüber dem Vater schwach zu sein. Doch er hat trotzdem sein Leben gelebt und wurde der Vater von Esau und Jakob. Die Ablehnung, die er von seinem Vater erlebt hat, gibt er an seine Söhne weiter. Die Söhne können sich gegenseitig nicht akzeptieren. Jakob ist der schlauere, Esau der ältere und stärkere, der Kämpfer.

Jakob kauft dem Esau sein Erstgeburtsrecht ab und erschleicht sich vom Vater den Segen des Erstgeborenen. Er trickst seinen Bruder aus. Doch als er bei Laban um dessen Tochter Rachel bittet, trickst ihn Laban aus. Er schiebt ihm die hässliche Tochter Lea unter. So muss Jakob 14 Jahre lang um beide Frauen arbeiten. In dieser Zeit gebiert ihm Lea viele Söhne, während Rachel ihm nur Josef als Sohn schenkt. Als Jakob nach 14 Jahren heimziehen will, trickst er seinen Schwiegervater aus. Er nimmt den größten Teil der Ziegenherde mit sich. Seine Schlauheit hat gesiegt.

Es gibt heute viele vaterlose Menschen, vor allem wenn die Mutter die Kinder allein erziehen muss. Es gibt aber auch mutterlose Menschen, die keine wirklich gute Beziehung zur Mutter aufbauen können, weil die Mutter allzu beschäftigt ist mit dem Unterhalt der Familie, sodass sie sich auf die Kinder gar nicht persönlich einlassen kann. Vaterlose Menschen sind in der Arbeit oft misstrauisch und haben Probleme mit der Autorität. Und sie sind konfliktscheu und entscheidungsschwach. Mutterlose Menschen suchen an ihrem Arbeitsplatz häufig Geborgenheit. Die Firma soll für sie Mutterersatz werden. Doch das führt oft zur Enttäuschung, weil die Firma eben nicht nur Mutter ist, sondern auch oft eine harte Welt.